17.1
Emesis und Hyperemesis gravidarum
Ioannis Mylonas
Definition
▪
Emesis gravidarum: Schwangerschaftsbedingte Übelkeit mit Erbrechen, jedoch ohne Krankheitsgefühl
und Beeinträchtigung des Wohlbefindens
▪
Hyperemesis gravidarum (Synonyme: übermäßiges Erbrechen während der Schwangerschaft,
Frühgestose) ist persistierendes Erbrechen mit einer Frequenz > 5×/d, einer Gewichtsabnahme
> 5 % und erschwerter Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Hyperemesis gravidarum wird
auch als ein perniziöses Erbrechen während Emesis gravidarumder Schwangerschaft mit
Dehydratation, Azidose durch mangelnde Nahrungsaufnahme, Alkalose durch HCl-Verlust
und Hypokaliämie definiert.
Schweregrade
▪
Grad I: starkes Krankheitsgefühl ohne Stoffwechselentgleisung
▪
Grad II: Krankheitsgefühl mit Stoffwechselentgleisung, Dehydratation und Elektrolytentgleisung.
Epidemiologie
Häufigkeit:
Hyperemesis gravidarumÜbelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft ist ein häufiges
Phänomen, das ca. 50–90 % aller schwangeren Frauen betrifft:
▪
Ca. 2 % mit isolierter morgendlicher Übelkeit
▪
> 80 % mit einer über den ganzen Tag verteilten Symptomatik
I. d. R. sistieren Übelkeit und Erbrechen in den ersten 20 SSW, wobei in bis zu 20
% die Symptome über die gesamte Gravidität anhalten.
Inzidenz: Die Inzidenz der Hyperemesis gravidarum liegt weltweit bei 1–2 %, wobei
regionale, soziale und zeitliche Unterschiede bestehen. Obwohl das Auftreten einer
Hyperemesis mittlerweile eine Seltenheit darstellt, ist sowohl der klinische als auch
der sozioökonomische Aspekt von extremer Bedeutung.
Ätiologie und Pathophysiologie Die Ätiologie einer Emesis und Hyperemesis gravidarum
ist noch weitgehend ungeklärt, wobei wahrscheinlich sowohl physiologische als auch
psychologische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Mögliche Ursachen einer
Hyperemesis gravidarum sind:
▪
Psychosomatische Ursachen: Als Ursache einer Hyperemesis gravidarum wird oft eine
psychosomatische Störung im 1. Trimenon als Übergang zum Elternstatus angesehen. Außerdem
tritt sie gehäuft bei Schwangeren mit Stress und emotionalen Anspannungen auf. Obwohl
eine Hyperemesis gravidarum vermehrt bei „unreifen, abhängigen, hysterischen, depressiven
und verunsicherten“ Frauen auftritt, sind diese Aspekte noch nicht ausreichend untersucht
worden. Allerdings wird ein solcher Zusammenhang auch bestritten.
▪
Humanes Choriongonadotropin (hCG): Eine Zusammenhang zwischen Übelkeit, Erbrechen
und erhöhter hCG-Produktion wird angenommen, da eine Hyperemesis oft mit Mehrlingsschwangerschaften
(20) und Trophoblasterkr. (8) (beides mit erhöhter hCG-Konzentration) assoziiert ist.
Allerdings konnte dies nicht eindeutig bestätigt werden.
▪
Hormone: Estrogen, Progesteron, adrenale und hypophysäre Hormone wurden ebenfalls
als Ursachen einer Hyperemesis vorgeschlagen, wobei zzt. keine eindeutigen Hinweise
auf eine Beteiligung dieser Hormone in der Pathogenese der Hyperemesis gravidarum
vorliegen. Interessant ist, dass die Hyperemesis gravidarum mit einem weiblichen Fetus
assoziiert ist, das einen Hinweis für einen erhöhten Estrogenspiegel in utero darstellen
könnte.
▪
Helicobacter
Humanes Choriongonadotropin:Erbrechen
pylori: Eine chron. Helicobacter-pylori-Infektion könnte ebenfalls für eine Hyperemesis
gravidarum verantwortlich sein. Bei 61,8 % der Fälle mit Hyperemesis konnte das Helicobacter-Genom
nachgewiesen werden, im Vergleich zur Schwangerengruppe ohne Übelkeit und Erbrechen.
▪
Veränderungen der gastrointestinalen Motilität: Die gastrointestinale Motilität ist
während der Schwangerschaft aufgrund von Progesteron eingeschränkt. Auch gastrische
Helicobacter pyloriDysrhythmien wurden beobachtet.
▪
Hyperthyreose: Assoziation mit Hyperemesis gravidarum. Während fT3 und fT4 im Normbereich
waren, zeigte sich eine Verminderung der TSH-Expression. Es wird angenommen, dass
eine selbstlimitierende transiente Hyperthyreose in der Hyperemesis gravidarum (THHG)
existiert. THHG kann bis zu 18 SSW bestehen und ist nicht therapiebedürftig. Voraussetzung
für die Diagnose eines THHG sind:
–
Auffällige serologische Untersuchungen während einer Hyperthyreose:Hyperemesis gravidarumHyperemesis
–
Keine Überfunktion der Schilddrüse vor der Schwangerschaft
–
Keine klinischen Zeichen einer Hyperthyreose
–
Negativer Antikörpertiter.
Risikofaktoren
▪
Mögliche Risikofaktoren: u. a. ethnische Zugehörigkeit, Adipositas, Mehrlingsgravitidät
(Kap. 20), Trophoblasterkr. (Kap. 8), Hyperemesis gravidarum in vorangegangener Schwangerschaft,
Nulliparität
▪
Metabolische Ursachen: z. B. Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus, Leberdysfunktion,
Störungen des Lipidmetabolismus)
▪
Ernährungsstörungen: z. B. Bulimie, Anorexie
▪
Aktuell wird ebenfalls eine genetische Prädisposition diskutiert.
Klinik Die klinischen Symptome sind meist unspezifisch und uncharakteristisch und
umfassen übermäßiges, häufiges und ganztägiges Erbrechen, klinische Zeichen einer
Exsikkose mit Volumenmangel, Gewichtsabnahme, metabolische Ketoazidose und Ketonämie
(obstartiger Mundgeruch), Elektrolytstörungen, Leberaffektionen mit Ikterus, Anstieg
der Körpertemperatur, Bewusstseinseinschränkungen bis hin zum Delir.
Diagnostik Bei sehr ausgeprägten Symptomen sollte eine weiterführende Diagnostik zum
Ausschluss anderer Ursachen durchgeführt werden. Neben den klinischen Symptomen sind
laborchemische Untersuchungen (Tab. 17.1
) richtungweisend:
▪
Labordiagnostik: Hämatokrit, Elekrolyte, Transaminasen, Bilirubin, Schilddrüsenwerte
▪
Urinstatus: Ketonkörper, spezifisches Gewicht, Azidurie
▪
Sonografie: Bestätigung einer intakten intrauterinen Gravidität und Ausschluss einer
Mehrlingsschwangerschaft (Kap. 20), Trophoblasterkr. (Kap. 8) und Neoplasien.
Tab. 17.1
Klinik und Laboruntersuchungen bei Hyperemesis gravidarum
Klinik/Symptome
Diagnostik/Befunde
Bestätigung einer intakten intrauterinen Gravidität
Sonografie
Ausschluss von:MehrlingsschwangerschaftTrophoblasterkr.Malignomen
Exsikkose
Klinisch: trockene Zunge, stehende Hautfalten, Tachykardie, erniedrigter Blutdruck
Foetor ex ore
Ketone im Serum
Gewichtsabnahme
Abnahme von > 5 % des KG
Zentralnervöse Symptome
Klinik, ggf. MRT
Ausschluss weiterer Erkr.
z. B. Gastroenteritis, primärer Hyperthyreoidismus, Pyelonephritis
Urinstatus
Erhöhtes spezifisches Gewicht und Ketonurie
Hämokonzentration
•
Hämatokrit und Gesamteiweiß ↑
•
Gesamteiweiß ↓ bei katabolen Metabolismus
Elektrolytstörungen
•
Hyponatriämie
•
Hypokaliämie
Metabolische hypochlorämische Alkalose
•
Verlust von HCl durch das Erbrechen
•
Um den Chlorverlust nachzuweisen, 24-h-Urin auf Chlor untersuchen
Transaminasen
GOT; GPT bis zu 200 IU/l erhöht
Hyperthyreote Konstellation
•
Thyroxin ↑
•
TSH ↓
Differenzialdiagnosen Bei länger anhaltendem Erbrechen differenzialdiagnostische Ursachen
in Betracht ziehen (Tab. 17.2
).
Tab. 17.2
Differenzialdiagnose bei anhaltender Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft
Differenzialdiagnose
Wegweisende Diagnostik
Schwangerschaftsassoziiert
Emesis gravidarum (< 5×/d)
Meist morgens, Verlaufsbeobachtung
Hyperemesis gravidarum (> 5×/d)
Ketonurie, Ketonämie
Präeklampsie (17.2)
Prodromalstadium der Eklampsie im 2. und 3. Trimenon
Akute Leberverfettung
Klinik, Serologie, Sonografie
Gastrointestinal
Gastroenteritis
Klinik, Verlaufsbeobachtung, Stuhlkultur
Hepatitis (17.10)
Transaminasenerhöhung
Appendizitis (17.15.1)
Frühgravidität: typische DruckschmerzpunkteSpätgravidität: keine typischen Leitsymptome!
Pankreatitis
Klinik, Serologie, Amylase, Lipase
Ileus und Subileus (17.15.3)
Klinik, Abdomenleeraufnahme (auch in der Schwangerschaft)
Leber- und Gallenwegserkr. (17.10)
Serologie, Oberbauchsonografie
Ulcus ventriculi oder duodeni
Gastroskopie
Magenkarzinom
Zwerchfellhernie
Urogenital
Pyelonephritis (17.9.1)
Klinik, Urinstatus, Kreatinin
Nephrolithiasis (17.9.6)
Sonografie
Degenerative uterine Myome
Sonografie
Urämie (17.9.3)
Urinstatus, Kreatinin
Metabolisch
Diabetische Ketoazidose (17.4.4)
Klinik, Urinstatus
Porphyrie
Serologie
Morbus Addison
Klinik, Serologie
Hyperthyreose (17.8.5)
fT3, fT4, TSH Klinik
Neurologisch
Wernicke-Enzephalopathie
Anamnese, Verlauf, ggf. MRT
Vestibuläre Störungen
Nystagmus, Hörstörung
Korsakow-Psychose
Anamnese, Verlauf
Anamnese, Verlauf
Anamnese
Weitere Ursachen
Lebensmittelvergiftung
Anamnese
Eisenmedikation
Arzneimittelvergiftung
Therapeutische Strategie Übelkeit und Erbrechen in der Frühgravidität sind meist selbstlimitierend
und bedürfen häufig nur einer symptomatischen Ther. Die Ther. ist abhängig von der
jeweiligen Symptomatik und reicht von einer Nahrungsumstellung bis zur stationären
Aufnahme mit totaler parenteraler Ernährung. Sinnvoll ist primär eine ambulante Ernährungsumstellung
mit ggf. Zugabe geringer Antiemetika. Bei Hyperemesis gravidarum Grad 2 stationäre
Aufnahme und Behandlung (Abb. 17.1
).
Abb. 17.1
Vorgehen bei Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft
[L157]
Ambulante Therapie
Initialer Behandlungsschritt
▪
Ernährungsberatung mit Wunschkost:
–
Häufige kleine Mahlzeiten und leichte Kost
–
Kohlenhydratreiche und fettarme Nahrungsmittel
▪
Vermeiden unangenehmer Gerüche, die subjektiv Übelkeit und Erbrechen verursachen können
wie z. B. Fleischgeruch (Metzgerei)
▪
Emotionale Unterstützung und ggf. psychosomatische Betreuung
▪
Vitamin B6 (Pyridoxin): Zeigte sich in einigen Studien effektiv im Vergleich zu Placebo
für die Behandlung von Übelkeit und Erbrechen schwangerer Frauen. Allerdings zeigen
neuere Untersuchungen keinen wesentlichen Effekt. Aufgrund der geringen Datenlage
ist noch keine konkrete Empfehlung auszusprechen, aufgrund dieser nicht eindeutig
nachgewiesenen Wirksamkeit von einer Anwendung abraten.
▪
Antihistaminika und Anticholinergika: Antihistaminika und Anticholinergika wie Meclozin,
Dimenhydrinat und Diphenhydramin werden primär zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen
in der Schwangerschaft eingesetzt (Tab. 17.3
). Alle Substanzen zeigten sich effektiver als Placebo in der Behandlung der Emesis
und Hyperemesis.
Tab. 17.3
Antiemetika und ihre Dosierung bei Hyperemesis gravidarumPyridoxin:ErbrechenPyridoxin:ErbrechenPromethazin,
DosierungPromethazin, DosierungProchlorperazin, DosierungProchlorperazin, DosierungOndansetron:DosierungOndansetron:DosierungMetoclopramid,
DosierungMetoclopramid, DosierungMeclozin:DosierungMeclozin:DosierungIngwer, DosierungIngwer,
DosierungHyperemesis gravidarum:AntiemetikaHyperemesis gravidarum:AntiemetikaDiphenhydramin:DosierungDiphenhydramin:DosierungDimenhydrinat,
DosierungDimenhydrinat, Dosierung
FDA-Kategorie
Wirkstoff
Dosierung
A
Pyridoxin (Vitamin B6)
3 x 20 mg/d p. o.
Doxylamin
Morgens: 12,5 mg p. o.+ 10 mg Pyridoxin p. o.Abends: 25 mg(In Deutschland nicht zur
Behandlung von Übelkeit und Erbrechen zugelassen)
B
Dimenhydrinat
2 x 62 mg/d i. v.3–4 x 50 mg/d p. o.Supp.: 1–3 ×/d
Diphenhydramin
25–50 mg i. v./p. o. alle 6–8 h
Meclozin
2–4 x 25–100 mg p. o.Supp.: 1×/d
Metoclopramid
4 x 10 mg/d p. o.
Ondansetron
4–8 mg p.o. alle 6–8 h8 mg i.v. über 15 Min. alle 12 h
C
Promethazin
Bis zu 6 x 12,5–25 mg/d p. o./i. v.
Prochlorperazin
40–60 mg/d p. o.Reduktion um die Hälfte alle 3 Tage
Ingwer
Oral (Kekse, Konfekt, Bonbons, Pulver, Tabletten, Kapseln, frischer Ingwer)1–4 g/D
auf mehrere Gaben verteilt
[nach Jueckstock, Kaestner und Mylonas 2010; Mylonas, Gingelmaier und Kainer 2007]
▪
Weitere niedrig dosierte Antiemetika (bei Bedarf): Ondansetron und Promethazin bei
schwerer Hyperemesis gravidarum (Tab. 17.3). Ondansetron zeigt im Vergleich zu Doxylamin,
Pyridoxin und Metoclopramid eine bessere Wirkung und weniger NW bei der Behandlung.
Obwohl Ondansetron sich als sicher bei der Anwendung während der Schwangerschaft gezeigt
hat, bleibt es allerdings aufgrund der noch geringen Datenlage nur ein Antiemetikum
der zweiten Wahl. Kürzlich wird auch die Gabe von Gabapentin bei einer Hyperemesis
gravidarum diskutiert, wobei die derzeitige Datenlage noch so gering ist, dass keine
OndansetronEmpfehlung ausgesprochen werden kann.
▪
Gastrointestinale Medikamente: Zur Verbesserung der gastrointestinalen Motilität,
z. B. Metoclopramid
▪
Zusätzliche Therapieoptionen
–
Akupressur: Akupressur, v. a. am P6-(Neiguan-)Punkt am Handgelenk, wurde ebenfalls
zur Ther. vorgeschlagen. Es fehlen noch ausreichende wissenschaftliche Belege.
–
Ingwerextrakte: Eine populäre ther. Alternative ist Ingwer [Vutyavanich et al. 2001],
das in verschiedenen Darreichungsformen (z. B. Tee) zur Verfügung steht. Ingwerpulver
(1 g/d) war effektiver in der Ther. einer Hyperemesis gravidarum als Placebo. Obwohl
keine fetalen Malformationen bekannt sind, sind evtl. NW und die optimale Dosis noch
nicht bekannt.
Stationäre Therapie Eine stationäre Aufnahme sollte bei schwerer Hyperemesis gravidarum
mit Elektrolytentgleisung erfolgen (Abb. 17.2
). Die primäre Behandlung besteht in einer kompletten Nahrungskarenz, Volumen- und
Akupressur, bei EmesisElektrolytsubstitution (mind. 3.000 ml/d), Korrektur des Elektolythaushalts,
Gabe von Vitaminen (Tab. 17.5) und Antiemetika (Tab. 17.3) sowie einer parenteralen
Gabe von Kohlenhydrat- und Aminosäurelösung (ca. 8.400–10.500 kJ/d) (Tab. 17.4
). Bei den Antiemetika sollten primär bereits bekannte und wirksame Präparate genutzt
werden. Bei auftretenden NW sollte die Verabreichung sofort beendet werden.
Abb. 17.2
Stationäres Vorgehen bei Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft
[nach Mylonas, Gingelmaier und Kainer 2007] [L157]
Tab. 17.4
Ther. Maßnahmen bei Hyperemesis gravidarum
Therapeutisches Ziel
Maßnahmen
Therapie
Elimination des emetischen Reizes
Komplette Nahrungskarenz
Volumensubstitution i. v.
Tab. 17.5
Elektrolytsubstitution i. v.
Substitution der erniedrigten Elektrolyte in Infusion (z. B. Kalium, Natrium, Kalzium)
Antiemetika i. v.
z. B. Dimenhydrat in Infusion
Ggf. Sedativa
z. B. Diazepam in Infusion
Ggf. Dopaminantagonisten
z. B. Metoclopramid in Infusion
Psychosomatische Betreuung
Psychosomatisches Konsil
Verlauf
Therapiedauer
•
Bis das Erbrechen sistiert oder < 3×/d
•
Langsamer Kostaufbau
•
Überprüfung des Befindens
•
Laborkontrolle
•
Gewichtskontrolle
Bei Persistenz oder Befundverschlechterung
Differenzialdiagnostischer Ausschluss relevanter Erkr. (Tab. 17.2)
Totale parenterale Ernährung
Bilanzierung
Einsatz von Glukokortikoiden mit langsamem DosisabbauHydrocortison (2 × 100 mg/d)
i. v.Prednisolon (40–60 mg) p. o.
Entlassung
Wenn an 3 aufeinanderfolgenden Tagen kein Erbrechen
Antiemetika nach Bedarf
z. B. Dimenhydrat p. o.
Nahrungsaufnahme
•
Auf ca. 6 Mahlzeiten verteilt
•
Kleine, kohlenhydratreiche Mahlzeiten
•
Geringere Fettzufuhr
Flüssigkeitszufuhr
Regelmäßig über den Tag verteilt
Psychosomatische Betreuung
Kurzfristige ambulante Kontrollen
Tab. 17.5
Empfohlenes Schema zur Vitaminsubstitution bei parenteraler Ernährung (mit freundlicher
Genehmigung von Dr. B. Ramsauer und Prof. Dr. K. Vetter, Vivantes Klinikum, Berlin)Vitamine:Substitution
bei parenteraler Ernährung
Grundinfusion
Zusätze (Tagesdosis)
Laufgeschwindigkeit
Parenterale Ernährung über peripheren Zugang
500 ml Glukose-Infusion 5 %
200 mg Vitamin B1 (Thiaminchlorid)200 mg Vitamin B6 (Pyridoxin)200 μg Vitamin B12
(Cyanocobalamin)2.000 mg Vitamin C (Ascorbinsäure)
50 ml/h
Parenterale Ernährung über ZVK
500 ml Glukose-Infusion 40 %
200 mg Vitamin B1 (Thiaminchlorid)200 mg Vitamin B6 (Pyridoxin)200 μg Vitamin B12
(Cyanocobalamin)2.000 mg Vitamin C (Ascorbinsäure)
50 ml/h
Eine Ther. sollte erfolgen, bis das Erbrechen sistiert oder seltener als dreimal am
Tag auftritt. Ein langsamer Kostwiederaufbau ist anzustreben.
Medikamentöse Ther.:
▪
Diazepam: Zeigte einen positiven Effekt in der Behandlung der Hyperemesis, wahrscheinlich
durch die sedative Komponente
▪
Kortikoide (z. B. Hydrocortison) können ebenfalls bei therapieresistenter Hyperemesis
genutzt werden (Tab. 17.4). Obwohl Glukokortikoide während der Schwangerschaft als
sicher eingestuft werden, zeigte eine Metaanalyse ein gering erhöhtes Risiko einer
fetalen Malformation, v. a. während des 1. Trimenons.
Bei persistierender Symptomatik differenzialdiagnostischen Ausschluss relevanter Erkr.
durchführen (Tab. 17.2). Eine kontinuierliche psychosomatische Betreuung und emotionale
Unterstützung ist anzustreben [Munch 2002].
Psychotherapeutische Strategie Die Hyperemesis gravidarum gilt als psychosomatische
Störung im 1. Trimenon beim Übergang zum Elternstatus [Uexküll et al. 2008].
▪
Die psychosomatische Exploration und Betreuung beinhaltet primär:
–
Ausführliche Anamnese
–
Reduktion von Erwartungsängsten
–
Abbau negativer Stressbewältigungstechniken
–
Aufbau positiver Stressbewältigungsstrategien
▪
Großzügige Krankschreibung
▪
Ein Klinikaufenthalt kann ggf. die Symptome mildern (z. B. neues Umfeld, Vermeidung
konfliktbezogener Personen).
Maternale und fetale Prognose Frauen mit einer unkomplizierten Emesis gravidarum haben
eine bessere fetale Prognose im Vergleich zum Normalkollektiv, einschließlich einer
geringeren Abortneigung, intrauterinen Wachstumsretardierung und Frühgeburtenrate.
Im Gegensatz dazu ist die Hyperemesis gravidarum mit einem vermehrten Auftreten von
Ösophagusruptur (starkes Erbrechen), Mallory-Weiß-Sy. (akute Druckerhöhung durch Erbrechen),
Pneumothorax, Neuropathie, Präeklampsie sowie fetaler Wachstumsretardierung assoziiert.
Wernike-Enzephalopathie bei Vitamin-B1-Mangel.
Evidenzbasierte Medizin bei Hyperemesis gravidarum Eine Analyse von 28 randomisierten
Studien aus dem Jahr 2003 zur Behandlung einer Hyperemesis gravidarum demonstrierte,
dass Antiemetika die Frequenz einer Nausea in der Frühschwangerschaft reduzieren und
wirkungsvoller als Placebo sind. Allerdings zeigen einige Medikamente NW (v. a. Müdigkeit)
[Jewell und Young 2003].
Pyridoxin (Vitamin B6), in einer Dosis von 10–25 mg (3×/d), demonstrierte eine höhere
Effizienz in der Verringerung der Symptomatik und sollte zu Beginn einer Ther. mit
einer niedrigen Dosis begonnen werden [Jewell und Young 2003].
Eine neuere Metaanalyse aus dem Jahr 2010 mit insgesamt 41 randomisierten Studien
und einer Gesamtzahl von 5.449 Frauen zeigte, dass die vorhandenen Daten nicht ausreichend
sind, um eine Empfehlung abzugeben [Matthews et al. 2015]. So konnte eine Akupressur
nicht den Verlauf einer Hyperemesis gravidarum beeinflussen. Ebenfalls zeigte sich
eine eingeschränkte Wirksamkeit für Ingwer, wobei von einer solchen Ther. sicher einige
Frauen profitieren würden [Matthews et al. 2015]. Ebenfalls konnte nur eine eingeschränkte
Wirksamkeit, allenfalls für eine milde Ausprägung der Erkr., von Vitamin B6 und anderen
Antiemetika in der Behandlung von einer Hyperemesis beobachtet werden [Matthews et
al. 2015]. Aufgrund der stark unterschiedlichen Protokolle der untersuchten Studien
kann eine ther. Empfehlung zurzeit nicht ausgesprochen werden, wobei weitere prospektive
Untersuchungen mit besseren Einschluss- und Therapiekriterien sowie Erfassung des
Schwangerschaftsausgangs nötig sind [Matthews et al. 2015].
17.2
Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Präeklampsie
Stefan Verlohren
Hypertensive Schwangerschaftserkr., insbesondere die Präeklampsie, können zu schwerwiegenden
Komplikationen bei Mutter und Kind führen. Die bisher einzige kausale Ther. ist die
Entbindung → meist prompte und folgenlose Ausheilung bei der Mutter. Allerdings kann
diese – in Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter – eine erhebliche Frühgeburtlichkeit
mit allen daraus resultierenden Folgen für das Neugeborene bedingen. In diesem Interessenkonflikt
zwischen Mutter und Kind muss die Entscheidung zwischen konservativem und aktivem
Vorgehen immer in Abhängigkeit von Schwangerschaftsalter, fetalem Zustand und maternaler
Symptomatik erfolgen [ACOG 2002; DGGG 2014; Roberts et al. 2003].
Definition und Klassifikation
▪
Präeklampsie: Neuauftreten von Hypertonie und Proteinurie nach 20 Schwangerschaftswochen
▪
Schwangerschaftshypertonie: RRsyst. ≥ 140 mmHg und/oder RRdiast. ≥ 90 mmHg bei mind.
2 Messungen mit einem Abstand von mind. 4 h. Gemessen nach der 20. SSW. Vor der Schwangerschaft
und vor der 20. SSW war der RR normal.
▪
Proteinurie: Goldstandard ist die Messung im 24-h-Sammelurin. Ein Wert von ≥ Präeklampsie300
mg/24 h gilt als path. Falls kein Sammelurin vorliegt, Hypertoniegilt ein Wert von
30 mg/dl („1+ im U-Stix“) als path. Falsch-positive Werte können durch verstärkten
Fluor oder eine Infektion vorgetäuscht werden. Da die Urin-Stix-Bestimmungen nur schlecht
mit dem Ausmaß der wirklichen Proteinurie korrelieren, sollte immer eine Bestimmung
im 24-Stunden-Sammelurin erfolgen [DGGG 2014].
17.2.1
Präeklampsie
Neue ACOG-Definition der Präeklampsie
In der 2013 erschienen Empfehlung des American College of Obstetricians and Gynecologists
kann eine Präeklampsie auch in Abwesenheit von Proteinurie definiert werden, wenn
folgende Befunde vorliegen:
▪
Thrombozytopenie (≤100.000/μl)
▪
Nierenfunktionseinschränkung (Kreatinin >1,1 mg/dl)
▪
Leberwerterhöhung (>2x Erhöhung über die jeweilige Normbereichsgrenze)
▪
Lungenödem
▪
Neurologische Symptome
Die deutschen Leitlinien folgen dieser Einteilung aktuell noch nicht.
Klinische Unterteilung der Präeklampsie
▪
Früh einsetzende Präeklampsie („early onset“): Auftreten einer Präeklampsie bis einschließlich
33+6 SSW
▪
Spät einsetzende Präeklampsie („late onset“): Auftreten der Präeklampsie nach 34+0
SSW
▪
Milde Präeklampsie: Präeklampsie ohne Zeichen einer schweren Präeklampsie
▪
Schwere Präeklampsie: Blutdruck ≥ 160/110 mmHg
–
Nierenfunktionseinschränkung (Kreatinin ≥ 79,6 μmol/l [entspricht 0,9 mg/dl] oder
Oligurie < 500 ml/24 h)
–
Leberbeteiligung (Transaminasenanstieg, persistierende Oberbauchschmerzen)
–
Lungenödem
–
Hämatologische Störungen (Thrombozytopenie <100.000/μl, Hämolyse)
–
Neurologische Symptome (starke Kopfschmerzen, Sehstörungen)
–
Fetale Wachstumsrestriktion (fetales Schätzgewicht < 5. Perzentil und/oder path. Doppler
der A. umbilicalis) [ACOG 2013; DGGG 2014].
Weitere hypertensive Schwangerschaftserkrankungen
▪
Schwangerschaftsinduzierte Hyptertonie: Nach der abgeschlossenen 20. SSW auftretende
Blutdruckwerte ≥ 140/90 mmHg ohne Proteinurie bei einer zuvor normotensiven Schwangeren.
Cave: In bis zu 46 % der Fälle entwickelt sich aus einer Gestationshypertonie eine
leichte und in 9,6 % eine schwere Präeklampsie [Cruz, Gao und Hibbard 2012].
▪
Chronische Hypertonie: präkonzeptionell oder in der ersten Schwangerschaftshälfte
(vor der 20. SSW) Hypertonie:schwangerschaftsinduziertediagnostizierte Hypertonie
≥ 140/90 mmHg
▪
Pfropfpräeklampsie: chron. Hypertonie und neu aufgetretene/sich verschlechternde Proteinurie
nach der 20. SSW oder Auftreten klinischer oder laborchemischer Merkmale der schweren
Präeklampsie (s.o.). Cave: In 17–25 % entwickelt sich eine Pfropfpräeklampsie aus
einer chron. Hypertonie (50 % davon vor der 34. SSW) [Seely und Ecker 2011].
Epidemiologie Schwangerschaftshypertonien und die Präeklampsie treten bei 2–5 % aller
Schwangerschaften Pfropfpräeklampsieauf. Hierbei gibt es starke geografische Variationen.
In Westeuropa liegt die Inzidenz bei ca. 2 %.
▪
In ca. 1,5 % der Fälle eine Late-onset-Präeklampsie nach der 34. SSW mit leichter
Ausprägung und nur geringer maternaler und/oder neonataler Morbidität
▪
In 0,5–1% der Fälle Early-onset-Präeklampsie vor der < 34. SSW mit zahlreichen maternalen
und/oder neonatalen Komplikationen [Akolekar et al. 2013; Steegers et al. 2010].
Risikofaktoren (Tab. 17.6
) Die Ätiologie der Präeklampsie steht unter einer multifaktoriellen Kontrolle, genetische
Ursachen als solche spielen eine untergeordnete Rolle. Das familiäre Wiederholungsrisiko
weist auf eine genetische Komponente hin. Wahrscheinlich tragen multiple Genmutationen
oder Genpolymorphismen, die primär mit einer Thrombophilie, Hypertonie oder Arteriosklerose
assoziiert sind, zum Phänotyp bei. Die unterschiedliche Prävalenz der Mutationen in
verschiedenen Bevölkerungsgruppen erklärt die unterschiedliche Inzidenz der Präeklampsien.
Molekularbiologische Screeningverfahren von differenziell exprimierten Genen bei der
Präeklampsie sind bisher ohne konklusive Ergebnisse.
Tab. 17.6
Risikofaktoren für die Entwicklung einer Präeklampsie:RisikofaktorenPräeklampsie
Faktor
Faktor
Erstgravide
2–3
Jugendliche oder „ältere“ Erstgebärende
2–3
Präeklampsie in vorangegangener Schwangerschaft
Hoch
Thrombophilien
?
Präexistente Hypertonie
4–10
Mutter, Schwester hatte Präeklampsie
4–6
Präexistente Nierenerkr.
Hoch
Große Trophoblastmenge
4
Erhöhter BMI
2–3
SW mit neuem Partner
?
Autoimmunerkr.
4–20
Pathophysiologie Die Präeklampsie ist eine schwangerschaftsspezifische Erkr. Die Plazenta
spielt eine zentrale Rolle für das Krankheitsgeschehen. Es kann zu einer Präeklampsie
ohne Fetus, jedoch nicht ohne Plazenta kommen (z. B. bei Blasenmole) [Alvarez et al.
2002]. Bei der Präeklampsie ist die Trophoblasteninvasion gestört: Im 1. und frühen
2. Trimenon invadiert der fetale Zytotrophoblast in die maternalen Dezidua und Myometrium.
Eine zweite Welle der so genannten endovaskulären Trophoblasteninvasion führt zu einer
Umwandlung der maternalen Spiralarterien (Remodelling). Der invadierte Zytotrophoblast
konvertiert von einem epithelialen zu einem endothelialen Phänotyp (Pseudovaskulogenese),
was bei Präeklampsie gestört ist. Es resultiert höchstwahrscheinlich eine Hypoxie-/Ischämie-Situation
in der Plazenta [Zhou et al. 1997].
Bei der Präeklampsie findet sich eine körperweite endotheliale Dysfunktion. In der
Niere kommt es zu glomerulärer Endotheliose.
Zwei-Phasen-Theorie der Präeklampsie (Abb. 17.3)
▪
1. Phase: Die Folge der misslungenen Trophoblastenivasion ist eine veränderte Ausschüttung
plazentarer Faktoren.
▪
2. Phase: Diese Faktoren sind dann mögliche Auslöser der generalisierten endothelialen
Dysfunktion und des „maternalen Syndroms“ mit Hypertonie, Proteinurie sowie den möglichen
renalen, kardiovaskulären und neurologischen Komplikationen.
Abb. 17.3
Die Zwei-Phasen-Theorie der Präeklampsie
[F874-001]
Zwei plazentare Faktoren sind mittlerweile gut charakterisiert: die Plazenta produziert
bei Präeklampsie erhöhte Spiegel des löslichen Rezeptors „soluble fms-like Tyrosinkinase
1“ (sFlt-1), dessen Serumkonzentration erhöht ist. Die zirkulierenden Serumkonzentrationen
von „Placental Growth Factor“ (PlGF), dem von der Plazenta produzierten Analog des
vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF), sind hingegen reduziert [Maynard
et al. 2003]. sFlt-1 ist eine alternative Splice-Variante des membranständigen VEGF-Rezeptors-1
(Flt-1). An diesen bindet VEGF und vermittelt proangiogene Signale, die zur Endothelzellhomöostase
benötigt werden. sFlt-1 bindet ebenfalls beide Liganden, ohne jedoch die Signale zu
transduzieren. sFlt-1 „fängt“ somit VEGF und PlGF und senkt damit deren wirksame Serumspiegel.
Die Folge ist eine endotheliale Dysfunktion [Steegers et al. 2010].
Die angiogene Dysbalance ist eng mit der Pathophysiologie der Erkr. verknüpft. Die
Erkenntnisse über die Bedeutung der vermehrten plazentaren Bildung und Ausschüttung
von sFlt-1 und der verringerten zirkulierenden Serumkonzentration für das Krankheitsgeschehen
haben in kürzester Zeit zu Serumtests für diese Marker geführt. Die Faktoren lassen
sich im zirkulierenden Blut der Mutter bestimmen und können bei Prädiktion, Diagnose
und Prognose der Erkr. helfen.
Prädiktion und Prävention
Ersttrimesterscreening auf Präeklampsie
▪
Analog zum Aneuploidie-Screening hat die Fetal Medicine Foundation London einen Screening-Algorithmus
für Präeklampsie zum Zeitpunkt des Ersttrimesterscreenings (11+0 – 13+6 SSW) etabliert.
Durch eine Kombination aus mütterlicher Anamnese, der Messung des arteriellen Mitteldrucks,
der Messung des beidseitigen uterinen Dopplers sowie der Bestimmung der Serummarker
PAPP-A und PlGF ist es möglich, eine Detektionsrate einer frühen Präeklampsie von
bis zu 96 % bei einer Falsch-Positiv-Rate von 10% zu erzielen [Akolekar et al. 2013].
▪
Bujold et al. [2010] konnten in Metaanalysen zeigen, dass ein frühzeitiger Beginn
einer Aspirin-Einnahme (<16 SSW) zu einer signifikanten Risikoreduktion des Auftretens
von Präeklampsie führt. Somit kann bei Anwendung des Ersttrimesterscreenings durch
einen frühzeitigen Therapiebeginn mit ASS effektiv Präeklampsie vorgebeugt werden.
▪
Park et al. [2015] wandten den Algorithmus an und zeigten in einer retrospektiven
Kohorte eine signifikante Reduktion des Präeklampsierisikos nach der Gabe von ASS.
▪
Aktuell läuft eine große prospektiv-randomisierte Studie, die die Wirkung von ASS
gegen Placebo bei nach dem FMF-Algorithmus positiv getesteten Frauen untersucht [ASPRE
Trial].
Studienlage zur Prävention der Präeklampsie
Randomisierte Studien zur Prävention der Präeklampsie:PräventionPräeklampsie wurden
mit folgenden Substanzen durchgeführt:
▪
Magnesium, Zink, Fischöl, Kalzium, Vit. C, Vit. E: jeweils keine signifikanten Effekt
auf die Präeklampsiefrequenz
▪
Low-dose-ASS: Aktuelle Metaanalysen konnten drastische Risikoreduktion von bis zu
90 % bei Pat. zeigen, die <16 SSW mit einer ASS-Supplementation begannen [Bujold et
al. 2010; Roberge et al., 2012, Roberge et al., 2013]. Dabei erwiesen sich Dosen von
150 mg/d sowie ein Einnahme zum Abend als besonders wirksam [Ayala, Ucieda und Hermida
2013; Rey und Rivard 2011].
▪
Niedermolekulares Heparin: Kleinere Kohortenstudien konnten zunächst zeigen, dass
LMWH die Wiederholungswahrscheinlichkeit der Präeklampsie unabhängig vom Vorliegen
von Thrombophilien senkt. Die TIPPS-Studie konnte zweifelsfrei belegen, dass LMWH
nicht zur Prophylaxe einer Präeklampsie geeignet ist [Rodger et al. 2014].
Prädiktion im 2. und 3. Trimenon
▪
Der Doppler der Aa. uterinae im 2. Trimenon kann auf ein hohes Risiko für Präeklampsie
hinweisen (Abb. 17.4
). Ein systematischer Review von 27 Studien mit insgesamt fast 13.000 Pat. zeigte,
dass ein path. A.-uterina-Blutfluss mit einer 6-fachen Erhöhung des Risikos in einem
Low-risk- und einer 2,8-fachen Erhöhung in einem High-risk-Kollektiv für eine Präeklampsie
assoziiert ist [Chien et al. 2000].
Abb. 17.4
Dopplerflusskurve mit Notch-Phänomen
[M416]
▪
Erhöhte sFlt-1- und erniedrigte VEGF- und PIGF-Spiegel im Serum schwangerer Frauen
gehen den klinischen Symptomen um Wo. voraus. Die automatisierte Messung des sFlt-1/PIGF-Quotienten
im klinischen Alltag kann eine Präeklampsie zuverlässig vorhersagen. Das spätere Auftreten
von Präeklampsie bei Pat. mit einem erhöhten Risiko für die Erkr. kann durch einen
Anstieg des Quotienten vor Ausbruch der klinischen Symptome vorhergesagt werden [Verlohren
et al. 2010].
▪
Für die Diagnose der Präeklampsie wurden Trennwerte ermittelt [Verlohren et al. 2014].
Hierbei wurden für Präeklampsie < 34 SSW sowie > 34 SSW jeweils zwei Trennwerte festgelegt
(s.u.). Der untere Cut-off hat einen Focus auf eine hohe Sensitivität und ermöglicht
bei Werten darunter eine hohe Sicherheit bezüglich des Nicht-Vorliegens der Präeklampsie.
Der obere Trennwert hat eine hohe Spezifität. Bei Überschreiten dieses Wertes liegt
mit hoher Sicherheit eine Präeklampsie vor oder droht. Im Zwischenbereich sollte sie
engmaschig erneut getestet werden [Stepan et al. 2015].
▪
Die PROGNOSIS-Studie, eine international Multicenterstudie mit 1.273 Schwangeren konnte
zeigen, dass der sFlt-1/PlGF-Quotient die Erkr. sicher vorhersagen kann. Bei Frauen,
die sich mit klinischem V.a. Präeklampsie vorstellen und einen sFlt-1/PlGF-Quotient
von < 38 haben, kann das Auftreten einer Präeklampsie innerhalb 1 Wo. mit einem negativen
Vorhersagewert von 99,3% ausgeschlossen werden. Ist der Trennwert von 38 überschritten,
beträgt der positive Vorhersagewert für das Auftreten der Erkr. innerhalb von 4 Wo.
36,7% und der für das Auftreten von Präeklampsie-assoziierten Komplikationen 65,5
% [Zeisler et al. 2016].
Die Anwendung des sFlt-1/PlGF-Quotienten als Screeningtest ist nicht sinnvoll. Die
Bestimmung sollte bei Pat. mit einem erhöhten Risiko für Präeklampsie erfolgen.
Prädiktiver Trennwert des sFlt-1/PlGF-Quotienten 24+0 – 36+6 SSW [aus PROGNOSIS 2016]
38 (NPV 99,3% Ausschluss PE 1 Wo., PPV 36,7% Einschluss PE 4 Wo.)
Diagnostische Trennwerte des sFlt-1/PlGF-Quotienten [nach Verlohren et al. 2014]
▪
Früh einsetzende Präeklampsie (20+0 – 33+6 SSW):
–
Unterer cut-off 33 (Sensitivität 95 %, Spezifität 94 %)
–
Oberer Trennwert 85 (Sensitivität 88 %, Spezifität 99,5 %)
▪
Spät einsetzende Präeklampsie (≥ 34+0 SSW):
–
Unterer cut-off 33 (Sensitivität 90 %, Spezifität 73 %)
–
oberer Trennwert 110 (Sensitivität 58 %, Spezifität 95 %).
Vorhersage von Präeklampsie-assoziierten Schwangerschaftskomplikationen:
▪
Der sFlt-1/PlGF kann eine Aussage über die verbleibende Schwangerschaftsdauer sowie
das Auftreten von mütterlichen und/oder kindlichen Komplikationen bei Präeklampsie
machen.
▪
Der in PROGNOSIS etablierte Trennwert von 38 kann das Auftreten von Präeklampsie und/oder
Präeklampsie-assoziierter Komplikationen mit einem positiven Vorhersagewert von 65,5
vorhersagen.
▪
Rana et al. [2013] konnten in einer prospektiven Studie zeigen, dass Frauen, die sich
mit klinischen Symptomen für Präeklampsie vorstellen und einen sFlt-1/PlGF-Quotienten
> 85 aufweisen eine signifikant verkürztere Schwangerschaftsdauer haben als Frauen,
die einen sFlt-1/PlGF-Quotienten < 85 haben. Der sFlt-1/PlGF-Quotient hatte im Vergleich
zu etablierten klinischen Methoden die beste Vorhersagegenauigkeit für das Auftreten
fetaler und maternaler Komplikationen [Rana et al. 2015].
Klinik
Treten Prodromalsymptome (zentrale Symptome, s.u.) in Verbindung mit einer Proteinurie
auf, ist das Risiko für die Entwicklung einer Eklampsie erhöht.
▪
Hypertonie und Proteinurie 17.2.1.
▪
Ödeme: In der normalen Schwangerschaft treten bei ca. 85 % aller Frauen Unterschenkelödeme
und bei 15 % generalisierte Ödeme auf (physiologische Erscheinung). Alleine handelt
es sich um ein uncharakteristisches Symptom.
!
Warnsymptom, wenn die Ödeme rasch auftreten (Gewichtszunahme ≥ 2 kg/Wo.) oder ein
ausgeprägtes Gesichtsödem besteht.
!
Bei fehlender Hypertonie kann sich auch aus einer raschen Gewichtszunahme und ausgeprägten
Ödemen in Verbindung mit einer Proteinurie eine schwere Präeklampsie/Eklampsie Ödemeentwickeln.
▪
Oberbauchschmerzen: Warnhinweis auf drohende Eklampsie
▪
Zentrale Symptome: Warnhinweise auf eine drohende Eklampsie
–
Starke, therapierefraktäre Kopfschmerzen. Treten bei 40 % der Präeklampsien und 80
% der Eklampsien auf. Begleitende Symptome sind Übelkeit und Erbrechen.
–
ÖdemeDoppeltsehen, Augenflimmern
–
Hyperreflexie mit gesteigerten und verbreiterten Reflexen.
Komplikationen
Abb. 17.5
.
Abb. 17.5
Manifestationen von schweren Komplikationen bei der Präeklampsie
[nach Report of the National High Blood Pressure Education Programm 2000] [L157]
Diagnostik
▪
Anamnese: Eine genaue Anamneseerhebung ist unablässig, um Frauen mit einem hohen Risiko
für die Entwicklung einer Präeklampsie zu identifizieren (Tab. 17.6).
▪
Blutdruckmessung:
–
RR-Messung nach 10-minütiger Ruhephase bei der sitzenden Pat. primär an beiden Armen.
Anschließend wird der Arm mit den höheren Werten zu Verlaufskontrollen verwendet.
–
Manschette nicht schmäler als 40 % des Oberarmumfangs wählen. Bei Verwendung zu schmaler
oder nicht richtig anliegender Manschetten werden zu hohe Werte gemessen.
–
Manschette in Herzhöhe anlegen, um Einflüsse des hydrostatischen Drucks zu vermeiden.
Bei herabhängendem Arm werden zu hohe Werte gemessen.
–
Druck langsam (2–3 mmHg/s) ablassen.
–
Nach den neuesten Empfehlungen der „International Society for the Study of Hypertension
in Pregnancy“ (ISSHP) wird die Korotkow-Phase I (erstmaliges Hörbarwerden der Töne)
zur Bestimmung des systolischen Blutdrucks und die Korotkow-Phase V (völliges Verschwinden
der Töne) zur Bestimmung des diastolischen Blutdruckwertes benutzt.
–
RR ≥ 140/90 mmHg: Wiederholung der Messung nach 10–30 Min.
Einflussfaktoren auf die manuelle RR-Messung
▪
„Weißkittelhochdruck“ (white coat hypertension): bei ca. 20–25 % falsch hohe Werte
mit leichter Hypertonie
▪
Tageszeitliche Schwankungen: morgens evtl. zu niedrige Werte.
▪
24-h-Blutdruckmessung mit vollautomatischen, oszillometrischen Geräten erlaubt eine
wesentlich bessere Überwachung der Schwangeren. Die genannten Fehlerquellen können
weitestgehend ausgeschaltet werden und der Blutdruckverlauf kann beurteilt werden.
Ind.: V. a. eine hypertensive Problematik oder Therapiekontrolle.
▪
Proteinurie: Falls kein 24-h-Sammelurin vorliegt, gilt ein Wert von 30 mg/dl („1+
im U-Stix“) als path. Falsch-positive Werte durch verstärkten Fluor oder eine Infektion.
Cave: Da die Urin-Stix-Bestimmungen nur schlecht mit dem Ausmaß der wirklichen Proteinurie
korrelieren, immer eine Bestimmung im 24-h-Sammelurin durchführen.
▪
Ödeme: Auftreten von Gesichtsödemen, Ödeme an den Extremitäten.
▪
Labordiagnostik
Tab. 17.7
.
Tab. 17.7
Laborparameter für die Überwachung der Präeklampsie
Laborwert
Pathologischer Befund
Nierenfunktion
Kreatinin-Clearance
< 60–80 ml/Min.
Kreatinin im Serum
> 1,2 mg/dl
Harnsäure im Serum
> 5 mg/dl
Gesamteiweiß
Erniedrigt/abfallend
Proteinurie
> 0,3 g/24 h
Leberfunktion und Gerinnung
SGPT
↑
SGOT
↑
LDH
↑
Bilirubin
> 1,2 mg/dl
Thrombozyten
< 100.000/μl oder Abfall
Hämoglobin
> 13 g/dl
Hämatokrit
≥ 38 %
Leberfunktion und Gerinnung
Antithrombin III
< 70 %
Fibrinogen
Erniedrigt/abfallend
Haptoglobin
Auf < 70 % abfallend
sFlt-1/PlGF-Quotient prädiktiv ≥24 SSW
> 38
sFlt-1/PlGF-Quotient diagnostisch 20+0 - 33+6 SSW
> 85
sFlt-1/PlGF-Quotient diagnostisch >34 SSW
> 110
[nach DGGG 2014]
Allgemeines Management
Die kausale Ther. ist die sofortige Entbindung nach Diagnosestellung mit rascher und
vollständiger Ausheilung der Erkr. Allerdings führt die Entbindung bei früher SSW
zur Frühgeburt des Kindes mit allen daraus resultierenden ungünstigen Folgen. Das
Abwarten einer weiteren Reifung des Fetus in utero setzt wiederum die Mutter der Gefahr
der Verschlechterung der Präeklampsie mit schwerwiegenden Komplikationen aus. Entsprechend
besteht das Management der Präeklampsie aus einem ständigen „Balancing of risks“,
deren wichtigste Entscheidungsdeterminanten der Schweregrad der Erkr. bei der Mutter
und das Schwangerschaftsalter sind.
Voraussetzungen für ambulante oder stationäre Betreuung in Anlehnung an die von der
AG Schwangerschaftshochdruck/Gestose der DGGG formulierten Leitlinien (Tab. 17.8
). Bei leichten Verlaufsformen stehen die körperliche Schonung, Ruhepausen und die
Ausschaltung von Stressfaktoren und Arbeitsunfähigkeit im Vordergrund.
Indikationen zur Klinikeinweisung
▪
Hypertonie ≥ 150 mmHg systolisch bzw. ≥ 100 mmHg diastolisch
▪
Manifeste Präeklampsie
▪
Proteinurie und starke Gewichtszunahme im 3. Trimenon
▪
Drohende Eklampsie (Prodromalsymptome: Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen; zentralnervöse
Symptome, wie Augenflimmern, persistierende Kopfschmerzen, Hyperreflexie)
▪
Klinischer Verdacht auf HELLP-Sy., vor allem persistierende Oberbauchschmerzen
▪
Hinweise für fetale Bedrohung
–
Suspektes/path. CTG oder suspekte/path. Dopplersonografie
–
Intrauterine Wachstumsrestriktion
▪
Leichte Hypertonie oder Proteinurie und weitere Risikofaktoren wie vorbestehende maternale
Erkr. (z. B. Diabetes mellitus), Mehrlingsgraviditern, frühes Gestationsalter (< 34.
SSW), An-/Oligohydramnion, path. sFlt-1/PlGF-Quotient.
Tab. 17.8
Überwachungsparameter für die ambulante Betreuung Schwangerer mit Hypertonie:ÜberwachungsparameterSchwangerschaftshypertonie
Parameter
Wert
Kontrollintervall
RR
< 160/100 mmHg
2–3×/d (durch Pat.)
Proteinurie
Keine
Alle 2 Tage
Zentrale Symptome
Keine
Pat. aufmerksam machen Kontrolle durch Arzt
CTG
Unauffällig
1–2×/Wo.
Dopplersonografie
Unauffällig
1–2×/Wo.
HELLP-Labor
Normbereich
1×/Wo., evtl. häufiger
sFlt-1/PlGF-Quotient
<38
1 Wo., evtl. seltener
Fetales Wachstum (sonografische Kontrolle)
Normal
Alle 10–14 d
Maternales Gewicht
–
1×/d
Die stationäre Einrichtung sollte über die Möglichkeit der Intensivmedizin und der
schnellen op. Intervention (Sectio caesarea) verfügen. Falls die Schwangerschaft <
35 SSW alt ist, ist die Überweisung in ein Perinatalzentrum notwendig, falls nicht
eine akute Gefährdung von Mutter und/oder Kind eine unmittelbare Ther. erfordern.
Aus einer Präeklampsie kann sich jederzeit ohne obligate Vorwarnzeichen eine Eklampsie
oder ein HELLP-Sy. mit den daraus resultierenden lebensbedrohlichen Komplikationen
für Mutter und Kind entwickeln.
▪
Untersuchungsintervalle individualisieren (engmaschige Überwachung von maternalen
oder fetalen Parametern)
▪
Bettruhe:
–
Oft empfohlen, aber bisher kein Nachweis eines Nutzens dieser Maßnahme in randomisierten
Untersuchungen
–
Erhöht die Gefahr von Thrombosen → keine vollständige Immobilisation.
▪
Erfassung von Prodromalsymptomen: Bei jeder hypertensiven Schwangeren regelmäßig erfragen:
Kopfschmerz, Übelkeit, Augenflimmern, Oberbauchschmerz, Kurzatmigkeit und verminderte
Urinausscheidung
▪
Aufklärung: Schwangere über die Art und die Bedeutung der Symptome aufklären.
Maternale Überwachung bei stationärer Betreuung
Renale Funktion
▪
Proteinurie: Quantifizierung im 24-h-Urin
▪
Flüssigkeitsbilanz: Kontrolle bei milder Präeklampsie über Gewichtskontrolle 1×/d.
Bei schwerer Präeklampsie erfolgt eine Flüssigkeitsbilanzierung (Urinausscheidung
sollte mind. > 50 ml/h betragen).
▪
Serum-Kreatinin, Harnsäure, Kreatinin-Clearance: Bei Serumkreatinin > 1 mg/dl oder
Kreatinin-Clearance < 115 ml/Min. steigt das Risiko eines Nierenversagens. Bei Magnesiumther.
besteht die Gefahr der Magnesiumintoxikation.
Labordiagnostik
Tab. 17.8.
▪
Dient v. a. der differenzialdiagnostischen Unterscheidung von Präeklampsie und chron.
Hypertonie sowie zur Beurteilung der Schwere der Erkr.
▪
Bei leichter Präeklampsie Bestimmung 2x/Wo.
▪
Bei schwerer Präeklampsie Bestimmung alle 24 h (in Einzelfällen häufiger).
▪
sFlt-1/PlGF-Quotient: ein Wert ≥ 85 (≥ 34+0 SSW) sowie ≥ 110 (≥ 34+0 SSW) lässt mit
hoher diagnostischer Sicherheit auf das Vorliegen einer Präeklampsie oder anderweitiger
Plazenta-assoziierter Störung schließen. Stark erhöhte Werte (≥ 655 in ≤ 33+6 SSW
bzw. (1 ≥ 201 in > 34 SSW) weisen auf die Notwendigkeit einer Entbindung innerhalb
der nächsten 48 h hin [Stepan et al. 2015; Verlohren et al. 2012].
▪
Gerinnung:
–
Neben der Thrombozytopenie liegen bei der Präeklampsie und v. a. beim HELLP-Sy. (17.2.2)
Störungen im Gerinnungssystem vor. Die Präeklampsie ist eine Erkr. mit einer chron.
intravasalen Gerinnungsstörung bei gleichzeitig verminderter Fibrinolyse.
–
Thrombozyten: In 4–8 % aller Schwangerschaften werden leichte bis milde Thrombozytopenien
gefunden, die jedoch ohne klinische Konsequenzen für Mutter und Kind sind. Unter den
verbleibenden Schwangeren mit Thrombozytopenie und v. a. im späteren Schwangerschaftsalter
kommen die hypertensiven Schwangerschaftserkr. (Präeklampsie/HELLP-Sy.) ursächlich
in Frage. Hier zur Abklärung der DD Leberwerte (Transaminasen und LDH), Blutdruck
und ggf. eine Proteinurie abklären. Ein Thrombozytenwert < 150.000/l und v. a. dynamisch
abfallende Thrombozytenwerte sind, v. a. wenn eine zusätzliche Wachstumsretardierung
besteht, als Warnsymptom anzusehen.
▪
Transaminasen: In 5–10 % kommt es zur Mitbeteiligung der Leber (17.2.2).
▪
Hämatokrit und Hämoglobin: Eine Verminderung des Plasmavolumens tritt oft in Verbindung
mit Schwangerschaftshochdruck und IUGR auf. Vor allem bei schweren Präeklampsien fällt
das Plasmavolumen stark ab. Es kommt zu einer Hämokonzentration (Hkt > 38 %, Hb >
13 g/dl).
Antihypertensive Therapie
Ziel der Hypertoniebehandlung bei Präeklampsie ist das Verhindern zerebrovaskulärer
und kardiovaskulärer Komplikationen bei der Mutter.
Eine medikamentöse Senkung des mittleren arteriellen Blutdrucks bei der Mutter kann
jedoch zu einer Wachstumsretardierung und zum path. Kardiogramm des Fetus führen.
Die Behandlung einer leichten bis mittelschweren Hypertonie in der Schwangerschaft
führt zwar zu einer Verminderung der Progression in eine schwere Hypertonie, dieser
Vorteil wiegt aber die nachteiligen Folgen für den Fetus nicht auf. Dementsprechend
erfolgt eine medikamentöse Behandlung der Schwangerschaftshypertonie nur, wenn der
Blutdruck der Mutter anhaltend über 150 mmHg systolisch und/oder ≥ 100–110 mmHg diastolisch
beträgt.
Indikationen der antihypertensiven Behandlung:
▪
Langsamer und kontinuierlicher Anstieg des Blutdrucks in der Schwangerschaft bei vorbestehender
Hypertonie. Mittel der 1. Wahl zur voraussichtlichen Langzeitbehandlung sind orale
Antihypertensiva (Tab. 17.9
).
Tab. 17.9
Antihypertensiva der 1. Wahl zur voraussichtlichen Langzeitbehandlung bei Hypertonie
in der NifedipinMetoprololMethyldopaAntihypertensiva:PräeklampsieSchwangerschaft
Substanzklasse
Pharmakon
Anfangsdosis
Maximaldosis
Zentraler α2-Agonist
Methyldopa
3 × 250 mg/d p. o.
3 g/d p. o.
Kalziumantagonist
Retard. Nifedipin
2 × 30 mg/d p. o.
150 mg/d p. o.
β-Antagonist
Metoprolol
1 × 50 mg/d p. o.
100 mg/d p. o.
▪
Schwere und akut aufgetretene Hypertonie, bei der ein schneller Wirkungseintritt gewünscht
wird (Tab. 17.10
).
Tab. 17.10
Antihypertensiva bei schwerer und akut aufgetretener UrapidilNifedipinDihydralazinHypertonie
Substanzklasse
Pharmakon
Dosis
Periphere Vasodilatatoren
Dihydralazin
•
5 mg i. v.
•
Anschließend 3,0–4,5 mg/h als Dauerinfusion i. v. NaCl 0,9 %
Kalziumantagonist
Nifedipin
•
5–10 mg p. o./s. l.
•
Evtl. nach 30 Min. wiederholen
•
Anschließend 30 mg retard. Nifedipin alle 8 h
α-Rezeptorenblocker
Urapidil
•
6 bis max. 24 mg/h i. v.
•
Bei Bedarf 5–10 mg i. v. (Bolus in 2 Min.)
!
Die antihypertensive Behandlung sollte erst begonnen werden, wenn vorher eine Hypovolämie
ausgeglichen wurde. Gerade zu Beginn einer antihypertensiven Ther. muss der Fetus
kardiotokografisch überwacht werden, da Herztonabfälle auftreten können. Es sollte
beachtet werden, dass Nifedipin – trotz breiter und guter Erfahrungen – nicht zur
Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit zugelassen ist.
Antikonvulsive Therapie Gabe von Magnesiumsulfat. Die prophylaktische Wirkung ist
erwiesen [Duley 2002]. Bei schwerer Präeklampsie prophylaktische Gabe: initialer Bolus
von 3–4 g über 20 Min., anschließend 1–2 g/h als kontinuierliche Infusion bis 24 (oder
48) h nach der Entbindung. Ob die Gabe über 24 oder 48 h hinaus erfolgt, hängt von
der klinischen Situation ab.
!
In der Antiepileptika:PräeklampsieSchwangerschaft die Notwendigkeit der Gabe von i.
v. Magnesium über 48 h hinaus Magnesiumsulfat:Präeklampsiesorgfältig prüfen.
!
Anwendung von Magnesiumsulfat i. v. unter Intensivüberwachung und Kontrolle folgender
Parameter: Urinausscheidung (≥ 50 ml/h), Auslösbarkeit der Patellarsehnenreflexe und
Atemfrequenz (≥ 14/Min.) oder kontinuierliche Sauerstoffsättigungsmessung (≥ 95 %).
Antidot: Kalzium
Zur evtl. sofortigen i. v. Injektion als Antidot bereitlegen (1 Amp. = 10 ml Kalziumgluconat
10 % langsam i. v. über 3 Min.).
Niedermolekulare Heparine Bei schwerer Präeklampsie oder HELLP-Sy. auf die Gabe verzichten,
solange eine erhöhte Blutungsgefahr besteht. Nach Konsolidierung der Gerinnungsparameter
(Thrombozyten > 100.000 l und Fibrinogen > 200 mg%) ist die Gabe zur Thromboseprophylaxe
indiziert.
Fetale Überwachung Die engmaschige Überwachung des Fetus bei einer Präeklampsie der
Mutter ist obligat, da vermehrt fetale Retardierungen, fetale Asphyxien und intrauterine
Fruchttode auftreten. Angewandte Methoden:
▪
CTG:
–
Bei leichter Präeklampsie und milder Schwangerschaftshypertonie, die ambulant beobachtet
wird, Durchführung 1–2×/Wo.
–
Bei schwerer Präeklampsie ein- bis mehrmals täglich
▪
Hypertonie:fetale ÜberwachungFetometrie durch Sonografie mit der Frage nach Wachstumsretardierung:
Alle 14 Tage
▪
Dopplersonografie und Beurteilung der Fruchtwassermenge: Frequenz der Durchführung
ist abhängig vom Schweregrad der Präeklampsie, von den Befunden der Fetometrie und
dem Schwangerschaftsalter (zwischen jedem 2. Tag und alle 2 Wo.).
Die Untersuchungen dienen der Einschätzung, wie die Vitalfunktionen des Fetus sind
und ob plazentare Reserven für eine Spontangeburt oder ein abwartendes Vorgehen vorhanden
sind (5.3 und 5.4).
Management abhängig vom Schwangerschaftsalter – Indikationen zur Entbindung Das klinische
Vorgehen bei der Präeklampsie ist immer ein „Balancing of risks“ für Mutter und Kind.
Dabei folgende Grundsätze im Auge behalten:
▪
Die Präeklampsie ist meist progredient mit Gefahren für Mutter und Kind.
▪
Einzige kausale Ther. ist die Entbindung.
▪
Die Entbindung ist immer der optimale Weg für die Mutter.
▪
Die Entbindung ist u. U. nachteilig für das Kind, da sie erhebliche Frühgeburtlichkeit
zur Folge Präeklampsie:Indikationen zur Entbindunghaben kann.
▪
Bei imminenter Gefahr für die Mutter hat das maternale Interesse Vorrang, zumal sich
der fetale Zustand bei lebensbedrohlichem maternalem Zustand i. d. R. ebenso rasch
verschlechtert.
Präeklampsie > 37 SSW: Bei alleiniger Schwangerschaftshypertonie oder milder Präeklampsie
ist die Prognose gut, wenn die Symptomatik nach der 37+0 SSW auftritt. Der prospektiv-randomisierte
HYPITAT Trial konnte zeigen, dass eine zeitnahe Entbindung bei milder PE oder SIH
>37 SSW zu einer Reduktion maternaler Komplikationen führt. Bei PE >37 SSW sollte
die Geburt eingeleitet werden [Koopmans et al. 2009].
Präeklampsie 34+0 – 37+0 SSW
▪
Bei schwerer Präeklampsie nach 34 SSW Entbindung anstreben.
▪
Unabhängig vom Schwangerschaftsalter entbinden bei:
–
Persistierenden zentralen Symptomen als Hinweis auf eine imminente Eklampsie
–
Plazentalösungszeichen
–
Maternaler Multiorgandysfunktion
–
Anzeichen für eine drohende fetale Asphyxie: path. CTG und/oder hochpath. fetoplazentare
und fetale Dopplerbefunde
–
Schwerer fetaler Retardierung, da dann nicht damit zu rechnen ist, dass die Schwangerschaft
wesentlich prolongiert werden kann. Da Feten präeklamptischer Mütter – entgegen der
landläufigen Meinung – in Fall-Kontroll-Studien keine akzelerierte Lungen- oder neurologische
Reifung zeigen, immer Kortikosteroidgabe mit 2 × 12 mg Betamethason vor 34 SSW.
–
HELLP-Sy.
Präeklampsie 24+0 – 34+0 SSW: Ein konservatives Vorgehen bei schwerer Präeklampsie
zwischen der 24+0 und 34+0 SSW ist nur möglich, wenn die Überwachung in einem Perinatalzentrum
mit einer neonatologischen und maternalen Intensivüberwachung und ggf. Intensivbehandlung
stattfindet und die Symptomatik der schweren Präeklampsie keine Progredienz aufweist.
▪
Insbesondere bei frühem Gestationsalter sollte das Ziel sein, die RDS-Prophylaxe abzuschließen.
Hierbei muss jedoch das individuelle Risiko ständig unter Berücksichtigung aller maternalen
und fetalen Veränderungen neu evaluiert werden.
▪
Neben fetalen Ind. bestehen folgende maternale Ind. zur Entbindung: therapierefraktäre
schwere Hypertonie, therapierefraktäre Niereninsuff., kardiale Dekompensation, akutes
Lungenödem, DIC, persistierende starke Oberbauchschmerzen, neu aufgetretene schwere
zentralnervöse Symptome, Eklampsie [DGGG 2014].
Die Dringlichkeit der Schwangerschaftsbeendigung aus maternaler Ind. sollte in jedem
Einzelfall gegen den Wert des Abschlusses der RDS-Prophylaxe abgewogen werden.
Präeklampsie < 24+0 SSW: Falls eine schwere Präeklampsie vor 24 SSW auftritt und gleichzeitig
eine fetale Retardierung vorliegt, sind die Chancen für eine Prolongation der Schwangerschaft
bis zu einem Schwangerschaftsalter, in dem die Prognose für ein gesundes Überleben
des Feten deutlich ansteigen, sehr gering. Um in diesen Fällen eine maternale Gefährdung
auszuschließen, wird zusammen mit den Neonatologen und den Eltern die Frage der Schwangerschaftsbeendigung
vor Erreichen der Lebensfähigkeit des Fetus beraten.
Geburtsmodus und intrapartales Management Es gibt keine prospektiv-randomisierten
Untersuchungen zur Frage des besten Geburtsmodus bei Frauen mit einer Präeklampsie.
Eine vaginale Geburt kann angestrebt werden, bei:
▪
Leichter Schwangerschaftshypertonie oder leichter Präeklampsie
▪
Günstigem Bishop-Score
▪
Unbeeinträchtigtem fetalem Zustand
▪
Schwerer Präeklampsie, wenn die geburtshilflichen Befunde günstig sind.
Bei der Präeklampsie:GeburtsmodusPräeklampsie besteht ein erhöhtes Risiko für ein
path. CTG und eine vorzeitige Plazentalösung. Entsprechend alle Schwangeren mit einer
Präeklampsie unter der Geburt kontinuierlich mit CTG überwachen und bezüglich des
Auftretens von Schmerzen und/oder Blutungen beobachten. Regelmäßig nach den Symptomen
einer schweren Präeklampsie fragen sowie den Blutdruck in kurzen Abständen überwachen.
Periduralanalgesie (PDA)
▪
Methode der Wahl bei leichter Präeklampsie
▪
Bei schwerer Präeklampsie anwendbar, wenn keine Koagulopathie bzw. eine Thrombozytopenie
von < 50.000–100.000/l vorliegt.
Postpartales Vorgehen
▪
In den ersten 48 h nach Entbindung (selten noch später) können bei Präeklampsie schwere
Rückfälle (Eklampsie, HELLP-Sy., Multiorganversagen) auftreten → engmaschige Beobachtung:
–
Symptome einer (schweren) Präeklampsie?
–
Häufige Blutdruckmessungen
–
Bilanzierung der Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung. Durch die Mobilisierung von
extravasaler Flüssigkeit in Kombination mit einem „capillary leakage“ steigt die Gefahr
des Lungenödems an → im Verdachtsfall kontinuierliche Beobachtung der O2-Sättigung
sowie Auskultation der Lungen.
▪
Diurese kann durch Gabe von Furosemid (10–20 mg einmalig) gesteigert werden.
▪
Eine präpartal begonnene Anfallsprophylaxe mit Magnesiumsulfat für mind. 24 h p. p.
fortführen
▪
Präeklampsie:postpartales VorgehenDer erhöhte Blutdruck normalisiert sich meist in
der 1. Wo. p. p. Bei längerer Persistenz oder einem Blutdruck > 160/110 mmHg antihypertensive
Ther. mit retardiertem Nifedipin 2 x 30 mg/d oder einem Betablocker, wie Metoprolol
1 x 50 mg/d morgens, beginnen. Die Pat. wird nach Hause entlassen, wenn unter dieser
Medikation der Blutdruck gut eingestellt ist. Sie sollte angehalten werden, zu Hause
den Blutdruck weiter zu messen. Die Medikation kann beendet werden, wenn der Blutdruck
über mehrere Tage normoton ist.
17.2.2
HELLP-Syndrom
„HELLP“-Syndrom
Durch die Laborveränderungen Hämolyse, „Elevated Liver Enzymes“ und „Low Platelets“
charakterisiert (Tab. 17.11
).
Tab. 17.11
Diagnostische Kriterien des HELLP-Syndroms
Hämolyse
•
Haptoglobin ↓ (sensitiv)
•
LDH ↑ (wenig spezifisch)
•
Fragmentozyten vorhanden
Erhöhte Leberwerte
•
SGOT ↑
•
SGPT ↑
•
LDH ↑
Thrombozytopenie
≤ 100.000/μl
Klinik
▪
Symptome: Richtungweisend ist der (meist rechtsseitige) Oberbauchschmerz. Er geht
in 20–40 % den laborchemischen Veränderungen um Tage bis Wochen voraus. Ursache ist
ein gestörter Blutfluss in den Lebersinusoiden, der durch eine Dehnung der Glisson-Kapsel
zu Oberbauchschmerzen führt. Der Transaminasenanstieg ist Folge von Leberzellnekrosen.
Cave: Bei ≤ 20 % fehlen die klassischen Symptome der Präeklampsie.
▪
Verlauf: Der Spontanverlauf des HELLP-HELLP-SyndromSyndroms ist schwer vorhersagbar.
Bei bis zu 43 % kommt es zu (meist kurzfristigen) Regressionen der klinischen und
laborchemischen Symptomatik. Unabhängig davon treten bei > 50 % schwere Komplikationen
auf: DIC (21 %), vorzeitige Plazentalösung (16 %), akutes Nierenversagen (8 %), Lungenödem
(6 %), Leberhämatome (1 %), Hirnödem (1 %), Netzhautablösung (1 %)
Diagnostik
Tab. 17.11.
Differenzialdiagnosen Akute Schwangerschaftsfettleber, Virushepatitis, intrahepatische
Schwangerschaftscholestase, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), hämolytisch-urämisches
Sy. (HUS).
▪
Bei Schwangerschaftsfettleber, Virushepatitis und Schwangerschaftscholestase bestehen
i. d. R. weder eine Hämolyse noch eine Thrombopenie oder eine Präeklampsiesymptomatik.
▪
Beim HUS steht die Niereninsuff. ganz im Vordergrund.
▪
Bei HUS und TTP bestehen i. d. R. keine Hypertonie und keine Erhöhung der Lebertransaminasen.
Therapie
17.2.3.
17.2.3
Eklampsie
Epidemiologie
▪
In entwickelten Ländern etwa 4–5/10.000 Entbindungen
▪
In Entwicklungsländern mit schlechterer Schwangerschaftsvorsorge wesentlich höher.
Dort ist sie für einen Großteil der maternalen Mortalität verantwortlich.
Ätiologie Bisher unbekannt. Es werden jedoch hypertensive Enzephalopathien, Blutungen,
Ischämien und zerebrale Ödeme diskutiert.
Klinik
▪
Etwa ⅔ treten pränatal auf und ⅓ in den ersten 2 Tagen (selten auch später) p.p.
▪
EklampsieDie meisten Eklampsien treten unvorhergesehen und ohne die typischen Prodromalsymptome
auf. Nach dem ersten Anfall können bei ausbleibender Sedierung in schneller Folge
weitere Anfälle folgen.
▪
Zentrale Symptome sind Warnhinweise für eine drohende Eklampsie. Oft besteht keine
direkte Korrelation zum Schweregrad der Hypertonie. Typisch sind tonisch-klonische
Krämpfe, die meist an den Extremitäten beginnen und sich auf den Stamm ausbreiten.
Cave: von einem epileptischen Anfall kaum zu unterscheiden.
Die Eklampsie ist immer ein lebensbedrohlicher Zustand für Mutter und den Fetus (Letalität
der Mutter 2–5 %, des Fetus ≤ 20 %).
Diagnostik Von einer Eklampsie ist auszugehen, wenn bei einer Schwangeren mit präeklamptischen
Zeichen (17.2.1) ein oder mehrere Krampfanfälle auftreten, ohne dass eine neurologische
Erkr. bekannt ist. Die Eklampsie ist eine Ausschlussdiagnose.
Differenzialdiagnosen Epilepsie, zerebrovaskuläre Veränderungen (Hirninfarkt, -blutung,
-venenthrombose, -ödem), intrakranielle Raumforderungen, Meningitis und Enzephalitis,
toxische und metabolische Störungen (Kokainabusus, Hypoglykämie, Hyperglykämie, Hyponatriämie
und Hypokalzämie).
Therapie
▪
Wichtigste Maßnahmen:
–
Erhalt der maternalen Vitalfunktionen: Seitenlagerung, Freihalten der Atemwege, Sauerstoffgabe
–
Intensivüberwachung mit kontinuierlicher Messung von HF, RR und O2-Sättigung
▪
Behandlung des Anfalls und Prophylaxe weiterer Konvulsionen:
–
Magnesiumsulfat ist Mittel der Wahl: initial 3–4 g MgSO4 in ca. 5 Min. i. v., danach:
1–3 g MgSO4/h als Dauerinfusion. Mit diesem Vorgehen wird ein eklamptischer Anfall
meist rasch durchbrochen. NW: Wärmegefühl, Flush, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerz
und Palpitationen. Cave: MgSO4 passiert die Plazenta → häufig geringe Reduktion der
fetalen Basalfrequenz und Einengung der fetalen Oszillationsamplitude.
–
Diazepam: in Magnesiumsulfat:Eklampsieeiner Dosis von 0,1–0,3 mg/kg KG ebenfalls zur
Unterbrechung des eklamptischen Anfalls geeignet. Die Kombination von Magnesium und
Diazepam ist hinsichtlich möglicher NW (v. a. auf die maternale und – falls die Entbindung
erfolgt – neonatale Atmung) schwer zu beurteilen.
▪
Weiteres Vorgehen:
–
Fetale Überwachung: Sonografie, CTG
–
RR-Senkung (bevorzugt mit Dihydralazin), falls dieser > Diazepam:Eklampsie160/110
mmHg
–
Nach Stabilisierung der Mutter i. d. R. Entbindung, da nach einem eklamptischen Anfall
weitere Anfälle auftreten können und erneut eine vitale Gefahr für die Mutter darstellen.
Prognose Je früher in der Schwangerschaft eine Hypertonie auftritt, desto wahrscheinlicher
ist die Progression zu einer Präeklampsie.
▪
Höhe des Blutdrucks: Korreliert mit dem maternalen und/oder fetalen Outcome. Bei Frauen
mit schwerer Schwangerschaftshypertonie und Präeklampsie hängt das Outcome vom Schwangerschaftsalter
bei erstmaligem Auftreten der Symptome, von der Schwere der Erkr., dem Vorhandensein
einer Mehrlingsschwangerschaft und von maternalen Erkr., wie Diabetes mellitus oder
Thrombophilien, ab.
▪
Leichte Schwangerschaftshypertonie: Die Mehrzahl tritt nach der 36. SSW auf. Die Prognose
für Mutter und Kind ist gut. Lediglich die Rate medikamentöser Geburtseinleitungen
und op. Entbindungen ist höher als bei normotensiven Schwangeren. Diese höhere Rate
an Kaiserschnittentbindungen ist v. a. auf frustrane Einleitungen und/oder Wehendystokien
zurückzuführen.
▪
Schwere Formen der Präeklampsie treten i. d. R. auf, wenn sich die Präeklampsie vor
34 SSW manifestiert:
–
Maternale Morbidität durch das Auftreten von eklamptischen Anfällen, Lungenödem, akutem
Leber- und/oder Nierenversagen, disseminierter intravasaler Gerinnung und Blutungen
massiv erhöht
–
Frühgeburtenrate vor der 34. SSW beträgt zwischen 18,5 und 35,6 % mit einem hohen
Anteil retardierter Feten, wobei nicht sicher ist, ob diese hohe Frühgeburtenrate
auf die Intervention zur Ther. der Mutter oder auf die Notwendigkeit der Entbindung
aus fetaler Ind. zurückgeführt werden kann.
Langzeituntersuchungen zeigten bei Frauen mit schwangerschaftsinduziertem Hypertonus
ein deutlich gesteigertes Risiko für kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität im
späteren Leben. Es ist aber bisher nicht möglich, die Frauen sicher zu identifizieren,
die später tatsächlich eine Hypertonie entwickeln [Sattar und Greer 2002].
17.3
Thromboembolie
Frank Louwen
Epidemiologie Die Inzidenz bezieht sich nur auf die klinisch tatsächlich auffällig
gewordenen Pat.:
▪
Lungenembolie: 0,3–1,2 %
▪
Tiefe Beinvenenthrombose: 0,08–0,3 %
▪
Bei Bettruhe in der Schwangerschaft (> 3 d) steigt das Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose
auf 1,56 %.
▪
Sectio (25.5): Thromboemboliescheint im Vergleich zur vaginalen Entbindung die Rate
Beinvenenthrombose, tiefethromboembolischer Komplikationen um den Faktor 2,5–10 zu
Lungenemboliesteigern. Diese Rate verdoppelt sich bei Notsectio.
▪
Maternale Mortalität:
–
Lungenembolie: 1 : 100.000 Schwangerschaften und damit 30–40 % der maternalen Sterblichkeit
(26.3) in den entwickelten Ländern (Hauptursache)
–
Trotz verbesserter Prophylaxe nimmt die Zahl tödlicher thromboembolischer Komplikationen
zu, am ehesten erklärbar durch die Zunahme der Risikofaktoren.
Das Thromboserisiko steigt in der Schwangerschaft um den Faktor 4 und im Wochenbett
um den Faktor 14.
Risikofaktoren
▪
Für thromboembolische Erkr.: höheres maternales Alter (> 35 J.), Multiparität, Mehrlingsschwangerschaft
(Kap. 20), op. Entbindung (Kap. 25), Bettruhe oder andere Immobilisierung, Adipositas
(BMI > 27 kg/m2), Herzinsuff. (17.6), Z. n. Herzklappenersatz (17.6), maligne Erkr.
(17.21), Östrogenther., Dehydrierung im Rahmen einer ausgeprägten Hyperemesis (17.1)
oder bei Präeklampsie (17.2.1), vorausgegangene Thromboembolie, andere Blutgruppe
als 0, Sichelzellanämie (17.20.1), Thrombophilie
▪
Thrombophile Risikofaktoren: v. a. Hyperkoagulabilität, Verminderung der fibrinolytischen
Aktivität, venöse Stase der unteren Extremität, V.-cava-Kompression (23.3.3), peripartale
Endothelzellläsionen sowie erworbene APC-Resistenz, Faktor-V-Leiden-Mutation, AT-III-Mangel,
Protein-C-Mangel, Protein-S-Mangel, Prothrombinmutation, Hyperhomocysteinämie (MTHFR-Mutation),
Antiphospholipid-AK u. a.
Pathophysiologie Die Aktivierung des Gerinnungssystems ist multifaktoriell. Neben
typischen hämostaseologischen Veränderungen in der Schwangerschaft, die sowohl im
utero-plazentaren Stromgebiet wie auch in der veränderten Lebersyntheseleistung gesehen
werden, sind v. a. Stase, Übergewicht und OP in der Schwangerschaft an der Entstehung
thromboembolischer Ereignisse beteiligt.
Klinik
▪
Tiefe Beinvenenthrombose:
–
Plötzliche unilaterale Beinschwellung oder plötzlich einsetzendes lokales Schmerzsymptom;
der Schmerz kann bewegungsabhängig sein.
–
Fieber und Druckschmerz in den betroffenen Venenlogen sind nicht typische Primärsymptome.
–
Fraglich aufgrund eines langsameren Blutflusses in der linken unteren Extremität finden
sich tiefe Beinvenenthrombosen bevorzugt auf dieser Seite.
▪
Lungenembolie: Tachy- und Dyspnoe, Zyanose, Tachykardie, Schockzustand.
Diagnostik
▪
Tiefe Beinvenenthrombose: Palpation der Venen und Dorsoflexion der Wade haben eine
hohe Falsch-positiv-Rate. Objektive Methoden:
–
B-Bild-Sonografie: Reduzierte bis aufgehobene Kompressibilität sowie fehlende Dilatation
im Valsava-Manöver
–
Farbdopplersonografie: Steigert die Treffsicherheit.
–
Geringere Sensitivität der Sonografie bei Thrombosen kranial des Leistenbandes. Für
diese Lokalisationen ist heute das MRT diagnostisches Mittel der Wahl.
Die Abklärung einer Venenthrombose in der Schwangerschaft sollte interdisziplinär
erfolgen. Ein Algorithmus ist hierfür nicht getestet. Dennoch muss jeder Verdacht
so weit abgeklärt werden, dass eine ther. Entscheidung erfolgen kann.
▪
Lungenembolie: Röntgenthorax, EKG, Blutgasanalyse. Geringgradige Lungenembolien werden
z. T. über sekundäre Symptome wie Fieber, Synkopen, Husten oder Pleuritis bemerkt.
Hier haben Spiral-CT und MRT eine bessere Sensitivität.
Therapie
Tiefe Beinvenenthrombose: Die Ther. hängt ab vom Alter der Schwangerschaft sowie vom
Alter und der Lokalisation der Thrombose. Sie erfolgt teilweise multimodal unter Anwendung
von Heparin, Cumarinderivaten, Lysebehandlung oder Thrombektomie. Ziel ist das Verhindern
einer Lungenembolie und der damit verbundenen Mortalität und Morbidität sowie des
postthrombotischen Syndroms. Die ther. Antikoagulation muss sofort Thromboembolie:Therapiebegonnen
werden, um die bestmögliche Reduktion des Beinvenenthrombose, tiefe:TherapieLungenembolierisikos
zu erreichen.
▪
Heparin: initiale Antikoagulation üblicherweise mit niedermolekularem Heparin (Dosierung
Tab. 17.12
). Unfraktioniertes Heparin hat eine Ind. bei hochgradiger Niereninsuff. und im Rahmen
gefäßrekanalisierender Maßnahmen. Die ther. Dosierung von unfraktioniertem Heparin
wird durch die aPTT-Verlängerung auf das 1,5- bis 2,5-Fache erreicht, während der
ther. Dosis bei Anwendung Heparin:unfraktioniertesvon niedermolekularem Heparin der
Anti-Xa-Spiegel (Tab. 17.12) zugrunde gelegt wird.
Tab. 17.12
Dosierung von niedermolekularem Heparin:niedermolekularesFraxiparinFragmin PEnoxaprinDalteparinAnti-Xa-SpiegelHeparin
Niedermolekulares Heparin
Anti-Xa-Spiegel
Prophylaktische Dosierung
Alternativen:
•
Dalteparin: 5.000 IE 1×/d s. c.
•
Enoxaprin: 4.000 IE 1×/d s. c.
•
Fraxiparin: 4.000 IE 1×/d s. c.
•
Fragmin P: 1×/d s. c.
Anti-Xa-Aktivität 0,2–0,4 U/ml (3 h nach s. c. Gabe)
Intermediäre Dosierung
Halbe ther. Dosierung
Anti-Xa-Aktivität 0,4–0,6 U/ml (3 h nach s. c. Gabe)
Ther. Dosierung
Gewichtsadaptiert
Anti-Xa-Aktivität 0,5–1,0 U/ml (3 h nach s. c. Gabe)
▪
Heparin:niedermolekularesBei Kontraind. gegen Heparin (z. B. bekannte HIT II) sind
Danaparoid und Lepirudin zugelassen. Die entsprechenden Empfehlungen zu Dosierung,
NW und KI sowie zur Laborkontrolle sind zu beachten.
–
Danaparoid ist ein Heparinoidgemisch, das vorrangig über eine antithrombinvermittelte
Hemmung von Faktor Xa wirkt.
–
Lepirudin ist ein Polypeptid mit direkter Hemmung von Thrombin.
▪
Cumarinderivate:
–
In der Schwangerschaft nicht einsetzen
–
In der Stillzeit besteht keine KI.
Eine thrombusbeseitigende Maßnahme (Lysether., OP, kombinierte sowie andere interventionelle
Verfahren) ist in Einzelkasuistiken beschrieben und kann in speziellen Ausnahmesituationen
erwogen werden, v. a. bei jungen Pat., bei einer ersten und ausgedehnten Thrombose
und bei kurzer Anamnese.
Lungenembolie: Das ther. Vorgehen richtet sich nach der hämodynamischen Stabilität
der Pat. Es werden 4 Risikogruppen differenziert:
▪
I: hämodynamisch stabil ohne rechtsventrikuläre Dysfunktion
▪
II: hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion
▪
III: Schock (RRsyst. <100 mmHg, Puls > 100/Min.)
▪
IV: Reanimationspflicht
Für die Risikogruppen I–IV gelten folgende Therapieempfehlungen:
▪
I: Lungenembolie:TherapieAntikoagulation wie bei der Venenthrombose (s. o.)
▪
II: Antikoagulation; in geeigneten Fällen systemische Thrombolyse
▪
III: systemische Thrombolyse, außer bei absoluter KI
▪
IV: systemische Thrombolyse.
Bei systemischer Thrombolyse erfolgt die begleitende Antikoagulation mit unfraktioniertem
Heparin.
In den Risikogruppen III und IV sind alternativ auch die katheterbasierte Thrombusfragmentation
mit oder ohne lokale Thrombolyse oder in Einzelfällen die Pulmonalisthrombektomie
unter extrakorporaler Zirkulation zu diskutieren.
Schwangerenvorsorge Die Risikofaktoren unter Einbeziehung der Eigen- und Familienanamnese
führen zu einer Risikogruppierung, die ein differenziertes Vorgehen zur Reduktion
thromboembolischer Komplikationen ermöglicht (Tab. 17.13
).
Tab. 17.13
Risikoadaptiertes Vorgehen zur Prophylaxe eines thromboembolischen Ereignisses in
Schwangerschaft und ThromboseprophylaxeThromboseprophylaxeProthrombin-Gen-MutationProthrombin-Gen-MutationProtein-S-MangelProtein-S-MangelProtein-C-MangelProtein-C-MangelFaktor-V-Leiden-MutationFaktor-V-Leiden-MutationAntithrombinmangelAntithrombinmangelAntiphospholipidsyndrom:ThromboseprophylaxeAntiphospholipidsyndrom:ThromboseprophylaxeStillzeit
Thrombophilie
Eigenanamnese
Familienanamnese
Thromboserisiko∗
Empfehlung zur Therapie in der Schwangerschaft (Tab. 17.11)
Antithrombinmangel
Z. n. Thrombose
Meist familiäre TE-Ereignisse
11–40 %
Ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Milder Antithrombinmangel (70–85 %)
Bisher keine Thrombose
Einzelne Verwandte mit TE-Ereignis
0,2–0,4 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Mehrere Generationen mit TE-Ereignis
2,4–3 %
Deutlicher Antithrombinmangel (< 60 %)
Bisher keine Thrombose
Einzelne Verwandte mit TE-Ereignis
7 %
Ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Mehrere Generationen mit TE-Ereignis
> 10 %
Protein-C-Mangel
Z. n. Thrombose
Meist familiäre TE-Ereignisse
2–17 %
Intermediäre Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Bisher keine Thrombose
Einzelne Verwandte mit TE-Ereignis
0,2–0,9 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Mehrere Generationen mit TE-Ereignis
2 %
Protein-S-Mangel (< 50 %)
Z. n. Thrombose
Meist familiäre TE-Ereignisse
≤ 22 %
Intermediäre Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Bisher keine Thrombose
Einzelne Verwandte mit TE-Ereignis
0,06 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Mehrere Generationen mit TE-Ereignis
7 %
Faktor-V-Leiden-Mutation
Z. n. Thrombose
–
> 10 %
Intermediäre oder ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Homozygot, bisher keine Thrombose
–
1,5 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Heterozygot, bisher keine Thrombose
Positiv
0,25 %
Prophylaktische Dosierung 4–6 Wo. peripartal
Faktor-V-Leiden-Mutation heterozygotProthrombin-Gen-Mutation (G20 210A)
Bisher keine Thrombose
Keine Risikofaktoren
0,25 %
Keine Routineprophylaxe
Z. n. Thrombose
> 10 %
Intermediäre oder ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Prothrombin-Gen-Mutation (G20 210A) homozygot
Bisher keine Thrombose
–
1,5 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Prothrombin-Gen-Mutation (G20 210A) heterozygot
Bisher keine Thrombose
–
0,25–0,5 %
Keine Routineprophylaxe bzw. prophyl. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind.
6 Wo. p. p.
Faktor-V-Leiden-Mutation + Prothrombin-Gen-Mutation (G20 210A)
Bisher keine Thrombose
–
5 %
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Antiphospholipidsy. ohne Abort
Z. n. Thrombose
–
–
Ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p.
