Anamnese
Eine 42-jährige osteuropäische Patientin stellte sich aufgrund von seit 2 Tagen bestehenden
Kopfschmerzen drückenden Charakters und hoher Intensität vor, die sie als beidseits
vom Nacken aus über den Hinterkopf nach frontal ausstrahlend beschrieb. Eine symptomatische
Therapie erbrachte keinen Erfolg. Zudem bestand seit 3 Tagen ein Exanthem an den Armen
und am Dekolleté. Im Monat zuvor habe sie einen Insektenstich am Unterschenkel gehabt,
der sich infiziert habe und mit einer Lymphknotenschwellung einhergegangen sei. Ambulant
sei eine antibiotische Therapie mit Amoxicillin über 5 Tage durchgeführt worden. Seit
dem Vortag der Aufnahme habe sie Fieber bis 39,1 °C. Seit 3 Wochen leide sie an Husten,
den sie auf einen bekannten Heuschnupfen zurückführe.
Erste Befunde
Der neurologische Untersuchungsbefund war bis auf einen Meningismus unauffällig. In
der körperlichen Untersuchung fanden sich insbesondere im Bereich der Arme und des
Dekolletés (Abb. 1), aber auch im Bereich des Rückens und Gesichts Papeln und urtikarielle
Plaques (Abb. 2).
Die Aufnahme erfolgte bei unklarem Fieber und Husten, da die Vorstellung in den Pandemiezeitraum
fiel, zunächst auf die COVID-19-Verdachtsstation. Nach negativem Abstrich und unauffälliger
hochauflösender Computertomografie (CT) des Thorax diesbezüglich erfolgte die neurologische
Übernahme. Im Aufnahmelabor zeigten sich bis auf eine Eisenmangelanämie und CRP-Erhöhung
von 60,6 mg/dl keine Auffälligkeiten. Die kraniale Computer- und Magnetresonanztomographie
fielen unauffällig aus. In der Liquoruntersuchung zeigte sich eine Pleozytose von
18 Zellen/µl bei überwiegend mononukleärem (73 %) Zellbild. Eiweiß, Glukose und Lactat
waren sämtlich normwertig. Die Herpes- (EBV-, VZV-, HSV-, CMV-), Respiratorisches
Syncytial-Virus(RSV)- und Influenza-PCR sowie die Serum‑/Liquordiagnostik im Hinblick
auf Borrelien, Lues, Mycoplasma pneumoniae, Treponema pallidum, Frühsommer-Meningoenzephalitis
(FSME), Masern, Mumps und Röteln zeigten sich ebenfalls unauffällig.
Weitere Befunde und Verlauf
Aufgrund der Hautveränderungen erfolgte eine dermatologische Vorstellung. Seitens
der Kollegen wurde der Verdacht auf ein Sweet-Syndrom erhoben. Es wurden mehrere Biopsien
entnommen, anhand derer die Verdachtsdiagnose bestätigt wurde (Abb. 3a, b).
Aufgrund der aseptischen Meningitis im zeitlichen Zusammenhang gingen wir von einem
Neuro-Sweet-Syndrom aus. Bis zum Erhalt der negativen Herpes-PCR erfolgte eine Aciclovirtherapie,
die dann rasch beendet wurde.
Wenige Tage nach der Aufnahme gab die Patientin komplette Beschwerdefreiheit an und
wünschte aus dringenden häuslichen Gründen eine Entlassung vor den anstehenden Osterfeiertagen,
sodass wir von einer Glukokortikoidtherapie absahen, die weiter unten aufgeführte
Diagnostik nicht komplettieren konnten und dem Hausarzt empfahlen, diese zu ergänzen.
Da hierdurch von augenärztlicher Seite keine Uveitis ausgeschlossen werden konnte,
waren zu jenem Zeitpunkt lediglich die Kriterien für ein mögliches Neuro-Sweet-Syndrom
erfüllt (Tab. 2).