Bisher keine Thrombose
–
–
Keine Routineprophylaxe bzw. prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft
bis mind. 6 Wo. p. p. (v. a. bei hohem AK-Titer)
Antiphospholipidsy. mit Abort
Z. n. Thrombose
–
–
Ther. Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p. + ASS 100 mg/d bis
36. SSW
Bisher keine Thrombose
–
–
Prophylaktische Dosierung während der Schwangerschaft bis mind. 6 Wo. p. p. + ASS
100 mg/d bis 36. SSW
∗
Zusammengefasst in Schwangerschaft und Wochenbett
Komplikationen und Prognose Das Übersehen einer vorhandenen venösen Thrombose oder
Thromboembolie (VTE) beinhaltet ein hohes Risiko von:
▪
Thromboembolie:Schwangerenvorsorge
Mortalität: Die Frühletalität hängt vom Ausmaß der Lungenembolie und den Begleiterkr.
ab. Bis zu 90 % aller Todesfälle ereignen sich innerhalb von 1–2 h nach Symptombeginn.
▪
Bei den Überlebenden ist die Prognose ohne gerinnungshemmende Ther. infolge von Rezidivembolien
und der zunehmenden Thromboembolie:Komplikationenrechtsventrikulären Dysfunktion ungünstig.
Andererseits lässt sich die Mortalität der massiven Lungenembolie durch eine adäquate
Antikoagulation von 30 % auf 2–8 % senken.
▪
Morbidität:
–
Kurzfristig durch Progredienz der tiefen Beinvenenthrombose, neue Lungenembolien
–
Langfristige Schädigung i. S. eines postthrombotischen Syndroms bei ca. 50 %.
Geburt und Wochenbett bei Thromboembolie Die antikoagulative Behandlung lässt sich
über die gesamte Schwangerschaft bis zur Geburt durchführen. Da die op. Ther., v.
a. die Sectio (25.5), zu den Risikofaktoren gehört, ist Geburtsmodus der Wahl die
vaginale Entbindung.
Aufgrund der differenten Halbwertszeit unfraktionierter bzw. niedermolekularer Heparine
muss das Konzept der peripartalen Analgesie angepasst werden. Leitlinien zum peripartalen
Management bestehen derzeit nicht, Thromboembolie:Geburtdie Empfehlungen differenter
Studien sind im Folgenden aufgelistet:
Bei tiefer Beinvenenthrombose hängt der Entbindungsmodus vom Zeitpunkt des Auftretens
ab (immer ca. 6 Wo. vor Entbindung duplexsonografische Kontrolle).
▪
Bei Thrombose < 6 Wo. vor Entbindung („frische Thrombose“) bei duplexsonografisch
nachweisbarem Thrombus, der sich noch nicht in Organisation befindet oder frei flottierend
ist, eine primäre Sectio anstreben.
▪
Bei Thrombose > 6 Wo. und/oder in Organisation befindlichem Thrombus bzw. nicht frei
flottierendem Thrombus (Duplexsonografie) ist die vaginale Entbindung möglich; hierbei
ist zur Abkürzung der Pressphase ein „outlet forceps“ (25.2.2) oder Vakuumextraktion
(25.2.3) indiziert.
Bei effektiver Heparinisierung (niedermolekulares Heparin) wird unter der Entbindung
folgendes Vorgehen empfohlen:
▪
Bei einsetzender regelmäßiger Wehentätigkeit keine weiteren Injektionen
▪
Aufgrund der besseren Steuerbarkeit in Hochrisikosituationen Umstellung auf unfraktioniertes
Heparin in einer Dosierung von 10.000 IE/24 h
▪
Abstellen des Perfusors bei regelmäßiger Wehentätigkeit
▪
Wiederaufnahme der Heparinther. zunächst mit 10.000 IE/24 h 3 h postpartal über 6
h, anschließend ist eine Umstellung auf niedermolekulares Heparin möglich.
Z. n. thromboembolischem Ereignis in der Vorgeschichte: Prinzipiell ist eine prophylaktische
Heparinisierung während der gesamten Schwangerschaft notwendig, die mind. bis 6 Wo.
postpartal fortgesetzt wird (z. B. Fragmin 1×/d oder bei bekannten zusätzlichen Risikofaktoren
wie Faktor-V-Leiden-Mutation, AT-III-, Protein-C-, Protein-S-Mangel auch Fragmin P
forte 2×/d unter Kontrolle des Anti-Xa-Spiegels und des kleinen Blutbildes zum Ausschluss
einer heparininduzierten Thrombopenie HIT).
▪
Eine geburtshilfliche PDA ist prinzipiell möglich, wenn der Zeitpunkt der letzten
Heparininjektion > 4 h zurückliegt.
▪
Bei prophylaktischer Heparinisierung (z. B. Fragmin 1×/d) wird bei der aktiven Eröffnungsperiode
keine Injektion mehr verabreicht.
17.4
Typ-1- und -2-Diabetes und Schwangerschaft
Ute M. Schäfer-Graf
Epidemiologie Die Inzidenz von präexistentem Diabetes lag 2014 bei 0,9 %. In der Perinatalerhebung
erfolgt keine Trennung in Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Da 2002 die Prävalenz noch 0,5
% betrug und Typ-1-Diabetes in der Bevölkerung nicht so rapide zugenommen hat, ist
davon auszugehen, dass bis zu 30 % der Schwangeren einen Typ-2-Diabetes haben. Typ-2-Diabetes
unter jungen Frauen hat sehr zugenommen in den letzten Jahren, Ursache ist u. a. die
Zunahme der Adipositas und Zunahmen ethnischer Bevölkerungsgruppen mit hohem Diabetesrisiko.
In der Literatur wird bei Typ-2 Diabetes vom einem schlechteren neonatalen Outcome
als bei Typ-1-Diabetes berichtet [Diabetes mellitus
Cundy, Gamble und Townend 2000], da präkonzeptionell und auch während der Schwangerschaft
sowohl von Betroffenen als auch Ärzten dem Diabetes weniger Bedeutung zugemessen wird
und zudem oft weitere geburtshilfliche Risiken, die mit dem metabolischen Sy. assoziiert
sind, vorliegen (Hypertonus, Hyperlipidämie, Adipositas).
Klassifikation und Pathophysiologie
▪
Typ-1-Diabetes:
–
Absoluter Insulinmangel durch Zerstörung von β-Zellen des Pankreas aufgrund von Autoimmunprozessen
–
Nachweis von AK: Insel-AK (ICA), AK gegen Glutamatdecarboxylase (GADA) und Tyrosinphosphatase
(IA-2)
▪
Typ-2-Diabetes: relativer Insulinmangel durch periphere Insulinresistenz, häufig durch
Adipositas sowie eine gestörte Frühphase der Insulinfreisetzung
17.4.1
Präkonzeptionelle Betreuung
Diabetikerinnen im fertilen Alter unbedingt auf die Vorteile einer präkonzeptionellen
Stoffwechseloptimierung sowie Diagnose und Behandlung von Spätkomplikationen hinweisen,
um sowohl das kindliche Outcome zu verbessern als auch Komplikationen bei der Mutter
zu reduzieren. Die Umsetzung des Kinderwunsches sollte nicht zu weit hinausgeschoben
werden wegen der Zunahme von Spätkomplikationen.
Die Fertilität ist bei Diabetikerinnen herabgesetzt. Die spontane Fertilitätsrate
liegt im Gesamtkollektiv bei 0,8, bei Frauen mit Retinopathie bei 0,6, mit Nephropathie
bei 0,5 und bei bestehenden kardiovaskulären Problemen bei 0,34 [Jonasson et al. 2007].
Stoffwechseloptimierung
Vor der Konzeption eine normnahe Einstellung anstreben mit einem HbA1c (HPLC-Methode)
von < 7,0, besser um 6,5 %.
Die Rate an kongenitalen Fehlbildungen und Aborten korreliert mit dem Grad der maternalen
Hyperglykämie im 1. Trimenon: Das Fehlbildungsrisiko ist höher im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung.
Bei einem HbA1c < 6,5 % (HPLC-Methode) unterscheidet sich die Fehlbildungsrate nur
geringfügig von der stoffwechselgesunder Schwangerer, ist jedoch auch mit Diabetes
mellitus:präkonzeptionelle Betreuung3,9% vs 2,8 % erhöht [Bell et al. 2012; Jensen
et al. 2009].
Studienlage
Die Literaturangaben, ab welchem HbA1c -Wert und in welchem Ausmaß mit Fehlbildungen
zu rechnen ist, schwanken.
▪
Aktuelle Studien berichten von einem signifikanten Anstieg ab 10,4 % (= 8 SD) mit
Fehlbildungsraten von 10,9 % [Jensen et al. 2009] und relativ konstanten Raten zwischen
HbA1c von 6,9–10,0 %. Bei anderen sieht man einen kontinuierlichen Anstieg ab einem
HbA1c von 6,5 % mit 10,2 % (90% KI 12,8 – 7,6%) Fehlbildungen bei HbA1c von 10 % [Bell
et al. 2012].
▪
Bei vorbestehender Nephropathie ist per se mit einem Fehlbildungsrisiko von OR 2,5
(KI 1,1–5,3) zu rechnen [Bell et al. 2012].
▪
Die Prävalenz von schweren Schwangerschaftskomplikationen und der perinatalen Mortalität
steigt ebenfalls linear mit dem HbA1c bei Konzeption (Tab. 17.14
). Die Abhängigkeit des Risikos für kindliche Mortalität vom präkonzeptionellen HbA1c
betrifft IUFT in allen Schwangerschaftswochen und Kindstod im 1. Lj. [Tennant et al.
2013].
Tab. 17.14
Kongenitale Fehlbildungen, perinatale Mortalität und schwere geburtshilfliche/diabetologische
Komplikationen bei Schwangerschaften von Typ-1-Diabetikerinnen in Abhängigkeit vom
perikonzeptionellen HbA1c
HbA1c (∗)
SD > Mean
Kongenitale Fehlbildungen
Perinatale Mortalität
Schwere geburtshilfliche Komplikationen
%
RR (95 %CI) vs. Referenzpopulation
%
RR (95 %CI) vs. Referenzpopulation
%
RR (95 %CI) vs. Referenzpopulation
≥ 10,4
≥ 10
10,9
3,9 (1,8–7,8)
5,5
7,3 (2,5–19,8)
16,3
4,7 (2,5–8,1)
8,9–10,3
7,0–9,9
3,9
1,4 (0,6–3,1)
6,3
8,3 (4,2–15,9)
7,8
2,2 (1,2–3,9)
7,9–8,8
5,0–6,9
5,0
1,8 (0,9–3,3)
3,3
4,4 (2,0–9,4)
7,7
2,2 (1,3–3,6)
6,9–7,8
3,0–4,9
4,9
1,8 (1,0–2,9)
2,8
3,8 (1,9–7,3)
7,7
2,2 (1,5–3,3)
< 6,9
< 3,0
3,9
1,4 (0,8–2,4)
2,1
2,8 (1,3–6,1)
5,6
1,6 (1,0–2,6)
Referenzpopulation(n = 70.089)
2,8
1,0
0,75
1,0
3,5
1,0
∗
zeigt signifikanten Anstieg des Risikos an
[nach Jensen et al. 2009]
Bei optimaler Durchführung der intensivierten Insulinther. durch Einzelinjektionen
(ICT) ist die Umstellung auf eine Insulinpumpe nicht nötig, da in der Schwangerschaft
mit beiden Methoden ähnlich gute Ergebnisse erzielt werden. Wenn aus Diabetes mellitus:Stoffwechseloptimierungsubjektiven
Gründen, wegen stark schwankender BZ-Werte oder Dawn-Phänomen mit hohen BZ-Werten
in den frühen Morgenstunden, eine Pumpe gewünscht wird, sollte die Umstellung 3 Mon.
vor Eintritt der Schwangerschaft erfolgen, damit die Schwangere über genügend Erfahrung
verfügt, um mit den schwankenden BZ-Werten im 1. Trimenon umgehen zu können.
17.4.2
Spätkomplikationen – Management präkonzeptionell und während der Schwangerschaft
Retinopathie
Pathophysiologie Eine Schwangerschaft kann sich bei Frauen mit Typ-1-Diabetes insbesondere
im 3. Trimenon negativ auf die Entstehung bzw. Progredienz einer Retinopathie auswirken.
Vor allem bei proliferativer Retinopathie kann es zu einer schnellen Progredienz bis
zum Verlust der Sehkraft kommen. Bei initialem Normalbefund oder minimalen Fundusveränderungen
wird bei bis zu 25 % das Auftreten bzw. die Zunahme von Fundusveränderungen im Schwangerschaftsverlauf
Retinopathie, diabetischeangegeben, bei proliferativen Veränderungen wird bei 58 %
der Frauen eine Progression beobachtet [Temple, Aldrig und Sampson 2001]. Das Risiko
korreliert mit:
▪
Ausgangsbefund bei Konzeption
▪
Schnelligkeit der BZ-Normalisierung
▪
Schwangerschaftsinduzierter Hypertonie und Nephropathie (17.2)
▪
Stoffwechseleinstellung während der Schwangerschaft [Chew et al. 1995]
▪
Diabetesdauer.
Diagnostik Bei normalem Ausgangsbefund sind folgende Untersuchungsintervalle empfehlenswert:
Nach Schwangerschaftsdiagnose, gefolgt von Kontrolluntersuchungen alle 3 Mon. Die
Erweiterung der Pupille zur besseren Beurteilung des Augenhintergrundes mit einem
Parasympatholytikum (Tropicamid) ist möglich, kein Sympathometikum verwenden. Ein
Schema zur Überwachung findet sich unter www.dggg.de/leitlinien. Bei proliferierender
Retinopathie 4–6 Wo. nicht überschreiten [Temple, Aldrig und Sampson 2001].
Therapie Eine präkonzeptionelle Funduskopie bietet den Vorteil, dass Läsionen vor
Eintritt der Schwangerschaft durch panretinale Laserkoagulation behandelt werden können.
Vor Eintritt einer Schwangerschaft einige Mon. abwarten, bis sich der Befund stabilisiert
hat.
Eine Laserther. ist auch in der Schwangerschaft möglich.
Geburtshilfliches Vorgehen Eine Entbindung per Sectio oder Vakuumextraktion bei proliferativer
Retinopathie, um retinale Einblutungen durch die Drucksteigerung beim Pressen zu vermeiden,
wird nicht mehr empfohlen [Reece, Homko und Hagay 1996]. Es gibt keine Daten, die
den Vorteil belegen; es wurden extrem selten retinale Einblutungen sub partu beobachtet.
Bei starker Progredienz in der Schwangerschaft ist evtl. eine Sectio zu erwägen, da
die Neovaskularisationen zu Brüchen neigen und auch bei Laserther. 50 % unbehandelt
bleiben.
Prognose Die Progredienz ist z. T. reversibel. Bei nicht proliferativer Retinopathie
kommt es in über 50 % zur Regression, proliferative Veränderungen können noch im ersten
Jahr nach der Entbindung persistieren. Ein Langzeiteffekt auf die Progression der
diabetischen Retinopathie ließ sich nicht nachweisen.
Nephropathie
▪
Eine eingeschränkte Nierenfunktion ist mit einem erhöhten Risiko für IUGR (Kap. 14),
Frühgeburt und Präeklampsie/Eklampsie (17.2) verbunden (häufig wegen Notwendigkeit
der frühzeitigen Entbindung).
▪
Bei guter präkonzeptioneller Blutdruckeinstellung ist die diabetische Nephropathie
in der Schwangerschaft nur gering progredient.
▪
Kreatininwert:
–
1,2 mg/dl (oberer Normwert): Bereits 50-prozentige Nephropathie:diabetische“Einschränkung
der Nierenleistung. Die Empfängnisrate ist reduziert.
–
Ab 2,0 mg/dl und Kreatinin-Clearance < 50 ml/Min. ist von einer Schwangerschaft abzuraten.
Es besteht ein 50-prozentiges Risiko, dass es unter der Schwangerschaft zur Dialysepflicht
kommt.
Unter Dialyse kommt es selten zur Schwangerschaft. Es wird empfohlen, bei sehr starkem
Kinderwunsch frühestens 2 Jahre nach Transplantation schwanger zu werden, da dann
meist eine Reduzierung der Medikamente zur Immunsuppression vertretbar ist.
Neuropathie
Gefährdet sind Frauen mit diabetischer Störung des autonomen Nervensystems, da durch
die fehlende Adrenalinausschüttung die Wahrnehmung von Hypoglykämien herabgesetzt
ist. Durch die erforderliche strenge Einstellung während der Schwangerschaft und die
schwankenden Werte durch die in der Frühschwangerschaft verbesserte Insulinsensitivität
kommt es häufig zum Auftreten von Hypoglykämien. Diese Pat. Neuropathie, diabetischesollten
vor der Schwangerschaft an einem Hypoglykämie-Wahrnehmungstraining (BGAT) teilnehmen.
Durch die verlangsamte Magenentleerung bei autonomer Neuropathie erhöht sich zudem
das Risiko für Hypoglykämien,Hypoglykämie da die Insulinwirkung vor dem verzögerten
BZ-Anstieg erfolgt. Die Einnahme von Metoclopramid vor den Mahlzeiten hat sich als
hilfreich erwiesen. Da sich die MCP-Wirkung bei Dauerther. erschöpft, ist es nur ein
zeitlich begrenztes Hilfsmittel.
Hypertonus
Erhöhter Blutdruck ist eine der häufigsten Begleiterkr. bei Diabetes Typ 1/2. Die
gebräuchlichen Medikamente zur Blutdruckeinstellung sind Diuretika, Betablocker und
ACE-Hemmer bzw. AT1-Blocker. Dieses sind in der Schwangerschaft aus folgenden Gründen
abzusetzen:
▪
Diuretika: Herabsetzung der Uterusdurchblutung → IUGR ↑
▪
Betablocker:
–
Keine Herzfrequenzsteigerung bei Hypoglykämie → Verminderung Hypertonie:Diabetes melltitusder
Hypoglykämiewahrnehmung
–
Fetale Wachstumsretardierung [DGGG 2013]
–
Beeinträchtigung der fetalen Kompensation von subpartalen Stresssituationen durch
physiologische Steigerung der Herzfrequenz
▪
ACE-Hemmer: nicht teratogen, aber kontraindiziert im 3. Trimenon. Vermutlich durch
fetale Hypotension bedingte Komplikationen, wie Lungenhypoplasie, IUGR (Kap. 14),
Oligohydramnion, neonatale Hypotension und akutes Nierenversagen.
▪
Bereits vor der Schwangerschaft auf α-Methyldopa umstellen: initial 3 x 125 mg/d,
Steigerung bis auf 4 x 500 mg/d möglich.
▪
Alternativ Kalziumantagonisten: 20–60 mg retard, maximal 120 mg/d. Es bestehen jedoch
keine ausreichenden Langzeiterfahrungen, v. a. in Bezug auf die Entwicklung der Kinder,
eine Untersuchung bei Kindern von bis zu 12 Jahren zeigte eine unauffällige Entwicklung.
Von einer Schwangerschaft abzuraten ist bei:
▪
Fortgeschrittener Nephropathie mit Kreatinin-Clearance < 50 ml/h (s. o. Nephropathie)
▪
Z. n. Myokardinfakt mit Linksherzinsuff. (17.6)
▪
Koronare Herzkrankheit: bei Myokardinfakt in der Schwangerschaft maternale Letalität
bis 50 %
▪
Ungenügend behandelte proliferative Retinopathie (Behandlung von Schwangerschaft)
▪
Schwere autonome diabetische Neuropathie
▪
Fortgeschrittene periphere AVK, v. a. der Beckenarterien.
17.4.3
Stoffwechseleinstellung in der Schwangerschaft
BZ-Zielwerte in der Schwangerschaft Tab. 17.15
.
1.
Trimenon:
▪
BZ-Werte sehr schwankend
▪
Insulinbedarf (Abb. 17.6
) sinkt z. T. unter den vor der Schwangerschaft (Hypoglykämiegefahr ↑).
Abb. 17.6
Verlauf des Insulin, Bedarf in der SchwangerschaftInsulinbedarfs in der Schwangerschaft
[L157]
▪
Einstellung durch Emesis/Hyperemesis erschwert. Bei häufigem Erbrechen muss der Insulinfaktor
pro Kohlenhydrateinheit verringert werden.
2.
Trimenon (ab ca. 16. SSW):
▪
Zunehmende Produktion von antiinsulinär wirksamen Schwangerschaftshormonen (v. a.
Progesteron und HPL), dadurch kontinuierlicher Anstieg des Insulinbedarfs
▪
Nüchternwerte steigen an, da die Leber vermehrt in der 2. Nachthälfte Glukose freisetzt.
3.
Trimenon:
▪
Stabilisierung der BZ-Werte, Hypoglykämien sollten nicht mehr auftreten.
▪
Insulinbedarf erhöht sich um 50–60 % im Vergleich zum Ausgangsbedarf vor der Schwangerschaft.
▪
Ab 37 SSW kann es wegen des Abfalls des HPL zu einer leichten Reduzierung des Insulinbedarfs
kommen. Ein abrupter Abfall vor dieser Zeit ist jedoch als Warnzeichen zu sehen für
eine evtl. akute Plazentainsuff. und bedarf einer differenzierten fetalen Zustandsdiagnostik.
Direkt nach der Entbindung kommt es zum abrupten Abfall des Insulinsbedarfs. Es besteht
ein hohes Hypoglykämierisiko, wenn die Insulingabe nicht reduziert wird.
Tab. 17.15
BZ-Zielwerte in der Blutzuckerwerte in der SchwangerschaftSchwangerschaft
Blutzuckerwerte
HbA1c
Präprandial < 95 mg/dl
Schwangerschaftshälfte oberer Referenzbereich (5,4–6,2 %, je nach Referenzwert)
1 h postprandial < 140 mg/dl
2. Schwangerschaftshälfte unterer Referenzbereich < 5,4 %
2 h postprandial < 120 mg/dl
Insulinanaloga Haben durch die veränderte chemische Struktur einen veränderten Wirkungseintritt:
▪
Kurz wirksame Insulinanaloga Lispro (Humalog®) und Aspartat (NovoRapid®): Durch Austausch
der Position von 2 Aminosäuren an der B-Kette schnellerer Wirkungseintritt (Lysin
↔ Prolin) → Analoga werden direkt vor und auch nach dem Essen gespritzt, was die Möglichkeit
eines flexibleren Lebensrhythmus erhöht.
▪
Lang wirksame Insulinanaloga: Durch InsulinanalogaAnhängen von 2 AS wie bei Glargin
(Lantus®) oder Kopplung einer Fettsäure an die A-Kette wie bei Detemir (Levemir®)
kommt es zu einer langsameren Freisetzung des Insulins in die Blutbahn und Wirkung
bis zu 24 h.
Kurz wirksame Insulinanaloga haben sich als unbedenklich in der Schwangerschaft erwiesen
[Mathiesen, Kinsely und Amiel 2007]. Eine Umstellung auf Insulinanaloga ist jedoch
nicht obligat, da das Schwangerschaftsergebnis nicht besser ist. Entscheidend ist
die Qualität der Blutzuckerkontrolle, die erreicht wird. Das Gleiche gilt auch für
langwirksame Analoga, wobei die Daten zur Unbedenklichkeit von Detemir [Mathiesen
2012a], besser sind als von Glargin [DDG2014].
Orale Antidiabetika Sulfonamide und Biguanide sind in Deutschland in der Schwangerschaft
weiterhin kontraindiziert, OAD sind nicht teratogen. Bei Gestationsdiabetikerinnen
gibt es inzwischen zunehmend Daten, die eine Unbedenklichkeit nahelegen. Es fehlen
jedoch Langzeitdaten der Kinder. Metformin ist hochgradig plazentagängig.
▪
Bei Kinderwunsch von Typ-2-Diabetikerinnen präkonzeptionell auf Insulin umstellen
▪
Bei Eintritt der Schwangerschaft unter OAD, OAD absetzen und unter BZ-Kontrolle Insulinpflichtigkeit
überprüfen. Oft durch verbesserte Compliance und Insulinsensitivität im 1. Trimenon
nicht nötig
▪
Im Einzelfall kann bei unzureichende Einstellung trotz sehr hoher Insulindosierung
in der Schwangerschaft Metformin Off-label use unterstützend gegeben werden.
17.4.4
Stoffwechselentgleisung – ketoazidotisches Koma
▪
Die Behandlung einer Koma, ketoazidotisches
Diabetes mellitus:ketoazidotisches KomaStoffwechselentgleisung mit ketoazidotischem
Koma sollte einer internistischen Abteilung mit Möglichkeit der Intensivmedizin vorbehalten
sein. Es ist jedoch möglich, dass sich eine Schwangere mit Ketoazidose wegen fehlgedeuteter
Symptome in einer Geburtsklinik vorstellt.
▪
Eine Ketoazidose mit suspektem bis path. CTG-Befund ist keine Ind. für eine Notfallsectio.
Primär sollte auf jeden Fall eine konservative Ther. versucht werden.
Klinik Die Diagnose „ketoazidotisches Koma“ fordert nicht obligat einen Antidiabetika,
oraleBewusstseinsverlust (= Koma), sondern definiert sich über die Konzentration der
Ketonkörper im Blut, die häufig den Normalwert 15-fach überschreiten.
▪
Oberbauchschmerzen: durch Ketonkörper hervorgerufene Pseudoperitonitis
!
Fehldeutung als akutes Abdomen (17.22), HELLP-Sy. (17.2.2), Wehentätigkeit, Appendizitis
▪
Evtl. Gastroparese mit Erbrechen → brettharter Bauch
▪
Tiefe, schnelle Atmung vom Typ Kußmaul mit Geruch nach Apfelmost
▪
Bewusstseinseintrübung möglich
▪
Exsikkose
▪
Schockindex > 1 (Puls/RRsyst.).
Diagnostik
▪
Azidose: ph < 7,1, BE < −5 mmol/l
▪
BZ-Werte: meist > 250 mg/dl. Je jünger die Pat., desto niedriger können die BZ-Werte
sein.
▪
Hyperkaliämie (Aufnahme von H+ in die Zellen, die dafür K+ abgeben), Kreatinin ↑,
Harnstoff ↑
▪
Urin-Stix: Falls wegen Exsikkose kein Urin gewonnen werden kann, kann auf Tränenflüssigkeit
ausgewichen werden. Die Ketonurie kann nach Behandlung lange anhalten.
Therapie
▪
Flüssigkeitsther.: über einen peripheren Zugang NaCl 0,9 % zunächst 500 ml im Schuss,
dann 1 l/h (Richtwert: 10 % des KG in l/12 h). Cave: Reentry-Ödeme wegen Na-Retention
durch Insulin → möglichst schnell auf orale Flüssigkeitszufuhr umstellen
▪
Insulinperfusor: 50 IE mit NaCl 0,9 % auf 50 ml auffüllen: Bolus 4–8 IE, dann 2–4
IE/h. BZ-Senkung um 50–100 mg/dl/h. Ziel-BZ 100–200 mg/dl
▪
Glukoseinfusion: ab BZ < 250 mg/dl Glukose 5 % mit 125 ml/h als Energieträger, um
die Lipolyse zu stoppen
▪
Kaliumsubstitution (Insulin → Kaliumeintritt ↑ in die Zellen): 20–40 mval/h (> 20
mval = 2. peripherer Zugang nötig). Stündliche Kontrollen des Kaliumspiegels
▪
Heparin: 3 × 5.000 IE/d s. c. wegen erhöhten Lungenembolierisikos.
17.4.5
Risiken für Mutter und Kind
Fetales Risiko
Embryonalphase Maternale Hyperglykämie während der Organogenese ist mit einem hohen
Risiko für kongenitale Fehlbildungen verbunden. Betroffen sind v. a. Herz (21 % der
bei Diabetikerinnen diagnostizierten Fehlbildungen 13.4), Urogenitalsystem (25 %,
13.7), das Skelettsystem, v. a. die Wirbelsäule (22,3 %) und ZNS (18 %, 13.1) [Martinez-Frias
1994, Schaefer-Graf et al. 2000]. Nicht nur die Inzidenz, auch die Anzahl der betroffenen
Organsysteme ist vom Grad der maternalen Hyperglykämie abhängig. In 18 % sind multiple
Organsysteme betroffen [Schaefer-Graf et al. 2000].
Wegen des erhöhten Risikos für Spina bifida wird präkonzeptionell die Einnahme von
4 mg Folsäure/d empfohlen.
2. und 3. Trimenon Die fetalen Komplikationen im späteren Verlauf lassen sich auf
die Entstehung eines fetalen Hyperinsulinismus zurückführen. Die Pathophysiologie
entspricht der des Gestationsdiabetes (17.5). Die auftretenden Komplikationen sind
vergleichbar mit den kindlichen Risiken beim Gestationsdiabetes (Tab. 17.18), sie
treten nur bei Typ-1- und -2-Diabetes wegen der meist ausgeprägten Hyperglykämie häufiger
auf. Das gilt v. a. für den intrauterinen Fruchttod (Kap. 19).
Die perinatale Mortalität liegt bei Schwangerschaften mit Typ-1-Diabetes je nach Literatur
bei 2,1–5,0 % [Jensen et al. 2009], OR 4,6 für IUFT und 1,7 für Tod in 1. Lj. [Tennant
et al. 2013] . Die Ätiologie des IUFT beim Diabetes ist nicht abschließend geklärt.
Es handelt sich um ein multifaktorielles Geschehen, das über eine akute intrauterine
Hypoxie zum Tod führt (Abb. 17.7
). Das Risiko für perinatale Mortalität ist assoziiert mit schlechter BZ-Einstellung
perikonzeptionell [Jensen et al. 2009] und während der Schwangerschaft, kongenitalen
Fehlbildungen und diabetischen Begleiterkr. der Mutter [Brecher 2002].
Abb. 17.7
Ätiologie von Wachstumsrestriktion, intrauterine:Diabetes mellitusIUGR und Fruchttod,
intrauteriner:Diabetes melllitusIUFT bei Diabetes mellitus
[L157]
Bei Schwangeren mit vaskulären Spätkomplikationen oder Hypertonus kann es wegen der
uterinen Minderperfusion trotz fetalen Hyperinsulinismus zur Wachstumsretardierung
kommen. Bei Wachstumsretardierung sollte eine zu straffe Stoffwechseleinstellung vermieden
werden (mittlere Blutglukose um 10–20 mg/dl anheben).
Fetale Überwachung
Sonografie Wegen des häufigen path. Wachstumsverhaltens im späteren Verlauf der Schwangerschaft
frühzeitig exakte Festlegung des Gestationsalters mittels Sonografie durchführen,
mit einer weiteren Kontrolle am Ende des 1. Trimenons zur Bestätigung des Gestationsalters
und ET. Zudem wegen erhöhten Abortrisikos die Vitalität überprüfen (Missed Abortion
Kap. 10).
Zwischen 11.–14. SSW erste Abklärung von grob morphologischen Fehlbildungen (z. B.
Sonografie:Diabetes mellitusAnenzephalus 12.3.1) im Rahmen der Messung der Nackentransparenz
(12.2) durchführen. Mittels Vaginalsonografie lässt sich bereits eine orientierende
Echokardiografie durchführen.
Diabetes allein ist keine Ind. für eine invasive pränatale Diagnostik, da Diabetes
keinen Einfluss auf Chromosomenaberrationen hat. Feindiagnostik jedoch obligat mit
DEGUM-II-Qualifikation.
Mit 19–22 SSW differenzierte Organdiagnostik, v. a. Beurteilung von Herzfehlbildungen,
die bei Diabetikerinnen nur von Untersuchern mit entsprechender Qualifikation (DEGUM
II) durchgeführt werden sollte.
Eine Biometrie wenigstens in 3-wöchigen Abständen durchführen. Bei hyperinsulinismusbedingter
Makrosomie kommt es wegen des vermehrten subkutanen Fettgewebes zu einem disproportionalen
Wachstum von Abdomen und knöchernen Strukturen zugunsten des Abdomens. Differenziert
werden muss dies von dem eher genetisch bedingten symmetrisch übermäßigen Wachstum
aller Strukturen. Bei einem Abdominalumfang > 75. Perzentil wegen des V. a. fetalen
Hyperinsulinismus die Stoffwechseleinstellung überprüfen. Zu Zeichen der diabetesspezifischen
Makrosomie siehe auch 17.4.8. Andererseits sollte bei einem AU < 25. Perzentile und
V. a. beginnende IUGR überprüft werden, ob die Stoffwechseleinstellung zu streng ist.
Vor der Entbindung sind die Erhebung eines Schätzgewichts und die Beurteilung des
Verhältnisses von Abdomen und Kopf empfehlenswert. Bei der Entscheidung für klinische
Konsequenzen wie einer primären Sectio berücksichtigen, dass bei Makrosomie das Gewicht
häufig unterschätzt wird, die Schätzgenauigkeit ist bei Diabetes nicht schlechter.
[Bernstein und Catalano 1992, IIa].
Dopplersonografie Es gibt keine über die üblichen Kriterien (5.3) hinausgehende Ind.
für Dopplersonografie bei Diabetikerinnen. Die existierenden Studien kommen zu uneinheitlichen
Befunden bezüglich einer Widerstandserhöhung bei diabetischen Schwangerschaften.
Studienlage
▪
Pulsatilitätsindex der A. umbilicalis: Es wird von erhöhtem PI [Fadda et al. 2001]
oder einer fehlenden Reduzierung des PI mit steigender SSW [Grunewald, Divon und Lunell
1996] berichtet, wobei z. T. Angaben über Begleiterkr. fehlen.
▪
In einer andere Studie, die sich auf Diabetikerinnen ohne vaskuläre Begleiterkr. beschränkte,
wurde kein höherer Resistenzindex in der A. umbilicalis gemessen als bei Nichtdiabetikerinnen
[Johnstone, Steel und Hadded 1992]. Es bestand keine Korrelation zu den maternalen
BZ-Werten.
Da es bei allen Studien auch bei normalen Befunden zu IUFT oder schlechtem neonatalen
Outcome kam, wird eine routinemäßige Dopplersonografie als nicht Dopplersonografie:Diabetes
mellitushilfreich zur Abschätzung des Risikos für IUFT und damit als nicht obligat
eingeschätzt. Bei einer mit Makrosomie einhergehenden diabetischen Fetopathie kommt
es nur zu quantitativen Veränderungen (systolische Peak-Geschwindigkeit ↑, mittlere
Flussgeschwindigkeit ↑) durch die größeren Strömungsvolumina, nicht zu qualitativen
Veränderungen im Sinne einer Widerstandserhöhung. Bei Wachstumsretardierung kann die
Dopplersonografie:maternale DiabetesDopplersonografie wertvolle Hinweise auf eine
Gefährdung des Fetus geben (Kap. 14).
CTG Sowohl über die Frequenz als auch über den Beginn regelmäßiger CTG-Kontrollen
wird diskutiert.
Studienlage
▪
In einer prospektiven Studie an > 2.000 Schwangeren mit Diabetes kam es innerhalb
von 4 Tagen nach CTG nicht zum intrauterinen Fruchttod (IUFT) [Kjos 1995].
▪
In einer anderen Studie kam es zu 3 IUFT 4–7 Tage nach CTG-Kontrolle.
▪
Eine Metaanalyse von 13 Studien ergab 49 IUFT innerhalb von 7 Tagen nach CTG [Lavery
1982].
▪
Die Wahrscheinlichkeit eines IUFT stieg mit dem Abstand zum letzten CTG [Brecher A
2002].
Daraus leitet sich die Empfehlung ab, ab 32. SSW 1–2 x/Wo. CTG-Kontrollen durchzuführen
[DDG 2014]. Die Häufigkeit der Kontrollen individuell dem fetalen und maternalen Risiko
anpassen.
Aus klinischer Erfahrung muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass das CTG nicht
geeignet ist, frühzeitig eine Gefährdung des Kindes durch diabetische Fetopathie oder
akute Plazentainsuff. zu erkennen. D. h., auch nach einem normalen CTG kann es bei
Diabetikerinnen zum IUFT kommen.
Messungen der pH-Werte der A. umbilicalis, gewonnen per Chordozentese, ergaben einen
limitierten prädiktiven Wert von CTG und biophysikalischem Profil für fetale Azidose
bei Schwangerschaften mit Diabetes [Salvesen et al. 1993].
Das CTG kann nur einen Hinweis auf eine besondere Gefährdung des Kardiotokografie:maternaler
DiabetesFetus geben, v. a. bei Wachstumsretardierung.
Maternales Risiko und Überwachung
Abgesehen von stoffwechselassoziierten Problemen (17.4.5) bestehen bei der Mutter
ähnliche Komplikationen wie bei GDM, wenn auch häufiger auftretend (Tab. 17.19).
Im Vordergrund steht die frühzeitige Erfassung von Infektionen (Kap. 18), sowohl vaginaler
als auch Harnwegsinfektionen. Abklärung auch geringgradiger Auffälligkeiten im Urin-Stix
sind empfehlenswert.
Das Risiko für Hypertonus/Präeklampsie/HELLP-Sy. (17.2) ist deutlich erhöht. Das individuelle
Risiko kann durch Dopplersonografie der Aa. uterinae und Messung des Präeklampsiefaktors
sFlt-1/PIGF bestimmt werden (17.2). Eine antihypertensive Ther. bei Diabetikerinnen
bereits bei diastolischen Blutdruckwerten von > 160/100 mmHg beginnen [DGGG 2013].
Bei Schwangeren mit Nephropathie (Albumin/Kreatinin-Ratio > 20 mg/g), auch wenn sie
erst während der Schwangerschaft aufgetreten ist, empfiehlt sich eine frühzeitige
antihypertensive Ther. mit Zielwerten 130/90 mg/dl [Nielsen et al. 2006]. Damit lässt
sich u. U. eine exazerbierte Präeklampsie mit Notwendigkeit der frühen Schwangerschaftsbeendigung
vermeiden [Mathiesen, Kinsely und Amiel 2007].
▪
Die prophylaktische Gabe von ASS 100 mg/d muss vor 16 SSW begonnen werden, um effektiv
zu sein.
▪
Die Intervalle der Termine zur Schwangerenvorsorge sollten während der gesamten Schwangerschaft
2 Wo. nicht überschreiten, um rechtzeitig entstehende Probleme zu erkennen.
17.4.6
Geburtshilfliches Vorgehen
Wahl des Entbindungsortes und vorstationäre Aufnahme Schwangere mit präexistentem
Diabetes oder insulinpflichtigem Gestationsdiabetes sollten nur in einer Geburtsklinik
mit Neonatologie entbunden werden [DDG 2014]. Den Neonatologen vorab über Besonderheiten
informieren. Eine Anwesenheit bei der Entbindung ist bei unkompliziertem Verlauf der
Geburt nicht nötig. Das Kind jedoch innerhalb von 24 h einem Neonatologen vorstellen.
Eine vorstationäre Aufnahme 2 Wo. vor Entbindung Diabetes mellitus:geburtshilfliches
Vorgehenzur engmaschigen CTG- und BZ-Kontrolle ist bei guter Einstellung, normosomem
Wachstum und unauffälligen CTG- und Dopplerbefunden nicht nötig. Ein Oxytocinbelastungstest
ist obsolet.
Einleitung, primäre und sekundäre Sectio Die Ind. zur Einleitung unterscheiden sich
grundsätzlich nicht von denen bei Schwangerschaften mit Gestationsdiabetes (17.5.11).
Über lange Zeit wurden Schwangere mit präexistentem Diabetes mit Erreichen von 37
SSW, z. T. sogar eher, eingeleitet. Da bei Feten mit diabetischer Fetopathie mit einer
verzögerten Lungenreife zu rechnen ist, erforderte dieses Vorgehen eine Amniozentese
zur Bestimmung der Lungenreife. Heute wird bei gut eingestellten Sectio:Diabetes mellitusSchwangeren
ohne geburtshilfliche Komplikationen eine Entbindung am Termin angestrebt. Muss dennoch
vor dem Termin eingeleitet werden, ist ab 37 SSW keine Bestimmung der Lungenreife
nötig [Kjos, Berkowitz und Kung 2002].
▪
Primäre Sectio: Diabetes ist per se keine Ind. zur primären Sectio. Bei einem Schätzgewicht
≥ 4.500 g (bei kleinen Frauen ≥ 4.200 g) ist jedoch wegen des hohen Risikos für Schulterdystokie
eine primäre Sectio angeraten, dabei ist die eingeschränkte Genauigkeit des US-Schätzgewichtes
zu berücksichtigen, unbedingt Zweituntersucher hinzuziehen.
▪
Sekundäre Sectio: Die Ind. zur sekundären Sectio bei Geburtstillstand (24.4) oder
auffälligem CTG (6.1) mit grenzwertigen Befunden in der Fetalblutanalyse (5.2) großzügig
stellen, da der Sauerstoffbedarf von Feten mit Hyperinsulinismus und diabetischer
Fetopathie erhöht ist und damit die Gefahr einer subpartalen Asphyxie.
Stoffwechseleinstellung während Einleitung und Entbindung
Während Einleitung und Entbindung analog zur Schwangerschaft BZ-Werte zwischen 90
mg/dl und 140 mg/dl anstreben.
Insulinbestimmungen im Nabelschnurblut zeigten einen deutlichen linearen Anstieg der
subpartalen fetalen Insulinsekretion mit steigenden maternalen BZ-Werten sub partu,
während bei Feten nicht diabetischer Mütter die Insulinsekretion konstant blieb.
▪
Maternale Hyperglykämie sub partu erhöht via Stimulation der fetalen Insulinproduktion
das Risiko für subpartale Azidose und neonatale Hypoglykämie.
▪
Eine Hypoglykämie der Mutter kann zum Nachlassen der Wehentätigkeit führen.
Am Morgen der Einleitung wird ½ der Dosis des lang wirksamen Insulins gespritzt. Das
gilt auch für die Zeit der gesamten Einleitung, der Bolus mit kurz wirksamem Insulin
bleibt unverändert. Den Blutzucker kurzfristig kontrollieren und mit kurz wirksamem
Insulin korrigieren. Bei Insulinpumpen wird empfohlen, die Basalrate bis zum Auftreten
von Geburtswehen unverändert zu lassen, evtl. auf ⅔ zu reduzieren bei starken Einleitungswehen.
Bei geplanter Sectio wird am Abend die gewohnte Basalmenge für die Nacht auf 75 %
reduziert, da bei nächtlicher/morgentlicher Hypoglykämie keine orale Aufnahme von
Kohlenhydraten möglich ist. Insulinpumpen sollten, am Oberarm befestigt, mit auf 50
% reduzierter Basalrate auch während der Sectio weiterlaufen.
Unter der Geburt:
▪
Alle 1–2 h BZ bestimmen
▪
Sub partu kein Depotinsulin verwenden. Korrektur sub partu durch s. c. Injektion von
Normalinsulin (Tab. 17.17). Es muss ein Klinikstandard für das sub- und postpartale
Management existieren.
▪
Bei Pumpenträgerinnen wird eine konstante stündliche Basalrate von 50 % programmiert
und mit Bolusgaben korrigiert.
▪
Orale Aufnahme von Kohlenhydraten wird bevorzugt, sonst Infusion von Glukose 5 % mit
125 ml/h zur Stabilisierung des Stoffwechsels.
Sobald die Plazenta geboren ist, sinkt der Insulinbedarf abrupt. Um eine maternale
Hypoglykämie zu vermeiden, muss die Insulindosierung der Pumpe weiter auf 30 % reduziert
werden.
Postpartale Betreuung des Neugeborenen Zur Vermeidung einer neonatalen Hypoglykämie
sollte das Kind innerhalb von 30 Min. nach der Entbindung an die Brust gelegt werden.
Alternativ erfolgt eine Frühestfütterung mit Maltodextrin 15 % [DDG et al. 2014].
Kolostrum stabilisiert den BZ besser als Maltodextrin. Es bestehen gute Erfahrungen
mit Verfütterung von vor der Entbindung eingefrorenem Kolostrum, das ab 37 SSW manuell
gewonnen werden kann. Hochprozentige Glukoselösungen fördern einen Hyperinsulinismus
und sollten vermieden Hypoglykämie:neonatalewerden. BZ-Kontrollen Abb. 27.1.
Sonstige Laboruntersuchungen und sonografische Untersuchungen (EKG, Schädel- und Nierensonografie)
sollten nur bei Ind. auf Anordnung des Neonatologen erfolgen. Eine diabetogene Kardiomyopathie
(Hypertrophie) findet sich bei 30 % der Kinder. Sie ist meist symptomlos und bildet
sich innerhalb der ersten Lebensmon. zurück.
17.4.7
Wochenbett und Stillzeit
Direkt post partum:
▪
BZ alle 4 h kontrollieren, auch in der Nacht
▪
In seltenen Fällen kann es auch zum schnellen Anstieg des Insulinbedarfs kommen.
Die Insulinpumpe sollte bei guter präkonzeptioneller Einstellung auf die Dosierung
von vor der Schwangerschaft gestellt werden oder es sollten 30–50 % der letzten Dosierung
von Kardiomyopathie:diabetogeneder Schwangerschaft beibehalten werden. Diese Dosierungsanpassung
gilt auch für Frauen mit ICT. Nach 24 h p.p. kann mit der Gabe von lang wirksamem
Insulin begonnen werden, es sollte zunächst weniger gespritzt werden.
▪
Bei präpartaler Vorstellung der Frau in der Geburtsklinik anraten, die Einstellung
vor der Schwangerschaft Wochenbett, Diabetes mellitusbereits in der Pumpe zu programmieren.
Optimalerweise sollte nach der Entbindung ein Diabetologe/Internist konsiliarisch
zur Beratung der Frau zu Verfügung stehen, alternativ ist die Möglichkeit einer telefonischen
Absprache mit dem behandelnden Diabetologen anzustreben.
▪
Bei stillenden Frauen muss damit gerechnet werden, dass ca. 25 % weniger Insulin benötigt
wird. Stillen ist ausdrücklich empfohlen bei Diabetikerinnen. Eine antepartale Stillberatung
ist sinnvoll, um Kolostrumgewinnung zu schulen und da bei Diabetikerinnen die Stillrate
insgesamt geringer ist , u. a. durch Verlegung der Kinder, verzögertem Milcheinschuss,
Problemen mit Insulineinstellung beim Stillen.
17.4.8
Diabetesrisiko der Kinder
Das Stillen:Diabetes mellitusRisiko für Typ-1-Diabetes hängt davon ab, welches Familienmitglied
erkrankt ist:
▪
Personen ohne familiäre Typ-1-Diabetes-Belastung: 0,3 %
▪
Personen mit familiärer Typ-1-Diabetes-Belastung:
–
Kind einer Mutter mit Typ-1-Diabetes: 3–5 %
–
Kind eines Vaters mit Typ-1-Diabetes: 5–7 %
–
Kind von Eltern, die beide an Typ-1-Diabetes erkrankt sind: Ca. 20 %
–
Kind, Diabetes mellitus:Risiko des Kindesdessen Geschwisterkind an Typ-1-Diabetes
erkrankt ist: 5 %
–
Kind, dessen eineiiger Zwilling an Typ-1-Diabetes erkrankt ist: 30–60 %.
Risikofaktoren Heute werden 3 Faktoren für die Entstehung von Typ-1-Diabetes verantwortlich
gemacht:
▪
Genetische Veranlagung: 20 Gene beeinflussen das Diabetesrisiko, das wichtigste Gen
für Typ-1-Diabetes liegt auf Chromosom 6. Es ist für die Struktur des HLA-Komplexes
verantwortlich. Durch Bestimmung der HLA-Gene lässt sich ein erhöhtes genetisches
Risiko erfassen.
▪
Umwelteinflüsse und Ernährung:
–
Der Autoimmunprozess beginnt bereits sehr früh in den ersten Lebensjahren. Als Risikofaktoren
werden die frühkindliche Ernährung, virale Erkr. v. a. des Darms und Impfungen diskutiert.
In der in Deutschland durchgeführten BABYDIAB-Studie an 2.500 Neugeborenen konnte
jedoch kein negativer Einfluss von Impfungen nachgewiesen werden. Deshalb wird in
Deutschland eine Impfung entsprechend den kinderärztlichen Richtlinien auch bei Kindern
von Diabetikerinnen empfohlen.
–
Die Stilldauer beeinflusst das Diabetesrisiko nicht. Da jedoch gezeigt wurde, dass
die frühzeitige Gabe von Getreide mit einer 5-fach erhöhten Inzidenz von Diabetes
bei den Kindern diabetischer Eltern verbunden ist, wird empfohlen, erst nach 6 Mon.
Getreide zu füttern. In 2 Studien wurde untersucht, ob sich bei Hochrisikokindern
durch eine veränderte Ernährung im 1. Lj. der Autoimmunprozess verhindern oder verzögern
lässt. Die Zufütterung von Getreide mit 6 oder 12 Mon. ergab keinen Unterschied der
Diabetesrate (BABYDIÄT). Die TRIGR-Study wird 2017 abgeschlossen, wenn das letzte
Studienkind 10 Jahre alt sein wird.
17.4.9
Kontrazeption bei Diabetikerinnen
Bei Diabetikerinnen ist eine sichere Kontrazeption wünschenswert, um ungeplante Schwangerschaften
ohne präkonzeptionelle Stoffwechseloptimierung und Sanierung von Spätschäden zu vermeiden.
Bei der Wahl der Kontrazeptionsmethode muss der Einfluss auf den Kohlenhydrat- und
Lipidstoffwechsel und das Vorliegen von diabetischen Spätkomplikationen berücksichtigt
werden:
▪
Niedrig dosierte orale Kombinations- oder reine Kontrazeptiva, orale:Diabetes mellitusGestagenpräparate
scheinen für Frauen ohne schwerwiegende Begleiterkr. unbedenklich zu sein.
▪
Bei Frauen mit GDM erhöhen reine Gestagenpräparate (Minipille) während der Stillzeit
genommen das Risiko für späteren Diabetes.
▪
Hormonale Langzeitkontrazeption mit Gestagenen kann wegen der unzureichenden Datenlage
nicht empfohlen werden. Bei KI gegen Östrogene auf orale Gestagenpräparate zurückgreifen.
▪
Der Gebrauch von Intrauterinpessaren bei Diabetikerinnen erscheint unbedenklich, da
ein erhöhtes Risiko für Infektionen und Ausstoßung nicht nachgewiesen wurde.
▪
Die Sterilisation der Frau oder des Partners ist die Methode der Wahl bei abgeschlossener
Familienplanung oder ausgeprägten diabetischen Spätkomplikationen.
17.5
Gestationsdiabetes (GDM)
Ute Schäfer-Graf und Franz Kainer
Diabetes mellitus vor der Schwangerschaft 17.4.
Definition Eine Glukosetoleranzstörung, die erstmals in der Schwangerschaft durch
einen erhöhten Nüchternglukosewert oder durch einen oralen 75-g-Glukosetoleranztest
(oGTT) unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Glukosemessung
aus venösem Plasma diagnostiziert wird, unabhängig davon, ob es sich um einen bislang
nicht diagnostizierten Diabetes mellitus handelt oder ob die Glukosetoleranzstörung
nur durch die GestationsdiabetesSchwangerschaft bedingt ist. Es spielt dabei auch
keine Rolle, ob die Glukosetoleranzstörung nach der Schwangerschaft bestehen bleibt
oder nicht.
Epidemiologie 2014 in Deutschland 4,4; seit 2011 relativ konstant abhängig von ethnischen
und geografischen Einflüssen.
Ätiologie Durch die plazentare Synthese von Steroid- und Proteohormonen entwickelt
sich eine physiologische maternale Gestationsdiabetes:DefinitionInsulinresistenz.
Der dadurch bedingte erhöhte Insulinbedarf kann bei Schwangeren mit GDM nicht mehr
gedeckt werden und es kommt zur Hyperglykämie. Cave: Eine latent vorhandene Störung
des Glukosestoffwechsels kann sich durch die Schwangerschaft manifestieren.
Risikofaktoren Dazu gehören u.a:
▪
Maternales Alter > 45 J.
▪
Ethnische Zugehörigkeit (hispanische, asiatisch Zugehörigkeit)
▪
Adipositas: Body-Mass-Index (KG [kg]/Größe [m2]) > 30
▪
Einnahme kontrainsulinärer Medikamente
▪
PCOS
▪
Anamnestische Hinweise: familiäre Belastung, Totgeburt, Aborte. Schwere kongenitale
Fehlbildung bei vorangegangener Schwangerschaft, diabetogene Fetopathie bei früherer
Schwangerschaft, Z. n. Geburt eines Kindes > 4.500 g
▪
Glukosurie im 1. Trimenon.
In den DGGG/DDG-Leitlinen [DDG 2011] ist bei Risiko für GDM/DM ein Screening bereits
bei Schwangerschaftsfeststellung empfohlen, um einen unerkannten Typ-2-Diabetes zu
erkennen.
Pathophysiologie Störung der materno-fetoplazentaren Glukose-Insulin-Homöostase. Der
Glukosetransport durch die Plazenta erfolgt nach dem Prinzip der erleichterten Diffusion.
Ein erhöhter Glukosespiegel bei der Schwangeren führt dementsprechend zu einer Hyperglykämie
des Fetus. Das permanente Gestationsdiabetes:RisikofaktorenÜberangebot von Glukose
an den Feten führt zur Überstimulierung der fetalen β-Zellen des Pankreas mit resultierendem
Hyperinsulinismus.
Das Auftreten eines fetalen Hyperinsulinismus ist aber nicht nur von der Höhe der
maternalen Glukosewerte abhängig, sondern auch vom Glukosetransport in der Plazenta
und der individuell unterschiedlichen Sensitivität des fetalen Pankreas auf Glukosereize.
Dies erklärt, warum Feten auch bei Gestationsdiabetes:Pathophysiologieguter Stoffwechselführung
der Mutter makrosom sein können und andererseits Feten auch bei schlechter Stoffwechseleinstellung
eine unauffällige Entwicklung zeigen können. Ein fetaler Hyperinsulinismus, fetalerHyperinsulinismus
kann bereits bei einem 1-Stunden-Wert von > 165 mg/dl im oGTT auftreten (Abb. 17.8
).
Abb. 17.8
Abhängigkeit des fetalen Hyperinsulinismus von den 1-h-Werten des oGTT [Weiß 2002]
[L157]
Neben dem fetalen Hyperinsulinismus kommt es in Abhängigkeit vom Schweregrad des GDM
zu ausgeprägten Plazentaveränderungen (Unreife der Plazentazotten mit Verdickung der
Basalmembran, Ödem und Sklerose des Zottenstromas, Gefäßthrombosen), die zu einer
Beeinträchtigung der fetalen Nährstoff- und Sauerstoffversorgung führen.
Klinik
▪
Gestationsdiabetes: Der Großteil der Schwangeren mit GDM weist keine klinischen Symptome
auf. I. d. R. finden sich auch anamnestisch keine Hinweise auf geburtshilfliche Risikofaktoren
(s. o.). Aus diesem Grund ist eine standardisierte, routinemäßige Testung aller Schwangeren
sinnvoll. Zudem ist z. B. eine Glukosurie ein ungeeigneter diagnostischer Parameter
für einen GDM, da sie in der Schwangerschaft durch eine veränderte Nierenschwelle
auch bei Stoffwechselgesunden auftreten kann und bei Schwangeren mit GDM wiederum
durch die nur geringe Hyperglykämie meist keine Glukosurie vorhanden ist.
▪
Erstmanifestation eines Diabetes in der Schwangerschaft: Selten kann sich ein Diabetes
mellitus erstmalig während der Schwangerschaft in Form einer diabetogenen Ketoazidose
manifestieren. Unspezifische Symptome (bei Auftreten in jedem Fall eine Glukosestoffwechselstörung
ausschließen) sind Erbrechen, Durstgefühl, Polyurie, abdominelle Beschwerden, Sehstörungen.
Diagnostik Für die Entwicklung eines Gestationsdiabetes sind eine Reihe von Risikofaktoren
bekannt (s.o.). Wird die Diagnostik aber nur infolge bestehender Risikofaktoren durchgeführt,
bleiben 30–40 % der Gestationsdiabetikerinnen unerkannt. Eine Untersuchung daher bei
jeder Schwangeren zwischen 24 und 28 SSW durchführen (Abb. 17.9
).
Ein generelles Screening auf GDM ist entsprechend der geänderten Mutterschaftsrichtlinie
von 3/2012 allen Schwangeren anzubieten. Vor dem Test sollte ein Merkblatt ausgegeben
werden, das über die KV erhältlich ist. Vorgesehen ist das Screening mittels 50-g-Suchtest.
Erst bei Überschreiten eines Grenzwertes von 135 mg/dl (7,5 mmol/l) soll ein 75-g-oGTT
durchgeführt werden.
Abb. 17.9
Vorgehen bei Screening auf Gestationsdiabetes
[L157]
Oraler 50-g-Glukose-Screening-Test: primärer Screening-Test.
▪
Durchführung zwischen 24 und 28 SSW
▪
Vorgehen: Unabhängig von der vorausgegangenen Nahrungszufuhr trinkt die Pat. innerhalb
von 5 Min. eine Testlösung (50 g Glukose gelöst in 200 ml Wasser). Nach einer Stunde
erfolgt eine Blutzuckermessung im venösen Plasma.
▪
Bewertung:
–
1-Stunden-Wert < 135 mg/dl (7,5 mmol/l): Kein Anhalt für Gestationsdiabetes
–
1-Stunden-Wert ≥ 135 mg/dl (7,5 mmol/l): V. Oraler 50-g-Glukose-Screening-Testa. Gestationsdiabetes
→ zeitnah einen oralen 75-g-Glukosetoleranztest durchführen
–
1-Stunden-Wert > 200 mg/dl: Diagnose Gestationsdiabetes ohne oGTT.
Problematisch ist die fehlende Bestimmung des Nüchternblutzuckerwertes. In der HAPO-Studie
war bei 50–70 % der Frauen mit GDM der Nüchternblutzucker erhöht, 33 % hatten isoliert
einen erhöhten Nüchternwert. Diese Frauen werden mit dem 50-g-Suchtest nicht erfasst.
Unabhängig von den anderen BZ-Werten im oGTT erwieß sich ein erhöhter Nüchternblutzucker
in der HAPO-Studie als mit Makrosomie, fetalem Hyperinsulinismus und neonataler Adipositas
assoziert.
Oraler 75-g-Glukosetoleranztest: Primärer Screening-Test oder diagnostischer Test
bei path. 50-g-Glukose-Screening-Test. Der oGTT als primäres Screening hat aber den
Vorteil, dass nur 1 Test für die Diagnosestellung ausreichend ist und die Grenzwerte
evidenzbasiert sind (HAPO-Studie).
▪
Durchführung zwischen 24 und 28 SSW
▪
Vorgehen: Die Pat. trinkt nach 8 h Nahrungskarenz innerhalb von 5 Min. eine Testlösung
(75 g Glukose gelöst in 300 ml Oraler 75-g-GlukosetoleranztestWasser oder entsprechend
vorbereitetes Oligosaccharidgemisch); 3 Tage vor dem Test soll eine normale Kohlenhydrataufnahme
erfolgen. Eine BZ-Kontolle erfolgt vor dem Test (nüchtern) sowie 1 h und 2 h nach
Trinken der Testlösung. Cave: Bei einem Nüchternwert von > 126 mg/dl liegt ein manifester
Diabetes vor und es sollte kein oGTT erfolgen.
▪
Bewertung:
–
Normwerte (venöses Plasma, gemessen mit plasmakalibrierten Geräten): Nüchtern-Wert
< 92 mg/dl (5,1 mmol/l), 1-Stunden-Wert: < 180 mg/dl (10,0 mmol/l), 2-Stunden-Wert
< 153 mg/dl (8,5 mmol/l)
–
1–3 Werte erhöht: bestehender Gestationsdiabetes. Die Diagnose läßt sich also bereits
bei einem erhöhten Nüchternwert stellen. Es sollte jedoch trotzdem ein oGTT durchgeführt
werden, zumindest mit Bestimmung des 1-h-Wertes.
–
Nüchternwert von > 126 mg/dl und /oder 2-h-Wert ≥ 200 mg/dl: Diabetes mellitus Typ
2 in der Schwangerschaft diagnostiziert
–
Grenzwertige Befunde: Den oGTT mehrfach zu wiederholen ist nicht sinnvoll, da im Fall
einer erforderlichen Ther. unnötig viel Zeit verstreicht. Es ist zielführender, bei
klinischen Befunden oder hohem Risiko für GDM 1 Wo. lang Tagesprofile unter Normalkost
durchführen zu lassen und bei erhöhten Werten wie bei GDM zu behandeln
Qualitätskontrolle bei Blutzuckerbestimmung
In den Mutterschaftsrichtlinien wird ausdrücklich eine Qualitätskontrolle gefordert:
▪
Point-of-care-Testgeräte müssen für die Diagnostik zugelassen sein.
▪
Geräte zur BZ-Selbstkontrolle für Pat. sind nicht zugelassen.
▪
Bei der Bestimmung im Labor müssen durch Verwendung von mit Citrat versetzten Abnahmesystemen
effiziente Maßnahmen zur Glukolysehemmung erfolgen. Diese verhindern zuverlässiger
die Glykolyse als Na-Flourid: Konzentrationsverlust nach 2 h (–0,3 vs. –4,5 %), nach
24 h (–1,2 vs. –7,0 %) [Gambino et al. 2009].
Blutzuckertagesprofil: Es wird für 1–2 Wo. ein 4-Punkte-Profil bestimmt (Nüchternwert
und je 3 postprandiale Werte). Bei stabilen normalen Werten ohne Insulinbedarf sind
im Verlauf 2 Tagesprofile/Wo. oder eine Messung am Tag zu unterschiedlichen Zeiten
ausreichend. Bei der Blutabnahme ist auf die exakte Einhaltung der zeitlichen Abstände
zu achten. Bei zu langem Abstand zwischen der Nahrungsaufnahme und der BZ-Bestimmung
können die Werte eine Normoglykämie Blutzuckertagesprofilvortäuschen.
▪
Nüchternwerte: 65–95 mg/dl (3,6–5,3 mmol/l)
▪
1-h-Werte: < 140 mg/dl (< 7,8 mmol/l)
▪
2-h-Werte: < 120 mg/dl (< 6,7 mmol/l).
HbA
1c
-Wert: HbA1c-Werte spielen in der Diagnostik des Gestationsdiabetes keine Rolle, da
der Anteil der falsch-positiven (41 %) und falsch-negativen Ergebnisse (26 %) so hoch
ist, dass die Bestimmung für die Routine ungeeignet ist. Bei V. a. eine unbekannte
vorbestehende Glukosetoleranz oder einen ausgeprägten Gestationsdiabetes kann die
Diagnose evtl. anhand der HbA1c-Werte zusätzlich gesichert werden bzw. die Stoffwechseleinstellung
überwacht werden.
▪
Ist nur der Nüchtern-BZ-Wert des oGTT leicht erhöht bei normalem Wert in den Tagesprofilen,
spricht das in erster Linie für eine nicht eingehaltene Nahrungskarenz und es kann
von weiteren BZ-Kontrollen abgesehen werden.
▪
Eine Lungenreifeinduktion mit Glukokortikoiden sowie eine Tokolyse mit β2-Sympathomimetika
können zu einem falsch path. oGTT führen. Daher wird der oGTT sinnvollerweise erst
1 Wo. nach Absetzen der Medikamente durchgeführt. Wird ein Belastungstest jedoch unter
Tokolyse und Glukokortikoidgabe durchgeführt, ist bei normalen Befunden ein Gestationsdiabetes
auf jeden Fall ausgeschlossen.
▪
Bei bekanntem GDM sollte unter Lungenreifeinduktion die Blutzuckerkontrolle intensiviert
werden, gegebenfalls ist eine kurzfristige Insulinther. nötig.
HbA1c
Fetale Überwachung bei Gestationsdiabetes
Sonografie: Die Makrosomie, als Spätfolge einer länger andauernden Hyperinsulinämie,
kann sonografisch erfasst werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht
jede Makrosomie durch einen GDM verursacht ist, sondern eine Makrosomie auch genetisch
bedingt sein kann 17.4.5.
Zeichen der diabetesspezifischen Makrosomie:
▪
Abdomenumfang:
–
Zunahme > 75. Perzentil [Hadlock et al. 1991]
–
Gestationsdiabetes:fetale ÜberwachungZunahme von > 1,2 cm/Wo. ist ab 32 SSW ein Hinweis
für ein beschleunigtes fetales Wachstum.
–
Eine Messung des AU sollte alle 3 Wo. erfolgen.
▪
Messung des subkutanen Fettgewebes (Wade, Wange, Oberschenkel, Bauchdecke): aufgrund
der schlechten Reproduzierbarkeit der Messwerte für die Routine noch nicht einsetzbar.
Jedoch prima vistam Beurteilung sinnvoll
▪
Fruchtwassermenge: kann ein Hinweis auf eine diabetogene Fetopathie sein. Die Variationsbreite
ist aber so groß, dass der Parameter für die klinische Überwachung keine wesentliche
Rolle spielt.
Dopplersonografie
▪
Aa. uterinae: Gestationsdiabetikerinnen haben ein höheres Risiko, eine Präeklampsie
(17.2.1) zu entwickeln → durch eine Dopplerflussmessung der Aa. uterinae frühzeitig
erfassbar (erhöhte Widerstandsindizes der Arteriae uterinae, „Notching“). Einsatz
von ASS 100 mg jedoch nur bei Beginn bis 16 SSW effektiv.
▪
A. umbilicalis: Eine diabetogene Fetopathie führt zu keiner Gestationsdiabetes:DopplersonografieVeränderung
der Widerstandsindizes in den fetoplazentaren Gefäßen. Eine Dopplersonografie:Gestationsdiabetesroutinemäßige
Blutflussmessung ist daher nicht erforderlich, jedoch sinnvoll bei V. a. eine intrauterine
Wachstumsretardierung (Kap. 14).
Die Fruchtwasserinsulinbestimmung im Rahmen einer Amniozentese (5.2.1) ist die zuverlässigste
und direkteste Methode, um einen fetalen Hyperinsulinismus nachzuweisen. Da die Gewinnung
jedoch einer Amniozentese bedarf, ist diese Diagnostik dem Einzelfall vorgehalten.
Kardiotokografie Bei der Beurteilung der CTG-Kurven gelten die gleichen Kriterien
wie bei stoffwechselgesunden Schwangeren (5.4). Eine frühzeitige Erfassung einer diabetogenen
Fetopathie ist mit dem CTG nicht möglich. Eine wöchentliche CTG-Kontrolle wird insbesondere
bei insulinflichtigem GDM ab 32 SSW empfohlen (Ausschluss vorzeitiger Wehentätigkeit,
Ausschluss der Hypoxie bei fetaler Wachstumsretardierung oder fetaler Makrosomie).
Die Häufigkeit der Kontrollen ist jedoch dem individuellen Risiko anzupassen.
Therapie
Therapeutische Strategie
1.
Kompetente Ernährungsberatung Blutzuckerselbstkontrolle
2.
Körperliche Aktivität, wenn aufgrund der Schwangerschaft keine KI vorhanden sind.
3.
Insulinther., falls mit den beiden ersten Maßnahmen keine zufriedenstellende Gestationsdiabetes:TherapieBlutzuckereinstellung
erreicht wird.
Ernährungsberatung:
▪
Verteilung der Nahrungsaufnahme auf 6 Mahlzeiten
▪
Eine ausgewogene an die Erfordernisse der Schwangerschaft und den kulturellen Hintergrund
angepasste Ernährung. In der klinischen Routine ist es hilfreich, die Ernährung 1
Wo. schriftlich festzuhalten und anschließend den weiteren Ernährungsplan mit einer
Ernährungsberaterin zu erarbeiten.
▪
Täglicher Energiebedarf einer gesunden Schwangeren: 30–40 kcal/kg KG
▪
Bei Übergewicht erfolgt in der Schwangerschaft keine Gewichtsreduktion, eine geringe
Gewichtsabnahme ist jedoch unproblematisch, falls keine Ketonurie (als Hinweis auf
eine katabole Ernährung:Umstellung bei GestationsdiabetesStoffwechselsituation) vorhanden
ist. Perzentilkurven zur empfohlenen Gewichtszunahme je nach maternalem Ausgangs-BMI
finden sich in der GDM-Leitlinie der DDG/DGGG.
–
BMI < 27: Kalorienzufuhr 35 kcal/kg KG
–
BMI > 27: Kalorienzufuhr etwa 25 kcal/kg KG
▪
Kohlenhydratanteil: 50–60 %, v. a. Kohlenhydrate mit einem niedrigen Glukoseindex
(Hülsenfrüchte, Reis, Teigwaren, Gemüse)
▪
Eiweißbedarf: Wegen des verborgenen Fettgehalts in Wurst und Aufstrichen v. a. durch
Fisch, Milchprodukte und mageres Fleisch decken
▪
Fettgehalt der Nahrung möglichst niedrig (ca. 15 %) halten; ungesättigte Fettsäuren
bevorzugen.
Körperliches Aktivität bei Gestationsdiabetes: körperliches Training (Ausdauersportarten,
Schwimmen, Fahrradergometer, 2.3) senkt die postprandialen BZ-Werte und sollte daher
empfohlen werden, wenn keine geburtshilflichen KI vorhanden sind [Bung et al. 1991].
Insulintherapie bei Gestationsdiabetes:
Eine Insulinther.Insulintherapie:Gestationsdiabetes
Gestationsdiabetes:Insulintherapie ist bei etwa 30 % der Gestationsdiabetikerinnen
erforderlich.
▪
Maternale Ind.: Nur bei wiederholtem Überschreiten der Grenzwerte des BZ-Tagesprofils
(> 50 % der Werte), bei normalem Abdominalumfang < 75. Perzentil eher zurückhaltend
mit Insulinther. Bei Wachstumsretardierung Zurückhaltung mit Insulinther., Heraufsetzen
der Zielwerte auf 105 mg/dl nüchtern und 160 mg/dl postprandial
▪
Fetale Ind. (unabhängig vom maternalen BZ-Wert):
–
Sonografisch dringender V. a. eine fetale asymmetrische Makrosomie (Abdomenumfang
> 75. Perzentil nach Hadlock et al. [1991]bei KU < 50. Perzentil)
–
Fetaler Hyperinsulinismus (> 8 μE/ml) bei der Fruchtwasserinsulinbestimmung (ab 28
SSW, 5.2) [Schaefer-Graf 2004]
▪
Insulinbedarf: aufgrund einer peripheren Insulinresistenz bei Gestationsdiabetikerinnen
meist höher als bei Typ-1-Diabetikerinnen, bis zu 1 IE Insulin/kg KG/24 h, häufig
gezieltes Abdecken nur einer Mahlzeit bevorzugt das Frühstück
▪
Vorgehen: Die Insulinther. sollte ambulant erfolgen.
–
Gabe von kurz wirksamem Insulin vor den Hauptmahlzeiten
–
Bei path. Nüchtern-BZ-Werten um 22 Uhr Gabe eines lang wirksamen Insulins
–
Es können sowohl Humaninsuline als auch Insulinanaloga verwendet werden. Für das Langzeitanalogon
Detemir ist die Datenlage bezüglich Unbedenklichkeit in der Schwangerschaft besser
als bei Glargin.
▪
Zielbereich der Blutzuckereinstellung:
–
Nüchtern-BZ 60–95 mg/dl (3,3–5,0 mmol/l).
–
Postprandiale BZ-Werte nach 60 Min. < 140 mg/dl (< 7,8 mmol/l), nach 120 Min. < 120
mg/dl (6,7 mmol/l)
Beispiel
▪
Gestationsdiabetikerin: 85 kg KG
▪
BZ-Werte: > 50% der Werte erhöht, Beeinflussung durch Ernährungsmodifikation und Bewegung
ausgeschöpft. Fetaler AU eher groß
–
Nüchtern: 100–110 mg/dl
–
Postprandial: 155–180 mg/dl
▪
Dosierung 1. Tag:
–
8 Uhr 8 IE Altinsulin
–
12 Uhr 8 IE Altinsulin
–
18 Uhr 8 IE Altinsulin
–
22 Uhr 8 IE Depotinsulin.
Eine Insulindosierung < 8 IE ist bei GDM wegen der hohen Insulinresistenz nicht sinnvoll,
desgleichen eine Steigerung um < 4 IE. Steigerung der Insulindosis in Abhängigkeit
von den BZ-Werten. Die Insulindosis pro Mahlzeit richtet sich in erster Linie nach
der aufgenommenen Kohlenhydratmenge. Bei schwankender KH-Menge lohnt eine BE-Schulung
und flexibles Schema mit BE:Bolus Verhältnis.
Orale Antidiabetika: Die Datenlage zum Einsatz von oralen Antidiabetika (z. B. Metformin;
Glibenclamid) in der Schwangerschaft hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert.
Nach der ersten Interventionsstudie (RCT) mit Glibenclamid 2000 [Langer et al. 2000]
ist 2008 eine große Studie mit Metformin erschienen [Rowan et al. 2008], die ebenfalls
ein vergleichbares Outcome wie unter Insulinther. zeigte. Die maternale Gewichtszunahmen
war jedoch unter Metformin deutlich geringer. Für die höhere Frühgeburtenrate (12,1
% vs 7,6 %) jedoch ohne höhere Verlegungsrate gibt es bisher keine Erklärung. Es folgten
viele kleinen Studien, z. T. auch randomisierte kontrollierte Studien zunehmlich mit
Metformin. Metaanalysen [Li et al. 2015a] bestätigten mit Ausnahme der Frühgeburtlichkeit
ein gleichwertiges bis besseres Outcome (Schwangerschaftshypertonie, Gewichtszunahme)
unter Metformin im Vergleich zur Insulinther. Eine Nachuntersuchung der 2-jährigen
Kinder der Rowanstudie [Rowan et al. 2011] erbrachte keine negativen Auswirkungen.
Metformin bei GDM gilt in einigen Ländern (England, Australien/Neuseeland, USA) bereits
als akzeptierte Primärther. bei erhöhten BZ-Werten. Da Metformin jedoch hochgradig
plazentagängig ist und Langzeitstudien bei den Kindern ausstehen, wird in Deutschland
eine Behandlung mit Metformin bislang nicht empfohlen.
Schwangerenvorsorge Die Betreuung bei diätetisch eingestellten Gestationsdiabetikerinnen
erfolgt nach den üblichen Richtlinien der MetforminMutterschaftsvorsorge (1.2.2).
Zusätzliche Untersuchungen sind nur bei Auftreten von Risikofaktoren (z. B. Hypertonie,
Makrosomie, Frühgeburtsbestrebungen) erforderlich. Die Betreuung von insulinpflichtigen
Gestationsdiabetikerinnen erfolgt entsprechend dem Vorgehen bei insulinpflichtigen
Diabetikerinnen (17.4).
Komplikationen Eine Entgleisung der Stoffwechselsituation (hyper-/hypoglykämisches
Koma) kommt bei insulinpflichtigen Gestationsdiabetikerinnen im Vergleich zu primär
insulinpflichtigen Diabetikerinnen (17.4) deutlich seltener vor, ebenso eine Ketoazidose
(17.4.4).
Wird ein GDM nicht diagnostiziert oder unzureichend behandelt, hat dies erhebliche
Risiken für Mutter und Kind. Bei kompetenter rechtzeitiger Ther. ist jedoch mit einem
normalen Verlauf von Schwangerschaft und Geburt sowie einer normalen Entwicklung des
Kindes zu rechnen.
Fetales Risiko Neben vorübergehenden Kurzzeitrisiken (Makrosomie, postnatale Hypoglykämie)
besteht auch ein erhöhtes Risiko für eine dauerhafte Beeinträchtigung (Langzeitrisiken)
des kindlichen Stoffwechsels (Tab. 17.16
).
Tab. 17.16
Komplikationen des Kindes bei Gestationsdiabetes:Komplikationen, fetaleGestationsdiabetes
Risiko
Bewertung
Intrauterin
Fehlbildungen (z. B. Herz, ZNS, Niere)
Gehäuft nur bei Nüchternwerten > 120 mg/dl [Schaefer-Graf 1997] und V. a. vorbestehenden
Diabetes
Diabetogene Fetopathie
Neben der Makrosomie besteht eine Reifungsverzögerung von Herz, Lunge, ZNS
Intrauteriner Fruchttod
Nur bei unzureichend behandeltem GDM, verursacht durch Entwicklungsstörung der Plazenta
Wachstumsretardierung
Tritt v. a. im Zusammenhang mit einer Präeklampsie und dadurch bedingter Plazentainsuffizenz
auf
Intrapartal
Erhöhtes Hypoxierisiko
Bedingt durch Plazentapathologie bei schlechter BZ-Einstellung (Zottenunreife mit
Ödem und Sklerose des Zottenstromas)
Geburtstrauma
Makrosomie führt zu einer erhöhten vaginal-op. Entbindungsrate mit erhöhtem Risiko
einer Schulterdystokie (25.3)
Postnatal
Schädigung des ZNS
Bei schwerer Hypoglykämie unmittelbar postnatal durch Wegfall der Glukosezufuhr über
die Nabelvene
Atemnotsyndrom
Unreife der Lunge
Hyperbilirubinämie
Unreife der Leber
Adipositas
Als Spätfolge des intrauterinen Hyperinsulinismus besteht bereits im Schulalter eine
verminderte Glukosetoleranz mit Adipositas durch eine intrauterine stoffwechselvermittelte
Prägung [Silvermann et al. 1995; Plagemann et al. 1997; Schaefer-Graf 2005]
Maternales Risiko
Tab. 17.17
.
Tab. 17.17
Komplikationen der Mutter bei Gestationsdiabetes:Komplikationen, maternaleGestationsdiabetes
Risiko
Bewertung
Abortneigung
Nur bei Nüchternwerten > 120 mg/dl (6,7 mmol/l)
Harnwegsinfektionen
Erhöhtes Risiko einer Pyelonephritis
Vorzeitige Wehentätigkeit
Vor allem bei schlechter Stoffwechseleinstellung
Präeklampsie
Erhöhtes Risiko insbesondere bei Adipositas
Entwicklung eines Typ-2-Diabetes
•
Nach 20 J. besteht bei 20–50 % ein Typ-2-Diabetes
•
Erkrankungsbeginn kann durch eine konsequente Ernährungsumstellung (Gewichtsreduktion)
sowie körperliche Aktivität hinausgezögert werden
•
50 % Wiederholungsrisiko für GDM in der nächsten Schwangerschaft
Geburtshilfliches Vorgehen und Wochenbett
Indikation zur Geburtseinleitung: Bestehen keine zusätzlichen Risikofaktoren (Präeklampsie,
IUGR, Makrosomie), kann bis zum errechneten Geburtstermin der spontane Wehenbeginn
abgewartet werden, bei diätetisch geführtem GDM kann eine Terminüberschreitung toleriert
werden.
▪
Die Entscheidung zur Geburtseinleitung erfolgt individuell und ist von fetalen (CTG,
5.4; Fruchtwassermenge; Dopplersonografie, 5.3; Biometrie, 12.2) und maternalen Gestationsdiabetes:Geburt
und WochenbettParametern (schlechte Stoffwechselführung; Präeklampsie, 17.2.1; Anamnese)
abhängig (24.2).
▪
Eine Ind. zur primären Sectio (25.5):
–
Aufgrund der unsicheren pränatalen Gewichtsschätzung sehr zurückhaltend
–
Ab einem geschätzten Geburtsgewicht von > 4.500 g ist mit der Schwangeren jedoch auch
eine primäre Sectio zu besprechen, da bei diabetogener Fetopathie das Risiko für eine
Schulterdystokie deutlich erhöht ist (Tab. 17.18
).
Tab. 17.18
Schulterdystokie und Diabetes Schulterdystokie:Gestationsdiabetesmellitus [Acker,
Sachs und Friedman 1985]
Geburtsgewicht
Stoffwechselgesunde Schwangere
Schwangere mit Diabetes mellitus
3.500–3.999 g
2,2 %
9 %
4.000–4.499 g
10 %
23 %
> 4.500 g
22 %
50 %
Bei diätetisch gut eingestellten Schwangeren ist eine routinemäßige Einleitung und
mütterliche Blutglukosekontrolle unter der Geburt nicht erforderlich.
Insulintherapie:
▪
Insulinther. während der Geburt: Bei einer Geburtseinleitung wird die Insulingabe
wie bei Diabetes reduziert, bei Wehenbeginn beendet.
–
Richtwert des BZ unter der Geburt beträgt 70–140 mg/dl.
–
Stoffwechselführung intrapartal entspricht der Betreuung von insulinpflichtigen Diabetikerinnen
(17.4.6). Es wird jedoch selten unter der Geburt Insulin benötigt.
▪
Insulinther. während des Wochenbetts: Die Gabe von Insulin wird mit der Geburt beendet.
BZ-Tagesprofil am 2. oder 3. Tag p. p. Bei diätetisch gut eingestellten Schwangeren
ist eine postpartale Blutglukosekontrolle nicht erforderlich, sie sollen aber nochmals
nachdrücklich auf die Wahrnehmung des Termins zum oGTT 6–12 Wo. nach der Geburt hingewiesen
werden.
–
Nüchtern-BZ-Wert > 110 mg/dl oder postprandiale Werte > 200 mg/dl: weitere individuelle
diabetologische Betreuung mit evtl. Insulinther. durch den Insulintherapie:peripartaleInternisten.
Bei grenzwertigen Befunden ist eine engmaschige Kontrolle der BZ-Werte erforderlich.
Die endgültige Entscheidung über die weitere Ther. ist vom Ergebnis des oGTT 6–12
Wo. nach der Geburt abhängig.
–
Werte im Normbereich: oGTT nach 6–8 Wo.; Beurteilung und Ther. entsprechend der Diabeteskriterien
außerhalb der Schwangerschaft. Weitere Kontrollen in Form eines oGTT erfolgen alle
2 J.
▪
Beurteilung des oGTT 6–12 Wo. p. p.
–
Normwerte: Nüchtern-BZ < 100 mg/dl (< 5,6 mmol/l), 2-h-Wert < 140 mg/dl (< 7,8 mmol/l)
–
Gestörte Glukosetoleranz: Nüchtern-BZ 100–109 mg/dl (5,6–6,1 mmol/l), 2-h-Wert 140–199
mg/dl (7,8–11,0 mmol/l)
–
Diabetes mellitus: Nüchtern-BZ > 110 mg/dl (> 6,2 mmol/l), 2-h-Wert > 200 mg/dl (>
11,1 mmol/l).
Bei hohem Risiko für die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes (schlanke Frauen, erhöhte
Nüchtern-BZ-Werte, Entwicklung des GDM bereits im 1. Trimenon, path. BZ-Tagesprofil-Werte
im Wochenbett) ist die Bestimmung von Auto-AK gegen β-Zellen (Anti-GAD, Anti-IA2,
Anti-ICA) zur Abschätzung des postpartalen Risikos für einen Typ-1-(Autoimmun-)Diabetes
sinnvoll. Bei isoliert sehr hohen Nüchtern-BZ-Werten in der Schwangerschaft bei schlanken
Frauen sollte an einen Mody-2-Diabetes gedacht werden.
Postnatale Betreuung des Neugeborenen Jedes Neugeborene einer Schwangeren mit GDM
muss postnatal aufgrund von zusätzlichen Risikofaktoren (Hypoglykämie, Hypokaliämie,
Hyperbilirubinämie, Polyglobulie, Hypomagnesiämie, Lungenunreife) besonders überwacht
werden (17.4.8), unabhängig davon, ob die Schwangere diätetisch oder mit einer Insulinther.
behandelt wurde.
▪
BZ-Kontrolle: nach 2 h, 6 h und 12 h, sofern die Werte im Normbereich liegen [DGGG
et al. 2010].
▪
Frühes Anlegen innerhalb von 30 Min. kann das Auftreten von Hypoglykämien verringern.
▪
Bei zusätzlichen Risikofaktoren (Makrosomie, Wachstumsretardierung, schlechte BZ-Einstellung
während der Schwangerschaft) das Neugeborene im Kreißsaal durch einen Kinderarzt betreuen
lassen.
Forensische Gesichtspunkte
▪
Übersehene Fehlbildungen bei Diabetes mellitus und Schwangerschaft: Eine erhöhte Fehlbildungsrate
bei Gestationsdiabetikerinnen ist ab einem Nüchternwert von > 120 mg/dl beschrieben.
Fehlbildungen des Herzens stehen im Vordergrund. Eine entsprechende Beratung mit entsprechend
kompetenter Fehlbildungsdiagnostik hat zu erfolgen.
▪
Schulterdystokie: Die erhöhte Rate von Schulterdystokien bei diabetogener Fetopathie
bei einem geschätzten Geburtsgewicht > 4.000 g ist mit der Schwangeren zu besprechen.
Dabei soll neben dem Risiko der Schulterdystokie auch auf die Problematik der fetalen
Gewichtsschätzung eingegangen werden. Ab einem Geburtsgewicht von > 4.500 g sollte
eine Schnittentbindung angeraten werden.
17.6
Herzerkrankungen
Franz Kainer
▪
Der Herzerkrankungenüberwiegende Anteil von Herzerkr. bei Schwangeren hat bei entsprechender
Betreuung während der Schwangerschaft und Geburt eine sehr gute Prognose.
▪
Einige Erkr. haben eine hohe maternale Mortalität (z. B. bei Eisenmenger-Sy., komplizierter
Aortenisthmusstenose, Marfan-Sy.).
▪
Das Risiko kann meist bereits vor der Schwangerschaft zuverlässig eingeschätzt werden
→ daher ist eine präkonzeptionelle Beratung von Frauen mit Herzerkr. unbedingt anzustreben.
Epidemiologie Schwangerschaften werden in 1 % durch kardiovaskuläre Erkr. kompliziert.
▪
In Deutschland beträgt die jährliche Rate von Schwangeren mit kardiologischen Erkr.
etwa 6.000 (ca. jede 130. Schwangerschaft).
▪
Erworbene Herzerkr. (z. B. rheumatische Mitralstenose): Häufigkeit in Regionen mit
guter medizinischen Betreuung rückläufig.
▪
Angeborene Herzfehlbildungen: bis zu 70 % der Fälle [Oakley et al 2003]. Durch die
Verbesserung der Ther. angeborener Herzfehlbildungen erreichen zunehmend mehr Frauen
ein gebärfähiges Alter mit entsprechendem Kinderwunsch.
▪
Durch die Alterszunahme von schwangeren Frauen ist mit einer erhöhten Prävalenz von
ischämischen Erkr., bedingt durch Diabetes mellitus, Nikotin, atherogene Risikofaktoren
(orale Antikonzeption, Hypercholesterinämie), zu rechnen. Der Anteil von Schwangeren
> 35 J. ist innerhalb der letzten 10 J. von 10 % auf 20 % gestiegen.
Das Risiko des Fetus für eine Herzfehlbildung ist bei maternaler Herzfehlbildung erhöht.
Es beträgt ca. 6 % [Regitz-Zagrosek 2008; Siu et al. 2002].
Pathophysiologie
Kardiale Belastung in der Schwangerschaft: Die physiologischen Kreislaufveränderungen
der Schwangeren sind gekennzeichnet durch eine hyperdyname Kreislauffunktion bei vermindertem
peripherem Gefäßwiderstand und gleichzeitiger Hämodilution [Moll 2001].
▪
Volumenzunahme:
–
Durch hormonelle Veränderungen mit Relaxation der glatten Muskulatur der Blutgefäße,
begleitet von der Ausbildung der Plazenta, kommt es bereits ab der 5. SSW zu einer
Zunahme des Schwangerschaft:kardiale BelastungPlasmavolumens. Im 1. Trimenon erfolgt
die Zunahme des Blutvolumens durch eine Natrium- und Wasserretention.
–
Die Blutvolumenzunahme erreicht mit 32 SSW das Maximum (+ 50 %).
–
Das Plasmavolumen nimmt im Vergleich zum Volumen der zellulären Bestandteile (+ 20
%) stärker zu.
▪
Herzgrößenzunahme und Steigerung des Schlagvolumens infolge des erhöhten Volumenangebots
▪
Anstieg des Herzzeitvolumens (HZV):
–
In der 1. Schwangerschaftshälfte v. a. durch Erhöhung des Schlagvolumens
–
In der 2. Schwangerschaftshälfte zusätzlich durch eine Erhöhung der Herzfrequenz (um
10–30 Schläge/Min.)
–
HZV beträgt mit 32 SSW ca. 7 l/Min. (normal: Bei 60 Schlägen/Min. 4,2 l/Min.) und
steigt unter der Geburt auf über 10 l/Min. an.
▪
Der erniedrigte periphere Gefäßwiderstand und die erhöhte kardiale Förderleistung
führen zu typischen Blutdruckveränderungen. Der systolische Blutdruck fällt bis zur
Mitte der Schwangerschaft ab und erreicht gegen Ende der Schwangerschaft wieder die
Ausgangswerte.
Kardiale Belastung unter der Geburt:
▪
Volumenerhöhung von ca. 500 ml durch die Expression des Blutes aus dem uterinen Gefäßgebiet
durch die Wehentätigkeit
▪
Durch den Wehenschmerz zusätzlich weitere Erhöhung des HZV durch Zunahme der Herzfrequenz
und des Schlagvolumens sowie Hypertonie
▪
Erhöhung von systolischen und diastolischen Blutdruckwerten während der Wehentätigkeit
(+ 20 mmHg), ZVD erhöht sich um 15–20 mmHg.
▪
Eine verminderte Oxygenierung Geburt:kardiale Belastungunter Wehenbelastung kann zu
einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Herzfunktion (v. a. bei bei zyanotischen Vitien)
führen.
▪
Austreibungsphase:
–
Belastung wird noch extremer.
–
Allein durch das Mitpressen wird das HZV um 50 % erhöht und der ZVD erreicht Werte
bis 60 mmHg, Blutdruckspitzen bis 200 mmHg sind möglich → außergewöhnliche Belastung
für das kardiovaskuläre System
–
Dadurch nimmt der Sauerstoffverbrauch bis auf das 3-Fache zu.
▪
Unmittelbar postpartal besteht eine starke Kreislaufbelastung durch die abrupte Verkleinerung
des uterinen Gefäßgebietes und den vermehrten venösen Rücktransport aus den unteren
Extremitäten durch die Entlastung der Vena cava inferior.
▪
Zusätzlich führt die Mobilisierung des retinierten Körperwassers zu einer Blutvolumenzunahme.
▪
Die kardiopulmonale Adaptation bleibt nach der Geburt noch mehrere Wochen bestehen
und bildet sich erst nach etwa 12 Wo. zurück [Moll 2001].
Klinik Klinische Beurteilung des Schweregrades einer Herzinsuff. durch Einteilung
nach NYHA in 4 Gruppen (Tab. 17.19
). Maternales Risiko:
▪
NYHA I und II:
–
Etwa 90 % der Pat.
–
Maternale und kindliche Prognose ist sehr gut.
–
Es kann jedoch in der Schwangerschaft zu einer Verschlechterung in der Klassifikation
kommen.
▪
NYHA III und IV: Großteil der Fälle mit maternaler Mortalität findet sich in diesen
NYHA-Klassen.
Tab. 17.19
Einteilung der Herzinsuff. nach HerzinsuffizienzHerzinsuffizienzNYHA
Klasse
Symptomatik
I
BeschwerdefreiheitNormale körperliche Belastung ohne DyspnoeKeine RhythmusstörungKeine
Angina-pectoris-Beschwerden
II
Leichte Einschränkung der LeistungsfähigkeitBeschwerden bei stärkerer körperlicher
Belastung
III
Deutliche Einschränkung der LeistungsfähigkeitBeschwerdefreiheit in RuheBeschwerden
bei leichter körperlicher Belastung
IV
Beschwerden bereits in Ruhe
Für die Beurteilung des maternalen Risikos in der Schwangerschaft ist auch die Einteilung
der Risikogruppen nach Somerville hilfreich (Tab. 17.20
).
Tab. 17.20
Risikoklassifikation von angeborenen Herzfehlern in der Herzfehler:RisikoklassifikationHerzfehler:RisikoklassifikationSchwangerschaft
nach Somerville
Gruppe
Beispiel∗
Alltagsfähigkeit
Risiko in der Schwangerschaft
I
Geheilt bei Z. n. problemloser OP (z. B. ASD)
Volle Alltagsfähigkeit in Beruf, Familie und Freizeit
•
Gering
•
Keine Bedenken gegen eine Schwangerschaft
II
Z. n. erfolgreich operierten Vitien (Fallot-Tetralogie, Aortenklappenersatz, Aortenisthmusstenose,
VSD), kleine nicht operierte VSD, ASD II, mäßige Obstruktionen des rechtsventrikulären
Ausflusstrakts, mäßige Aortenklappeninsuff.
Selbstständige Haushaltsführung, jedoch Einschränkung im Beruf und beim Sport
•
Mäßig erhöht
•
Betreuung an spezialisiertem Zentrum regelmäßige Zusammenarbeit mit Internisten
III
Nur partiell operierte zyanotische Vitien, Aorten-, Mitralstenose
Hilfe im Haushalt erforderlich, deutliche Einschränkung im täglichen Leben, keine
Berufstätigkeit, starke Einschränkung bei Freizeitaktivitäten
•
Erheblich
•
Betreuung an spezialisiertem Zentrum
IV
Pulmonale Hypertension, komplizierte Aortenisthmusstenose, Marfan-Sy. mit Aortenbeteiligung
Pflegebedürftigkeit, erhebliche Einschränkung der Alltagsfähigkeit
•
Vitale maternale Gefährdung
•
Schwangerschaft kontraindiziert
∗
VSD = Ventrikelseptumdefekt, ASD = Atriumseptumdefekt
Diagnostik Routinemäßig folgende Parameter bei kardialen Problemen erheben:
▪
Anamnese: körperliche Belastbarkeit, Risikofaktoren (Cholesterin, Rauchen, Hypertonus,
Diab. mell., familiäre Belastung), Medikamentenanamnese, Nykturie?
▪
Auskultation und Inspektion: periphere Ödeme, Zyanose, Pulsstatus, Auskultation der
Lunge (feuchte Rasselgeräusche). Uhrglasnägel sind typische Zeichen einer chron. Herzinsuff.
Bei auffälliger Anamnese oder Untersuchung erfolgt eine weitergehende Diagnostik (Sonografie,
Dopplersonografie) durch einen Kardiologen.
▪
EKG: primär als Basisdiagnostik, im Verlauf, um Veränderungen (z. B. Vorhofbelastung)
wahrzunehmen.
▪
Belastungs-EKG: Falls erforderlich, nur im Rahmen der präkonzeptionellen Diagnostik.
Cave: In der Schwangerschaft wegen der möglichen fetalen Beeinträchtigung kontraindiziert.
▪
Herzkatheteruntersuchungen nur in der präkonzeptionellen Diagnostik (Strahlung, Kontrastmittel!)
einsetzen.
Während der Schwangerschaft ist meist die Sonografie mit Dopplersonografie zur Diagnostik
ausreichend. Ausnahme sind notwendige interventionelle Eingriffe wie Klappensprengungen,
Septumverschluss oder PTCA bei Koronararterienverschluss.
Betreuung vor und während der Schwangerschaft
Eine präkonzeptionelle Beratung ist anzustreben. Der Großteil der Pat. kommt jedoch
erst nach eingetretener Schwangerschaft zur Risikoeinschätzung.
▪
Bei Herzfehlbildungen mit hoher Sterblichkeit der Mutter (z. B. Eisenmenger-Sy.) Beendigung
der Schwangerschaft diskutieren.
▪
Bei operablen Herzfehlbildungen OP möglichst nicht während der Schwangerschaft durchführen.
Abhängig vom Schweregrad der Erkr. (Tab. 17.20) erfolgt eine individuelle interdisziplinäre
Betreuung:
▪
Gruppe NYHA I:
–
Vorgeschriebene Mutterschaftsvorsorgeuntersuchungen
–
Geburt kann vaginal erfolgen.
▪
Gruppe NYHA II:
–
Geburt kann vaginal erfolgen
–
Eine Herzerkrankungen:Betreuung vor und während der SchwangerschaftAntibiotikaprophylaxe
ist angezeigt bei: Herzklappenprothesen, angeborenen Vitien, Kardiomyopathie, rheumatischen
Herzklappenerkr., Mitralklappenprolaps mit mitraler Regurgitation.
▪
Gruppen NYHA III/IV:
–
Intensivierte Betreuung in ausgewiesenen kardiologischen Zentren
–
Intensität der geburtshilflichen Betreuung erfolgt in Abhängigkeit vom fetalen Wachstum
(Dopplermessung der Aa. uterinae mit 22 Antibiotikaprophylaxe:HerzerkrankungenSSW,
fetale Wachstumskontrolle alle 4 Wo.). Als Geburtsmodus ist die geplante Sectio zu
empfehlen.
Betreuung während der Geburt
Vaginale Geburt:
▪
Rückenlage vermeiden (Vena-cava-Kompressions-Sy.).
▪
Ausreichende Schmerzfreiheit (PDA):
–
Wichtiger Faktor, um Blutdruck- und Herzfrequenzschwankungen zu vermeiden
–
Anwenden, falls keine KI bestehen (Antikoagulation).
–
Bei fehlender Reservekapazität des Kreislaufsystems tritt eine Erschöpfungsreaktion
unter Wehenschmerzen deutlich früher auf, dies kann durch frühzeitigen Einsatz der
PDA verhindert werden.
▪
Bei V. a. Rhythmusstörungen kontinuierliches EKG-Monitoring anwenden.
▪
Protrahierte Austreibungsperiode oder forcierte Pressphase vermeiden → großzügig Vakuumextraktion
empfehlen.
Kreislaufbelastung ist bei einer Spontangeburt größer als bei einer Sectio.
Sectio:
▪
Auf einen möglichst geringen Blutverlust achten.
▪
Herzerkrankungen:Betreuung während der GeburtEine rasche Sympathikolyse mit peripherer
Vasodilatation und Blutdruckabfall kann bei stenosierenden Vitien dramatische Auswirkungen
haben. Deshalb ist bei stenosierenden Vitien die Allgemeinnarkose das Mittel der Wahl.
▪
In allen anderen Fällen ist die Periduralanästhesie der Spinalanästhesie vorzuziehen,
da die PDA durch den langsamen Wirkungseintritt besser steuerbar ist und auch postop.
eine optimale Schmerzausschaltung ermöglicht.
▪
Bei bereits in Ruhe vorhandenen Insuffizienzzeichen (NYHA IV) eine geplante Sectio
bevorzugen, obwohl die Kreislaufbelastung im Rahmen der Sectio auch zu einer Dekompensation
führen kann.
Betreuung im Wochenbett Nach der Geburt ist auch das Wochenbett ein kritischer Zeitpunkt,
in dem es zu einer kardialen Dekompensation kommen kann.
Durch die Kontraktion des Uterus und das Aufheben der Kava-Kompression kommt es zu
einer plötzlichen Erhöhung des venösen Rückstroms. Zusätzlich führt eine verstärkte
intravasale Wiederaufnahme von extravasaler Flüssigkeit zu einer weiteren Erhöhung
des Blutvolumens. Eine exakte Flüssigkeitsbilanzierung nach intensivmedizinischen
Standards mit Einfuhr-/Ausfuhrkontrolle sowie Messung des Körpergewichts ist erforderlich.
In Fällen mit möglicher Rechtsherzbelastung ist eine Überwachung des ZVD angezeigt.
Verlauf:
▪
Die physiologische Hämodynamik ist innerhalb von 12 Wo. nach der Geburt wiederhergestellt.
▪
Risikogruppen I und II: Keine Langzeitfolgen zu erwarten. Es Herzerkrankungen:Betreuung
im Wochenbettbestehen keine Bedenken gegen eine weitere Schwangerschaft.
▪
Risikogruppe III und IV: Eine weitere Schwangerschaft auf jeden Fall vermeiden.
Prognose
Tab. 17.21
.
Tab. 17.21
Maternales Mortalitätsrisiko bei kardialen Erkr. in der Schwangerschaft in Abhängigkeit
von der Herzfehlbildung (ACOG)
Gruppe
Mortalität
Herzfehlbildung
I
> 1 %
Vorhofseptumdefekt, Ventrikelseptumdefekt, offener Ductus arteriosus, operierter Fallot,
Mitralstenose, NYHA I und II
II
5–15 %
Klappenersatz, Mitralstenose (NYHA III, IV), Aortenstenose, Aortenisthmusstenose,
nicht korrigierter Fallot, Marfan-Sy. mit normaler Aorta, vorangegangener Herzinfarkt
III
25–50 %
Pulmonale Hypertension, komplizierte Aortenisthmusstenose, Marfan-Sy. mit Aortenbeteiligung
Evidenzbasierte Medizin
Tab. 17.22
.
Tab. 17.22
Evidenzbasierte Medizin zu Herzerkr. in der Herzerkrankungen:EBMHerzerkrankungen:EBMSchwangerschaft
Aussage
Grad der Evidenz
Literatur
Bewertung
Präkonzeptionell
Interdisziplinäre Zusammenarbeit sinnvoll
IV
V. Regitz-Zagrosek 2008
Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie interdisziplinäre Zusammenarbeit
verbessert die Prognose für Mutter und Kind
Optimierung der medikamentösen und chirurgischen Behandlung
III
Desai, Adanlawo und Naidoo 2000
Observationsstudie an 128 Schwangeren, die den Wert der präkonzeptionellen Ther. aufzeigt
Pränatal
Dauer-Antikoagulation bei künstlichen Herzklappen mit Warfarin
IIb
Chan, Anand und Ginsberg 2000
Review-Artikel von 28 ArtikelnHeparinsubstitution zwischen 6 und 12 SSW verhindert
Warfarin-Sy.Orale Antikoagulation erniedrigt Mortalitäts- und Thromboserisiko
Intrapartal
Lagerung der Wehenden in linker Seitenlage oder aufrechter Position
III
Desai, Adanlawo und Naidoo 2000
Observationsstudie an 128 Schwangeren mit Mitralstenose
Wochenbett
Vermeidung von überhöhter Flüssigkeitszufuhr
IV
V. Regitz-Zagrosek 2008
Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
17.6.1
Rheumatische Herzerkrankungen
Die MitralstenoseMitralstenose ist der häufigste rheumatisch bedingte Herzklappenfehler.
Verlauf in der Schwangerschaft
▪
Hämodynamische Auswirkungen sind von der Klappenöffnungsfläche abhängig. Da in der
Schwangerschaft eine Zunahme des HZV bei Abnahme der Diastolendauer stattfindet, ist
immer mit einer Verschlechterung (um 1–2 NYHA-Klassen) zu rechnen.
▪
Neben einer Zunahme der klinischen Insuffizienzzeichen kann durch den erhöhten Druck
im linken Vorhof ein Vorhofflimmern induziert werden.
▪
Erhöhte Rate von Frühgeburten und intrauteriner Herzerkrankungen:rheumatischeWachstumsretardierung.
Diagnostisches Vorgehen Dopplerkontrolle (transmitraler Gradient, pulmonaler Widerstand)
alle 4 Wo.
Therapie
▪
Klappenöffnungsfläche > 1,5 cm2:
–
Medikamentöse Ther. meist ausreichend.
–
Körperliche Schonung (Reduzierung der Herzfrequenz) mit Flüssigkeits- und Kochsalzrestriktion
erforderlich.
–
Kardioselektive Betablocker (Metoprolol, Atenolol) führen durch eine Herzfrequenzsenkung
und Verlängerung der diastolischen Füllungszeit zu einer Verbesserung der linksatrialen
Druckerhöhung. Die Dosierung erfolgt individuell, wobei Metoprolol in der Schwangerschaft
das Mittel der 1. Wahl ist (25–50 mg/d als Startdosis).
▪
Klappenöffnungsfläche < 1,5 cm2:
–
Gefahr eines Lungenödems oder einer Rhythmusstörung
–
Bei Zeichen einer Lungenstauung Schleifendiuretika (Furosemid 20–80 mg/d p. o.) und
Nitrate anwenden.
–
Bei therapierefraktärer Tachykardie mit hämodynamischer Beeinträchtigung Elektrokardioversion
(50–100 J) notwendig, da bei beeinträchtigter maternaler Hämodynamik auch mit einer
fetalen Unterversorgung zu rechnen ist.
▪
Klappensprengung:
–
Ist bereits zu Beginn der Schwangerschaft eine deutliche klinische Symptomatik vorhanden,
so ist eine Klappensprengung im 2. Trimenon indiziert.
–
Bei bestehenden klinischen Symptomen und/oder pulmonaler Hypertonie ist die perkutane
Klappensprengung auch im 3. Trimenon die Methode der 1. Wahl.
▪
Chirurgische Klappeninterventionen sollten außerhalb der Schwangerschaft erfolgen,
da sie mit einer fetalen Mortalität von 20–30 % einhergehen.
Entbindung
▪
Bei leichter bis mittelgradiger Stenose kann eine vaginale Geburt unter PDA und großzügiger
Ind. zur Vakuumextraktion erfolgen.
▪
Bei schweren Verlaufsformen eine elektive Sectio unter optimalen intensivmedizinischen
Bedingungen durchführen.
17.6.2
Herzklappenerkrankungen
Mitralklappeninsuffizienz
▪
Bei einer chron. Mitralklappeninsuff. kommt es durch die schwangerschaftsbedingte
periphere Vasodilatation selten zu Komplikationen.
▪
Bei Symptomen ist eine Diuretikatherpie mit strenger Indikationsstellung zur Volumenentlastung
indiziert (z. B. Furosemid 20–80 mg/d p. o.).
▪
Eine chirurgische Klappenintervention ist bei gegebener Ind. auch während der Schwangerschaft
möglich.
Mitralklappenproplaps
▪
MitralklappeninsuffizienzEs kann zum Auftreten von supraventrikulären Extrasystolen
kommen, deshalb Kaffee, Alkohol, Nikotin oder betamimetische Medikamente vermeiden.
▪
Besteht zusätzlich eine mitrale Regurgitation, ist intrapartal eine Endokarditisprophylaxe
angezeigt.
Komplexe Vitien
Risiko Schwangere mit einem nur partiell operierten zyanotischen Vitium (Pulmonal-Trikuspidalatresie,
Transposition der großen Gefäße, „double outlet right ventricle“, „double outlet left
ventricle“, „single ventricle“) haben ein deutlich erhöhtes Risiko.
Prognose
▪
Schwerwiegende maternale Komplikationen möglich: Arrhythmien, Herzinsuff., Thromboembolien.
▪
Hohe Rate (57 %) von Aborten, Frühgeburten und fetalen Fehlbildungen (Eisenmenger-Sy.)
▪
Wegen des hohen Risikos für Mutter und Kind ist von einer Schwangerschaft abzuraten.
▪
Bei bestehender Schwangerschaft aus maternaler Ind. frühzeitig zur Abruptio raten.
▪
Es besteht eine bis zu 50-prozentige maternale Letalität.
Herzklappenersatz
Die hämodynamischen Auswirkungen der Schwangerschaft und der Geburt werden nach Herzklappenersatz
generell gut toleriert [Lawley et al. 2015]. Entscheidend ist eine ausreichende Antikoagulation
während der gesamten Schwangerschaft → zuverlässig mit Kumarinen (Vitamin-K-Antagonisten)
erreichbar.
Kumarine
Die größte Sicherheit für die Mutter besteht, wenn Kumarine auch im 1. Trimenon gegeben
werden [Hanania 2001]. Das gering erhöhte Fehlbildungsrisiko wurde lange Zeit überbewertet
und es besteht bei festgestellter Schwangerschaft unter Kumarinther. keine Ind. zur
Beendigung der Schwangerschaft.
Wird eine Spontangeburt angestrebt, so erfolgt ab 36 SSW eine volle gerinnungshemmende
niedermolekulare Heparinther., um das Risiko einer fetalen Hirnblutung unter Herzklappenersatzder
Geburt zu vermeiden. Muss bei bestehender Kumarinther. eine unmittelbare Sectio durchgeführt
werden, Antagonisierung mit FFP durchführen. Da keine generellen Leitlinien zur Antikoagulation
bei künstlichen Herzklappen vorliegen, das Vorgehen individuell abstimmen.
17.6.3
Herzfehlbildungen
Vorhofseptumdefekt
Ein Vorhofseptumdefekt wird meist auch bei großem Rechts-links-Shunt gut toleriert.
Schwangere, die klinisch auffällig werden, müssen individuell betreut werden (medikamentöse
Ther. bei Arrhythmien, katheterinterventionelle Verschluss-OP).
Ventrikelseptumdefekt
Wenn vor der Schwangerschaft keine Beeinträchtigung durch den VSD vorhanden war, sind
auch während der VorhofseptumdefektSchwangerschaft keine wesentlichen Probleme zu
erwarten.
Aortenstenose, Aortenisthmusstenose
▪
Komplikationen während der Schwangerschaft sind sehr selten.
▪
Hauptrisiko ist eine schwere Hypertonie mit Herzinsuff.
▪
VentrikelseptumdefektAuch Aortendissektionen mit zerebralen Blutungen sind beschrieben.
▪
Bei erforderlicher op. Intervention erfolgt eine Stentimplantation.
Fallot-Tetralogie (TOF)
▪
Besteht Aortenisthmusstenoseein zyanotisches Vitium, ist die Prognose bei AortenstenoseHämoglobinwerten
< 16 g/dl und bei einer linksventrikulären Auswurffraktion von > 35–40 % als günstig
einzustufen.
▪
Bei nur partiell korrigierter TOF kann es in der Schwangerschaft durch den vermehrten
venösen Rückstrom zu einer Erhöhung des rechtsventrikulären Drucks kommen. → Restdefekte
daher nach Möglichkeit vor einer geplanten Schwangerschaft chirurgisch korrigieren.
▪
Fallot-TetralogieBei bereits vorhandener Zyanose kommt es zu einer erhöhten Rate von
Aborten, Frühgeburten und fetaler Wachstumsretardierung
Marfan-Syndrom
▪
Bei kardialer Beteiligung besteht aufgrund der drohenden Aortendissektion oder -ruptur
ein sehr hohes Risiko für Mutter und Kind.
▪
Bei dilatierter Aorta (> 4 cm) besteht daher eine medizinische Ind. für einen Schwangerschaftsabbruch.
▪
Bei ausgetragener Schwangerschaft erfolgt die Geburt durch eine Sectio.
▪
Einen erforderlichen Ersatz der Mitralklappen oder Aortenersatz vor einer geplanten
Schwangerschaft Marfan-Syndromdurchführen.
▪
Nach einem Klappenersatz sind problemlose Schwangerschaften möglich.
17.6.4
Erworbene Herzerkrankungen
Herzinfarkt
Epidemiologie
▪
Während der Schwangerschaft sehr selten
▪
Es ist jedoch durch den Anstieg des maternalen Alters während der Schwangerschaft
mit einer Zunahme von ischämischen Herzerkr. zu rechnen.
Diagnostik und Therapie Bei V. a. einen Herzinfarkt die Schwangere rasch in einem
kardiologischen Zentrum vorstellen, um ggf. eine perkutane transluminale Stentimplantation
durchzuführen.
Da dem Infarkt häufig eine Dissektion der Koronararterien zugrunde liegt, primär keine
Antikoagulation durchführen.
Prognose Maternale und kindliche Mortalität trotz interventioneller Techniken hoch.
Entscheidend ist eine rasche Diagnose und adäquate Ther.
Rhythmusstörungen
RhythmusstörungenRhythmusstörungen (supraventrikuläre, ventrikuläre Extrasystolen)
treten in der Schwangerschaft häufig auf und haben keine path. Bedeutung. Eine Ther.
ist bei herzgesunden Schwangeren mit „Herzjagen“ nicht erforderlich.
Herzrhythmusstörungen infolge einer Herzerkr.:
▪
Gefährdende Komplikationen: v. a. paroxysmale Tachykardien sowie Vorhofflimmern mit
Kammerarrhythmien
▪
Tokolyse mit Sympathomimetika ist kontraindiziert.
▪
Bei Therapieind. sind Betablocker das Mittel der HerzinfarktWahl.
▪
Elektrokardioversion bei bedrohlichen Fällen mit schneller Überleitung (1:1-Überleitung)
erwägen.
Peripartale Kardiomyopathie
Epidemiologie und Vorkommen Selten. Tritt im 3. Trimenon bis 5 Mon. nach der Geburt
bei vorher gesunden Frauen auf.
Pathophysiologie Es kommt zum Versagen der Pumpleistung des linken Ventrikels, wobei
es innerhalb von wenigen Tagen zur Dekompensation der Kreislauffunktion mit raschem
Versterben kommen kann.
Ätiologie Unklar. Auto-AK, Virusmyokarditis sowie hormonelle Veränderungen werden
diskutiert.
Klinik Dyspnoe, Tachykardie, präkardiale Beschwerden, Kardiomyopathie:peripartaleÖdeme,
Husten. Cave: anfangs meist als typische Schwangerschafts- oder Wochenbettbeschwerden
fehlgedeutet.
Diagnostik Bei V. a. eine kardiale Erkr. frühzeitig EKG und Sonografie durchführen,
um rechtzeitig mit einer kompetenten Ther. zu beginnen.
Therapie
▪
Antikoagulation
▪
Klassische Ther. der Herzinsuff.: Vermeiden einer Hyperhydratation, Betablocker, Kalziumantagonisten,
ACE-Hemmer, Nitrate
▪
Immunsuppression mit Immunglobulinther. bei möglicher viraler Genese
▪
Bei Auftreten vor der Geburt baldige Entbindung durch Sectio.
▪
Pränatal ACE-Hemmer und Immunsuppressiva nur in Ausnahmefälle anwenden.
▪
Bei rascher Verschlechterung ist die Herztransplantation die einzige Therapieoption.
Prognose Die Langzeitprognose hängt von der Entwicklung der Herzfunktion innerhalb
der ersten 6 Mon. ab. Eine persistierende Kammerdilatation geht mit einer schlechten
Prognose einher [Regitz-Zagrosek 2008].
▪
Besteht bereits außerhalb der Schwangerschaft eine dilatative Kardiomyopathie, ist
von einer Schwangerschaft abzuraten. Bei bereits eingetretener Schwangerschaft zur
Abruptio raten, wenn die EF < 50 %.
▪
Eine hypertrophe Kardiomyopathie wird während der Schwangerschaft meist gut toleriert.
17.7
Entzündliche Lungenerkrankungen in der Schwangerschaft
Thomas Grubert
17.7.1
Pneumonien
Entzündliche Lungenerkr. in der Schwangerschaft sind relativ selten. Die verfügbaren
Daten zeigen keinen wesentlichen Unterschied bezüglich der Inzidenz der Erkr. bei
schwangeren und nicht schwangeren Frauen, sind aber bei Schwangeren mit erhöhter Morbidität
und Mortalität assoziiert.
Verschiedene immunologische und physiologische Veränderungen bei Schwangeren können
zu Infektionen im Respirationstrakt prädisponieren und die Immunantwort auf respiratorische
PneumoniePathogene schwächen.
Pneumonien sind die häufigsten schwerwiegenden, nicht geburtshilflichen Infektionserkr.
bei Schwangeren, insbesondere bei einer präexistenten Immunsuppression (z. B. durch
HIV-Infektion, 18.1.2). Diagnostik und Ther. sind zwar häufig erschwert, entsprechen
aber im Wesentlichen der bei nicht schwangeren Erwachsenen und müssen lediglich bei
zu befürchtender fetaler Schädigung modifiziert werden.
Pneumonien sind bei mit einer Reihe von Komplikationen, wie Meningits, Arthritis,
Emphysembildung, Endokarditis, Sepsis, Herzversagen, ARDS und Nierenversagen assoziiert,
die bei Schwangeren und Nichtschwangeren gleich häufig auftreten. Darüber hinaus können
bei Schwangeren jedoch verschiedene schwangerschaftsassoziierte Komplikationen auftreten.
Die häufigsten sind vorzeitige Wehentätigkeit und Frühgeburtlichkeit. Es besteht zudem
ein erhöhtes Risiko für eine fetale Wachstumsretardierung [Sheffield und Cunningham
2009].
Epidemiologie Inzidenzraten in Studien der letzten 20 Jahre gleichbleibend zwischen
0,4–2,7 pro 1.000 Entbindungen [Brito und Niederman 2011]. Cave: Die beschriebene
Inzidenz ist erheblich von der Anzahl der Pat. innerhalb der jeweiligen Studienkohorten
abhängig, die bereits chron. Grunderkr. oder andere Risikofaktoren wie HIV-Infektionen
oder Drogenkonsum mitbringen. Deren Anzahl liegt in den Studien deutlich über der
in einer Normalpopulation zu erwartenden. Die wirkliche Inzidenz im Bevölkerungsquerschnitt
dürfte daher deutlich, d. h. eine Zehnerpotenz, darunter liegen [Lim, MacFarlane und
Colthorpe 2001].
Offenbar unterscheidet sich die Inzidenz von „community-acquired pneumonia“ (CAP)
bei Schwangeren nicht grundlegend von der bei Nichtschwangeren.
Erreger Eine Lungenentzündung entwickelt sich, wenn Krankheitserreger in das Lungenparenchym
eindringen und die Immunabwehr gestört ist. Die Erreger von Pneumonien die außerhalb
klinischer Einrichtungen auftreten (community-acquired pneumonia – CAP) sind bei Schwangeren
und Nichtschwangeren i. d. R. dieselben.
Eine Reihe von typischen bakteriellen und viralen Erregern (s. u.) kommt als Ursache
für die meisten antepartalen Pneumonien infrage. Für spezifische Patientengruppen
(immunsupprimierte, hospitalisierte und Pat. mit pulmonalen Vorerkr.) besteht darüber
hinaus ein erhöhtes Risiko für pilzbedingte oder parasitäre Pneumonien.
Pneumonien können nach dem auslösenden infektiösen Agens eingeteilt werden in bakterielle,
atypische und virale Pneumonien.
Zeitpunkt
▪
Am niedrigsten scheint das Pneumonierisiko im 1. Trimenon zu sein: 0–16 % der beschriebenen
Fälle
▪
Das durchschnittliche Gestationsalter bei Auftreten einer Pneumonie lag zwischen 24
und 31 SSW [Madinger, Greenspoon und Ellrodt 1989; Yost et al. 2000].
Risikofaktoren Bezüglich des maternalen Alters und der Parität wurden keine Unterschiede
bei den Schwangeren, die an einer Pneumonie erkrankten, im Vergleich zu gesunden Schwangeren
festgestellt [Yost et al. 2000].
Als Risikofaktoren für antenatale Pneumonien wurden identifiziert:
▪
Anämie: In einer Fall-Kontroll-Studie an 59 Pat. mit Pneumonie während der Schwangerschaft
und 118 gesunden Kontrollen ergab die Multivarianzanalyse für Pneumonie:RisikofaktorenFrauen
mit Anämie (Hkt. < 30 %) ein 5-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko [Munn et al. 1999].
Dies unterstützt die Hypothese einer älteren Untersuchung, wonach eine Anämie < 10
g/dl evtl. einen Risikofaktor darstellt [Benedetti, Valle und Ledger 1982]. Eine andere
Arbeit konnte jedoch nicht bestätigen [Richey et al. 1994].
▪
Präexistente Lungenerkr.: In den o. g. Untersuchungen ergab sich übereinstimmend,
dass ein vorbestehendes Asthma bronchiale ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung
einer Pneumonie in der Schwangerschaft ist.
▪
Betamethason zur Induktion der kindlichen Lungenreife: In den o. g. Studien wurde
gezeigt, dass Schwangere mit Pneumonie häufiger Betamethason zur Induktion der fetalen
Lungenreife erhalten hatten [Munn et al. 1999]. Das Ergebnis wurde von einer Fall-Kontroll-Studie
bestätigt, die zeigte, dass der Einsatz von Kortikosteroiden zur Reduktion der Morbidität
und Mortalität von Frühgeborenen mit einer deutlich höheren Rate von infektiösen Erkr.
der Mutter verknüpft war (64,8 % vs. 17,5 % bei den Kontrollen), hierunter auch 4
Fälle einer Pneumonie bei ansonsten gesunden Frauen.
▪
Tokolyse: Evtl. ist eine Tokolyse mit einem höheren Risiko für eine Pneumonie assoziiert.
Tokolytisch aktive Substanzen fördern zudem die Entwicklung eines Lungenödems. Bei
bestehender Pneumonie können sie deshalb der Entwicklung einer respiratorischen Insuff.
Vorschub leisten → bei diesen Pat. nicht anwenden [Goodrum 1997].
▪
Rauchen: etablierter Risikofaktor für Lungenentzündungen bei Nichtschwangeren
▪
HIV-Infektionen und Drogenabusus: Risikofaktoren für Lungenerkr.
Pathophysiologie Verschiedene physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft
können das Auftreten entzündlicher Lungenerkr. erleichtern und deren Verlauf ungünstig
beeinflussen. Dies gilt v. a. beim Vorliegen bestimmter chron. Grunderkr., v. a. Asthma
bronchiale und eine HIV-Infektion der Mutter.
▪
Modifizierte zellvermittelte Immunantwort: Die Veränderungen zielen v. a. auf den
Schutz des Fetus vor dem Immunsystem der Mutter:
–
Verminderte lymphoproliferative Reaktion, v. a. im 2. und 3. Trimenon
–
Abnahme der Aktivität der natürlichen Killerzellen und der zytotoxischen T-Zellen
–
Verschiebung der T-Zell-Populationen mit einer Abnahme der zirkulierenden T-Zellen
–
Der Trophoblast produziert Substanzen, die die Erkennung fetaler MHC-Antigene blockieren
[Baley und Schacter 1985; Bulmer und Hancock 1977; Chardonnens und Jeannet 1980, Sridama
et al. 1982].
–
Evtl. können auch verschiedene Hormone, die während der Schwangerschaft in erhöhter
Konzentration auftreten, die zellvermittelte Immunfunktion einschränken (Progesteron,
hCG, AFP, Kortisol). → Erhöhung des Risikos v. a. für Viren- und Pilzinfektionen
▪
Zwerchfellhochstand: Durch den sich vergrößernden Uterus Zwerchfellhochstand bis zu
4 cm oberhalb der normalen Position, dadurch signifikante Ausdehnung des knöchernen
Thorax [Nyhan, Quigley und Bredin 1983]. Cave: Einschränkung der Fähigkeit der Mutter
zum Abhusten von Sekret
▪
Abnahme der funktionellen Residualkapazität: Bei Schwangeren nimmt die funktionelle
Residualkapazität der Lunge ab, der Sauerstoffverbrauch und der Wassergehalt jedoch
zu, was zusätzlich zu einer gesteigerten Vulnerabilität der Lunge durch Infektionen
beiträgt.
▪
Erhöhtes Risiko für Magensaftaspiration durch verschiedene schwangerschaftsassoziierte
Veränderungen:
–
Progesteroninduzierte Erschlaffung des gastroösophagealen Sphinkters (wichtigster
Faktor)
–
Verzögerte Magenentleerung
–
Steigerung des intragastrischen Drucks durch die zunehmende Uterusgröße
–
Geburtshilfliche und anästhetische Eingriffe mit endotrachealer Intubation
Klinik
▪
Dyspnoe: Ein bei Schwangeren häufiges Phänomen, das bei 50 % im 1. Trimenon und bei
bis zu 76 % im 3. Trimenon auftritt [Milne, Howie und Pack 1978]. Ein mögliches Erkennungsmerkmal
der „physiologischen Dyspnoe“ bei Schwangeren ist, dass sie meist früh in der Schwangerschaft
beginnt und in Terminnähe ihren höchsten Stand erreicht oder bereits besser wird.
Sie behindert i. d. R. nicht die normale tägliche Aktivität und tritt nur selten in
Ruhe auf.
▪
Thoraxbeschwerden können ebenfalls in späteren SSW auftreten und sind evtl. eine Folge
mechanischer Effekte des vergrößerten Uterus und des Zwerchfellhochstandes [Burlew
1990]. Auch hier kann eine Differenzierung zu tatsächlich path. Beschwerden schwierig
sein.
▪
Husten: Üblicherweise kein Schwangerschaftssymptom. Auftreten ist immer verdächtig
und Anlass zur klinischen Ursachensuche.
▪
Rasselgeräusche über den unteren Lungenfeldern: gelegentlich auch bei gesunden Schwangeren
hörbar, vermutlich als Folge einer Atelektasebildung durch die Kompression der unteren
Lungenabschnitte durch den schwangerschaftsbedingten Zwerchfellhochstand [Zeldis 1992].
Diagnostik Pneumonien werden bei sonst gesunden Erwachsenen auf der Grundlage ihrer
klinischen Symptome (v. a. Dyspnoe, Fieber und Husten), ihrer epidemiologischen Faktoren
und mit Hilfe laborchemischer Tests diagnostiziert.
Die klinischen Symptome einer Pneumonie bei Schwangeren unterscheiden sich nicht von
denen bei nicht schwangeren Frauen.
Eine anfängliche Fehldiagnose bei Schwangeren ist nicht selten. In der von Yost et
al. [2000] beschriebenen Kohorte von 133 Fällen bei Schwangeren wurden 14 (10,5 %)
initial fehldiagnostiziert. In diesen fehldiagnostizierten Fällen waren 2 Fälle von
Pyelonephritis sowie 2 Fälle von vermeintlichen Appendizitiden enthalten. In einer
älteren Untersuchung wurden sogar 20 % initialer Fehldiagnosen beschrieben.
Diese schwierige Diagnosestellung bei Schwangeren spiegelt die Komplexität der Unterscheidung
zwischen solchen Symptomen wider, die lediglich im Zusammenhang mit den physiologischen
Veränderungen in der Schwangerschaft stehen, und solchen, die mit den Symptomen einer
Erkr. zusammenhängen. Die betroffenen Pat. selbst können Symptome einer Pneumonie
als schwangerschaftsbedingt werten und deshalb unter Umständen erst relativ spät einen
Arzt aufsuchen.
Radiologische Diagnostik Letztlich kann eine Pneumonie auch in der Schwangerschaft
nur mittels Rö-Thorax gesichert werden. Die Strahlendosis einer Standard-AP-Aufnahme
bei einer Spannung von 90–120 kV beträgt ca. 5 × 10–5–30 × 10–5 Gy. Die absorbierte
Dosis für Uterus und Fet beträgt ca.
1
100
dieser Dosis, also ca. 300 × 10-6 Gy [Diethelm und Xu 1996]. Eine seitliche Aufnahme
hat eine größere maternale Strahlendosis von 150–250 × 10–5 Gy und wird normalerweise
nicht benötigt.
Labordiagnostik
▪
Bakterielle Pneumonie: i. d. R. mikrobiologische Routinebefunde von Sputumuntersuchungen
und Blutkulturen diagnoseweisend. Serologische Daten sind oft nur von sekundärem Interesse.
Oft ist schon eine einfache Gramfärbung wegweisend.
▪
Atypische Pneumonie: Diagnose unter Umständen sehr schwierig:
–
M. pneumoniae: Die als Goldstandard geltende Kultur von Sputum oder Trachealaspirat
dauert ca. 10 Tage. Serologische Untersuchungen sind daher für den klinischen Alltag
am nützlichsten: IgM-Messung durch KBR, indirekte Immunfluoreszenz oder IgM-capture-EIA
–
Chlamydia pneumoniae: Ist schwierig zu kultivieren, deshalb Titerverläufe mittels
Immunfluoreszenztest oder KBR bestimmen
–
Legionellen: durch direkte Fluoreszenz-AK-Markierung, PCR und Kultur nachweisbar
–
Influenzaviren: können aus Rachenabstrichen kultiviert werden. Es stehen eine Reihe
serologischer Tests zur Verfügung.
–
Pneumocystis jiroveci: Diagnose in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert worden,
da der Mikroorganismus in bronchoalveolärer Lavageflüssigkeit oder in Biopsien mittels
spezieller Färbetechniken mit einer hohen Sensitivität nachweisbar ist.
Differenzialdiagnostik
▪
Dyspnoe: physiologische, schwangerschaftsbedingte Dyspnoe, Asthma bronchiale, Lungenembolie
(17.3) oder Fruchtwasserembolie (24.6)
▪
Husten und/oder Atemnot: Lungenembolie (17.3)
▪
Zu anderen schattengebenden Röntgenbefunden:
–
Nicht kardial bedingtes Lungenödem bei Präeklampsie (17.2) und Eklampsie
–
Sekundäres Lungenödem infolge Tokolysebehandlung
–
Aspirationspneumonie
–
Seltenen pulmonal metastasiertes Chorionkarzinom.
Spezielle klinisch/diagnostische Befunde in Abhängigkeit vom infektiösen Agens
Bakterielle Pneumonien
▪
S. pneumoniae: verantwortlich für 30–50 % aller CAP bei Erwachsenen (häufigster identifizierter
Keim)
–
Klinik: Husten und Auswurf (gelbliches, grünes oder gelegentlich auch blutig tingiertes
Sputum), begleitet von Fieber und Schüttelfrösten.
–
Rö-Thorax: evtl. bronchopneumonische oder lobäre Infiltrate mit positivem Bronchoaerogramm.
Exsudative Pleuraergüsse sind nicht Pneumonie:bakterielleungewöhnlich.
–
Blutkultur: bei ca. 25 % Streptococcus pneumoniaepositiv.
In den USA und verschiedenen europäischen Mittelmeerländern sind bereits bis zu 40%
der S.-pneumoniae-Isolate minder empfindlich, bzw. resistent gegen die gängigen, zur
Pneumoniebehandlung eingesetzten Antibiotika. In Deutschland kommen diese resistenten
Keime derzeit noch deutlich seltener vor (<10%).
▪
H. influenzae: ebenfalls Ursache von Pneumonien in der Schwangerschaft. Frauen mit
chron. Bronchitis und anderen chron.-obstruktiven Lungenerkr. sind hoch empfänglich
für diesen Keim. Klinik vergleichbar mit der bei S. pneumoniae. Bakteriämien sind
häufig.
▪
M. catarrhalis: findet sich häufig im oberen Respirationstrakt und ist fakultativ
pathogen. Pat. haben häufig präexistente Lungenerkr.
–
Haemophilus influenzae
Klinik: relativ leichter Krankheitsverlauf mit mäßigem Fieber, produktivem Husten
–
Rö-Thorax: Fleckige alveoläre Infiltrate
▪
S. aureus: Oft entwickelt sich eine Staphylokokken-Pneumonie als Sekundärinfektion.
–
Moraxella catarrhalis
Klinik: abrupt einsetzende Fieberschübe, Schüttelfrost, produktiver Husten und pleuritische
Thoraxschmerzen.
–
Rö-Thorax: fleckige Infiltrate möglich
!
Bei i. v. Drogenabhängigen an eine Rechtsherzbeteiligung mit septischer Absiedlung
in die Lunge denken.
▪
K. pneumoniae: klassischer Staphylococcus aureusHospitalkeim. Häufig bei Pat. mit
chron. Alkoholkrankheit und Diabetes mellitus. Rö-Thorax: Pleuraergüsse und Kavitationen
sind typisch.
▪
C. burnetii: Selten. Erreger des Q-Fiebers, häufig mit respiratorischen Symptomen
[Pebody et al. 1984]. Ansteckungsrisiko ist in der Tiermedizin am höchsten. Die Keime
werden am häufigsten über Aerosole übertragen, die im Rahmen von Klebsiella pneumoniaeGeburten
oder Aborten bei Nutztieren entstehen können, da die Bakterien die höchsten Konzentrationen
in Plazenten von Säugetieren erreichen. Entscheidend ist die genaue Anamnese bezüglich
Tierkontakt. Selten horizontale Übertragungen bei Coxiella burnetiiMenschen im Rahmen
von Geburten beschrieben [Raoult und Stein 1994].
Andere gramnegative Keime wie z. B. Escherichia coli wurden weniger häufig als Ursache
einer antepartalen Pneumonie identifiziert.
Atypische Pneumonie: kann sich durch einen leichten Fieberanstieg, nicht produktiven
Husten, Krankheitsgefühl und ein zunächst blandes Erscheinungsbild manifestieren.
Die Röntgenbefunde sind variabel.
▪
C. pneumoniae: In ≤ 10 % aller CAP nachweisbar. In Fallserien von antepartalen Pneumonien
bislang nicht beschrieben. Klinik: Typisch sind initiale Halsschmerzen und Heiserkeit
über einige Tage bis Pneumonie:atypischezu 2 Wo. gefolgt von unproduktivem Husten
und Krankheitsgefühl.
▪
M. pneumoniae: bei 2–30 % aller CAP bei Erwachsenen. In einer Fallserie von antepartalen
Pneumonien [Richey et al. 1994] wurde in 2 von 19 Chlamydia pneumoniaePat., bei denen
ein Erregernachweis möglich war, M. pneumoniae gefunden.
–
Klinik: Pathognomonisch ist ein trockener, sich nachts erheblich verschlimmernder
Husten. Bei einem großen Teil der Pat. treten begleitend Kopf- und Ohrenschmerzen
auf.
–
Rö-Thorax: einseitige, fleckige bronchopneumonische Infiltrate
▪
L. pneumophilia: bei ≤ 7 % aller Pneumonien bei Erwachsenen. Prädisponierend sind
Nikotinabusus, hohes Alter und chron. Grunderkr. In der o. g. Fallserie bei Schwangeren
wurde dieser Keim bei einer Pat. identifiziert.
–
Klinik: Im Gegensatz zu den anderen atypischen Pneumonien sind legionellenassoziierte
Erkr. durch hohes Fieber, Schüttelfröste, wässrige Durchfälle, Schwindel, Erbrechen
und Kopfschmerzen gekennzeichnet. Häufig treten auch Kurzatmigkeit und Legionella
pneumophiliaPleuraschmerzen auf.
–
Rö-Thorax: Evtl. fleckige Infiltrate mehrerer Lungenlappen.
Die Legionellenpneumonie hat eine Mortalitätsrate von ≤ 20 %, bei eingeschränkter
Funktion des Immunsystems höher [Edelstein und Meyer 1984].
Virale Pneumonie: Viren wie Influenzavirus Typ A und B (IVA, IVB), Varicella-Zoster-Virus
(VZV) und das Masernvirus sind mit einer erheblichen Morbidität von Schwangeren mit
Pneumonien assoziiert. Adenoviren sind eine seltene Ursache von CAP.
▪
Influenzavirus Typ A: Für Influenzaepidemien verantwortliches Grippevirus. Führt meist
zu einer unkomplizierten Erkr., die innerhalb von 5 Tagen überstanden ist. In einigen
Pneumonie:viraleFällen kann das Virus jedoch das Lungenparenchym befallen und zu Ödemen,
Blutungen und zur Bildung von hyalinen Membranen führen. Superinfektionen mit S. pneumoniae,
H. influenzae oder S. aureus sind möglich.
–
Klinik: akut auftretender Husten, Fieber, Krankheitsgefühl und Muskelschmerzen
–
Influenza
Rö-Thorax: Evtl. unauffällig oder mit dem Muster segmentaler Infiltrate.
Studienlage
Die vielen Fälle von influenzavirusassoziierten Pneumonien in der Schwangerschaft,
die während der schweren Influenzapandemien der Jahre 1918 und 1957 aufgetreten sind,
waren mit einer Müttersterblichkeit > 50 % belastet [McKinney, Volkert und Kaufman
1990; Larsen 1982]. Die Obduktionsergebnisse zeigten, dass bei Schwangeren eine primäre
virale Pneumonie die vorwiegende Todesursache war, während Nichtschwangere am häufigsten
an bakteriellen Sekundärinfektionen starben.
Im Rahmen der Influenza-A-Pandemie (H1N1) 2009/2010 („Schweingrippe“/„Neue Influenza“)
zeigte sich weltweit ein deutlich erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei
Schwangeren. Als Konsequenz wurde die Influenza-Impfung in die Empfehlungen der StIKo
aufgenommen [RKI 2010].
▪
Varicella-Zoster-Virus (VZV; 18.1.5): Windpocken sind eine seltene Erkr. in der Schwangerschaft.
Sie sind v. a. wegen einer drohenden fetalen Schädigung von Relevanz.
–
Inzidenz: 5–10 pro 10.000 Schwangerschaften [Kenny und Strates 1981]
–
Varizellenassoziierte Pneumonie bei 3–9 % der Fälle von Windpocken in der Schwangerschaft.
Sie ist eine sehr ernste Komplikation bei Varizellen und bei Schwangeren mit einer
hohen Mortalität belastet [Haake et al. 1990; Goodnight and Soper 2005]. Ob sie in
der Schwangerschaft häufiger auftritt ist unklar.
–
Klinik: Fieber, Husten, Ulzera der Mundschleimhaut, Dyspnoe und Tachypnoe innerhalb
1 Wo. nach Beginn des Exanthems. Häufig rasche Progression mit Varizellen:PneumonieHypoxie,
nicht selten gefolgt von respiratorischem Versagen
–
Rö-Thorax: Typische sind miliare und noduläre peribronchiale Infiltrate.
▪
Coronaviren: Im Zusammenhang mit dem Severe acute respiratory syndrome (SARS) das
durch eine Coronavirusinfektion hervorgerufen wird, ist eine Fallserie von 12 Pat.
dokumentiert, die eine Gesamtmortalität von 25% und ein häufiges Auftreten von fetalen
Komplikationen aufweist. [Wong et al. 2004]. Bezüglich des Middle east respiratory
syndrome (MERS)-Coronavirus ist derzeit lediglich ein Fallbericht über einen intrauterinen
Fruchttod im Zusammenhang mit einer MERS-CoV Infektion veröffentlicht [Payne et al.
2014].
Mykotische Pneumonie
▪
Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie (PJP): Der Parasit, der aufgrund seines Genotyps den
Pilzen (Askomyzeten, Klasse der „Schlauchpilze“) zugerechnet wird, ist bei immunkompetenten
Wirten apathogen. V.a. bei HIV-infizierten Schwangeren (18.1.2) mit schlechtem Immunstatus
kann es im Rahmen der Schwangerschaft zum Auftreten dieser Erkr. kommen. Allerdings
sind bakterielle Pneumonien bei diesen Pat. häufiger. Die PJP gilt als AIDS-definierend.
–
Klinik: schleichend Pneumocystis-jiroveci-Pneumomieeinsetzendes Fieber, Tachypnoe
und trockener Husten. Eine rasche Progression mit zum Tode führender Hypoxie ist bei
fehlender Behandlung häufig.
–
Labor: i. d. R. starke Immunsuppession mit CD4-Zell-Zahlen < 200/l und erhöhtem Serum-LDH.
Andere Pilze wie Histoplasma capsulatum, Blastomyces dermatitidis, Coccidioides immitis,
Cryptococcus neoformans und Blastomyces dermatitidis sind ebenfalls potenzielle Pathogene,
die zu Pneumonien und in einigen Fällen zu disseminierten Erkr. führen.
Antibiotikatherapie Möglichst spezifisch für das entsprechende Pathogen durchführen.
Solange der Erregernachweis nicht erbracht ist, die Antibiotikaauswahl entsprechend
Symptomatik, Gramfärbung des Sputumpräparats und Rö-Befund auswählen.
▪
Penicilline: Obwohl Penicillin für S. pneumoniae und Ampicillin für H. influenzae
bei nicht vorhandener Resistenz ausreichend und für den Einsatz in der Schwangerschaft
prinzipiell geeignet sind, nur in Einzelfällen darauf Pneumonie:Therapiezurückgreifen
(Breitspektrumpenicilline sind genauso sicher bei geringerem Risiko für ein Therapieversagen).
Grundsätzlich ist im Einzelfall zu überlegen, ob eine empirische Ther. mit einem Betalaktamantibiotikum
allein ausreichend ist, oder ggf. besser in Kombination mit z. B. einem Makrolid gegeben
werden sollte, wie dies in den aktuellen amerikanischen Leitlinien empfohlen wird.
▪
Cephalosporine der 2. und 3. Generation bieten ein breiteres Spektrum und sind für
erkrankte Schwangere die Ther. der 1. Wahl.
▪
Sulfamethoxazol/Trimethoprim bei CAP wegen der Gefahr eines Kernikterus nur nach sorgfältigster
Nutzen-Risiko-Abwägung einsetzen
▪
Makrolidantibiotika, z.B. Azithromycin oder Clarithromycin, sind eine Alternative
und ebenfalls gegen die meisten Erreger bakterieller, nicht in klinischen Einrichtungen
erworbener Pneumonien wirksam.
Fluorchinolone und Tetrazykline
Die für CA-Pneumoniefälle bei Nichtschwangeren grundsätzlich zu bevorzugenden neueren
Fluorchinolone sind exzellente First-line-Antibiotika, jedoch aufgrund ihrer potenziell
irreversiblen Schädigung der Kollagenbildung in der Schwangerschaft kontraindiziert.
Auch Tetrazykline, die ebenfalls in den meisten CAP-Fällen wirksam sind, sind in der
Schwangerschaft bekanntermaßen kontraindiziert.
Antivirale Therapie
▪
Influenzaassoziierte Pneumonien:
–
Amantadin: blockiert die Freisetzung viraler Nukleinsäuren. Zur Prophylaxe und Behandlung
von Influenza A in der Schwangerschaft nützlich [McKinney, Volkert und Kaufman 1990;
Larsen 1982]. Cave: Sicherheit in der Schwangerschaft nicht bewiesen.
–
Oseltamivir, Zanamvir: wirksam bei Influenza A und B. Über die Anwendung bei nachgewiesener
Influenza in der Schwangerschaft liegen keine ausreichenden Erfahrungen vor. Der Tierversuch
erbrachte keine Hinweise auf embryotoxische/teratogene Wirkungen. Die Ernsthaftigkeit
einer antenatalen Influenza mag die Anwendung solcher Substanzen rechtfertigen: Während
der H1N1-Epidemie 2009 brachte der frühzeitige Einsatz der Medikamente bei betroffenen
Schwangeren bessere Ergebnisse [Siston et al. 2010]. Die CDC empfiehlt den Einsatz
der antiviralen Medikamente bei Schwangeren mit Influenza.
Die Influenzaimpfung bei Schwangeren gem. Empfehlungen der StIKo sollte die Primärprävention
darstellen!
▪
Varizellenpneumonie: erfordert die Hospitalisierung und Behandlung mit dem DNS-Polymeraseinhibitor
Aciclovir, der gegen viele Viren der Herpesfamilie wirksam ist. Einige Studien zeigen
ein reduziertes Risiko bzgl. respiratorischem Versagen und Mortalität bei Aciclovirther.
[Haake et al. 1990].
Behandlung der Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie:
▪
Am effektivsten mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol behandelbar
▪
Aufgrund der potenziellen Mortalität bei PCP kann der Nutzen deutlich das potenzielle
Risiko dieser Substanz für eine Schwangerschaft überwiegen.
▪
Alternative: Inhalationsther. mit Pentamidin, für deren Anwendung in der Schwangerschaft
es jedoch nur sehr begrenzte Erfahrungen gibt.
Prognose
▪
Einfluss von Pneumonien auf die Schwangerschaft: Durch die Einführung der Behandlung
mit Antiinfektiva wurde eine beträchtliche Abnahme der maternalen Sterblichkeit infolge
Pneumonien in der Schwangerschaft erreicht. Die Datenlage hierzu ist relativ beschränkt.
Alle publizierten Fallserien betonen jedoch, dass die maternale und fetale Morbidität
durch entzündliche Lungenerkr. nach wie vor ein ernst zu nehmendes Risiko darstellt.
Als signifikantes Risiko wird übereinstimmend das Auftreten vorzeitiger Wehen im Zusammenhang
mit Pneumonien beschrieben.
▪
Der Einfluss von Pneumonien auf das Neugeborene:
–
Frühgeburtlichkeit: Über die Inzidenz von Frühgeburtlichkeit im Zusammenhang mit antepartalen
Pneumonien finden sich in den publizierten Fallserien keine klaren Angaben. Trotzdem
scheint relativ sicher, dass das fetale Outcome durch eine maternale Pneumonie beeinflusst
werden kann. Bei Schwangeren, die an einer Pneumonie erkrankt waren, kam es signifikant
häufiger (43 %) zu Frühgeburtlichkeit und zu deutlich geringeren Geburtsgewichten
[Munn et al. 1999]. Die Rate an pneumonieassoziierten Frühgeburtlichkeit:PneumonieTotgeburten
ist in der Antibiotikaära deutlich zurückgegangen.
–
Fehlbildungen: Im Zusammenhang mit der Grippeepidemie in Asien 1957 ist es offenbar
zu einem Anstieg kindlicher Fehlbildungen bei Schwangerschaften gekommen, die durch
eine Influenza kompliziert waren. Bei Kindern von Müttern, die während der Schwangerschaft
eine Influenzainfektion durchgemacht haben, sind vermehrt Malignome, v. a. Leukämien
und Lymphome, aufgetreten [Bithell, Draper und Gorbach 1973].
–
Teratogenität: Ein potenziell teratogener Effekt von Influenzaviren wird jedoch in
Untersuchungen nicht mehr beschrieben [Leck und Steward 1972; MacKenzie und Houghton
1974; Wilson und Stein 1969].
Evidenzbasierte Medizin, Leitlinien Entzündliche Lungenerkr. in der Schwangerschaft
sind relativ seltene Ereignisse. Die wesentlichen Informationen hierzu stammen i.
d. R. aus kleinen, meist retrospektiven Kohortenstudien. Die größten Reviews zum Thema
sind entsprechend zitiert. Kontrollierte Studien oder aktuelle Leitlinien deutscher
Fachgesellschaften zu diesem Thema liegen derzeit nicht vor.
17.7.2
Tuberkulose
Epidemiologie
▪
Die Zahl von Tuberkuloseerkr. bei Frauen im gebärfähigen Alter steigt in den meisten
europäischen Ländern und den USA derzeit an [Ormerod 2001]. Dies hängt v. a. mit dem
Zuzug von Pat. aus osteuropäischen Ländern und aus Entwicklungsländern zusammen.
▪
Nach den Daten des Robert Koch-Instituts zeigt die Inzidenz in Deutschland seit 2012
wieder eine ansteigende Tendenz. Für 2014 betrug die Gesamtinzidenz 5,6/100.000.
▪
Von pulmonaler und Tuberkuloseextrapulmonaler Tbc sind v. a. HIV-Pat. (18.1.2) betroffen.
▪
Miliartuberkulosen in der Schwangerschaft sind sehr seltene Erkr.
Klinik
▪
Kein Unterschied zur Klinik bei Nichtschwangeren.
!
Ähnlichkeit physiologischer Schwangerschaftssymptome wie Müdigkeit und Unwohlsein
mit den Frühsymptomen einer Tbc → häufige Verzögerung der Diagnosestellung [Doveren
und Block 1998]
▪
Hauptmanifestationsorgan ist die Lunge: Husten, Gewichtsverlust, Fieber, Krankheitsgefühl,
Müdigkeit, MiliartuberkuloseHämoptysis. Bei 85 % sind die oberen Lungensegmente betroffen.
▪
Extrapulmonale Manifestationen: Lymphknoten, Knochen, Nieren, Brust.
Diagnostik In Deutschland ist ein Tuberkulosescreening in der Schwangerschaft nicht
vorgesehen. Bei Pat. mit entsprechender Risikokonstellation, z. B. HIV-positiv, Herkunft
aus Entwicklungsländern, jedoch daran denken.
▪
Die üblichen DTH-Hauttests sind bei Pat., die BCG-geimpft sind, nur von bedingter
Aussagekraft, wobei die Tuberkulinreaktivität durch die Schwangerschaft selbst nicht
verändert wird.
▪
Die Diagnosestellung erfolgt über Röntgendiagnostik und Sputumkultur, wobei hier naturgemäß
extrapulmonale Erkr. oder Miliartuberkulosen nicht erfasst werden [Mathad und Gupta
2012].
Einfluss auf Schwangerschaft und Neugeborenes Der Einfluss von Tbc auf die maternale
Morbidität und Mortalität hängt vom Zeitpunkt der Diagnosestellung in der Schwangerschaft
ab. Bei später Diagnosestellung kommt es zu einer erheblichen Zunahme der maternalen
Morbidität und einer 9-fach erhöhten Inzidenz von vorzeitiger Wehentätigkeit.
Das perinatale Outcome ist offenbar ebenfalls vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und
Behandlung der Tbc in der Schwangerschaft sowie vom Manifestationsort der Erkr. abhängig.
▪
Lungentuberkulose: am problematischesten. In einer indischen Studie wurde bei an Lungen-Tbc
erkrankten Frauen eine 6-fach erhöhte perinatale Mortalität gefunden. Die Inzidenz
von Frühgeburtlichkeit, „small for date babies“ und niedrigem Geburtsgewicht war verdoppelt.
Diese Effekte waren bei später Diagnosestellung, inkomplettem oder unregelmäßigem
Therapieschema sowie bei Frauen mit fortgeschrittenen Lungenläsionen noch ausgeprägter.
▪
Kongenitale Tuberkulose: ist v. a. bei Pat. unter effektiver tuberkulostatischer Ther.
eine Rarität. Kann nur infolge einer Disseminierung bei der Mutter auftreten. Unter
solchen Umständen sind Tuberkelbazillen in Amnion, Dezidua und Chorionzotten nachgewiesen.
Ein plazentarer Befall führt nicht automatisch zu einer kongenitalen Tuberkulose.
Eine andere Möglichkeit der präpartalen Infektion ist die Aspiration oder Ingestion
von infiziertem Fruchtwasser.
Tuberkulostatische Therapie in der Schwangerschaft Wie für andere Medikamente bestehen
bei Tuberkulostatika die hauptsächlichen Bedenken im Hinblick auf ein mögliches teratogenes
Risiko, v. a. bei einer Behandlung im 1. Trimenon. In entsprechenden Studien wurden
als First-line-Medikamente Isoniazid (INH), Rifampicin (RIF) und Ethambutol (ETB)
eingesetzt. Bei entsprechender Resistenzsituation jedoch auch Aminoglykoside, Flourchinolone,
Thioamide, Cyloserin und Terizidon. In den Studien wurde keine signifikante Assoziation
von mütterlicher Tuberkulostatikabehandlung und fetalen Anomalien gefunden, insgesamt
liegen jedoch für keines der in Frage kommenden Medikamente ausreichende Daten vor,
um ein Risiko sicher auszuschließen [Nguyen et al. 2014].
▪
Um die Inzidenz der INH-assoziierten peripheren Neuropathie zu senken, wird die zusätzliche
Gabe von Vitamin B6 (Pyridoxin) empfohlen.
▪
Behandlungsdauer von mind. 6 Mon.
▪
Der Nachweis multiresistenter Stämme von M. tuberculosis erfordert u. U. den Einsatz
mehrerer anderer Antibiotika.
Da alle Tuberkulostatika der 1. Wahl nur geringfügig in die Muttermilch übergehen,
stellt eine Ther. i. d. R. keine KI gegen eine Brustmilchernährung des Neugeborenen
dar.
17.8
Schilddrüsenerkrankung und Schwangerschaft
Christina Kentenich und Franz Kainer
Schilddrüsenerkr. zählen zu den häufigen Erkr. in der Schwangerschaft. Sowohl die
Hypothyreose als auch die Hyperthyreose (Tab. 17.23
) können für die Mutter, aber auch den Fetus zu erheblichen Risiken führen.
Tab. 17.23
Schilddrüsenerkr. in der ThyreoiditisHypothyreoseHyperthyreoseHashimoto-ThyreoiditisBasedow-KrankheitSchwangerschaft
Hyperthyreose
Hypothyreose
•
Basedow-Krankheit (40 %)
•
Funktionelle Autonomie (30–50 %)
•
Thyreoiditis (initial)
•
Iatrogen
•
SD-Ca, inadäquate TSH-Sekretion (Raritäten)
•
Transiente Gestationshyperthyreose
•
Hashimoto-Thyreoiditis
•
Häufig iatrogen (Thyreostatika, Jodexzess, OP, Lithium)
•
Kongenital (Jodmangel)
•
TSH-Mangel (selten)
Epidemiologie
▪
Eine latente Hyothyreose ist bei 2–3 % aller Schwangeren vorhanden.
▪
Eine manifeste Hypothyreose findet sich bei 0,3–0,5 % aller Schwangerschaften.
▪
Eine Hyperthyreose wird bei 0,2 % aller Schwangeren diagnostiziert, wobei hierfür
in 90 % die Autoimmunerkr. Basedow-Krankheit (Graves disease) Schilddrüsenerkrankungenverantwortlich
ist.
17.8.1
Veränderungen während der Schwangerschaft
Die Schilddrüse unterliegt in der Schwangerschaft Veränderungen, deren Kenntnis zum
besseren Verständnis der pathophysiologischen Vorgänge dient.
Physiologische Veränderungen während der Schwangerschaft
▪
Die vermehrte Östrogenproduktion stimuliert die Produktion des Thyroxin-bindenden
Globulins (TBG). Dadurch muss deutlich mehr T3 und T4 produziert werden, um eine ausreichende
Versorgung mit den freien Schilddrüsenhormonen zu gewährleisten.
▪
Es besteht ein erhöhter Jodbedarf durch die verstärkte Hormonsynthese, den fetalen
Jodverbrauch sowie durch eine verstärkte renale Jodausscheidung der Schwangeren.
▪
Der Anstieg des Choriongonadotropins (hCG) im 1. Trimenon stimuliert den TSH-Rezeptor.
Als Folge davon sinkt der TSH-Spiegel im 1. Trimenon. Im 2. Trimenon kommte es wieder
zu einer Normalisierung der TSH-Werte.
Bedeutung der Schilddrüsenhormone für die fetale Entwicklung Bei manifester Hypothyreose
steigt die Fehlbildungsrate und sind psychomotorische Beeinträchtigungen des Kindes
häufig. Die Folgen einer subklinischen Hypothyreose sind weniger gut belegt, es wurde
jedoch auch in dieser Gruppe eine signifikante Verminderung des IQ-Scores < 85 gefunden
[Haddow 1999].
Der häufigste Grund für eine Hypothyreose ist die Autoimmunthyreoiditis. Hierbei kommt
es zur AK-Bildung der Mutter gegen den Thyrotropin-Rezeptor und somit zu einer verminderten
Schilddrüsenfunktion. Die maternalen AK können die Plazentaschranke passieren und
so die fetale Schilddrüse in gleicher Weise supprimieren.
17.8.2
Transiente Gestationshyperthyreose
Definition und Klinik
▪
Sy. der Frühschwangerschaft
▪
Definiert als übermäßige Übelkeit und Erbrechen, Dehydratation, Ketonurie und Gewichtsverlust
von > 5 % im 1. Trimenon
▪
Das Ausmaß der Hyperemesis korreliert mit der Höhe des hCG-Spiegels.
Pathophysiologie Durch eine vermehrte hCG-Produktion kann die Schilddrüse verstärkt
aktiviert werden, was zu höheren fT4-Spiegeln und erniedrigten TSH-Spiegeln im Blut
führt. Durch die Gestationshyperthyreose, transienteAbnahme des hCG-Spiegels im weiteren
Schwangerschaftsverlauf kommt es zu einer Revision der Symptome sowie auch der Hyperthyreose.
Diagnostik Schilddrüsen-AK sind i. d. R. nicht nachweisbar.
Therapie Eine thyreostatische Ther. ist nicht notwendig.
17.8.3
Hyperthyreose
Epidemiologie Ca. 1–2 von 1.000 Schwangerschaften weisen Komplikationen aufgrund einer
Hyperthyreose auf.
Ätiologie Die Basedow-Krankheit ist der häufigster Grund für eine Hyperthyreose in
der Schwangerschaft. Seltenere Ursachen sind eine iatrogene Hyperthyreose, eine fokale
Automie sowie eine Thyreoiditis. Eine Blasenmole oder ein Chorionkarzinom kann ebenfalls
eine Hyperthyreose hervorrufen.
Klinik
▪
Typische Symptome: Tachykardie, Nervosität, Schwitzen, HyperthyreoseDyspnoe, körperliche
Schwäche
▪
Spezifischere Symptome: Exophthalmus, Vergrößerung der Schilddrüse, fehlende Gewichtszunahme
bei normaler Ernährung.
Diagnostik
▪
TSH suprimiert < 0,1 mU/l sowie erhöhte T3- und T4-Werte
▪
TSH-Rezeptor-AK (TRAK) in 95% positiv
▪
Vergrößerte echoarme Schilddrüse mit vermehrter Vaskularisation
▪
Szintigrafie: in der Schwangerschaft kontraindiziert.
Risiken für den Fetus Die Hyperthyreose ist vermehrt vergesellschaftet mit Präeklampsie,
fetalen Fehlbildungen, Frühgeburtlichkeit und geringem Geburtsgewicht, wenn sie nicht
ausreichend eingestellt bzw. behandelt ist.
17.8.4
Basedow-Krankheit
Pathophysiologie Autoimmunerkr. mit der Bildung von AK gegen den TSH-Rezeptor auf
den Schilddrüsenzellen. Die AK binden direkt an der TSH-Rezeptor-Bindungsstelle und
bewirken so eine Dauerstimulation der Schilddrüse.
Neben den stimulierenden kann es auch zur Bildung von inhibierenden Auto-AK kommen,
was eine Hypothyreose zur Folge haben kann, wenn diese überwiegen.
Diagnostik Bestimmung der TSR-Rezeptor-AK (TSHR-AK oder TRAK). Diese AK werden heute
als TSI bezeichnet (Basedow-KrankheitThyroidea-stimulierende Immunglobuline).
Pat. mit aktiver Basedow-Krankheit, bereits vor der Schwangerschaft diagnostiziert
und unter thyreostatischer Therapie sind im optimalen Fall symptomfrei. Da es v. a.
im 1. Trimenon zu einer Verschlechterung der Erkr. kommen kann, sind Symptome wie
Gewichtsabnahme, Tachykardie, psychomotorische Unruhe, Wärmeintoleranz ein Warnhinweis.
▪
Diagnostik:
–
Labor: fT4, TSH, TSI-Titer
–
Sonografie: fakultativ zur Verlaufskontrolle.
▪
Therapie:
–
Thyreostatika: Mit der niedrigst möglichen Dosis behandeln
–
Operation: bei Therapieversagern, wenn möglich, im 2. Trimenon
–
Einfluss der Ther. auf den Fetus: Die kombinierte Gabe von Thyreostatika und Thyroxin
(„block and replace“), die sonst bei Basedow-Krankheit häufig angewandt wird, ist
in der Schwangerschaft kontraindiziert, da Thyreostatika gut plazentagängig sind,
Thyroxin dagegen so gut wie nicht. Für den Fetus würde diese Ther. somit eine Hypothyreose
zur Folge haben.
Thyreostatika
▪
Alle sind stark plazentagängig und beeinflussen somit die fetale Schilddrüsenfunktion.
▪
Schwefelhaltige Thyreostatika wie Propylthiouracil (PTU), Methimazol (MMI) und Carbimazol
(wird in Methimazol metabolisiert) wurden auf ihre Tauglichkeit während der Schwangerschaft
vergleichend untersucht.
▪
Propylthiouracil (z. B. Propycil®) ist wasserlöslicher als Methimazol (z. B. Favistan®)
und Carbimazol und geht deshalb weniger in den fetalen Kreislauf und die Muttermilch
über. Aus diesem Grund wird Propylthiouracil während der Schwangerschaft favorisiert,
sofern nicht der Fetus ebenfalls behandelt werden soll.
Pat. in Remission oder durch Therapie (OP, Radiojodtherapie) als geheilt geltend Pat.,
die vor der Schwangerschaft chirurgisch oder durch Radiojodther. behandelt wurden,
können persistierende Schilddrüsen-AK haben. Um das Risiko für eine fetale Hyperthyreose
einschätzen zu können, die von der Höhe des AK-Titers abhängig ist, Thyreostatikaempfiehlt
sich eine AK-Bestimmung zu Beginn der Schwangerschaft.
Normalerweise kommt es im Verlauf der Schwangerschaft zu einem Abfall des AK-Titers.
Dies erklärt sich aus der Immunsuppression während der Schwangerschaft.
Sollte es bei der Kontrolle im 3. Trimenon nicht zu einem Abfall gekommen sein, muss
an eine fetale Hyperthyreose als mögliche Folge gedacht werden.
▪
Klinik: i. d. R. symptomfrei. Zu beachten ist, dass eine ther. bedingte Hypothyreose
medikamentös ausgeglichen ist.
▪
Diagnostik;
–
Labor: fT4, TSH, TSI-Titer
–
Sonografie: fakultativ zur Verlaufskontrolle.
▪
Ther.: falls nötig, Ausgleich einer therapiebedingten Hypothyreose mit Levothyroxin
Pat. mit Basedow-Krankheit, der während der Schwangerschaft festgestellt wurde Wichtig
ist, dass sowohl das maternale als auch das fetale Outcome direkt in Relation zur
adäquaten Einstellung der Schilddrüse steht. Auch Frauen, bei denen die Basedow-Krankheit
erst während der Schwangerschaft diagnostiziert wurde, haben bei korrekter und prompter
Behandlung eine sehr gute Prognose, v. a. auch für den Fetus.
Ziel ist es, während der Schwangerschaft eine hochnormal oder grenzwertig hyperthyreote
Stoffwechselsituation zu halten. Hierzu die niedrigst mögliche Dosis Thyreostatika
geben.
▪
Klinik:
–
Struma: 70–90 %
–
Merseburger Trias: Struma, Exophthalmus, Tachykardie
–
Psychomotorische Unruhe, Sinustachykardie, Gewichtsverlust, Wärmeintoleranz, gesteigerte
Stuhlfrequenz, Adynamie, Myopathie.
▪
Diagnostik:
–
Labor: fT4, TSH, TSI-Titer
–
Sonografie: fakultativ zur Verlaufskontrolle.
▪
Ther.: Wie bei Pat. mit aktiver Basedow-Krankheit, bereits vor der Schwangerschaft
diagnostiziert und unter thyreostatischer Ther.
Risiken für den Fetus Eine Basedow-Krankheit in der Schwangerschaft kann auf den Fetus
verschiedene Auswirkungen haben:
▪
Schilddrüsen-AK der Mutter können beim Fetus eine Hyperthyreose, Wachstumsretardierung,
Hyperaktivität und prämature Ossifikationen hervorrufen.
▪
Bei einer anhaltenden fetalen Tachykardie über 160 Schläge/Min. empfiehlt sich eine
Behandlung mit 200–400 mg PTU oder 20 mg MMI. Wenn nötig, kann für die Mutter eine
Substitution mit Thyroxin erfolgen.
▪
Sowohl die Hyperthyreose selbst als auch die medikamentöse Ther. werden für eine erhöhte
Teratogenität verantwortlich gemacht.
▪
Die Rolle der Basedow-Krankheit bezüglich Embryopathien ist heute noch nicht gesichert.
▪
Es wird vermutet, dass Thyreostatika für das Vorkommen der Aplasia cutis congenita
verantwortlich sind (unter PTU ist noch kein Fall aufgetreten, jedoch unter MMI).
▪
Die Anwendung von Thyreostatika kann eine fetale Hypothyreose induzieren. Dies ist
in jedem Fall zu vermeiden, da hierdurch die neuropsychologische Entwicklung des Fetus
beeinträchtigt werden kann. Durch die Einstellung der Schilddrüsenwerte im hochnormalen
Bereich kann diese Komplikation weitgehend vermieden werden.
▪
Eine unerkannte fetale Hyperthyreose kann ein bei der Geburt hyperthyreotes Kind zur
Folge haben. Die Zahl der von Müttern mit Basedow-Krankheit hyperthyreot geborenen
Kinder wird auf 1 % geschätzt. Das höchste Risiko weisen schlecht eingestellte Pat.
sowie Frauen mit hohen AK-Titern auf.
Management Guidelines der Basedow-Krankheit in der Schwangerschaft
▪
Monatlich Puls, Gewicht, Schilddrüsengröße, fT3 und fT4
▪
Niedrigste Dosis an Thyreostatika anwenden, die die Pat. in leichter Hyperthyreose
hält, jedoch nicht mehr als 300 mg PTU oder 20 mg mmI
▪
Fetale Herzfrequenz und Wachstum überwachen
▪
Nicht versuchen, TSH zu normalisieren. TSH-Werte zwischen 0,3 und 2,5 mU/l. Auch niedrigere
Werte sind bei klinischem Wohlbefinden akzeptabel.
▪
PTU wird MMI vorgezogen, aber beide Medikamente können gegeben werden.
▪
Keine Jodgabe während der Schwangerschaft
▪
OP-Indikationen:
–
Dosen von mehr als 300 mg PTU/d oder 20 mg mmI/d werden benötigt, um eine zufriedenstellende
Einstellung zu erzielen.
–
Geringe Compliance, die in klinischer Hyperthyreose resultiert.
–
Fetale Hypothyreose (retardiertes Knochenwachstum, Bradykardie) unter der nötigen
Dosierung
▪
Die ther. Dosis kann normalerweise nach dem 1. Trimenon reduziert und im 3. Trimenon
abgesetzt werden.
▪
Nach der Schwangerschaft muss die thyreostatische Ther. meist fort- oder wieder angesetzt
werden [Lazarus et al. 2014].
17.8.5
Hypothyreose
Epidemiologie
▪
Bis zu 2,5 % der Schwangeren weisen eine latente Hypothyreose auf, bei 90 % von ihnen
finden sich für die Thyreoiditis lymphomatosa Hashimoto pathognomonische AK gegen
thyreoidale Peroxidase (Anti-TPO-AK).
▪
Schwangere mit einer Hypothyreose haben ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen
wie z. B. SIH, intrauterinen Fruchttod und vorzeitige Plazentalösung. Eine adäquate
Ther. kann diese Risiken auf ein Minimum reduzieren.
Ätiologie Häufigster HypothyreoseGrund in der Schwangerschaft ist die chron. Autoimmunthyreoiditis
(Thyreoiditis lymphomatosa Hashimoto). Wesentlich seltenere Gründe sind Z. n. Radiojodther.
oder OP. Sehr selten sind TSH-Rezeptor-blockierende AK, die aber von besonderer Bedeutung
sind, da sie transplazentar zum Fetus transportiert werden und eine fetale Hypothyreose
erzeugen können.
Klinik Hinweisend können folgende Symptome sein: körperlicher und geistiger Leistungsabfall,
gesteigerte Kälteempfindlichkeit, Obstipation, trockene, kühle, teigige, blassgelbe,
schuppende Haut.
Screening und Diagnose während der Schwangerschaft
▪
Messung von TSH und fT4
–
1. Trimenon: TSH-Werte 0,1 – 2,5 mU/l
–
2./3. Trimenon: TSH-Werte > 2,5 mU/l
–
Latente Hypothyreose: TSH-Werte 2,5–10 10mU/l, erniedrigtes fT4
–
Manifeste Hypothyreose: TSH-Werte > 10 mU/l
▪
Schilddrüsen-AK: idealerweise bereits in der Frühschwangerschaft bestimmen. Thyroglobin-AK
(TG-Ab) und Thyroperoxidase-AK (TPO-Ab). TPO-AK haben den besseren diagnostischen
Wert und sollten bei Einzelbestimmungen den TG-Ab vorgezogen werden.
Therapeutisches Vorgehen
▪
Kein Nachweis von AK und Serum-TSH > 2,5 mU/l:
–
Mit Levothyroxin einstellen
–
Alle 3 Mon. Laborkontrolle
▪
Positive AK-Titer und Serum-TSH < 2 mU/l:
–
Keine systemische Ther. notwendig
–
TSH- und fT4-Kontrolle am Ende des 2. Trimenons
▪
Positive AK-Titer und Serum-TSH zwischen 2 und 4 mU/l in der Frühschwangerschaft:
systemische Ther. mit Levothyroxin
▪
Manifeste Hypothyreose:
–
Mit 100–150 μg Thyroxin/d einstellen
–
Nach der begonnenen Einstellung Laborkontrollen zunächst alle 2–4 Wo., um die angemessene
Dosierung zu finden.
Therapieanpassung in der Schwangerschaft Ist eine Pat. während der Schwangerschaft
neu mit einer Hypothyreose aufgefallen, wird eine sofortige Einstellung mit Levothyroxin
empfohlen. Um den L-T4-Pool so schnell wie möglich auszugleichen, empfiehlt sich für
2–3 Tage eine doppelte bis 3-fache Gabe der Erhaltungsdosis. Mehrere Studien konnten
zeigen, dass der Thyroxinbedarf im Laufe der Schwangerschaft ansteigt.
▪
Nach Radiojodther. mittlerer Mehrbedarf bis zu 50 %
▪
Bei Hashimoto-Thyreoiditis mittlerer Mehrbedarf von bis zu 25 %
▪
Pat. mit subklinischer Hypothyreose, die bereits vor der Schwangerschaft nur eine
niedrige Dosis an Levothyroxin erhalten haben, kommen häufig ohne Dosisanpassung aus.
▪
Postpartal: L-T4-Dosis wieder der Dosis vor der Schwangerschaft anpassen. Nach 6–8
Wo. die erste TSH-Kontrolle.
Risiken der maternalen Hypothyreose für den Fetus Mehrere Studien belegen, dass eine
ausgeprägte Hypothyreose der Mutter einen negativen Effekt auf die psychoneurologische
Entwicklung des Kindes zu haben scheint.
Ebenso konnte gezeigt werden, dass Kinder, deren Mütter eine nicht behandelte Hypothyreose
während der Schwangerschaft hatten, einen niedrigeren Intelligenzquotienten aufweisen
als Kinder gesunder Mütter.
17.8.6
Kongenitale Hypothyreose
Epidemiologie Die kongenitale Hypothyreose kommt bei 1 : 4.000 Neugeborenen vor.
Ätiologie In der überwiegenden Mehrheit liegt entweder eine Athyreose oder Schilddrüsendystopie
vor.
Klinik Unbehandelt führt sie zu Wachstumsrückstand, Sprachstörungen, niedriger Intelligenz
sowie geistiger und psychischer Retardierung (Kretinismus).
Therapeutisches Vorgehen Durch das vom Gesetzgeber vorgeschriebene Neugeborenen-Screening
auf TSH im Kapillarblut kann dieses Hypothyreose:kongenitaleKrankheitsbild heutzutage
rechtzeitig behandelt werden.
17.8.7
Post-partum-Thyreoiditis
Definition Als Post-partum-Thyreoiditis bezeichnet man das Auftreten einer transienten
Hyperthyreose innerhalb von 12 Mon. postpartal.
Epidemiologie Besonders häufig sind Frauen betroffen, die bereits während der Schwangerschaft
Anti-TPO-AK hatten.
Pathophysiologie
▪
Pathophysiologisch handelt sich um eine lymphozytäre Thyreoiditis, die der Hashimoto-Thyreoiditis
entspricht.
▪
Ca. 30 Post-partum-Thyreoiditis% der Frauen entwickeln nach initialer Hyperthyreose
im Thyreoiditis:postpartaleVerlauf eine Hypothyreose, die dauerhaft behandlungsbedürftig
ist.
Therapeutisches Vorgehen Meistens ist die postpartale Hyperthyreose jedoch geringfügig
und bedarf keiner Ther.
17.8.8
Wochenbett und Stillzeit
▪
Bei vielen Pat. ändert sich die Schilddrüsenfunktion nach der Geburt, sodass auf jeden
Fall eine Kontrolle der Laborparameter TSH und fT4 notwendig ist.
▪
Bei Pat. mit Hypothyreose, die eine Dosisanpassung während der Schwangerschaft erhalten
haben:
–
Dosis wieder der vor der Schwangerschaft anpassen
–
Eine KI für das Stillen besteht nicht.
▪
Auch Pat. mit einer behandlungsbedürftigen Hyperthyreose dürfen trotz thyreostatischer
Ther. (bevorzugt mit Propylthiouracil) stillen. Entgegen der früheren Meinung, dass
die thyreostatische Ther. die Schilddrüsenfunktion des Säuglings negativ beeinflusst,
gilt heute die Meinung, dass Thyreostatika keinen negativen Effekt auf die weitere
körperliche und neuropsychologische Entwicklung haben.
17.9
Nierenerkrankungen
Thorsten Fischer
Epidemiologie Da sich Nierenerkr. meist langsam und in den Anfangsstadien klinisch
inapparent entwickeln, sind epidemiologische Daten nur eingeschränkt aussagefähig.
▪
Chron.-progrediente Nierenerkr., die im Terminalstadium zur Dialyse und Nierentransplantation
führen: insgesamt 6–7 pro 100.000 Einwohner/Jahr
▪
Chron. Niereninsuffizienz:
–
In 45 % Folge eines Diabetes mellitus und/oder in 70 % Folge einer arteriellen Nieren:ErkrankungenHypertonie
–
Glomerulonephritiden: bei 15 % für eine chron. Niereninsuff. verantwortlich
–
Schwangerschaften unter Dialyse sind selten und risikoreich.
▪
Nierentransplantation: Schwangerschaften nach Nierentransplantation haben bei stabiler
Transplantatfunktion eine gute maternale und fetale Prognose. Sie sind bei > 2–6,7
% aller Nierentransplantierten zu erwarten. Bei Nierentransplantierten im Alter zwischen
20 und 40 J. beträgt die Schwangerschaftsrate 22,9 %.
▪
Harnwegsinfektionen: In der Schwangerschaft sehr häufig
–
Asymptomatische Bakteriurien bei 2–10 % der Schwangerschaften (Anstieg bei älteren
Mehrgebährenden)
–
Bei unbehandelten Schwangeren kann die asymptomatische Bakteriurie – im Gegensatz
zu Nichtschwangeren – in 30–50 % in einen symptomatischen Harnwegsinfekt und in ≤
25 % in eine akute Pyelonephritis übergehen.
▪
Glomerulonephritiden sind im Konzeptionsalter selten.
Ätiologie Ursachen für eine verminderte Nierenfunktion:
▪
Entzündliche Erkr.: Entzündung im Interstitium mit Obstruktion oder Zerstörung der
Tubuli, bakterielle Pyelonephritis
▪
Toxische Ursachen: z. B. Analgetikanephropathie
▪
Folge von Autoimmunkrankheiten: SLE (17.19.3)
▪
Strukturelle Veränderungen: Zystennieren
▪
Ursachen einer chron. Niereninsuff.: diabetische Nephropathie, chron. Glomerulonephritis,
interstitielle Nephritis, vaskuläre Nephropathien, hereditäre Nierenerkr.
Physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft Die Schwangerschaft ist durch
bedeutsame Adaptationsprozesse gekennzeichnet. Neben dem Gefäßsystem haben v. a. die
Nieren eine Schlüsselrolle und sind entweder primär oder sekundär in diesen Prozess
eingebunden.
▪
Nierendurchblutung ↑ um 30–40 %
▪
Glomeruläre Filtrationsrate ↑ um 30–40 %
▪
Serum-Kreatinin-Spiegel ↓
▪
Kreatinin-Clearance ↑
▪
Steigerung der glomerulären Nieren:physiologische Veräderungen in der SchwangerschaftFiltrationsrate
und die Änderungen der Tubulusfunktion erreichen ihr Maximum um die 32. SSW
▪
Änderung der tubulären Funktion (mit direkter Auswirkung durch Zunahme der Ausscheidung
harnpflichtiger Substanzen)
▪
Blut- und Herzzeitvolumen ↑
▪
Herzfrequenz ↑
▪
Dilatation des Nierenhohlraumsystems und der Ureteren (v. a. proximal).
Präkonzeptionell bestehende Nierenerkrankungen
Sie gehen mit einer erhöhten Inzidenz von Aborten, Frühgeburtlichkeit, intrauterinem
Fruchttod, IUGR, chron. Hypertonie, Pfropfpräeklampsien und einer Progredienz der
Nierenerkr. einher. Trotzdem ist eine hohe Rate erfolgreicher Schwangerschaftsverläufe
bei Schwangeren mit leichter oder moderater Niereninsuff. zu beobachten. Schwangere
mit Nierenerkr. sollten möglichst interdisziplinär betreut werden. Durch die optimale
Zusammenarbeit zwischen Gynäkologen, Nephrologen und/oder Hypertensiologen kann die
Rate erfolgreich ausgetragener Schwangerschaften gesteigert und die Komplikationsrate
gesenkt werden (Abb. 17.10
).
Abb. 17.10
Verhalten der Kreatinin-Kreatininclearance, VerlaufClearance
[L157]
Klinik
▪
Arterielle Hypertonie: Leitsymptom der meisten primären und sekundären Nierenerkr.
ist die arterielle Hypertonie (ambulante Blutdruckselbstmessung, 24-h-Blutdruckmessung).
▪
Fieber: Vor allem bei entzündlichen Erkr. (z. B. Pyelonephritis)
▪
Ödeme: z. B. beim nephrotischen Sy., bei Niereninsuff. und Glomerulonephritis
▪
Schmerzen (Nierenlager):
–
Akut einsetzender, kolikartiger Schmerz bei Nephrolithiasis
–
Chron., dumpfer Schmerz, z. B. bei Pyelonephritis
▪
Auffälligkeiten der Diurese und der Miktion:
–
Polyurie: > 2.000 (> 3.000) ml Harn/d
–
Oligurie: < 500 ml Harn/d
–
Anurie: < 100 ml Harn/d
–
Pollakisurie: z. B. bei Zystitis
–
Dysurie: z. B. bei Zystitis.