Diskussion
Aseptische Meningitiden können vielseitige Ursachen haben und stellen eine diagnostische
Herausforderung dar. Neben viralen Infektionen kommen zahlreiche nichtinfektiologische
Differenzialdiagnosen (Tab. 1 und 3) in Frage.
Krankheitsbild
Epidemiologie
Klinik
Liquorbefund
Sarkoidose
w > m
Alter 20–40
Höhere Prävalenz in der Sub-Sahara-Region sowie in der Karibik
Neurologische Symptome (Hirnnervenparesen, chronische Meningitiden) oft bereits in
der Frühphase der Erkrankung
Nichtneurologisch: vergrößerte Lymphknoten, Parotitis, Uveitis, Erythema nodosum,
Arthritis
Nachweis über Granulome in Speicheldrüsenbiopsien oder Biopsaten anderer betroffener
Regionen (z. B. Haut)
Lymphozytäre Pleozytose
Eiweißerhöhung
Normoglykämie
Sjögren-Syndrom
Vorwiegend weibliche (90 %) Personen
Auftreten typischerweise nach dem 40. Lebensjahr
Neurologisch: Kombination peripher- (Polyneuropathie, Hirnnervenlähmungen) und zentralnervöser
Läsionen
Nichtneurologisch: Sicca-Symptomatik, Anti-SSA (Ro), Anti-SSB (La), Diagnosestellung
zusätzlich über Speicheldrüsenbiopsat
Lymphozytäre Pleozytose, normal bis 50/µl [9], mit Plasmazellen
Systemischer Lupus erythematodes
Vorwiegend weibliche Personen
Auftreten vorwiegend vor dem 40. Lebensjahr
Positive Familienanamnese für Autoimmunerkrankungen
Neuropsychiatrisch: Depression, Psychosen, epileptische Anfälle
Nichtneurologisch: rheumatologische, Nieren- und Hautläsionen
Meningitis selten
Lymphozytäre Pleozytose, normal bis 50/µl [9]
Granulomatose mit Polyangiitis
m = w
Auftreten nach dem 50. Lebensjahr
Neurologisch: zerebrale Vaskulitis, Pseudotumor cerebri
Nichtneurologisch: Hautläsionen, Epistaxis, Pneumonien, Glomerulonephritis, c‑ANCA,
Anti-PR3
Meningitis sehr selten
Neben dem geschilderten Neuro-Sweet-Syndrom sollte bei aseptischer Meningitis mit
Hautläsionen insbesondere auch an einen Neuro-Behçet gedacht werden, der viele Ähnlichkeiten
aufweist.
Das Sweet-Syndrom wurde erstmals von Dr. Robert Douglas Sweet [10] im Jahr 1964 beschrieben.
Es handelt sich hierbei um eine Multisystemerkrankung unklarer Ätiologie, die durch
Fieber, Unwohlsein, eine Leukozytose und erythematöse Hautläsionen gekennzeichnet
ist, die v. a. Gesicht, Rumpf und obere Extremitäten betreffen und ohne Narbenbildung
abheilen. Die Erkrankung kann eine idiopathische Genese haben oder tumor- oder medikamentenassoziiert
auftreten [2]. Die idiopathische Form betrifft vorwiegend weibliche Personen zwischen
dem 30. und 60. Lebensjahr. Sie kann mit respiratorischen und gastrointestinalen Infektionen
assoziiert sein und tritt auch während der Schwangerschaft auf.
Die tumorassoziierte Form wird mit hämatoonkologischen Erkrankungen wie der akuten
myeloischen Leukämie sowie soliden Organtumoren in Verbindung gebracht. Zudem können
zahlreiche Medikamente, v. a. der Granulozyten-koloniestimulierende Faktor (GCSF),
ein Sweet-Syndrom auslösen. Der Erkrankung geht oft eine 1–3 Wochen zuvor aufgetretene
bakterielle Infektion voraus [8]. Neben der Affektion der Haut kann es auch zu anderen
Organmanifestationen (Augen, Lunge, Leber, Nieren, Gastrointestinaltrakt, Knochenmark,
Muskeln und ZNS) kommen [7].