Diagnostik
Nierenerkr. bei Schwangeren lassen sich meist durch rasch durchzuführende Untersuchungen
diagnostizieren.
Anamnese: vor allem bei hereditären und Polyuriepräexistenten Nierenerkr.
Urindiagnostik
▪
Urinschnelltest: Bei Oligurieasymptomatischen Schwangeren ohne V. a. eine renale oder
postrenale Erkr. reicht der Urinschnelltest Anuriemittels Teststreifen aus.
▪
Sedimentbestimmung: muss bei weiter reichenden Pollakisuriediagnostischen Fragestellungen
durchgeführt werden. Alle Methoden sind aufgrund der erhöhten Gefahr Dysurieeiner
Kontamination in der Schwangerschaft (Blut, Protein, Leukozyten) anfällig für falsch-positive
Ergebnisse.
▪
Proteinurie: In der Schwangerschaft ist die Eiweißausscheidung gegenüber Nichtschwangeren
erhöht. Bei nicht schwangeren Frauen ist eine Proteinurie von 40–120 mg/l physiologisch,
bei Schwangeren eine Proteinurie von ≤ 300 mg/24 h. Gegenüber Nichtschwangeren ist
die physiologische zirkadiane Albuminexkretion bei Schwangeren vermindert und somit
in der Nacht erhöht.
–
Einteilung der erhöhten Proteinurie: 300–500 mg/d: leichte Proteinurie 500–3.000 mg/d:
mittelschwere Proteinurie > 3.000 mg/d: schwere Proteinurie
–
Ursachen: in Kombination mit arterieller Hypertonie bei Präeklampsie und Pfropfpräeklampsie
(17.2.1). Cave: Bei der chron. Hypertonie und schwangerschaftsinduzierter Hypertonie
(17.2) ist die Proteinurie nicht erhöht.
–
Glomeruläre Proteinurie (hochmolekulare glomeruläre Proteinurie): v. a. Ausscheidung
von Albumin (Leitprotein) bei glomerulären Schäden
–
Tubuläre Proteinurie (kleinmolekulare, tubuläre Proteinurie): Ausscheidung von 1-
und 2-Mikroglobulin (Leitproteine): bei tubulärer und interstitieller Nephropathie.
Teststreifen sind überwiegend für Albumin sensitiv. Falsch-positive Werte werden durch
den in der Schwangerschaft häufigen Fluor vaginalis verursacht. Eine signifikant erhöhte
Proteinurie muss durch eine Proteinbestimmung über 24 Stunden quantifiziert werden.
▪
Glukosurie: Eine renale Proteinurie:glomeruläreGlukosurie ist durch das vermehrte
Glomerulumfiltrat und eine konsekutiv vermehrte filtrierte Glukosemenge bei unveränderter
Glukosereabsorption zu erklären (proximaler Tubulusdefekt). Eine nachgewiesene Proteinurie:tubuläreGlukosurie
in der Schwangerschaft ist mitunter „physiologisch“ (Erniedrigung der sog. Nierenschwelle
für die Glukoseausscheidung). Da die Glukosurie aber auch ein Hinweis auf eine diabetische
Stoffwechsellage (manifester oder Gestationsdiabetes 17.5) sein Glukosuriekann, die
Ind. zur Diagnostik (oGTT, BZ-Tagesprofil) großzügig stellen.
▪
Hämaturie:
–
Makrohämaturie (> 1 ml Blut/l Urin): Z. B. Zystitis (häufig), Nephrolithiasis (häufig),
Tumoren (selten)
–
Mikrohämaturie (> 4 Erythrozyten/mm3): Urolithiasis, Pyelonephritis, Kollagenosen,
interstitielle Nephritis
!
Häufige Kontaminationen durch vaginale und zervikale Blutungen
▪
Leukozyturie: Im Sediment gesunder Makrohämaturie
HämaturieSchwangerer können 0–4 Leukozyten/Gesichtsfeld vorkommen. Path. ist die Leukozytose
bei einer Leukozytenanzahl von ≥ 5–10 Leukozyten/Gesichtsfeld (> 10.000 Leukozyten/Mikrohämaturieml
Urin). Ursachen sind Harnwegsinfekte, Urolithiasis, Glomerulonephritis, interstitielle
Nephritis.
Weitere diagnostische Methoden: Folgende diagnostische Methoden können zur differenzialdiagnostischen
Abklärung von Nierenerkr. eingesetzt werden:
▪
Blut- und LeukozyturieUrinanalysen:
–
Kreatinin (sinkt physiologischerweise in der Schwangerschaft; präkonzeptionelle Erhöhung
auf > 2 mg/dl geht mit signifikanter renaler Prognoseverschlechterung einher)
–
Harnstoff, Harnsäure, Elektrolyte, Blutbild
–
Urinuntersuchungen: Eiweiß, Zellausscheidung (Leukozyten, Erythrozyten, Zellen, Glukose),
Bakteriologie, Ketonkörper, pH, Nitrit
–
Kreatinin-Clearance
–
Differenzialdiagnose einer assoziierten Präeklampsie vs. keine Präeklampsie: Angiogenese
und Antiangiogenese Faktoren (placental growth factor, PlGF), oder sFlt-1/plGF (sFlt-1:
soluble fms-like tyrosine kinase)
▪
Immunologische Analysen: Komplementsystem, AK-Tests, Immunkomplexe
▪
Sonografie und Doppler
▪
MRT, CT
▪
Nierenbiopsie (zur differenzialdiagnostischen Abklärung einer Niereninsuff. oder bei
V. a. Abstoßungsreaktion bei Transplantatniere); strenge Indikationsstellung während
der Schwangerschaft.
17.9.1
Renale Infektionen, Zystitis
Zystitis
Epidemiologie Bei etwa 5 % aller Schwangeren kommt es zur symptomatischen Zystitis.
Erreger E. coli (etwa 80 %); weitere typische Erreger sind Enterokokken, Proteus mirabilis,
Klebsiellen, Pseudomonas, Staphylokokken.
Klinik Pollakisurie, Dysurie und Algurie.
Diagnostik
▪
Urin-Stix:
–
Bei alleinigem Leukozytennachweis häufig Kontamination durch Fluor vaginalis
–
Infektionen:renaleBei zusätzlichem Nitritnachweis ist eine bakterielle ZystitisInfektion
wahrscheinlich.
▪
Urinkultur (Mittelstrahlurin): Erhöhung bei > 106 Keime/ml.
Therapie Eine symptomatische Zystitis wird immer behandelt, eine asymptomatische Zystitis
bei Schwangeren wird großzügig behandelt: Penicilline (z. B. Amoxicillin) oder Cephalosporin
über 7 Tage.
Pyelonephritis
Epidemiologie Etwa 1 % aller Schwangeren entwickelt eine akute Pyelonephritis.
Erreger
▪
E. coli, Enterokokken, P. mirabilis, Klebsiellen, Pseudomonas, Staphylokokken
▪
Auf Basis einer symptomatischen oder asymptomatische Zystitis kann es zur aszendierenden
Infektion mit dem von der Zystitis her bekannten Erregerspektrum kommen.
Klinik Fieber, schmerzhaftes Nierenlager, Abgeschlagenheit, evtl. Dysurie, Pollakisurie.
Diagnostik
PyelonephritisUrinkultur immer mit Antibiogramm, Sediment, bei septischen Symptomen
Blutkultur, Blutbild, CRP, Sonografie und Überwachung der Nierenfunktion (Serum-Kreatinin,
evtl. Kreatinin-Clearance), ggf. Bilanzierung.
Therapie
▪
Penicillin oder Cephalosporine i. v. über 10 Tage, ggf. mit anschließender oraler
Antibiotikather.
▪
Kausale Ther. (Entfernung bzw. Geburt des „Abflusshindernisses“) oft nicht möglich.
▪
Entbindung kann abhängig vom Gestationsalters notwendig werden.
Komplikationen
▪
Seltene sehr ernste Komplikation: Urosepsis
▪
15–20 % aller terminalen Niereninsuff. sind einer chron. Pyelonephritis zuzuschreiben.
Glomerulonephritis (GN)
Epidemiologie Glomerulonephritiden sind in der Schwangerschaft seltene Erkr., die
meist präkonzeptionell bestanden und weniger häufig als Pyelonephritiden auftreten.
Einteilung
▪
Akute Glomerulonephritis: häufig postinfektiöse Glomerulonephritis
▪
Rasch progressive Glomerulonephritis: sehr selten, häufig Folge von Systemerkr. (z.
B. Granulomatose mit Polyangiitis) mit der Gefahr einer terminalen Niereninsuff. innerhalb
von Mon.
▪
Primäre GlomerulonephritisGlomerulonephritis mit nephrotischem Sy.:
–
Minimal-Change-GN (eher im Kindesalter)
–
Fokal-segmental sklerosierende GN: führt bei Adoleszenten häufig zum nephrotischen
Sy.
–
Membranöse GN: bei Adoleszenten die häufigste Ursache für ein nephrotisches Sy.
–
Mesangiale GN vom IgA-Typ: häufigste Form der GN (häufiger beim männlichen Geschlecht),
häufig asymptomatischer Verlauf.
Die primäre Glomerulonephritis mit direkter Schädigung der Glomeruli ist keiner Systemerkr.
zuzuschreiben, die sekundären Formen sind Ausdruck einer Systemerkr. (z. B. Kollagenosen,
Diabetes mellitus, 17.4).
Klinik
▪
Variabel, v. a. bei akuten Glomerulonephritiden: Proteinurie, Hämaturie, Ödeme, Nierenfunktionseinschränkung
(Anstieg von Serum-Kreatinin)
!
Kombination mit nephrotischem Sy.: Proteinurie > 3 g/24 h, Hypoproteinämie, Ödeme
(17.9.2).
Therapie Bei infektiöser GN Behandlung der Infektion (Antibiogramm), symptomatische
Ther., evtl. Immunsuppression (Glukokortikosteroide, Cyclophosphamid; strenge Indikationsstellung).
Prognose Abhängig von Grunderkr. und Therapiebeginn. GN in 15 % Ursache einer chron.
Niereninsuff. Besondere Vorsicht bei Progredienz in der Schwangerschaft.
▪
Die primäre Glomerulonephritis beeinflusst den Schwangerschaftsverlauf weniger als
die maternalen klinischen Parameter (Blutdruck, Proteinurie, GFR).
▪
Der Schwangerschaftsausgang wird sekundär von der Ausprägung der maternalen klinischen
Symptome geprägt.
17.9.2
Nephrotisches Syndrom
Epidemiologie und Ätiologie Das nephrotische Sy. (path. veränderte Durchlässigkeit
der glomerulären Basalmembran für größere Proteine) ist bei Schwangeren nur selten
zu beobachten und in 80 % Folge einer Glomerulonephritis bzw. Folge von Systemerkr.
(Kollagenosen, Amyloidose, Diabetes mellitus, toxisch, immunologisch).
Klinik
▪
Leitsymptome: Proteinurie (> 3 g/24 h), Hypoproteinämie, Ödeme, Hyperlipoproteinämie
(Anstieg von Cholesterin und Triglyzeriden)
▪
Nephrotisches SyndromIgG-Mangel durch den Eiweißverlust mit der Folge einer weiteren
Zunahme der schwangerschaftsassoziierten Infektanfälligkeit
▪
Zunahme des schwangerschaftsassoziierten Thromboserisikos (Verlust von Antithrombin
III über die Niere).
Diagnostik
▪
Diagnostik der Grundkrankheit
▪
Serum-Elektrophorese: Albumin ↓, γ-Globulin ↓, relative Zunahme von α2- und β-Globulinen
▪
Serum-Kreatinin, ggf. Kreatinin-Clearance
▪
IgG und AT III (Cave: Infektanfälligkeit und Thromboseneigung beim nephrotischen Sy.)
▪
Blutfette (Cholesterin, Triglyzeride).
Nierenbiopsien während der Schwangerschaft vermeiden. Meist wurde die Ursache des
nephrotischen Syndroms bereits präkonzeptionell diagnostiziert.
Therapie
▪
Kausale Ther. der Grundkrankheit (wenn möglich)
▪
Grundsätzlich eiweiß- und kochsalzarme Diät, allerdings den individuellen schwangerschaftsassoziierten
Bedürfnissen angepasst
–
V. a. bei mäßiger bis schwerer peripherer Ödembildung kann eine transitorische Substitution
mit Humanalbumin (z. B. 20 % Humanalbumin 2 × 50 ml über 2–3 d) erforderlich sein.
–
Bei Ödembildung ist die salzarme auf eine mitteleuropäische Normalkost umzustellen.
Die „Normalkost“ entspricht bereits einer kochsalzreichen Kost, da sie mit 8–10 g
NaCl-Zufuhr „überdosiert“ ist.
▪
Engmaschige Verlaufskontrolle:
–
Blutdruck (Cave: Pfropfpräeklampsie), Klinik, 24-h-Eiweiß (2×/Wo.), Kreatinin-Clearance
(1–2×/Wo.), ggf. IgG, ggf. Antithrombin III
–
Fetale Überwachung (Biometrie, Doppler)
▪
Diuretika sehr zurückhaltend verordnen: Gefahr von uteriner Minderperfusion, Hypovolämie
mit konsekutiver Thromboseneigung (großzügige Ind. von Heparin beim nephrotischen
Sy.)
▪
Eine schwere Proteinurie – auch von 5–15 g/d – kann in der Schwangerschaft verhältnismäßig
lange toleriert werden (Cave: Gerinnung, Infektion).
!
Eine mögliche Progredienz der Niereninsuff. beachten (Kreatinin-Clearance). Bei einer
Kreatinin-Clearance < 70 ml/Min. sollte abhängig vom erreichten Gestationsalter die
Entbindung erwogen werden.
▪
Immunsuppressive Ther. mit Glukokortikoiden, Ciclosporin oder Azathioprin sind – nach
adäquater Indikationsstellung – in der Schwangerschaft möglich. Für eine notwendige
Ther. Glukokortikoide bevorzugen. Meist kann beim nephrotischen Sy. während der Schwangerschaft
aufgrund der schwangerschaftsspezifischen Immuntoleranz auf eine Immunsuppression
verzichtet werden. Dies gilt auch für die Frauen, die präkonzeptionell immunsupprimiert
wurden.
17.9.3
Akutes Nierenversagen
Epidemiologie Das akute, meist reversible Nierenversagen (Niereninsuff.) ist in der
Schwangerschaft ein sehr seltenes Ereignis. Im Wochenbett ist es etwas häufiger.
Ätiologie
▪
Verschiedene Grunderkr.: Glomerulonephritiden, Vaskulitiden, Tubulusnekrose
▪
Toxine
▪
Intrarenale Obstruktion
▪
Im Wochenbett: Folge einer sehr schweren Präeklampsie (17.2.1) mit und ohne HELLP-Sy.
(17.2.2).
Einteilung
Nieren:Versagen, akutesDie folgende Einteilung des akuten Nierenversagens hat sich
etabliert:
▪
Prärenales akutes Nierenversagen. Ursachen:
–
Meist hämodynamisch verursacht durch Blutdruckabfall oder Hypvolämie (Cave: Hoher
Blut- und Druckverlust infolge erheblicher peripartaler Blutungen, DIG bei Präeklampsie/HELLP-Sy.)
–
Toxine, Sepsis (24.8), Thrombose
▪
Renales akutes Nierenversagen. Ursachen:
–
Entzündliche Nierenerkr., z. B. glomeruläre Erkr. (rapid progressive Glomerulonephritis)
oder interstitielle Erkr. (z. B. interstitielle Nephritis)
–
Vaskuläre Nierenerkr.: Thrombosen, Vaskulitis
–
Toxine
–
Hämolytisch-urämisches Sy., DD: HELLP-Sy. (17.2.2)
▪
Postrenales akutes Nierenversagen. Ursachen: Meist Abflussbehinderung der ableitenden
Harnwege (selten durch Schwangerschaft verursacht).
Klinik Leitsymptom ist die Oligurie/Anurie mit dem Anstieg der Retentionswerte.
▪
Oligurie: < 500 ml Urin/d
▪
Anurie: < 200 ml Urin/d.
Das akute Nierenversagen kann in 15 % auch mit einer Normo- bzw. Polyurie bei gleichzeitigem
Anstieg aller Retentionswerte einhergehen.
Therapie
▪
Behandlung der Grunderkr.
▪
Diurese und Flüssigkeitsausgleich. Cave: Eine forcierte Diurese führt häufig zur uterinen
Minderperfusion.
▪
Elektrolytbilanzierung, ggf. Dialyse
▪
Aufgrund der eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten (Diurese, Dialyse) wird ein
akutes Nierenversagen meist zur Beendigung der Schwangerschaft führen. Bei extrem
unreifen Feten (23.–28. SSW) kann in Einzelfällen eine Schwangerschaftsverlängerung
unter intensivmedizinischen Bedingungen bei maternaler Kompensation versucht werden.
Komplikationen Werden v. a. durch eine Überwässerung mit konsekutiver Hypertonie,
Herzinsuff. mit peripherer und zentraler Ödembildung verursacht.
17.9.4
Chronische Niereninsuffizienz
Definition Die chron. Niereninsuff. ist durch eine irreversible Abnahme des Glomerulumfiltrats
bei progredienter Schädigung von Nierengewebe gekennzeichnet.
Epidemiologie
▪
Inzidenz in der Gesamtbevölkerung eher selten: 40–60/100.000 Einwohner pro Jahr
▪
Aufgrund der besseren Prognose von Pat. mit chron. Niereninsuff. wird der Geburtsmediziner
immer häufiger sowohl mit niereninsuff. Frauen mit Kinderwunsch als auch mit Nieren:Insuffizienz,
chronischeniereninsuffizienten Schwangeren konfrontiert (s. u.).
Ätiologie Folgende Grunderkr. liegen meist einer chron. Niereninsuff. zugrunde:
▪
Chron. Glomerulonephrits
▪
Diabetische Nephropathie: Diabetes mellitus hat in der Perinatalmedizin zunehmende
klinische Bedeutung:
–
Typ-1- und Typ-2-Diabetes in Gravidität (17.4): 0,2–0,4 (–1)% (Cave: Niereninsuff.)
aller Schwangeren
–
Gestationsdiabetes (17.5)
–
Die präkonzeptionelle Risikostratifizierung der Frauen mit diabetischer Nephropathie
und eine suffiziente Beratung sind von größter Wichtigkeit. Bei Schwangeren mit präkonzeptionell
normalem Serum-Kreatinin ist während der Schwangerschaft keine Verschlechterung der
Nierenfunktion zu erwarten, allerdings sind die Inzidenzen von Präeklampsie und Frühgeburtlichkeit
signifikant erhöht.
▪
Interstitielle Nephritis, chron. Pyelonephritis
▪
Polyzystische Nephropathien
▪
Hypertoniebedingte Nephrosklerose
▪
Toxische Ursachen (z. B. Analgetika)
▪
Niereninsuff. durch systemische Grunderkr, z. B. SLE (17.19.3).
Diagnostik
▪
Sonografie: evtl. Reduktion des Nierenvolumens, aber auch sonografisch unauffällige
Nieren sind keine Seltenheit.
▪
Serum-Kreatinin ↑, Kreatinin-Clearance ↓. Cave: Normalwerte der Kreatinin-Clearance
bei Nichtschwangeren sind bei Schwangeren (> 16. SSW; physiologische gestationsbedingte
renale Hyperfiltration) bereits erniedrigte Werte.
▪
Elektrolyte: Entgleisungen bei chron. Niereninsuff.
▪
Sediment.
Therapie
▪
Ther. der Grunderkr.
▪
Eiweißarme Diät. Cave: Bei progredienten Ödemen in Gravidität und bei Pfropfpräeklampsie
kann in Einzelfällen eine transitorische Eiweißsubsitution notwendig sein.
▪
Ausgleich des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushalts
▪
Vorsichtige Diurese unter CTG-Kontrolle (Furosemid) bei behandlungsbedürftigen Ödemen.
▪
Ggf. Dialyse (zuvor – wenn möglich – Entbindung anstreben)
▪
ACE-Hemmer zur Nephroprotektion nach Diagnose der Schwangerschaft absetzen. Bei unbeabsichtigter
Exposition mit ACE-Hemmern in der Embryonalphase ist aber keine medizinische Abruptio
indiziert.
▪
Diabetische Nephropathie: intensives prä- und postkonzeptionelles Labormonitoring,
ASS 100 mg/d (möglichst früh, „spätestens“ ab der 12. SSW) und effektive antihypertensive
Ther. Im Gegensatz zu präeklamptischen Frauen muss der Blutdruck mit dem Ziel normotensiver
Werte rechtzeitig eingestellt werden
Geburtshilfliches Vorgehen und Prognose Bei bestehendem Kinderwunsch ausführliche
Aufklärung über die erhöhte Risikokonstellation während der Schwangerschaft durchführen:
▪
Erhöhte Frühgeburtlichkeitsrate
▪
Häufigere intrauterine Wachstumsretardierungen
▪
Präeklampsie bzw. Pfropfpräeklampsie
▪
Progredienz der Niereninsuff.
Von einer Schwangerschaft bei einem reproduzierbaren Serum-Kreatinin von ≥ 2 mg/dl
und/oder bei einer therapierefraktären schweren Hypertonie abraten. Bei Serum-Kreatinin-Werten
von ≥ 2 mg/dl wird signifikant häufiger eine ernste Progredienz der Niereninsuff.
bis hin zur terminalen Niereninsuff. beobachtet.
Ein Anstieg des Serum-Kreatinins wird erst bei einem Verlust von 40–50 % der Nierenfunktion
beobachtet. Die Stadien der Niereninsuff. sind dabei fließend und reichen von der
kompensierten Chronifizierung bis hin zur präterminalen und terminalen Niereninsuff.
17.9.5
Nierenzysten und Zystennieren
Nierenzysten
Epidemiologie Nierenzysten bei Schwangeren sind meist ein Zufallsbefund (solitär oder
multipel, ein- oder beidseitig), da sie meist ohne klinische Symptome auftreten. Die
Häufigkeit der Nierenzysten steigt mit dem Lebensalter: 5 % bei 30- bis 39-Jährigen,
95 % bei > 70-Jährigen. Die Prävalenz ist bei Männern gegenüber Frauen erhöht.
Diagnostik Sonografie, Serum-Kreatinin.
Therapie Bei unauffälliger Nierenfunktion ohne klinische Beschwerden erfolgt keine
weitere Ther. Nur bei Nieren:Zystendeutlicher klinischer Beschwerdesymptomatik sollte
in der Schwangerschaft in Einzelfällen eine Entlastungspunktion oder eine Resektion
erfolgen.
Zystennieren
Epidemiologie Zystennieren sind eine heterologe Gruppe einer meist hereditären Ätiologie.
Da Betroffene häufig das fertile Alter nicht erreichen oder an einer klinisch relevanten
Niereninsuff. leiden, sind Schwangerschaften bei Frauen mit Zystennieren sehr selten.
Einteilung
▪
Autosomal-rezessive polyzystische Nephropathie (Typ I nach Potter): Prävalenz 1 :
10.000. Fast 90 % der Kinder mit ZystennierenZystennieren Typ I nach Potter (stets
beidseitig) sterben bereits im Kindesalter.
▪
Zystische Nierendysplasie (Typ II nach Potter): sporadisch auftretend. Zystennieren
mit Typ II nach Potter können ein- oder beidseitig auftreten und zu einer Niereninsuff.
sehr unterschiedlicher Ausprägung führen.
▪
Nephropathie:polyzystischeAutosomal-dominante polyzystische Nephropathie (Typ III
nach Potter; ADPKD = autosomal dominant polycystic kidney disease): Prävalenz 1 :
1.000. Manifestiert sich klinisch meist im Erwachsenenalter nach dem 40. Lj. und ist
in 50 % mit Leberzysten Nieren:Dysplasieund/oder zerebralen Aneurysmen vergesellschaftet.
Schwangere sind durch diese Aneurysmen und die häufig assoziierte Niereninsuff. gefährdet.
▪
Weitere Formen der Zystennieren können bei assoziierten Fehlbildungssy. (z. B. Meckel-Sy.)
oder bei der sog. Markschwammniere auftreten.
Klinik Klinische Symptome der Niereninsuff.
Diagnostik Im Fall einer Schwangerschaft ist die Diagnose (Sonografie, Anamnese) fast
immer bekannt.
Therapie Symptomatisch. Engmaschige Überwachung der Nierenfunktion (Serumkreatinin,
Kreatinin-Clearance, Serumelektrolyte, Proteinurie, arterieller Druck).
Komplikationen Zystennieren führen häufig zur terminalen Niereninsuff. (8 % aller
Dialysepatientinnen sind Trägerinnen von Zystennieren).
17.9.6
Nephrolithiasis
Epidemiologie Insgesamt leiden etwa 4 % der Bevölkerung an einer Nephrolithiasis (Altersprogredienz,
Tendenz steigend). Die Gründe für den Anstieg liegen an der Ernährung, Klimaveränderungen
(!) und am Anstieg von Komorbiditäten, wie Diabetes und Übergewicht.
Der Anstieg ist bei Schwangeren allerdings nicht zu beobachten, die Inzidenz liegt
bei 1 : 200–1.500 Schwangeren.
▪
Männer (20 %) leiden mind. Nephrolithiasisdoppelt so häufig daran wie Frauen (5–10
%).
▪
Nieren:SteineDie Nephrolithiasis ist einer der Hauptgründe für eine nicht geburtshilflich
bedingte Notfallhospitalisierung während der Schwangerschaft.
▪
Die Nephrolitihiasis wird durch den Progesteronanstieg und die mechanische Kompression
des Urogenitaltraktes begünstigt.
Ätiologie Beschwerden der ableitenden Harnwege gehen verhältnismäßig häufig von einem
Harnsteinleiden (Nephrolithiasis) aus. In der Schwangerschaft kommt es durch Progesteroneinfluss
zu einer Dilatation des Ureters, wodurch bereits bestehende Steine ihre Lokalisation
ändern und damit klinisch symptomatisch werden können. Darüber hinaus begünstigen
der Anstieg der GFR, nutritive Kalziumergänzung und der Anstieg des Vitamin D-Niveaus
(Anstieg von Urin-pH) die Nephrolithiasis.
–
Kalziumoxalat- und Kalziumphosphatsteine: Etwa 80 %
–
Uratsteine: 15 %
–
Magnesium-Ammonium-Phosphat-Steine: In fast 5 %.
Klinik
▪
Chron. bestehender oder meist akuter kolikartiger Schmerz im Bereich der Harnleiter
(evtl. mit peritonealer Ausstrahlung)
▪
Evtl. Fieber (Nephrolithiasis ist häufig mit einem Harnwegsinfekt assoziiert) → cave:
Urosepsis
▪
Hämaturie
▪
Schwangerschaftskomplikationen: vorzeitige Wehentätigekeit, Frühgeburtlichkeit, vorzeitiger
Blasensprung, habituelle Aborte und Präeklampsie.
Differenzialdiagnosen
▪
Appendizitis, Wehen, andere Nierenerkr., stielgedrehte Ovarialzyste oder Ruptur, Ileus,
Gallenkolik
▪
Extrauteringravidität bei Frühschwangerschaft, Ovarialvenenthrombose v. a. im Wochenbett.
Diagnostik
▪
Anamnese: Meist ist eine Nephrolithiasis bereits anamnestisch bekannt.
▪
Urin-Stix, Urin-Kultur, Urin-Sieb
▪
Sonografie. In indizierten Fällen weitere Bildgebung mit MRT. CT bei strenger Indikationsstellung.
Therapie
▪
Spasmolytika: z. B. Butylscopolamnin 20 mg i. v.
▪
Analgetika: z. B. ASS 0,5–1,0 g i. v.
▪
Reichlich Flüssigkeitszufuhr
▪
Ggf. Litholyse
▪
Steinentfernung: Eine chirurgische Intervention selten notwendig (nur bei Fieber,
persistierenden oder manchen geburtshilflichen Komplikationen). Inzwischen sind endoskopische
OP-Verfahren (Ureteroskopie) etabliert und risikoarm.
–
Cave: Die schallwellengesteuerte Lithotripsie ist während der Schwangerschaft kontraindiziert.
–
Eine akute Infektion ist eine KI für eine Ureteroskopie, stattdessen ist eine Drainage
indiziert.
–
Insgesamt ist ein exspektatives Vorgehen anderen Alternativen – wenn möglich – vorzuziehen
▪
Bewegung bzw. beschwerdeadaptierte Lagerung: Ein Nierenstau (Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems)
kann Folge einer Nephrolithiasis sein und wiederum eine gefürchtete Pyelonephritis
verursachen. Cave: Entwicklung einer Urosepsis auf dem Boden einer akuten Pyelonephritis.
Gradeinteilung des Nierenstaus
▪
Grad 0: Geringe Stauung der Nierenkelche (≤ 5 mm), unauffällige konkave Formung der
Kelchpapillen, Kelchhälse nur z. T. offen
▪
Grad I: Leichte Stauung der Nierenkelche (6–10 mm), evtl. konvexe Verformung der Kelchpapillen,
Kelchhälse meist geöffnet
▪
Grad II: Mittlere Stauung der Nierenkelche (11–15 mm), konvexe Verformung aller Kelchpapillen,
Öffnung aller Kelchhälse
▪
Grad III: Deutliche Stauung der Nierenkelche (> 15 mm), weite Eröffnung der Kelchhälse.
17.9.7
Lupusnephritis
Siehe auch 17.19.3.
Definition Die sich auf der Basis eines systemischen Lupus erythematodes (SLE) entwickelnde
Lupusnephritis Nieren:Stauist eine ernste Erkr. mit häufig assoziierter Niereninsuff.,
die in eine terminale Niereninsuff. übergehen kann.
Der SLE ist eine Systemerkr. mit einer Vaskulitis/Perivaskulitis der kleineren Arterien
und Arteriolen mit Beteiligung zahlreicher Organsysteme. Bedeutung hat die Erkr. in
der Geburtshilfe deshalb, da überwiegend Frauen im Konzeptionsalter betroffen Lupusnephritissind
und die Grunderkr. häufig erst in der Schwangerschaft bei einer möglichen Progredienz
(v. a. bei einer progredienten Lupusnephritis) diagnostiziert wird.
Epidemiologie
▪
Prävalenz: 50/100.000 Einwohner
▪
Frauen : Männer = 10 : 1
▪
Die Krankheit manifestiert sich meist zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr.
Ätiologie und Pathophysiologie Die Ätiologie ist bislang unklar.
In den Gefäßen kommt es zur Anreicherung pathogener Auto-AK und/oder Immunkomplexen.
Klinik Die Lupusnephritis neigt im 3. Trimenon oder im Wochenbett zur Progression.
Symtpome sind eine glomeruläre Proteinurie, ein nephrotisches Sy. und eine progrediente
Niereninsuff. Cave: erhöhte Thromboseneigung und Risiko einer Pfropfpräeklampsie.
Die Symptome des SLE sind außerordentlich heterogen und werden durch die beteiligten
Organsysteme markiert (17.19.3).
Diagnostik
▪
Klinische Untersuchung.
▪
Labor: unspezifische Entzündungszeichen: CRP, α2-/γ-Globuline, Komplement (C3, C4,
C3d). Cave: Eine Erhöhung der BSG ist während der Schwangerschaft nicht verwertbar.
–
Antinukleäre AK (ANA): 95 %
–
AK gegen Doppelstrang-DNA: 60–90 %
–
Antiphospholipid-AK: 20–50 %
–
Zirkulierende Immunkomplexe.
Antiphospholipid-AK
Vor allem Antiphospholipid-Antikörperbei Erhöhung der Antiphospholipid-AK (Lupusantikoagulans,
Anticardiolipin-AK) ist aufgrund der erhöhten Thromboseneigung mit einer signifikanten
Abortneigung (Früh- und Spätaborte, intrauteriner Fruchttod, letaler AV-Block) zu
rechnen.
Bei habituellen Aborten und nachgewiesenen Antiphospholipid-AK kann zur Abortprophylaxe
eine Ther. mit niedermolekularen Heparinen durchgeführt werden.
Therapie
▪
Kausale Ther. nicht möglich.
▪
Bei Progredienz in der Schwangerschaft, v. a. bei Nierenbeteiligung, eine Glukokortikoidther.
durchführen: Methylprednisolon 50–1.000 mg/d. Methylprednisolon ist nicht plazentagängig.
▪
In Einzelfällen kann die Behandlung mit weiteren Immunsuppressiva notwendig werden
(Ciclosporin, Azathioprin).
▪
Lupusähnliche Hautveränderungen bei Neugeborenen von Müttern mit SLE bilden sich spontan
zurück und müssen nicht behandelt werden.
17.9.8
Thrombotische Mikroangiopathie der Niere
Einleitung Thrombotische Mikroangiopathien sind eine Gruppe von Krankheiten, die sich
durch eine mikroangiopathische hämolytische Anämie, Thrombozytopenie und den thrombotischen
Verschluss kleiner Gefäße kennzeichnen. Endothelzelldefekte und die Störung des Gerinnungssystems
sind wichtige Merkmale dieser Erkr. Zwei Haupttypen kennzeichnen dieses Erkrankungsklasse:
das hämolytisch-urämische Sy. (HUS) und die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura
(TTP). Mikroangiopathie, thrombotischeSowohl das HUS als auch die (TTP) sind zwar
seltene Erkr. mit Nierenbeteiligung, aber aufgrund ihrer klinischen Symptomatik für
die DD eines HELLP-Syndroms von Bedeutung.
Ätiologie
Hämolytisch-urämisches Syndrom: Das HUS ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern
eher ein „Sammelbegriff“ für pathophysiologisch ähnliche Krankheitsbilder. Die meisten
HUS werden durch Shigatoxin-bildende E. coli ausgelöst (STEC). Es kann aber auch durch
eine Ciclosporin-Behandlung (sehr selten) und hormoneller Kontrazeption auftreten.
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (Moschkowitz-Syndrom, TTP): Unterschieden
werden eine erworbene Form Hämolytisch-urämisches Syndrom durch inhibierende AK von
einer hereditären Form bei inaktivierenden Genmutationen. Pathophysiologisch ist häufig
eine Dysfunktion der Metallproteinase ADAMTS13 verantwortlich.
Pathophysiologie Beide Erkr. sind pathophysiologisch eng miteinander verwandt, bei
denen es zu einer mikroangiopathischen Hämolyse (DD: HELLP-Sy., 17.2.2), zu einer
Moschkowitz-SyndromThrombozytopenie (DD: HELLP-Sy.) und zu einer Mikroangiopathie
(DD: Purpura:thrombotisch-thrombozytopenischePräeklampsie, 17.2.1) v. a. der Nieren
(HUS) und der Leber (TTP) kommt.
Klinik
Tab. 17.24
.
Tab. 17.24
Symptome und DD von HELLP-Sy., HUS, TTPHELLP-Syndrom:DifferenzialdiagnoseHämolytisch-urämisches
Syndrom:Differenzialdiagnose
Parameter
HELLP-Sy.
TTP
HUS
Hämolyse
++
+++
+++
Leberenzyme
++
(+)
(+)
Thrombozytopenie
++
+++
+++
Hypertonie
++ (fehlt in 15–20 %)
–
Sekundär
Proteinurie
+++ (fehlt in 10–15 %)
+
++
Entzündungszeichen
+
–
+ (Fieber)
Nierenbeteiligung
+, selten +++
+
+++
Zentrale Symptome
+, ++
+++
Sekundär
Ikterus
(+)
++
++
Zeitpunkt
3. Trimenon
Häufig 2. Trimenon
Häufig postpartal
[nach Faridi und Rath 1996]
Hämolytisch-urämisches Sy.: kann sich u. a. im Wochenbett, seltener während der Schwangerschaft
entwickeln. Cave: Da das HELLP-Sy. in bis zu 30 % ebenfalls erst im Wochenbett symptomatisch
werden kann, ist die DD mitunter schwierig.
Rascher Beginn der Symptomatik. Nach einer enteralen Infektion mit E. coli entwickeln
sich klinische Symptome innerhalb von 3 Tagen. Warum nur ein kleiner Teil von Infizierten
ein HUS entwickelt, ist nicht bekannt):
▪
Anämie (mikroangiopathisch-hämolytische Anämie, Haptoglobin)
▪
Thrombozytopenie
▪
Akutes Nierenveragen (mit sekundärer Hypertonie)
▪
Fragmentozyten im peripheren Blutausstrich
▪
Blutige Diarrhö.
Atypische HUS (aHUS)
10 % aller HUS-Fälle Hämolytisch-urämisches Syndrom:atypischeswerden dem aHUS zugeschrieben.
Beim aHUS sind die Nieren gegenüber dem HUS noch häufiger klinisch involviert. Differenzialdiagnostisch
sollte eine STEC-Infektion und eine erniedrigte ADAMTS13-Aktivität ausgeschlossen
sein. Die Prognose ist gegenüber dem HUS ernster, nach 3 Jahren sind nur noch 50 %
der Nieren funktionsfähig. Eine Komplementaktivierung ist typisch und führt konsekutiv
zum Endothelschaden und der Aktivierung des Gerinnungssystems mit nachfolgenden Mikrothrombosen.
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura: klinische Auffälligkeit meist, wie bei anderen
thrombotischen Mikroangiopathien, durch die Thrombopenie und die alterierten Erythyrozyten.
Rascher Beginn der Symptomatik:
▪
Neurologische Symptome: Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Krämpfe, die anamnestisch und
diagnostisch keiner anderen neurologischen Grunderkr. zuzuordnen sind
▪
Purpura der Haut, Anämie, Thrombozytopenie, Ikterus, Fieber.
Diagnostik
▪
Klinik:
–
HUS: renale Beteiligung
–
TTP: zentrale Symptomatik
▪
Nachweis einer Thrombozytopenie
▪
Coombs-Test-negative hämolytische Anämie (Haptoglobin)
▪
Fragmentozyten im Ausstrich
▪
HUS: Nachweis des E.-coli-Serotyps 0157:H7 oder von Shigellen
▪
TTP: auffälliger neurologischer Status.
Differenzialdiagnosen
Tab. 17.24.
Therapie
▪
Plasmapherese: Heilungsraten bei 80–90 %, Behandlung möglichst rasch nach Diagnosestellung
▪
Plasmaseparation
▪
Glukokortikoide nur in Einzelfällen wirksam
▪
Eine Antibiotikather. wird nach Studienlage heterogen bewertet, allerdings eher befürwortet.
▪
Symptomatische Ther. der Komplikationen (Niereninsuff. in 90 %, Hypertonie).
Komplikationen Häufigste und schwerste Komplikation ist beim HUS die Niereninsuff.
in 90 %, die aber in wenigen Wo. meist reversibel ist. Eine zumindest transitorische
Dialyse ist bei der HUS häufig.
17.9.9
Dialyse und Schwangerschaft
Einleitung Niereninsuffiziente Frauen im gebärfähigen Alter können grundsätzlich dann
eine Schwangerschaft anstreben, wenn die Nierenfunktion stabil und nicht mit einer
raschen Progredienz der Niereninsuff. zu rechnen ist.
Richtwert für eine mögliche Schwangerschaft ist ein stabiles Serum-Kreatinin von max.
2 mg/dl (besser < 1,5 mg/dl).
Epidemiologie und Pathophysiologie
▪
Schwangerschaft: Entwicklung einer terminalen Niereninsuff. mit der Notwendigkeit
einer Dialyse extrem selten. Jenseits der ausgeprägten Frühgeburtlichkeit (> 32. SSW)
ist in einem solchen Fall die Schwangerschaftsbeendigung anzustreben.
▪
Wochenbett: terminale Niereninsuff. z. B. nach besonders schweren Formen einer Präeklampsie
oder eines HELLP-Syndroms häufiger
▪
Dialysepatientinnen (Tab. 17.25
): Gelegentlich besteht ein Kinderwunsch bei dialysepflichtigen Frauen. Allerdings
sind DialyseSchwangerschaften bei dialysepflichtigen Frauen aufgrund der deutlich
herabgesetzten Fertilität noch immer selten. Bereits im prädialysepflichtigen Stadium
kommt es als Folge der Niereninsuff. zu erheblichen, meist anovulatorischen Zyklusstörungen.
Bei verbesserten, den physiologischen Erfordernissen adaptierten Dialysetechniken
nimmt jedoch die Rate von Schwangerschaften unter Dialyse zu.
–
Insgesamt hohe Abortrate (40–60 %) und extrem häufige Frühgeburtlichkeit → erfolgreich
ausgetragene Schwangerschaften sind noch immer selten und weltweit nur in wenigen
hundert kasuistisch publizierten Fällen beschrieben.
–
Etwa 20 % der Dialysen während einer Schwangerschaft werden wegen der Entwicklung
einer schwangerschaftsassoziierten terminalen Niereninsuff. bei vorbestehender Niereninsuff.
notwendig. Die Diagnose einer Frühschwangerschaft kann bei der Ungenauigkeit von hCG-Bestimmungen
unter Dialyse schwierig sein, sodass die sonografische Schwangerschaftsdiagnostik
im Vordergrund steht.
Tab. 17.25
Prognose einer Schwangerschaft bei Dialysepatientinnen und nach NierentransplantationNieren:Transplantation
Dialyse
Nierentransplantation
Spontanaborte [%]
40–60
10–15
Ther. Aborte [%]
5–15
5–10
Totgeburten [%]
5–8
2–3
Lebendgeburten [%]
30–50
75–85
Fehlbildungen [%]
5–10
3–5
Perinatale Mortalität [%]
15–20
1–2
Frühgeburten [%]< 1.500 g [%]
85–100
40–60
36
10
Mittleres Gestationsalter
32. SSW
36. SSW
Mittleres Geburtsgewicht
1.500 g
2.500 g
[nach Budde et al. 2002]
Therapie und Komplikationen
Bei Schwangerschaften unter Dialyse muss mit der Verschlechterung der meist bestehenden
renalen Anämie und des arteriellen Hochdrucks gerechnet werden.
▪
Hypertonie (17.2):
–
Antihypertensive Ther. den Erfordernissen der Schwangerschaft anpassen
–
Langzeitther. mit α-Methyldopa 1–3 × 250 mg/d (max. 4 g/d)
–
Akutther. mit Nifedipin 10 mg p. o. (max. 100 mg/d), ggf. Urapidil 6,25–12,5 mg über
2 Min. (max. 180 mg/d)
!
Dihydralazin aufgrund der präeklampsiemaskierenden NW vermeiden.
!
Die bei dialysepflichtigen Frauen häufige Behandlung mit ACE-Hemmern nach Diagnosestellung
umstellen. Eine unbeabsichtigte Behandlung mit ACE-Hemmern im 1. Trimenon ist nach
aktuellem Kenntnisstand nicht embryotoxisch, sodass bei Exposition keine medizinische
Abruptio-Ind. vorliegt. Die Umstellung erfolgt auf α-Methyldopa oder Nifedipin.
▪
Anämie (17.20.1): Bei der i. d. R. mit der Schwangerschaft assoziierten Verschlechterung
einer Anämie sollte die präkonzeptionelle Ther. mit Erythropoetin weitergeführt werden
und ist einer Ther. mit Erythrozytentransfusionen vorzuziehen. Eine Erhöhung der Erythropoetindosierung
um 50–100 % hat sich bewährt.
▪
Polyhydramnion: In 40–60 % muss mit einem Polyhydramnion gerechnet werden, das evtl.
durch die hohen Harnstoffkonzentrationen mit konsekutiver fetaler Diuresesteigerung
getriggert wird (Cave: vorzeitige Wehentätigkeit). Als Ther. hat sich dafür eine Intensivierung
der Dialysebehandlung bewährt. Es gibt Hinweise, dass eine Verlängerung der wöchentlichen
Dialysezeiten (> 20 h/Wo.; ggf. täglich) einen günstigen Effekt auf den Ausgang der
Schwangerschaft hat.
▪
Ernährung (2.1): Für die Dialysepatientinnen hat die richtige Ernährung, die den Bedürfnissen
der Schwangerschaft angepasst werden muss, eine besondere Bedeutung.
–
Für folgende Substanzen besteht grundsätzlich die Gefahr einer Unterdosierung: Proteine,
wasserlösliche Vitamine, Kalium, Kalzium, Bikarbonat.
–
In Einzelfällen kann eine parenterale Ernährung sinnvoll sein.
▪
Antikoagulation: Die notwendige Heparinther. bei dialysepflichtigen Pat. kann weitergeführt
werden. Grundsätzlich möglichst niedrige Dosen bevorzugen. Niedermolekulare, subkutan
zu applizierende Heparine bevorzugen.
Geburtshilfliches Vorgehen Grundsätzlich orientiert sich der Entbindungszeitpunkt
an der fetalen und maternalen Situation. Die meisten Empfehlungen raten zu einer Entbindung
zwischen der 34. SSW und nur selten nach der 38. SSW.
Bei stabiler fetaler und maternaler Situation kann auch ein vaginaler Entbindungsmodus
angestrebt werden.
17.9.10
Schwangerschaft nach Nierentransplantation
Einleitung Pat. mit terminaler Niereninsuff. sollten optimalerweise nur über einen
begrenzten Zeitraum durch eine Hämodialysether. behandelt werden. Durch eine Nierentransplantation
verbessern sich die Lebensqualität und die Langzeitprognose erheblich. Trotzdem haben
transplantierte Frauen gegenüber gesunden Frauen ein schlechteres Langzeitüberleben:
▪
Nach Transplantation leben nach 1 J. noch 95 %. Für junge Frauen im gebärfähigen Alter
ist das Nieren:TransplantationÜberleben höher.
▪
Nach 5 bzw. 10 J. sind noch 60–70 % bzw. 50–60 % der transplantierten Nieren funktionsfähig.
Epidemiologie Junge Frauen profitieren durch die Transplantation durch Wiederherstellung
der Fertilität, sodass die Schwangerschaftsrate nach Nierentransplantation im entsprechenden
Alterskollektiv bis zu 12 % beträgt.
Bei jungen Frauen müssen der Nephrologe und der Gynäkologe kontrazeptive Maßnahmen
aktiv ansprechen, aber auch über die Möglichkeit einer Schwangerschaft beraten.
Pathophysiologie Der Einfluss einer Schwangerschaft auf das Empfänger- und Transplantatüberleben
wurde lange kontrovers diskutiert. Inzwischen konnte gezeigt werden, dass Schwangerschaften
– bei stabiler Transplantatfunktion zum Zeitpunkt der Konzeption – keinen negativen
prognostischen Einfluss haben. Es wird darüber hinaus diskutiert, ob die Schwangerschaft
aufgrund der schwangerschaftsassoziierten Immuntoleranz sogar einen positiven Langzeiteffekt
haben könnte.
Transplantatfunktion und Prognose Im Schwangerschaftsverlauf verhält sich die Transplantatniere
wie die Nieren gesunder Frauen.
▪
Eine Hyperfiltration mit konsekutivem Abfall des Serum-Kreatinins und einem Anstieg
der Kreatinin-Clearance wird beobachtet. Ein Ausbleiben der Hyperfiltration geht mit
einer schlechteren Prognose für das mittelfristige Transplantatüberleben einher.
▪
Die im 3. Trimenon in 40 % zu beobachtende milde Proteinurie (< 500 mg/d) ist ohne
prognostischen Einfluss.
▪
Ist die perikonzeptionelle Transplantatfunktion stabil, haben transplantierte Schwangere
gegenüber Transplantierten ohne Schwangerschaft ein vergleichbares langfristiges Empfänger-
und Transplantatüberleben.
Immunsuppression Die immunsuppressive Ther. nach Nierentransplantation ist heterogen,
da länder- und zentrumsabhängig. Zur Ther. von nicht schwangeren Transplantierten
werden die Kalzineurininhibitoren Ciclosporin und Tacrolimus sowie Mycophenolsäure
(MMF, EC-MPS), mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus), Azathioprin und Glukokortikosteroide
eingesetzt, wobei i. d. R. mehrere Wirkstoffe kombiniert werden.
Erfahrungen in der Schwangerschaft:
▪
Immunsuppression:NierentransplantationDie umfangreichsten Erfahrungen gibt es für
Ciclosporin, Azathioprin und Glukokortikoide.
▪
Für Tacrolimus gibt es erste, noch heterogene Erfahrungen.
▪
Mycophenolsäure zeigte in Tierstudien ein teratogenes Potenzial (ZNS); bei Schwangeren
liegen keine adäquaten Daten vor.
▪
Die mTOR-Inhibitoren sind im Tierversuch embryotoxisch. Ausreichende Erfahrungen beim
Menschen gibt es nicht (Cave: nephrotoxisch, nephrotisches Sy., gestörte Hämatopoese).
Bei Transplantierten, die präkonzeptionell auf Ciclosporin, Azathioprin und Glukokortikoide
eingestellt waren, kann die Ther. in der Schwangerschaft weitergeführt werden:
▪
Azathioprin kann i. d. R. in der Dosierung unverändert weitergeführt werden.
▪
Ciclosporin: Die Einstellung ist mitunter schwierig, da es mit Östrogenen metabolisch
interagiert und es in der Schwangerschaft zu einem veränderten Verteilungsmuster und
zu einer fetalen Metabolisierung kommen kann. Aus diesem Grunde fällt im Schwangerschaftsverlauf
die Ciclosporin-Konzentration ab. Wenn dann die Dosis erhöht Azathioprinwird, kommt
es häufig zu einer ther. Überdosierung. Da die NW von Ciclosporin (v. a. Nephrotoxizität)
dosisabhängig sind, muss auf die Ciclosporin Arichtige, schwangerschaftsadaptierte
Dosierung besonders geachtet werden. Cave: Gegenüber mit Azathioprin behandelten Frauen
sind bei mit Ciclosporin behandelten Frauen, unabhängig von einer Schwangerschaft,
stets höhere Serum-Kreatinin-Werte nachzuweisen.
▪
Tacrolimus: Die Weiterführung der Ther. kann abgewogen werden.
▪
Mycophenolsäure sowie Sirolimus und Everolimus müssen umgestellt werden.
▪
Für Ciclosporin, Azathioprin und Glukokortikoide sind beim Menschen keine teratogenen
Einflüsse beschrieben. Allerdings sind fetale Wachstumsretardierungen bekannt, sodass
eine engmaschige fetale sonografische Überwachung erfolgen muss.
▪
Die Gefahr einer Pfropfpräeklampsie ist bei allen Pat. grundsätzlich erhöht; allerdings
ist diese Komplikation bei ciclosporinbehandelten Frauen häufiger, da die Rate eines
präexistenten Hypertonus bei diesen Frauen erhöht ist.
Therapierichtlinien
Schwangerschaft: Gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schwangerschaft liegen
bei folgender Konstellation und Überwachung vor:
▪
Frauen sollten frühestens 1 Jahr nach Transplantation (evtl. nach 6 Mon.) schwanger
werden.
▪
Voraussetzung hierfür ist eine Tacrolimusstabile Transplantatfunktion: Serum-Kreatinin
< 2,0 mg/dl.
▪
Kein therapierefraktärer Hypertonus: ACE-Hemmer absetzen, bevorzugte Antihypertensiva
sind Methyldopa und Nifedipin.
▪
Keine Proteinurie > 500 mg/d
▪
Immunsuppression mit Ciclosporin, Azathioprin, Steroiden
▪
Präkonzeptionell erweitertes virologisches Screening: Röteln, Hepatitis B/C, CMV,
Herpes simplex, Toxoplasmose
▪
Alle 2 Wo.:
–
Verlaufskontrolle der Nierenfunktion (Serum-Kreatinin)
–
Ausschluss von Rejektionen
–
Bei Ciclosporinther. Messung der Wirkstoffkonzentration
▪
Ausschluss aszendierender Infektionen (40 % der transplantierten Frauen leiden während
der Schwangerschaft an einem Harnwegsinfekt); ggf. Nierensono (Harnstau ist durch
vesikoureteralen Reflux häufig)
▪
Blutdruckmonitoring (ambulante Selbstmessung, ggf. 24-h-Messung), Ausschluss Pfropfpräeklampsie
(Verlaufsbeobachtung der Klinik), ggf. sog. HELLP-Labor (DD: HELLP-Sy. 17.2.2, HUS).
Über 50 % der Pat., die mit CyA immunsupprimiert werden, leiden bereits präkonzeptionell
an einer arteriellen Hypertonie. Das Risiko einer Präeklampsie/Pfropfpräeklampsie
beträgt 20–30 %.
▪
Alle 2–4 Wo. Hb-Kontrollen (frühzeitige Substitution von Eisen); eine Behandlung mit
Erythropoetin ist, im Gegensatz zu hämodialysierten Frauen, nur selten erforderlich.
Frühgeburt und Wachstumsretardierung: Aufgrund des erhöhten Risikos von Frühgeburtlichkeit
(40–40 %; 21.1) und Wachstumsretardierungen muss ein engmaschiges fetales Monitoring
(Biometrie, Doppler) erfolgen. Das Risiko einer Wachstumsretardierung korreliert dabei
v. a. mit der Nierenfunktion und der Wahl der immunsuppressiven Ther.
▪
Ciclosporinther. erhöht das Risiko für IUGR.
▪
Azathioprin und Glukokortikoide können ebenfalls das fetale Wachstum negativ beeinflussen.
Die postnatale Morbidität und Mortalität wird aber, wie bei Neugeborenen gesunder
Frauen, von der Frühgeburtlichkeit und nicht von der maternalen Situation beeinflusst.
Ziel ist es, die Geburt vor der 28. SSW, optimalerweise vor der 34. SSW zu verhindern.
Der Neonatologe sollte postnatal die Nierenfunktion des Neugeborenen, v. a. nach einer
potenziell nephrotoxischen Ciclosporinther., überwachen.
Geburtshilfliches Vorgehen Meist befindet sich das Transplantat in der Region der
Fossa iliaca. Diese Region ist wegen der guten Gefäßanschlussmöglichkeiten, des geringen
Abstandes zur Harnblase und der guten postop. Untersuchungs- und Punktionsmöglichkeit
des Organs heute bevorzugte Implantationsregion. Bei dieser anatomischen Lokalisation
des Transplantats und der guten „mechanischen Belastbarkeit“ des Organs ist die vaginale
Geburt der bevorzugte Entbindungsmodus bei transplantierten Frauen.
Allerdings ist die Sectiorate bei transplantierten Frauen aufgrund der assoziierten
Komplikationsrate (Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie) erhöht.
17.9.11
Postpartale Nachsorge bei Proteinurie
Definition
▪
Mikroalbuminurie: 30–300 mg Albumin/24 h oder 20–200 mg Albumin/l Urin
▪
„Kleine“ Proteinurie: 0,15–3 g (3,5 g)/24 h
▪
„Große“ Proteinurie: > 3 g (3,5 g)/24 h.
Pathophysiologie Grundsätzlich gilt, dass eine Proteinurie von mehr als 150 mg/24
h ein Zeichen für eine renale Erkr. ist, die sich glomerulär, tubulär oder in beiden
Nierenabschnitten abspielen kann. Wenn insgesamt geringe Mengen Protein, v. a. Albumin,
i. S. einer Proteinurie:postpartaleMikroalbuminurie ausgeschieden werden, ist dies
bei Pat. mit Hypertonie oder Diabetes mellitus ein frühes Zeichen einer glomerulären
Schädigung und geht mit einer erhöhten kardiovaskulären Morbidität einher.
Indikationen für eine Nachuntersuchung und Pathophysiologie Nephrologische Nachuntersuchungen
sind gelegentlich nach einer Präeklampsie indiziert. Die typische Nierenbeteiligung
(glomeruläre kapilläre Endotheliose, also als Schwellung der kapillären Endothelzellen
mit subendothelialen Ablagerungen) geht klinisch mit einer meist mäßigen Proteinurie
einher, die 3 g/24 h selten übersteigt. Histologische Untersuchungen sind limitiert
und zeigen einen teilweisen Rückgang der renalen Veränderungen postpartal.
Eine fortbestehende Mikroalbuminurie als Zeichen einer renalen Beteiligung kann bei
20–42 % nicht nur 2 Mon. postpartal, sondern auch noch Jahre nach einer Präeklampsie
nachgewiesen werden.
Die Mikroalbuminurie ist bei arterieller Hypertonie und Diabetes mellitus ein unabhängiger
Risikofaktor für kardiale Morbidität, wobei die Mikroalbuminurie als Symptom für eine
bereits eingetretene renale Schädigung gilt.
Bei einer MikroalbuminuriePräeklampsie tritt die Mikroalbuminurie zeitgleich mit der
arteriellen Hypertonie auf und ist daher kein Folgeschaden; die prognostische Bedeutung
für präeklamptische Pat. ist nicht der für hypertensive Pat. gleichzusetzen. Tatsächlich
ist die Nierenfunktion von mehrere Jahre nach Präeklampsie untersuchten Pat. trotz
Mikroalbuminurie stabil. Dennoch ist eine persistierende Mikroalbuminurie bei einer
vormals präeklamptischen Pat. mit Misstrauen Präeklampsie:Mikroalbuminuriezu beobachten,
da sie auch Zeichen einer zugrunde liegenden primären Nierenerkr. sein kann. Der Prozentsatz
der präeklamptischen Pat., die tatsächlich eine renale Grunderkr. haben, wird je nach
Studie sehr verschieden angegeben und variiert zwischen 2 und 67 %. Die tatsächliche
Zahl ist schwer bestimmbar, Möglichkeit jedoch immer einbeziehen.
Persistiert also bei einer Pat. die Proteinurie oder Mikroalbuminurie über mehr als
3 Mon. postpartal, sollte eine nephrologische Abklärung erfolgen. Alarmzeichen sind
v. a. das nephrotische Sy. (eine meist große Proteinurie, Hypoproteinämie, Hypercholesterinämie
und Ödeme) und/oder eine Nierenfunktionseinschränkung. Hierbei kommt es neben der
Quantifizierung und Differenzierung der Proteinurie auf die Nierenfunktion an, die
bei normalem Serum-Kreatinin bereits deutlich reduziert sein kann, da dieses erst
nach einem Abfall der glomerulären Filtrationsrate auf weniger als etwa die Hälfte
ansteigt! Einzig die Kreatinin-Clearance kann schon frühzeitige Veränderungen der
Nierenfunktion feststellen. In weiteren Untersuchungen (spezielle Labordiagnostik,
Sonografie der Nieren und der Nierengefäße, Nierenbiopsie) wird die Genese der Erkr.
geklärt, um eine spezifische Ther. zu ermöglichen.
Vorgehen bei Proteinurie Wird im Teststreifen eine Proteinurie festgestellt, so kann
diese während der Nachuntersuchungsphase für 3 Mon. beobachtet werden, solange keine
weiteren Hinweise auf eine Nierenerkr. (Niereninsuff., Hämaturie, Ödeme) bestehen.
▪
Besteht zusätzlich ein permanent erhöhter arterieller Blutdruck, ist der V. a. eine
primäre Nierenerkr. oder eine Hochdruckkrankheit mit Nierenschädigung hoch.
▪
Ist 3 Mon. postpartal weiterhin eine Proteinurie nachweisbar, sollte diese im 24-h-Sammelurin
quantifiziert und ebenfalls fachärztlich abgeklärt werden, um eine renale Grunderkr.
auszuschließen.
Nach unserem heutigen Kenntnisstand kann jedoch eine Mikroalbuminurie bei stabiler
Nierenfunktion und auch ohne Hypertonie über Jahre nach einer Präeklampsie persistieren;
über die Langzeitprognose dieser Pat. ist wenig bekannt. Allerdings muss in Kenntnis
der schlechten prognostischen Bedeutung der Mikroalbuminurie bei Patienten mit Hypertonie
oder Diabetes mellitus diese auch bei präeklamptischen Pat. als Zeichen einer renalen
Schädigung betrachtet werden.
Therapeutische Konsequenz Bei einer persistierenden Mikroalbuminurie nach Ausschluss
einer renalen Grunderkr. ist die optimale Ther. der ebenfalls nierenschädigenden Begleiterkr.
wie z. B. Hypertonie oder Diabetes mellitus anzustreben, um renale und kardiovaskuläre
Folgeschäden zu verhindern.
17.10
Lebererkrankungen
Frank Lammert und Werner Rath
17.10.1
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
Definition Die Schwangerschaftscholestase ist eine reversible intrahepatische Form
einer verminderten Gallesekretion.
Epidemiologie Inzidenz: Erhebliche geografische und ethnische Unterschiede:
▪
Am häufigsten in Nordosteuropa und Südamerika
▪
In Deutschland etwa 1 % der Schwangerschaften betroffen.
Ätiologie Bei der Entstehung der Leber:Erkrankungenintrahepatischen Schwangerschaftscholestase
spielen genetische und Schwangerschaftscholestase, intrahepatischehormonelle Faktoren
eine Schlüsselrolle. Belege für die Bedeutung hormoneller Faktoren sind:
▪
Die Cholestase ist bei Zwillingsschwangerschaften häufiger.
▪
Die Cholestase bildet sich unmittelbar p. p. zurück.
▪
Sie rezidiviert bei 40–80 % der weiteren Schwangerschaften oder lässt sich durch die
Einnahme oraler Kontrazeptiva mit hohem Östrogenanteil provozieren [Glantz, Marschall
und Mattsson 2004; James et al. 2002]. Cave: Eine Schwangerschaftscholestase in der
Anamnese ist keine KI für orale Kontrazeptiva.
Pathophysiologie
▪
Östrogene: Tierexperimentelle Studien zeigten eine cholestatische Wirkung. Die experimentelle
Cholestase wurde auf eine Hemmung des kanalikulären Gallensäuren-Transportproteins
zurückgeführt.
▪
Progesteronmetaboliten: Aktuelle Untersuchungen deuten auf eine Schlüsselrolle in
der Pathogenese der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase hin: Bei Pat. wurden
stark erhöhte Serumspiegel der sulfatierten Progesteronmetaboliten gemessen [Reyes
und Sjövall 2000].
▪
Genetische Prädisposition: Diese führt dazu, dass die hepatischen Transportproteine
die in der Schwangerschaft physiologisch anfallenden Hormone vermindert in die Galle
sezernieren oder durch quantitativ bzw. qualitativ abnorme Metaboliten inhibiert werden
[Lammert et al. 2000].
–
Familiäre Häufung und höhere Inzidenz in bestimmten ethnischen Gruppen weisen auf
die Bedeutung genetischer Faktoren hin.
–
Mütter von Kindern mit progressiver familiärer intrahepatischer Cholestase (PFIC),
die rasch zur Leberzirrhose fortschreiten kann, entwickeln häufiger eine intrahepatische
Schwangerschaftscholestase.
–
Varianten im ABCB4-Gen des kanalikulären Phospholipid-Transportproteins der Leber
und im ABCB11-Gen der Gallensäuren-Exportpumpe wurden identifiziert, die sowohl zur
intrahepatischen Schwangerschaftscholestase prädisponieren als auch bei Kindern mit
homozygoten Mutationen PFIC auslösen [Dixon et al. 2014; Jacquemin et al. 2001].
Klinik Erkrankungsbeginn in 10 % im 1. Trimenon, in 25 % im 2. Trimenon und in 65
% im 3. Trimenon [Lammert, Rath und Matern 2004]. Dominierendes Symptom ist der ausgeprägte
Pruritus. En Ikterus findet sich bei < 10 %. Selten: Steatorrhö mit Vitamin-K-Mangel
(dann wöchentliche INR-Kontrolle!).
Diagnostik
▪
Labor:
–
Bei jeder Schwangeren mit Pruritus Leberwerte bestimmen. Transaminasen, γ-GT und Bilirubin
bleiben während der Schwangerschaft im Normbereich. Die alkalische Phosphatase (AP)
steigt im 3. Trimenon leicht an. Die Erhöhung der Transaminasen und der Gallensäuren
i. S. sind nach Ausschluss anderer Leberkrankheiten ausreichend, um die Verdachtsdiagnose
einer intrahepatischen Schwangerschaftscholestase zu bestätigen. Bei 20–60 % sind
die Transaminasen 2- bis 10-fach erhöht (< 300 U/l). ASAT/ALAT-Quotient i. d. R. <
1 [Hammoud und Ibdah 2012; Lammert, Rath und Matern 2004].
–
Sensitivster Parameter ist der Anstieg der Gallensäurenkonzentrationen i. S. Sie liegen
bei unkomplizierten Schwangerschaften nur geringfügig höher (6,8 ± 0,4 mol/l) als
bei nicht schwangeren Frauen (5,7 ± 0,4 mol/l). Konzentrationen bis 11 μmol/l gelten
in der Spätschwangerschaft als normal [Brites 2002].
–
Bei intrahepatischer Schwangerschaftscholestase ist die AP 2- bis 3-fach erhöht, jedoch
meist nicht die γ-GT.
▪
Abdomen-Sonografie: Zum Ausschluss einer biliären Obstruktion durchführen, zumal die
Krankheit häufig mit Cholesteringallensteinen assoziiert und umgekehrt die Inzidenz
der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase bei Pat. mit Cholelithiasis erhöht
ist.
▪
Leberbiopsie: nicht indiziert
▪
Genetische Diagnostik: ABCB4- und ABCB11-Mutationen werden in Speziallabors bestimmt.
Therapie
Bisher wurden Pat. mit intrahepatischer Schwangerschaftscholestase häufig mit Cholestyramin,
Antihistaminika oder Phenobarbital behandelt. Die Ansprechraten waren jedoch variabel,
und die fetale Prognose wurde nicht verbessert.
▪
Ursodeoxycholsäure (UDCA): Bei chron. cholestatischen Lebererkr. hat sich die Ther.
mit der hydrophilen Gallensäure UDCA bewährt, sodass UDCA auch für die Ther. der intrahepatischen
Schwangerschaftscholestase eingeführt wurde. UDCA schützt die kanalikulären Epithelien,
verbessert den hepatobiliären und plazentaren Gallensäurentransport und reduziert
die Konzentrationen der abnormen Steroidmetaboliten. Bei einer Dosierung von 13–15
mg/kg KG/d kommt es Ursodeoxycholsäure:Schwangerschaftscholestasezu einer:
–
Signifikanten Abnahme des Pruritus
–
Signifikanten Reduktion von Transaminasen, Bilirubin und Gallensäuren
–
Signifkant weniger Frühgeburten, fetalen Gefährdungen, Atemnotsyndrom und Aufenthalten
auf der neonatologischen Intensivstation [Bacq et al. 2012].
UDCA ist für die Ther. der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase nicht zugelassen
(Off-label-Use). Neun randomisierte kontrollierte Studien und die bei > 200 Pat. dokumentierten
fehlenden NW von UDCA [Bacq et al. 2012; Lammert, Rath und Matern 2004] sprechen jedoch
für den Einsatz von UDCA bei intrahepatischer Schwangerschaftscholestase ab dem 2.
Trimenon.
▪
Weitere Therapieoptionen: Bei fehlendem Ansprechen UDCA-Dosis unter engmaschigen Kontrollen
ggf. auf bis zu 25 mg/kg KG/d erhöhen. Alternativ weniger gut belegte Therapieoptionen
(Dexamethason oder S-Adenosylmethionin) einsetzen [Glantz, Marschall und Mattsson
2004; Lammert, Marschall und Matern 2003]:
–
Dexamethason hemmt die fetoplazentare Hormonproduktion und führte in einer einzelnen,
nicht kontrollierten Studie bei 10 Pat. zu einer signifikanten Verminderung von Pruritus,
Gallensäuren und ALT (initial 12 mg/d für 7 d mit ausschleichendem Absetzen über 3
d).
–
S-Adenosylmethionin (Ademetionin), das als Methylgruppendonator im Glutathion- und
Dexamethason:SchwangerschaftscholestasePhospholipidmetabolismus eine Rolle spielt,
zeigte in 4 randomisierten kontrollierten Studien [Lammert Marschall und Matern 2003]
keine konsistenten Verbesserungen des Pruritus, der Gallensäuren, der Transaminasen
und des Bilirubins. Die tägliche Dosis beträgt 800 mg über 4 h i. v.
–
S-Adenosylmethionin und Cholestyramin wurden auch mit UDCA kombiniert Ademetionin,
bei Schwangerschaftscholestaseeingesetzt, wobei die Gabe des Anionenaustauscherharzes
zeitlich versetzt von der UDCA-Einnahme erfolgen muss.
Geburtshilfliches Vorgehen
▪
Überwachung in der Schwangerschaft: Bei einer intrahepatischen Cholestase sind wöchentliche
Vorsorgeuntersuchungen mit Kontrolle der Gallensäurenkonzentrationen, der Transaminasen
und des Bilirubins sinnvoll. Pat. mit intrahepatischer Schwangerschaftscholestase
entwickeln häufiger eine Gestationsdiabetes und eine Dyslipidämie [Wikström Shemer
et al. 2015]. Bei manifester intrahepatischer Schwangerschaftscholestase vorübergehende
stationäre Abklärung und Therapieeinstellung empfehlenswert.
▪
Ind. zur Geburtseinleitung: individuell stellen. Empfehlung [aus Konsensus, Mays 2010]:
–
Bei milder Schwangerschaftscholestase ab 37.–38. SSW erwägen
–
Bei Ikterus und progredient ansteigenden Gallensäurekonzentrationen im Serum: ab der
33. + 0 SSW [James et al. 2002; Lammert, Rath und Matern 2004], Lungenreifung vorher
abschließen!
Die Wahl des Entbindungsmodus richtet sich nach geburtshilflichen Kriterien; eine
Sectio ist wegen der Krankheit im Allgemeinen nicht erforderlich.
Komplikationen Häufigkeit geburtshilflicher Komplikationen bei der intrahepatischen
Schwangerschaftscholestase Abb. 17.11
.
Abb. 17.11
Häufigkeit geburtshilflicher Komplikationen bei der intrahepatischen Schwangerschaftscholestase
[L157]
∗ p < 0,01 vs. normal. A: Normal < 60 μmol/l, B: 10–29 μmol/l, C: 30–69 μmol/l, D:
≥ 70 μmol/l
[nach Glantz, Marschall und Mattsson 2004]
Die Ursachen des intrauterinen Fruchttods im Rahmen einer intrahepatischen Schwangerschaftscholestase
sind nicht genau geklärt. Die erhöhten Gallensäurekonzentrationen in der Amnionflüssigkeit,
dem Nabelschnurblut und im Mekonium weisen darauf hin, dass der maternofetale Gallensäurentransfer
gestört ist; mögliche Folgen davon sind Plazentainsuff. und Arrhythmien des fetalen
Herzens.
Da deutlich erhöhte Gallensäurenkonzentrationen im Serum (> 40 mol/l) häufiger mit
fetalen Komplikationen (Frühgeburt, intrauterine Hypoxie, Amnioninfektionssyndrom)
assoziiert sind, ist deren Bestimmung prognostisch hilfreich. 20 % der Pat. mit Schwangerschaftscholestase
weisen Gallensäurenkonzentrationen oberhalb dieses Schwellenwertes auf [Glantz, Marschall
und Mattsson 2004].
Prognose
▪
Mutter: Die Krankheit bildet sich i. d. R. vollständig zurück, und der Pruritus sistiert
innerhalb weniger Tage nach der Geburt.
–
Selten protrahierter Verlauf mit persistierender Cholestase und Transaminasenerhöhung
→ andere hepatobiliäre Krankheiten (17.10.7) ausschließen
–
Die Schwangerschaftscholestase zeigt ein erhöhtes Lebenszeitrisiko für Diabetes mellitus,
Dyslipidämie, kardiovaskuläre Krankheiten, Gallensteine und andere hepatobiliäre Krankheiten
sowie immunologische Krankheiten an [Wikström Shemer et al. 2015].
▪
Kind: erhöhtes Risiko für das ungeborene Kind
–
Frühgeburtsrate 25 %, der Geburtstermin liegt im Mittel 2,1 Wo. früher [Geenes et
al. 2014].
–
Intrauteriner Fruchttod 1,5 % [Geenes et al. 2014; Glantz, Marschall und Mattsson
2004; Lammert et al. 2000]
–
Mit einer Erhöhung der Rate an intrauterinen Wachstumsrestriktionen ist meist nicht
zu rechnen.
17.10.2
HELLP-Syndrom
Siehe auch 17.2.
Definition Das HELLP-Sy. stellt eine besonders schwere, unkalkulierbar verlaufende
und lebensbedrohliche Verlaufsform der Präeklampsie dar, die durch die laborchemische
Trias Hämolyse, erhöhte Leberenzyme und Thrombozytopenie gekennzeichnet ist.
Epidemiologie Inzidenz: 0,5–0,9 % der Schwangerschaften [Haram, Svendsen und Abildgaard
2009]. Das mediane Erkrankungsalter liegt bei 25 Jahren. Der Anteil der Erstgebärenden
beträgt 52–84 % [Rath und Bartz 2004]. 10–20 % der Pat. mit einer schweren Präeklampsie
entwickeln eine Leberbeteiligung, die sich als HELLP-Sy. manifestieren kann und einen
schweren Krankheitsverlauf anzeigt [Rath 1998; Riely 1999].
Ätiologie Sie gilt als multifaktoriell und ist bisher noch weitgehend spekulativ.
Pathophysiologie Im Detail ungeklärte genetische HELLP-SyndromFaktoren und/oder eine
maternopaternale (-fetale) immunologische Maladaptation führen zu einer inadäquaten
Umwandlung der myometranen Segmente der Spiralarterien in uteroplazentare Arterien
durch eine unzureichende endovaskuläre Invasion des Zytotrophoblasten. Die Folge ist
eine plazentare Ischämie mit:
▪
Ungleichgewicht zwischen Angiogenese- und Antiangiogenesefaktoren
▪
Freisetzung von u. a. nekrotischen Throphoblastfragmenten in die mütterliche Zirkulation.
▪
Aktivierung des mütterlichen Immunsystems mit systemischer inflammatorischer Reaktion.
Es resultiert eine Endotheldysfunktion mit systemischer Gerinnungsaktivierung und
intrvasalem Verbrauch von Gerinnungsfaktoren und Thrombozyten (17.2).
Die Ursache der Leberfunktionsstörung beim HELLP-Sy. ist unklar. Wahrscheinlich vergleichbar
mit der VOD („venoocclusive disease“) kommt es durch eine intravasale Fibrinbildung
mit einem nachfolgenden Ödem der sinusoidalen Endothelzellen zu einer Schädigung der
Hepatozyten und zu einer starken Abnahme des Blutflusses in der Leber. Cave: subkapsuläre
Hämatome, Leberruptur [Rath 2010].
Bisher ist kein spezifisches Risikoprofil für die Entwicklung eines HELLP-Syndroms
bekannt.
Klinik
▪
Auftreten: Bei 70–90 % manifestiert sich das HELLP-Sy. ante partum. Im Mittel in der
33.–34. SSW. Bei 8 % bereits vor der 27. SSW. Bei 10–30 % bis zu 72 h p. p. (postpartales
HELLP-Sy.).
▪
Symptome: häufigste Symptome sind Oberbauchschmerzen (86–92 %), Übelkeit und Erbrechen.
Nur 10 % entwickeln einen klinisch manifesten Ikterus.
▪
Das HELLP-Sy. tritt in 10–20 % der Fälle ohne die klassischen Symptome der Präeklampsie
(Hypertonie, Proteinurie) auf [Rath 2010].
▪
Für die klinische Praxis gilt: Bei allen Schwangeren mit rechtsseitigen Oberbauchschmerzen
immer – unabhängig vom Vorliegen einer Präeklampsie – an ein HELLP-Sy. denken und
sofort ein laborchemisches Screening veranlassen (siehe Diagnostik).
Diagnostik
▪
Labor:
–
Hämolyse: path. Blutausstrich (Nachweis von Fragmentozyten), LDH ≥ 600 U/l (wenig
spezifisch), Bilirubin (unkonjugiert) ≥ 1,2 mg/dl, Haptoglobin ↓ (sensitivster Hämolyseparameter!)
–
Erhöhte Leberenzyme (ALT)
–
Thrombozytopenie: Thrombozyten ≤ 100.000/μl.
Bei initial nur diskret path. veränderten oder i. S. der HELLP-Konstellation inkomplett
veränderten Laborparametern ist deren Kontrolle in 4- bis 6-stündigen Intervallen
anzuraten!
–
Laborchemische Hinweise auf eine schwere Verlaufsform: dynamischer Thrombozytenabfall
(über Stunden), rapider Anstieg der D-Dimere, Absinken von Antithrombin III, Nachweis
der Hämolyse (am sensitivsten durch die Bestimmung des Haptoglobins i. S. in 85–97
% der Fälle [Rath und Bartz 2004].)
–
Weitere Zeichen: Im peripheren Blutausstrich Zeichen einer mikroangiopathischen hämolytischen
Anämie mit Nachweis von Fragmentozyten
–
Die niedrige Antithrombin-III-Aktivität und ein LDH/AST-Quotient < 22 helfen bei der
Abgrenzung der Präeklampsie von der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura [Bergmann
und Rath 2015].
▪
Abdomen-Sonografie: Bereits bei Aufnahme der Schwangeren ist eine Sonografie erforderlich,
um Leberhämatome, die bei 2 % der Pat. auf dem Boden konfluierender hämorrhagischer
Nekrosen entstehen, rechtzeitig zu erfassen [Rath 1998].
▪
Fetale Überwachung: Die Flussmessung der maternalen und fetalen Gefäße (Aa. uterinae,
A. umbilicalis, A. cerebri media) ist eine geeignete nicht invasive Methode zur Verlaufsbeobachtung
einer hypertensiven Schwangerschaftserkr.
▪
Leberbiopsie: für die Diagnose nicht erforderlich. Histologisch in leichten Fällen
vorwiegend Fibrinablagerungen in den Sinusoiden. Bei stärkerer Schädigung periportale
Hämorrhagien und hämorrhagische Parenchymnekrosen.
Differenzialdiagnosen
Tab. 17.26
.
Tab. 17.26
Differenzialdiagnose der Lebererkr. in der SchwangerschaftVirushepatitis:DifferenzialdiagnoseSchwangerschaftsfettleber:DifferenzialdiagnoseSchwangerschaftscholestase,
intrahepatische:DifferenzialdiagnoseHELLP-Syndrom:Differenzialdiagnose
Kriterien
HELLP-Sy.
Akute Schwangerschaftsfettleber
Akute Virushepatitis
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
Hämolyse
++
(+)
–
–
Transaminasen ↑
++
++
+++
+
Thrombozytopenie
++
Sekundär +
–
–
Hypertonie
++
85–95 %
+
30–50 %
–
–
Proteinurie
+++
+
–
–
Leukozytose
–
+++
++
–
Nierenversagen
+ → +++
Sekundär +
–
–
Neurologische Symptome
+ → +++
++
–
–
Ikterus
(+)
+
+++
(+)
Andere
DIG
HypoglykämieDIG → Blutungen
Bilirubin ↑Virusserologie
PruritusCholestase
[G569-001]
Therapie
▪
Nach 34 + 0 SSW: Schwangerschaftsbeendigung Methode der Wahl. Bei unreifer Zervix
und voll ausgeprägtem HELLP-Sy. ist die Sectio zu bevorzugen.
▪
Vor 34 + 0 SSW: bei stabilem Zustand von Mutter und Kind abwartendes Verhalten zum
Erreichen der fetalen Reife (Lungenreifeinduktion) unter geburtshilflich-anästhesiologischem
Intensiv-Monitoring [Rath 2010].
–
Bei Komplikationen wie Abruptio placentae (bis zu 16 %), schwere therapierefraktäre
Präeklampsie, drohende Eklampsie mit zentralnervösen Symptomen, eine sich anbahnende
DIC bei V. a. Leberhämatom/-ruptur Schwangerschaft aus maternaler Ind. unverzüglich
beenden.
–
Bei Hinweisen auf eine Hypoxie des Fetus in utero (CTG) aus kindlicher Ind. unverzüglich
beenden.
▪
Glukokortikoide: Bei fetaler Unreife (< 34 + 0 SSW) ist die Gabe von Glukokortikoiden
(z. B. Betamethason) zur Lungenreifeinduktion unverzichtbar. Die systemische Applikation
von Glukokortikoiden (z. B. 40 mg Methylprednisolon i. v. pro Tag) kann über eine
passagere Rückbildung der biochemischen HELLP-Konstellation mit Verbesserung der klinischen
Symptomatik zu einer Prolongation der Schwangerschaft um Tage führen [Rath und Bartz
2004].
▪
Plasmapherese: Eine lebensbedrohliche persistierende Symptomatik p. p. (> 72 h) kann
eine Ind. zur Plasmapherese mit FFP-Substitution darstellen. Alternativ hat in diesen
Fällen die systemische Applikation von Glukokortikoiden zu guten klinischen Ergebnissen
geführt [Rath und Bartz 2004].
Maternale Komplikationen
Der klinische Verlauf des HELLP-Syndroms ist variabel und unkalkulierbar.
▪
Passagere Remissionen ≤ 40 %
▪
Akute Verlaufsformen, die innerhalb von Stunden zu einer Exazerbation der Präeklampsie
mit Entwicklung einer DIG und maternalen Komplikationen führen
▪
Maternale Komplikationen in Abhängigkeit von der Latenzzeit zwischen Diagnosestellung
und Entbindung [Haram, Svendsen und Abildgaard 2009]:
–
In 13–65 % der Fälle (z. B. Blutungen infolge DIG, vorzeitige Lösung, Lungenödem,
Niereninsuff., intrakranielle Blutungen) [Rath und Bartz 2004]
–
Eine der schwersten Komplikationen ist die Leberruptur (Häufigkeit 1,5–1,8 %) mit
einer maternalen Letalität von bis zu 35 % und einer fetalen Mortalität von 60–70
%. Besonders gefährdet sind Schwangere mit persistierenden Oberbauchschmerzen 24 h
p. p, bei denen vor der Geburt keine Zeichen der Präeklampsie bestanden [Rath 1998].
Fetale Komplikationen
▪
Gefährdung durch eine akute Hypoxie infolge vorzeitiger Plazentalösung bei ≤ 16 %
▪
Bei 30–58 % entwickelt sich eine IUGR auf dem Boden einer chron. Plazentainsuff. Diese
Schwangerschaften sind hinsichtlich eines intrauterinen Fruchttods besonders gefährdet.
Prognose
▪
Maternale Mortalität in westeuropäischen Ländern ≤ 1 %, weltweit 3–5 %. Perinatale
Mortalität 8–37 %
▪
Die laborchemische Konstellation des HELLP-Syndroms bildet sich meist innerhalb von
6–11 Tagen post partum vollständig zurück [Rath und Bartz 2004].
–
Während dieses Intervalls sind Kontrollen von BB, Gerinnung sowie Leber- und Nierenwerten
unerlässlich.
–
Ein fehlender Thrombozytenanstieg innerhalb von 96 h nach der Entbindung gilt als
Hinweis auf einen schweren Krankheitsverlauf mit der Gefahr des Multiorganversagens.
▪
Wiederholungsrisiko für ein HELLP-Sy. in einer nachfolgenden Schwangerschaft: International
2–19 %, kaukasische Bevölkerung ca. 13 % [Rath 2010].
17.10.3
Akute Schwangerschaftsfettleber
Definition Die akute Schwangerschaftsfettleber ist eine sehr seltene schwangerschaftsspezifische
Lebererkr., die durch ein fulminantes Leberversagen mit schwerster mikrovesikulärer
Steatose gekennzeichnet ist.
Epidemiologie Inzidenz: Sehr selten, 1 : 20.000 Schwangerschaften.
Ätiologie und Pathophysiologie Für die Ausbildung der Steatohepatitis und der mit
ihr assoziierten mitochondrialen Dysfunktion sind wahrscheinlich sowohl exogene Trigger
(Medikamente, Infekte) als auch genetische Faktoren verantwortlich.
Molekulargenetische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei ≤ 20 % der Pat. mit akuter
Schwangerschaftsfettleber die Mutation c.G1528C im HADHA-Gen der α-Untereinheit der
3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase langkettiger Fettsäuren (LCHAD) gefunden wird. Die
Krankheit manifestiert sich, wenn die zum SchwangerschaftsfettleberAminosäurenaustausch
p.E474Q und dem Verlust der Enzymaktivität führende Mutation bei der Mutter in heterozygoter
und beim Kind in homozygoter Ausprägung vorliegt [Hammoud und Ibdah 2012]. Das Enzym
katalysiert als α-Untereinheit des trifunktionalen Proteins den vorletzten Schritt
der mitochondrialen Oxidation langkettiger Fettsäuren. 50–80 % der Mütter, deren Feten
LCHAD-defizient sind, entwickeln eine Schwangerschaftsfettleber [Hammoud und Ibdah
2012].
Es wird vermutet, dass bei reduziertem maternalem und plazentarem Fettsäurekatabolismus
die Akkumulation von 3-Hydroxy-Fettsäure-Intermediaten die Lebererkr. auslöst. In
Einzelfällen wurden Mutationen anderer Enzyme der β-Oxidation in Assoziation mit der
Schwangerschaftsfettleber beschrieben [Hammoud und Ibdah 2012].
Schwangere mit Gestationsthrombozytopenie (Häufigkeit 5–8 %) und schwangerschaftsinduziertem
Antithrombinmangel sollen ein erhöhtes Risiko für die spätere Entwicklung einer akuten
Schwangerschaftsfettleber oder eines HELLP-Syndroms aufweisen; dies gilt v. a. bei
Zwillingsschwangerschaften [Minakami, Yamada und Suzuki 2002].
Klinik Meist plötzlicher Beginn:
▪
Zwischen 30. und 38. SSW mit Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen, Fieber und allgemeinem
Krankheitsgefühl
▪
Bei bis zu 50 % Proteinurie und/oder Hypertonie als Zeichen einer Präeklampsie [Bergmann
und Rath 2015]
▪
Innerhalb von 1–2 Wo. zunehmender Ikterus und Aszites sowie die Entwicklung einer
DIG weisen auf ein fulminantes Leberversagen hin.
▪
Die Krankheitsdauer beträgt im Durchschnitt 10 Tage (3 d bis 6 Wo.).
Diagnostik
▪
Labor:
–
Im Blutbild typischerweise starke Leukozytose (> 20.000/μl)
–
Transaminasen i. d. R. als Ausdruck nicht sehr ausgeprägter Nekrosen meist nur mäßig
erhöht (< 500 U/l)
–
Charakteristisch sind Hypoglykämie und Hyperurikämie.
–
Die Laborveränderungen spiegeln zudem die Beteiligung weiterer Organe wider (Nierenversagen,
Verbrauchskoagulopathie).
▪
Abdomen-Sonografie Leberverfettung (echoreiches Parenchymmuster)
▪
Leberbiopsie:
–
Diagnosesicherung in unklaren Fällen (mit Fettfärbung von Gefrierschnitten)
–
Häufig kontraindiziert wegen defizitärer Gerinnung
–
Histologisch ausgeprägte zentrilobuläre mikrovesikuläre Steatose (DD: Virushepatitis)
▪
Genetische Diagnostik: Homozygote HADHA-Mutationen können beim Neugeborenen zu schweren
Hypoglykämien mit Leberversagen und plötzlichem Tod führen. Bei Nachweis der LCHAD-Defizienz
beträgt das Risiko für jedes weitere Kind 25 %.
▪
Die genetische Diagnostik auf LCHAD-Defizienz ist Teil des Neugeborenen-Screenings.
▪
Wenn die beiden mutierten Allele in einer Familie identifiziert wurden, kann bei weiteren
Schwangerschaften durch Pränataldiagnostik festgestellt werden, ob der Fetus betroffen
und damit das Risiko einer akuten Schwangerschaftsfettleber für die Mutter erhöht
ist.
Therapie
▪
Schwangerschaftsbeendigung Ther. der Wahl, i. d. R. durch Sectio.
▪
Nur in leichten Fällen kann zunächst zugewartet werden.
▪
Schwer erkrankte Pat. intensivmedizinisch überwachen und behandeln: Ausgleich der
Hypoglykämie, Flüssigkeitsbilanz, Korrektur der Hypoglykämie:neonataleKoagulopathie.
Das Befinden des Kindes in utero engmaschig durch CTG überwachen.
Komplikationen
▪
Leberkoma, Nierenversagen, DIC, Pankreatitis, Infektionen und akute Plazentainsuff.
▪
Die Entbindung kann durch schwere Hämorrhagien und Hämatome kompliziert werden.
Prognose
▪
Nach der Entbindung kommt es i. d. R. innerhalb der ersten Wochen zur Restitutio ad
integrum.
▪
Maternale und fetale Mortalität vor 1965 > 75 %, heute < 10 % [Hammoud und Ibdah 2012]
▪
Rezidivrisiko ≤ 15 % [James et al. 2002].
17.10.4
Leberfunktionsstörung bei Hyperemesis gravidarum
Hyperemesis gravidarum 17.1.
Inzidenz Bei Hyperemesis gravidarum kann in schweren Fällen im 1. Trimenon bei 10–50
% eine Leberfunktionsstörung auftreten.
Ätiologie und Pathophysiologie Die Leberbeteiligung wird als Folge der Mangelernährung
und Exsikkose angesehen, da sie sich unter einer symptomatischen Behandlung rasch
zurückbildet.
Diagnostik
▪
Labor: Transaminasen z. T. 2- bis 3-fach erhöht (< 200 U/l). Selten manifestiert sich
die Leberbeteiligung durch Pruritus und Ikterus (Bilirubin < 4 mg/dl). DD: akute Virushepatitis
▪
Gastroskopie: Zum Ausschluss eines Leber:Funktionsstörung bei Hyperemesis gravidarumUlkus
und anderer gastrointestinaler Krankheiten ggf. bei schwerer persistierender Hyperemesis
indiziert
▪
Leberbiopsie: nicht indiziert.
Therapie Symptomatisch:
▪
Basis: (i. Hyperemesis gravidarum:Leberfunktionsstörungv.) Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution
▪
Antiemetika: Doxylamin, Ondansetron, Diphenhydramin, Dimenhydrinat, Promethazin
▪
Randomisierte kontrollierte Studien von Vitamin B6 (Pyridoxin) gegen Placebo konnten
eine Linderung, aber keine Häufigkeitsabnahme des Erbrechens unter Vitamingabe zeigen
[Matthews et al. 2015]. Derzeitige Empfehlung: 3 × 20 mg/d
▪
In 2 randomisierten kontrollierten Studien waren Glukokortikoide (Prednisolon, initial
40–60 mg/d für 3 d, nach der 10. SSW) effektiv [Nelson-Piercy, Fayers und de Swiet
2001; Safari et al. 1998].
▪
Immer eine psychosomatische Exploration und ggf. Begleitther. erwägen!
Komplikationen und Prognose Neugeborene von Müttern mit schwerer Hyperemesis gravidarum
können ein verringertes Geburtsgewicht aufweisen, sonst ist die Prognose gut.
17.10.5
Virushepatitis
Definition Die Virushepatitiden sind häufige virale Infektionskrankheiten, die sich
primär an der Leber manifestieren.
Klassifikation Es gibt 5 Formen, die alphabetisch nummeriert sind und durch die gleichnamigen
Viren verursacht werden:
▪
Hepatitis A (Übertragung fäkal-oral)
▪
Hepatitis B (Übertragung parenteral)
▪
Hepatitis C (Übertragung parenteral)
▪
Hepatitis D (nur als Co- oder Superinfektion bei Hepatitis B, Übertragung Virushepatitisparenteral)
▪
Hepatitis E (Übertragung fäkal-oral).
Epidemiologie
▪
In der Schwangerschaft ist die akute Virushepatitis die häufigste Ursache von Ikterus
(40 %) und starken Transaminasenerhöhungen (> 500 U/l).
▪
Hepatitis-D- und -E-Virusinfektionen sind in Deutschland selten.
Akute Hepatitis
▪
Hepatitisviren A–E:
–
Nach charakteristischer Inkubationszeit: Fieber, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Oberbauchschmerzen,
Übelkeit und Erbrechen
–
Ikterische Phase beginnt nach 3–10 Tagen abrupt mit Dunkelfärbung des Urins und Hellerwerden
des Stuhls.
–
Bilirubinwert: ≥ 2 mg/dl Sklerenikterus, ≥ 3 mg/dl Gelbfärbung der Haut
–
Die Dauer der ikterischen Phase beträgt meist 2–6 Wo.
▪
Virushepatitis:akute
Akute Hepatitis-A-Virusinfektion in der Schwangerschaft: I. Virushepatitis:akuted.
R vergleichbarer Verlauf wie bei Nichtschwangeren. Intrauterine Transmissionen zum
Kind und fetale Komplikationen in Einzelfällen [Sandhu und Sanyal 2003]
▪
Hepatitis-E-Virusinfektion: Verlauf ähnelt i. d. R. der akuten Hepatitis A. Bei 20–60
% führt sie zu einem akuten Leberversagen, wobei das Krankheitsbild durch ein akutes
hämorrhagisches Sy. mit Enzephalopathie und Nierenversagen kompliziert werden kann.
Die Mortalität steigt von 1,5 % im 1. Trimenon auf 20 % im 3. Trimenon [Sandhu und
Sanyal 2003].
Chronische Hepatitis
Eine Hepatitis wird als Virushepatitis:chronischechronisch bezeichnet, wenn Entzündungszeichen
in der Leber und Leberzellnekrosen länger als 6 Mon. persistieren und/oder spezifische
Marker der Virusaktivität nachweisbar sind.
Chron. Verlaufsformen der fäkal-oral übertragbaren Hepatitis-A- und -E-Virusinfektionen
sind nicht bekannt. Dagegen können die parenteral übertragbaren Hepatitis-B-, -C-
und -D-Virusinfektionen in unterschiedlicher Häufigkeit chron. verlaufen.
Hepatitis B
< 5 % der Erwachsenen entwickeln eine chron. Hepatitis B. Während der Schwangerschaft
hat eine akute Infektion keinen schädigenden Einfluss und nimmt meist keinen schweren
Verlauf. Bei replikativer Infektion der Mutter besteht jedoch ein hohes Risiko einer
vertikalen Transmission auf das Kind:
▪
Bei einer akuten Infektion der Mutter im 1. und 2. Trimenon sind 10 % der Neugeborenen
bei Geburt HBe-Antigen-positiv, jedoch 80 % bei einer Infektion im 3. Trimenon.
▪
Bei asymptomatischer chron. Hepatitis B der Mutter beträgt das Infektionsrisiko ohne
adäquate Prophylaxe bei HBe-Antigen-negativen Pat. ≤ 20 %, bei HBe-Antigen-positiven
Pat. 90 % [Riely 1999; Sandhu und Sanyal 2003].
▪
5–10 % der Kinder sind bereits intrauterin infiziert. Die übrigen Infektionen erfolgen
perinatal.
▪
90 % der infizierten Neugeborenen entwickeln eine chron. Hepatitis B, die meist niedrig-replikativ
ist (< 105 Viruskopien/ml), asymptomatisch verläuft und eine günstige Prognose aufweist.
Hepatitis C
Geht bei 50–80 % in eine chron. Hepatitis mit variablem Krankheitsverlauf über. Eine
spontane Remission mit Elimination des Hepatitis-C-Virus bei chron. Hepatitis C ist
sehr selten. Schwangerschaft bei chron. Hepatitis-C-Virusinfektion:
▪
Der Verlauf der Schwangerschaft wird nicht beeinträchtigt, solange die Pat. keine
Leberzirrhose entwickelt hat (17.10.11).
▪
Während einer Schwangerschaft kann es zu einer Normalisierung der Transaminasen, die
von einem Anstieg der HCV-RNA-Viruslast begleitet ist, kommen.
▪
Post partum kann die Entzündungsaktivität zunehmen.
▪
Eine vertikale Transmission des Hepatitis-C-Virus ist diaplazentar oder perinatal
möglich: Risiko 4–7 %.
Diagnostik Virusdiagnostische Hepatitisparameter sind maßgebend für die differenzialdiagnostische
Zuordnung der Krankheitsbilder. Für die rationelle Diagnostik empfiehlt sich ein abgestuftes
Vorgehen:
▪
Anti-HAV, HBs-Antigen, Anti-HBc (gesamt und IgM), Anti-HCV. Bei positiven Befunden
nächste Stufe der Diagnostik veranlassen (Abb. 17.12
)
Abb. 17.12
Diagnostisches Vorgehen und Interpretation bei Virushepatitis
[L157]
▪
Hepatitis B: HBe-/Anti-HBe-Bestimmung und HBV-DNA zur Beurteilung der Virus- und Infektionsaktivität.
Screening (HBs-Antigen i. S.) ist obligater Bestandteil der Schwangerenvorsorge. Bei
HBsAg-positiven Schwangeren ist alle 3 Mon. eine Bestimmung von ALT und HBV-DNA während
der Schwangerschaft und bis 6 Mon. nach Entbindung indiziert.
▪
Hepatitis C:
–
Beurteilung von Verlauf und Infektiosität mittels quantitativer HCV-RNA-RT-PCR
–
Anti-HCV bleibt auch nach erfolgreicher Ther. und Ausheilung (HCV-RNA negativ) meist
nachweisbar.
–
Kinder HCV-RNA-positiver Mütter aufgrund der hohen spontanen Viruseliminationsrate
nicht routinemäßig im 1. Lebensjahr, sondern erst im Alter von 18 Mon. auf Anti-HCV
testen.
Differenzialdiagnosen
Tab. 17.27
. Sind die primären Hepatitisviren A–E als Ursache einer Hepatitis ausgeschlossen,
müssen andere Erreger berücksichtigt werden, die eine Hepatitis auslösen können, z.
B. Zytomegalie-, Epstein-Barr- und Herpes-simplex-Viren Typ 2 [Riely 1999].
Tab. 17.27
Vergleich von Serumbefunden in der normalen Schwangerschaft, bei intrahepatischer
Schwangerschaftscholestase und bei akuter Virushepatitis:LaborbefundeSchwangerschaftscholestase,
intrahepatische:LaborbefundeVirushepatitis
Serumparameter
Normale Schwangerschaft
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
Akute Virushepatitis
Bilirubin
Normal
≤ 5 mg/dl
5–30 mg/dl
Transaminasen (ALAT, ASAT)
Normal
≤ 600 U/l
400–4.000 U/l (v. a. ALAT)
γ-GT
Normal
↑
↑↑
Alkalische Phosphatase
Plazentare (= thermostabile) Fraktion ↑
Hepatische (= thermolabile) Fraktion ↑
(↑)
Lipide, Cholesterin
(↑)
↑
↑/↓
Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren
Zunahme bis zum Geburtstermin
(↓)
↓
α/β-Globuline
↑
↑
(↑)
γ-Globuline
(↓)
↑
↑
Gallensäuren
Normal
↑
(↑)
Therapie und Impfungen
▪
Hepatitis A: Schwangere Frauen, die in Endemiegebiete reisen, können gegen Hepatitis
A aktiv geimpft werden bzw. notfallmäßig eine Postexpositionsprophylaxe mit spezifischem
Humanimmunglobulin innerhalb der ersten 10 Tage erhalten. Wenn die akute Hepatitis
in den Zeitraum der Geburt fällt, ist eine aktive und passive Immunisierung des Neugeborenen
sinnvoll.
▪
Hepatitis B:
–
Eine Hepatitis-B-Impfung in der Schwangerschaft ist sicher und effektiv.
–
Neugeborene HBV-infizierter Mütter innerhalb von 12 h nach der Geburt aktiv (rekombinanter
Impfstoff) und passiv (Hepatitis-B-Immunglobulin) impfen [DGVS 2011]
–
Nur bei einer Viruslast > 200.000 IE/ml (> 106 Kopien/ml) wird eine präemptive Ther.
mit Tenofovir (oder Telbivudin) ab der 28. bis 32. SSW empfohlen, um das Risiko einer
vertikalen Transmission von HBV auszuschalten [Kwon und Lok 2014].
–
Eine bestehende Ther. mit Tenofovir oder Lamivudin kann fortgesetzt werden. Eine bestehende
Ther. mit Entecavir sollte (auf Tenofovir) umgestellt werden [DGVS 2011].
–
Interferon soll wegen der antiproliferativen Wirkung abgesetzt werden.
–
Die antiviralen Ther. können 3–6 Mon. nach der Entbindung fortgesetzt werden.
–
Stillen ist bei geimpften Neugeborenen nicht kontraindiziert und wahrscheinlich auch
unter einer Tenofovir-Ther. zu erlauben [Kwon und Lok 2014].
▪
Hepatitis C: Es steht keine Impfung zur Verfügung, wohl aber effektive, interferonfreie
Ther. mit neuen antiviralen Medikamenten (z. B. Sofosbuvir + Ledipasvir), die über
8–12 (längstens 24) Wo. p. o. eingenommen werden und bei > 95 % der Pat. 12–24 Wo.
nach Therapieende zu einem dauerhaften Therapieansprechen („Sustained Virological
Response“, HCV-RNA-Negativierung) und damit zur Ausheilung der Virusinfektion führen.
Diese nebenwirkungsarme Ther. soll nach Möglichkeit vor einer geplanten Schwangerschaft
erfolgen.
–
Insgesamt gilt für alle direkt antiviralen Substanzen die Notwendigkeit einer Empfängnisverhütung
unter der Behandlung, da keine Zulassung für eine Ther. in der Schwangerschaft vorliegt.
–
Für die Gabe von Ribavirin ist aufgrund der langen Halbwertszeit eine sichere Kontrazeption
6 Mon. nach Ende der Ther. (auch des Partners!) notwendig [DGVS 2015].
–
Kein Vorteil hinsichtlich der Infektionsrate der Kinder durch eine Sectio im Vergleich
zur vaginalen Entbindung nachweisbar.
–
Stillen nicht kontraindiziert [Laufs und Polywka 2000].
17.10.6
Autoimmunhepatitis
Definition Ätiologisch unklare, chron.-entzündliche Lebererkr., die durch einen immunologischen
Toleranzverlust gegenüber den Hepatozyten zu Gewebedestruktion und Leberzirrhose führt.
Epidemiologie Prävalenz: 1 : 10.000. 80 % sind Frauen. Bei 50 % Beginn der Erkr. vor
dem 30. Lebensjahr.
Klinik
▪
Pat. mit Autoimmunhepatitis sind unbehandelt häufig amenorrhoisch.
▪
Während einer Schwangerschaft und innerhalb der ersten 6 Mon. nach der Entbindung
Autoimmunhepatitiskommt es bei bis zu 75 % zu einer Exazerbation. Die Frühgeburtsrate
und die perinatale Mortalität sind auf 24 % erhöht [Schramm et al. 2006].
Diagnostik
▪
Transaminasenerhöhung
▪
Erhöhtes IgG
▪
Hochtitrige Auto-AK (ANA, SMA, LKM, SLA; Ro/SSA- und SLA-AK als potenzielle Risikofaktoren
für Komplikationen)
▪
Histologischer Nachweis einer Hepatitis.
Therapie Leitlinien der EASL [Lohse et al. 2015]:
▪
In der Schwangerschaft Monother. mit Prednisolon bevorzugen
▪
Bei Eintritt der Schwangerschaft unter einer Kombinationsther. erfolgt eine Fortsetzung
des bisherigen Therapieregimes, da bei Absetzen die Gefahr eines Krankheitsschubes
besteht.
▪
Unter der Ther. verläuft die Schwangerschaft meistens komplikationslos, dennoch sind
die Fehlgeburtenrate, die perinatale Mortalität und die Sectiofrequenz erhöht [Hammoud
und Ibdah 2012].
Obwohl die aktuellen Daten zur Anwendung des Immunsuppressivums Azathioprin in der
Schwangerschaft nicht auf ein erhöhtes Risiko hinsichtlich Fehlbildungen, Fehl- oder
Totgeburten hinweisen, müssen die Pat. darüber aufgeklärt werden, dass tierexperimentelle
Daten eine mögliche Teratogenität von Azathioprin vermuten lassen. Individuelle Vor-
und Nachteile einer Fortsetzung bzw. Beendigung der Ther. sind zu diskutieren.
17.10.7
Primär biliäre Cholangitis
Definition Die primär biliäre Cholangitis (PBC; alter Name: primär biliäre Cirrhose)
ist eine chron. cholestatische Lebererkr. unklarer Ätiologie mit einer nicht eitrigen,
destruierenden Entzündung der intrahepatischen Gallengänge.
Epidemiologie Weltweites Auftreten mit familiärer Häufung. Frauen sind neunmal häufiger
als Männer betroffen. In aktuellen epidemiologischen Untersuchungen aus England und
den USA wurde eine Prävalenz von 24–40/100.000 ermittelt, d. h. fast jede 1.000. Frau
im Alter von 50 Jahren zeigte Hinweise auf eine PBC [Prince und James 2003].
Klinik
▪
Verlauf ohne Ther. über 10–20 Jahre i. d. R. langsam progredient mit Entwicklung einer
Leberfibrose und -zirrhose und Auftreten von Komplikationen
▪
Pruritus steht typischerweise im Cholangitis:primär biliäreVordergrund der Symptomatik.
▪
Die Krankheit wird durch die Schwangerschaft wenig beeinflusst; ein i. d. R. transienter
Anstieg der Leberwerte nach der Entbindung ist häufig.
Diagnostik Wegweisend sind:
▪
Erhöhte Cholestaseparameter (GT, Bilirubin, Gallensäuren)
▪
Erhöhte IgM-Konzentrationen
▪
Antimitochondriale Auto-AK (AMA, PBC-spezifischer Subtyp M2 mit Spezifität gegen die
Pyruvatdehydrogenase).
Therapie Ther. der Wahl ist die medikamentöse Behandlung mit UDCA (13–15 mg/kg KG/d).
Eine Behandlung ist während der Schwangerschaft vertretbar, aber nicht zugelassen.
Bisher wurden nur 5 Fälle publiziert, bei denen PBC-Pat. während der gesamten Schwangerschaft
mit UDCA behandelt wurden, da es nach Absetzen der UDCA-Ther. zu einem Anstieg der
Leberparameter kam; Komplikationen wurden nicht berichtet.
Symptomatische Ther. des Pruritus:
▪
Alternativen: Cholestyramin, Antihistaminika, Ondansetron (2 × 8 mg/d), Naloxon (2–3
× 0,4 mg/d), Phenobarbital (2–5 mg/kg KG/d) oder Rifampicin (2 × 150–300 mg/d)
–
Medikamentenspezifische NW und Einnahmehinweise beachten [Lammert, Marschall und Matern
2003]
–
Cholestyramin (Quantalan®): nicht resorbierbares Anionenaustauschharz, das Gallensäuren
im Darm bindet. Wegen der gastrointestinalen NW (Obstipation) einschleichend beginnen
(1–2 × 4–8 g/d). Cave: INR kontrollieren und ggf. Vitamin K parenteral substituieren.
Die Resorption anderer Medikamente (Ursodeoxycholsäure:PBCfettlösliche Vitamine, UDCA,
Schilddrüsenhormone, Diuretika) durch Cholestyramin beeinträchtigt, eine um 6–12 h
versetzte Einnahme ist sinnvoll.
Prognose Maternales und Cholestyraminfetales Outcome sind günstig. Bei 32 Pat. mit
50 Schwangerschaften hatten 91 % mind. eine erfolgreiche Lebendgeburt; 53% entwickelten
neu Pruritus [Trivedi et al. 2014].
17.10.8
Primär sklerosierende Cholangitis (PSC)
Definition Die PSC ist eine seltene chron. cholestatische Lebererkr. mit fibrosierender
und obliterierender Entzündung der intra- und/oder extrahepatischen Gallenwege.
Epidemiologie Prävalenz 0,5 : 10.000. Frauen : Männer = 1 : 2. Manifestation meist
im jüngeren bis mittleren Lebensalter [Bayer et al. 2004].
Ätiologie und Pathophysiologie Für die Auslösung der PSC werden nicht zuletzt wegen
der starken Assoziation (> 70 %) mit chron.-entzündlichen Cholangitis:primär sklerosierendeDarmerkr.,
v. a. der Colitis ulcerosa, bakterielle Antigene intestinaler Herkunft diskutiert.
Für eine Immunpathogenese sprechen das familiäre Auftreten sowie die Assoziation mit
humanen Leukozytenantigenen und Autoimmunkrankheiten.
Klinik
▪
Die PSC wird durch die Ausbildung von Gallengangstenosen und -strikturen kompliziert,
die zur Entstehung von Gallengangsteinen und Cholangitiden führen können.
▪
Die Krankheit wird durch die Schwangerschaft i. d. R. nicht wesentlich beeinflusst.
Im Verlauf von 25 Schwangerschaften bei 17 PSC-Pat. wurden keine Komplikationen beobachtet.
Die Leberwerte stiegen bei 20 % der Schwangeren während und bei 32 % nach der Schwangerschaft
an [Wellge et al. 2011]. Registerstudien weisen auf ein 3,6-fach erhöhtes Frühgeburtrisiko,
aber kein erhöhtes Risiko für Frühgeburten oder Fehlbildungen hin [Ludvigsson et al.
2014].
Diagnostik Die endoskopische retrograde Cholangiografie (ERC) ist bei nicht schwangeren
Pat. das Verfahren der Wahl. Spezifische serologische Parameter existieren nicht.
Therapie Aufgrund der unsicheren Wirksamkeit von UDCA bei PSC und der nicht sicher
ausgeschlossenen teratogenen Wirkungen von UDCA im 1. Trimenon wird die UDCA-Ther.
bei PSC meist vor Beginn der Schwangerschaft abgesetzt.
Die symptomatische Behandlung des Pruritus und die Substitution fettlöslicher Vitamine
erfolgen wie bei der PBC (17.10.7).
17.10.9
Wilson-Krankheit
Definition Seltene autosomal-rezessiv vererbte Kupferspeicherkrankheit.
Epidemiologie Heterozygotenrate 1 : 100, Inzidenz 1 : 30.000.
Pathophysiologie Das bei Wilson-Pat. mutierte Gen ATP7B kodiert eine kupferbindende,
kationentransportierende ATPase. Die Kupfer-ATPase ist im Golgi-Apparat der Hepatozyten
lokalisiert und steuert sowohl den Kupfereinbau in Coeruloplasmin als auch die hepatobiliäre
Kupfersekretion. Beim Morbus Wilson kommt es zur Überladung Wilson-Krankheitmit Kupfer,
das über die Produktion freier Radikale eine Zellschädigung hervorruft.
Die häufigste Mutation in Europa ist H1069Q in Exon 14 (63 % der Pat.), insgesamt
sind jedoch > 500 verschiedene Mutationen bekannt.
Klinik
▪
Bei 10–30 % ist die erste klinische Manifestation die chron.-aktive Hepatitis, die
sich meist zwischen dem 10. und 30. Lebensjahr entwickelt und ein fulminantes Leberversagen
auslösen kann.
▪
Nach dem 20. Lebensjahr manifestiert sich die Wilson-Krankheit häufig mit neuropsychiatrischen
Symptomen.
▪
Der klassische Kayser-Fleischer-Kornealring ist nur bei jedem 2. Pat. vorhanden.
▪
Unbehandelt kam es früher häufig zu einer Einschränkung der Fertilität.
▪
Die Krankheit verschlechtert sich durch die Schwangerschaft nicht.
Diagnostik
▪
Labor: Meist ist das freie Kupfer i. S. erhöht (> 25 μg/dl), das kupferbindende Serumprotein
Coeruloplasmin vermindert (< 20 mg/dl) und die Kupferausscheidung im 24-h-Urin erhöht
(> 40 μg/24 h).
▪
Genetische Diagnostik: Aufgrund der Vielzahl der Mutationen wird keine routinemäßige
molekulargenetische Diagnostik durchgeführt.
▪
Wichtig ist, dass eine klinische, laborchemische und genetische Diagnostik bei Familienangehörigen
veranlasst wird.
Therapie
Therapieprinzip
Kupfer mit Hilfe von Chelatbildnern (D-Penicillamin, Trientine, Zinkacetat) aus dem
Organismus eliminieren und die weitere enterale Kupferaufnahme verhindern.
Die Ther. ist kontinuierlich durchzuführen und lebenslang beizubehalten.
▪
Schwangere mit Wilson-Krankheit darauf hinweisen, dass die Chelatther. nicht abgebrochen
werden darf, da unbehandelt ein hohes Abortrisiko und die Gefahr des fulminanten Leberversagens
bestehen.
▪
Obwohl in Tierversuchen teratogene Wirkungen beschrieben sind, wurden unter D-Penicillamin-,
Trientin- und Zinkacetatther. bei 153, 22 bzw. 27 Schwangerschaften nur 2 Fehl- und
3 Frühgeburten sowie bei 5 Kindern Fehlbildungen beschrieben [Roberts und Schilsky
2008; Sternlieb 2000].
▪
Unter der Vorstellung, dass die fetale Kollagensynthese und die Wundheilung gestört
werden können, wird eine sorgfältig kontrollierte Dosisreduktion in der Schwangerschaft
empfohlen [EASL 2012; Roberts und Schilsky 2008].
17.10.10
Hämochromatose
Definition Die Hämochromatose ist eine angeborene Eisenstoffwechselkrankheit, die
autosomal-rezessiv vererbt wird. Die Störung besteht in einer stark erhöhten intestinalen
Eisenresorption, die bei fehlender Behandlung zu einer progressiven Eisenbeladung
der parenchymatösen Zellen verschiedener Organe wie Leber, Pankreas, Herz, Hypophyse
und Gelenken führt.
Ätiologie Die häufigste Form beruht auf einer homozygoten C282Y-Mutation im HFE-Gen.
Daneben sind Hämochromatoseseltene, nicht-HFE-bedingte Mutationen bekannt.
Epidemiologie
▪
Homozygotenrate 1 : 200–1 : 400, Heterozygotenrate 1 : 8–1 : 20
▪
Prävalenz der manifesten Hämochromatose nur 1 : 4.000–1 : 10.000, da die phänotypische
Ausprägung von Faktoren, die den Eisenmetabolismus modulieren (Alkoholkonsum, Nahrung,
Menstruation), abhängig ist.
Pathophysiologie Bei der Hämochromatose ist der hepatische Eisensensor aufgrund einer
Mutation des HFE-Gens nicht funktionsfähig. Daher werden die Eisentransportproteine
der Enterozyten induziert und vermehrt Eisen aus Makrophagen freigesetzt. Dies führt
zu einer progressiven Eisenbeladung der parenchymatösen Zellen verschiedener Organe
wie Leber, Pankreas, Herz, Hypophyse und Gelenke. Die Eisenüberladung führt zur Bildung
freier Sauerstoffradikale, die durch Lipidperoxidation die Zellorganellen schädigen
und die Fibrosierung stimulieren.
Klinik Das Vollbild der Krankheit beeinträchtigt erheblich die Struktur und Funktion
der betroffenen Organe.
▪
Klassische Krankheitssymptome: Arthralgien, Leberzirrhose, Diabetes mellitus, dilatative
Kardiomyopathie
▪
Störungen der hypothalamisch-hypophysären Achse können zum sekundären Hypogonadismus
führen. → Hämochromatose eine mögliche, jedoch seltene Ursache von Sterilität.
Da Frauen durch den physiologisch erhöhten Eisenverlust meist erst in der Postmenopause
erkranken, ist die Hämochromatose in der Schwangerschaft von untergeordneter Bedeutung.
Diagnostik
▪
Labor: Erhöhung des Ferritins über 200 μg/l bei Frauen plus Erhöhung der Transferrinsättigung
> 45 % (Referenzbereich 15–40 %) spricht für das Vorliegen einer Hämochromatose.
▪
Genetische Diagnostik: Die häufigsten HFE-Mutationen sind der Austausch von Cystein
durch Tyrosin an Aminosäureposition 282 (C282Y, Allelfrequenz 4 %) und der Austausch
von Histidin durch Asparaginsäure an Position 63 (H63D, Allelfrequenz 15 %). 90 %
der Hämochromatosepatienten haben eine homozygote C282Y-Mutation. Homozygote H63D-Träger
und Patienten mit Compound-Heterozygotie (heterozygote C282Y-Mutation + heterozygote
H63D-Mutation) erkranken i. d. R. nicht.
Nicht alle C282Y-homozygoten Pat. entwickeln eine Eisenüberladung und Krankheitssymptome,
sodass der Nachweis der HFE-Mutation nicht identisch mit der Diagnose einer Hämochromatose
ist, sondern den Genträger nur als prädisponiert einstuft. Die Diagnose beruht auf
der Kombination der Genotypisierung mit klinisch-chemischen und histologischen Befunden.
Therapie Aderlässe. Zielkriterium für die Aderlassbehandlung nicht schwangerer Pat.
ist eine Reduktion des Serumferritinspiegels < 50 μg/l.
17.10.11
Leberzirrhose und portale Hypertension
Klassifikation
▪
Intrahepatische portale Hypertension:
–
Ursache: Leberzirrhose
–
Schwangerschaft aufgrund verminderter Fertilität und des höheren Lebensalters zirrhotischer
Pat. selten.
▪
Prähepatische portale Hypertension:
–
Ursache z. B. Pfortaderthrombose
–
Leberfunktion und Fertilität können relativ gut erhalten sein, sodass Leber:ZirrhoseSchwangerschaftskomplikationen
seltener sind.
▪
Portale HypertensionPosthepatische portale Hypertension:
–
Ursache: Budd-Chiari-Sy.
–
Kann durch die Schwangerschaft ausgelöst oder wesentlich verschlechtert werden.
Pathophysiologie Bereits im 1. Trimenon kommt es physiologisch infolge einer Aktivierung
des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und einer Induktion spezifischer Wasserkanäle
(Aquaporine) zu einer gesteigerten Natrium- und Wasserretention. Zusammen mit dem
gesteigerten Herzzeitvolumen, einer peripheren Vasodilatation, dem gesteigerten intraabdominellen
Druck und einer Kompression der V. cava inferior führen diese physiologischen Veränderungen
v. a. im 2. Trimenon zu einer Zunahme der portalen Hypertension, sodass das Risiko
der Aszitesbildung und der Varizenblutung steigt.
Klinik und Komplikationen
▪
Kompensierte Leberzirrhose: Schwangerschaft wird nicht negativ beeinflusst
▪
Dekompensierte Leberzirrhose: häufig Komplikationen
–
Varizenblutungen bei 18–64 %, v. a. im 3. Trimenon [Hammoud und Ibdah 2012; Sandhu
und Sanyal 2003]
–
Leberversagen, hepatische Enzephalopathie
–
Spontane bakterielle Peritonitis
–
Peripartale Hämorrhagien.
Diagnostik
▪
Gastroskopie: Pat. mit portaler Hypertension sollten vor einer Schwangerschaft gastroskopiert
werden, um Ösophagusvarizen auszuschließen.
▪
(Doppler-)Sonografie des Abdomens: mit Hilfe der Sonografie können die portokavalen
Umgehungskreisläufe beurteilt und rupturgefährdete Milzarterienaneurysmen diagnostiziert
werden.
Therapie Die zirrhoseassoziierte Morbidität und Mortalität können durch eine adäquate
Absenkung des Pfortaderdrucks vor der Schwangerschaft vermindert werden. Zur Vermeidung
der Aszitesbildung empfiehlt sich die Gabe von Schleifendiuretika (Furosemid).
Pat., die bereits eine Varizenblutung erlitten haben und deren Leberfunktion grenzwertig
ist (MELD-Score > 10), sollten nicht schwanger werden.
Bei dekompensierter Leberzirrhose und Komplikationen ist aus kindlicher und maternaler
Ind. ein Schwangerschaftsabbruch, der die hämodynamische Situation entlastet, zu diskutieren.
Prophylaxe von Varizenblutungen
▪
Bei ausgeprägten Varizen Fortführung der Ther. mit dem nicht selektiven Betablocker
Propranolol unter engmaschigem Monitoring.
▪
Zur Blutungsprophylaxe steht die Varizenbandligatur zur Verfügung, die bereits vor
der Schwangerschaft durchgeführt werden sollte.
▪
Die Anlage eines transjugulären intrahepatischen Stent-Shunts (TIPS) in der Schwangerschaft
ist Notfällen vorbehalten.
Prognose
▪
Lebendgeburten: 58 %; Frühgeburten: 64 % (18 % vor 30. SSW)
▪
Fehlgeburten: 19 %; intrauteriner Fruchttod: 6 %
▪
Maternale Komplikationen: 10 %; maternale Mortalität: 3 % (8 % bei MELD > 10, bis
zu 69 % bei Komplikationen).
17.10.12
Schwangerschaft nach Lebertransplantation
Epidemiologie Bei langfristiger Lebensperspektive und guter Leberfunktion stellt sich
für junge Frauen in zunehmendem Maße die Frage, ob eine Lebertransplantation eine
Schwangerschaft mit einem kalkulierbaren Risiko zulässt [Westbrook et al. 2015].
Pathophysiologie
▪
Etwa 50 % der Pat. mit chron. Lebererkr. im gebärfähigen Alter haben eine Amenorrhö,
bei den meisten normalisieren sich die Geschlechtsfunktionen innerhalb des ersten
Jahres nach Leber:Transplantationeiner erfolgreichen Lebertransplantation.
▪
Es sollte eine stabile Transplantatfunktion vorliegen und ein zeitlicher Abstand von
mindestens 12 Mon. zur Lebertransplantation eingehalten werden, da die Pat. dann keine
Steroide mehr erhält und das Risiko einer CMV-Infektion abnimmt [Riely 2001].
▪
Bei einer hereditären Leberkrankheit ist eine genetische Beratung der Pat. vor der
Schwangerschaft sinnvoll.
▪
Bei einer chron. Hepatitis C (regelhafte Reinfektion des Transplantats) ist eine antivirale
Ther. vor der Schwangerschaft indiziert.
Diagnostik
▪
Zu Beginn der Schwangerschaft:
–
Serologisch-infektiologische Screening-Untersuchungen auf Röteln, Parainfluenza, Herpes
simplex, Hepatitis (A, B, C), Zytomegalie, Toxoplasmose und Lues
–
Vaginale Abstriche
▪
Klinisch-chemische Untersuchungen wie Leberenzyme, Nierenwerte, Blutbild, Gerinnung
und Urinstatus sowie Spiegelbestimmungen der Immunsuppressiva in den ersten Mon. 14-täglich
und ab der 29. SSW wöchentlich (Abb. 17.13
)
Abb. 17.13
Schwangerschaftswunsch nach Lebertransplantation
[L157]
▪
Sonografische Kontrollen alle 1–3 Mon.
▪
Leberbiopsie, falls die Leberenzyme auf das Doppelte der Norm ansteigen.
Therapie
▪
Kontrazeption: Zunächst sind mechanische Mittel zu empfehlen; orale Kontrazeptiva
können nach Ablauf des ersten Jahres eingesetzt werden, wobei die Spiegel der Immunsuppressiva
zu beachten sind.
Lebertransplantierte Pat. sollten im 1. Jahr nach Transplantation nicht schwanger
werden [Riely 2001].
▪
Immunsuppression:
–
Immunsuppressive Ther. im Fall einer Schwangerschaft fortführen
–
Ciclosporin A, Tacrolimus oder Azathioprin: Nach den bisherigen Erfahrungen treten
kindliche Anomalien und Aborte nicht signifikant häufiger auf.
–
Ciclosporin A und Tacrolimus können zu einer Verschlechterung der Nierenfunktion und
hypertensiven Blutdruckwerten führen.
–
Glukokortikoide und Tacrolimus begünstigen die Entwicklung eines Diabetes mellitus.
–
Mycophenolatmofetil und Sirolimus: Zum Einsatz in der Schwangerschaft liegen unzureichende
Informationen vor.
Geburtshilfliches Vorgehen
▪
Entbindung:
–
Nach Möglichkeit vaginale Entbindung anstreben
–
Sectiofrequenz liegt mit 29–42 % deutlich höher als bei nicht transplantierten Frauen
[Blume et al. 2013; Westbrook et al. 2015].
–
Antibiotikaprophylaxe allgemein empfohlen.
–
Bei Herpes-simplex-Läsionen (18.1.1) Sectio indiziert.
▪
Stillen: Neugeborene werden wegen des Übergangs von Ciclosporin A oder Tacrolimus
in die Muttermilch i. d. R. nicht gestillt.
Komplikationen
▪
Maternale Komplikationen:
–
Gestationshypertonus: am häufigsten (Inzidenz 19–45 %). Evtl. mit Nierenfunktionsstörungen
oder einer Präeklampsie (6–22 %) vorausgehend [Blume et al. 2013; Degli Esposti 2014;
Westbrook et al. 2015]
–
Leberfunktionsverschlechterungen: selten; die Wahrscheinlichkeit einer Rejektion nicht
erhöht
▪
Kindliche Komplikationen:
–
Inzidenz von Wachstumsretardierungen und niedrigem Geburtsgewicht bis 30 %
–
Frühgeburtlichkeit (13–39 %) und ggf. fetale Mortalität (6 %) gegenüber der Allgemeinbevölkerung
erhöht [Degli Esposti 2014].
17.10.13
Gallensteine
Epidemiologie
▪
Die Cholelithiasis ist auch in der Schwangerschaft die häufigste Krankheit der Gallenwege
(5 % aller Schwangeren) [Ko et al. 2005].
▪
Die Inzidenz gallensteinassoziierter Komplikationen während der Schwangerschaft liegt
unter 1 %, jedoch werden die Pat. häufiger im 1. Jahr p. p. symptomatisch.
▪
Die Häufigkeit einer Cholezystektomie in graviditate beträgt 0,03–0,08 % (zweithäufigste
Ursache nichtgeburtshilflicher chirurgischer CholelithiasisEingriffe in der Schwangerschaft
nach der Appendektomie).
Pathophysiologie Die Gravidität hat einen fördernden Einfluss auf die Entstehung von
Gallensteinen. Unter den steigenden Östrogenkonzentrationen kommt es zu einer gesteigerten
hepatischen Cholesterinsekretion. Die Gallensteinbildung in der Schwangerschaft wird
zudem durch die gestageninduzierte Relaxation der glatten Muskulatur der Gallenblase
begünstigt. Sonografische Studien zeigen bei Schwangeren im 2. und 3. Trimenon eine
Zunahme der Nüchtern- und der Residualvolumina der Gallenblase nach Reizmahlzeit oder
Cholezystokinin. Eine besondere Bedeutung besitzt der Gallenblasen-Sludge, der bei
5 % der Schwangeren sonografisch nachgewiesen wird [Ko et al. 2005].
Als genetischer Risikofaktor der Steinbildung wurde zudem das ABCB4-Gen des kanalikulären
Phospholipid-Transportproteins der Leber identifiziert (17.10.1).
Klinik Die Symptome der Gallenwegserkr. bei Schwangeren entsprechen denen Nichtschwangerer.
▪
Treten am häufigsten nach dem 1. Trimenon auf
▪
Charakteristische Symptome für Gallenblasensteine sind Gallenkoliken von mehr als
15 Min. Dauer im Epigastrium oder rechten Oberbauch, die durch einen Verschluss des
Ductus cysticus verursacht werden und in deren Verlauf es zur akuten Cholezystitis
kommen kann.
Diagnostik
▪
Abdomen-Sonografie: Sensitivität von 84–97 % und Spezifität von 95–99 % für Gallenblasensteine.
▪
Labor:
–
Bei akuter Cholezystitis sind die Entzündungsparameter (Leukozyten, CRP) erhöht.
–
Bei Störung des Galleabflusses Anstieg von Bilirubin und γ-GT.
Differenzialdiagnosen
▪
Appendizitis: Bei rechtsseitigen Oberbauchschmerzen kann infolge der Verlagerung der
Abdominalorgane in der Schwangerschaft die Abgrenzung von der 10-mal häufigeren Appendizitis
schwierig sein.
▪
HELLP-Sy.: Wird durch die typische laborchemische Konstellation abgegrenzt (17.2.2).
Therapie
▪
Konservative Therapie:
–
Mit Nahrungskarenz, parenteraler Flüssigkeitszufuhr, Spasmolyse (z. B. Butylscopolamin),
Analgetika (z. B. Pentazocin) und Antibiotika (z. B. Ampicillin) ist die akute Cholezystitis
bei 55–85 % der Schwangeren konservativ beherrschbar.
–
Bei konservativem Vorgehen werden rezidivierende Symptome von bis zu 92 % im 1. Trimenon
und bis zu 44 % im 3. Trimenon beobachtet.
–
Gallensäurenther.: nicht indiziert
▪
Cholezystektomie: In jedem Trimenon kann bei dringlicher Ind. eine laparoskopische
Cholezystektomie durchgeführt werden.
–
Keine erhöhte maternale Mortalität, 1,7 % Spontanaborte und 3,9 % Frühgeburten [Hammoud
und Ibdah 2012]
–
Pat., die bereits im 1. Trimenon symptomatisch geworden sind, sollten wegen der Rezidivgefahr
früh elektiv operiert werden.
–
Voraussetzungen: intraabdomineller Druck maximal 15 mmHg, Cholezystektomieintraop.
CO2-Monitoring
▪
ERC: Extrahepatische Gallengangverschlüsse durch Choledochuskonkremente werden auch
in der Gravidität primär durch eine endoskopische retrograde Cholangiografie (ERC)
mit Papillotomie und Steinextraktion therapiert.
Die erforderliche Verwendung von Röntgenstrahlen ist bei strenger Indikationsstellung
auch im 1. Trimenon keine KI [Baillie et al. 1990; Tham et al. 2003].
17.11
Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Ioannis Mylonas und Franz Kainer
Definition Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa sind die beiden wichtigsten
Formen der chron.-entzündlichen Darmerkr. Das klinische Bild ist durch akute und chron.,
meist in Schüben verlaufende destruierende Entzündungen der intestinalen Schleimhaut
gekennzeichnet. Der chron. Krankheitsverlauf beinhaltet eine Vielzahl von Komplikationen
und ist individuell nicht vorhersehbar.
▪
Enteritis regionalis Crohn (Enteritis regionalis Crohn, Ileitis terminalis): unspezifische
granulomatöse diskontinuierlich segmental auftretende Entzündung auch der tiefen Wandschichten
des gesamten Gastrointestinaltrakts mit Lokalisation im terminalen Ileum (30–60 %),
proximalen Kolon (10–30 %) oder an beiden Lokalisationen (10–20 %).
▪
Colitis ulcerosa: Diffuse, chron. Entzündung mit kontinuierlicher Enteritis regionalis
CrohnAusbreitung und Ausbildung von Ulzerationen der oberflächlichen Kolonschleimhaut
meist mit Ulzerationen und dazwischen gelegenen Schleimhautinseln (Pseudopolypen).
Häufig vom distalen Rektum ausgehend (ca. 85 %).
Epidemiologie Von chron.-entzündlichen Darmerkr. betroffene Pat. befinden sich vorwiegend
im fertilen Alter mit einem Altersgipfel der Erstdiagnose für beide Geschlechter zwischen
dem 2. und 4. Colitis ulcerosaLebensjahrzehnt.
▪
Inzidenz:
–
Enteritis regionalis Crohn: 2,7–6,0 Neuerkr. pro 100.000
–
Colitis ulcerosa: 5,1–15,1 Neuerkr. pro 100.000
▪
Prävalenz: In Westeuropa und den USA bei ca. 100–200/100.000 [Duerr 2003].
Ätiologie Die Ätiologie ist noch weitgehend unbekannt. Folgende Faktoren werden als
Ursachen von chron.-entzündlichen Darmerkr. diskutiert.
▪
Familiäre Häufung (erbliche Veranlagung): In 11,2 % der Patienten mit Enteritis regionalis
Crohn bzw. in 4,3 % der Pat. mit Colitis ulcerosa können weitere Verwandte an einer
chron.-entzündlichen Darmerkr. leiden. Obwohl bei eineiigen Mehrlingen eine Konkordanz
für die Entwicklung des Enteritis regionalis Crohn von 86 % beobachtet werden konnte,
stellen chron.-entzündliche Darmerkr. keine klassische vererbbare Erkr. dar [Duerr
1996]. Es konnte bisher kein sicherer genetischer Marker für eine mögliche Entwicklung
von Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa festgestellt werden. Vielmehr
scheint eine multifaktorielle polygene Vererbung stattzufinden. Das Risiko für nahe
Verwandte beträgt nach Schätzungen [Orchard et al. 2000]:
–
Enteritis regionalis Crohn: 30-fach erhöhtes Risiko für Geschwister, 13-fach erhöhtes
Risiko für weitere Verwandte
–
Colitis ulcerosa: 8- bis 15-fach erhöhtes Risiko für Verwandte.
Trotz des erhöhten Wiederholungsrisikos für Kinder von erkrankten Eltern nicht zur
Kinderlosigkeit raten, da rechtzeitig diagnostizierte chron.-entzündliche Darmerkr.
im Allgemeinen gut behandelbar sind.
▪
Ernährungsfaktoren: Eine erhöhte Nahrungsaufnahme von raffinierten Kohlenhydraten
wie Süßigkeiten wird für die Entstehung vom Enteritis regionalis Crohn verantwortlich
gemacht.
▪
Störungen des Immunsystems: Autoimmunmechanismen, wie Immunreaktivität gegen die eigene
Darmflora sowie Bildung von Auto-AK (z. B. antineutrophile zytoplasmatische AK = pANCA).
Eine Assoziation mit Histokompatibilitätsantigenen, z. B. HLA-DR2 Klasse II, ist nachgewiesen.
▪
Infektionen: Beim Enteritis regionalis Crohn wurde in den letzten Jahrzehnten häufig
eine infektiöse Genese der Erkr. angenommen, wobei Infektionen mit Masernviren oder
M. paratuberculosis diskutiert wurden. Erreger können als Schubauslöser eine Rolle
spielen.
▪
Psychosomatische Ursachen: Konfliktsituationen und Stress.
Pathophysiologie Die Pathophysiologie der chron.-entzündlichen Darmerkr. ist noch
weitgehend unbekannt.
Enteritis regionalis Crohn: Als primärer pathophysiologischer Mechanismus wird angenommen,
dass bakterielle Antigene eine Aktivierung von T-Lymphozyten induzieren, die eine
erhöhte lokale Produktion von Zytokinen verursacht. Es kommt zu einer kontinuierlichen
Aktivierung des Schleimhautimmunsystems, was schließlich zur Destruktion des Darmgewebes
führt. Mikroskopisch lässt sich eine transmurale Entzündung aller Wandabschnitte der
segmental betroffenen Darmabschnitte beobachten. Die Darmwand ist ödematös und fibrotisch
verändert mit einer vermehrten Bindegewebs- und Narbenbildung mit der Ausbildung von
Stenosen. Epitheloidzellgranulome (60 %), die auf eine Beteiligung von T-Lymphozyten
hindeuten, sowie mehrkernige Riesenzellen sind in der Darmwand und in regionalen Lymphknoten
nachzuweisen. Des Weiteren können sekundäre Ulzerationen, Fissuren und Fistelbildungen
sowie Enteritis regionalis Crohn:PathophysiologieHyperplasie der Lymphknoten (70 %)
mit Lymphangiektasien und aphthenähnlichen Tumoren vorkommen.
Colitis ulcerosa: Die im Darm vorhandenen Immunzellen reagieren auf luminale Bestandteile
in unkontrollierter Weise und setzen eine Vielzahl von Mediatoren, Zytokinen und Chemokinen
frei. Diese führen zur Attraktion von Neutrophilen und Makrophagen, die wiederum eine
Vielzahl von weiteren Molekülen produzieren (u. a. Prostaglandine, Leukotriene u.
Ä.), die wiederum zur Zerstörung der intestinalen Epithelzellen führen. Interessanterweise
ist ebenfalls eine Assoziation der Erkr. und der Aktivität während der Schwangerschaft
mit bestimmten Histokompatibilitätsantigenen, z. B. HLA-DR2 Klasse II, nachgewiesen
worden. Es kommt häufig zum Auftreten von Auto-AK (z. B. antineutrophile zytoplasmatische
AK – pANCA), die im Serum nachweisbar sind.
▪
Im frischen Stadium der Erkr. zeigt sich die Schleimhaut entzündlich, ödematös und
hyperämisch verändert und es Colitis ulcerosa:Pathophysiologietreten Kontaktblutungen
auf. Kleine Ulzerationen und eine path. Gefäßzeichnung sind ebenfalls erkennbar.
▪
Im fortgeschrittenen Stadium zeigen sich rezidivierende Ulzerationen mit einer Zerstörung
von Mukosa und Submukosa sowie dem Verlust der normalen Faltenstruktur. Die Kryptenepithelien
werden geschädigt und es kommt zu einer Ausbreitung des Infiltrats in das Kryptenlumen
und der Bildung von Kryptenabszessen.
Klassifikation Die Unterteilung von chron.-entzündlichen Darmerkr. bei schwangeren
Pat. erfolgt primär zur prognostischen Einschätzung des Schwangerschaftsverlaufs [Abramson,
Jankelson und Milner 1951] als inaktiv oder aktiv bei Konzeption.
▪
Enteritis regionalis Crohn: Für die Aktivität und die Definition der Remission wurde
bis vor einigen Jahren der Aktivitätsindex nach Best [Best et al. 1978] genutzt. Heute
wird die Erkrankungsaktivität des Enteritis regionalis Crohn entsprechend dem ECCO-Konsensus
und der Montreal-Klassifikation eingeteilt (Tab. 17.28
).
Tab. 17.28
Erkrankungsaktivität des Enteritis regionalis Crohn entsprechend dem ECCO-Konsensus
und der Montreal-Montreal-KlassifikationEnteritis regionalis Crohn:Montreal-KlassifikationKlassifikation
[Stange et al. 2006]
Einteilung
Manifestationen
Leicht
Gehfähige Patienten, die eine orale Nahrungsaufnahme tolerierenKeine Zeichen einer
DehydratationKeine systemische BeteiligungKeine abdominale Schmerzen oder RaumforderungIleus
beziehungsweise > 10 % Gewichtsverlust mit meist erhöhtem CRP
Mittelschwer
Intermittierendes ErbrechenGewichtsverlust von > 10 %Fehlendes Ansprechen auf medikamentöse
Behandlung eines leichten Enteritis regionalis Crohns oderSchmerzhafte RaumforderungKein
IleusC-reaktives Protein (CRP) erhöht
Schwer
Kachexie mit Body-Maß-Index (BMI) < 18 oderIleus oderAbszessAnhaltende Symptome trotz
intensiver BehandlungCRP-Erhöhung
▪
Colitis ulcerosa: Einteilung der Erkrankungsaktivität der Colitis ulcerosa entsprechend
dem ECCO-Konsensus und der Montreal-Klassifikation [Stange et al. 2008] (Tab. 17.29
)
–
Für den Verlauf in der Schwangerschaft ist eine weitergehende Einschätzung der Aktivität
von klinischem Nutzen [Nielsen, Vainer und Rask-Madsen 2001; Nielsen et al. 1983]:
inaktiv, wenig aktiv, moderat aktiv, aktiv.
–
Für die Prognose ist folgende Differenzierung von Bedeutung [Flechsig, Richter und
Seidel 1989]: fulminant-toxische Form (5–15 %), chron.-intermittierende Form (50–60
%), chron.-kontinuierliche Form (10–25 %).
Tab. 17.29
Montreal-KlassifikationColitis ulcerosa:Montreal-KlassifikationErkrankungsaktivität
der Colitis ulcerosa entsprechend dem ECCO-Konsensus und der Montreal-Klassifikation
[Stange et al. 2008]
Einteilung
Stuhlgang
Weitere Manifestationen
Leicht (S1)
Bis zu 4 eventuell blutige Stuhlgänge täglich
Puls, Temperatur, Hämoglobin und Blutsenkungsreaktion (BSG) normal
Mittelschwer (S2)
4–6 blutige Stühle täglich
Keine Zeichen einer systemischen Beteiligung
Schwer (S3)
> 6 blutige Stuhlgänge täglich
Zeichen der systemischen Beteiligung wie:
•
Temperatur > 37,5 °C oder
•
Herzfrequenz > 90/Min. oder
•
Hämoglobin < 10,5 g/dl oder
•
BSG > 30 mm in der ersten Stunde
Remission (S0)
Nicht mehr als 3 Stühle/d, keine Blutbeimengungen oder vermehrter Stuhldrang
Klinik
Enteritis regionalis Crohn: kann im Gegensatz zur Colitis ulcerosa im gesamten Intestinum
vom Ösophagus bis zum Rektum auftreten und ist durch eine segmentale diskontinuierliche
Entzündungen gekennzeichnet.
▪
Lokalisation: terminales Ileum (30–60 %), Kolon (10–30 %), an beiden Lokalisationen
(10–20 %)
▪
Primäre Symptome: Abdominalschmerzen im rechten Unterbauch, lang andauernde Durchfälle
(meist ohne Blut), Flatulenz, kolikartige Schmerzen, perianale Fisteln, leicht erhöhte
Körpertemperatur, evtl. druckdolente tastbare Resistenz
Colitis ulcerosa: Das klinische Bild ist durch akute und chron., meist in Schüben
verlaufende destruierende Entzündungen der intestinalen Schleimhaut gekennzeichnet.
Eine nur auf den Dickdarm beschränkte Entzündung ist typisch für die Colitis ulcerosa.
▪
Primäre Symptome: schleimig-blutige Diarrhöen, Tenesmen, Bauchschmerzen, v. a. im
linken Unterbauch, Gewichtsabnahme, Fieber, Leukozytose
▪
Extraintestinale Symptome (Erythema nodosum, Arthritis, Uveitis)
▪
Die blande Kolitis tritt meist als Proktitis auf. Im Gegensatz dazu zeigt die fulminant-toxische
Kolitis (generalisierter Kolonbefall) ein septisches Krankheitsbild mit massiven Durchfällen
(2–3/h), Dehydratation, hypovolämischem Schock, Elektrolytentgleisung.
Diagnostik
17.22.
Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa weisen viele Ähnlichkeiten mit anderen
Erkr. auf (Tab. 17.31), deshalb muss eine genaue Diagnostik durchgeführt werden. Klinische,
paraklinische, endoskopische, histopath. und radiologische Befunde spielen eine entscheidende
Rolle in der Diagnosefindung (Tab. 17.30
). Allerdings bestehen bei schwangeren Pat. Einschränkungen in den diagnostischen
Verfahren.
Tab. 17.30
Diagnose des Enteritis regionalis Crohn und der Colitis Enteritis regionalis Crohn:DiagnostikColitis
ulcerosa:Diagnostikucerosa
Symptome/Erscheinung
Enteritis regionalis Crohn
Colitis ulcerosa
Klinisch
Hämatochezie
±
+
Abgang von Blut und Schleim
±
+
Dünndarmbefall
+
– (außer bei „backwash ileitis“)
Befall des oberen GI-Trakts
+
Nein
Abdominelle Raumforderung
± (manchmal im rechten unteren Quadranten)
±
Extraintestinale Manifestationen
+
+
Dünndarmileus
+
±
Kolonobstruktion
+
±
Perianale Fisteln
+
–
Biochemisch
ANCA-positiv
±
+
ASCA-positiv
+
±
Histopathologie
Transmurale Entzündung der Mukosa
+
–
Gestörte Kryptenarchitektur
±
+
Kryptitis und Kryptenabszesse
+
+
Fissuren
+
–
Endoskopie
Ileumbefall
+
–
Rektumbefall
±
+
Kontinuierlicher Befall
±
+
Symmetrischer Befall
±
+
Aphthen
+
–
Einzelne Ulzera
+
±
Lineare Ulzera
+
±
Tiefe Ulzera
+
±
Granulierung
±
+
Erhöhte Verletzlichkeit
±
+
+ = häufig; ± = selten; – = nie
Anamnese und körperliche Untersuchung:
▪
Leitsymptome der Colitis ulcerosa sind kleinvolumige blutig-schleimige Durchfälle.
▪
Bei ca. 50–60 % der Pat. mit Enteritis regionalis Crohn oder Colitis ulcerosa bestehen
extraintestinale Manifestationen.
▪
Mögliche intestinale Komplikationen schließen u. a. einen mechanischen Ileus, ein
Malabsorptionssyndrom, Fisteln und Abszesse mit ein.
Serologie und Stuhlkultur
▪
Bestimmung der Entzündungsaktivität:
–
Blutbild: Hb, Hkt, Leukozyten- und Thrombozytenzahl
–
CRP
–
Ziel: Aktivitätseinschätzung, Frage nach infektiösen Komplikationen und Mangelerscheinungen
▪
Bakteriologische Stuhluntersuchung: Sowohl initial als auch bei Verschlechterung der
Krankheitsaktivität indiziert. Ggf. bei klinischem Verdacht ergänzende mikrobiologische
Untersuchungen in Serum und Stuhl oder Biopsien
▪
Serologische Marker:
–
pANCA werden bei ca. 50–80 % der Pat. mit Colitis ulcerosa gefunden.
–
Enteritis regionalis Crohn mit AK gegen Saccharomyces cervesiae (ASCA) assoziiert.
ASCA finden sich auch bei etwa 20 % der gesunden Verwandten 1. Grades von Pat. mit
Enteritis regionalis Crohn, was darauf hinweist, dass es sich möglicherweise um einen
genetisch determinierten subklinischen Marker handelt.
!
Klinischer Nutzen dieser Parameter noch weitgehend unklar.
Endoskopische Diagnostik: Zur Initialdiagnostik gehören bei V. a. eine chron.-entzündliche
Darmerkr. eine Sigmoidoskopie und Ileokoloskopie mit Segmentbiopsien, wobei Biopsiematerial
auch aus unauffällig erscheinender Schleimhaut entnommen wird. Der endoskopische Befund
und die Verteilung der Läsionen erlauben oft eine diagnostische Zuordnung.
Obwohl es nur geringe Daten über Kolonoskopie und Schwangerschaft gibt, sollte dieser
Eingriff doch weitgehend vermieden werden [Capell et al. 1996].
Histologie und Pathologie: Sowohl bei der Colitis ulcerosa als auch beim Enteritis
regionalis Crohn können extraintestinale Entzündungsreaktionen vorkommen, z. B. Pyoderma
gangraenosum.
▪
Enteritis regionalis Crohn: Histologisch dominieren aphthoide Läsionen, transmural
Entzündungszellen (v. a. Makrophagen und CD4+-T-Zellen). Seltener epitheloidzellige
Granulome
▪
Colitis ulcerosa: Infiltrationen charakteristischerweise auf die Mukosa und Submukosa
beschränkt.
Sonografie und radiologische Untersuchung: Die konventionelle transabdominale Sonografie
ist sowohl in der initialen als auch in der Verlaufsdiagnostik chron.-entzündlicher
Darmerkr. von Bedeutung. Sie erlaubt die Beurteilung der Darmwanddicke und der Länge
des Darmbefalls im Rahmen von entzündlichen Prozessen, andererseits die Entdeckung
von Komplikationen (z. B. Abszesse, Gallensteine und Nierensteine).
In der Schwangerschaft:
▪
Röntgenuntersuchungen vermeiden
▪
Allerdings das Risiko für den Fetus gegen die Notwendigkeit einer Abdomenaufnahme
(z. B. der Diagnose eines toxischen Megakolons) abwägen.
▪
CT-Untersuchungen sollten nur zur Erkennung von Komplikationen bei Enteritis regionalis
Crohn gemacht werden
▪
MRT-Untersuchungen nicht kontraindiziert.
Differenzialdiagnosen
Tab. 17.31
.
Tab. 17.31
Differenzialdiagnosen der chron.-entzündlicher Darmerkr.
Chron.-entzündliche Darmerkr.
•
Enteritis regionalis Crohn
•
Colitis ulcerosa
•
Colitis indeterminata
Darminfektionen
•
Salmonellen
•
Campylobacter
•
Yersinia
•
Shigellen
•
C. difficile
•
E. coli
•
Amöben
•
Zytomegalievirus (CMV)
Unspezifische Entzündungen
•
Divertikulitis
•
Eosinophile Enterokolitis
•
Behçet-Krankheit
•
Ciclosporin
•
Penicillamin
Vaskuläre Schäden
•
Systemische Vaskulitiden
•
Ischämische Kolitis
•
Strahlenkolitis
Neoplasien
•
Karzinome
•
Lymphome
Therapie
Therapeutische Strategie: Die primären Behandlungsziele beider Erkr. sind einerseits
die rasche Induktion einer Remission (möglichst ohne Glukokortikoide) und andererseits
die Prävention von Erkrankungs- und Therapiekomplikationen. Mittlerweile gibt es zahlreiche
Therapieoptionen für beide Erkr. (Tab. 17.32
).
Tab. 17.32
Ther. Maßnahmen bei chron.-entzündlichen Darmerkr. [Baumgart und Sandborn 2007; Greventis
et al. 2015; Khan, Asim und Lichtenstein 2014; Morgan et al. 2014; Schulze, Esters
und Dignass 2014]
Maßnahme
Enteritis regionalis Crohn
Colitis ulcerosa
Medikamente
Adalimumab (s. c.)
+
–
Azathioprin (oral)
+
+
Balsalazid
–
+
Budesonid (oral)
+
+
Ciclosporin (i. v.)
–
+
Cortison oral
–
+
Certolizumab (i. v.)
+
+
Prednisolon (i. v.)
+
+
Golimumab (i.v.)
–
+
Prednisolon (oral)
+
+
Hydrocortison (Einläufe)
–
+
Infliximab (i. v.)
+
+
6-Mercaptopurin (oral)
+
–
Mesalazin (Einläufe)
–
+
Mesalazin (oral)
+
+
Mesalazin (Suppositorien)
–
+
Methotrexat (i. m.)
+
–
Metronidazol (oral)
+
–
Olsalazin
–
+
Sulfasalazin (oral)
+
+
Tacrolimus (oral)
–
+
Vedolizumab (i.v.)
+
+
Operation
Kurative Darmresektion
–
+
Resektion
+
–
Beseitigung von Komplikationen
+
±
Andere Maßnahmen
Ernährung
+
–
Substitution
+
(+)
Symptomatische Ther.
±
+
Psychother.
±
±
+ = indiziert; ± = möglich/zu erwägen; – = nicht indiziert
Bezüglich der Medikamentenwahl und des jeweiligen Behandlungszeitpunkts besteht Uneinigkeit.
Einige Fachgesellschaften favorisieren ein Stufenschema, das derzeit stark diskutiert
und sogar angezweifelt wird. Hinzu kommen neue Medikamente (z. B. TNF-α-Antagonisten),
welche die ther. Optionen sowohl für Enteritis regionalis Crohn (Tab. 17.33
) als auch Colitis ulcerosa (Enteritis regionalis Crohn:Therapie
Tab. 17.34
) erweitern.
Tab. 17.33
Medikamentöse Therapieoptionen bei Enteritis regionalis Crohn [Baumgart und Sandborn
2007; Greventis et al. 2015; Khan, Asim und Lichtenstein 2014; Morgan et al. 2014;
Schulze, Esters und Dignass 2014]
Medikament
Leichter bis mittelschwerer Enteritis regionalis Crohn
Schwerer Enteritis regionalis Crohn
Perianales Fistelleiden
Postop. Remissionserhaltung
FDA-Kategorien für die Schwangerschaft
Induktion
Erhaltung
Induktion
Erhaltung
Induktion
Erhaltung
Adalimumab (s. c.)
+
+
+∗
+∗
B
Azathioprin (oral)
–
–
–
+
–
+
+
D
Budesonid (oral)
+
–
+
–
C
Infliximab (i. v.)
+
+
+
+
B
6-Mercaptopurin (oral)
–
–
–
+
–
+
+
D
Mesalazin (oral)
–
–
–
B
Methotrexat (i. m.)
+
+
X
Methylprednisolon (oral)
+
–
+
–
C
Metronidazol (oral)
–
+
–
B
Prednisolon (i. v.)
+
C
Prednisolon (oral)
+
–
+
–
–
C
Sulfasalazin (oral)
+
–
–
B
∗
in Subgruppenanalyse; + = indiziert; – = nicht indiziert
Tab. 17.34
Medikamentöse Therapieoptionen bei Colitis ulcerosa [Baumgart und Sandborn 2007; Greventis
et al. 2015; Khan, Asim und Lichtenstein 2014; Morgan et al. 2014; Schulze, Esters
und Dignass 2014]
Medikament
Leichte bis mittelschwere Colitis ulcerosa
Refraktäre Colitis ulcerosa
Schwere Colitis ulcerosa
Remissionserhaltung
FDA-Kategorien für die Schwangerschaft
Distal
Extensiv
Distal
Extensiv
Azathioprin (oral)
–
–
+
–
+
+
D
Balsalazid
+
+
+
–
+
+
B
Budesonid (Einläufe)
+
–
+
+
–
–
C
Ciclosporin (i. v.)
–
–
–
+
–
–
C
Glukokortikoide (Cortison oral)
+
+
+
–
–
–
C
Glukokortikoide (Prednisolon i. v.)
–
–
+
+
–
–
C
Glukokortikoide (Prednisolon oral)
+
+
+
–
–
–
C
Hydrocortison (Einläufe)
+
–
+
+
–
–
C
Infliximab (i. v.)
+
+
+
+
+
+
B
Mesalazin (Einläufe)
+
+∗
+
–
+
–
B
Mesalazin (oral)
+
+
+
–
+
+
B
Mesalazin (Suppositorien)
+
–
+
–
+
–
B
Olsalazin
–
–
–
–
+
+
C
Sulfasalazin (oral)
+
+
+
–
+
+
B
Tacrolimus (oral)
–
–
–
+
–
–
C
∗
ergänzende Ther.; + = indiziert; – = nicht indiziert
Während einer Schwangerschaft besteht zusätzlich die Befürchtung, durch die medikamentöse
Ther. Colitis ulcerosa:Therapieeine fetale Schädigung bzw. geburtshilfliche Komplikationen
zu verursachen. Aus diesem Grunde sollten vorrangig Medikamente genutzt werden, bei
denen bereits seit längerer Zeit Erfahrung in Bezug auf die Schwangerschaft besteht
und ein mögliches Schädigungspotenzial für das ungeborene Kind als gering einzuschätzen
ist.
Besonderheiten in der Schwangerschaft: Sulfasalazin und Glukokortikoide können während
der Schwangerschaft entsprechend dem Indikationsbereich eingesetzt werden.
▪
Eine bestehende Kortikosteroid- und/oder Sulfasalazinther. nicht unterbrechen
▪
Neben den „klassischen“ Kortisonformen stehen auch „moderne“ lipophile Kortisonpräparate
(z. B. Beclomethason, Dipropionat, Budesonid) zur Verfügung, die sich durch hohe lokale
Wirkungsaktivität und niedrige systemische Bioverfügbarkeit auszeichnen.
▪
Eine notwendige Antibiotikather. mit Perenterol (600–800 mg/d) kombinieren, um eine
Schädigung der Darmflora zu vermeiden
▪
Bei akuten Blutungen wird die adjuvante Applikation von Faktor XIII empfohlen.
Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen in der Schwangerschaft
[Alstead 2003; Greventis et al. 2015; Khan, Asim und Lichtenstein 2014; Lamah und
Scott 2002; Morgan et al. 2014; Schulze, Esters und Dignass 2014]:
▪
First-line-Ther.: 5-ASA, Sulfasalazin, Glukokortikoide
▪
Second-line-Ther.: 6-Mercaptopurin, Azathioprin [Francella et al. 2003], Ciclosporin
[Ferrero et al. 2003], Metronidazol [Alstead, 2001, Alstead and Nelson-Piercy, 2003]
▪
Zusätzliche Ther.:
–
Unfraktioniertes Heparin 2 × 10.000 E/d [Prajapati et al. 2002]
–
Folsäure-Supplementation 5 mg/d in der gesamten Schwangerschaft.
Medikamente in der Schwangerschaft
Sulfasalazin-5-Aminosalizylsäure: Im Sulfasalazin sind 5-Aminosalizylsäure (5-ASA)
und Sulphapyridin (SP) durch eine Azobrücke verbunden. Nach oraler Applikation werden
30 % im Dünndarm resorbiert, während 60 % den Dünndarm passieren und im Dickdarm durch
Bakterien in die Bestandteile 5-ASA und SP aufgespalten werden. SP wird über die Kolonschleimhaut
resorbiert und über die Nieren ausgeschieden. 5-ASA wird nicht absorbiert und ist
für den ther. Sulfasalazin:chronisch-entzündliche DarmerkrankungenEffekt im distalen
Kolon und Ileum verantwortlich. SP übernimmt die Aufgabe des Carriers für 5-ASA.
In Entwicklung befinden sich Präparate ohne SP. Einer der ersten Vertreter ist das
Mesalazin, es sollte gegenwärtig bei Sulfasalazin-Unverträglichkeit eingesetzt werden.
Sulphapyridin passiert die Plazenta; die nachgewiesenen Konzentrationen im maternalen
und Nabelschnurserum sind ähnlich. Aufgrund der geringen SP-Konzentrationen im fetalen
Nabelschnurserum ist eine für Sulfonamide bekannte Freisetzung des Bilirubins aus
der Albuminbindung hinsichtlich Ausbildung eines Neugeborenen-Kernikterus zu vernachlässigen.
Glukokortikoide: Eine Suppression der fetalen hypothalamo-hypophysären Achse sowie
eine erhöhte fetale Malformationsrate konnte nicht beobachtet werden. Allerdings wird
in der Literatur wiederholt auf eine Tendenz zur intrauterinen Wachstumsretardierung
hingewiesen.
Seit Kurzem steht für die Behandlung des Enteritis regionalis Crohn mit Budenosid-Kapseln
ein Präparat zur Verfügung, bei dem das Kortison im Ileum freigesetzt wird Glukokortikoide:chronisch-entzündliche
Darmerkrankungenund dort lokal antiinflammatorisch wirkt. Dabei erwies sich das Budesonid
dem Mesalazin gegenüber als signifikant überlegen bei der Induktion einer Remission.
Immunsuppressiva: Eine weitere Therapiemöglichkeit bei mittel- bis hochgradiger Entzündungsaktivität
oder rezidivierenden Entzündungsschüben beim Enteritis regionalis Crohn besteht in
der Behandlung mit immunsuppressiven Medikamenten. Erfahrungen liegen für Azathioprin
(6-Mercaptopurin) vor. Frühzeitiges Absetzen des Azathioprins führt allerdings zu
einer erhöhten Rezidivrate. Nach Azathioprinther. in der Schwangerschaft sind bei
Immunsuppression:chronisch-entzündliche DarmerkrankungenNeugeborenen Thymushypoplasien,
Lymphopenien und verminderte Immunglobulinkonzentrationen im Serum nachgewiesen worden.
Gegenwärtig ist die Azathioprinther. in der Schwangerschaft nur im Ausnahmefall anzuwenden.
Kommt es unter der Ther. zur Konzeption, ist nach detaillierter Diskussion mit den
werdenden Eltern über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft und einen möglichen
medizinisch indizierten Abbruch zu beraten.
Weitere Immunsuppressiva befinden sich zurzeit in klinischer Erprobung (u. a. Methotrexat,
Mycophenolatmofetil). Eine hoch dosierte Immunglobulinther. könnte ebenfalls bei Rezidiven
in der Schwangerschaft von Bedeutung sein.
Neue Medikamente (biologische Therapie, „Biologika“): Die Entwicklung von spezifischen
AK hat die Ther. von refraktären chron.-entzündlichen Darmerkr. in den letzten Jahren
revolutioniert [Greventis et al. 2015; Khan, Asim und Lichtenstein 2014; Morgan et
al. 2014; Schulze, Esters und Dignass 2014].
▪
Infliximab, ein AK gegen TNF-α, zeigt eine Effektivität sowohl für die Induktion als
auch zur Biologicals:chronisch-entzündliche DarmerkrankungenErhaltungsther. bei Enteritis
regionalis Crohn. Zurzeit gibt es keinen Anhalt auf einer mütterliche Toxizität, Embryotoxizität
bzw. Teratogenität bei der Anwendung von Infliximab in der Schwangerschaft im Tiermodell.
Allerdings gibt es Berichte, die Komplikationen wie vorzeitige Entbindung, Fallot-Tetralogie,
neonatalen Tod, intrazerebrale Hämorrhagie sowie vereinzelte fetale InfliximabMalformationen
bei Menschen beschreiben, wobei dies in größeren Untersuchungen noch nicht bestätigt
werden konnte. Obwohl es von der amerikanischen FDA-Behörde mit der Kategorie B klassifiziert
wurde, wird die Nutzung dieser Substanz in der Schwangerschaft als möglich erachtet.
Es gibt keine Anzeichen, dass Infliximab in die Muttermilch übergeht, wobei keine
wesentlichen NW beobachtet werden konnten. Eine Anwendung während der Schwangerschaft
sollte aus Sicherheitsgründen während dem dritten Trimenon unterbrochen werden.
▪
Adalimumab ist ebenfalls ein monoklonaler AK, der von der FDA-Behörde mit der Kategorie
B klassifiziert wurde. In kleineren Untersuchungen konnte keine Morbidität in Zusammenhang
mit diesem Medikament in der Schwangerschaft festgestellt werden. Es gibt zurzeit
keine Studien, ob Adalimumab in die Muttermilch übergehen kann. Eine Anwendung während
der Schwangerschaft sollte aus Sicherheitsgründen während dem dritten Trimenon unterbrochen
werden.
▪
Über Certolizumab
Adalimumabgibt es zurzeit keine größeren Untersuchungen zur Sicherheit bei der Anwendung
in der Schwangerschaft, Das Medikament ist von der FDA in der Kategorie B eingestuft
und ist derzeit nur in den USA und in der Schweiz zugelassen. Allerdings sollte aus
Sicherheitsgründen das Medikament noch nicht während der Schwangerschaft genutzt werden.
▪
Golimumab ist für die Ther. der Colitis ulcerosa zugelassen.Certolizumab Obwohl noch
keine Daten an schwangeren Pat. vorliegen, wird angenommen, dass es sich ähnlich wie
Inflximab bzw. ADA verhält. Allerdings sollte aus Sicherheitsgründen das Medikament
noch nicht während der Schwangerschaft genutzt werden.
▪
Vedolizumab ist für die Ther. der Enteritis regionalis Crohn und der Colitis ulcerosa
zugelassen. Derzeit Golimumabexistieren allerdings keine Daten für die Anwendung in
der Schwangerschaft.
Demzufolge sollte eine sorgfältige Risiko-Nutzen-Analyse vor dem Beginn einer Ther.
mit diesen Biologika erfolgen, da sie mit einer erhöhten Inzidenz von Infektionen
und Malignomen einhergeht . In der Schwangerschaft ist ebenfalls Vorsicht geboten,
da der Einsatz dieser AK Vedolizumabnoch nicht ausreichend erforscht wurde.
Ernährungsumstellung
▪
Da Pat. mit Enteritis regionalis Crohn einen erhöhten Konsum an raffinierten Kohlenhydraten
haben (z. B. Süßigkeiten), eine Umstellung zu einer ausgewogenen Ernährung empfehlen
(2.1).
–
Bei Krankheitsaktivitätsindex 100–200 Punkte hat die diätetische Behandlung mit kohlenhydratarmer
Kost einen günstigen Effekt.
–
Bei einem geringeren Aktivitätsindex (< 100) konnte der Ernährung:Umstellung bei chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungengünstige Effekt nicht nachgewiesen werden.
▪
Auf eine geregelte Darmpassage achten
▪
Reichliche tägliche Flüssigkeitszufuhr empfehlen, da sonst eine verstärkte Bakterienbesiedlung
lokale Entzündungen begünstigen kann.
Im akuten Schub und zur Stabilisierung des Therapieerfolgs besitzt in der Schwangerschaft
die sog. „Bausteinnahrung“ (z. B. Fresubin®) einen hohen Stellenwert. Bei Krankheitsaktivität
sollte dieses Ernährungsregime zur Optimierung der Gewichtszunahme genutzt werden.
Vor allem bei Enteritis regionalis Crohn in Zusammenhang mit Hyperemesis gravidarum
oder Präeklampsie/Eklampsie kann die totale parenterale Ernährung nötig sein.
Chirurgische Therapie: Kolostomie oder Ileostomie ist ein kurativer Ansatz bei Colitis
ulcerosa, bei Enteritis regionalis Crohn Ind. jedoch zurückhaltend stellen.
▪
Proktokolektomie jedoch in der Gravidität vermeiden. Cave: fetale und maternale Mortalität
[Alstead 2001; Ooi, Remzi und Fazio 2003]
▪
Subtotale Kolektomie mit Ileostomie: Erhöhtes postop. Abortrisiko von ca. 60 % [Lamah
und Scott 2002]
▪
Notfall-Kolektomie:
–
Fetale Mortalität ca. 53 %
–
Maternale Mortalität ca. 29 %, was wahrscheinlich mehr an der akuten Situation der
Pat. als an der durchgeführten OP liegt [Lamah und Scott 2002].
Psychosomatische Ther.: Eine psychosomatische Betreuung sollte neben der medikamentösen
Ther. erfolgen und auch im krankheitsfreien Intervall fortgesetzt werden.
Komplikationen Betreffen v. a. den Darm, können aber selten auch außerhalb auftreten.
▪
Zu den häufigen intestinalen Komplikationen gehören u. a. intestinale Blutung, toxisches
Megakolon, Darmperforation und Fistelbildung (Tab. 17.35
).
Tab. 17.35
Intestinale Komplikationen bei chron.-entzündlichen Megakolon, toxischesMalabsorptionssyndromDarmerkr.
Toxisches Megakolon
Septische Temperaturen, Peritonitis und Perforationsgefahr (2–10 %)
Akuter mechanischer Ileus
Darmverschluss durch Narbenbildung, Stenosen oder entzündliche Genese
Darmperforation
Lebensbedrohliche Situation mit sofortiger OP-Ind.
Intestinale Blutung
Blutverluste können v. a. durch Transfusionen kontrolliert werden, In seltenen Fällen
kann auch eine OP notwendig sein, wobei die Ind. bei Enteritis regionalis Crohn zurückhaltender
erfolgt
Konglomerattumoren
Adhäsionen von entzündeten Darmschlingen, die zu einer Passagestörung führen können
Fisteln
Chron. Fistelbildung (intra- und retroperitoneal), v. a. Darm- und Analfisteln treten
bei Enteritis regionalis Crohn in 40–50 % auf
Abszessbildung
Vorwiegend schmerzhafte anorektale Abszesse in ca. 25 % der Fälle
Malabsorptionssy.
Gewichtsverlust, reduzierter Allgemeinzustand, Vit.-B12-Mangelerscheinungen (perniziöse
Anämie)
Kolonkarzinom
Das Risiko, an einem Dickdarmkarzinom zu erkranken, nimmt bei langem Krankheitsverlauf
bei Colitis ulcerosa um ca. 10–40 % zu
▪
Extraintestinale Komplikationen betreffen primär Haut, Augen, Gelenke und Leber (Tab.
17.36
).
Tab. 17.36
Extraintestinale Komplikationen bei chron.-entzündlichen Darmerkr.
Haut
•
Erythema nodosum
•
Pyoderma gangraenosum
•
Akrodermatitis enteropathica (Zinkmangel)
Augen
•
Iritis
•
Episkleritis
•
Uveitis
Gelenke
•
Arthritis
•
Axiale Arthropathien
•
Ankylosierende Spondylitis (HLA B 27 ↑)
Leber
•
Pericholangitis
•
Cholelithiasis
•
Leberparenchymgranulome
Schwangerschaftsverlauf und Prognose Der Schwangerschaftsverlauf und das fetale Risiko
wurden bei Pat. mit chron.-entzündlichen Darmerkr. als normal eingestuft [Khosla et
al. 1984; Miller 1986; Willoughby und Truelove 1980].
Allerdings ist die Kontrolle der Aktivität dieser Erkr. vor einer Konzeption und während
der Schwangerschaft entscheidend, um einen positiven Schwangerschaftsausgang sowohl
für das Kind als auch für die Mutter zu gewährleisten [Bush et al. 2004; Mottet et
al. 2005].
Studienlage fetale Fehlbildungen
▪
Eine Kohortenanalyse mit 107 Crohn-Pat. und 155 Colitis-ulcerosa-Pat. im Vergleich
zu 1.308 Kontrollpatientinnen zeigte für die Crohn-Pat. ein höheres Risiko für eine
Frühgeburt, ein geringes kindliches Geburtsgewicht sowie für ein SGA-Kind [Dominitz,
Young und Boyko 2002]. Colitis-ulcerosa-Pat. zeigten keine signifikanten Unterschiede
mit dem Kontrollkollektiv. Allerdings wurde eine höhere Rate einer kongenitalen fetalen
Malformation beobachtet (7,9 versus 1,7 % im normalen Kontrollkollektiv, P < 0,001)
[Dominitz, Young und Boyko 2002]. Interessanterweise konnten diese Daten in anderen
Untersuchungen nicht bestätigt werden.
▪
Eine Metaanalyse mit ca. 1.900 Frauen zeigte ein 2,37-fach erhöhtes Risiko einer kongenitalen
Fehlbildung [Cornish et al. 2007].
▪
Bei einer retrospektive Analyse von kongenitalen Anomalien zwischen 1980 und 1996
in Ungarn konnte keine höhere Inzidenz von kongenitalen Fehlbildungen festgestellt
werden [Norgard et al. 2003]. Allerdings war in einer Subanalyse das Risiko einer
Deformität der Hüfte, des Harntrakts sowie von mehrfachen gleichzeitigen Malformationen
zwischen 2,6- bis 6,2-fach bei Frauen mit einer chron.-rezidivierenden Darmerkr. erhöht
[Norgard et al. 2003].
Studienlage Aktivität und Schwangerschaftsausgang
▪
Die Rate einer erneuten Aktivierung der Erkr. liegt bei ungefähr 26–34 % [Nielsen
et al. 1983; Mogadam et al. 1981; Morales et al. 2000].
▪
Eine aktive Erkr. ist mit Aborten, Frühgeburtlichkeit und fetaler Wachstumsretardierung
assoziiert [Fonager et al. 1998; Kornfeld, Cnattingius und Ekbom 1997].
▪
Die Aktivität der Erkr. kann sogar während einer Schwangerschaft geringfügig verringert
sein. Interessanterweise ist sogar die Häufigkeit einer Reaktivierung bis zu drei
Jahren nach einer Schwangerschaft erniedrigt, wobei die genaue Ursache noch weitgehend
unklar ist [Agret et al. 2005; Castiglione et al. 1996; Riis et al. 2006].
▪
Ein Zusammenhang zwischen Erkrankungsaktivität während der Konzeption und einer höheren
Inzidenz eines Aborts bzw. einer Frühgeburt konnte festgestellt werden [Nielsen et
al. 1983; Morales et al. 2000]. Ebenso spielt die Aktivität der Erkr. während der
Schwangerschaft eine große Rolle und geht, je höher die Aktivität, mit einem geringeren
kindlichen Geburtsgewicht und einer Frühgeburt einher [Bush et al. 2004; Fedorkow,
Persaud und Nimrod 1989].
▪
In einer großen Kohortenstudie mit über 460 Pat. mit einer chron.-rezidivierenden
Darmerkr. konnte kein Zusammenhang zwischen der Aktivität der Erkr. während der Konzeption
oder dem ersten Trimenon mit einem Abort bzw. negativen maternalen oder kindlichen
Schwangerschaftsausgang festgestellt werden [Mahadevan et al. 2005]. Allerdings hatte
die Mehrzahl der analysierten Pat. keine aktive Erkr. während der Schwangerschaft
[Mahadevan et al. 2005].
▪
Weitere ungünstige prognostische Faktoren waren ein Ileumbefall eines Enteritis regionalis
Crohn und eine vorangegangene op. Darmentfernung [Mahadevan et al. 2005; Moser et
al. 2000]. Allerdings konnten diese Ergebnisse von anderen Studien nicht bestätigt
werden [Mahadevan et al. 2005; Norgard et al. 2007].
▪
Zusammenfassend ist mit einer 3,4-fachen höheren Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt
bei Pat. mit einem moderaten bis aktiven Krankheitsverlauf zu rechnen [Mahadevan et
al. 2005; Norgard et al. 2007].
▪
Dementsprechend sollte, falls möglich, eine Konzeption während einer inaktiven Phase
bei Frauen mit einer chron.-entzündlichen Darmerkr. geplant werden. Entscheidend für
einen positiven Schwangerschaftsausgang ist die adäquate Diagnose und Ther. der Erkr.
während der Schwangerschaft [Carter, Lobo und Travis 2004].
Studienlage Schwangerschaftsausgang
▪
In den letzten Jahren wurden ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten, wachstumsretardierte
Kinder [Kornfeld 1997; Fonager 1998] und eine erhöhte Spontanabortrate [Miller 1986]
bei Pat. mit Enteritis regionalis Crohn festgestellt.
▪
In einer Übersichtsarbeit von 1998 [Subhani und Hamiliton 1998] konnte gezeigt werden,
dass chron.-rezidivierende Darmerkr., vor allem aktive Erkr., mit einer vorzeitigen
Entbindung, geringem Geburtsgewicht sowie erhöhter Kaiserschnittentbindungsrate assoziiert
sind.
▪
Eine Colitis ulcerosa war signifikant mit einem niedrigen Geburtsgewicht des Kinds
assoziiert; wobei sich bei behandelten Müttern mit Mesalazin oder Glukokortikoiden
dieser Effekt verstärkte [Ludvigsson und Ludvigsson 2002].
▪
In einer Fall-Kontroll-Studie, in der 116 Schwangere mit Enteritis regionalis Crohn
und Colitis ulcerosa mit ca. 56.000 Kontrollen verglichen wurden, konnte kein Zusammenhang
zwischen Schwangerschaftskomplikationen (einschließlich Hypertonie, Hyperemesis gravidarum,
vorzeitiger Entbindung oder Präeklampsie) festgestellt werden [Bush et al. 2004].
Allerdings waren sowohl eine Geburtseinleitung, eine Kaiserschnittentbindung als auch
ein Amnioninfektionssyndrom bei den erkrankten Frauen häufiger. Alle weiteren kindlichen
Parameter (z. B. geringes Geburtsgewicht, kongenitale Anomalien, Apgar) zeigten keinen
signifikanten Unterschied. Allerdings zeigte eine Subgruppenanalyse bei Morbus-Crohn-Pat.
ein geringeres Risiko für die Geburt eines Kindes mit einem geringen Geburtsgewicht,
wenn eine bekannte chron.-rezidivierende Darmerkr. vor der Schwangerschaft operiert
wurde und eine inaktive Erkr. während der Schwangerschaft bestand [Bush et al. 2004].
▪
Eine Metaanalyse mit ca. 1.900 Frauen mit einem Enteritis regionalis Crohn sowie ca.
1.100 Frauen mit einer Colitis ulcerosa und ca. 320.000 schwangeren Kontrollpat. zeigte
ein 1,87-fach erhöhtes Risiko einer Frühgeburt (< 37. SSW) [Cornish et al. 2007].
Ebenfalls konnten ein doppelt so großes Risiko für die Geburt eines Kindes mit niedrigem
Geburtsgewicht, ein 2,37-fach erhöhtes Risiko einer kongenitalen Fehlbildung sowie
ein 1,5-faches Risiko für eine Kaiserschnittentbindung festgestellt werden [Cornish
et al. 2007]. Allerdings konnte in dieser Analyse kein eindeutiges Risikoprofil von
Frauen mit einem erhöhten Risiko eines ungünstigen Schwangerschaftsausgangs definiert
werden.
▪
Ein 1,4- bis 1,8-faches Risiko für eine Frühgeburt unter 36 SSW und ein ca. 2,5-faches
Risiko für ein geringes fetales Gewicht [Fonager et al. 1998; Kornfeld et al. 1997]
▪
In früheren Untersuchungen wurde kein erhöhtes Risiko für Totgeburten, perinatale
Todesfälle oder Fehlbildungen festgestellt [Fonager et al. 1998; Kornfeld et al. 1997;
Miller 1986]. Allerdings wurde die jeweilige Aktivität des Enteritis regionalis Crohn
nicht berücksichtigt, die für die schlechtere fetale Prognose verantwortlich gemacht
wird [Baird, Narendranathan und Sandler 1990].
▪
In einer kürzlichen Metaanalyse von 23 Studien mit über 15.000 Schwangeren konnte
ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt (1,85 fach), SGA (1,37 fach) sowie für Totgeburten
(1,57 fach) festgestellt werden [O’Toole, Nwanne und Tomlinson 2015]. Zusätzlich konnte
ein erhöhtes Risiko von 1,29 für kongenitale Fehlbildungen festgestellt werden [O’Toole,
Nwanne und Tomlinson 2015].
Geburtshilfliches Vorgehen Die Ind. zur Sectio ist bei der Beteiligung von Perineum,
Zervix und Vagina gegeben. In einer Umfrage wurde in 17,9 % der Fälle über die Entstehung
einer perinealen Erkr. bei Crohn-Pat. nach vaginaler Entbindung im Vergleich zu 0,5–3
% der Normalbevölkerung berichtet [Brandt, Estabrook und Reinus 1995]. Die erhöhte
Zahl der op. Entbindungen resultiert wahrscheinlich mehr aus Gründen der Entlastung
der Mutter als mit dem Hintergrund einer aktiven Darmerkr. Bei Ileum-Pouch-Analanastomose
beträgt die Sectiorate allerdings ca. 50 % [Ravid et al. 2002].
Zusammenfassung
▪
Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa sind die häufigsten Formen chron.-entzündlicher
Darmerkr.
▪
Der Häufigkeitsgipfel dieser Erkr. fällt mit dem Zeitraum der Fertilität zusammen.