Das Neuro-Sweet-Syndrom wurde erstmals im Jahr 1999 durch Hisanaga et al. [6] beschrieben.
Es handelt sich um ein seltenes Krankheitsbild, das v. a. asiatische Patienten betrifft.
Die häufigste in der Literatur beschriebene neurologische Manifestation ist die (Meningo‑)Enzephalitis.
Unter Symptomen werden Kopfschmerzen, Bewusstseinsstörungen, epileptische Anfälle,
Paresen, Gedächtnisstörungen und psychiatrische Störungen aufgeführt.
Meist gehen die typischen Hautveränderungen der neurologischen Symptomatik voraus.
Ein gleichzeitiges Auftreten dermatologischer und neurologischer Symptome oder ein
Vorausgehen der neurologischen Symptome sind aber ebenfalls vorbeschrieben. Laborchemisch
finden sich häufig eine CRP- und BSG-Erhöhung sowie eine Leukozytose. Im Liquor zeigen
sich typischerweise eine leichte Eiweißerhöhung sowie eine leichte bis moderate lymphozytäre
Pleozytose [3].
Die Diagnosekriterien sind in Tab. 2 dargestellt.
1.
Neurologische Kriterien
Gutes systemisches Ansprechen auf Glukokortikoide. Gelegentlich Spontanremission,
jedoch oft rezidivierende (Meningo‑)Enzephalitiden mit Fieber über 38 °C
2.
Dermatologische Kriterien
Schmerzhafte weiche flaue erythematöse Plaques oder Knötchen vorzugsweise an Gesicht,
Hals, den oberen Extremitäten und dem oberen Teil des Rumpfes auftretend
Vorwiegend neutrophile Infiltration der Dermis mit Aussparung der Epidermis und Fehlen
einer leukozytoklastischen Vaskulitis
3.
Weitere Kriterien
Fehlen einer kutanen Vaskulitis und Thrombose (beides dagegen häufig bei M. Behçet)
Fehlen einer Uveitis, wie sie typischerweise bei M. Behçet vorkommt
4.
HLA-Assoziation
HLA-Cw1- oder B54-positiv
HLA-B1-negativ
Wahrscheinliches Neuro-Sweet-Syndrom: Alle Punkte in 1, 2 und 3 sind erfüllt.
Mögliches Neuro-Sweet-Syndrom: Neurologische Manifestation, 2 oder 4 und mindestens
1 Punkt aus 3 sind erfüllt
HLA humanes Leukozytenantigen
Der differenzialdiagnostisch zu erwägende M. Behçet wurde im Jahr 1937 erstmalig von
Hulusi Behçet [1] beschrieben. Die Erkrankung geht mit rezidivierenden oralen Aphten,
rezidivierenden genitalen aphthösen Ulzerationen und rezidivierender Uveitis einher.
Bei 10–30 % der Patienten kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer neurologischen
Manifestation, beispielsweise in Form eines Pseudotumor cerebri, Hirnstammläsionen,
Hirnnervenparesen, Rückenmarksläsionen, Psychosen, Subarachnoidalblutungen und peripheren
Neuropathien [12].
Bei beiden Erkrankungen handelt es sich um Multisystemerkrankungen, die mit oralen
und genitalen Ulzerationen, Erythema-nodosum-ähnlichen Hautläsionen und okularen Symptomen
einhergehen und das zentrale Nervensystem betreffen können.
Wesentliche Unterschiede betreffen das Manifestationsalter, die Geschlechterverteilung,
die Verteilung der MRT-Läsionen, die okulare Beteiligung sowie die HLA-Assoziation
und sind in Tab. 3 aufgeführt. Als ein weiteres Unterscheidungsmerkmal gilt das Fehlen
einer Vaskulitis in der Hautbiopsie beim Sweet-Syndrom [5].