▪
Die präkonzeptionelle Beratung und eine perikonzeptionell erfolgreiche medikamentöse
Einstellung sollten angestrebt werden.
▪
Die Ther. von chron.-entzündlichen Erkr. bei Schwangeren erfordert keine außerordentlichen
Vorsichtsmaßnahmen.
▪
Die Anwendung von Medikamenten für die chron.-entzündlichen Erkr. in der Schwangerschaft
führen nicht zu einer Erhöhung der fetalen Morbidität und Mortalität.
▪
Die medikamentöse Ther. ist grundsätzlich der Krankheitsaktivität anzupassen.
▪
First-line-Ther.: Aminosalicylate, Sulfasalazin, Glukokortikoide
▪
Second-line-Ther.: 6-Mercaptopurin, Azathioprin, Ciclosporin, Metronidazol
▪
Für die Prognose der Erkr. in der Gravidität ist weiterhin die intensive Schwangerenberatung
und Ernährungsberatung von Bedeutung.
▪
Chron.-entzündliche Darmerkr., außer dem Enteritis regionalis Crohn mit hoher Aktivität,
führen zu keiner erhöhten maternalen Morbidität in der Schwangerschaft.
▪
Bei Crohn-Pat. mit hohem Aktivitätsindex, erfolgloser Glukokortikoide und/oder Sulfasalazinther.
ist häufiger mit Komplikationen zu rechnen (Spontanaborte, Frühgeburt, Fehlbildungen).
▪
Die chirurgische Intervention in der Schwangerschaft bleibt Ausnahmen vorbehalten.
▪
Das genaue Risiko des Schwangerschaftsverlaufs bei chron.-entzündlichen Erkr. ist
nicht eindeutig.
17.12
Neurologische Erkrankungen in der Schwangerschaft
Franz Kainer
Durch die Schwangerschaft können verschiedene neurologische Erkr. ausgelöst werden.
Andererseits können neurologische Erkr. den Schwangerschaftsverlauf ganz wesentlich
beeinflussen. Die Eklampsie (17.2.3) ist die schwerste durch die Schwangerschaft bedingte
neurologische Komplikation [Berger, Brezinka und Luef 2006].
17.12.1
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Epidemiologie
▪
Häufigkeit ist altersabhängig.
▪
Inzidenz bei Frauen: < 35 J. = 4,1 : 100.000, zwischen 35 und 44 J. = 25,7 : 100.000
▪
Schwangerschaft: Das Risiko für eine zerebrale Ischämie oder eine intrazerebrale Blutung
ist nicht erhöht.
▪
Wochenbett: Das Risiko steigt deutlich an. Ursache ist die rasche Veränderung des
Blutvolumens mit Veränderung der Hämodynamik, der Gerinnung sowie Schlaganfalldie
hormonelle Umstellung.
Intrazerebrale Blutung, Subarachnoidalblutung (SAB), intrakranielles Aneurysma
Ätiologie
▪
Intrazerebrale Blutung: v. a. InsultFolge einer Hypertonie (RRdiast. > 110 mmHg),
seltener durch arterielle Aneurysmen, arteriovenöse Gefäßmalformationen, (schwere)
Gerinnungsstörungen, Trauma, Vaskulitis (Lupus erythematodes), hypertensive Krise,
Eklampsie, Metastasen eines Chorionkarzinoms, ektope Endometriose
▪
Subarachnoidalblutung:
Blutung:intrazerebraleRuptur eines Aneurysmas, hypertensive Krise
Klinik
Aneurysma:intrakraniellesDie Symptome treten abrupt auf:
▪
Starke Kopfschmerzen,Subarachnoidalblutung Übelkeit, Erbrechen
▪
Somnolenz – Sopor – Koma
▪
Je nachdem, welche Gehirnteile betroffen sind, können unterschiedlichste Symptome
auftreten: Am häufigsten sind halbseitige Lähmungen mit Sprach-, Sensibilitäts-, Schluck-
und Sehstörungen.
Diagnostik
Eine rasche Diagnostik mittels CT oder MRT ist entscheidend für das weiterführende
Management.
▪
MRT: Vorteil, dass keine Strahlenbelastung gegeben ist und dass auch kleine Läsionen
besser erkennbar sind.
▪
Angiografie: Bei medizinischer Ind. ist sie trotz Strahlenbelastung auch in der Schwangerschaft
durchzuführen.
Therapie
Neben einer kardiopulmonalen Erstversorgung und Beurteilung des fetalen Zustands (Sonografie,
CTG) ist die rasche Verlegung in eine Intensivstation mit Erfahrung in der Schlaganfallbehandlung
(„Stroke-unit“) erforderlich. Die Behandlung entspricht der Ther. außerhalb der Schwangerschaft
[AWMF –Leitlinie Schlaganfall 053/01].
Konservative Therapie:
▪
Absolute Bettruhe
▪
I. v. Zugang
▪
Sauerstoffgabe über Nasensonde (z. B. 2 l/Min.)
▪
Monitoring mit EKG, Pulsoxymetrie und unblutiger RR-Messung
▪
Frühe Intubation bei abfallender Sättigung oder Bewusstseinstrübung
▪
Hypertoniebehandlung bei Werten > 170/90 mmHg (bevorzugt mit Urapidil, wegen begleitender
Senkung des intrakraniellen Drucks): 25 mg langsam i. v., ggf. Wiederholung nach 10
Min.
▪
Rascher Transport in die Klinik zum CT und zur Intensiv- oder Stroke-unit-Behandlung
▪
Osmother.: 4–5 × 500 ml Osmofundin oder bis zu 6 × 125 ml Mannitol bei Hirndruckkrisen
▪
Korrektur der Gerinnungsstörung mit der Gabe von Frischplasmakonzentraten oder PPSB.
Operative Therapie: Die Entscheidung zur op. Behandlung beruht immer auf einer individuellen
Entscheidung unter Einbeziehung von Alter, Gestationszeit, Überlebenswahrscheinlichkeit,
neurologischem Zustand und Allgemeinzustand der Pat.
▪
Nicht rupturiertes asymptomatisches Hirngefäßaneurysma: primär konservative Ther.
▪
SAB aufgrund eines Aneurysmas:
–
Bei gutem klinischem Zustand frühzeitig (am 1. und 2. Tag) operieren. Die OP erfolgt
mit Platzieren eines Clips (Titanclip) auf den Hals des Aneurysmas oder, falls dies
nicht möglich ist, aus dem Wrapping (Umlegen eines Aneursymas mit Muskelgewebe oder
Teflongewebe).
–
Bei hohem chirurgischem Risiko und schlechtem Allgemeinzustand kommt alternativ die
endovaskuläre Aneurysmaausschaltung (Coiling des Aneurysmas) infrage.
▪
Große, symptomatische intrakavernöse Aneurysmen:
–
Ther. primär mikrochirurgisch mit Cliping
–
Bei sehr kompliziert gestalteten Aneurysmen auch Anastomosen (Umgehungskreisläufe)
als OP
–
Eine alternative Behandlungsmethode ist die endovaskuläre Thrombosierung.
Bei bekannter arteriovenöser Gefäßmalformation in der Schwangerschaft eine prophylaktische
OP unterlassen, da keine erhöhte Rupturgefahr während der Schwangerschaft besteht.
▪
Nicht rupturiertes Aneurysma nach stattgehabter SAB aus einem anderen, bereits versorgten
Aneurysma: OP
▪
Bei Kleinhirnblutung mit Hirnstammkompression sowie bei mittelgroßen Hämatomen, mittelschwerer
klinischer Symptomatik und zunehmender Bewusstseinstrübung: OP wegen Gefahr der Hirnstammkompression.
Geburtshilfliches Vorgehen Das weitere Vorgehen während der Schwangerschaft wird im
interdisziplinären Konsil mit den beteiligten Kollegen, dem Partner und, wenn noch
möglich, mit der Schwangeren entschieden.
▪
In der Frühschwangerschaft Abruptio besprechen
▪
Bei einer Gestationszeit an der Grenze der kindlichen Lebensfähigkeit (ab 22 + 0 SSW)
ist meist eine Prolongation der Schwangerschaft aus kindlicher Ind. wünschenswert.
Ein Fortführen der Intensivther. ist dann auch bei infauster Prognose der Schwangeren
möglich.
▪
Ab 32 + 0 SSW ist nach Stabilisierung der Schwangeren eine Sectio zu empfehlen.
Prognose Gegenüber dem Hirninfarkt ist die Prognose der intrazerebralen Blutung deutlich
schlechter. Die 30-Tage-Mortalität beträgt zwischen 20 und 50 %.
Hirninfarkt
Epidemiologie Hirninfarkte treten während der Schwangerschaft 10-mal häufiger auf
als außerhalb der Schwangerschaft. Inzidenz ca. 1 : 3.000 Geburten, es überwiegen
die Verschlüsse der A. cerebri media.
Ätiologie Vaskulitis (Syphilis, SLE, Polyarthritis nodosa), Takayasu-Arteriitis, Embolie
(paradoxe Embolie, Fruchtwasserembolie 24.6, infektiöse Endokarditis, Luftembolie),
Faktor-V-Leiden-Mutation, APC-Resistenz, Thrombophilien (17.20), Gerinnungsstörungen
(Hirninfarktthrombotisch thrombozytopenische Purpura, Sichelzellanämie), Eklampsie
(17.2.3), Alkoholabusus (Kap. 3), Medikamentenabusus (Kap. 3), Rauchen (Kap. 3), Diabetes
mellitus (17.4), Hirnmetastasen.
Klinik
▪
Typisch ist eine Hemiplegie ohne Kopfschmerzen und Somnolenz.
▪
Je nach Lokalisation sind zusätzlich vorhanden:
–
Hemianopsie (halbseitiger Gesichtsfeldausfall)
–
Sprachstörungen, räumliche und zeitliche Orientierungsstörung
–
Emotionale Labilität
–
Amaurosis fugax (vorübergehende Sehstörung durch eine kleine Embolie der Netzhaut),
Doppelbilder, HemiplegieHemianopsie
–
Schwindel, Schluckstörungen, Gangunsicherheit
–
Halbring- oder ringförmige Gefühlsstörungen um Mund oder Nase
–
HemianopsieBewusstseinsstörungen von Schläfrigkeit bis Bewusstlosigkeit
–
Störungen der Vitalfunktionen (Puls, Blutdruck, Atmung)
–
Übelkeit und Brechreiz
Diagnostik
Neben der klassischen Anamnese und der neurologischen Untersuchung möglichst rasch
eine apparative Zusatzuntersuchung durchführen.
▪
Unverzüglich CCT
▪
MRT: Bei Verwendung von diffusions- und perfusionsgewichteten Sequenzen die im Vergleich
zur CT sensitivere Methode zur Erfassung frischerer ischämischer Hirnparenchymläsionen.
Sicherer Nachweis von intrazerebralen Blutungen möglich.
▪
Routinelabor: BB, BZ, Kreatinin, Elektrolyte, Gerinnungsstatus, Triglyzeride, Cholesterin
▪
EKG, Pulsoxymetrie und Rö-Thorax
▪
Doppler der extra- und intrakraniellen Gefäße
▪
Im Einzelfall Angiografie.
Therapie
▪
Kardiopulmonale Erstversorgung und rasche Verlegung in eine Intensivstation mit Erfahrung
in der Schlaganfallbehandlung („Stroke-unit“) nach Beurteilung des fetalen Wohlbefindens
▪
Ausreichende Oxygenierung
▪
Oberkörperhochlagerung (30°)
▪
Ausreichende Schmerzther.
▪
Normalisierung der Körpertemperatur
▪
Blutdruckther.: keine rasche Blutdrucksenkung in der Akutphase
▪
Blutzucker-, Elekrolytausgleich
▪
Bei Hirndrucksymptomatik i. v. Osmotherapie mit Glycerol (4 × 125–250 ml Glycerol
10 % über 30–60 Min.), Mannitol (25–50 g alle 3–6 h) oder Hyper-HAES (über ZVK, 100
ml alle 3–6 h)
▪
Lysetherapie: in Einzelfällen möglich [Wardlaw, del Zoppo und Yamaguchi 2000], wenn
auch mit erhöhtem Blutungsrisiko für Mutter und Kind. Cave: individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.
–
Die i. v. thrombolytische Ther. mit „recombinant tissue plasminogen activator“ (rtPA,
0,9 mg/kg KG innerhalb eines 3-h-Fensters) verbessert das Outcome signifikant.
–
Bei schweren Infarkten und ausgedehnten Infarktfrühzeichen ist die Lysebehandlung
infolge des Risikos von LysetherapieSekundärblutungen kontraindiziert.
–
Die intraarterielle thrombolytische Behandlung mit Prourokinase führt bei Verschlüssen
der proximalen A. cerebri media innerhalb von 6 h nach Symptombeginn zu einer deutlichen
Verbesserung des Outcomes. Diese Ther. ist aber an interventionelle angiografische
Techniken gebunden und somit nur spezialisierten Zentren vorbehalten.
▪
ASS (100–300 mg/d) in der Frühphase nach einem Schlaganfall evtl. empfehlen
▪
Prophylaxe von Lungenembolien und tiefen Beinvenenthrombosen durch niedermolekulares
Heparin s. c.; wodurch sich allerdings das Risiko intrakranieller Blutungen erhöht.
▪
Langzeitbehandlung durch multidisziplinäres Team, das aus medizinischer und pflegerischer
Versorgung, Physio-, Ergother., Logopädie und Sozialarbeit besteht.
Glukokortikoide zur Behandlung des postischämischen Hirnödems nicht wirksam.
Geburtshilfliches Vorgehen Der weitere Schwangerschaftsverlauf ist von der Grunderkr.
(z. B. schwere Präeklampsie, 17.2.1) abhängig. Findet sich keine schwerwiegende Grunderkr.,
sind ein Fortführen der Schwangerschaft und eine vaginale Entbindung möglich.
Prognose
▪
Die Prognose ist gut, jedoch von der Grunderkr. abhängig.
▪
In Abhängigkeit von der Ausprägung des Infarktbezirkes meist vollständige Rückbildung
der Symptome
▪
Mitentscheidend für die Prognose ist die schnelle und adäquate Primärversorgung.
▪
Wenn keine schwerwiegende Grunderkr. als Ursache für den Infarkt besteht, gibt es
bei weiteren Schwangerschaften kein erhöhtes Risiko für eine Wiederholung des Geschehens.
Postpartale Sinusvenenthrombose
Epidemiologie
▪
Häufigkeit: 1 : 2.500 bis 1 : 10.000 Geburten
▪
In 80 % Erkrankungsbeginn in der 2. oder 3. postpartalen Wo.
Ätiologie Die Ursache der Erkr. ist unbekannt.
Klinik Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, neurologische Ausfälle abhängig von der
Lokalisation, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit bei zunehmendem Hirndruck.
Diagnostik Bei klinischem Verdacht ist das MRT die Methode der Wahl.
Therapie Frühzeitige Heparinisierung, wenn eine Blutung Sinusvenenthrombose, postpartaleausgeschlossen
ist.
Prognose
▪
Mortalität bis zu 30 %
▪
Wird die Erkr. überlebt, so ist von einer Normalisierung der neurologischen Störungen
auszugehen.
▪
Obwohl keine zuverlässigen Daten vorhanden sind, wird von weiteren Schwangerschaften
abgeraten.
17.12.2
Karpaltunnelsyndrom
Definition Bei einem Karpaltunnelsyndrom (KTS) handelt es sich um eine Kompressionsneuropathie
des N. medianus im Bereich des Handgelenks.
Epidemiologie
▪
Häufigste Ursache für eine periphere Nervenstörung
▪
Tritt während der Schwangerschaft häufiger auf als außerhalb der Schwangerschaft.
▪
Häufigkeit wird mit 25 % (bei großer Varianzbreite von 1–50 %) angegeben.
Ätiologie
▪
Idiopathische Form
▪
KarpaltunnelsyndromSchwangerschaft als typische sekundäre Ursache, da es durch eine
vermehrte Flüssigkeitseinlagerung in der Schwangerschaft zu lokaler Nervenschädigung
in engen knöchernen oder bindegewebigen Strukturen kommt.
Klinik
▪
Sensibilitätsstörungen in den Fingern
▪
Ausgeprägte nächtliche Parästhesien und Schmerzen im Versorgungsgebiet des N. medianus
(Brachialgia nocturna)Kompressionsneuropathie, N. medianus
▪
Parästhesien und Schmerzen bei Haltearbeit der Hand
▪
Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des N. medianus
▪
Ungeschicklichkeit und Schwäche der Hand
▪
Schmerzausstrahlung in den Unterarm/Oberarm
▪
Schwierigkeiten bei Fein- und Spitzgriff (z. B. Nähen, Auf- und Zuknöpfen, Aufheben
von kleinen Gegenständen)
▪
Atrophie der Daumenballenmuskulatur
▪
Brachialgia nocturnaBeeinträchtigung der Sensorik.
Diagnostik
▪
Inspektion und Palpation:
–
Beurteilung von Schwellung und Druckschmerz im Bereich des Karpaltunnels
–
Spezifische Funktions- und Schmerztests
–
Positives Hoffmann-Tinel-Zeichen: Beim Beklopfen des N. medianus in Höhe des Handgelenks
Auslösen von Parästhesien
–
Schmerzen bei Opposition und Abduktion des Daumens
▪
Weiterführende Untersuchungen (hoch auflösende Sonografie, apparative Diagnostik,
EMG) in der Schwangerschaft nur bei ausgeprägten Symptomen indiziert und meist überflüssig.
Differenzialdiagnose Tendosynovitis de Quervain.
Konservative Therapie
▪
Beratung: Hoffmann-Tinel-ZeichenAufklärung über die Erkr., deren natürlichen Verlauf
und dessen Beeinflussbarkeit durch Therapiemaßnahmen
▪
Medikamentöse Ther.: Analgetika: Paracetamol (max. 2.000 mg/d)
▪
Lokale Infiltration von Kortison in den Karpalkanal (Methylprednisolon: Injektion
von 3 x 15 mg)
▪
Diuretische Ther. hat während der Schwangerschaft einen positiven Effekt, erfolgt
jedoch unter strenger Indikationsstellung.
Physikalische Therapie
▪
Ruhigstellung mit Schonung und Verminderung von schmerzhafter manueller Tätigkeit
▪
Nächtliche Schienung des Handgelenks in Mittelstellung
▪
Kältether. und Ruhigstellung im akuten Stadium
▪
Vorsichtige Mobilisation.
Operative Therapie Erfolgt in der Schwangerschaft nur bei therapierestistentem, rasch
progredientem Verlauf mit sensomotorischen Ausfallserscheinungen [Leitlinien der Deutschen
Gesellschaft für Orthopädie 2012].
Prognose Die Langzeitprognose ist gut. Es kommt meist zu einer raschen Rückbildung
der Symptome nach der Schwangerschaft.
17.12.3
Restless-Legs-Syndrom (RLS)
Epidemiologie Das Restless-legs-Sy. zählt mit einer altersabhängigen Prävalenz von
5–10 % der Bevölkerung zu den häufigsten neurologischen Erkr. Es tritt in 10–30 %
aller Schwangerschaften auf [Manconi et al. 2004].
Ätiologie Zu den häufigsten symptomatischen Formen gehören das RLS bei Urämie, Eisenmangelanämie,
Folsäuremangel, rheumatischer Polyarthritis, in der Schwangerschaft und bei diversen
neurologischen Erkr. (Polyneuropathien, Myelopathien, Morbus ParkinsonRestless-legs-Syndrom).
Pathophysiologie Unbekannt.
Klinik
▪
Unangenehme, oft quälende Dys- oder Parästhesien der Beine, seltener auch der Arme,
die ausschließlich in Ruhesituationen, ganz besonders ausgeprägt in den Abend- und
Nachtstunden (schwere Schlafstörungen), auftreten.
▪
Erheblicher Bewegungsdrang und motorischer Unruhe
▪
Die Beschwerden können einseitig, beidseitig oder alternierend auftreten.
▪
Linderung bzw. Beseitigung typischerweise durch Bewegung oder Aktivität.
Diagnostik Die Diagnose des Restless-legs-Syndroms (RLS) wird anhand der klinischen
Symptome gestellt. Ausschluss von sekundären Formen durch Labordiagnostik: BB, Ferritin,
Transferrin, Serumeisen, Nierenfunktionswerte, TSH, ggf. Schilddrüsenhormone, Blutzucker
(Ausschluss Diabetes), Vit. B12, Folsäure.
Therapie Es gibt keine Studien zur medikamentösen Ther. des RLS-Syndroms während der
Schwangerschaft. Die Medikation ist von der Beschwerdesymptomatik in Relation zu den
NW abhängig zu machen [Picchietti et al. 2014].
▪
Bei symptomatischem RLS kann die Behandlung des Grundleidens zu einer Beschwerdereduktion
führen (z. B. Eisensubstitution bei Eisenmangel: Fe-i. v.-Ther.).
▪
Restex® (Levodopa + Benserazid) ist in der Schwangerschaft kontraindiziert und daher
nur nach entsprechender Risikoabwägung einzusetzen.
▪
Benzodiazepine (z. B. Diazepam 10 mg/d abends) → evtl. Atemdepression beim Neugeborenen
▪
Benzodiazepinderivat Clonazepam 3 × 1 mg/d. Relative KI in der Schwangerschaft. Möglicher
Wirkungsverlust nach einiger Zeit.
▪
Alternativ kann Carbamazepin 200 mg retard abends verabreicht werden.
Prognose Die Symptome verschwinden ohne weitere Therapiemaßnahmen üblicherweise in
den ersten Wochen nach der Schwangerschaft.
17.12.4
Meralgia paraesthetica, Inguinaltunnelsyndrom
Definition Schmerzhafte Parästhesie im Bereich des N. cutaneus femoralis lateralis.
Ätiologie Die Ursache ist meist eine Kompression des Nervs unter dem Leistenband.
Klinik
▪
Die Störung tritt im 3. Trimenon häufig auf und ist dann meist beidseitig.
▪
Schmerzhafte Parästhesien an der Außenseite der Oberschenkel
▪
Zunahme der Beschwerden beim Gehen und Stehen.
Inguinaltunnelsyndrom
Diagnostik Die Diagnose ist aufgrund der Anamnese zu Meralgia paraestheticastellen
und erfordert keine weitere Abklärung.
Therapie
▪
Aufklärung der Schwangeren über die vorübergehenden Beschwerden
▪
Bei therapiebedürftigen Beschwerden:
–
Analgetika: zunächst Paracetamol 10–15 mg /kg KG, max. 50 mg/kg KG/d. Die Einnahme
kann in Abständen von 4–8 h wiederholt werden. Bei der Anwendung von Zäpfchen muss
der zeitliche Abstand mind. 6 h betragen.
–
Alternativ: selektive Nervenblockade (5–8 ml Bupivacain 0,25 %) an der Nervenaustrittsstelle
unter dem Leistenband.
Prognose Die Prognose ist gut. Die Beschwerden bilden sich innerhalb von 3 Mon. p.
p zurück.
17.12.5
Myasthenia gravis
Epidemiologie Die Inzidenz bewegt sich zwischen 0,25 und 2,0/100.000 Einwohner und
nimmt mit dem Alter zu.
Ätiologie Die häufigste Form der Myasthenia gravis (MG) beruht auf einer Störung der
neuromuskulären Erregungsübertragung, die durch Auto-AK gegen den nikotinischen Azetylcholinrezeptor
(AChR) an der neuromuskulären Synapse der gestreiften Muskulatur hervorgerufen werden.
Klinik
▪
Kardinalsymptom: abnorme, belastungsabhängige Ermüdbarkeit der Myasthenia gravisMuskulatur
▪
Das klinische Bild variiert von leichten Formen (nur Beurteilung der Augenmuskeln)
bis zu schweren generalisierten Formen mit Beteiligung der gesamten Extremitätenmuskeln
und auch der Atemmuskulatur.
▪
Die glatte Muskulatur (Uterus, Darm, Harnblase) ist nicht betroffen.
Myasthene Krise
Im Rahmen einer Infektion oder durch Medikamente kann es zur Entwicklung einer lebensbedrohlichen
sog. myasthenen Krise mit Ateminsuff. kommen, die trotz intensivmedizinischer Maßnahmen
mit einer Mortalität von 10 % einhergeht [Thomas et al. 1997].
Medikamente, die zur Verschlechterung bei Myasthenia gravis führen:
▪
Analgetika: Morphin
▪
Antibiotika: Aminoglykoside, Makrolide (Erythromycin), Gyrasehemmer, Sulfonamide,
Tetrazykline, hoch dosiertes Penicillin
▪
Antiepileptika: Benzodiazepine, Carbamazepin, Hydantoine, Ethosuximid
▪
Antiarrhythmika: Chinidin, Procainamid
▪
Antidepressiva
▪
Lidocain und atemdepressive Narkotika
▪
Kalziumantagonisten: Verapamil, Nifedipin
▪
Glukokortikoide bei hoher Dosierung (Lungenreifeinduktion möglich)
▪
Betablocker: Propanol, Oxprenolol, Practolol
▪
Diuretika: Schleifendiuretika
▪
Magnesium: hohe Dosen vermeiden
▪
Muskelrelaxanzien: Curare-Derivate, Succinylcholin
▪
Psychopharmaka: Amitriptylin, Promazin
Diagnostik Die Diagnose kann meist allein aufgrund der typischen Anamnese gestellt
werden. Zur genaueren Quantifizierung der Symptome ist eine ausführliche neurologische
Untersuchung mit EMG (repetitive Nervenstimulation) erforderlich.
▪
Edrophonium-Test: Gabe von Camsilon®, Tensilon®: Besserung der Beschwerden innerhalb
von 30–60 s
▪
Im Einzelfall weiterführende Diagnostik (Tumorausschluss, Muskelerkr.)
▪
Labor: Bestimmung der Anti-AChR-AK (positiv bei ca. 50 % mit okulärer MG, bei ca.
80 % mit generalisierter MG und 100 % bei Thymom).
Therapie
Medikamentöse Therapie
▪
Cholinesterase-Inhibitoren sind die wichtigste symptomatische Edrophonium-TestTherapiemaßnahme:
–
Neostigmin 0,5 mg i. v. Wirkungsbeginn nach 10 Min. für 2–3 h
–
Pyridostigminbromid: Mittel der Wahl für die orale Langzeitbehandlung (6 × 60 mg/d),
optimale Dosis individuell ermitteln
▪
Glukokortikoide sind die am häufigsten eingesetzten Substanzen und haben eine hohe
Ansprechrate von 70–80 % (Neostigmin
4.1.5): Prednison, Prednisolon mit einer Eingangsdosis 10–20 mg/d Prednison-Äquivalent,
jede Wo. um 5 mg steigern, bis eine stabile PyridostigminbromidRemission erreicht
ist (Ziel: 1 mg/kg KG/d). Für die Erhaltungsther. die minimale effektive Dosis ermitteln.
Bewährte Medikamente zur Immunsuppression sind in der Schwangerschaft kontrainidiziert.
▪
Plasmapherese: Entfernt unselektiv die nicht korpuskulären Bestandteile Glukokortikoide:Myasthenia
gravisaus dem Blut und wird bei lebensbedrohlicher Verschlechterung eingesetzt.
▪
Immunadsorption (IAd): wird heute vielfach anstelle der klassischen Plasmapherese
durchgeführt. Bei diesem Verfahren werden selektiv Immunglobuline der IgG-Subklassen
entfernt [Leitlinie S2K Myasthenia gravis 030-087].
Operative Therapie: Thymektomie nach Möglichkeit vor der Schwangerschaft. Bei Thymom
(paraneoplastische MG) OP auch während der Schwangerschaft indiziert.
Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf
▪
⅓ der Schwangeren verschlechtert sich während der Schwangerschaft oder im Wochenbett,
wobei das Risiko im Wochenbett am höchsten ist (Exazerbation bis 57 %).
▪
Der Schwangerschaftsverlauf und die Wehentätigkeit (Thymomkein Einfluss auf die glatte
Muskulatur des Uterus) werden durch die Erkr. nicht negativ beeinflusst.
▪
Die körperliche Belastung intrapartal kann zu einem erhöhten Bedarf an Cholinesterase-Inhibitoren
führen.
▪
Myasthenia gravis:SchwangerschaftsverlaufBei Erschöpfung kann eine vaginal-op. Beendigung
der Geburt (25.2) erforderlich sein.
▪
Eine Sectio erfolgt nur aufgrund von geburtshilflichen Ind. und sollte in Lokalanästhesie
erfolgen.
Einfluss auf das Neugeborene Da Auto-AK der IgG-Klasse die Plazentaschranke passieren,
kann eine neonatale Myasthenie hervorgerufen werden (20 %). Bei adäquater Akutther.
(Pyridostigmin oral, per Nasensonde oder parenteral i. v. Immunglobuline) ist die
Prognose sehr gut, die Symptome klingen meist innerhalb weniger Wo. ab. AChR-AK sind
nach > 3 Mon. nicht mehr nachweisbar. Mit einer späteren MG beim Kind muss nicht gerechnet
werden.
Es besteht keine KI für das Stillen.
17.12.6
Multiple Sklerose
Myasthenia gravis:neonatale
Definition Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chron.-entzündliche Erkr.. Es handelt
sich um eine Autoimmunerkr. des ZNS mit unterschiedlicher Ausprägung von Demyelinisierung
und axonalem Schaden.
Epidemiologie
▪
Weltweit ca. 1 Mio. Menschen betroffen
▪
In Deutschland ca. 100.000–120.000 Erkrankte
▪
Nach der Pubertät steigt die Inzidenz rasch an und erreicht im Alter von ca. 30 J.
den Spitzenwert. Die Inzidenz bleibt Multiple Skleroseim 4. Lebensjahrzehnt hoch und
fällt dann steil ab.
Ätiologie Genetische Faktoren spielen bei der Erkr. eine wichtige Rolle, doch sind
die Zusammenhänge sehr komplex und eine Vorhersage des Erkrankungsverlaufs ist aufgrund
genetischer Untersuchungen nicht möglich.
Klinik Die klinischen Beschwerden sind von der Lokalisation der Entzündungsherde im
ZNS abhängig und daher sehr vielseitig.
▪
Parästhesien und Hyperästhesien von Armen und Beinen sowie Gleichgewichtsstörungen
sind typische erste Hinweiszeichen.
▪
Sehstörungen (Doppelbilder)
▪
Mit zunehmender Dauer der Erkr. kommt es zu vermehrtem Auftreten starker Müdigkeit,
zu Blasenproblemen, Schmerzen und sexuellen Störungen.
▪
Schubförmiger Verlauf: Die ersten Symptome können sich vollständig zurückbilden. In
späteren Stadien kommt es zu dauerhaften Lähmungen unterschiedlichen Ausmaßes.
Diagnostik Die Diagnose kann gestellt werden, wenn neben der typischen klinischen
Symptomatik charakteristische Veränderungen im Liquor oder im MRT gefunden werden.
▪
Differenzierte neurologische Untersuchung mit Visusprüfung. Berücksichtigung anamnestischer
Angaben zu weiteren Funktionsbereichen (Blase, Darm, Sexualfunktion, kognitive Defizite)
▪
MRT mit Kontrastmittelgabe zur Darstellung charakteristischer Läsionen
▪
Liquoruntersuchung:
–
Zytologie
–
Albumin- und IgG-Bestimmung
–
Nachweis oligoklonaler IgG-Banden
–
Ggf. AK-Synthese-Index (ASI) für neurotrope Viren (Masern, Röteln, Zoster).
Differenzialdiagnosen Ähnliche Krankheitsbilder wie Kollagenosen, Vaskulitiden, Borreliose
oder Sarkoidose ausschließen.
Therapie
▪
Standardther. des akuten MS-Schubes ist die i. v. Applikation von hoch dosiertem Methylprednisolon
[Leitlinie 030-050. Multiple Sklerose].
–
Vorzugsweise je 1 g an aufeinanderfolgenden Tagen
–
Zum oralen Ausschleichen wird individuell nach Verträglichkeit und Effektivität der
i. v. Ther. vorgegangen.
▪
Monatliche Immunglobulingabe (Dosierung 0,2–0,4 g/kg KG) zur Schubprophylaxe während
der Schwangerschaft und Stillperiode wird derzeit als „möglicherweise effektiv“ eingestuft.
▪
Bei einem klinisch schweren Schub, der nicht ausreichend auf Kortikosteroid-Pulsther.
anspricht, kann nach einer Studie eine zusätzliche Behandlung mit Plasmapherese in
Erwägung gezogen werden [Keegan und Noseworthy 2002].
Die Behandlung mit Mitoxantron (Anthracendion-Chemotherapeutikum) sowie Interferon
ist während der Schwangerschaft kontraindiziert.
Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft
▪
Die Schwangerschaft hat keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf [Runmarker und Andersson
1995;].
▪
In mehreren retrospektiven Studien hat sich gezeigt, dass die MS während der Schwangerschaft
eher günstiger verläuft als zu anderen Zeiten.
▪
Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht indiziert.
▪
Das Risiko eines Krankheitsschubs ist in den ersten Wochen nach der Geburt erhöht.
Schwangerschaftsverlauf, Geburt, Stillen
▪
Die Erkr. hat keinen negativen Einfluss auf die Schwangerschaft.
▪
Hinsichtlich der Geburt ergeben sich durch die MS keine Besonderheiten.
▪
Eine Sectioind. aufgrund der Erkr. besteht nicht.
▪
Außergewöhnliche Stresssituationen vermeiden
▪
Es besteht keine KI für eine Peridural- oder Spinalanästhesie. Stillen kann das Schubrisiko
reduzieren.
▪
Unmittelbar nach der Multiple Sklerose:SchwangerschaftsverlaufEntbindung eine Ther.
mit Immunglobulinen beginnen
▪
Stillt die Mutter nicht, so können moderne Immunther. unmittelbar p. p. als Schubprophylaxe
eingesetzt werden.
▪
Das Risiko der Vererbung ist gering erhöht, insgesamt jedoch sehr niedrig.
17.12.7
Epilepsie
Definition Epilepsien sind heterogene Erkr. des Gehirns, die durch plötzlich auftretende
Verhaltens- und/oder Befindensstörungen gekennzeichnet sind.
Epidemiologie Mit einer Häufigkeit von 0,5–1 % aller Schwangerschaften ist die Epilepsie
die häufigste schwere neurologische Erkr. in der Schwangerschaft.
Ätiologie
▪
Genetische Ursachen
▪
ZNS-Erkr.: Entwicklungsstörungen, Tumoren, Enzephalitiden, Trauma, zerebrovaskuläre
Prozesse, metabolische Erkr., perinatale EpilepsieSchäden, Intoxikationen.
Klinik Die klinischen Symptome sind von der Anfallsart abhängig:
▪
Einfache fokale Anfälle:
–
Bewusstsein meist erhalten
–
Einseitige Muskelzuckungen oder Sinneswahrnehmungen
▪
Komplexe fokale Anfälle: Bewusstseinsstörung mit unterschiedlichen Anfallsformen (mimische,
verbale, motorische Automatismen)
▪
Generalisierte Anfälle: häufigste Anfallsform
–
Tonisch-klonische Krämpfe. Im tonischen Stadium kommt es zu einer Versteifung sämtlicher
Gliedmaßen, der Gesichts-, Hals- und Rumpfmuskulatur, die etwa 10–30 s lang anhält.
Im darauffolgenden klonischen Stadium treten generalisierte symmetrische Zuckungen
auf, die v. a. an Kopf, Armen und Beinen sichtbar sind und etwa 40–60 s andauern.
–
Zu Beginn des Anfalls zeigt sich ein Atemstillstand, später eine verlangsamte und
erschwerte Atmung.
–
Schaumiger Speichel, bei Zungenbiss blutig verfärbt
–
Gesichtsfarbe anfangs blass, später leicht bis stark bläulich verfärbt.
–
Die tiefe Bewusstlosigkeit während des Anfalls geht gleitend in einen tiefen Nachschlaf
über, der sehr kurz sein oder 4 h andauern kann. Pat., bei denen der Nachschlaf nur
sehr kurz ist oder ganz fehlt, zeigen stattdessen häufig einen Verwirrtheitszustand
mit einer Bewegungsunruhe, Verkennen von Ort und Personen.
Diagnostik Meist ist das Anfallsleiden bereits aus der Anamnese bekannt und daher
einfach zu diagnostizieren. Bei einem erstmaligen Anfallsgeschehen während der Schwangerschaft
(v. a. im 2. Trimenon) ist ein ausführlicher internistischer und klinisch-neurologischer
Befund zu erstellen.
▪
EEG: Ruhe-Wach-EEG, ggf. Schlaf-EEG
▪
Blutentnahme zur Routine-Labordiagnostik: BZ, BB, Diff.-BB, Elektrolyte, Leberenzyme,
Kreatinin, Schilddrüsenhormone, CK, CRP, Toxikologie-Screening, Drogen-Screening
▪
MRT-Diagnostik.
Therapie Siehe auch 4.1.5. Für die medikamentöse Epilepsiether. steht eine zunehmende
Zahl von Medikamenten zur Verfügung, die in die sog. klassischen und die neuen Medikamente
unterteilt werden. Die Dosisanpassung sollte primär anhand der individuellen Wirksamkeit
und klinischen Verträglichkeit, nicht anhand von Serumspiegeln erfolgen [Viale et
al. 2015].
Bei bekanntem Anfallsleiden
▪
Präkonzeptionelle Umstellung auf eine Monother.
▪
Einstellung mit der niedrigstmöglichen Dosierung, wobei durch mehrmalige Gaben hohe
Serumspiegel vermieden werden sollen.
▪
Dauerther. während der Schwangerschaft unverändert fortsetzen
▪
Anfallshäufungen während der Schwangerschaft: v. a. auf eine fehlerhafte Compliance
zurückzuführen. Zusätzlich kommt es während der Schwangerschaft zu Veränderungen der
Pharmakokinetik (hormonelle Induktion von Leberenzymen, erhöhte Proteinbindung) mit
einer Reduzierung des freien Medikamentenspiegels i. S.
▪
Bei fehlender Compliance Serumspiegel (freie Serumspiegel der Medikamente) in einmonatigen
Abständen kontrollieren.
▪
Tägliche Folsäuregabe (4–5 mg/d) bereits vor Konzeption und während des 1. Trimenons
kann das Risiko von Neuralrohrdefekten senken.
Klassische Antiepileptika:
▪
Barbiturate: Phenobarbital, Primidon
▪
Benzodiazepine: Diazepam, AntiepileptikaClonazepam. Werden nur noch selten eingesetzt
▪
Carbamazepin: Ist eine Epilepsie unter einer Monother. mit Carbamazepin stabil, kann
diese Medikation unter Nutzung der entsprechenden Möglichkeiten der Pränataldiagnostik
(AFP, Sonografie) fortgesetzt werden.
–
NW: verschiedene Publikationen beschreiben ähnliche Fehlbildungen, wie sie unter Phenytoin
beobachtet wurden: kraniofaziale Dysmorphien, Mikrozephalie, Wachstumsretardierung,
Nagelhypoplasie. Das Risiko einer Spina bifida wird auf das ca. 10-Fache (1 %) des
Basisrisikos beziffert. Ein Zusammenhang der Fruchtschäden mit der Aktivität der fetalen
Epoxidhydrolase wird diskutiert.
–
Um Gerinnungsstörungen beim Neugeborenen zu vermeiden, ist auf die CarbamazepinVerabreichung
von Vitamin K1 an das Neugeborene zu achten.
–
Pat. mit Kinderwunsch unter Carbamazepinther. sollten bereits präkonzeptionell Folsäure
(4–5 mg/d) einnehmen, um das Risiko für Neuralrohrdefekte zu senken.
▪
Valproinsäure: gut plazentagängig. NW: Gehäuft beobachtet wurden Gesichtsdysmorphien
(kleine Nase, tief sitzende Ohren, kleiner Mund, vorspringende Stirn), Mikrozephalie,
Mikrognathie, somatische und psychomotorische Retardierungen, Extremitäten- und Herzanomalien.
Darüber hinaus zeichnet sich die Valproinsäure durch ein ca. 20-faches Risiko für
Neuralrohrdefekte (ca. 2 %) aus (meist lumbosakraler Neuralrohrdefekt, häufig in Kombination
mit einem Hydrozephalus). Eine ValproinsäureDosisabhängigkeit der Neuralrohrdefekte
ist anzunehmen. Neuere Untersuchungen deuten auf ein insgesamt höheres Fehlbildungsrisiko
unter Valproinsäure gegenüber anderen Antikonvulsiva hin.
Bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft interdisziplinär mit dem betreuenden Neurologen
die Möglichkeit einer Umstellung auf ein erprobtes Alternativmedikament wie Carbamazepin,
Phenobarbital oder Primidon diskutieren.
Neuere Medikamente
▪
Lamotrigin: Dosierung 2,5–5 mg/d. NW: Bislang gibt es keine eindeutigen Hinweise für
erhöhtes Fehlbildungsrisiko. Jedoch erhöhte Fehlbildungsrate bei Kombination mit Valproinsäure.
Eine Umstellung der Medikation ist nicht erforderlich.
▪
Ethosuximid: wirkt nur bei Petit-Mal-Anfällen. NW: Im Tierversuch zeigten sich teratogene
Effekte (Skelett, ZNS, Augen, Extremitäten). Da beim Menschen relativ wenige Erfahrungen
Lamotriginvorliegen, ist auch hier entsprechende Vorsicht geboten.
▪
Für Gabapentin, Topiramat, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Tiagabin und Topiramat reichen
die vorliegenden Daten für eine fundierte Bewertung zu den Risiken in der menschlichen
Schwangerschaft noch nicht aus.
▪
Für Ethosuximidnur noch selten einzusetzende Antiepileptika wie Vigabatrin, Felbamat,
Brom, Mesuximid, Azetazolamid sind keine ausreichenden Erfahrungen vorhanden → daher
nicht verwenden.
Status epilepticus
▪
Freihalten der Status epilepticus, NotfalltherapieAtemwege
▪
Schutz vor Verletzungen. Cave: Kontraindiziert sind das Einbringen eines Gummikeils
in die Mundhöhle und das Fixieren der Extremitäten (Luxationsgefahr).
▪
Antikonvulsive Ther.:
–
Diazepam 10–20 mg i. v. oder rektal
–
Alternativ: Clonazepam 2–6 mg i. v. oder Phenytoin 250–500 mg i. v.
–
Bei Fortbestehen des Status wird als 3. Schritt Phenobarbital (Lepinal®, Luminal®)
mit einer Initialdosis von 400 mg i. v. appliziert. Es folgen fraktionierte i. v.
Gaben von 200–400 mg bis zu einer Höchstdosis von 2.000 mg (> 1.000 mg jedoch in Beatmungsbereitschaft).
▪
Ist der Status mit den ersten 3 ther. Schritten nicht zu durchbrechen, ist eine Durchbrechung
des Anfalls mit einer Allgemeinnarkose möglich.
▪
Bei V. a. eine Hypoglykämie als Ursache initial 50 ml Glukose 50 % verabreichen.
Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft Sehr unterschiedlich:
▪
In 50 % kommt es zu keiner Frequenzzunahme der Anfälle.
▪
In 5–10 % ist eine Abnahme der Anfallsfrequenz zu verzeichnen.
▪
In 40–50 % kommt es zu einer Zunahme der Anfälle.
–
Ursache: Geringere Compliance (Sorge wegen Fehlbildungsrisiko der Medikamente) sowie
eine Abnahme der freien Serumspiegel der Medikamente (geänderte Proteinbindung, hormonelle
Induktion von Leberenzymen)
–
Je größer die Anfallsfrequenz vor der Schwangerschaft, umso eher ist auch mit einer
Zunahme der Anfälle zu rechnen.
Schwangerschaftsverlauf
Wegen des auf etwa 5–15 % erhöhten Fehlbildungsrisikos und der doppelt so hohen Neugeborenensterblichkeit
ist die Schwangerschaft einer Epilepsiepatientin als Risikoschwangerschaft anzusehen.
▪
Fehlbildungsrisiko: Kinder epilepsiebetroffener Mütter haben ein 3-fach höheres Fehlbildungsrisiko.
Das Risiko ist nur geringfügig höher, wenn die Mutter unter antiepileptischer Monother.
eingestellt ist und nimmt bei Kombinationsther. zu.
▪
Sorgfältige Pränataldiagnostik: v. a. unter Valproinsäure und Carbamazepin AFP-Bestimmungen
(16. SSW) aus dem maternalen Serum (Neuralrohrdefekte) sowie eine ausführliche Sonografiefehlbildungsdiagnostik
anbieten. Da die Rate von Kindern mit Wachstumsrestriktion erhöht ist, sollte eine
Dopplersonografie mit fetaler Wachstumskontrolle erfolgen.
▪
Während des epileptischen Anfalls kann es zu einer ausgeprägten fetalen Bradykardie
kommen Fälle von fetalen Hirnblutungen sowie intrauterine Fruchttode sind nach mehrmaligen
Anfällen beschrieben.
▪
Die Gabe von 20 mg Vitamin K in den letzten Wochen vor der Geburt ist zur Blutungsprophylaxe
zu empfehlen [Cornelissen et al. 1993]. Alternativ die parenterale Gabe von 10 mg
Vitamin K i. v. unter der Geburt empfehlen.
Geburtshilfliches Vorgehen
▪
Geburt:
–
Ther. unbedingt beibehalten, da durch Schlafentzug ein höheres Anfallsrisiko besteht
–
Ind. zur Sectio oder vaginal-op. Entbindung ist von geburtshilflichen Ind. abhängig
zu machen
–
Ausreichende Schmerzbehandlung (großzügig PDA)
▪
Neugeborenes: Ähnlich wie die Barbiturate greift Phenytoin in den Vitamin-K-Metabolismus
ein, sodass postpartal eine orale Substitution beim Neugeborenen durchzuführen ist.
▪
NW einer maternalen Dauerther. mit Benzodiazepinen beim Neugeborenen: Atemdepression,
dann Entzugssymptome (Unruhe, Tremor, Muskelhypertonus, Erbrechen, Durchfall, Krampfanfälle)
bzw. „Floppy-infant-Sy.“ (Lethargie, Muskelhypotonie, Trinkschwäche, Hypothermie).
Stillen Die Antiepileptika gehen nur in einer sehr niedrigen Konzentration in die
Muttermilch, sodass zum Stillen geraten werden kann.
17.12.8
Sheehan-Syndrom
Definition Postpartale Nekrose der Hypophyse mit Störung der Hypophysenvorderlappenfunktion.
Ätiologie
▪
Ursächlich ist eine Ischämie der Hypophyse im Rahmen eines hypovolämischen postpartalen
Schockzustands für deren Nekrose verantwortlich.
▪
Häufige Ursache für eine Hypophysenvorderlappeninsuff. sind auch Schädel-Hirn-Traumen.
Pathophysiologie Ausfall von ACTH (adrenokortikotropes Hormon), TSH (thyreoidstimulierendes
Hormon), PRL (Sheehan-SyndroProlaktin), LH/FSH (luteinisierendes Hormon, follikelstimulierendes
Hormon), GH (Wachstumshormon).
Klinik Die Symptome sind vom Ausmaß der Hypophysennekrose abhängig:
▪
Akute Form: Hypotension, Tachykardie, rasche Brustinvolution, fehlender Milcheinschuss,
Hypoglykämie, Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen
▪
Chronische Form: Müdigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Depression, Amenorrhö, Stillunvermögen,
trockene Haut, Kälteintoleranz, Abnahme der Körperbehaarung, Libidoverlust.
Diagnostik Bei prolongiertem Verlauf eines hypovolämischen Schockzustands trotz Beherrschung
der Blutungsursache besteht der V. a. ein Sheehan-Sy. → weiterführende Diagnostik.
Normwerte hypophysärer Hormone:
▪
ACTH-Ausfall: freies Kortisol (25–120 μg/24 h), ACTH-Spiegel (20–100 ng/ml).
▪
TSH-Ausfall: basales TSH (0,25–4,0 μU/ml), T4 (5,0–11,5 μg/ml), T3 (0,8–2,0 ng/ml)
▪
PRL-TSH-AusfallAusfall: Prolaktinspiegel (3,0–25 μg/l)
▪
ACTH-AusfallLH/FSH: basales LH (> 2 U/l), FSH (> 3 PRL-AusfallmIU/ml), Estriolspiegel
(> 30 ng/l)
▪
GH: Wachstumshormonspiegel (0,06–6 μg/l).
Therapie
▪
Ausreichende Flüssigkeitszufuhr.
▪
Glukokortikoide: 100 mg Hydrokortison i. v. als Bolus, anschließend 100 mg alle 8
h für den 1. Tag. Weitere Ther. symptomabhängig
▪
Schilddrüsenhormon-Estriolsubstitution in Abhängigkeit von den Laborwerten.
Prognose Nach ausreichender Substitution sind bei einer weiteren Schwangerschaft keine
Probleme für Mutter und Kind zu erwarten.
17.12.9
Zerebrale Tumoren
Epidemiologie Hirntumoren bei Schwangeren sind sehr selten. Sie kommen nicht häufiger
vor als außerhalb der Schwangerschaft [Ravindra et al. 2015]
Die Schwangerschaft hat bei Meningeomen, Angiomen sowie Neurofibromen einen wachstumsfördernden
Einfluss auf den Tumor.
Klinik Die klinischen Symptome sind von der Lokalisation und der Art des Tumors abhängig.
Die Symptome (Müdigkeit, Brechreiz, psychische Veränderungen) werden meist als schwangerschaftstypische
Symptome verkannt.
Vor allem Kopfschmerzen bei leerer Migräneanamnese sollten eine weitere Abklärung
veranlassen.
Diagnostik Das MRT ist sowohl für die Diagnose als auch für die Verlaufsbeobachtung
während der Schwangerschaft die wesentliche Untersuchungsmethode.
Therapie Individuell von der Genese des Tumors, der Gestationszeit, den Symptomen
und der Progredienz des Tumors abhängig.
Glioblastom Häufigster primärer ZNS-Tumor während der Schwangerschaft (50 %). Das
Management ist vom Differenzierungsgrad des Tumors abhängig:
▪
Bei schlecht differenzierten HirntumorenTumoren ist eine OP auch während der Schwangerschaft
indiziert.
▪
Bei gut differenzierten Tumoren kann der Geburtstermin abgewartet werden.
Prolaktinom: Prolaktin produzierendes Hypophysenvorderlappenadenom
▪
Glioblastom
Mikroadenom: Durchmesser < 10 mm
–
Risiko eines exzessiven Tumorwachstums während der Schwangerschaft ist gering, auch
der Schwangerschaftsverlauf wird nicht negativ beeinflusst.
–
Bei Eintritt der Schwangerschaft umgehend prolaktinhemmende Medikamente absetzen
–
Kontrolle der Prolaktinwerte alle 6–8 Wo., dabei Anstieg der Serumprolaktinwerte Prolaktinomvon
der Frühschwangerschaft (oberer Normwert: 25 ng/ml) bis zum Ende der Schwangerschaft
(oberer Normwert: 180 ng/ml) berücksichtigen
–
Weiterführende Diagnostik (MRT) bei Symptomen wie Sehstörungen oder Kopfschmerzen,
Übelkeit, Erbrechen
–
Postpartal Kontrolle des Tumors im MRT
▪
Makroadenom: Durchmesser > 10 mm
–
Ther. (mikrochirurgische Entfernung, medikamentöse Ther. mit Prolaktinhemmern) präkonzeptionell
–
Kommt es zu einer Schwangerschaft, so ist eine medikamentöse Ther. mit Dopaminagonisten
(z. B. Bromocriptin 1–2 × 2,5 mg/d) auch während der Schwangerschaft erforderlich
und meist auch ausreichend.
–
Dopaminagonisten sind plazentagängig. Ein teratogenes Risiko ist bislang nicht bekannt.
–
Bei Tumorprogredienz ist auch während der Schwangerschaft eine mikrochirurgische Tumorentfernung
indiziert.
Meningeom: Die Schwangerschaft hat einen wachstumsfördernden Effekt, der zu explosionsartiger
Zunahme des Tumors führen kann. Eine engmaschige Überwachung während der Schwangerschaft
ist daher erforderlich. Postpartal kann es durch die hormonelle Umstellung wieder
zu einer Verkleinerung des Tumors kommen, was zu einer Verbesserung der Symptome und
einer besseren Therapiemöglichkeit führt.
17.12.10
Migräne
Definition Anfallsartig auftretender, Meningeomperiodisch wiederkehrender, überwiegend
einseitiger Kopfschmerz, der oft mit Übelkeit und Erbrechen einhergeht.
Epidemiologie
▪
12–14 % aller Frauen leiden unter einer Migräne. Die höchste Inzidenz der Migräneattacken
tritt zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr auf.
▪
Verbesserung der Symptomatik während der Schwangerschaft (bei 50–80 %). Selten erstmaliges
Auftreten während der Schwangerschaft oder im Wochenbett.
Migräne
Ätiologie Unklar.
▪
Genetische Disposition.
▪
Gestörtes Gleichgewicht von Neurotransmittern (Serotonin).
Klinik
▪
Heftige, attackenweise, häufig einseitig pulsierend-pochende Kopfschmerzen
▪
Bei ⅓ der Pat. bestehen holokranielle Kopfschmerzen
▪
Begleitsymptome: Appetitlosigkeit (fast immer), Übelkeit (80 %), Erbrechen (40–50
%), Lichtscheu (60 %) und Lärmempfindlichkeit (50 %)
▪
Dauer der Attacken 4–72 h
▪
Migräneaura (Migraine accompagnée) mit neurologischen Reiz- und Ausfallserscheinungen
(Lichtblitze, Gesichtsfelddefekte, Paresen, Schwindel, Sprachstörungen).
Diagnostik Die Diagnose einer Migräne wird rein klinisch aufgrund der anamnestischen
Angaben der Pat. gestellt.
▪
Neurologische und internistische Untersuchung nur bei Erstmanifestation oder bei Zweifel
an der Diagnose
▪
Bildgebende Verfahren: Weiterführende Untersuchungen (CT, MRT) sind in Migraine accompagnéeder
Schwangerschaft nur bei ausgeprägten Symptomen indiziert.
Differenzialdiagnosen
▪
Kopfschmerz vom Spannungstyp: vom Nacken ausstrahlend, geringe vegetative Begleitsymptome
▪
Präeklampsie: Hypertonie
▪
Sinusvenenthrombose: schleichender Beginn, neurologisch-psychiatrische Begleitsymptome
▪
Vaskulitis: CRP-Erhöhung, entzündliche Begleitreaktionen
▪
Blutung: starke Kopfschmerzen mit neurologischen Begleitsymptomen.
Therapie
▪
Beratung: möglichst restriktive medikamentöse Ther.
▪
Verhaltensther.: Biofeedback, Muskelrelaxation, Sport
▪
Analgetika: Paracetamol 1.000 mg zur Notfallprophylaxe; max. 2.000 mg/d
▪
ASS, Diclofenac, Ibuprofen (2. Wahl; keine Dauermedikation im 3. Trimenon)
▪
Triptane: mit Sumatriptan bislang meiste Erfahrung. Unter strenger Indikationsstellung
vertretbar (oral bis 100 mg; nasal bis 20 mg; rektal bis 25 mg, subkutan bis 6 mg)
▪
Bei komplizierten Migräneattacken Metoprolol (50–200 mg/d) als Prophylaxe.
17.13
Psychiatrische Erkrankungen in der Schwangerschaft
Ralph Kästner
Wochenbettdepression 26.2.
Psychiatrische SumatriptanErkr. in der Schwangerschaft haben eine hohe Relevanz, da
sie eine hohe Prävalenz haben, die in starkem Kontrast zur geringen Rate an diagnostizierten
und therapierten Pat. steht, und weil die Erkr. Auswirkungen auf die Beziehung zum
Kind hat und damit bedeutsam für die seelische und körperliche Gesundheit der nachfolgenden
Generation ist. Dieser Aspekt wird oft unterschätzt und allenfalls nachrangig hinter
möglichen teratogenen Effekten der Psychopharmaka behandelt.
Schwangerschaft und Geburt eines Kindes sind eines der bedeutsamsten Ereignisse im
Leben einer Frau – und eines werdenden Vaters – und mitPsychiatrische Erkrankungen
erheblichen hormonellen, körperlichen, aber v. a. auch seelischen Veränderungen verbunden.
Probleme mit den Ich-Grenzen, ungelöste Konflikte in der Paarbeziehung, im Beruf,
zu den Eltern wie auch Störungen im Körpererleben und im Selbstwertbereich können
die Schwangerschaft erheblich belasten, sodass sich die Bildung eines psychischen
Symptoms als suboptimale Lösung verstehen lässt. Frauen mit Schwierigkeiten beim Geben
und Nehmen können das Kind als oralen Konkurrenten erleben, der sich wie ein Endoparasit
in ihren Organismus eingenistet hat. Frauen mit einem verletzlichen Ich-Gefühl können
sich symbiotisch mit ihrem Kind erleben und fürchten dann v. a. die Geburt, die sie
als Verlust eines Teils von sich selbst erleben.
Folgt man der Mehrzahl der Autoren, so stellt die Schwangerschaft weder einen Schutz
noch eine besondere Gefährdung vor einer psychischen Erkr. dar, die postpartale Phase
scheint dagegen durch eine erhöhte Vulnerabilität für Rezidive oder auch Erstmanifestation
einer psychischen Erkr. gekennzeichnet zu sein (26.2). Hormonelle Faktoren, soziodemografische
Faktoren und v. a. die neuen Aufgaben der Elternschaft werden in diesem multifaktoriellen
Gebiet als Ursachen angesehen.
Psychiatrische Erkr. erleiden in unserer Gesellschaft das Schicksal der Tabuisierung,
larvierte Formen werden sowohl von den Betroffenen wie auch von den Behandlern gerne
übersehen, fehlgedeutet und dadurch nicht kunstgerecht therapiert.
Definition Die psychiatrischen Erkr. lassen sich in 4 Gruppen einteilen:
▪
Körperlich begründbare psychische Störungen
▪
Endogene Psychosen
▪
Psychogene Störungen
▪
Persönlichkeitsstörungen und Intelligenzminderungen.
Der ICD-10 beinhaltet unter den Kategorien F 00 bis F 90 die derzeit gültige Klassifikation.
Hier wird eher nach Syndromen klassifiziert und die Ätiologie nachrangig betrachtet.
Epidemiologie
▪
Die Lebenszeitprävalenz affektiver Störungen, zu denen die Depression zählt, ist bei
Frauen etwa doppelt so häufig wie bei Männern und beträgt ca. 25 %.
▪
Unter den Schwangeren erfüllen 10–16 % die Kriterien einer behandlungsbedürftigen
Depression [Lee et al. 2004; Llewellyn, Stowe und Nemeroff 1997], wobei im 2. Trimenon
am ehesten eine psychische Stabilisierung zu beobachten ist.
▪
Psychotische Erkr. und Schizophrenien sind seltener (Prävalenz ca. 0,2 %) [Oates 2003].
▪
Bei Frauen mit Schizophrenie treten seltener Schwangerschaften ein, als dass Frauen
in der Schwangerschaft die Erstmanifestation einer Psychose erleben oder aber einen
Schub einer sonstigen, z. B. paranoiden, Psychose durchmachen. Dies hängt neben möglichen
physiologischen Faktoren [Howard et al. 2002] am ehesten mit der familiären Situation
der betroffenen Frauen zusammen, da chron. Schizophrene seltener in festen Beziehungen
leben und oft durch Betreuer eine effektive Antikonzeption erwirkt wird.
▪
Bei Psychosen im Wochenbett (Prävalenz ca. 0,1 %) gibt es nicht selten bereits vor
der Schwangerschaft oder in deren Verlauf Hinweise auf psychotisches Erleben.
Diagnostik Das Erkennen und die kunstgerechte Behandlung einer psychiatrisch erkrankten
Schwangeren dient in allererster Linie der Erhaltung ihrer eigenen Gesundheit, da
psychiatrische Erkr. mit einem Anteil von ca. 30 % die Hauptursache der perinatalen
maternalen Mortalität, i. d. R. durch Suizid, darstellen [National Institute for Clinical
Excellence 2001].
Medikamentöse Therapie Vor allem in der Frühschwangerschaft ist die Einnahme von Medikamenten
nur bei strenger Ind. und nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken statthaft.
Insofern sind bei psychischen Erkr. zunächst nicht medikamentöse Strategien, i. d.
R. psychother. Hilfen, angezeigt. Je schwerer und länger andauernd die Erkr. ist,
umso riskanter ist der Verzicht bzw. das Absetzen der Psychopharmaka im Hinblick auf
die Gefährdung der Schwangeren, ihres Ungeborenen und ihrer Umgebung.
▪
Die meisten der Antidepressiva, Tranquilizer und auch der Neuroleptika beinhalten
kein wesentliches teratogenes Potenzial, sind also nicht kontraindiziert.
▪
Wenn eine medikamentöse Ther. erforderlich ist, sollte den bewährten Medikamenten
der Vorzug gegenüber neu auf dem Markt befindlichen Medikamenten gegeben werden.
Betreuung nach der Entbindung Bereits frühzeitig bedenken, ob und mit welchen Hilfen
die Schwangere nach der Geburt ihr Kind auch emotional versorgen kann. Ein interdisziplinäres
Hilfsnetz, dem der Psychiater, der Pädiater, die Nachsorgehebamme, die Kinderschwester
und ggf. weitere Personen angehören, muss gebildet werden.
Es gilt als gesichert, dass die Langzeitentwicklung der Kinder durch emotionale Störungen
der Mütter (und Väter) während und nach der Schwangerschaft ungünstig beeinflusst
wird [Rahman et al. 2004; Murray et al. 1990], auch mehren sich die Studien, die aversive
Folgen einer emotionalen Störung der Mutter auf den Schwangerschaftsverlauf, die Geburtsparameter
sowie das perinatale Outcome der Kinder beschreiben [Chung et al. 2001; Jablensky
et al. 2005; Lou, Hansen und Nordenfolt 1994; Teixera, Fisk und Glover 1999].
Essstörungen
Beinhalten Essstörungenneben psychogenen Anteilen oft auch depressive oder psychotische.
Eine essgestörte Schwangere muss nicht nur die schwierigen Themen der Ernährung und,
v. a. bei Anorexie, der Körperveränderung in der Schwangerschaft bewältigen, sondern
auch die der Essstörung zugrunde liegenden Konflikte bearbeiten.
Die Erkr. birgt ein hohes Risiko für einen komplizierten Schwangerschaftsverlauf [Franko
et al. 2001] und bedarf i. d. R. eines psychosomatischen Behandlungskonzepts.
Geburtshilfliches Vorgehen Selbstverständlich müssen depressive und psychotische Schwangere
mit großer Sorgfalt auch geburtshilflich betreut werden, i. d. R. können und sollen
sie normal vaginal entbinden, um nicht ein neuerliches Trauma mit Versagensgefühl
zu erleiden. Die psychische Erkr. mit dem Messer, sprich einer elektiven Sectio, zu
behandeln versuchen ist falsch.
17.13.1
Depression
Epidemiologie
▪
Ca. 70 % aller Schwangeren berichten über Gemütsschwankungen.
▪
Ca. 10–16 % erfüllen die Kriterien einer klinisch manifesten Depression.
Klassifikation
▪
Endogene Depression als Ausdruck einer affektiven Psychose (ICD: F 25; F31–33), oft
mit zyklothymem Verlauf, d. h. abwechselnd manisches und depressives Erscheinungsbild
▪
Depressionen als Symptomatik bei Persönlichkeitsstörung (ICD: F 60)
▪
Depression:in der SchwangerschaftReaktive Depressionen (ICD: F 32 und F43) im Anschluss
an belastende Situationen.
Klinik Die Depression ist sowohl durch psychische als auch durch vegetative Symptome
gekennzeichnet (Tab. 17.37
). Zum klinischen Bild der Depression gehören oft Ängste und Panikattacken. Vor allem
Ängste sind in der Schwangerschaft weit verbreitet – und nicht selten begründet –,
sodass es schwierig sein kann, sie als Ausdruck der Depression zu deuten. Auch Zwangssymptome
können vorkommen.
Tab. 17.37
Symptome einer Depression
Psychische Symptome
Vegetative Symptome
•
Niedergeschlagene Stimmung
•
Denkhemmung
•
Ängste
•
Antriebsstörung
•
Innere Unruhe
•
Körperliche Missempfindung
•
Zwangsgedanken
•
Schlafstörung
•
Appetitlosigkeit
•
Obstipation
•
Gewichtsabnahme (seltener -zunahme)
•
Libidoverlust
•
Abnahme des Muskeltonus
•
Amenorrhö
Diagnostik In erster Linie ist die psychiatrische Untersuchung geeignet, in der sowohl
die körperlichen als auch die psychischen Symptome erfragt werden.
▪
Tests: Verschiedene psychodiagnostische Tests, z. B. die Beck-Depression-Scale (BDI)
oder im Zusammenhang mit der Schwangerschaft die Edinburgh-Depression-Scale (EPDS),
können sowohl zum Screening als auch zur Verlaufskontrolle angewandt werden.
▪
Fremdanamnese zur Einschätzung der sozialen Unterstützung ist wichtig. Mit dem sog.
dritten Ohr müssen v. a. larvierte, abgewehrte oder verschobene Formen der Depression,
die sich typischerweise in körperlichen Beschwerden ausdrücken, erkannt werden.
▪
Selbstverständlich ist eine gründliche organische Untersuchung, um die seltenen, mit
psychischer Symptomatik einhergehenden körperlichen Erkr. nicht fälschlicherweise
als psychogen fehlzubehandeln. Dieser Fehler ist jedoch weitaus seltener, als umgekehrt
psychische Erkr. nur somatisch abzuklären und zu behandeln.
Therapie Zunächst psychother. Hilfen, z. B. stützende Gespräche, Verhaltensther. oder
Kriseninterventionen ausschöpfen, evtl. mit physiotherapeutischen und phytopharmakologischen
Maßnahmen kombiniert. Ziel ist nicht, schwere Konflikte in der frühen Entwicklung
primär aufdeckend zu bearbeiten, dennoch bliebe die Psychother. ohne tiefenpsychologische
Elemente zu oberflächlich.
Bei schweren Symptomen, v. a. bei suizidalen Gedanken oder Handlungen, müssen Antidepressiva
eingesetzt werden. Heute sind Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (z. B. Sertralin, Citalopram,
Paroxetin) wegen guter Verträglichkeit und Sicherheit in der Schwangerschaft Mittel
der 1. Wahl. Trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Doxepin) haben wegen
verlässlicher Wirkung und der langjährigen Erfahrung ihren Stellenwert. Je nach Symptomatik
können zusätzlich auch niedrig dosierte Neuroleptika (z. B. Haloperidol) eingesetzt
werden. Cave: Benzodiazepine (z. B. Diazepam) wegen ihres hohen Abhängigkeitspotenzials
und der raschen Toleranzentwicklung nur in Notfällen bei Panikattacken und schweren
Angstzuständen anwenden.
Auswahl und Dosierung der Medikamente erfolgt durch den Psychiater.
Prophylaxe
▪
Zur Prophylaxe v. a. bei Zyklothymien werden Lithium (Hypnorex®, Quilonum retard®)
und Carbamazepin verwendet, beide Substanzen bergen ein gewisses, früher sicher überschätztes
teratogenes Potenzial [Cohen et al. 1994].
▪
Bei Einnahme dieser Medikamente ein sorgfältiges Organscreening durchführen, eine
Ind. zum Schwangerschaftsabbruch ist i. d. R. nicht gegeben.
▪
Ein verlässliches und aktuelles Standardwerk über mögliche teratogene Eigenschaften
der Psychopharmaka liegt von Schaefer et al., 2012, Schaefer et al., 2012 vor.
17.13.2
Psychotische Erkrankungen
Klassifikation Von schizophrenen Psychosen (F20) sind schizoaffektive Psychosen (F25),
häufig mit zyklothymer Verlaufsform, und anhaltende wahnhafte Störungen (F22) abzugrenzen.
Letztere verlaufen schubweise und in den symptomfreien Intervallen wirken die Betroffenen
völlig gesund.
Klinik
▪
Durch den sog. Realitätsverlust gekennzeichnet
▪
Halluzinationen und Wahnvorstellungen sind obligate Symptome. Die Wahninhalte kreisen
oft um das Ungeborene, z. B. einen PsychoseMessias zu gebären, oder aber archaischer
geprägt, wie z. B. die Idee, einen Drachen oder ein Einhorn zu gebären.
▪
Die Pat. sind chaotisch, oft agitiert oder auch stuporös, haben ein inkohärentes Erleben
und gefährden sich oder die Umgebung und auch ihr Kind, z. B. im erweiterten Suizid.
▪
Die psychotische Schwangere ist nicht in der Lage, sich an Gesundheitsvorschriften
zu halten, ein stabiles Arbeitsbündnis ist oft nicht möglich.
Diagnostik Wenn die Psychose nicht vorbesteht, sondern es sich um eine Erstmanifestation
in Schwangerschaft oder Wochenbett handelt, fällt zunächst der Realitätsverlust auf.
Die Pat. sagt plötzlich Dinge, die von der Umgebung nicht mehr geteilt werden können,
z. B. Wahrnehmung von Stimmen oder optischen Reizen. Ängste können sich grotesk und
nicht mehr nachvollziehbar verändern. Die Entwicklung hin zu schweren psychotischen
Symptomen kann sehr rasch, mitunter innerhalb weniger Stunden bis weniger Tage gehen.
Möglichst bald, notfalls auch gegen die Einsicht der Pat., einen Psychiater hinzuziehen,
der die Diagnose klinisch stellt. Eine sorgfältige körperliche Untersuchung zum Ausschluss
von Stoffwechselentgleisung oder seltenen organischen Psychosyndromen muss erfolgen.
Therapie Die Ther. einer akuten Psychose verfolgt zunächst 2 Ziele:
▪
Sicherung der Pat. vor Selbst- und Fremdgefährdung, d. h. i. d. R. stationäre Aufnahme
in eine geschlossene psychiatrische Abteilung. In schweren Fällen ist eine Zwangseinweisung
auch gegen den Willen der Pat., z. B. mit Hilfe der Polizei, notwendig.
▪
Linderung der psychotischen, oft sehr quälenden Symptome, i. d. R. durch Neuroleptika
(z. B. Haloperidol, ggf. auch atypische Neuroleptika wie Olanazepin). Evtl. muss,
bei fehlender Bereitschaft zur Medikamenteneinnahme die Medikation gegen den Willen
der Pat. injiziert werden, z. B. i. m.
Verlauf und Prognose
▪
Akute Psychose: Bei akuten, schubweise verlaufenden Psychosen ist relativ rasch nach
Beginn der medikamentösen Ther. mit einer Linderung der psychotischen Symptomatik
zu rechnen. Die stationäre Behandlung erstreckt sich über ca. 4 Wo., wobei im Anschluss
die Medikamente weitergegeben werden. Je nach Psychoseform können aber auch wesentlich
längere stationäre Aufenthalte notwendig sein.
▪
Chronische Psychose: I. d. R. ist eine selbstständige Lebensführung kaum möglich,
sodass ein interdisziplinäres Therapiekonzept mit medikamentöser, ergo- und soziother.
Komponente in einer speziellen Unterbringung erforderlich ist. Nur selten ist dann
der Verbleib der Kinder bei ihrer Mutter möglich und sinnvoll.
Schwangerenbetreuung Der Schwangerenbetreuung bei psychotischen Pat. liegt ein unübliches
Setting zugrunde, da die Pat. nur bedingt einsichts- und einwilligungsfähig ist. Darüber
hinaus ist sie oft sehr sensibel für ungeklärte Befunde, sodass möglichst nur einfache
und klare Untersuchungen durchgeführt werden können und auch die Wortwahl einfach
und klar sein sollte. Viele differenzierte Abwägungen über Vor- und Nachteile und
potenzielle Risiken können allenfalls mit Angehörigen oder Betreuern besprochen werden.
Gerade weil psychotische Schwangere oft nur undifferenziert über ihr eigenes Befinden
berichten, muss die geburtshilfliche Betreuung sehr gewissenhaft erfolgen [Howard
et al. 2003].
17.13.3
Notfälle
Angstzustände und Panikattacken
Ätiologie Sie kommen bei akuten Angstneurosen, bei schweren agitierten Depressionen
und bei Schizophrenie sowie bei Drogenkonsum und bei Panikkrankheit vor.
Therapie
▪
Sofortmaßnahme: 5–10 mg Diazepam p. o. oder i. m. oder Lorazepam 1–2 mg p. o. Bei
bekannter Schizophrenie auch Haloperidol 5–10 mg p. o. oder i. m.
▪
In schweren Fällen, die mit Suizidalität, Selbst- oder Fremdgefährdung Angstzustandverbunden
sind, muss die stationäre Einweisung in Panikattackeeine psychiatrische Klinik erfolgen.
Akute Suizidalität und schweres depressives Syndrom
Ätiologie Kommt bei endogener Depression, Schizophrenie, abnormer Erlebnisreaktion
sowie bei neurotischer Dekompensation vor.
Therapie
!
Stationäre Einweisung, evtl. mit Unterbringungsbeschluss
▪
Sofortmaßnahme: 10–20 mg Diazepam p. o. oder i. m., alternativ Lorazepam 1–4 mg p.
o. oder i. m.
Erregungszustände und Aggressivität
Ätiologie Kommt beiSuizidalität, akute Abhängigkeit und im Entzug, bei Manien, Schizophrenien,
Hirnerkr., Allgemeinerkr., Epilepsie sowie postreaktiv beim Durchgangssyndrom vor.
Therapie
▪
Bei ausgeprägten Erregungszuständen und bei Psychosen stationäre Einweisung
▪
Sofortmaßnahme: Diazepam 10 mg p. o. oder i. m. bzw. Lorazepam 2 mg p. o. oder i.
m. oder Haloperidol 5–10 mg p. o. oder i. m.
!
ErregungszustandFalls mechanische Einwirkungen (Schläge/Sturz) aufAggressivität den
Bauch eingewirkt haben könnten, Sonografie und CTG zum Ausschluss einer Plazentalösung
(16.6).
Delirante Zustände
Ätiologie Kommen im Entzug (Alkohol), seltener bei Antidepressiva vor.
Therapie
▪
Kreislaufüberwachung
▪
Diazepam 5–10 mg p. o. oder i. m., Lorazepam 1–4 mg p. o. oder i. m., ggf. Haloperidol
5–10 mg p. o. oder i. m.
▪
Stationäre Einweisung und Intensivüberwachung.
Halluzination und Wahn
Ätiologie Kommen bei DelirSchizophrenien, Zyklothymien, hirnorganischen Erkr. und
im Delir vor.
Therapie
▪
Sofortmaßnahme:
–
Im Delir Diazepam 5–20 mg p. o. oder i. m.
–
Bei Psychose Haloperidol 5–10 mg i. m. oder i. v.
▪
Stationäre Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Bewusstseinsstörung
Ätiologie Kommt bei vielen Halluzinationenkörperlichen WahnErkr. (Diabetes mell. 17.4,
Herz-Kreislauf-Erkr. 17.6, Thrombophilie 17.20 u. v. a.), nach Traumen, bei Verwirrtheitszuständen,
im Delir und bei Dämmerzuständen vor.
Therapie
▪
Somnolenz und Koma sind quantitative Graduierungen, eine interdisziplinäre stationäre
Abklärung und Ther. ist rasch notwendig. Hier sollen möglichst keine Medikamente verabreicht
werden, um die Bewusstseinstörung nicht weiter zuBewusstseinsstörung verschleiern.
▪
Bei V. a. Hypoglykämie Glukose i. v.
▪
Baldmöglichste geburtshilfliche Kontrolle ist selbstverständlich.
Drogennotfälle
Drogenkonsum in der Schwangerschaft Kap. 3.
Bei Opiatabhängigkeit können sowohl akute Entzugserscheinungen als auch Überdosierungen
vorkommen.
Überdosierung
▪
Klinik: Atemdepression, Somnolenz bis Koma und Miosis
▪
Therapie: Reanimation, Naloxon (0,4 mg 1 : 10 in NaCl 0,9 % langsam i. v.), Intensivüberwachung
der Schwangeren ist erforderlich.
!
Suizidale Absicht?
Entzug
▪
Klinik: Schwangere ist unruhig, schwitzt, klagt über Drogen:NotfälleSchmerzen. Nicht
immer sieht man der Schwangeren an, dass sie opiatabhängig ist, bei Verdacht sofort
Art der Droge und letzte Einnahmezeit gezielt erfragen.
▪
Therapie der Wahl ist die Substitution mit Levomethadon (L-Polamidon®) oder Methadon.
Bei leichteren Fällen zunächst Gabe von Levomethadon 5–10 mg (1–2 ml) p. o. und Beobachtung
der Wirkung. Weitere Gabe bei fehlender Wirkung nach 15–30 Min. bzw. nach erneutem
Auftreten von Entzugssymptomen.
!
Rasche geburtshilfliche Kontrolle, weil oft seltene bis fehlende Vorsorgeuntersuchungen
häufig.
Alle o. g. Medikamente können ohne Bedenken in der Schwangerschaft verabreicht werden,
kurzfristige Auswirkungen auf das Kind können Sedierung (eingeschränktes CTG!) bzw.
bei unmittelbar nachfolgender Geburt auch Atemdepression oder Tonusverminderung (floppy
infant) sein, bei längerer Gabe können Zeichen eines neonatalen Entzugssyndroms auftreten,
sodass die Kinder in den ersten Tagen engmaschiger überwacht werden sollten.
17.13.4
Wochenbett
Wöchnerinnen mit psychiatrischen Erkr. immer sehr aufmerksam betreuen, da v. a. bei
bekannter Depression oder vorbestehender Psychose ein Rezidiv im Wochenbett droht
(26.2).
▪
Ob Stillen für die Wöchnerinnen eher eine heilsame Wirkung hat oder zu belastend ist,
muss im Einzelfall, auch je nach Medikation, entschieden werden (Kap. 4).
▪
Alle Psychopharmaka gehen in geringer Menge in die Muttermilch über, jedoch werden
auch beim voll gestillten Kind nur sehr geringe Wirkspiegel erreicht. Sie sind deshalb
auch nicht absolut kontraindiziert. Dem Wunsch der Wöchnerin, ihr Kind zu stillen,
kann unter sorgfältiger Beobachtung und in Absprache mit dem Psychiater und dem Pädiater
meist stattgegeben werden.
▪
Die Beobachtung der Neugeborenen ist wegen möglicher neonataler Entzugserscheinungen
erforderlich. Die interdisziplinäre Betreuung zwischen Psychiater, Pädiater und geburtshilflichem
Team ist unumgänglich.
▪
Wenn im Wochenbett eine Exazerbation der psychiatrischen Erkr. eintritt und eine stationäre
Behandlung erforderlich ist, soll – wenn möglich – eine Mutter-Kind-Einheit aufgesucht
werden. In Deutschland ist dieses international übliche Konzept [Brockington 1996]
nur an einigen psychiatrischen Abteilungen etabliert.
17.14
Orthopädische Erkrankungen
Franz Kainer
17.14.1
Beckenringlockerung
Definition
▪
Beckenringlockerung, Symphysenschaden: schmerzhafte Auflockerung des symphysären Bindegewebes
▪
Symphysenruptur: Ruptur des symphysären Bandapparates.
Epidemiologie Die Inzidenz einer ausgeprägten Symphysenlockerung wird zwischen 1 :
600 bis 1 : 3.000 angegeben [Becker, Woodley und Stringer 2010]. Es handelt sich postpartal
meist um eine Erweiterung des Symphysenspaltes aufgrund der hormonell bedingten Auflockerung
des BeckenringlockerungBindegewebes. Eine typische Fraktur tritt meist nur bei schwer
traumatischen Geburten oder außerhalb der Schwangerschaft auf.
Symphyse:Ruptur
Ätiologie Durch schwangerschaftsbedingte Bindegewebsveränderung kommt es zur Auflockerung
und physiologischen Erweiterung (um 3–4 mm) des Symphysenspaltes.
Durch die Geburt kann es zu einer zusätzlichen Traumatisierung der Bandstrukturen
kommen, die zur ausgeprägten Belastungsinsuff. im Beckenringbereich führt.
Klinik
▪
Belastungsabhängige Schmerzen im Bereich der Symphyse, die bei Druck auf die Symphyse
stark zunehmen
▪
Schmerzen bei Lagewechsel sowie beim Gehen
▪
Bei ausgeprägtem Befund typischer Watschelgang mit ausstrahlenden Schmerzen auch aus
dem Ileosakralbereich.
Diagnostik
▪
Die Diagnose ist aufgrund der Anamnese sowie der klinischen Untersuchung ausreichend
zuverlässig zu stellen.
▪
Eine radiologische Diagnostik (Beckenübersichtsröntgen) oder sonografische Diagnostik
kann zur Objektivierung des Befundes herangezogen werden, wobei Befunde ab 10 mm Symphysenabstand
als path. anzusehen sind.
Therapie
▪
Antiphlogistika (Paracetamol bis 2.000 mg/d)
▪
Physiother. mit entsprechender Lagerung und vorsichtiger Mobilisation
▪
Postpartal Beckenringstützgürtel zur Fixation des Beckenringes bei starken Beschwerden
▪
Eine op. Versorgung ist nur in Ausnahmefällen erforderlich.
Prognose
Nach 4–6 Wo. kommt es meist zu einer vollständigen Rückbildung der Beschwerdesymptomatik.
17.14.2
Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfall
Epidemiologie Bei 30 % der Schwangeren kommt es während der Schwangerschaft zum Auftreten
von Rückenbeschwerden. Bestehen bereits vor der Schwangerschaft Rückenprobleme, treten
Beschwerden bei bis zu 60 % der Frauen auf.
Ätiologie
–
Paracetamol:BeckenringlockerungMechanische Belastung
–
Hormonelle Faktoren (Relaxinerhöhung) spielen eine wichtige Rolle für die Instabilität
der Wirbelsäule während der RückenschmerzenSchwangerschaft.
–
Selten ist ein BandscheibenvorfallBandscheibenvorfall für die Beschwerden verantwortlich.
Klinik Das typische Beschwerdebild betrifft hauptsächlich Schmerzen im lumbosakralen
Bereich:
▪
Beschwerdezunahme beim Gehen und bei Belastung
▪
Ggf. Schmerzausstrahlung in die unteren Extremitäten
▪
Bei Bandscheibenvorfall oder -prolaps Schmerzverstärkung beim Husten und Niesen
▪
In Abhängigkeit von der Nervenschädigung Auftreten von Parästhesien oder motorischen
Funktionseinschränkungen der Beinmuskulatur.
Diagnostik
▪
Anamnese: Schmerzcharakter, Zeitpunkt des Schmerzes, Schmerzausstrahlung, Parästhesien,
orthopädische Erkr., Belastungsfaktoren durch Arbeitsbedingungen
▪
Klinische Untersuchung: Schmerzlokalisation, neurologische Ausfallserscheinungen,
Gangbild, Schonhaltung, Bewegungsumfang im Hüftgelenk
▪
Weiterführende Diagnostik: Nur extrem selten erforderlich. Bei neurologischen Ausfallserscheinungen,
bei Tumorverdacht oder starken, therapieresistenten Schmerzen ist ein MRT indiziert.
Therapie
▪
Vermeiden von belastender körperlicher Tätigkeit, Physiother., Lagerung, Massage,
gezielte Gymnastik, Schwimmen [Liddle und Pennick 2015]
▪
Medikamentöse Ther. (Paracetamol)
▪
Bei einem massiven Vorfall mit progredienter Parese oder mit Cauda-equina-Sy. ist
auch in der Schwangerschaft die OP-Ind. gegeben.
17.15
Chirurgische Erkrankungen
Ralf Schmitz und Walter Klockenbusch
17.15.1
Appendizitis
Epidemiologie Die Entzündung des Wurmfortsatzes (Appendix vermiformis) ist die häufigste
gastrointestinale Erkr. während der Schwangerschaft (1 : 1.000), die zu einer chirurgischen
Intervention führt.
Ätiologie
▪
Obstruktion des Lumens des Wurmfortsatzes durch Kotsteine, Abknickung oder Narbenstränge
und daraus folgende Entleerungsstörung
▪
Intestinale Infekte bei lokaler Resistenzminderung oder Hyperplasie des lymphatischen
Gewebes
▪
Selten: AppendizitisFremdkörper (z. B. Kirschkerne), Würmer (Askariden, Oxyuren) oder
hämatogene Infekte.
Pathophysiologie Path.-anatomisch steht am Anfang eine Leukozyteninfiltration in die
Krypten, die sich zunächst unter die Schleimhaut fortsetzt und innerhalb von 48 Stunden
die Serosa erreicht. Die Größenzunahme des Uterus und die dadurch bedingte Verdrängung
von Omentum majus, Dünndarm und Zökum sowie Uteruskontraktionen führen dazu, dass
der Entzündungsprozess nicht in klassischer Weise abgegrenzt wird. Die stärkere Vaskularisation
in der Schwangerschaft und die bessere Lymphdrainage begünstigen die Ausbreitung der
Infektion. Die weitere Ausbreitung ist als eitrige Peritonitis und als Pyephlebitis
der Pfortadergefäße möglich.
Klassifikation/Stadien
▪
Nicht destruktive Stadien:
–
Katarrhalisches, reversibles Stadium mit Rötung, Schwellung und Schmerz, aber ohne
Eiter – Appendizitis simplex.
–
Übergang in seropurulentes Stadium möglich.
▪
Destruktive Stadien:
–
Ulzero-phlegmonöse Appendizitis
–
Empyematöse Appendizitis
–
Gangränöse, nekrotisierende Appendizitis
–
Perityphlitische Appendizitis mit/ohne freie Perforation mit Abkapselung des entzündlichen
Geschehens durch Peritonealverklebungen
–
Bei Einschmelzung Entstehung eines perityphlitischen Abszesses
–
Appendizitis mit freier Perforation und folgender diffuser Peritonitis.
Klinik Die typischen Symptome der Appendizitis sind durch die physiologischen Veränderungen
in der Schwangerschaft oft verschleiert. Die Symptomatik der Appendizitis kann in
Abhängigkeit vom Gestationsalter variieren.
▪
Ab dem 1. Trimenon häufig und daher wenig spezifisch: Übelkeit, Erbrechen, Stuhlveränderungen,
seltener auch Uteruskontraktionen
▪
Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft kommt es zu einer kranialen Verlagerung der
Appendix. In der 20. SSW liegt die Appendix ungefähr in Nabelhöhe und senkrecht über
der Spina iliaca anterior. Dadurch sind atypische Schmerzlokalisationen möglich: Periumbilikale
und epigastrische Schmerzen, rechtsseitige Unter- oder Mittelbauchschmerzen.
▪
Bei Perforation: Akutes Abdomen.
▪
Die bei einer Peritonitis auftretende Abwehrspannung ist durch den schlafferen Zustand
der Bauchmuskulatur in der Schwangerschaft vermindert.
▪
Wegen fehlender Bedeckung der Appendix durch das große Netz oder die Bauchdecke bei
zusätzlich besser durchbluteten Beckeneingeweiden kommt es seltener zu einer Abkapselung
des entzündlichen Prozesses, sondern eher zu einer diffusen Peritonitis.
Diagnostik Die Diagnose der Appendizitis wird in der Schwangerschaft in gleicher Weise
wie bei Nichtschwangeren gestellt.
▪
Labor: Leukozytose durch die in der Schwangerschaft erhöhten Normalwerte von Leukozyten
(6.000–16.000/mm3) wenig spezifisch. Bei Leukozytenwerten < 10.000/mm3 ist eine Appendizitis
unwahrscheinlich. CRP-Erhöhung
▪
Temperatur: Häufig besteht eine axillo-rektale Temperaturdifferenz von > 1 °C. Während
die Körpertemperatur bei nicht perforierter Appendizitis meist < 38 °C liegt, kann
Fieber als Symptom einer perforierten Appendizitis angesehen werden.
▪
Urinstatus zum Ausschluss eines Harnwegsinfektes
▪
Sonografie: Bei Schwangeren kommt der Sonografie als eine spezielle Diagnostik zur
Darstellung der entzündlich transformierten Wandschichten der Appendix („Target-Zeichen“),
freier Flüssigkeit oder zum Ausschluss der Differenzialdiagnosen (Tab. 17.38
) eine besondere Bedeutung zu (17.22).
Tab. 17.38
Appednizitis:DifferenzialdiagnosenDifferenzialdiagnosen einer Appendizitis in der
Schwangerschaft
Gynäkologisch
Nicht gynäkologisch
•
Vorzeitige Wehentätigkeit (21.1)
•
Vorzeitige Plazentalösung (16.6)
•
Chorioamnionitis
•
Stielgedrehte Adnexe
•
Extrauteringravidität (Kap. 9)
•
Degenerative Prozesse in Myomen
•
HELLP-Sy. (17.2.2)
•
Pyelonephritis (17.9.1)
•
Nierenkolik (17.9.6)
•
Harnleitersteine
•
Cholezystitis (17.15.2)
•
Obstruktive Darmerkr.
•
Pankreatitis
•
Gastroenteritis
•
Hernien (17.15.4)
•
Divertikulitis
Die für die Appendizitis charakteristische Lokalisation des Druckschmerzes im rechten
Unterbauch, der kontralaterale Loslassschmerz oder der Psoasanspannungsschmerz sind,
bedingt durch die kraniale Verlagerung der Appendix im Schwangerschaftsverlauf, eher
untypisch.
Therapie
Appendektomie
Grundsätzlich Appendektomiebei dringendem V. a. eine Appendizitis nach Ausschluss
aller DD (Tab. 17.38) in jedem Stadium der Schwangerschaft operieren.
▪
Indikation: wegen der unspezifischer Symptomatik in der Schwangerschaft großzügiger
als bei Nichtschwangeren stellen.
▪
Verfahren:
–
Konventionelle Appendektomie über einen Unterbauchwechselschnitt. Bei fortgeschrittener
Schwangerschaft wird ein medianer Unter- bzw. Oberbauchlängsschnitt durchgeführt.
–
Laparoskopische Appendektomie, die nach einer diagnostischen Laparoskopie bei unklarem
klinischem Befund durchgeführt werden kann.
▪
Durchführung: in gleicher Weise wie bei Nichtschwangeren
–
Lagerung in Linksseitenlage
–
Empfohlen wird die Durchführung Target-Zeicheneiner periop. Antibiotikather. z. B.
mit Amoxicillin 2 g i. v.
–
Falls ein perityphlitischer Abszess vorliegt, wird eine Drainage eingelegt und eine
Antibiotikather. angeschlossen.
▪
Bei nicht perforierter Appendix ist keine gleichzeitige Sectio indiziert.
▪
Sollte intraop. eine blande Appendix gefunden werden, appendektomieren, da das Risiko
der Appendektomie nicht höher ist als außerhalb der Schwangerschaft.
Komplikationen
▪
Perforierte Appendizitis mit Begleitperitonitis: Es besteht ein erhöhtes Risiko für
einen intrauterinen Fruchttod aufgrund der im Rahmen des toxischen Geschehens zirkulierenden
Endotoxine. Deshalb in diesen Fällen vor der Appendektomie bei fortgeschrittener Schwangerschaft
eine Sectio durchführen.
▪
Perityphlitischer Abszess: Ebenfalls ab 32 + 0 SSW primär die Sectio mit anschließender
Abszessspaltung und Drainage durchführen. Nach 3 Mon. erfolgen eine Intervalllaparotomie
Appendizitis:Komplikationenund Appendektomie. Falls wegen eines frühen Schwangerschaftsalters
nicht sektioniert wird, Manipulationen an der Gebärmutter zur Vermeidung von vorzeitigen
Wehen auf ein Minimum beschränken.
▪
Weitere Komplikationen: Typische postop. Komplikationen wie Ileus, Infektion oder
Adhäsionen.
Prognose
▪
Verlauf und Prognose sind bei unkomplizierter akuter Appendizitis und bei rechtzeitiger
OP günstig.
▪
Risiko für Mutter und Kind erhöht sich mit zunehmendem Gestationsalter.
▪
Maternale Letalität 2–4 % (Nichtschwangere < 0,5 %)
▪
Rate gangränöser Entzündungen und Perforationen bei Schwangeren bis zu 38 % höher
als bei Nichtschwangeren
▪
Perinatale Mortalität 3,5–15 %, bei perforierter Appendizitis 20–40 %
!
Nach Appendektomie in der Frühschwangerschaft ist eine vaginale Geburt grundsätzlich
möglich.
17.15.2
Cholezystitis
Epidemiologie Eine akute Entzündung der Gallenblase tritt in der Schwangerschaft sehr
selten (< 0,1 %) auf.
Ätiologie Ätiologische Faktoren sind Stase, Ischämie und Infektion. Die Entzündung
der Gallenblase tritt in 90 % der Fälle bei Pat. mit Gallensteinen auf.
Es kann kein Zusammenhang zwischen einer Schwangerschaft und dem vermehrten Auftreten
von Gallensteinen gezeigt werden, obwohl in der Schwangerschaft eine Reihe von Faktoren
Cholezystitisbeschrieben werden, die die Ausbildung von Gallensteinen fördern. In
der Schwangerschaft finden sich eine verminderte Motilität der Gallenblase mit konsekutiver
Gallenstase und eine vermehrte Cholesterinausschüttung. Zusätzlich zeigen sich ein
erhöhter CholezystolithiasisGallensäurepool, ein verringerter enterohepatischer Kreislauf
und eine Erhöhung des Cholsäure- bei gleichzeitiger Verminderung des Chenodeoxycholsäurespiegels.
Diese Veränderungen bedingen die Entstehung von „lithogener“ Galle.
Pathophysiologie Bei Obstruktion des Ductus cysticus und aus der konzentrierten Galle
wird in der geschädigten Gallenblasenschleimhaut Lysolezithin gebildet, das die Schleimhaut
weiter schädigt. Aus den freigesetzten Fettsäuren entstehen Prostaglandine, die den
Circulus vitiosus weiter unterhalten. Obwohl in vielen Fällen am Anfang der Entzündung
aus der Galle Bakterien wie E. coli oder Enterobacter kultiviert werden können, ist
die akute Cholezystitis nicht als bakterielle Entzündung anzusehen. Bei einer Salmonellose
kann die Gallenblase als Reservoir dienen.
Klinik
▪
Bei 50 % sind Gallenkoliken vor der Schwangerschaft bekannt.
▪
Schmerzen im Epigastrium oder im rechten Oberbauch, häufig in den Rücken bzw. in die
Schulter ausstrahlend, sind ein relativ spezifisches Symptom für eine blande Gallenkolik.
▪
Übelkeit, Erbrechen, Fieber und laborchemische Entzündungszeichen deuten auch bei
uncharakteristischer Schmerzsymptomatik auf eine Cholezystitis hin.
▪
Zusätzlich evtl. Zeichen eines akuten Abdomens mit Abwehrspannung und „bretthartem“
Bauch.
▪
Die Beschwerden treten am häufigsten nach dem 1. Trimenon oder kurz nach der Entbindung
auf.
▪
Bei einem Ikterus an eine Cholezystolithiasis denken: Insgesamt 7 % aller Ikterusfälle
in der Schwangerschaft sind durch Gallensteine bedingt.
Diagnostik Weiterführende Diagnostik von Gallenerkr. in der Schwangerschaft beschränkt
sich auf Labor- und Sonografieuntersuchungen (17.22).
▪
Sonografie: echoreiche und verdickte Gallenblasenwand, evtl. Konkremente, evtl. entzündliches
Ödem um die Gallenblase
▪
Labor:
–
Passagerer Anstieg der Aminotransferasen
–
Bei akuter Cholezystitis Anstieg der Entzündungsparameter
–
Bei Cholestase mäßiger Anstieg von Bilirubin und γ-GT.
▪
Radiologische Untersuchungen wie Cholezystogramm oder endoskopisch-retrograde Cholangiopankreatikografie
sind kontraindiziert.
▪
Bei strenger Indikationsstellung kann eine Abdomenübersichtsaufnahme gerechtfertigt
sein.
Differenzialdiagnosen HELLP-Sy. (17.2.2), akute Appendizitis (17.15.1), akute Pankreatitis,
akute Schwangerschaftsfettleber, akute Virushepatitis (17.10.5), basale Pneumonie
(17.7.1), Lungenembolie (17.3).
Therapie
Es wird empfohlen, die Cholezystitis in der Schwangerschaft konservativ zu behandeln.
▪
Konservative Therapie:
–
Analgetika: Paracetamol bis 4 × 1 g/d
–
Spasmolytische Maßnahmen: N-Butylscopolaminiumbromid bis 100 mg/d
–
Fettarme Diät
–
I. v. Ther. mit einem gallengängigen Antibiotikum (3 × 2 g Ampicillin)
▪
Operative Therapie: Nur bei unter konservativen Maßnahmen weiter symptomatischen Pat.,
v. a. mit Choledocholithiasis, Gallenblasenempyem und chologener Pankreatitis. Günstigster
Zeitpunkt ist das 2. Paracetamol:CholezystitisTrimenon. (Im 1. Trimenon wird die fetale
Mortalität bei chirurgischen Eingriffen mit 5 % angegeben.)
–
Die laparoskopische Cholezystektomie unter periop. Antibiotikaprophylaxe (Ampicillin
2 g i. v.) hat sich bei unkomplizierten Fällen bewährt.
–
Bei Choledocholithiasis hat die endoskopische Papillotomie prognostische Vorteile
gegenüber der offenen Cholezystektomie mit Gallengangsexploration, da für diese klassische
Methode, v. a. bei Pat. mit Pankreatitis, eine hohe maternale und fetale Mortalität
von 15 bzw. 60 % angegeben wurde.
–
Im 3. Trimenon OP mit Laparotomie, Antibiotikaprophylaxe:Cholezystektomieggf. kombiniert
mit einer Sectio, empfehlenswert.
Komplikationen In etwa 10 % Perforation der Gallenblase mit lokaler Peritonitis. Bei
chron. Cholezystitis finden sich offene und gedeckte Perforationen, Fistelbildungen
sowie pericholezystische Abszesse.
Prognose Der oft leichten Verlaufsform der Cholezystitis in der Schwangerschaft stehen
schwere Krankheitsverläufe mit gehäuften Koliken im Puerperium gegenüber. Eine Ind.
zur Abruptio besteht nicht.
▪
Letalität von etwa 15 % bei grangränöser CholedocholithiasisCholezystitis oder Empyem
▪
Letalität von 15–25 % bei Gallenblasenperforation oder pericholezystischem Abszess.
17.15.3
Ileus
Epidemiologie Eine Störung der Darmpassage durch Darmverschluss oder Darmlähmung während
der Schwangerschaft ist extrem selten.
Ätiologie
▪
Bei > 90 % Ileus in graviditate infolge mechanischer Ursachen wie Briden, Adhäsionen
und v. a. bei Z. n. Appendektomie.
▪
Darüber hinaus mechanischer Ileus bei Inkarzeration, Volvulus, Invagination und Tumorobstruktion
möglich.
▪
Paralytischer Ileus:
–
Primär bei Gefäßverschlüssen
–
IleusSekundär: häufigere Formen sind reflektorisch (z. B. nach Sepsis 24.8; Peritonitis),
bei Stoffwechselerkr. (z. B. akute intermittierende Porphyrie oder Diabetes mellitus,
17.4) und toxisch im Endstadium eines mechanischen Ileus.
Pathophysiologie Folge der Größenzunahme des Uterus ist die Verlagerung von Darmschlingen,
die zur Behinderung der Darmpassage und schließlich zum Bild eines mechanischen Ileus
führen können.
Durch eine Darmdistension kommt es zu einer Erhöhung der Wandspannung mit resultierender
Mikrozirkulationsstörung und lokaler Hypoxie der Darmwand. Der ischämische Zellschaden
manifestiert sich zuerst an der empfindlichen Mukosa und kann zur Nekrose der Darmwand
führen. Unter physiologischen Bedingungen werden ca. 5–6 l Verdauungssäfte pro 24
h in den oberen Gastrointestinaltrakt sezerniert, wobei ca. 90 % rückresorbiert werden.
Beim Ileus führt die venöse Stauung in der Darmwand zum Ödem mit starker Zunahme der
Flüssigkeitssequestration. Dieses führt wiederum zu einer Darmdistenion (Circulus
vitiosus). Durch die Stase kommt es parallel zu einem gesteigerten Bakterienwachstum
mit Endotoxinfreisetzung. Diese Mechanismen führen letztlich zum hypovolämisch-septisch-toxischen
Schock und konsekutiv zum Multiorganversagen.
Klassifikation
▪
Mechanisch oder paralytisch
▪
Komplette oder inkomplette Passagestörung des Dünndarms (hoher Ileus) oder des Kolons
(tiefer Ileus)
▪
Nach Verlauf: Akut, subakut (Subileus), rezidivierend oder chron. rezidivierend.
Klinik Die Symptome (Tab. 17.39
) können als Wehentätigkeit fehlinterpretiert werden. Auch Meteorismus und Obstipation
sind während der Schwangerschaft aufgrund der hormonell induzierten Darmatonie häufig.
Leitsymptome: Abdominalschmerz, Erbrechen, Stuhl- und Windverhalten.
Tab. 17.39
Symptomatik bei unterschiedlichen Ileusformen
Ileusform
Schmerz
Erbrechen
Stuhl-/Windverhalten
Meteorismus
Peristaltik
Mechanisch, hoch
Eher geringKolikartig
SofortVoluminös
Eher geringSpät
Spärlich
Regelgerecht, später auch hochgestellt und klingend
Mechanisch, tief
Krampfartig
Spät
Vorhanden
Vorhanden
Hochgestellt und klingend
Paralytisch
Fehlt
Vorhanden
Vorhanden
Spärlich
Fehlt
Diagnostik
▪
Auskultation:
–
Mechanischer Ileus: Zeichen einer Hyperperistaltik mit spritzenden und plätschernden
Darmgeräuschen
–
Paralytischer Ileus: fehlende Peristaltik, sog. „Totenstille im Abdomen“
▪
Perkussion: typischer tympanischer Klopfschall
▪
Sonografie: lässt oft eine Differenzierung zwischen paralytischem oder mechanischem
Ileus zu (17.22). Mechanischer Ileus:
–
Im Frühstadium Hyperperistaltik, Luft, flüssigkeitsgefüllte Darmschlingen
–
Im Spätstadium bei aufgehobener Peristaltik Unterscheidung zum paralytischen Ileus
nicht mehr möglich. Durch gedehnte Dünndarmschlingen kann sonografisch das Bild eines
Strickleitermusters entstehen.
▪
Labor: Bei Erbrechen metabolische Azidose und Hypokaliämie. Durch Elektrolyt- und
Volumenverlust Hämokonzentration.
Röntgen
▪
Nach Abschluss des 1. Trimenons ist eine Abdomenübersichtsaufnahme zum Nachweis einer
Spiegelbildung vertretbar.
▪
Röntgenologische Kontrastmitteluntersuchungen und Verlaufskontrollen vermeiden.
Erstmaßnahmen
▪
Ggf. Schockbehandlung mit Volumenersatz
▪
Magensonde zur Entlastung des gestauten Darms
▪
Flüssigkeitsbilanzierung durch Blasendauerkatheter, Einlauf oder Klysmen.
Konservative Therapie des paralytischen Ileus Durch den rechtzeitigen Einsatz von
Elektrolytlösungen sowie den Einsatz von motilitätssteigernden Parasympathomimetika
kann das Vollbild eines paralytischen Ileus vermieden werden:
▪
Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution: ZVD zwischen 4–10 cmH2O.
▪
Hohe Einläufe und Darmstimulation mit Metoclopramid und Neostigmin (z. B. 60 mg Metoclopramid
+3 mg Prostigmin in 500 ml NaCl 0,9 % mit 40–80 ml/h)
▪
Antibiotikagabe: z. B. Cefotaxim 3 × 2 g/d i. v. Bei septischem Verlauf in Kombination
mit Metronidazol 3 × 500 mg/d und/oder p. p. in Kombination mit Gentamicin 1 × 3–5
mg/kg KG/d i. v. (Spiegelkontrolle, Dosisanpassung bei Niereninsuff.).
▪
Die akute Pseudoobstruktion des Kolons macht eine mechanische Entlastung durch einen
Einlauf, Darmrohr oder endoskopische Darmdekompression notwendig.
Bei einem paralytischen Ileus, der aus einem mechanischen Ileus entstanden ist, besteht
eine absolute und dringende OP-Ind.
Operative Therapie bei mechanischem Ileus
!
Die OP-Ind. ist beim mechanischen Ileus zeitlich dringend.
▪
Durchführung:
▪
Über eine mediane Laparotomie erfolgt die Resektion irreversibel geschädigter Dünndarmschlingen
mit evtl. Adhäsiolyse oder Retorquierung eines Volvulus.
▪
Bei einem Dickdarmileus erfolgt eine notfallmäßige Entlastungskolostomie im Colon
ascendens als zweizeitiges Vorgehen.
▪
Nach 32 + 0 SSW kann die OP mit einer Sectio kombiniert werden.
Eine Ind. zur Abruptio ist bei einem Darmverschluss infolge malignen Tumorwachstums
zu erwägen.
Komplikationen Jeder mechanische Ileus geht, wenn er lange genug besteht, in einen
paralytischen Ileus über. Aus der Mukosaschädigung mit Darmgangrän oder Perforation
entsteht eine Peritonitis mit konsekutivem Multiorganversagen.
Prognose
▪
Bei frühzeitiger Diagnose und Ther. ist die Prognose günstig.
▪
Mit jeder Stunde Verzögerung steigt die Letalität um ca. 1 %.
▪
Bei verschleppten mechanischen Ileusformen mit Peritonitis oder Darmgangrän beträgt
die maternale Letalität in der Schwangerschaft 20–40 %, die kindliche Letalität 25–60
%.
▪
In den ersten 4 Jahren muss mit einer bis zu 50-prozentigen Rezidivrate gerechnet
werden.
17.15.4
Hernien
Definition Vorfall von Eingeweideanteilen (Bruchinhalt) in eine Vorbuchtung des parietalen
Peritoneums (Bruchsack) durch eine Bauchwandlücke (Bruchpforte).
DD: Als Prolaps wird ein Vorfall von Eingeweiden durch eine Lücke des Peritoneums
bezeichnet (Syn.: Hernia spuria = falsche Hernie).
Ätiologie Die Entstehung einer Hernie wird neben einer angeborenen Bindegewebsschwäche
durch einen erhöhten intraabdominellen Druck begünstigt, wie er z. B. in der Schwangerschaft
oder bei Aszites Hernienauftritt. Auch häufiger Einsatz der Bauchpresse bei Obstipation
oder bei Blasenentleerungsstörungen sowie intraabdominelle Tumoren können für die
Entwicklung einer Hernie mitverantwortlich sein.
Pathophysiologie Voraussetzung für das Auftreten einer Hernie ist eine anlagemäßige
Schwäche der Bauchdecken, die sich v. a. im Bereich anatomisch ohnehin „kritischer“
Stellen, wie der Inguinalregion, im Bereich von Laparotomienarben und der Nabelgegend,
auswirkt. Zu dieser Prädisposition gesellt sich oft eine chron. Erhöhung des intraabdominellen
Drucks als zusätzlicher Faktor, wie er bei Schwangeren oder bei Pat. mit einer chron.
Bronchitis zu finden ist.
Klassifikation Unterschieden werden äußere Hernien mit Bruchpforten, die aus der Bauchwand
austreten, von inneren Hernien, bei denen die Bruchpforte im Abdomen liegt (Tab. 17.40
). Als symptomatische Hernie wird eine Hernie bezeichnet, die als Symptom einer Erkr.
Beschwerden verursacht.
Tab. 17.40
Klassifikation der Hernien
Äußere Hernie
Innere Hernie
•
Indirekte Leistenhernie (erworben oder angeboren)
•
Direkte Leistenhernie (immer erworben)
•
Nabelhernie (umbilikal oder paraumbilikal)
•
Epigastrische Hernie
•
Schenkelhernie
•
Becken- und Lumbalhernien
•
Zwerchfellhernie
•
Darmwandhernie (sog. Richter-Hernie)
Klinik
▪
Erstes Symptom oft ein ziehender oder stechender Schmerz im Bereich der Bruchpforte,
der in die Umgebung ausstrahlen kann.
▪
Schmerzverstärkung beim Durchtritt der Organteile durch die Bruchpforte
▪
Vorwölbung durch den Organprolaps
–
Bei reponibler Hernie verschwindet die Vorwölbung unter Druckentlastung des Bauchraums
spontan oder lässt sich von außen vollständig zurückdrängen.
–
Ist die Reposition nicht möglich, liegt eine Einklemmung (Inkarzeration) vor (irreponible
Hernie). Die Inkarzeration verursacht eine zunehmende schmerzhafte und gerötete Vorwölbung
und kann mit einer peritonealen Reizung einhergehen.
▪
Beim Einklemmen von Darmanteilen kommen abdominelle Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen,
Verdauungsprobleme und ggf. eine Ileussituation hinzu.
Diagnostik
▪
Äußere Hernie: Diagnose wird durch die klinische Untersuchung gestellt.
▪
Innere Hernie: häufig erst Befunde bei der explorativen Laparotomie, wenn sie vorher
nicht durch radiologische Verfahren diagnostiziert sind.
▪
Inspektion: Auf asymmetrische Vorwölbungen, Hauveränderungen und Hautrötung achten.
Durch die Aufforderung zum Pressen oder Aufrichten aus der Rückenlage lassen sich
vorher nicht sichtbare Brüche teilweise verdeutlichen.
▪
Auskultation: In großen Brüchen lassen sich aufgrund auskultierbarer Darmgeräusche
häufig Darmanteile identifizieren.
▪
Sonografie: Darstellung von Darmanteilen und v. a. in der Leistenregion Differenzierung
zwischen flüssigen (echoarmen, z. B. Zysten, Abszesse) und soliden (echoreichen, z.
B. Lymphknoten) Strukturen.
Therapie Flussdiagramm Abb. 17.14
.
Ein dauerhafter Behandlungserfolg ist nur durch den op. Bruchlückenverschluss möglich.
▪
Fehlende Inkarzeration: ambulante Betreuung mit anschließender elektiver OP möglich.
Cave: Gefahr einer Inkarzeration ist umso größer, je kleiner die Bruchpforte ist.
▪
Inkarzeration: Jede Inkarzeration umgehend beseitigen
–
Reponible Inkarzeration bzw. bei Z. n. Inkarzeration mit iatrogener oder Laienreposition:
stationäre Überwachung zum Ausschluss eines Rezidivs. Eine op. Versorgung wird in
den nächsten Tagen empfohlen.
–
Irreponible Hernien mit Inkarzeration: InkarzerationSofortige op. Versorgung. Etabliertes
Alternativverfahren zur konventionellen Hernioplastik mittels Laparotomie stellt bei
Inguinal- oder Schenkelhernien die laparoskopische Versorgung dar. Die OP beginnt
mit der Darstellung des Bruchsacks und der Beurteilung des Inhalts.
–
Erholt sich der zuvor eingeklemmte Darminhalt nicht zügig oder liegt eine Darmperforation
vor, ist die Resektion des betroffenen Darmabschnitts durchzuführen. Anschließend
erfolgen die Herniotomie und die Hernioplastik.
▪
Nach einer OP im 1. oder 2. Trimenon ist nach Rücksprache mit dem Operateur eine vaginale
Entbindung möglich. Jenseits der 32. SSW kann die OP auch mit einer Sectio kombiniert
werden.
▪
Empfohlen wird die Durchführung einer periop. Antibiotikather. mit z. B. Amoxillin
2 g.
▪
Postop. zur Rezidivprophylaxe für 3 Mon. große körperliche Belastungen vermeiden.
Abb. 17.14
Flussdiagramm Hernie
[L157]
Komplikationen Durch die Verlagerung von Darmanteilen in den Bruchsack kann eine Störung
der Darmpassage mit konsekutiver Ileuskrankheit entstehen. Diese führt unbehandelt
zu den toxischen Folgen einer Darmgangrän mit Peritonitis und Multiorganversagen.
Prognose
▪
Bei frühzeitiger Diagnose und Ther. ist die Prognose günstig.
▪
Bei Inkarzeration mit mechanischem Ileus mit Peritonitis oder Darmgangrän beträgt
die maternale Letalität in der Schwangerschaft 20–40 %, die kindliche Letalität 25–60
%.
▪
Rezidivquote ist abhängig von der Hernienlokalisation, der OP-Technik und begünstigenden
Faktoren wie chron. Bronchitis oder zu großer körperlicher Belastung in der frühen
postop. Phase.
17.16
Adipositas
Ute M. Schäfer-Graf
Definition Adipositas wird nicht über das Gewicht definiert, sondern über den Body
Mass Index (BMI), der die Körpergröße mitberücksichtigt. Ein BMI zwischen 20–25 kg/m2
gilt als Normalgewicht. Adipositas wird je nach Schwere in Grad I, II, und III (>
40 ) unterteilt.
Epidemiologie Im Jahr 2014 hatten 21,3 % der Schwangeren in Deutschland einen BMI
von 25–29 kg/m2 und galten damit als übergewichtig. 13,6 % lagen über 30 kg/m2, dem
Kriterium für AdipositasAdipositas. Die Zahlen für 2013 waren vergleichbar.
17.16.1
Maternale Begleiterkrankungen
Adipöse Frauen gehen häufig schon mit chron. Erkr., die durch Adipositas bedingt oder
begünstigt werden, in die Schwangerschaft hinein (Tab. 17.41
). Bei Kinderwunsch sollte deshalb bereits präkonzeptionell ein aktueller Status erhoben
werden und die Ther. ggf. angepasst werden.
Bei adipösen Frauen mit Kinderwunsch ist eine präkonzeptionelle Beratung über den
ungünstigen Einfluss von Adipositas auf Fertilität und Schwangerschaftsverlauf, mit
Motivation zur Gewichtsabnahme, vor Konzeption dringend empfohlen. Die Chance einer
höheren Motivation für eine Lebensstilberatung/-änderung durch den Kinderwunsch sollte
unbedingt genützt werden.
Tab. 17.41
Management von Adipositas bedingten Begleiterkr.
Präkonzeptionell
Schwangerschaft
Hypertonus
•
Absetzen von ACE-Hemmer, ATIII-Blocker
•
Umstellung auf Methydopa
Evtl. Auslassversuch Antihypertensiva
Hyperlipidämie
•
Statine absetzen wegen fraglicher Teratogenität
•
Ernährungsberatung
Problem der Überwachung:
•
Lipide in der Schwangerschaft immer erhöht, es gibt keine Grenzwerte
•
Durch erhöhte Lipide erhöhtes Risiko für Makrosomie, Präeklampsie und Frühgeburt
PCOS
•
70 % der PCOS-Frauen übergewichtig
•
Subfertilität primär durch Adipositas bedingt
•
Metformin verbessert nicht die Lebendgeburtenrate bei adipösen PCOS-Frauen
Keine Evidenz für Reduzierung von Abort-, GDM- oder Präeklampsierate durch Fortführung
der Metforminther. nach Konzeption [DGGG 2015]
Subfertilität
•
Hyperinsulinismus reduziert die Fertilität und die Ansprechbarkeit auf Fertilitätsther.;
•
Gewichtsabnahme, erst dann Kinderwunschbehandlung
Risiko für Diabetes mellitus
•
Hohe Rate an unerkanntem Diabetes Typ 2 DM
•
Präkonzeptioneller oGTT angeraten
•
Nü-BZ bei Erstvorstellung
•
oGTT früh im Zeitfenster 24–27+6 SSW
•
oGTT statt 50-g-Test wegen höherer Sensitivität
•
Evtl. Wiederholung bei fetaler Makrosomie
17.16.2
Maternale Komplikationen
Unsicheres Gestationsalter wegen Zyklusunregelmäßigkeiten Adipöse Frauen haben Adipositas:Begleiterkrankungenhäufiger
einen unregelmäßiger Menstruationszyklus (OR = 2,61; CI 1,28–5,35). Ursache sind endokrinologische
Veränderungen wie hohe Spiegel von Insulin und Testosteron, ein hoher Index von freien
Androgenen und erniedrigtes sexualhormonbindendes Globulin. Somit ist die Festlegung
der Entbindungstermins nach letzter Regel unzuverlässig. In einer Studie mit 800.000
Schwangerschaften eines Schwedischen Geburtenregisters wurde die Diskrepanz zwischen
ET nach LMP und Ultraschallbefund erhoben. Die Prävalenz stieg signifikant mit dem
BMI der Mütter: 6,3 % Verlegung des Entbindungstermins um –14 Tage bei BMI 20–25 kg/m2
versus 9,4 % bei BMI > 30 kg/m2 (OR 1,65), um 7–13 Tage bei 17,4 vs 22,5 % der Schwangerschaften
(OR 1,45) [Simic et al. 2010]. Daher ist dringend eine Überprüfung des Gestationsalters
im 1. Trimenom durch vaginalen Ultraschall, am besten durch wiederholte Untersuchungen,
zu empfehlen.
Aborte Es besteht ein erhöhtes Risiko für einen Abort mit einer OR von 1,49 (CI 1,11–1,7)
und OR 3,5 (1,03–12,01) für habituelle Aborte. Das vermehrte Auftreten von Aborten
ist unabhängig von embryonaler Aneuploidie und vermutlich bedingt durch maternalen
Hyperinsulinismus und andere endokrinologische Störungen [Landres, Milki und Lathi
2010].
Hypertonus/Präeklampsie Schwangerschaftsinduzierter Hypertonus (Abort:AdipositasSIH)
und Präeklampsie treten bei adipösen Frauen deutlich häufiger auf. Für jeden Anstieg
des BMI um 5 kg/m2 verdoppelt sich das Risiko. Eine aktuelle Übersicht von Reviews
zu geburtshilflichen Komplikationen von 2015 gibt für einen BMI von 30–35 kg/m2 ein
Risiko für SIH von 2,6 (2,4–3,0) sowie bei einem BMI > 35 kg/m2 von 3,4 (2,5–4,5)
an [Hypertonie:AdipositasMarchi et al. 2015]. Bei einem Gewicht von 90–120 kg ist
zu Präeklampsie:Adipositaserwarten, dass 10 % der Schwangeren einen SIH entwickeln.
Bei > 120 kg sind 70 % der Schwangeren betroffen.
Gestationsdiabetes Adipositas reduziert langfristig die Insulinsensitivität, was sich
in der Schwangerschaft als Gestationsdiabetes manifestiert. Dementsprechend hoch ist
die Prävalenz von GDM bei adipösen Schwangeren. Das Risiko für einen GDM ist bei einem
BMI von 30–35 kg/m2 viermal (CI 3,0–4,2) und bei einem BMI > 40 kg/m2 neunmal höher
(CI 5,7–16,0) als bei normalgewichtigen Frauen [Marchi et al. 2015].
In zahlreichen kleineren Gestationsdiabetes:AdipositasInterventionsstudien, die untersuchten,
ob in der Schwangerschaft ein Programm aus Ernährungsberatung in Kombination mit Anleitung
zur Steigerung der körperlichen Aktivität die GDM-Rate verringert, wurde die Umstellung
der Ernährung eher umgesetzt als eine vermehrte körperliche Aktivität. Der Einfluss
auf die GDM-Prävalenz war sehr begrenzt. Eine Interventionsstudie mit 360 adipösen
Schwangeren mit umfangreichem Angebot zur Lifestyle-Modifikation führte nur zu einer
Verringerung der physiologischen Abnahme der Insulinsensitivität bei jedoch gleichbleibend
hohen Lipidwerten [Vinter et al. 2014] und GDM-Rate.
Zwei große Studien, UPBEAT und DALI, mit Schwangeren mit einem BMI > 30 kg/m2, die
neben GDM auch andere geburtshilfliche Ergebnisparameter untersuchen, stehen vor dem
Abschluss. Aber auch hier lässt sich bereits absehen, dass nur eine Gewichtsreduzierung
vor der Schwangerschaft effektiv die vielfältigen Schwangerschaftskomplikationen bei
Adipositas verringern kann.
Frühgeburt Frühgeburt ist die wichtigste Ursache von neonataler Morbidität und Mortalität.
Bei Frauen mit Frühgeburten wurden erhöhte Spiegel von inflammatorischen Proteinen
nachgewiesen, die mit Zervixreifung und Myometriumkontraktionen assoziiert sind. Adipositas
führt durch die vermehrte Produktion von Adipokininen im Fettgewebe und die vermehrte
systemische Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen zu einer chron. inflammatorischen
Reaktion. In der Frühgeburtlichkeit:AdipositasSchwangerschaft nimmt das viszerale
Fettgewebe insbesondere bei übergewichtigen Frauen zu. Die im viszeralen Fettgewebe
produzierten Adipokine verstärken die systemische Inflammation.
Das Risiko für eine Frühgeburt steigt mit dem BMI. Bisherige Studien zeigten diesen
Zusammenhang jedoch eher moderat und nur für Mütter mit einem BMI > 35 kg/m2 [Donald
2015]. Eine aktuelle Arbeit aus Schweden mit 3.082 extremen Frühgeburten (22–27 SSW)
zeigte jedoch auch hier ein steigendes Risiko bereits ab einem BMI > 25 kg/m2: Es
lag bei einem BMI < 25 kg/m2 bei 0,17 %, bei einem BMI von 25 bis < 30 kg/m2 bei 0,21
% (OR 1,26), bei einem BMI von 30 bis < 35kg/m2 bei 0,27 % (OR 1,58), bei einem BMI
von 35 bis < 40 kg/m2 bei 0,35 % (OR 2,01) und bei einem BMI > 40 kg/m2 bei 0,52 (OR
2,3). Das Risiko für spontane Frühgeburt stieg in der Gruppe der adipösen Schwangeren
ab einem BMI > 30 kg/m2, während die induzierten Frühgeburten durch maternale Begleiterkr.
oder IUGR bereits bei übergewichtigen Frauen vermehrt waren [Cnattingius et al. 2013].
Gewichtszunahme Die maternale Gewichtszunahme in der Schwangerschaft beeinflusst das
Geburtsgewicht des Kindes. Es besteht eine unabhängige positive Korrelation [Starling
et al. 2015]. Das Institut of Medicine hat 2009 Empfehlungen zur Gesamtgewichtszunahme
in Abhängigkeit vom Ausgangs-BMI der Mutter herausgegeben. Demnach sollen Schwangere
mit einem BMI > 30 kg/m2 nur 5–9 kg bzw. 0,2–0,3 kg/Wo. zunehmen [IOM 2009]. Perzentilkurven
für die Gewichtszunahme:Adipositasempfohlene Gewichtszunahme finden sich als Anhang
bei der GDM-Leitlinie der DGGG/DDG; sie sollten den Schwangeren zur eigenen kontinuierlichen,
anschaulichen Kontrolle zur Verfügung gestellt werden.
Studienlage
Es wird kontrovers diskutiert, ob die Gewichtszunahme für übergewichtige/adipöse Frauen
weiter reduziert werden sollte. Eine Studie weist darauf hin, dass dadurch die SGA-Rate
steigt. Eine Gewichtszunahme < 5 kg führte zu 9,6 % SGA vs. 4,9 % bei Gewichtszunahme
> 5 kg [Catalano et al. 2014], sowohl mit geringerem Körperfett, als auch mit geringerer
Lean mass und geringerem Kopfumfang. In einer Population von adipösen Typ-2-Diabetikerinnen
führte eine Gewichtszunahme < 5 kg zu geringeren Raten von LGA ohne Erhöhung von SGA
und geringerer perinataler Morbidität [Asbjörnsdóttir et al. 2013]. Noch weiter geht
eine Studie an einer großen Population von 854 Schwangeren mit einem BMI > 30 kg/m2,
die während der Schwangerschaft an Gewicht verloren. Bei ihnen waren der schwangerschaftsindizierte
Hypertonus, Notfallsectiones und Makrosomie reduziert, ohne dass die SGA-Rate anstieg
oder mehr Kinder in die Kinderklinik verlegt werden mussten [Bogaerts et al. 2015].
Die Autoren empfehlen, basierend auf ihren Daten, bei einem BMI von 30–35 kg/m2 eine
Gewichtszunahme von nur 5 kg, bei einem BMI von 35–40 kg/m2 von 0 kg und bei einem
BMI von > 40 kg/m2 eine Gewichtsabnahme.
Eine Interventionsstudie mit 360 adipösen Schwangeren zeigte, dass ein Programm zur
Lifestyle-Modifikation (Ernährung, körperliche Aktivität) eine geringere mediane Gewichtszunahme
erbrachte (7,0 vs 8,6 kg). Die IOM-Empfehlungen wurden aber trotzdem von 35,4 vs.
46,6 % der Frauen überschritten [Vinter et al. 2011].
Eine Gewichtszunahme unterhalb der IOM-Empfehlung von 5–9 kg bei einem BMI > 30 kg/m2,
bis hin zur Gewichtsabnahme bei ausgeprägter Adipositas, scheint das perinatale Outcome
zu verbessern.
17.16.3
Fetale Komplikationen
Kongenitale Fehlbildungen Unabhängig vom maternalen Diabetes besteht bei Übergewicht
per se ein deutlich erhöhtes Risiko für kongenitale Fehlbildungen (OR 2,47; CI 1,09–5,6).
Der pathophysiologische Mechanismus ist noch unklar. Bekannt ist jedoch, dass der
maternale Hyperinsulinismus mit Neuralrohrdefekten assoziiert ist.
Die häufigsten Fehlbildungen bei Adipositas sind [Hendricks et al. 2001; Stothard
et al. 2009]:
▪
Spina bifida (OR 2,24; CI 1,86–2,9)
▪
Neuralrohrdefekte (OR 1,87; 1,62–2,15)
▪
Kardiovaskuläre Fehlbildungen (OR 1,30; 1,12–1,50).
Fetales Wachstum Übergewichtige Mütter gebären tendenziell eher Kinder mit hohem Geburtsgewicht,
wenn nicht gleichzeitig ein Hypertonus besteht. Fehlbildungen:AdipositasEine aktuelle
Metaanalyse aus dem Jahr 2013 unter Einbeziehung von 45 Studien ergab bei Übergewicht/Adipositas
der Mutter eine OR von 1,53/2,08 für LGA, 1,67/3,23 für Makrosomie und 1,95/3,96 für
ein Übergewicht der Kinder im späteren Leben [Yu et al. 2013].
Intrauteriner Fruchttod Für übergewichtige Frauen besteht ein deutlich höheres Risiko
für einen intrauterinen Fruchttod, das mit dem BMI zunimmt [Aune et al. 2014]. Bei
einem BMI < 30 kg/m2 ergibt sich eine OR von 1,4, bei einem BMI von > 35 kg/m2 eine
OR von 1,7 und bei einem BMI > 40 kg/m2 eine OR von 2,19. Das macht sich insbesondere
bei Terminüberschreitung, aber auch schon im späten 3. Trimenon bemerkbar [Nohr 2005]:
Bei 676 Fällen mit IUFT aus einer dänischen Kohorte von 40.000 Entbindungen betrug
die OR für den intrauterinen Fruchttod bei Adipositas der Mutter nach 37–39 SSW 3,5
(CI 1,9–6,4) und bei 40+ SSW 4,6 (CI 1,6–13,4). Bei Übergewicht der Mutter lag die
OR für den intrauterinen Fruchttod nach 40+ SSW bei 2,9 (CI 1,1–7,7) (Abb. 17.15
).
Die grundsätzliche Einleitung von adipösen Schwangeren am Termin, wegen des erhöhten
IUFT-Risikos, ist jedoch problematisch, da die Ansprechbarkeit auf die Einleitung
eher schlechter ist und die Geburten eher protrahiert verlaufen. Eine engmaschige
Überwachung ist jedoch angeraten.
Abb. 17.15
Anzahl und Risiko von Totgeburten gemäß BMI und Gestationsalter. Dänische nationale
Kohorte (n = 54.505) mit 679 Totgeburten. Die Hazard Ratio beträgt bei adipösen Frauen
in der 37.–39. SSW 3,5 (1,9–6,4) und nach 40+ SSW 4,6 (1,6–13,4). Bei übergewichtigen
Frauen liegt er nach 40+ SSW bei 2,9 (1,1–7,7)
[F875-001]
Fehlbildungsdiagnostik Ultraschalluntersuchungen von adipösen Schwangeren sind wegen
der erforderlichen Eindringtiefe und der Absorption der Ultraschallenergie durch abdominale
Fettschichten schwierig. Diese Problematik betrifft insbesondere die Erfassung von
Fehlbildungen, für die bei Adipositas ein erhöhtes Risiko besteht:
▪
Bei 10.112 Schwangeren mit einem Ultraschall nach 18–24 SSW sank die Rate von vollständigen
Beurteilungen aller fetalen Strukturen von 70% bei einem BMI < 30 kg/m2 auf 57 % bei
einem BMI von 30–34,9 kg/m2 , 41 % bei einem BMI von 35–39,9 kg/m2 und 30 % bei BMI
> 40 kg/m2 [Dashe, McIntire und Twickler 2009].
▪
Die unvollständige Darstellung der bei Adipositas am häufigsten auftretenden kardialen
und kraniospinalen Fehlbildungen beträgt bei Adipositas Grad I 29,6–36,8 %, bei Adipositas
Grad III 39,5–43,3 % und bei extremer Adipositas 50 % [Hendler et al. 2004].
▪
Bei Untersuchungen nach 18 SSW signifikant bessere Darstellbarkeit mit Reduktion der
unvollständigen Darstellungen um 50 % [Hendler et al. 2004].
▪
Primäre Ultraschalluntersuchungen in spezialisierten Zentren (targeted scan) erhöhen
die Detektionsrate von Fehlbildungen bei einem BMI > 35 kg/m2 von 42 % auf 67 % und
bei einem BMI > 40 kg/m2 von 25 % auf 67 % [Dashe, McIntire und Twickler 2009].
▪
Da die Zuverlässigkeit der Fehlbildungsdiagnostik bei Adipositas eingeschränkt ist
und gleichzeitig ein hohes Fehlbildungsrisiko besteht, muss dokumentiert werden, dass
die Eltern darüber aufgeklärt wurden.
▪
Der Ultraschall sollte primär auf DEGUM-2-Niveau und nach 18 SSW erfolgen.
Schätzen des fetalen Gewichtes Die Genauigkeit des sonografisch erhobenen Schätzgewichtes
ist eingeschränkt. Sie sinkt mit dem Gestationsalter und dem Gewicht des Kindes. Makrosome
Feten werden eher unterschätzt; die Genauigkeit sinkt kontinuierlich ab einem Kindsgewicht
von 3.500 g [Cohen et al. 2010]. Bei einer Population von 400 Diabetikerinnen wurde
bei einem Geburtsgewicht > 4.000 g bei 35 % der Kinder das Gewicht um 10–20 % und
bei 15 % der Kinder um 20% unterschätzt [Schäfer-Graf, unveröffentlicht].
Subjektiv wird die Möglichkeit einer zuverlässigen Erhebung des Schätzgewichtes bei
Übergewicht eher schlechter eingeschätzt. Erstaunlicherweise wird dies jedoch in Studien
nicht bestätigt: Das Schätzgewicht wich bei einem BMI < 30 kg/m2 in 75 % der Fälle
um ≤ 10 % vom Geburtsgewicht ab und in ≤ 92,9 % um ≤ 15 %, versus 71,5 % und 85,8%
bei BMI > 30 kg/m2 [Cohen et al. 2010]. Auch andere Studien berichten von einem gleichen
Anteil von Schätzgewichten innerhalb eines Fehlerbereichs von 5 % [Field, Piper und
Langer 1995]. Bei Diabetikerinnen lagen bei Schwangeren mit einem BMI < 30 kg/m2 68
% und bei einem BMI > 30 kg/m2 62 % der Schätzungen in einem Fehlerbereich von 10
% [Schäfer-Graf, unveröffentlicht].
Die Genauigkeit lässt sich signifikant durch die Reduktion des zeitlichen Abstands
zwischen Ultraschall und Geburt verbessern (Abb. 17.16
).
Die Genauigkeit des Schätzgewichtes bei Adipositas ist nicht schlechter als bei Normalgewicht.
Der Ultraschall sollte jedoch wegen des hohen Makrosomierisikos sehr zeitnah zur Entbindung
durchgeführt werden, da die Rate von Unterschätzung dann geringer ist.
Abb. 17.16
Genauigkeit des Schätzgewichtes bei einem maternalen BMI < und > 30 kg/m2, abhängig
vom Abstand der Untersuchung von der Geburt. 377 Scans, im Mittel 4,7 Tage vor der
Entbindung (70 % < 7 Tage).
[F877-001, L143]
17.16.4
Entbindung und Wochenbett
Schulterdystokie Schulterdystokie tritt bei der Entbindung von adipösen Schwangeren
zwei- bis dreimal häufiger auf, bei einem Ausgangsgewicht von 115 kg in bis zu 5 %
der Fälle. Adipöse Frauen gebären jedoch häufiger makrosome Kinder oder haben Diabetes.
Beides sind Risikofaktoren für Schulterdystokie, bei deren Berücksichtigung keine
unabhängige Assoziation zwischen Adipositas und Schulterdystokie besteht [Robinson
und Tkatch 2003].
Einleitung/Geburt
▪
Schulterdystokie:AdipositasAdipöse Schwangere brauchen kumulativ höhere Oxytocin-
und Prostaglandindosen zur Einleitung [Pevzner et al. 2009].
▪
Die Eröffnungsperiode ist verlangsamt [Pevzner et al. 2009].
▪
Adipositas ist ein Risikofaktor für erfolglose Einleitungsversuche, u. a. bedingt
durch ein früheres Gestationsalter wegen maternaler Komplikationen [Ronzoni et al.
2015].
Sectio Adipöse Schwangere Geburtseinleitung:Adipositaswerden häufiger sectioniert.
Das Sectiorisiko steigt mit dem BMI [Marchi et al. 2015]: Bei einem BMI > 30 kg/m2
beträgt die OR 2,2 für eine elektive Sectio 1,7 und für eine Notfallsectio 2,23. Ind.
für die Sectio ist überproportional häufig ein Geburtsstillstand (OR 2,3; CI 1,8–2.8)
[Heslehurst 2008]. Gründe dafür sind die vermehrten Cholesterindepots im Myometrium,
welche die Kontraktilität der Uterusmuskulatur beeinflussen sowie das Sectio:Adipositasvermehrte
intrapelvine Fettgewebe, das den Geburtskanal verengt.
Die Erfolgsrate für eine vaginale Geburt nach Sectio ist für adipöse Schwangere geringer.
Bis zu einem BMI von 30 kg/m2 wurden bis zu 68 % der Kinder vaginal geboren, ab einem
BMI von 30 kg/m2 sank die Rate auf 13 % [Dietz et al. 2005].
Postpartal
▪
Vermehrt postpartale Blutungen: aktive Leitung der Austreibungsperiode, prophylaktisch
Uterotonika
▪
Wundinfektionen sind deutlich häufiger.
▪
Stillen: Adipöse Mütter stillen bis zu 50 % seltener und kürzer als normgewichtige.
Die Ursachen sind vielfältig und reichen von niedrigerem Sozialstatus, mechanischen
Problemen durch die übergroße Mammae mit kleinen Brustwarzen und verspätetem Milcheinschuss
(fraglich fehlender physiologischer Abfall der Progesterone zur Laktogenese durch
Progesterondepots im Fettgewebe) bis zur höheren Sectiorate.
17.16.5
Schwangerschaft nach bariatrischer Operation
Bariatrische Operationen sind eine effektive Ther. bei schwerer Adipositas mit einem
BMI > 40–50 kg/m2 oder einem BMI > 35 kg/m2 mit Komorbidität und Versagen von Ernährungs-
und Sportprogrammen zur Gewichtsreduktion. Parallel mit der Zunahme von Adipositas
hat die Zahl der bariatrischen OPs enorm zugenommen. In Deutschland wurden 2013 7.126
Eingriffe durchgeführt. Das bedeutet eine Steigerung um 22 % im Vergleich zumStillen:Adipositas
Schwangerschaft:nach bariatrischer Operation Vorjahr. Als restriktive OP-Techniken
wurde 3.285-mal die Schlauchmagen-OP (SG) durchgeführt (Reduktion um 80 % durch longitudinale
Magenresektion entlang der kleinen Kurvatur) und bei 228 Pat. ein Magenband gelegt,
das wegen häufiger Komplikationen zunehmend weniger eingesetzt wird. Der Roux-en-Y-Bypass
ist eine Malabsorptionstechnik und wurde 3.235 Mal durchgeführt.
Nach OP müssen regelmäßig Blutbild, Eisen, Kalzium, Ferritin, 25-OH-Vitamin D3, Parathormon,
Vitamin B1, B12 und Folsäure bestimmt werden, um Art und Umfang von Stoffwechseldefiziten
zu erfassen und zu substituieren. Einnahme von Multi-Vitamin-/Mineral-Präparaten mit
doppelter Tagesdosis, Kalzium/Vitamin-D-Präparaten ist notwendig, (Cave: Osteoporose),
parenteral müssen Eisen und Vitamin B12 substituiert werden, insbesondere bei Bypass-OP,
weniger bei restriktiven OPs. Alle Präparate, die die Magenschleimhaut schädigen können,
sollen nach einer bariatrischen OP nicht mehr eingenommen werden (ASS, Kortison, NSAR).
Bereits 2008 wurden 49 % der bariatrischen OPs bei Frauen im Alter von 18–45 Jahren
durchgeführt, neuere Zahlen sprechen von bis zu 70 %.
Die Fertilität verbessert sich nach der OP, die Frauen sollten auf die Notwendigkeit
einer sicheren Kontrazeption hingewiesen werden. Die Empfehlungen zum zeitlichen Abstand
zur OP sind uneinheitlich. Die amerikanische Society of Fetal Maternal Medicine rät
18 Mon. bis zum Absetzen der Kontrazeptiva abzuwarten. Die Rate an Wachstumsretardierung
war jedoch in einer Arbeit 1,8 Jahre nach der OP mit 17,5 vs. 13,4 % höher als bei
früherer Konzeption [Johansson, Stephansson und Neovius 2015], in einer anderen steigt
das Geburtsgewicht mit dem zeitlichen Abstand zur Operation [Norgaard 2013].
Die Schwangeren-Vorsorge sollte bei bariatrischen Pat. engmaschig erfolgen.
Maternale Aspekte/Komplikationen
▪
Gewichtsverlust nach der OP verringert die Rate an Präeklampsie, Hypertonus und GDM.
▪
Auf Gewichtszunahme innerhalb der OIM-Empfehlungen achten
▪
In der zweiten Schwangerschaftshälfte besteht durch den erhöhten intraabdominellen
Druck ein Risiko für intestinale Hernien und Darmverschluss, bei Roux-en-Y-Bypass
ca. bis zu 5 %. Desgleichen durch die Veränderung der Druckverhältnisse am Termin
mit Tiefertreten des Uterus und postpartal. Eine Ind. zur Entbindung per primärer
Sectio besteht jedoch nicht.
▪
Verschiebung des Magenbandes mit Erbrechen, Dehydration, Magenulzera
▪
Eventuell erhöhter Bedarf an Vitamin- und Eisensubstitution
▪
Bei 40 % Anämie im 3. Trimenon
Fetale und neonatale Aspekte Die Datenlage ist noch begrenzt, die Tendenz spricht
jedoch für ein deutlich besseres Outcome im Vergleich zu Frauen mit einem BMI, wie
ihn die operierten Frauen vor der OP hatten. Die derzeit größte Kohorte wurde in Schweden
untersucht, allerdings wurde bei 98 % der Frauen ein Roux-en-Y-Bypass gelegt (Tab.
17.42
).
Management und Überwachung während der Schwangerschaft:
▪
Bei Schwangerschaftsfeststellung Erhebung eines aktuellen Status der Substitution,
regelmäßige Kontrollen während der Schwangerschaft und Anpassung
▪
Detaillierte Fehlbildungsdiagnostik und engmaschige Wachstumskontrolle
▪
Bei abdominalen Beschwerden cave Darmverschluss/Hernien
▪
Monitoring von Nüchternblutzucker und postprandialem Blutzucker statt oralem oGTT
zur GDM-Diagnostik.
Tab. 17.42
Geburtshilfliches Outcome nach bariatrischer OP [Johansson, Stephansson und Neovius
2015]. Die Kontrollgruppe ist gematcht entsprechend des BMIs der operierten Frauen
vor der OP
Variable
Anzahl in %
Odds Ratio (95% CI)
P-Wert
Bariatrische Gruppe (n = 596)
Kontrolle (n = 2.356)
GDMInsulin behandelt
1,90,7
6,83,6
0,25 (0,12–0,47)0,17(0,06–0,4)
< 0,001< 0,001
LGA
8,6
22,4
0,33 (0,24–0,44)
< 0,001
Makrosomie
1,2
22,4
0,11 (0,05–0,24)
< 0,001
SGA
15,6
7,6
2,20 (1,6–2,95)
< 0,001
Frühgeburt
10,0
7,5
1,28(0,9–1,7)
0,15
Totgeburt
1,0
0,5
1,89(0,5–6,0)
0,28
Kongenitale Fehlbildungen
2,4
3,4
0,72 (0,4–1,2)
0,27
17.17
Unfallverletzungen in der Schwangerschaft
Franz Kainer
Epidemiologie Während der Schwangerschaft ist bei 5–7 % mit einem Unfall zu rechnen,
wobei über 50 % der Unfälle im 3. Trimenon vorkommen. Verkehrsunfälle sind mit über
50 % die häufigste Unfallursache [Jain et al. 2014]. Der Unfalltod ist die häufigste
nicht schwangerschaftsbedingte Todesursache während der Schwangerschaft [Battaloglu
et al. 2015].
Spezielle fetale Risiken
Der Fetus ist gefährdet durch:
▪
Direktes Trauma
▪
Vorzeitige Plazentalösung (16.6). Häufigste Ursache für fetale Schädigung. Traumen
der Plazenta können zur schweren fetomaternalen Transfusion führen.
▪
Maternale Kreislaufdekompensation
▪
Eine Ruptur des Uterus ist extrem selten, wobei es jedoch durch „Zerplatzen“ des flüssigkeitsgefüllten
Uterus zum Absterben des Fetus kommt.
17.17.1
Bauchtrauma
Klinik Hämatome im Bereich des Abdomens sind ein wichtiger Hinweis für ein direktes
Trauma, wobei auch bei gering ausgeprägten oberflächlichen Hämatomen schwere innere
Verletzungen Unfallverletzungenvorhanden sein können.
Schmerzen können durch das Trauma, durch Wehen oder durch eine vorzeitige Plazentalösung
(16.6) verursacht werden.
Diagnostik
▪
Klinische Untersuchung
▪
Sonografie ist die entscheidende Untersuchung:
–
Parenchymatöse BauchtraumaHämatome in Leber, Niere, Milz, Retroperitonealraum?
–
Rasche Erfassung von freier intraabdomineller Flüssigkeit
▪
Beurteilung des fetalen Wohlbefindens (Plazenta, Fruchtwasser, Herzaktion) erfolgt
durch Sonografie und CTG-Überwachung (6.1).
▪
Eine weiterführende Diagnostik ist bei unklarer Diagnose mit der CT-Diagnostik oder
MRT-Diagnostik möglich.
Therapie Für eine op. Intervention gelten die gleichen Ind. wie außerhalb der Schwangerschaft.
▪
Bei nur oberflächlichen Organverletzungen der Leber, Milz ohne wesentliche Blutung
ist das Legen einer Drainage ausreichend.
▪
Bei anhaltender Blutung erfolgt primär eine Übernähung.
▪
Bei ausgeprägten Milzrupturen wird das Organ entfernt.
▪
Bei ausgeprägter Parenchymblutung in der Leber erfolgt die Blutstillung primär durch
eine Tamponade. Die weitere Versorgung erfolgt in einem Zweiteingriff.
▪
Uterus: Oberflächliche Uteruswunden werden bei intakter Schwangerschaft durch Nähte
versorgt. Bei ausgeprägter Verletzung des Uterus wird der Fetus unabhängig von der
SSW entfernt. Cave: Primär wird eine konservative Versorgung des Uterus angestrebt,
nur bei ausgedehnten Zerreißungen der Uteruswand erfolgt die Hysterektomie.
17.17.2
Frakturen
Diagnostik (Rö-Diagnostik) und Ther. (Osteosynthese, Gipsbehandlung) entsprechend
den chirurgischen Vorgaben, von der Schwangerschaft kaum beeinflusst (Vermeidung von
nicht unbedingt erforderlichen Rö-Untersuchungen!).
Beckenfrakturen
Diagnostik
▪
Auf urogenitale Verletzungen achten
▪
Für eine exakte Diagnose ist meist eine CT-Untersuchung erforderlich.
Therapie
▪
Stabile FrakturenBeckenringfraktur: Ventrale Stabilisierung ausreichend (Verplattung
der Symphyse, Zuggurtung der Symphyse)
▪
Komplette Beckenringverletzung: Zusätzlich Stabilisierung des Ileosakralgelenks notwendig.
Geburtshilfliches Vorgehen Der Entbindungsmodus bei Z. n. Beckenfraktur ist von der
Verschiebung der BeckenfrakturFragmente sowie der Kallusbildung abhängig.
17.17.3
Polytrauma
Bei Polytrauma der Schwangeren haben die exakte Diagnose (Rö-Diagnostik) und Ther.
(medikamentöse Ther., erforderliche OP) der Mutter Vorrang vor eventuellen Nachteilen
für den Fetus. Bei Hirntod der Mutter ist das weitere Vorgehen von der SSW abhängig
zu machen. Ein Fortführen der Schwangerschaft über mehrere Wochen ist auch bei Hirntod
der Mutter möglich. Das Vorgehen ist individuell in Zusammenarbeit mit Juristen, Medizinern
und den Angehörigen zu besprechen und Polytraumafestzulegen.
17.18
Hauterkrankungen in der Schwangerschaft
Peer Hantschmann
Für die korrekte Diagnosestellung und ggf. die Einleitung von adäquaten Therapiemaßnahmen
bei Hauteffloreszenzen in der Schwangerschaft ist es notwendig, path. Läsionen von
physiologischen Veränderungen zu differenzieren.
▪
Abgrenzen schwangerschaftsspezifischer Dermatosen von Hauterkr., die auch außerhalb
der Schwangerschaft auftreten, aber deren Verlauf z. T. gestationsbedingten Besonderheiten
unterliegen kann.
▪
Einschätzen des maternalen und fetalen Risikos
▪
Ther. von HauterkrankungenHauterkr. in Schwangerschaft und Stillperiode aufgrund der
teilweise wesentlichen Risiken der eingesetzten Medikamente individuell planen und
ggf. umstellen
▪
Grundsätzlich bei allen Dermatosen in graviditate Diagnostik und Ther. interdisziplinär
mit einem Dermatologen vornehmen.
17.18.1
Physiologische Veränderungen
Hyperpigmentierung der Haut
Tritt bei fast allen Frauen während der Schwangerschaft auf. Ursächlich sind die Melanozytenzunahme,
der stimulierende Effekt von Estrogen und Gestagen sowie die vermehrte Bildung des
melanozytenstimulierenden Hormons MSH.
▪
Generalisierte Pigmentzunahme: Selten, kann Zeichen eines Hyperthyreoidismus sein.
▪
Lokalisierte Hyperpigmentierung: typische Prädilektionsstellen
▪
Areola: Zunahme der Pigmentierungsintensität. HyperpigmentierungVergrößerung der pigmentierten
Zone mit zunehmendem Gestationsalter (sog. sekundäre Areola)
▪
Linea alba: Zwischen Symphyse und Xiphoid, i. d. R. subumbilikal betont, aufgrund
der bräunlichen Verfärbung als Linea fusca bezeichnet
▪
Lentiginose der Perianalregion und Genitalien
▪
Streifenförmige Pigmentierung der Fingernägel
▪
Selten können auch Hautareale mit unterschiedlicher Areola, sekundärePigmentierung
scharf voneinander getrennt auftreten, die evtl. als Folge unterschiedlicher neuronaler
Einflüsse auf die Melanozytenpopulation im Versorgungsgebiet der verschiedenen Hautnerven
entstehen.
Linea fusca
Melasma Fleckige, meist symmetrische Lentiginosegraubraune Färbung im Gesicht, die
durch Sonnenlicht exazerbiert. Kann zu einer ausgeprägten psychischen Belastung der
Schwangeren führen.
▪
Ursache: erhöhter Estrogen- und Progesteroneinfluss, genetische Faktoren, UV-Strahlung
▪
Verteilungsmuster: zentral (Stirn, Wangen, Oberlippe und Kinn; häufigster Typ), maxillar
(Jochbein), mandibular (am seltensten, ca. < 10 %)
▪
Mittels Wood-Licht lassen sich 4 Melasmaverschiedene Typen der Pigmentierung unterscheiden:
Epidermaler Typ (70 %; Verstärkung im Wood-Licht mit erhöhtem Melanin in der Basal-
und Suprabasalschicht; spricht gut auf depigmentierende Substanzen an). Dermaler Typ
(10 %; ohne Intensitätszunahme im Wood-Licht: spricht schlecht auf depigmentierende
topische Medikamente an)Gemischter Typ (20 %) und nicht determinierbar (2 %)
▪
Therapie: Zur Verminderung der Intensität des Melasmas haben sich die Vermeidung starker
Sonnenexposition und ggf. die kontinuierliche Anwendung von Sonnenschutz mit hohem
Lichtschutzfaktor bewährt. Bei einem persistierenden Melasma kann Azelainsäure-Creme
versucht werden.
▪
Prognose: postpartal meist komplette Rückbildung, kann aber partiell fortbestehen
und in weiteren Schwangerschaften oder bei Anwendung oaler Kontrazeptiva wieder auftreten.
Gefäßveränderungen
Alle Frauen entwickeln in der Schwangerschaft Gefäßveränderungen unterschiedlichen
Ausmaßes in der Haut. Es handelt sich dabei um eine physiologische Adaptation, mediiert
durch hormonelle Stimulation durch hCG, ACTH, LHRH und TRH. Diese induzieren eine
Zunahme des zirkulierenden Blutvolumens mit erhöhter Vaskularisierung, vasomotorischer
Instabilität und Proliferation sowie einer Dilatation der Hautgefäße.
Spider-Nävi
▪
Inzidenz in der kaukasischen Bevölkerung 67 %
▪
Physiologie: entwickeln sich typischerweise am Ende des 1. Trimenons und nehmen im
Schwangerschaftsverlauf an Größe und Zahl zu
▪
Lokalisation: besonders im Abstrom der V. cava superior, v. a. an Nacken, Kehle, Gesicht
und oberer Extremität
▪
Prognose: I. d. R. innerhalb von 3 Mon. postpartal Regression. 10 % persistieren und
benötigen ggf. eine Elektrokauterisation.
Spider-Nävi
Palmarerythem
▪
Pathophysiologie: Folge einer venös-kapillären Abflussstörung
▪
Lokalisation: diffuses fleckiges Erythem meist unter Aussparung der Finger. Zum Teil
finden sich auch blasse und zyanotische Areale.
▪
DD: kutaner Ausbruch eines SLE (Finger und Nagelhaut mit betroffen), Hyperthyreose,
Leberzirrhose.
▪
Prognose: Zurückbildung meist innerhalb 1 Wo. p. p.
Varikose
▪
Epidemiologie: Bei 40 % Palmarerythemaller Schwangeren
▪
Pathophysiologie: Ursächlich ist neben dem erhöhten Venendruck eine Fragilitätszunahme
des elastischen Bindegewebes in der Schwangerschaft.
▪
Lokalisation: vor allem in Anus, Rektum, Vulva und Unterschenkelbereich
–
Jacquemier-Chadwick-Zeichen: purpurne Färbung der Vaginalhaut durch Gefäßerweiterung
in Vagina und Vestibulum
–
Varikose
Goodell-Zeichen: bläuliche Zervixverfärbung
▪
Therapie: Beinhochlagern und Schlafen in Seiten-Trendelenburg-Lage zur Verminderung
des venösen Drucks physikalisch wirksam, Laxanzien und Lokalanästhetika können bei
Hämorrhoiden Erleichterung verschaffen.
▪
Jacquemier-Chadwick-Zeichen
Prognose: Häufig bilden sich die Veränderungen p. p. zurück.
Cutis marmorata Fleckige blaue Verfärbung der Unterschenkel bei Goodell-ZeichenKälteexposition
durch die erhöhte vasomotorische Instabilität unter hohem Estrogeneinfluss. Verschwindet
meist nach der Geburt. Bei Fortbestehen an eine Livido reticularis denken und eine
Abklärung auf Kollagenosen, Neoplasien und Blutbildveränderungen vornehmen.
Spontane Hämangiome Entwickeln sich bei 5 % der Schwangeren v. a. an Händen und Nacken.
SieCutis marmorata treten im 2. oder 3. Trimenon auf, vergrößern sich langsam bis
zur Entbindung und bilden sich anschließend zurück.
Granuloma oder Epulis gravidarum Sonderform eines oralen kapillären Hämangioms. Imponiert
rötlich papulo-nodulär. Tritt meist im 2. Trimenon auf. HämangiomeÄtiologisch scheint
das Zusammenspiel der Hormone mit Traumata und Irritationen (Karies, Kronen) verantwortlich
zu sein. Zur Ther. der häufig unangenehm blutenden und sekundär ulzerierenden Tumoren
kann Vitamin C versucht werden.
Purpura und diffuse Petechien Sind Granuloma gravidarum
Epulis gravidarumbetont an den Unterschenkeln, häufig in der 2. Schwangerschaftshälfte
und bilden sich i. d. R. postpartal spontan zurück.
Strukturelle Veränderungen
Striae gravidarum
▪
Epidemiologie: entwickeln sich in bis zu 90 % der Schwangerschaften. Erhöhtes Risiko
bei jungen Schwangeren, fetaler Makrosomie und erhöhtem BMI
▪
Purpura
Lokalisation: v. a. an Abdomen, Petechienaber auch an Brüsten, Oberschenkeln, Gesäß,
Armen, Leisten
▪
Pathophysiologie: unklar, angenommen werden die ausgeprägte Hautdehnung mit physikalischer
Schädigung der Kollagenfasern sowie hormonelle Einflüsse.
▪
Klinik: Beginn als pink-violette Verdünnung Striae gravidarumder Haut mit postpartaler
Abblassung, aber nicht vollständiger Rückbildung
▪
Prophylaxe: keine echte Evidenz für die vielfach propagierten Externa!
▪
Therapie: unbefriedigend. Vorgeschlagen werden Massagen mit Öl, Retinoide sowie Laser.
Molluscum fibrosum gravidarum
▪
Klinik: Charakteristisch sind zahlreiche kleine gestielte und leicht pigmentierte
weiche Hautauswüchse.
▪
Lokalisation: bevorzugt seitlich am Nacken, in der Axilla, der Inguinalregion und
der Submammärfalte
▪
Therapie: Sehr effektiv sind Elektrokauterisation, Stickstoffvereisung und die oberflächliche
Exzision (shave excision).
▪
Prognose: treten in der 2. Schwangerschaftshälfte auf und bilden sich häufig postpartal
Molluscum fibrosum gravidarumzurück. Persistierende Läsionen können in folgenden Schwangerschaften
ein deutliches Wachstum aufweisen.
Veränderungen der Hautanhangsgebilde
Ekkrine Schweißdrüsen Die Aktivität nimmt im Schwangerschaftsverlauf durch eine Veränderung
der Nebennierenrindenaktivität und der Regulation des autonomen Nervensystems deutlich
zu. Ausgenommen sind die Handflächen, da die erhöhte Nebennierenaktivität hier zu
einer Suppression führt. Entsprechend ist die Inzidenz für Milaria und dyshidrotische
Ekzeme erhöht. Ther.: Bei belastender Hyperhidrosis 10–20-prozentige Aluminiumchloridlösung
einsetzen.
Apokrine Drüsen Die Aktivität ist in der Schwangerschaft reduziert. Folglich kommt
es häufig zur Besserung bei Fox-Fordyce-Erkr. und einer Hidradenitis suppurativa.
Postpartal ist dagegen ein schweres Wiederaufflammen möglich.
Talgdrüsen Die Talgproduktion ist v. a. in der 2. Schwangerschaftshälfte deutlich
erhöht. Schwangere sind häufig im 3. Trimenon durch fettige Haut belastet. Entsprechend
kann eine Akne in der Schwangerschaft erstmals auftreten oder sich verschlechtern,
allerdings sind auch Verbesserungen beschrieben.
Die Vergrößerung und Hypertrophie der Talgdrüsen der Areolae imponieren als zahlreiche,
leicht elevierte braune Papeln (Montgomery-Tuberkel), die zu den frühen Schwangerschaftszeichen
zählen und sich postpartal spontan zurückbilden.
Kopfhaare
▪
Klinik: Während der Schwangerschaft oft Verdickung und Zunahme der Kopfhaare, p. p.
häufig verstärkter Haarausfall. Gelegentlich kann es zu einem ausgeprägten Verlust
von Kopfhaaren kommen, die postpartal wieder nachwachsen, allerdings häufig weniger
voll. Cave: Sollte eine Effluvium > 6 Mon. postpartal fortbestehen, andere Ursachen
diagnostisch abklären.
▪
Pathophysiologie: Verlangsamung der Konversion von der Anagenphase (aktive EffluviumWachstumsphase)
zur Telogenphase (Abwurfphase) in der Schwangerschaft, gefolgt von einer postpartalen
Akzeleration. Das Effluvium wird durch die abrupte hormonale Umstellung sowie Trauma
und emotionalen Stress unter der Geburt beeinflusst.
Körperbehaarung Kann in der Schwangerschaft, v. a. bei Frauen mit konstitutionell
ausgeprägter Körperbehaarung, zunehmen. Cave: Bei ausgeprägtem Hirsutismus dennoch
Androgenquelle ausschließen.
Finger- und Zehennägel An den Nägeln können sich quere Beau-Reil-Furchen ausbilden
sowie eine Abhebung der Nagelplatte vom distalen Rand (distale Onycholyse). Bei einer
vermehrten Brüchigkeit der Nägel (Onychorrhexis) sind Nagelsalben oder rückfettende
Bäder sinnvoll.
17.18.2
Dermatosen und Schwangerschaft
Prinzipiell können sämtliche DermatosenDermatosen auch in der Schwangerschaft auftreten.
Dabei kommt den Infektionskrankheiten besondere Bedeutung zu.
Infektionsbedingte Hauterkrankungen in der Schwangerschaft
Beau-Reil-FurchenUnter den bakteriellen Infektionen mit Beteiligung der Haut ist neben
der Lues v. a. die Borreliose hervorzuheben. OnycholyseEntwickelt sich nach Zeckenkontakt
ein Erythema chronicum migrans oder finden sich kutane Onychorrhexisrötliche Noduli,
eine Borrelieninfektion abklären und ggf. frühzeitig mit Penicillin oder Cephalosporinen
therapieren, da sonst das Risiko für Aborte, Frühgeburtlichkeit und IUGR erhöht ist.
Die Entwicklung eines Erythema nodosum ist in der 1. Schwangerschaftshälfte häufiger.
Durch die Schwangerschaft beeinflusste Dermatosen in graviditate
FürBorreliose einige Dermatosen wurde eine schwangerschaftsbedingte Aggravierung beschrieben
(Tab. 17.43
). Eine exakte Vorhersage des Verlaufs in der Schwangerschaft ist dabei grundsätzlich
nicht möglich.
Tab. 17.43
Dermatosen mit potenzieller schwangerschaftsbedingter Verschlechterung
Infektionen
Autoimmunerkrankungen
Sonstige
•
Vulvo-vaginale Candidose
•
Trichomoniasis (18.3.3)
•
Condylomata acuminata
•
Pityrosporumfollikulitis
•
Herpes simplex (18.1.1)
•
Varizellen, Zoster (18.1.5)
•
SLE (17.19.3)
•
Systemische Sklerodermie
•
Dermatomyositis
•
Pemphigus
•
Acrodermatitis enteropathica
•
Neurofibromatose
•
Atopisches Ekzem
•
Psoriasis vulgaris
[nach Winton 1989]
Psoriasis und atopisches Ekzem Sowohl Verschlechterung als auch Besserung möglich.
Impetigo herpetiformis Sonderform der Psoriasis pustularis in der Schwangerschaft,
häufig als schwangerschaftsspezifische Dermatose klassifiziert. Auftreten in der zweiten
Schwangerschaftshälfte.
▪
Klinik: großflächige Erytheme mit randständigen Pusteln v. a. am unteren Abdomen und
an den Oberschenkelinnenseiten. Typisch ist die Aussparung von Gesicht, Händen und
Füßen, dagegen kann die Mundschleimhaut betroffen sein und eine Onycholyse aufgrund
einer subungualen Impetigo herpetiformisPustelbildung auftreten. Systemische Symptome
(Nausea, Emesis, Diarrhö, Lymphadenopathie), z. T. Hypoalbuminämie, Septikämie
▪
Diagnostik: Leukozytose, Serumkalzium ↓. Histologisch spongiforme Pustel.
▪
Therapie: systemisch Glukokortikoide. Bei Sekundärinfektion zus. Antibiotika
▪
Prognose: Die früher schlechte maternale Prognose hat sich durch die Glukokortikoidther.
deutlich gebessert, dagegen treten auch heute noch gehäuft Totgeburten (Kap. 19) und
IUGR (Kap. 14) auf.
Pemphigus vulgaris Negative Beeinflussung durch eine Schwangerschaft. Häufig findet
sich auch eine Erstmanifestation, die von einem Herpes gestationis ggf. immunhistochemisch
abgegrenzt werden muss.
▪
Pathophysiologie: Die Auto-AK beim Pemphigus sind gegen einen desmosomalen Adhäsionsproteinkomplex
gerichtet und können die Plazentaschranke passieren. In diesen Fällen sind Blasenbildungen
beim Neugeborenen möglich.
▪
Prognose: Die kindliche Pemphigus vulgarisMorbidität und Mortalität sind erhöht.
Nävi Zeigen nach der klinischen Beobachtung in der Schwangerschaft häufig eine Größen-
und Pigmentierungszunahme, allerdings konnte dies nicht durch objektive Kriterien
nachgewiesen werden. Diese klinische Erfahrung kann unter Umständen die Diagnose eines
malignen Melanoms verzögen. In Zweifelsfällen immer eine histologische Klärung anstreben.
Maligne Melanome Zeigen durchschnittlich eine größere Tumordicke in der NäviSchwangerschaft.
▪
Inzidenz: 0,14–2,8/1.000 Entbindungen
▪
Therapie: nach den gleichen Standards wie bei nicht schwangeren Pat.
▪
Prognose: allgemein unverändert, allerdings scheint sie bei lymphogen metastasierenden
Tumoren schlechter zu sein.
!
Es besteht keine grundsätzliche Ind. zum Schwangerschaftsabbruch.
Sklerodermie und Dermatomyositis
MelanomNegative Schwangerschaftseinflüsse auf die Erkr. sind beschrieben. Bei einer
Sklerodermie eine mögliche Nierenbeteiligung abklären, da diese Pat. das Risiko einer
Pfropfpräeklampsieentwicklung aufweisen.
17.18.3
Schwangerschaftsspezifische Dermatosen
Einteilung Aus einer Vielzahl von Synonymen haben Holmes und Black eine systematische
Terminologie der schwangerschaftsspezifischen SklerodermieDermatosen entwickelt (Tab.
17.44
). DermatomyositisDie Impetigo herpetiformis wird dabei nicht als schwangerschaftsspezifisch,
sondern als eine schwangerschaftsgetriggerte Form der Psoriasis pustularis klassifiziert
(17.18.2).
Tab. 17.44
Schwangerschaftsspezifische Dermatosen
Dermatose
Klinik
Effloreszenzen
Labor/Histologie
Rezidiv
Fetales Risiko
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
17.10.1
3. Trimenon, postpartale Rückbildung
Kratzeffekte, Ikterus (20 %)
Gallensäuren ↑, γ-GT ↑, AP ↑, Bilirubin ↑, Vit.-K ↓ Biopsie unspezifisch
++
Totgeburt, Frühgeburt, Fetal Disstress
Herpes gestationis
2.–3. Trimenon, postpartal
Initial abdominell Urtikaria, generalisiertes bullöses Exanthem
Subepidermale Vesiculae, linear C3 ± Ig
+++
Neonataler HG, SGA, Frühgeburt
Pruritische urtikarielle Papeln und Plaques in der Schwangerschaft
3. Trimenon, postpartal
Polymorph, initial abdominell in Striae, Nabel frei
Spongiöse Dermatitis, eosinophiles Infiltrat
–
–
Prurigo gestationis
2.–3. Trimenon, postpartal Rückbildung
Gruppierte Papeln an Extremitätenstreckseiten
Biopsie unspezifisch, Labor unauffällig
–
–
Pruritische Schwangerschaftsfollikulitis
2.–3. Trimenon, postpartal Rückbildung
Follikuläre Papeln und Pusteln
Sterile Follikulitis, Labor unauffällig
–
–
[nach Holmes und Black]
Evidenzbasierte Medizin in der Therapie der Schwangerschaftsdermatosen Grundsätzlich
liegen kontrolliert randomisierte Studien nur sehr eingeschränkt aufgrund der Seltenheit
der Krankheitsbilder und der heterogenen Nomenklatur vor. Zusammenstellung der Therapieoptionen
bei schwangerschaftsspezifischen Erkr. nach Fairlie (Tab. 17.45
).
Tab. 17.45
Evidenzbasierte Therapieoptionen bei schwangerschaftsspezifischen Hauterkr.
Maßnahme
Evidenzlevel
Empfehlungsgrad
Intrahepatische Schwangerschaftscholestase
Fetales Monitoring
III
B
IIB
B
Entbindung als definitive Ther.
–
v
Cholestyramin
–
v
Adenosyl-L-Methionin
IB
A
Dexamethason
III
B
Ursodesoxycholsäure
IB
A
Herpes gestationis
Hautbiopsie in Zweifelsfällen
IV
C
Orale Antihistaminika
–
v
Topische Kortikosteroide
–
v
Plasmapherese bei Prednisolonversagen
IV
C
Fetales Monitoring
–
v
Pruritische urtikarielle Papeln und Plaques in der Schwangerschaft
Hautbiopsie bei atypischen Effloreszenzen oder schwerem Verlauf
IV
C
Orale Antihistaminika
IB
A
Topische Kortikosteroide
–
v
Oral Prednis(ol)on
III
B
Prurigo gestationis
Topische Kortikosteroide
–
v
Orale Antihistaminika
IB
A
Pruritische Schwangerschaftsfollikulitis
Hautbiopsie bei schwerem Verlauf
IV
C
10 % Benzoylperoxid/1 % Hydrokortison
–
v
Herpes gestationis (HG)
Synonyme Pemphigoid gestationis, Dermatitis multiformis gestationis.
Definition Seltene autoimmune bullöse Dermatose der Schwangerschaft mit molekularbiologischer
und immungenetischer Verwandtschaft zum bullösen Pemphigoid, selten auch bei Molenschwangerschaften
oder paraneoplastisch bei Trophoblasttumoren.
Epidemiologie Die Inzidenz wird mit 1 : 10.000 bis 1 : 50.000 Herpes:gestationisSchwangerschaften
angegeben.
Pathophysiologie Bei dieser HLA-DR3- und HLA-DR4-assoziierten Autoimmunerkr. führen
Dermatitis multiformis gestationisIgG1-Auto-AK gegen BP180 (hemidesmosomales Glykoprotein)
über eine klassische Komplementaktivierung mit Eosinophilenchemotaxis und -degranulation
zur Schädigung der Hemidesmosomen. Hypothetisch wird die Entstehung aufgrund einer
immunologischen Reaktion gegen paternale Klasse-II-Antigene an der plazentaren Basalmembran
angenommen, die mit der Haut kreuzreagieren. Diese Hypothese wird unterstützt durch
den Nachweis von Anti-HLA-AK bei allen Pat. mit HG, da das Plazentagewebe aus paternalen
Genen entsteht und entsprechend die abnormale Expression von paternalen Klasse-II-Antigenen
zu einem Anstieg der Anti-HLA-AK führen könnte. Es müssen aber weitere unbekannte
Pathomechanismen involviert sein, da AK-Level und Stärke der Eosinophilie nicht mit
der Krankheitsausprägung korrelieren und Auto-AK und C3 auch nach Rückbildung positiv
sein können.
Klinik Manifestation im 2. oder 3. Trimenon, häufig Besserung in der sehr späten Schwangerschaft,
Exazerbation in 20 % unmittelbar postpartal.
▪
50 % entwickeln zunächst eine abdominale Urtikaria, bevorzugt periumbilikal.
▪
Die generalisierte bullöse Reaktion spart das Gesicht, die Handflächen und die Fußsohlen
sowie die Schleimhäute aus.
▪
Starker, belastender Juckreiz
▪
Im Verlauf entwickeln 75 % eine Verschlechterung sub partu.
▪
In 10 % Ausbildung von neonatalen Vesikulae, wahrscheinlich aufgrund einer Plazentapassage
der Auto-AK. Die Läsionen sind i. d. R. gering ausgeprägt und selbstlimitierend, allerdings
besteht die Gefahr der Superinfektion.
▪
Aufgrund der möglichen Kreuzreaktion der Auto-AK mit plazentaren Antigenen kann sich
eine milde plazentare Insuff. ausbilden, → IUGR (Kap. 14) und vorzeitige Entbindungen
beschrieben, allerdings keine kindliche Morbiditäts- oder Mortalitätserhöhung.
Differenzialdiagnosen Kontaktdermatitis und Arzneimittelexantheme.
Diagnostik
▪
Labor: Eosinophilie
▪
Histologie:
–
Subepidermale Vesiculae, spongiotische Epidermis und perivaskuläre Infiltrate aus
Lymphozyten, Histiozyten und Eosinophilen
–
Immunhistologisch in der periläsionalen Haut linear C3 entlang der Basalmembran
–
Direkte Immunfluoreszenz: IgG lediglich bei < 40 % nachweisbar, in der indirekten
immer als Zeichen der hohen Komplementbindungskapazität der Auto-AK.
Therapie Glukokortikoide, in der Frühphase evtl. topisch, sonst oral (20–40 mg/d Prednison
meist ausreichend). Orale Antihistaminika. Bei refraktären Verläufen ggf. postpartal
Cyclophosphamid, Pyridoxin, Gold oder Methotrexat, unklar ist die Bedeutung von Tetrazyklinen,
Ciclosporin A und i. v. Immunglobulinen.
Prognose Meist spontane Rückbildung postpartal. Allerdings auch protrahierte Verläufe,
Konversionen zu einem bullösen Pemphigoid sowie Rezidive mit der Menses und der Einnahme
oraler Kontrazeptiva möglich.
▪
Weitere Schwangerschaft: Hohes Wiederholungsrisiko, typisch mit einem Auftreten früher
im Schwangerschaftsverlauf, in ausgeprägterer Form und postpartal länger anhaltend.
Auch fehlende Krankheitszeichen in einer Folgeschwangerschaft mit einem erneuten Auftreten
in der nächsten Schwangerschaft (sog. Skip-pregnancies) sind beschrieben.
▪
Erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Autoimmunerkr. (v. a. Basedow-Krankheit).
Pruritische urtikarielle Papeln und Plaques in der Schwangerschaft
Synonyme Pruritic urticarial papules and plaques of pregnancy (PUPPP), Bourne toxisches
Schwangerschaftserythem, polymorphes Schwangerschaftsexanthem.
Epidemiologie Häufigste schwangerschaftsspezifische Dermatose mit einer Inzidenz von
1 : 130 bis 1 : 300.
Pathophysiologie Die Entstehung der Erkr. ist nicht geklärt. Hypothetisch wird aufgrund
der schnellen Bauchumfangszunahme ein Schädigung im Pruritic urticarial papules and
plaques of pregnancyBindegewebe diskutiert, die zur Konversion ursprünglich nicht
antigener Moleküle in Antigene führt. Diese Theorie wird durch die Schwangerschaftsexanthem,
polymorphesAssoziation des Krankheitsbildes mit Mehrlingsschwangerschaften und starker
Gewichtszunahme in der Schwangerschaft unterstützt. Der Nachweis fetaler DNA in den
Läsionen führte zu der Spekulation, dass eine Migration fetaler Zellen an der Pathogenese
beteiligt sein könnte, die in den Striae aufgrund der erhöhten Gefäßpermeabilität
besonders ausgeprägt ist. Darüber hinaus wird eine Bedeutung der Sexualhormone, v.
a. des Progesterons, diskutiert.
Klinik Manifestation typischerweise im 3. Trimenon bei Erstgravidae, selten auch postpartal.
Besonders häufig sind Mehrlingsschwangerschaften betroffen (11,7 %).
▪
Stark juckende, polymorphe Läsionen mit urtikariellem, z. T. auch vesikulärem oder
polyzyklischem Erscheinungsbild. In ⅔ beginnt das Exanthem an den abdominellen Striae
unter Aussparung des Nabels mit anschließender Ausbreitung über Stamm und Extremitäten.
Dabei bleiben die Handflächen und Fußsohlen typischerweise frei.
▪
Kratzbedingte Sekundäreffekte sind auffallend selten, wohl als Folge einer vermehrten
Scheuerbewegung gegen den Juckreiz.
Diagnostik Ausschlussdiagnose, da das klinische Bild sehr variabel sein kann und typische
diagnostische Kriterien ebenso wie Laborauffälligkeiten fehlen. Sowohl Serologie als
auch Immunfluoreszenz sind unauffällig, histologisch findet sich ein uncharakteristisches
dermales perivaskuläres lymphohistiozytäres Infiltrat. Cave: Wichtigste DD ist der
Herpes gestationis, bei dem aber i. d. R. die Striae keine Prädilektionsstelle darstellen
und der Nabel mitbetroffen ist.
Therapie Zur Behandlung sind topische Antipruriginosa oder Kortikosteroide ausreichend,
nur selten ist eine kurzzeitige systemische Kortikosteroidapplikation erforderlich.
Prognose Mütterliche und fetale Prognose sind sehr gut. Rezidive in Folgeschwangerschaften,
unter oraler Kontrazeptivaeinnahme und während der Menses sind selten.
Prurigo gestationis (Prurigo of pregnancy = PP)
Synonyme Papulöse Dermatitis Spangler.
Epidemiologie Zweithäufigste schwangerschaftsspezifische Dermatose. Inzidenz von 1
: 300 bis 1 : 450.
Pathophysiologie Auch hier liegen kaum pathogenetische Erkenntnisse vor. Es werden
teilweise eine Assoziation zur atopischen Diathese beschrieben sowie erhöhte Serum-IgE-Werte
gefunden. Dies hat zur Hypothese geführt, die PP evtl. als Pruritus gravidarum bei
Pat. mit atopischer Prädisposition zu erklären.
Klinik Die Erkr. tritt Prurigo gestationismeist im 2. oder 3. Trimenon auf.
▪
Gruppierte exkorierte und verkrustete Papeln vorwiegend an den Streckseiten der Extremitäten
und selten am Abdomen
▪
Nach Aufkratzen heilen die Veränderungen häufig narbig unter Hyperpigmentierung ab.
Diagnostik Problematisch ist die Abgrenzung zur ICP. Häufig ist der wesentliche Unterschied
das Fehlen initialer Effloreszenzen bei der ICP.
Therapie Die Behandlung erfolgt rein symptomatisch.
Prognose Die Prognose für Mutter und Kind ist sehr gut. Nach der Entbindung erfolgt
üblicherweise eine protrahierte Rückbildung der Symptomatik, die durchaus 3 Mon. dauern
kann. Häufig kommt es in Folgeschwangerschaften zum Rezidiv.
Pruritische Schwangerschaftsfollikulitis
Synonyme Pruritic folliculitis of pregnancy = PFP.
Epidemiologie Inzidenz ist nicht exakt bekannt, da sie häufig als mikrobielle Follikulitis
oder PUPPP fehlinterpretiert wird.
Pathophysiologie Das Fehlen hormonaler oder immunologischer Auffälligkeiten lässt
die Pathogenese ungeklärt, allerdings wird eine hormoninduzierte Akneform durch hypersensible
Endorgane unter schwangerschaftsbedingt erhöhten Sexualhormonspiegeln diskutiert.
Schwangerschaftsfollikulitis, pruritische
Klinik Es finden sich meist stark juckende follikuläre Papeln und Pusteln am Stamm
und an der oberen Extremität. In einer größeren Studie konnten ein vermindertes Geburtsgewicht
sowie eine größere Anzahl männlicher Feten (2 : 1) nachgewiesen werden.
Diagnostik Histopath. findet sich eine sterile Follikulitis ohne auffällige Immunfluoreszenz.
Therapie Topisch Benzoylperoxid, topisch Glukokortikoide, UV-B-Ther.
Prognose Keine erhöhte maternale oder fetale Morbidität. Die Erkr. heilt postpartal
spontan.
17.18.4
Therapeutische Grundsätze bei Dermatosen in der Schwangerschaft
Ther. Dermatosen:Therapiegrundsätzlich mit den geringstmöglichen NW und Risiken für
den Fetus durchführen. Häufig ist eine topische Applikation der systemischen vorzuziehen.