Neuro-Sweet-Syndrom
Neuro-Behçet
M:F
1,3:1
3,4:1
Alter bei Erkrankungsbeginn
30–60 Jahre
20–30 Jahre
Verteilung der ZNS-Läsionen
Keine Prädilektionsstellen
Basalganglien und Hirnstamm
Erythem
Ohne Vaskulitis
Mit Vaskulitis
Okulare Mitbeteiligung
Episkleritis oder Konjunktivitis
Uveitis
HLA-Assoziation
CQ1 und B54
B51
HLA humanes Leukozytenantigen
Wenn auch häufig rezidivierend, ist der Verlauf des Neuro-Sweet-Syndroms in der Regel
benigne, die Erkrankung spricht gut auf Glukokortikoide an und hinterlässt im Gegensatz
zum M. Behçet äußerst selten neurologische Langzeitschäden [3].
Ein gleichzeitiges Auftreten beider Erkrankungen ist beschrieben, ebenso Überlappungen
des Neuro-Sweet-Syndroms mit anderen Autoimmunerkrankungen [2].
Therapie
Das Neuro-Sweet-Syndrom spricht in der Regel sehr gut auf Glukokortikoide an. Üblicherweise
wird mit einer Dosis von 1 m/kgKG täglich begonnen und innerhalb von 4–6 Wochen auf
10 mg täglich reduziert [3].
Auch Kortisonstoßtherapien über 3–5 Tage mit Methylprednisolon mit anschließender
Oralisierung (1 m/kgKG) sind in der Literatur beschrieben [2]. Ein Standard zur Länge
der Glukokortikoidtherapie existiert nicht. Bekannt ist aber, dass es nach Absetzen
in bis zu 28 % der Fälle zu Rezidiven kommt [4]. Um dies zu vermeiden, finden sich
verschiedene Therapieansätze. Eine langfristige nicht genau definierte niedrigdosierte
Glukokortikoidtherapie wurde in einzelnen Fallberichten erfolgreich mit Indomethacin
(100–150 mg täglich für 3 Wochen), Kolchizin (3-mal 0,5 mg täglich) oder Kalium (3-mal
300 mg täglich) kombiniert [2].
Darüber sind Fälle beschrieben, in denen die zusätzliche Gabe von Dapson, eines Antirheumatikums
mit antibiotischer Wirkung, das zur Gruppe der Sulfone gehört, in einer Dosis von
75–200 mg täglich die Rezidivrate während des Ausschleichens der Glukokortikoide verringern
konnte [4]. Auch hier existieren keine genauen Empfehlungen zur Therapiedauer. In
1 berichteten Fall betrug diese 6 Monate. Anschließend wurde ausgeschlichen, wobei
hierzu kein konkretes Schema berichtet wurde.
Fazit für die Praxis
Bei aseptischen Meningo-(Enzephalitiden) auf kutane Symptome achten und diese aktiv
erfragen bzw. suchen.
Das Neuro-Sweet-Syndrom spricht in der Regel gut auf Glukokortikoide an.
Rezidive sind häufig, schwere Verläufe selten.
Die kutane Manifestation kann der neurologischen vorausgehen oder erst verzögert auftreten.
Es sind auch Fälle von gutartigen unkomplizierten steroidresponsiven Enzephalitiden
mit HLA-B54-Assoziation beschrieben, bei denen trotz fehlender Hautmanifestation von
einem Neuro-Sweet-Syndrom ausgegangen wurde.
Im Gegensatz zum M. Behçet liegt eine neutrophile Infiltration der Haut ohne Vaskulitis
vor.
Das Vorliegen einer Vaskulitis oder Uveitis sollte den Verdacht Richtung M. Behçet
lenken.
Im Rahmen der Abklärung sollten neben einem großen Blutbild, den Entzündungsparametern
sowie der Liquoranalyse inklusive Erregerdiagnostik auch ein autoimmunologisches Screening,
eine Hautbiopsie und eine augenärztliche Vorstellung erfolgen.
Da das Sweet-Syndrom auch tumorassoziiert sein kann, ist ein Tumorscreening zu empfehlen.