Nach der Klassifikation der US Food and Drug Administration (FDA) werden Medikamente
bezüglich ihrer Anwendungssicherheit in verschiedene Klassen eingeteilt. Die vorwiegend
gegen Pruritus verwendeten Medikamente sind dabei in die Klasse B (kein Hinweis auf
humane Risiken) und C (Risiko kann nicht ausgeschlossen werden) eingeordnet (Übersicht
bei Hale).
▪
Antihistaminika: Für die 1. Generation bestehen deutlich längere Erfahrungen, dagegen
weist die 2. Generation keinen sedierenden Effekt mehr auf. Die beiden H1-Blocker
der 2. Generation mit FDA-Klasse B sind Cetrizin und Loratadin.
▪
Topischen Glukokortikoide (FDA-Klasse C): Die systemische Resorption hängt von der
Potenz, der Vehikelsubstanz und der therapierten Körperoberfläche ab.
▪
Systemische Glukokortikoide: Prednison und Prednisolon werden der Klasse B zugeordnet,
Dexamethason und Betamethason der Klasse C. Bei der systemischen Gabe hat sich im
Tierversuch eine erhöhte Inzidenz von Gesichtsspaltbildungen gezeigt, die sich aber
beim Menschen bislang nicht bestätigen ließ.
Spezielle Krankheitsbilder
▪
Psoriasis: KI für zahlreiche Therapeutika (Retinoide, MTX) beachten. Bewährt hat sich
für Erkr., die weniger als 10 % der KÖF betreffen, die Kombination aus Vit.-D3-Analoga
und topischen Glukokortikoiden.
▪
Atopisches Ekzem: Topisch mit harnstoff- oder glukokortikoidhaltigen Salben behandeln.
Über mögliche Auswirkungen auf den Fetus durch die Anwendung von UV-Strahlen liegen
keine gesicherten PsoriasisErkenntnisse vor.
▪
Pemphigus vulgaris: Ther. mit zytotoxischen Substanzen vermeiden und systemische Glukokortikoide
bevorzugen.
17.19
Autoimmunkrankheiten
Stephanie Pildner von Steinburg
Autoimmunreaktion Autoimmunreaktionen sind gekennzeichnet durch das Auftreten autoreaktiver
B-Zellen und zytotoxischer T-Zellen. Im gesunden Zustand der Selbsttoleranz sind zwar
autoreaktive Zellklone Pemphigus vulgaris:Therapievorhanden, ihnen wird jedoch keine
Hilfe durch T-Helferzellen gewährt, sodass sie nicht aktiv werden können. Verschiedene
Mechanismen ermöglichen die Aktivierung autoreaktiver T-Helferzellen:
▪
Spezielle T-Zellen (Kontrasuppressorzellen) unterlaufen die T-Suppressorzellen und
bewirken eine Aktivierung der T-Helferzellen.
▪
Die Expression eines Autoantigens zusammen mit einem HLA-Antigen auf Monozyten kann
zur Aktivierung der T-AutoimmunkrankheitenHelferzellen führen.
▪
Die Änderung eines tolerierten Autoantigens durch Konjugation mit einem bakteriellen
Antigen oder einer chemischen Substanz kann die T-Helferzelle aktivieren (molekulares
Mimikry).
▪
Viren können B-Zellen und zytotoxische T-Zellen unter Umgehung der T-Helferzellen
aktivieren.
Es gibt abhängig von der Lokalisation des Autoantigens organspezifische und systemische
Autoimmunerkr. (Tab. 17.46
).
Tab. 17.46
Auswahl organspezifischer und systemischer Autoimmunerkr.
Organspezifische Autoimmunerkr.
Systemische Autoimmunerkr.
•
Endokrines System
–
Hashimoto-Thyreoiditis
–
Basedow-Krankheit (17.8.4)
–
Typ-1-Diabetes (17.4)
–
Addison-Krankheit
•
Gastrointestinales System
–
Autoimmunhepatitis (17.10.6)
–
Primäre biliäre Zirrhose (17.10.7)
–
Sklerosierende Cholangitis (17.10.8)
–
Glutensensitive Enteropathie
–
Enteritis regionalis Crohn (17.11), Colitis ulcerosa (17.11)
•
Haut
–
Erythema nodosum
–
Pemphigus vulgaris
–
Autoimmune Alopezie
•
Hämatologisches System
–
Autoimmune hämolytische Anämie
–
Autoimmune thrombozytopenische Purpura
•
Neuromuskuläres System
–
Myasthenia gravis (17.12.5)
–
Multiple Sklerose (17.12.6)
–
Guillain-Barré-Sy.
•
Kollagenosen und Arthritiden
–
SLE (17.19.3)
–
Systemische Sklerodermie
–
Mischkollagenosen
–
Rheumatoide Arthritis (17.19.1)
–
Reaktive Arthritis
–
Psoriasisarthritis
•
Vaskulitiden
–
Systemische nekrotisierende Vaskulitiden
–
Panarteriitis nodosa
–
Granulomatose mit Polyangiitis
–
Behçet-Sy.
–
Thrombangiitis obliterans
Immuntoleranz in der Schwangerschaft Die maternale Immuntoleranz ist in der Schwangerschaft
erheblich verändert, da der Organismus den genetisch nur zur Hälfte identischen Fetus
nicht abstoßen darf. Der maternale Organismus muss aber weiterhin abwehrbereit sein,
es besteht keine generalisiert verminderte Abwehr. Impfungen führen z. B. zu normaler
Immunantwort. Es kommt zur Anpassung verschiedener T-Zell-Subpopulationen und der
Expression einzelner Zytokine. Maternale T-Zellen erkennen fetale Alloantigene, wie
sich an einem Anteil von 10–30 % fetusspezifischer maternaler T-Zellen zeigt. Trotzdem
tolerieren sie paternale Antigene z. B. über Mechanismen wie Auslöschung bestimmter
Klone durch Apoptose und Downregulation verschiedener T-Zell-Rezeptoren.
Bedeutung von Autoimmunerkrankungen für eine Schwangerschaft Es gibt Erhebungen, die
zeigen, dass ca. 3 % der Frauen im gebärfähigen Alter an systemischen Autoimmunerkr.
leiden. Für den Schwangerschaftsverlauf entscheidend sind der Umfang der Organbeteiligung
der Mutter, das Vorhandensein von Auto-AK und die Notwendigkeit einer medikamentösen
Ther.
Daher besteht generell die Empfehlung, eine Schwangerschaft bei Vorliegen einer Autoimmunerkr.
sorgfältig zu planen:
▪
Vorbestehende Organbeteiligungen und ihren Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf
und den Geburtsmodus einschätzen
▪
Prognose der Erkr. im Verlauf der Schwangerschaft mit der Pat. diskutieren. Eine Übersicht
über das Verhalten verschiedener Autoimmunerkr. in der Schwangerschaft Tab. 17.47
.
Tab. 17.47
Verhalten verschiedener Autoimmunerkr. in der Schwangerschaft.
Autoimmunerkr.
Verhalten in der Schwangerschaft
Komplikationen in der Schwangerschaft
Maternal
Fetal
Rheumatoide Arthritis (17.19.1)
30 % Besserung20% Verschlechterung
Selten
SGA-Raten erhöht
Spondylitis ankylopoetica
Unverändert
Nein
Nein
SLE (17.19.3)
30–70 % Schub (7 % schwer)
Renal, hämatolog., ZNS
Neonataler Lupus,kongenitaler Herzblock
Antiphospholipidsy.
Verschlechterung
Thrombosen, Embolien, Präeklampsie
Aborte, vorzeitige Plazentalösung
Anti-SS-A/B-AK
Je nach Grunderkr.
Je nach Grunderkr.
Neonataler Lupus, kongenitaler Herzblock
▪
Bei allen Erkr. nehmen Schwangerschaften den günstigsten Verlauf, wenn sie aus einer
stabilen und symptomarmen Episode heraus entstehen.
!
Für die Lupusnephritis gilt eine Schwangerschaft im aktiven Schub als kontraindiziert,
um den Verlauf nicht noch zu verschlechtern.
▪
Laboruntersuchungen auf Anämie, Thrombozytopenie, Auto-AK und Proteinurie, um ein
spezifisches Vorgehen zu konzipieren (17.19.5).
17.19.1
Rheumatoide Arthritis
Definition Autoimmune, chron. inflammatorische Gelenkerkr.
Epidemiologie
▪
Häufigkeit: 1–2 % der erwachsenen Bevölkerung. Häufigkeitsgipfel im 4. Lebensjahrzehnt.
Frauen sind 3- bis 4-mal häufiger betroffen als Männer. Familiäre Häufung.
▪
Risikofaktoren: genetische Disposition, Schwangerschaften mit ungünstigem Ausgang
in der Anamnese, Rauchen, Adipositas, kürzlich durchgemachte Infektionen.
Ätiologie Unbekannt. Es besteht eine Rheumatoide Arthritisgenetische Disposition:
bis zu 70 % der Pat. haben das HLA-Antigen DR4 (Gesunde zu ca. 25 %). DR4-Homozygote
zeigen oft einen schweren Verlauf.
Pathophysiologie Autoreaktive T-Helferzellen, B-Lymphozyten und andere Immunzellen
infiltrieren die Synovialis der Gelenke. Durch deren Interaktionen werden Zytokine
(z. B. IL-1, IL-6, TNF-α usw.), Immunglobuline und Auto-AK gegen das Fc-Fragment des
Immunglobulins G (Rheumafaktor) produziert, was zu Komplementaktivierung und Freisetzung
weiterer Entzündungsmediatoren und knorpelaggressiver Enzyme führt. Die Synovialis
wird verdickt und der Knorpel unaufhaltsam zerstört.
Klinik In der Schwangerschaft ist die Klinik unverändert:
▪
Unspezifische Allgemeinsymptome: Müdigkeit, subfebrile Temperaturen, Myalgien, Nachtschweiß
▪
Symmetrische Polyarthritis: Beginn an den kleinen Gelenken (Finger!), zentripetales
Fortschreiten. Im akuten Schub Gelenkergüsse. Nicht betroffen sind die distalen Interphalangealgelenke,
die Brust- und die Lendenwirbelsäule.
▪
Rheumaknoten (20–50 %) in Sehnen und subkutan über Knochenvorsprüngen
▪
Nagelveränderungen (selten)
▪
Organmanifestationen:
–
Kardial: Perikarditis und Herzklappenveränderungen (30 %), meist asymptomatisch; granulomatöse
Myokarditis
–
Lunge: Pleuritis (50 %) oft asymptomatisch; Fibrose (5 %, DD: Methotrexat-NW)
–
Leber: unspezifische Enzymerhöhung
–
Gefäße: digitale Vaskulitis, vorzeitige Arteriosklerose
–
Neuropathien
▪
Sicca-Sy.: insgesamt 20 %, Keratoconjunctivitis sicca in 30 %.
Diagnostik Kriterien zur Diagnose einer rheumatoiden Arthritis Tab. 17.48
.
▪
Labor: unspezifische Entzündungszeichen (= Aktivitätszeichen): BSG und CRP ↑, α/γ-Globuline
↑, Eisen im Serum ↓, Infektanämie, leichte Thrombo- und Leukozytose.
–
Rheumafaktoren: initial bei 40 % positiv, im Verlauf bei 80 %.
–
Anti-CCP(cyclic citrullinated peptide)-AK: Vergleichbare Sensitivität wie Rheumafaktor,
aber hohe Spezifität (> 95 %)
–
Antinukleäre AK (ANA): Bei etwa 30 %, Titer oft niedrig
–
Evtl. Anti-SS-A-, Anti-SS-B-, Anti-Phospholipid-AK
▪
Bildgebende Verfahren: Sonografie, MRT und Röntgen nur mit strenger Indikationsstellung
in der Schwangerschaft zum Nachweis von Knorpel- und Gelenkveränderungen. Cave: Befallene
Gelenke werden instabil.
Tab. 17.48
Kriterien zur Diagnose einer rheumatoiden Arthritis des American College of Rheumatology
2010 (www.rheumatology.org)
A.
Gelenkbefall
1 großes Gelenk
0
2–10 große Gelenke
1
1–3 kleine Gelenke (mit oder ohne Befall großer Gelenke)
2
4–10 kleine Gelenke (mit oder ohne Befall großer Gelenke)
3
> 10 Gelenke (mind. 1 kleines Gelenk)
5
B.
Serologie (mind. 1 Untersuchung notwendig)
Negativer RF und negative ACPA (AK gegen citrullinierte Peptid/Protein-Antigene)
0
Niedrig positiver RF oder niedrig positive ACPA
2
Hoch positiver RF oder hoch positive ACPA
3
C.
Akute-Phase-Reaktion (mind. 1 Untersuchung notwendig)
Normales CRP und normale BSG
0
Erhöhtes CRP oder erhöhte BSG
1
D.
Dauer der Symptome
< 6 Wochen
0
≥ 6 Wochen
1
Summe der Punkte aus den Kategorien A–D; eine Punktzahl von ≥ 6/10 wird zur definitiven
Diagnose einer RA benötigt
[F845-001]
Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft Im Gegensatz zu früheren Annahmen von bis
zu 90% Remissionen während einer Schwangerschaft beruhend auf subjektiven Angaben
von Pat. oder Behandler, finden sich mit objektiven Untersuchungsmethoden nur bei
30 % der Pat. eine Besserung der Symptome. 50 % behalten ihre niedrige Krankheitsaktivität,
20% verschlechtern sich oder müssen aufgrund ihrer hohen Krankheitsaktivität im Schwangerschaftsverlauf
behandelt werden.
▪
Eine spontane Verbesserung durch die Schwangerschaft ist bei Frauen unter laufender
Glukokortikoidther. eher nicht zu erwarten
▪
Die Reaktion der Polyarthritis auf die Schwangerschaft ist i. d. R. ein Prädiktor
für den Verlauf in künftigen Schwangerschaften.
▪
Im Wochenbett kommt es durch den Entzug der plazentaren entzündungshemmenden Hormone
bei bis zu 90 % der Betroffenen zu einer Exazerbation.
Präkonzeptionelles Vorgehen
▪
Frauen mit rheumatoider Arthritis brauchen länger, um schwanger zu werden, und müssen
häufiger reproduktionsmedizinische Hilfe in Anspruch nehmen.
▪
Vor allem bei schweren Verläufen auf die nachlassende Funktionalität der Gelenke und
die damit evtl. verbundenen Schwierigkeiten in der Versorgung von Kindern hinweisen
▪
Beweglichkeit bezüglich des Geburtsmodus klären (ggf. durch Röntgenaufnahmen)
▪
Ggf. Medikation umstellen.
Schwangerschaftsverlauf
▪
Abortrisiko: nach derzeitiger Studienlage kein erhöhtes Risiko für Aborte bzw. Totgeburten,
sofern die Pat. nicht zusätzlich Anti-Phospholipid-AK oder Anti-SS-A- oder Anti-SS-B-AK
aufweist.
▪
Vererbung der Erkr.: geringes Risiko, kein klarer Erbgang erkennbar.
▪
Komplikationen in der Schwangerschaft:
–
Bei hoher Krankheitsaktivität findet sich eine Assoziation mit niedrigem Geburtsgewicht
– evtl. immunologisch bedingt. Bei Glukokortikoidther. findet sich ein niedrigeres
Gestationsalter bei Entbindung.
–
Bei leichten Krankheitsverläufen ist die Schwangerschaft meist unkompliziert.
▪
Geburtshilfliches Vorgehen: Der Geburtsmodus wird durch die Krankheit nicht beeinflusst,
auch wenn eine Untersuchung zeigte, dass die Sectiorate gegenüber gesunden Frauen
erhöht ist – die Ursache hierfür ist nicht klar. Nur selten macht eine Bewegungseinschränkung
eine Schnittentbindung notwendig. Cave: Eine intrapartal auftretende Bakteriämie kann
in arthritische Gelenke und vorhandene Endoprothesen streuen → Antibiotikaprophylaxe
erwägen!
Therapie Die Ther. der rheumatoiden Arthritis unterscheidet sich in ihrer Ind. bzw.
Durchführung kaum von der außerhalb der Schwangerschaft. Wichtig ist eine effektive
Ther. in den ersten beiden Jahren nach Diagnosestellung, um destruierende Prozesse
an den Gelenken zu vermeiden – dieser Zeitraum kann über den weiteren Verlauf der
Erkr. entscheiden! Prinzipiell gilt in der Schwangerschaft wie auch im weiteren Verlauf:
So viel Ther. wie nötig, um Gelenksdestruktionen zu verhindern, so wenig wie möglich,
um Langzeitfolgen der Ther. zu vermeiden.
▪
Physikalische Ther.: Physiother., lokale Kälte-/Wärmether.
▪
Medikamentöse Ther. (17.19.5): nicht steroidale Antirheumatika im 1. und 2. Trimenon;
Glukokortikoide, Basistherapeutika. Zu der Gruppe der „Biologicals“ liegen begrenzte
Erfahrungen vor.
Prognose
▪
Bei ⅓ kommt es nach Jahren zu invalidisierenden Gelenkveränderungen, die Lebenserwartung
kann durch Komplikationen vermindert sein.
▪
Hohes Risiko für Herzinfarkte
▪
Prognostisch ungünstige Faktoren sind die Beteiligung vieler Gelenke, ein hoher Titer
von Rheumafaktor, hohe Entzündungszeichen.
Hinweise auf einen Einfluss von Schwangerschaften auf den Krankheitsverlauf liegen
nicht vor.
17.19.2
Seronegative Spondylarthritiden
Definition Chron.-entzündliche Erkr., vorwiegend des Achsenskeletts bei genetischer
Disposition (HLA B27) und Fehlen von Rheumafaktoren („seronegativ“).
Diagnosekriterien
Die Diagnosekriterien der European Spondylarthropathy Study Group von 1991 weisen
eine Sensitivität und Spezifität von 87 % auf.
Gefordert sind Wirbelsäulenschmerzen oder eine Arthritis/Synovitis plus eines der
folgenden Kriterien:
▪
Positive Familienanamnese, Psoriasis, entzündliche Darmerkr. oder akute Diarrhö, Urethritis,
wechselnde Gesäßschmerzen, Enthesopathie, Sakroiliitis.
Krankheitsbilder Ankylosierende Spondylitis (Bechterew-Krankheit), reaktive Arthritis
(Reiter-Sy.), Psoriasisarthritis (17.18.2), enteropathische Arthritiden bei Enteritis
regionalis Crohn (17.11), Colitis ulcerosa (17.11), Whipple-Krankheit usw., undifferenzierte
Spondylarthritis.
Spondylitis ankylopoetica (Bechterew-Krankheit)
Definition Chron.-entzündliche Spondylarthritis, seronegativeErkr. vorwiegend des
Achsenskeletts bei genetischer Disposition (Assoziation mit HLA B27) und Fehlen von
Rheumafaktoren.
Epidemiologie Prävalenz: Ca. 1 % der Bevölkerung. Manifestationsalter zwischen 20.
und 40. Lebensjahr. Betrifft seltener Frauen (1 : 3). Familiäre Häufung.
Ätiologie Genetische Disposition. Bis zu 90 % haben HLA B27 (bei Gesunden 8 %). Die
Faktoren, die Bechterew-Krankheitden chron.-entzündlichen Prozess in Gang setzen,
sind Spondylitis ankylopoeticaunbekannt.
Klinik
▪
Sakroiliitis: besonders nachts oder morgens auftretende Kreuzschmerzen evtl. mit Ausstrahlung
in den Oberschenkel. Klopf- und Verschiebeschmerz der Iliosakralgelenke
▪
Spondylitis: thorakolumbale Schmerzen mit zunehmender Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule.
Komplikation: Versteifung von Wirbelsäule und Thorax
▪
Arthritis peripherer Gelenke (bei 30 %)
▪
Entzündungen der Sehnenansätze
▪
Iritis (bei 25 %)
▪
Selten Organmanifestationen: z. B. Kardiopathien mit AV-Block I°, Aortitis, IgA-Nephritis.
Selten Amyloidose (1 %).
Diagnostik
▪
Labor: HLA-B27-positiv (90 %), unspezifische Entzündungszeichen (= Aktivitätszeichen)
BSG und CRP ↑. Kein Nachweis von Rheumafaktoren.
▪
Sakroiliitis
MRT und Röntgen: Nachweis von Wirbelsäulenveränderungen und Sakroiliitis (strenge
Indikationsstellung in der Schwangerschaft).
Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft Der Verlauf der Erkr. wird durch eine Schwangerschaft
nur gering oder gar nicht beeinflusst. Bei 50–60 % der Pat. kommt es zu keiner Aktivitätsänderung
der Erkr.
▪
Vor allem im 1. und 2. Trimenon:
–
Häufig Therapiebedarf bei nächtlichen Schmerzen und Morgensteifigkeit.
–
Eine periphere Arthritis oder Iridozyklitis findet sich in diesem Zeitraum häufiger,
i. S. einer vorübergehenden Aktivierung der Erkr.
▪
Im 3. Trimenon lässt die Symptomatik eher nach; v. a. Begleiterkr. wie periphere Arthritis,
Psoriasis oder entzündliche Darmerkr. können sich bessern.
Schwangerschaftsverlauf
▪
Abortrisiko: Es besteht kein erhöhtes Risiko für Aborte bzw. Totgeburten.
▪
Komplikationen: Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie oder Wachstumsretardierungen kommen
nicht gehäuft vor.
Geburtshilfliches Vorgehen Mehrere Untersuchungen zeigten, dass die Sectiorate gegenüber
gesunden Frauen erhöht ist – als Ursache wird der Wunsch der Pat. bzw. der Vorschlag
des betreuenden Frauenarztes angenommen, aufgrund der Bewegungseinschränkung eine
Sectio durchzuführen. Bei ausreichender Beweglichkeit der Hüftgelenke – hier kommt
es oft schon im jungen Lebensalter aufgrund destruierender Prozesse zur endoprothetischen
Versorgung – ist eine vaginale Entbindung durchaus möglich.
Wahl der Anästhesie (Kap. 23)
▪
Ankylosierende Veränderungen der Wirbelsäule, die eine Periduralanästhesie erschweren
bis unmöglich machen, sind im gebärfähigen Alter meist noch kein Problem.
▪
Eine Subluxation im Bereich der kranialen Halswirbelsäule stellt ein großes Risiko
bei Intubationen dar! → Bei geplanter Schwangerschaft vorher Röntgenaufnahmen von
Becken, Lenden- und Halswirbelsäule anfertigen!
Therapie Keine kausale Ther. bekannt.
▪
Konsequente Bechterew-Gymnastik, um Versteifungen der Wirbelsäule zu vermeiden.
▪
Medikamentöse Therapie (4.1.5) zur Analgesie und bei schweren entzündlichen Schüben:
NSAR. Glukokortikoide nur bei schweren entzündlichen Schüben und temporär. Bei peripherer
Arthritis z. B. Salazosulfapyridin (Methotrexat in der Schwangerschaft nicht möglich!).
Prognose
▪
Verlauf in Schüben und individuell unterschiedlich
▪
Konsequente Bechterew-Gymnastik kann eine Invalidisierung in der Mehrzahl der Fälle
vermeiden.
▪
Bei Frauen überwiegend leichte Verläufe.
17.19.3
Systemischer Lupus erythematodes
Definition Systemerkr. von Haut und Gefäßbindegewebe zahlreicher Organe mit Vaskulitis/Perivaskulitis
der kleinen Arterien und Arteriolen, verbunden mit Ablagerungen von Immunkomplexen,
die aus DNA, Anti-DNA, Komplement und Fibrin bestehen.
Epidemiologie Prävalenz 50/100.000, Inzidenz etwa 5–10/100.000/Jahr. Kommt häufiger
bei US-Bevölkerung afrikanischer Abstammung vor, in Zentralafrika dagegen gar nicht.
Betrifft Frauen 10-mal häufiger als Männer. Lupus erythematodes, systemischerManifestationsalter
zwischen 15. und 40. Lebensjahr, v. a. im gebärfähigen Alter.
Ätiologie Unbekannt. Gehäuft HLA DR2 und DR3.
Pathophysiologie
▪
Hypothese: Durch einen Virusinfekt kommt es zur Freisetzung von DNA durch Zytolyse.
Durch Mangel an DNasen kann eine Autoimmunreaktion in Gang gesetzt werden, die durch
defekte Suppressorfunktion der T-Lymphozyten persistiert.
▪
Östrogene führen im Tierexperiment zu einer Akzeleration der Erkr.
Klinik
▪
Unspezifische Allgemeinsymptome (95 %): Fieber, Schwäche, Gewichtsverlust, Lymphknotenschwellung
▪
Muskel- und Gelenkbeschwerden (> 80 %): Polyarthritis ohne Erosionen, Myositis
▪
Hautveränderungen (70 %): Schmetterlingserythem über den Wangen, diskoider Lupus,
Lichtempfindlichkeit der Haut, oronasale Ulzerationen
▪
Organmanifestationen:
–
Kardiopulmonal (60–70 %): Pleuritis und Perikarditis mit Ergüssen, pulmonale Infiltrate
–
Renal (60–70 %): Lupusnephritis 17.9.7
–
Neurologisch (60 %): Vigilanzstörungen, Depressionen, Apoplex, bis zum Status epilepticus,
auch MS-ähnliche Verläufe. Häufig prognosebestimmend!
Diagnostik
▪
Kriterien des American College of Rheumatology für einen SLE: Bei Vorliegen von 4
der folgenden 11 Kriterien ist ein systemischer Lupus wahrscheinlich: Schmetterlingserythem,
renale Funktionsstörung, diskoider Lupus, neurologische Störungen (Krampfanfälle,
Psychosen), Photosensibilität der Haut, hämatologische Veränderungen (Zytopenien),
oronasale Ulzerationen, immunologische Veränderungen (Anti-DNA, Anti-Sm- oder Anti-Phospholipid-AK),
Arthritis (nicht erosiv, ≥ 2 periphere Gelenke), antinukleäre AK, Serositis (Pleuritis
oder Perikarditis)
▪
Unspezifische Entzündungszeichen (BSG ↑, CRP oft normal, hypochrome Anämie, α/γ-Globuline
↑)
▪
Hämatologische Veränderungen: Auto-AK-vermittelte Leuko-/Lympho-, Thrombozytopenien,
Coombs-positive hämolytische Anämie
▪
Immunologische Befunde:
–
Anti-nukleäre AAK (ANA) in hohen Titern (95 %), niedrige Spezifität
–
AK gegen Doppelstrang-DNA: Hoch spezifisch für SLE (60–90 %), häufig mit Nephritis
oder ZNS-Beteiligung vergesellschaftet
–
Anti-Sm-, Anti-SS-A-(Ro-), Anti-SS-B-(La-)AK
–
Antiphospholipid-AK: Bei 20–50 % (Anti-Cardiolipin-AK und Lupusantikoagulans); bei
höhern Titern und entsprechender Klinik Vorliegen eines Antiphospholipidsy.
Krankheitsverlauf in der Schwangerschaft
▪
Während einer Schwangerschaft besteht ein fraglich erhöhtes Risiko für Schübe der
Erkr. Dabei ist nicht sicher, ob das Risiko höher ist als außerhalb einer Schwangerschaft,
5 von 9 prospektiven Studien kamen zu diesem Ergebnis. Eine Häufung findet sich im
3. Trimenon und im Wochenbett.
–
SLE bei Eintritt der Schwangerschaft inaktiv: Risiko für einen Schub 7–33 %
–
SLE bei Eintritt der Schwangerschaft aktiv: Risiko für einen Schub 67 %
▪
Schübe in einer Schwangerschaft verlaufen:
–
Bei 75 % leichter als außerhalb und betreffen dieselben Organsysteme: Überwiegend
Haut, Gelenke und Allgemeinsymptome
–
Bei 11–25 % schwerer, mit renaler oder hämatologischer Beteiligung
▪
Schwangerschaftsspezifische Erkr. wie Präeklampsie (17.2.1) oder HELLP-Sy. (17.2.2),
auch gestörte Glukosetoleranz (17.4) finden sich gehäuft.
▪
In 7 % der Fälle wurden sehr ernste Komplikationen wie Thrombosen, Lupusnephritis
bis hin zur Dialysepflichtigkeit, Retinopathien (bilaterale Retinaablösungen), Apoplex
oder ZNS-Beteiligung, aber auch Uterusrupturen beobachtet.
▪
Für die Planung einer Schwangerschaft der Pat. raten, den Zeitpunkt einer möglichst
seit 6–12 Mon. stabilen oder inaktiven Krankheitssituation abzuwarten, da der Schwangerschaftsverlauf
dann günstiger ist. Die Medikation muss so eingestellt werden, dass auf embryo- oder
fetotoxische Substanzen wie Methotrexat, Mycophenolat oder Cyclophosphamid verzichtet
werden kann.
▪
Liegt eine aktive Lupusnephritis (17.9.7) vor, wegen hoher Komplikationsraten von
einer Schwangerschaft abraten, daher sollte die Nierenfunktion vorher abgeklärt werden.
▪
Bei schwerer Exazerbation im 1. Trimenon ist ein Abbruch aus medizinischer Ind. mit
der Mutter zu diskutieren.
Schwangerschaftsverlauf Erhöhtes Risiko für Aborte (bis 23 %), Wachstumsretardierungen
(13 %) und Frühgeburtlichkeit (39 %) sowie für Präeklampsie, Hypertonus oder Schub
(30–40 %). Risikofaktoren dafür sind eine anamnestische oder aktive Lupusnephritis,
vorbestehende arterielle Hypertonie, Nachweis von Auto-AK und vorangegangene Aborte
oder Schwangerschaftskomplikationen. Besonders bei einer Lupusnephritis ist das Risiko
für eine Präeklampsie erhöht und differenzialdiagnostisch schwierig. Cave: Eine Schwangerschaft
bei SLE gilt als Risikoschwangerschaft!
Für das Kind besteht bei Vorliegen von Anti-SS-A-AK das Risiko eines irreversiblen
kongenitalen Herzblocks (2 %) bzw. bei Anti-SS-B-AK eines reversiblen neonatalen Lupus
(bis 15 %).
Geburtshilfliches Vorgehen Der Geburtsmodus wird durch die Krankheit nicht beeinflusst.
Management von Schwangerschaften bei SLE
▪
Im 1. und 2. Trimenon 14-tägige Intervalle der Vorstellungen, im 3. Trimenon wöchentlich
▪
Laboruntersuchungen zu Beginn der Schwangerschaft und monatlich:
–
Blutbild, Serumchemie (v. a. Transaminasen, Nierenwerte und BZ)
–
Initial aPTT
–
Urinanalyse mit Chemie, Sediment und 24-h-Eiweißausscheidung
–
AK-Status (monatlich Titerverlauf bei initial positivem Nachweis)
–
Evtl. Komplement C3 und C4 als Aktivitätsmarker
▪
Differenzierte Sonografie (5.3 und 12), Ausschluss fetaler Wachstumsretardierung
▪
Bei Vorliegen von Anti-SS-A/Anti-SS-B-AK Kontrolle der fetalen Herzfunktion ab 24.
SSW wöchentlich.
▪
Aufmerksame Anamnese und Untersuchung bzgl. Symptomen des SLE, aber auch schwangerschaftsinduzierter
Hypertonie (bei 50 % der Pat. mit Nierenbeteiligung), Präeklampsie (17.2.1) und HELLP-Sy.
(17.2.2), zur DD Lupusschub bzw. Präeklampsie sind niedriges Komplement und hohe Titer
von dsDNA und ein erhöhter Quotient von soluble Fms-like tyrosine kinase 1 (sFlt-1)
und placental growth factor (PlGF) geeignet.
▪
ASS niedrig dosiert erwägen (Nutzen nur bei Vorliegen von Antiphospholipid-AK und
Lupusnephritis nachgewiesen)
▪
Information der Neonatologen: Ausschluss neonataler Lupus, Herzblock, Medikation.
▪
Im Wochenbett: Gefahr für erneuten Schub, daher weiteres Monitoring.
▪
Speziell bei Lupusnephritis (17.9.7).
Therapie
▪
Stadienadaptierte interdisziplinäre Ther., im Schub meist Glukokortikoide, kleine
Fallzahlen mit Tacrolimus ermutigend
▪
Bei kutanem LE: Lichtschutz, glukokortikoidhaltige Externa.
Prognose Erheblich variable Krankheitsverläufe. Die Prognose einschränkend sind neurologische,
renale und kardiologische Manifestationen. 10-Jahres-Überlebensrate insgesamt bei
90 %.
17.19.4
Schwangerschaften beim Vorliegen von Autoantikörpern
Antiphospholipid-Antikörper (APA)
Vorkommen 20–50 % der Pat. mit SLE, aber auch bei anderen Autoimmunerkr. oder isoliert
(bei 1–5 % der Gesunden).
Klinik Antiphospholipidsy.:
▪
Nachweis von APA (IgG/IgM oder Lupusantikoagulans 2× im Abstand von 6–8 Wo.) kombiniert
mit klinischer Trias: arterielle oder venöse Thrombosen, habituelle Aborte oder ein
Spätabort, Thrombozytopenie
▪
Weitere Manifestationen sind IUGR (Kap. 14) oder Präeklampsie (17.2.1) sowie Livedo
Antiphospholipid-Antikörperreticularis, Herzklappenvegetationen, MS-ähnliche Syndrome
oder progressive kognitive Dysfunktion.
Empfehlungen für die Schwangerschaft
▪
Nachweis von APA ohne Klinik oder Anamnese: Keine Ther. oder ASS niedrig dosiert
▪
Nachweis von APA und Zustand nach Thrombose:
–
Langzeit-Antikoagulation auch außerhalb einer Schwangerschaft empfohlen (Rezidivrisiko
der Thrombose 70 %)
–
Umstellung auf ther. dosierte niedermolekulare Heparine möglichst vor Konzeption
▪
Nachweis von APA und habituelle Aborte (Risiko für erneuten Abort bis zu 90 %):
–
Ausschluss zusätzlicher anderer Abortursachen, z. B. Thrombophilie
–
ASS 75 mg, Beginn perikonzeptionell
–
Kombination mit prophylaktisch dosierten niedermolekularen Heparinen scheint von Vorteil
zu sein.
–
Für die Gabe von i. v. Immunglobulinen und Glukokortikoden konnte bisher kein Nutzen
nachgewiesen werden.
Anti-SS-A- und Anti-SS-B-Antikörper
Vorkommen Bei etwa 30 % der Pat. mit SLE.
Klinik Übertragung der AK transplazentar auf das Kind:
▪
Reversibler neonataler Lupus erythematodes (≤ 15 %): Die Symptome verschwinden mit
Abbau der maternalen AK 3–6 Mon. nach Geburt. Lupusähnliche Hauterscheinungen, Leukozytopenie,
Thrombozytopenie, erhöhte Leberwerte, Myokarditis, Perikarditis
–
Hepatosplenomegalie
▪
Irreversibler kongenitaler Herzblock (2 %):
–
Anti-SS-A/B-AntikörperBei Anti-SS-A-AK bisher keine sichere Identifikation gefährdeter
Frauen möglich.
–
52-kD-Anti-SS-A-AK häufiger damit vergesellschaftet als 60-kD-AK (Immunoblot).
–
Manifestation 16.–24. SSW durch Bradykardie von 60–80/Min.
–
Bei Nachweis von Anti-SS-A-AK Überwachung der fetalen Herzfunktion ab 24 SSW wöchentlich.
Therapie Bei AV-Block I Beginn mit Dexamethason 4 mg/d oral, Plasmapherese wird diskutiert,
allerdings gibt es keine Behandlung, die zu einem Verschwinden des Blocks führt.
Prognose Wiederholungsrisiko in nächster Schwangerschaft 21,2 %, bei Einnahme von
HCQ, mit Beginn vor 10 SSW reduziert sich das Risiko auf 7,5% (RR 0,23).
Bei 60 % der Kinder Schrittmacherimplantation notwendig, bei 10 % späte Kardiomyopathie.
10-Jahres-Mortalität 20–35 %.
17.19.5
Medikamentöse Therapieoptionen
Therapieprinzipien Ziel ist die Unterdrückung der Symptome, v. a. Schmerz und Entzündung.
Zudem richtet sich die Ther. nach der jeweiligen Krankheitsaktivität.
Therapie
So aggressiv wie notwendig, um eine Progression der Gelenkdestruktion oder der Organschäden
zu hemmen; aber so wenig wie möglich, um die Risiken einer Langzeitther. zu minimieren.
▪
Bestehende physikalische Therapiemaßnahmen haben keinen negativen Einfluss auf den
Fetus und dienen dem Erhalt der Funktionalität der Gelenke.
▪
Therapieregime im interdisziplinären Dialog mit dem betreuenden Internisten festlegen.
▪
Medikamente:
–
Bei der Planung einer Schwangerschaft beachten, dass einige Antirheumatika prophylaktisch
abgesetzt werden.
–
Keines der in diesem Abschnitt besprochenen Medikamente rechtfertigt einen risikobegründeten
Schwangerschaftsabbruch, auch nicht Methotrexat. Eine differenzierte Sonografie sollte
jedoch angeboten werden.
▪
Ein Überblick über die wichtigsten Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit Tab.
17.49
und Tab. 17.50
.
Tab. 17.49
Medikamente während der TacrolimusTacrolimusSulfasalazinSulfasalazinNicht steroidale
AntiphlogistikaNicht steroidale AntiphlogistikaMethotrexatMethotrexatLeflunomidLeflunomidHydroxychloroquinHydroxychloroquinGoldGoldGlukokortikoideGlukokortikoideD-PenicillaminD-PenicillaminCyclophosphamidCyclophosphamidCiclosporin
ACiclosporin AChloroquinChloroquinBiologicalsBiologicalsAzathioprinAzathioprinSchwangerschaft
Substanz
Absetzen empfohlen präkonzeptionell oder in Frühschwangerschaft
Mütterliche Toxizität
Fetale Toxizität
NSAID
Nein
•
Prolongierte Geburt
•
Blutungsneigung
•
Verschluss Ductus Botalli
•
Blutungsneigung
•
Pulmonale Hypertonie
Glukokortikoide
Nein
•
Diabetesexazerbation
•
Hypertonie
•
IUGR/ Frühgeburt
Chloroquin/Hydroxychloroquin
Nein
•
Gering
•
Gering und fraglich (Innenohrschäden)
Sulfasalazin
Nein
•
Keine Daten
•
Keine Fehlbildungen
•
Am Termin: Hyperbilirubinämie
Gold
3 Mon. vor Konzeption
•
Keine Daten
•
1× Gaumenspalte und ZNS-Fehlbildung
D-Penicillamin
3–6 Mon. vor Konzeption
•
Keine Daten
•
IUGR, Frühgeburt, Immunsuppression
Methotrexat
vor Konzeption
•
Spontanaborte
•
Schwere Fehlbildungen
Cyclophosphamid
Vor Konzeption, keine einheitliche Empfehlung
•
Keine Daten
•
Schwere Fehlbildungen
Leflunomid
Ja, evtl. Ausscheidung beschleunigen
•
Keine Daten
•
Keine Daten
Azathioprin
Nein
•
Keine Daten
•
Cutis laxa?
Ciclosporin
Nein
•
Keine Daten
•
IUGR/Frühgeburt?
Tacrolimus
Nein
•
Vermehrt Gestationsdiabetes
•
Passagere Nierenfunktionseinschränkung
„Biologicals“
Vermutlich kein teratogenes Potenzial,Einzelfallentscheidung
•
Keine Daten
•
Immunsuppression
•
Infliximab mit 20 SSW, sonst mit ca. 28 SSW absetzen
[nach Østensen et al. 2015, Soh und Nelson-Piercy 2015 und Schaefer et al. 2012]
Tab. 17.50
Medikamente während Stillzeit TacrolimusSulfasalazinNicht steroidale AntiphlogistikaMethotrexatLeflunomidHydroxychloroquinGoldGlukokortikoideD-PenicillaminCyclophosphamidCiclosporin
AChloroquinBiologicalsAzathioprin
Substanz
Konzentration in Muttermilch (% Serumspiegel)
Verabreichung während Laktation
NSAID
1–7 %
Erlaubt, möglichst geringe Dosis Mittel d. Wahl: Ibuprofen
Glukokortikoide
5–25 %, dosisabhängig
Erlaubt, bei wiederholten hohen Dosen: Stillen vor oder > 4 h nach Einnahme Mittel
d. Wahl: Prednison, (Methyl-)Prednisolon
Chloroquin/Hydroxychloroquin
2 %
Nicht empfohlen, aber akzeptabel. Falls nötig Hydroxychloroquin bevorzugen
Sulfasalazin
40–45 %
Nicht empfohlen, aber möglich
Gold
20–170 %
Nicht empfohlen
D-Penicillamin
?
Nicht empfohlen
Methotrexat
3–4 %
Kontraindiziert
Cyclophosphamid
Hoch
Kontraindiziert
Azathioprin
Niedrig
Nicht empfohlen, keine Hinweise für Toxizität
Ciclosporin
0,01 %
Nicht empfohlen, keine Hinweise für Toxizität
Leflunomid
?
Keine Daten
„Biologicals“
gering
Aufgrund der Molekülgröße wohl keine Einschränkung erforderlich
[nach østensen 2003 und Schaefer et al. 2006]
Nicht steroidale Antiphlogistika Trotz geringgradig unterschiedlicher Wirkmechanismen
der einzelnen Substanzen sind die beschriebenen Risikoprofile gleichartig. Ein Absetzen
bei Planung einer Schwangerschaft wird nicht empfohlen. Es liegen keine Hinweise auf
ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko beim Menschen vor. Risiken für die frühe Embryogenese
können jedoch nicht ausgeschlossen werden, sodass eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung
erforderlich ist.
Schwangerschaftsrelevante NW:
▪
Nicht steroidale AntiphlogistikaIm 3. Trimenon vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus
Botalli möglich: Der früheste Zeitpunkt für diese Komplikation ist die 27. SSW, nach
der 32. SSW etwa 50 %, nach der 34. SSW nahezu 100 % der Feten.
▪
Kinder, deren Mütter in der späten Schwangerschaft NSAR eingenommen haben, zeigen
evtl. später häufiger eine pulmonale Hypertonie.
▪
Reduktion der Nierenfunktion des Fetus bis hin zur Anurie (ther. verwendet beim Polyhydramnion).
▪
Fragliche Assoziation mit der nekrotisierenden Enterokolitis und intrakraniellen Blutungen,
v. a. bei Frühgeborenen
▪
Durch tokolytische Wirksamkeit Verzögerung des Geburtsverlaufs möglich.
▪
Absetzen der Substanzen mit spätestens 32 SSW empfohlen.
▪
Falls Paracetamol nicht ausreicht, kann unter Kontrolle des fetalen Kreislaufs 1–2×
Wo auf ein NSAR mit kurzer Halbwertszeit umgestellt werden.
▪
In der Stillzeit ist das Mittel der Wahl Ibuprofen.
COX-2-Inhibitoren Ob COX-2-Hemmer ein zu NSAID unterschiedliches Risikoprofil zeigen,
ist derzeit unbekannt. Aufgrund mangelnder Erfahrungen sind sie in der Schwangerschaft
und in der Stillzeit zu meiden. Nach heutigem Kenntnisstand ergibt sich aus einer
dennoch erfolgten Exposition keine Risikosituation, die zu invasiver Diagnostik oder
einem risikobegründeten Abbruch führen muss. Ein differenzierter Ultraschall sollte
jedoch angeboten werden.
Glukokortikoide Prinzipiell in COX-2-Hemmerallen Abschnitten der Schwangerschaft geeignet.
Je nach Substanz ist die transplazentare Passage unterschiedlich. Prednison und Prednisolon
sind geeignete Substanzen, Dexamethason passiert die Plazentaschranke fast vollständig,
daher sollte es zur Langzeitther. nicht verwendet werden.
Schwangerschaftsrelevante NW: Neuere Daten stellen keinen Zusammenhang mehr mit dem
früher berichteten Auftreten einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (13.2.2) Glukokortikoideher,
sicherheitshalber sollte zwischen SSW 8 und 11 die Tagesdosis 10 mg nicht überschreiten,
wenn dies ther. möglich ist.
In späteren Abschnitten der Schwangerschaft:
▪
Eine maternale Behandlung mit Dosen > 20 mg/d erhöht das Risiko für Frühgeburtlichkeit.
▪
Bei hoch dosierter Gabe besteht das Risiko einer Wachstumsretardierung.
▪
Sollte die Gabe bis zur Geburt erforderlich sein, muss die Gefahr einer neonatalen
Nebennierenrindeninsuff. beachtet werden.
▪
Kontrollen von Blutdruck und BZ-Stoffwechsel sind obligat.
▪
Das Risiko für einen Gestationsdiabetes und seine Folgen (17.5) ist erhöht.
Immunsuppressiva/Zytostatika
▪
Cyclophosphamid, Methotrexat, Mycophenolatmofetil, Leflunomid: in der Schwangerschaft,
v. a. im 1. Trimenon, kontraindiziert! Schwere fetale Toxizitäten und teratogenes
Potenzial sind beschrieben. Methotrexat gilt als Abortivum. Daher wird ein Absetzen
vor der Schwangerschaft mit ausreichendem Abstand (Immunsuppression
Cave: Lange Halbwertszeit von 14 d bei Leflunomid) empfohlen. Die Elimination von
Leflunomid kann durch Gabe von Cholestyramin beschleunigt werden.
▪
Tacrolimus: Kleinere Studien Cyclophosphamidzeigen gute Ergebnisse bei der Behandlung
Mycophenolatmofetileines SLE-Schubs mit Tacrolimus allein oder kombiniert. LeflunomidBisher
gibt es keine Hinweise auf eine ZytostatikaTeratogenität bei Exposition im 1. Trimenon.
Erfahrungsumfang mittel. Evtl. gehäuft Gestationsdiabetes, bei Neugeborenen passagere
Nierenfunktionseinschränkung und Hyperkaliämie.
▪
Ciclosporin A, Azathioprin: Für TacrolimusCiclosporin A ist keine erhöhte Rate kindlicher
Fehlbildungen bekannt. Allerdings scheint das Frühgeburtsrisiko unter Ciclosporinther.
erhöht. Azathioprin ist aus Schwangerschaften von Transplantierten und Lupuspat. sehr
gut untersucht. Es hat sich kein erhöhtes Risiko für das Auftreten kindlicher Anomalien
oder Komplikationen während der Schwangerschaft gefunden. Um einen negativen Effekt
auf die Ciclosporin AHämatopoese des Fetus zu vermeiden, sollten Dosen von 2 Azathioprinmg/kg
KG/d nicht überschritten werden. Standarddosis 1–2,5 mg/kg KG/d.
▪
Sulfasalazin: In keiner Studie wurde, z. T. auch in Kombination mit Glukokortikoiden,
eine erhöhte Fehlbildungsrate oder häufigeres Auftreten eines neonatalen Ikterus für
Sulfasalazin beschrieben. Nachdem es sich um einen Folsäureantagonisten handelt, wird
jedoch die Supplementation von Folsäure während der gesamten Schwangerschaft empfohlen.
Besonders bei chron.-entzündlichen Darmerkr. stellen sie einen wichtigen Bestandteil
der Ther. dar.
▪
Chloroquin,
Sulfasalazin
Hydroxychloroquin: Ob die gelegentlich beschriebene erhöhte Abortrate mit der Dosierung
des Medikaments oder der Aktivität der Grunderkr. zusammenhängt, ist nicht geklärt.
Nur in einem Fallbericht wurde von einer möglichen fetalen Schädigung unter Chloroquin
berichtet, größere Studien ergaben keine Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsraten oder
fetale Komplikationen. Cave: Hydroxychloroquin dem Chloroquin vorziehen. Hydroxychloroquin
vermindert die Schubfrequenz und ChloroquinKrankheitsaktivität bei SLE. Mehrheitlich
wird empfohlen, dieHydroxychloroquin Gabe wegen der erhöhten Gefahr eines Schubs über
die gesamte Schwangerschaft durchzuführen. Dosierung 5 mg/kg KG/d.
▪
„Biologicals“: heterogene Gruppe von Substanzen mit selektivem Eingriff in Entzündungsprozesse.
Tierversuche sind ermutigend. Bei langsam wachsenden Erfahrungen ist nicht mehr generell
abzuraten. Erfahrungen gibt es mit den TNF-α-Inhibitoren Adalimumab, Infliximab, Etanercept
und Certolizumab. Für Anakinra, Golimumab und Toclizumab liegen unzureichende Erfahrungen
vor.
–
Adalimumab und Infliximab Biologicalswerden als IgG1 über ihr Fc-Stück aktiv über
die Plazenta transportiert und kumulieren im Feten.
–
Etanercept bindet nicht so effektiv an den Fc-Rezeptor und hat eine sehr kurze Halbwertszeit.
–
Certolizumab hat ein Fab-Fragment und diffundiert passiv. Daher sind die Konzentrationen
im Nabelschnurblut sehr Adalimumabgering.
–
Rituximab zur B-Zell-Depletion: sollte Infliximabaufgrund zu erwartender Zytopenien
und B-Zell-Depression etwa 12 Wo. vor Entbindung abgesetzt werden.
▪
Grund für die Vorsicht mit diesen „Biologicals“ ist der Tod eines Säuglings mit 4,5
Mon. an disseminierter Tuberkulose nach routinemäßiger BCG-Impfung im Alter von 3
Mon. Daher Empfehlung: nach Exposition in den ersten 6 Lebensmon. auf Lebendimpfungen
verzichten.
▪
Aufgrund der Molekülgröße keine Einschränkung des Stillens, sollte aber im Einzelfall
noch einmal geprüft werden.
17.20
Hämatologische Erkrankungen in der Schwangerschaft
Ekkehard SchleußnerEtanercept
17.20.1
Anämie
Definition Grenzwerte einer Anämie in der Schwangerschaft:
▪
WHO: Abfall der Hämoglobinkonzentration < 11 g/dl (6,8 mmol/l)
▪
Centers for Disease Control, Atlanta, USA:
–
1. und 3. Trimenon 11 g/dl (6,8 mmol/l)
–
2. Trimenon 10,5 g/dl (6,5 mmol/l) als Grenzwerte angegeben
▪
Grenzwert einer postpartalen Anämie bei Hämoglobin < 10 g/dl (6,2 mmol/l).
Epidemiologie
▪
Eisenmangelanämie: Weltweit mit Anämieeiner Prävalenz von 20–80 % bei Frauen im gebärfähigen
Alter die häufigste Mangelsituation [Breymann 2015]. Bei Schwangeren ist von einer
Prävalenz von 10–15 % im Mitteleuropa und 50–75 % in Entwicklungsländern auszugehen.
▪
Anämie im Wochenbett, meist durch peripartale Blutverluste:
–
In Mitteleuropa bei ca. 15,2 % aller Geburten [Thüringer Perinatalerhebung 2014]
–
Ist immer noch weltweit in Eisenmangelanämieca. 27 % die Ursache für maternale Mortalität
[Millenium Goal Report 2015].
▪
Andere Anämieursachen spielen in der Schwangerschaft eine untergeordnete Rolle, müssen
aber bei der diagnostischen Abklärung beachtet werden.
Ätiologie Eine Anämie (Tab. 17.51
) entsteht durch eine verminderte Hämoglobinsynthese, einen vermehrten Abbau (Hämolyse)
oder einen verstärkten Verlust (Blutung). Die häufigste Ursache einer Anämie in der
Schwangerschaft ist ein Eisenmangel.
Tab. 17.51
Ätiologie einer Anämie in der BlutungsanämieSchwangerschaft
Verminderte Hämoglobinsynthese
•
Eisenmangel
•
Chron. und akute Entzündungen
•
Fehl- und Mangelernährung (2.1)
•
Folsäure- und Vitamin-B12-Mangel
•
Erythropoetinmangel bei chron. Niereninsuff.
•
Knochenmarkinsuff. (aplastische Anämie)
Verstärkter Hämoglobinabbau (Hämolyse)
•
Präeklampsie/HELLP-Sy. (17.2)
•
Infektionen (Malaria, Toxoplasmose u. a. Kap. 18)
•
Membrandefekte (Sphärozytose u. a.)
•
Hämoglobinopathien (Sichelzellanämie u. a.)
•
Mikroangiopathien (TTP, HUS)
•
Autoimmunhämolytisch
•
Toxisch (Medikamente, Chemikalien)
•
Enzymdefekte (Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel u. a.)
Blutungsanämie
•
Chron. Blutverluste (Hypermenorrhö präkonzeptionell)
•
Akute Blutung bei Placenta praevia (16.2), vorzeitiger Plazentalösung (16.3), post
partum (24.7)
Unter mitteleuropäischen Ernährungsbedingungen sind Risikofaktoren für einen vorbestehenden
Eisenmangel:
▪
Sozioökonomische Faktoren (niedriger Sozialstatus, Migrantinnen, junge Schwangere)
▪
Ernährungsgewohnheiten (Fehlernährung, Alkoholismus)
▪
Chron. Blutverluste (Hypermenorrhö, gastrointestinal)
▪
Rasche Schwangerschaftsfolge
▪
Eisenmangelanämie in vorangehender Schwangerschaft
▪
Chron. Darmerkr./Malabsorptionssyndrom [Bencaiova, Burkhardt und Breymann 2012].
Pathophysiologie
▪
Plasmavolumen: nimmt bis zur 24. SSW stärker zu als die ebenfalls gesteigerte Erythropoese,
was zu einer physiologischen Hämodilution führt.
▪
Eisen: Bei dem häufig vorbestehenden Eisenmangel kann der erhöhte Eisenbedarf in der
Schwangerschaft nicht gedeckt werden.
–
Täglicher Eisenbedarf: 4–6 mg/d in der Frühschwangerschaft, 6–7 mg/d in der Spätschwangerschaft
–
Intestinale Eisenresorption 1–3 mg/d → Es entsteht eine tägliche Negativbilanz von
ca. 3 mg, die zu einer Entleerung der Eisenspeicher führen muss [Breymann 2004].
–
Trotz der Dominanz des Eisenmangels ist die Pathophysiologie der Anämie jedoch multifaktoriell
und bedarf über die einfache Hämoglobinbestimmung hinaus einer differenzierten anamnestischen
und labordiagnostischen Abklärung.
▪
Folsäure und Vitamin B
12
: Durch die gesteigerte Erythropoese besteht auch ein erhöhter Bedarf an Folsäure
und Vitamin B12 (Cobalamin), wobei jedoch ein Mangel selten und nur bei Fehl- oder
Unterernährung auftritt.
Klassifikation Neben der Einteilung nach Hämoglobinsynthese und -abbau (siehe Ätiologie)
wird in der klinischen Praxis meist die Klassifikation entsprechend morphologischer
Kriterien genutzt, die initial Erythrozytenvolumen (MCV) und Hämoglobingehalt (MHC)
berücksichtigt (Tab. 17.52
).
Tab. 17.52
Morphologische Anämie-Anämie:normozytäre normochromeAnämie:mikrozytäre hypochromeAnämie:makrozytäre
hyperchromeKlassifikation
Anämie
Blutbefund
Ätiologie
Mikrozytäre hypochrome Anämie
MCV < 80 fl (80 μm3)MCH < 1,65 fmol (27 pg)
Störungen von:
•
Eisenstoffwechsel (meist Eisenmangel)
•
Globinsynthese (Thalassämie, Hämoglobinopathie)
•
Häm- oder Porphyrinsynthese
Normozytäre normochrome Anämie
MCV 80–100 fl (μm3)MCH 1,65–2,1 fmol (27–34 pg)
Mit verminderter Erythrozytenbildung:
•
Knochenmarkerkr. (aplastische Anämie; Virusinfekte, z. B. HIV 18.1.2, CMV 18.1.6,
Parvovirus B19 18.1.3, Malignome)
•
Verminderter Erythropoetinspiegel (Nieren-, Leber- und chron. Erkr.)
•
Schilddrüsenerkr. (17.8), Infektanämie
Mit vermehrter Erythrozytenbildung:
•
Hämolytische Anämie
•
Akuter Blutverlust (16 und 24.7)
Mikrozytäre hyperchrome Anämie
MCV > 100 fl (100 μm3)MCH > 2,1 fmol (34 pg)
Megaloblasten im Knochenmark:
•
Vitamin-B12-Mangel
•
Folsäuremangel
•
Medikamenten- und toxininduziert
•
Normale Erythropoese:
•
Chron. Blutung oder Hämolyse
•
Hypothyreose (17.8.5), Alkoholismus u. a.
Klinik Durch die Routinebestimmung des Hämoglobinspiegels im Rahmen der Schwangerenvorsorge
fällt eine Anämie meist noch klinisch symptomlos auf.
Die Symptome einer Anämie sind charakteristisch, jedoch unspezifisch, leicht als übliche
Schwangerschaftsbeschwerden fehlzudeuten und korrelieren nicht mit der Schwere der
Anämie. Sie sind Folge der Minderversorgung der Peripherie mit Sauerstoff und Ausdruck
einer kompensatorischen Hyperventilation und Hyperzirkulation [Schleußner 2013].
Symptome können sein:
▪
Reduzierte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit
▪
Schwindel, Kopfschmerzen, Ohrensausen
▪
Belastungs- und Ruhedyspnoe
▪
Herzklopfen, Tachykardie, weite Blutdruckamplitude, funktionelle Herzgeräusche
▪
Blasse Haut und Schleimhäute (unzuverlässig).
Abhängig von der Schwere der Anämie treten häufiger Schwangerschaftskomplikationen
wie Aborte (Kap. 10), Frühgeburten (21.1), IUGR (Kap. 14) bis hin zum intrauterinen
Fruchttod sowie maternale Harnwegsinfektionen auf [Schaefer et al. 2005].
Eine fetale Anämie aufgrund eines maternalen Eisenmangels kommt praktisch nicht vor,
da Eisen spezifisch und sehr effektiv über die Plazenta zum Fetus transportiert wird.
Diagnostik
▪
Kleines Blutbild: Hb, Hkt, MCH, MCV, Erythrozyten- und Retikulozytenzahl. Standarddiagnostik,
wenn im Rahmen der Schwangerenvorsorge ein verminderter Hämoglobinwert auffällt. Für
den am häufigsten auftretenden Eisenmangel sind diese Parameter jedoch nur von geringer
Sensitivität, sodass bei einer Anämie immer der Ferritinspiegel bestimmt werden muss.
▪
Serumferritin < 30 μl/l zeigt insuffiziente und < 12 μl/l entleerte Eisenspeicher
an [Bergmann et al. 2009]. Damit ist bereits eine weitgehende Zuordnung zu den oben
klassifizierten Anämieformen und somit eine rationelle weiterführende Diagnostik möglich.
▪
CRP: Bei normalen oder erhöhten Ferritinwerten ist eine CRP-Bestimmung notwendig,
da als eine Entzündungsreaktion Ferritin als Akute-Phasen-Protein ebenfalls ansteigt
und so ein Eisenmangel maskiert werden kann.
▪
Haptoglobin: Eine Hämolyse Serumferritinwird durch die Bestimmung von Haptoglobin
oder freiem Hämoglobin gesichert.
▪
Serumeisenspiegel- und Transferrinmessungen sind verzichtbar, da meist ohne weiteren
diagnostischen Wert.
▪
Blutverluste > 500 ml post partum können eine akute Blutungsanämie auslösen, wobei
oft der Blutverlust schwer quantifizierbar ist und dadurch meist unterschätzt wird.
▪
Alle nicht durch Eisenmangel oder bekannte Blutverluste bedingten Anämieformen sollten
gemeinsam mit einem Hämatologen weiter abgeklärt werden.
Differenzialdiagnostik
Abb. 17.17
.
Abb. 17.17
Differenzialdiagnostik einer Anämie:DifferenzialdiagnostikAnämie während der Schwangerschaft
[nach Frickhofen 2007]. MCV (Erythrozytenvolumen), MHC (Hämoglobingehalt)
[L157]
Therapie
Therapeutische Strategie: Die Ther. der Anämie richtet sich nach deren Ursache und
Schwere und muss maternale und fetale Risikozustände berücksichtigen, die durch die
maternale Anämie negativ beeinflusst werden. Außerdem ist die tolerierbare Zeitspanne
für einen notwendigen Therapieeffekt v. a. kurz vor der Entbindung und bei schweren
postpartalen Blutverlusten für die Auswahl der Therapieoptionen von Bedeutung. Eine
Anämie in der Schwangerschaft < 6,5 mmol/l (10,5 g/dl) und ein Serumferritin < 30
μg/l ist behandlungsbedürftig.
Als Ther. einer Anämie kommen infrage (Stufenschema Tab. 17.53
): orale Eisensubstitution, parenterale Eisengabe, Bluttransfusion. Die zur Anämie
führenden Grunderkr. müssen spezifisch therapiert werden, auf spezielle Ther. seltener
Anämieformen kann hier nicht eingegangen werden.
Tab. 17.53
Stufenschema einer Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft [Bergmann et al. 2009]
Schwere der Anämie (Hämoglobinwert)
Therapie
< 6,5 mmol/l (< 10,5 g/dl)
Oral Eisen-II-Sulfat 160 mg/d
< 5,4 mmol/l (< 9 g/dl) und Ferritin < 30 μg/l
I. v.Eisen-Polymaltose (Ferrinject®) einmalig bis 1.000 mg/Woche oderEisensaccharose
(Venofer®) 200 mg i. v. 1–2×/Wo.
< 4,5 mmol/l (< 7 g/dl)
Transfusion
Orale Eisensubstitution: Ther. der 1. Wahl bei gesichertem Eisenmangel ist die Anämie:TherapieVerabreichung
von Eisen-II-Sulfat 1–2 × 80 mg/d, alternativ von Eisen-III-Polymaltose-Komplex 1–2
× 100 mg/d (oder Äquivalent) über 6 Wo. je 1–2 h vor den Mahlzeiten [Schaefer et al.
2005]. Eine weitere Steigerung der Dosis ist nicht sinnvoll, da dies nicht zu einer
höheren enteralen Resorption, aber häufigeren NW führt.
▪
NW sind v. a. gastrointestinale Symptome, wie Oberbauchschmerz, Übelkeit, Sodbrennen,
Obstipation, aber auch Eisen:SubstitutionDurchfall, und unspezifische Unverträglichkeitsreaktionen.
▪
Der Therapieerfolg ist kontrollierbar anhand:
–
Retikulozytenanstieg ab dem 4. Therapietag
–
Hämoglobinanstieg nach 10–14 Tagen
–
Anstieg des Ferritinspiegels auf 50–80 μg/l [Breymann 2015]
▪
Bleibt ein Erfolg aus oder bei schwerer Eisenmangelanämie < 6,2 mmol/l (10 mg/dl)
ist aufgrund der deutlich höheren Effektivität eine i. v. Eisenapplikation zu bevorzugen.
!
Durch eine Ernährung mit eisenangereicherten Nahrungsmitteln (Säften, Mineralwässer
u. a.) kann das Risiko für das Entstehen eines Eisenmangels vermindert werden, zur
Ther. sind sie jedoch allein nicht ausreichend.
Parenterale Eisengabe: Bei einem Serumferritin < 12 μg/l und einem Hb < 5,4 mmol/l
(9 g/dl) wird die i. v. Eisengabe empfohlen [Bergmann et al. 2009]. Die notwendige
Dosierung errechnet sich nach der Ganzoni-Formel Eisendefizit (mg) = Körpergewicht
(kg) × [Sooll-Hb – Ist-Hb (g/dl)] × 2,4 + 500 mg. Um einen Hb-Anstieg von 1 g/dl zu
erreichen, müssen bei einem Körpergewicht von 70 kg ca. 700 mg Eisen appliziert werden.
▪
Dosierung:
–
Fe(II)-hydoxid-Polymaltose 100–1.000 mg in 50–100 ml NaCl 0,9 % als einmalige Kurzinfusion,
max. 1.000 mg/Wo.
–
Eisensaccharose 200 mg in 200 ml NaCl 0,9 % als Kurzinfusion 1–2×/Wo., max. 1.600
mg
▪
NW: Flushreaktion und generalisierte Hauteffloreszenzen, Kopfschmerzen, metallischer
Mundgeschmack während Kurzinfusion.
Bluttransfusion: Eine Fremdbluttransfusion nur nach strenger Indikationsstellung und
Aufklärung der Schwangeren über Notwendigkeit und Risiken durchführen. Eine Eigenblutgewinnung
ist während der Schwangerschaft nicht möglich. Trotzdem bei dringlicher Ind. durch
unverhältnismäßige Betonung der Risiken nicht auf eine notwendige Transfusion verzichten,
da sie die sicherste Methode ist, um eine Anämie zeitnah zu therapieren. Ind:
▪
Auch hämodynamisch Bluttransfusion, maternalestabilen Schwangeren spätestens ab Hb
< 4,3 mmol/l (7 g/dl) eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten anbieten.
▪
Bei Thalassämie und Sichelzellanämie stellt die Bluttransfusion die Ther. der Wahl
während der Schwangerschaft dar.
▪
Im Weiteren wird auf die in jeder Klinik vorhandene Transfusionsordnung verwiesen.
Anämie im Wochenbett: Eine Anämie < 6,2 mmol/l (< 10 g/dl) p. p. ist i. d. R. eine
akute Blutungsanämie, die durch einen vorbestehenden Eisenmangel noch verstärkt wird.
Zur Ther. der peri- und postpartalen Blutung 24.7. Die nachfolgende Anämie verursacht
bei der Wöchnerin je nach Schwere:
▪
Eine erhöhte kardiovaskuläre Belastung (orthostatische Beschwerden, Schwindel)
▪
Verminderte Leistungsfähigkeit und schnelle Anämie:WochenbettErmüdung
▪
Verzögerte Wundheilung und erhöhtes Infektionsrisiko
Bei schwereren Anämien (Stufenschema Tab. 17.54
):
▪
Gabe von oralen Eisenpräparaten oft nicht ausreichend, da die Eisenspeicher weitgehend
entleert sind und durch postpartale Entzündungsreaktionen gleichzeitig die Eisenresorption
vermindert wird.
▪
Alternative: Parenterale Applikation
▪
Bluttransfusionen nurAnämie:im Wochenbett im Notfall oder bei schwersten, klinisch
symptomatischen Anämien ca. ab Hb-Werten < 4 mmol/l (< 6,5 g/dl)
▪
Unabhängig davon großzügig Plasmaexpander und kristalloide Lösungen zur Kreislaufstabilisierung
infundieren.
Tab. 17.54
Stufenschema einer Anämie im Wochenbett [Bergmann et al. 2009]
Schwere der Anämie (Hämoglobinwert)
Therapie
< 6,2 mmol/l (< 10 g/dl)
Eisen-II-Sulfat 200 mg/d oral
< 5,0 mmol/l (< 8,0 g/dl)
Fe(II)-Hydroxid-Polymaltose 1.000 mg einmalig oder Eisensaccharose 200 mg/d i. v.
über 2–4 d
Schwere peripartale Blutverluste mit Symptomen des Volumenmangels
Transfusion
Schwangerenvorsorge Die routinemäßige Bestimmung der Hb-Konzentration ist Bestandteil
der Mutterschaftsrichtlinien.
Die Prophylaxe eines Eisenmangels und einer daraus folgenden Eisenmangelanämie ist
sinnvoll und effektiv [Peña-Rosas et al. 2015]. Ob dafür eine generelle Prophylaxe
für jede Schwangere oder eine selektive Prophylaxe für Frauen mit erhöhtem Risiko
effizienter ist, hängt von der Prävalenz eines Eisenmangels in der Bevölkerung ab.
Noch bevor sich eine Anämie manifestiert, kann durch eine Ferritinbestimmung auf eine
ausreichende Füllung der Eisenspeicher geschlossen werden (Normbereich 50–80 μg/l).
17.20.2
Thrombozytopenie
Definition Die mittlere Thrombozytenzahl in graviditate liegt wie außerhalb der Schwangerschaft
im Bereich von 150–400 G/l, wobei physiologisch die Thrombozytenzahl um ca. 10 % im
Schwangerschaftsverlauf fällt.
Thrombozytopenie in der Schwangerschaft:
▪
Leicht: 100–150 G/l
▪
Mild: 50–100 G/l
▪
Schwer: < 50 G/l.
Epidemiologie Bei 7–8 % aller Schwangeren muss mit Thrombozytenzahlen < 150 G/l gerechnet
werden, davon:
▪
In Thrombozytopenie75 % eine klinisch nicht bedeutsame Schwangerschaftsthrombozytopenie
mit Werten zwischen 110 und 150 G/l. In Einzelfällen bis 70 G/l, ohne dass ein Risiko
für maternale Blutungen oder eine fetale Thrombozytopenie besteht
▪
In 1–2 % Pseudothrombozytopenie durch methodenbedingte Laborfehler
▪
Schwangerschaftsspezifische Erkr. (Präeklampsie 17.21, HELLP-Sy. 17.2.2, Fettleber)
▪
Thrombozytopenien im Rahmen von schwangerschaftsunabhängigen Systemerkr.
▪
Selten Immunthrombozytopenie (ITP): Häufigkeit 1 : 1.200 Geburten, mit schwerwiegenden
fetalen Komplikationen durch einen transplazentaren AK-Übertritt [Birchall et al.
2003]
▪
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) bei unfraktioniertem Heparin bis 5 %, bei
Anwendung niedermolekularer Heparine < 0,5 %. Ther. Intervention nur bei HIT Typ II
(0,2–1 %) [Greinacher et al. 2003].
Pathophysiologie
Neben der inzidentellen Gestationsthrombozytopenie, deren Ursachen bisher nicht aufgeklärt
wurden, werden immunologische Formen von primären oder sekundären thrombotischen Mikroangiopathien
unterschieden.
Immunthrombozytopenie
▪
Idiopathische Immunthrombozytopenie: Wird durch spezifische Auto-AK gegen Oberflächenglykoproteine
der zirkulierenden Thrombozyten hervorgerufen, wobei die AK plazentagängig sind und
beim Fetus in 3–13 % ebenfalls zu einer Thrombozytopenie führen.
▪
Fetale/neonatale Alloimmunthrombozytopenie: Es findet sich keine maternale Thrombozytopenie,
jedoch zirkulieren Allo-AK gegen fetale, vom Vater geerbte Thrombozytenantigene, wenn
die sich von den maternalen unterscheiden. Diese Immunthrombozytopeniekönnen (im Unterschied
zur vergleichbaren Rh-Inkompatibilität) bereits in der ersten Schwangerschaft auftreten
und transplazentar beim Fetus eine Thrombozytopenie mit Hirnblutungen hervorrufen.
▪
Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie: Unter der Vielzahl von medikamentenverursachten
(Tab. 17.55
) ist die heparininduzierte Thrombozytopenie klinisch die bedeutendste. Es werden
2 Formen unterschieden, wobei nur die HIT Typ II (s. u.) durch AK gegen den Heparinkomplex
zu einem Plättchenabfall < 100 G/l führt.
Tab. 17.55
Medikamentenbedingte Thrombozytopenien
Indikationsgruppe
Beispiele
Antithrombotika
Heparin, ASS und andere Thrombozytenaggregationshemmer
Analgetika
Diclofenac, Indometacin, Ibuprofen
Antibiotika
Penicillin, Ampicillin, Aminoglykoside, Vancomycin
Diuretika
Furosemid, Thiazide
Antiepileptika, Sedativa
Phenytoin, Valproat, Carbamazepin, Diazepam, Imipramin
Antazida
Cimetidin, Ranitidin, Omeprazol
Mikroangiopathische Systemerkr.:
▪
Primäre thrombotische Mikroangiopathie:
–
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, bei der die Aktivität der den Von-Willebrand-Faktor
spaltenden Protease ADAMTS 13 vermindert ist.
–
Hämolytisch-urämisches Sy.: beim Erwachsenen sehr selten. Störung des Komplementsystems.
Proteaseaktivität normal.
–
Der Proteasendefekt kann angeboren oder erworben sein.
–
Durch Proteasendefekt (angeboren oder erworben) vermehrte Plättchenadhäsion an der
Gefäßwand → Mikroangiopathie mit Thrombusbildung und Hämolyse
▪
Sekundäre Mikroangiopathie:
–
Schwere Formen von Präeklampsie (17.2.1) und HELLP-Sy. (17.2.2): Endothelaktivierung
und daraus folgende Plättchenaggregation
–
Autoimmunerkr. wie SLE (17.19.2) und dem Antiphospholipidsy. → Schädigung der Gefäßwand
durch Auto-AK.
Klassifikation Thrombozytopenien während der Schwangerschaft können isoliert oder
im Rahmen von Systemerkr. auftreten, wobei diese schwangerschaftsspezifisch oder unabhängig
davon sein können (Tab. 17.56
).
Tab. 17.56
Klassifikation der Thrombozytopenien in der Schwangerschaft
Isolierte Thrombozytopenie
•
Gestationsthrombozytopenie
•
Immunthrombozytopenie (ITP)
•
Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie
•
Von-Willebrand-Sy. Typ II (17.20.3)
•
Kongenital
•
Pseudothrombozytopenie (laborbedingt)
Im Rahmen von Systemerkrankungen
Schwangerschaftsspezifisch
Schwangerschaftsunabhängig
•
Präeklampsie (17.2.1)
•
HELLP-Sy. (17.2.2)
•
Akute Schwangerschaftsfettleber (17.10.3)
•
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
•
Hämolytisch-urämisches Sy. (HUS)
•
SLE (17.19.3)
•
Antiphospholipidsy. (APL)
•
Verbrauchskoagulopathie, disseminierte intravasale Gerinnung (DIC)
•
Virusinfektionen (HIV 18.1.2, EBV, CMV 18.1.6)
•
Knochenmarkinsuff.
•
Mangelernährung (Folsäure- und Vit.-B12-Mangel)
•
Splenomegalie (verstärkte Sequestration)
Klinik Die mit einer Thrombozytopenie verbundenen klinischen Symptome in der Schwangerschaft
werden durch die zugrunde liegende Grunderkr. bestimmt und sind entsprechend vielgestaltig
[Bergmann und Rath 2015].
▪
Schwangerschaftsthrombozytopenie:
–
Klinisch oft symptomlos und ohne Risiko für eine erhöhte Blutungsneigung
–
Erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer hypertensiven Schwangerschaftserkr.
–
Schwangerschaftsspezifische Thrombozytopenien bei Präeklampsie (17.2.1 und Tab. 17.57
), HELLP-Sy. (17.2.2 und Tab. 17.58
), Infektionen (Kap. 18), Autoimmunerkr. (17.19)
Tab. 17.57
Symptomatik verschiedener Systemerkr. mit Thrombozytopenie
Präeklampsie
HELLP
TTP
HUS
SLE/APL
ITP
Thrombozytopenie
+
+++
++
++
+
+++
Hämolyse
+
+++
+++
+++
± bis +++
±
Hypertonie
+++
± bis ++
±
±
±
±
Fieber
±
±
++
+
±
±
Nierenstörung
+
+
± bis +
+++
± bis ++
±
ZNS
+
±
+++
±
+
±
Manifestation
2./3. Trimenon
2./3. Trimenon
2. Trimenon
Postpartal
Jederzeit
1./2. Trimenon
Tab. 17.58
Pathomechanismen und Krankheitsbilder, die ein erworbenes vWS hervorrufen können
Krankheitsbilder
Pathomechanismen
Lympho- und myeloproliferative Erkr., Neoplasien, Autoimmunerkr.
•
Auto-AK gegen vWF
•
Adsorption an Zelloberflächen
•
Verstärkte Proteolyse
Angeborene Herz- und Gefäßanomalien, Aortenstenose, Endokarditis, schwere Arteriosklerose,
β-Thalassämie
•
Path. Scherstress an der Endotheloberfläche
HypothyreoseUrämie
•
Verminderte Synthese
•
Verstärkte Proteolyse
Medikamente: Ciprofloxacin, ValproatHepatitis C und Hepatopathien
•
Unbekannte Mechanismen
▪
Immunthrombozytopenie:
–
Schwangerschaftsthrombozytopenie Petechiale Blutungen v. a. an den Beinen, aber auch
Brust und Nacken sowie Schleimhautblutungen
–
Intrauterine und peripartale Blutungen treten nur bei Thrombozytenzahlen < 20 G/l
auf und sind selten.
–
Bei fetaler Alloimmunthrombozytopenie imponieren keine typischen Symptome, sodass
erst nach der Geburt beim Neugeborenen unerwartet Hirnblutungen auftreten, da die
thrombozytären AK plazentagängig sind und so eine neonatale Alloimmunthrombozytopenie
(NAIT) hervorrufen.
–
Bei Mehrgebärenden und selten auch bei Erstgraviden kann es auch intrauterin zu fetalen
Hirnblutungen kommen, sodass bei ab dem 2. Trimenon neu auftretender Ventrikulomegalie
oder Porenzephalie an eine fetale Alloimmunthrombozytopenie (FAIT) gedacht werden
muss.
▪
Primär thrombotische Mikroangiopathien (TTP, HUS):
–
Petechiale Blutungen, hämolytische Anämie, Fieber, neurologische Symptome (Verwirrtheit,
Kopfschmerzen, Krampfneigung u. a.), Nierenfunktionsstörung
–
TTP manifestiert sich v. a. während der Schwangerschaft (60 % vor 24. SSW).
–
HUS tritt meist postpartal auf.
▪
Medikamenteninduzierte Thrombozytopenie: Tritt meist 7–20 Tage nach Therapiebeginn
auf und ist mit Blutungskomplikationen assoziiert.
▪
Heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT): eher arterielle und venöse Thrombembolien
als Blutungen.
–
Nicht immunologische HIT Typ I: Thrombozytenzahlen fallen innerhalb der ersten 1–2
Tage nur relativ gering (<30 %) und normalisieren sich auch unter weiterer Heparingabe
Thrombozytopenie:medikamenteninduziertespontan. Klinische Symptome treten i. d. R.
nicht auf.
–
AK-assoziierte HIT Typ II: Schwere Komplikationen möglich. Tritt 5–14 Tage nach Therapiebeginn
auf. Das Verhältnis vonThrombozytopenie:heparininduzierte venösen zu arteriellen Thrombosen
ist 5 : 1, häufig sind tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien.
▪
Systemerkr.: Symptomatik Tab. 17.57.
Diagnostik
Diagnostische Strategie: Die „Labordiagnose“ Thrombozytopenie muss durch gezielte
klinische und laborchemische Untersuchungen validiert werden.
▪
Für die Geburtshilfe steht die schnelle Diagnose eines HELLP-Sy. (17.2.2) oder einer
schweren Präeklampsie (17.2.1) als häufigste Ursache im Vordergrund.
–
Kombination mit Hypertonie, Proteinurie und ggf. Leberenzymerhöhung (beim HELLP-Sy.)
gekennzeichnet
–
Pfropfgestose häufig sekundär bei TTP, SLE oder dem Antiphospholipidsy. → bei zusätzlichen
klinischen oder anamnestischen Hinweisen entsprechende immunologische Diagnostik notwendig.
▪
Bei der häufigsten Form der milden Gestationsthrombozytopenie ist bei fehlenden anamnestischen
Risiken und klinischen Symptomen die ausgeweitete Labor- und AK-Diagnostik nicht erforderlich,
da keine Konsequenzen daraus erwachsen.
▪
Da die Differenzialdiagnostik der insgesamt seltenen schweren Thrombozytopenien schwierig
ist, erfordert eine rationelle Diagnostik die Kooperation mit einem Hämatologen und/oder
Transfusionsmediziner. [Bergmann und Rath 2015].
Diagnostische Schritte
▪
Ausschluss einer Pseudothrombozytopenie: Da im EDTA-Blut eine Plättchenaggregation
auftreten kann, erneute Bestimmung im Citrat-Blut (die dann unauffällig ist) sowie
ein Blutausstrich zum Nachweis der Aggregate
▪
Anamnese:
–
Aktuelle Infekte und Medikamenteneinnahme
–
Eigene und familiäre thrombembolische Erkr.
–
Verstärkte Menstruation, Nasen- und Zahnfleischblutungen, Schleimhautblutungen, neurologische
Symptome (Kopfschmerzen, Krampfanfälle)
–
Fehl-/Totgeburten und Komplikationen in vorangegangenen Schwangerschaften
▪
Körperliche Untersuchung: achten auf Fieber, Hepato- und Splenomegalie, Lymphknotenschwellungen,
petechiale Blutungen. Hypertoniediagnostik
▪
Urinanalyse: Ausschluss einer Proteinurie und Mikrohämaturie
▪
Labor:
–
Leberenzyme („HELLP-Labor“)
–
Gerinnungsstatus: Blutungszeit, PTT, Quick, AT III, Fibrinogen, D-Dimere
–
Untersuchung der Knochenmarkfunktion und Hämolyse: Blutausstrich, Diff.-BB, Erythrozyten-
und Retikulozytenzahl, ggf. Knochenmarkpunktion, Hkt, Hb, Haptoglobin, freies Hämoglobin,
Bilirubin, Fragmentozyten im Blutausstrich
▪
Immunologische und AK-Diagnostik:
–
Thrombozytäre AK (MAIPA-Test)
–
Auto-AK (ANA, ENA, Anti-Cardiolipin-AK, Lupusantikoagulans), Rheumafaktoren
–
Heparininduzierte AK
–
Von-Willebrand-Faktor spaltende Protease ADAMTS 13, Faktor H
▪
Sonografie: fetale Wachstumsdynamik, Fruchtwassermenge, Ventrikulomegalie oder andere
zerebrale Auffälligkeiten. Bei Nachweis einer ITP ggf. Nabelschnurpunktion zur Bestimmung
der fetalen Thrombozytenzahl.
Die aufwendige immunologische und AK-Diagnostik ist bei Auftreten petechialer Blutungen
und/oder V. a. eine fetale oder neonatale Alloimmunthrombozytopenie in einer vorangegangenen
Schwangerschaft erforderlich.
Bestätigt sich eine ITP/FAIT bei der Schwangeren, muss bei einer maternalen Thrombozytopenie
< 50 G/l in ca. 10 % auch mit einer fetalen/neonatalen Thrombozytopenie gerechnet
werden. Deshalb ist in diesem Fall zur Senkung des Risikos intrakranieller Blutungen
eine primäre Sectio caesarea mit den Eltern zu besprechen.
Differenzialdiagnosen
Abb. 17.18
.
Abb. 17.18
Differenzialdiagnostik einer Thrombozytopenie:DifferenzialdiagnostikThrombozytopenie
während der Schwangerschaft
[L157]
Therapie
Die ther. Entscheidungen hängen von der Ursache der Thrombozytopenie ab.
Gestationsthrombozytopenie:
▪
Ther. im Allgemeinen nicht erforderlich.
▪
Vaginale Entbindung ist bei allen symptomfreien Schwangeren möglich, da kein erhöhtes
Blutungsrisiko besteht.
▪
Es besteht keine Ind. für eine Sectio.
Präeklampsie/HELLP-Syndrom
17.2.1 und 17.2.2.
Heparininduzierte Thrombozytopenie Typ I: Keine spezifische Ther. erforderlich. Auch
unter Fortsetzung der Heparingabe kommt es im weiteren Verlauf zur Normalisierung
der Thrombozytenzahl.
Heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II:
▪
Sofortige Beendigung der Heparinisierung
!
Etwa 50 % haben zum Zeitpunkt der Diagnose bereits eine thrombembolische Komplikation,
weitere 25 % haben das Risiko einer Thrombose innerhalb der folgenden 30 Tage [Greinacher
et al. 2003].
▪
Alternative Thromboseprophylaxe und -ther.:
–
Danaparoid 2–3 × 750 E/d s. c. (kann in Schwangerschaft und Stillzeit angewendet werden)
–
Fondaparinux als Zweitlinien-Behandlung möglich
–
Prophylaxe bis zur Normalisierung der Thrombozytenzahl fortsetzen und die Therapieintensität
bei einer bereits eingetretenen Thrombose im Verlauf der Gerinnungssituation anpassen
[Linkins et al. 2012].
Bei begründetem klinischem HIT-II-Verdacht unverzüglich mit der alternativen Antikoagulation
beginnen, da eine Verzögerung bis zum Nachweis der HIT-AK das Komplikationsrisiko
erheblich erhöht.
Immunthrombozytopenie (ITP) und fetale Alloimmunthrombozytopenie (FAIT)
▪
Maternale Therapie: Ziel ist die Vermeidung von Blutungskomplikationen prä-, peri-
und postpartal.
–
Ind.: Blutungen, bei Thrombozytenabfall < 20–30 G/l im 1. und 2. Trimenon oder < 50
G/l im 3. Trimeneon (ab 50 G/l für Sectio und >80 G/l für PDA ausreichend) [Matzdorf
et al. 2015]
–
Ther. der 1. Wahl: Prednisolon 20–30 mg/d initial. Bei Therapieerfolg rasche Dosisreduktion
auf Erhaltungsdosis 10–20 mg/d [Matzdorf et al. 2015]
–
Bei Nichtansprechen oder unmittelbar präpartal: Immunglobuline 1–2 g/kg KG i. v. für
1–3 d (Thrombozytenanstieg nach 6–72 h)
–
Bei lebensbedrohlichen Blutungen präop. oder intrapartal Thrombozytenkonzentrate
–
Splenektomie als Ultima Ratio.
Das Ausmaß der Thrombozytopenie der Mutter korreliert nicht mit der des Fetus, sodass
auch bei Thrombozytenzahlen > 50 G/l oder erfolgreicher Ther. eine fetale Thrombozytopenie
möglich ist
▪
Fetale Therapie: Zwei Strategien wurden in einer europäischen Multicenterstudie evaluiert
[Birchall et al. 2003]:
–
Transplazentare Ther. durch maternale Immunglobulingabe 1 g/kg KG i. v., wenn nicht
ausreichend Kombination mit Prednisolon 0,5 mg/kg KG, ggf. mit Therapiekontrolle durch
fetale Blutentnahme (Ansprechrate ca. 66 %).
–
Intrauterine Thrombozytentransfusion entsprechend der Thrombozytenzahl: < 20 G/l:
wöchentliche Transfusionen bis 32.–36. SSW, dann Entbindung; > 20 G/l: Nabelschnurpunktion
und Transfusionen in größeren Abständen möglich (Ansprechrate 58 %, höhere Komplikationsrate
durch Invasivität).
–
Im internationalen Konsens wird das noninvasive Vorgehen präferiert [Espinoza et al.
2013; Rayment et al. 2009].
Mikroangiopathische Thrombozytopenie: Bei der TTP ist die Ther. der Wahl die wiederholte
Plasmapherese. Durch den Plasmaaustausch wird die fehlende Protease ADAMTS 13 frisch
zugeführt, was zu einem Abbau der Von-Willebrandt-Faktor-Multimere und damit zum Thrombozytenanstieg
führt. Die Wiederholungsfrequenz richtet sich nach der Dynamik der Thrombozytenzahl.
Eine begleitende Ther. mit Prednisolon initial 100 mg i. v., dann ausschleichend,
kann erfolgen.
Ther. eines HUS wie bei TTP, zusätzlich:
▪
Bei Niereninsuff. ggf. Hämodialyse
▪
Als Ultima ratio ist eine Ther. mit Eculizumap beim HUS erfolgversprechend, jedoch
noch keine ausreichende Studienlage [Wong und Kavanagh 2015].
▪
Thrombozytenkonzentrate sind nur bei akuten Blutungen indiziert, da nur kurzzeitig
effektiv.
▪
Thrombozytopenie:mikroangiopathischeTher. des SLE und anderer Autoimmunerkr. wie außerhalb
der Schwangerschaft.
Geburtshilfliches Vorgehen Bei Thrombozytenwerten > 50 GPT/l besteht kein erhöhtes
Blutungsrisiko unter der Geburt. Eine vaginale Entbindung ist möglich, eine Ind. zur
primären Sectio besteht nicht. Therapieziel ist daher, durch eine präpartale Ther.
eine stabile Thrombozytenzahl > 50 GPT/l zu erreichen. Ist dies aus Zeitgründen oder
durch Nichtansprechen der Ther. nicht möglich, peripartal Thrombozytenkonzentrate
bereitstellen, um entweder prophylaktisch oder bei Blutungen unverzüglich transfundieren
zu können.
Bei einer fetalen Alloimmunthrombozytopenie muss vor der Geburt ebenfalls eine fetale
Thrombozytenzahl > 50 GPT/l erreicht werden, um peripartale Hirnblutungen zu vermeiden.
Ob diese Feten von einer primären Sectio profitieren, ist nicht geklärt. Bei unklarer
oder niedrigerer Thrombozytenzahl die schonendste Entbindungsvariante bevorzugen und
eine unmittelbare Diagnostik aus Nabelschnurblut und ggf. eine neonatale Thrombozytentransfusion
veranlassen.
17.20.3
Von-Willebrand-Syndrom
Definition Das Von-Willebrand-Sy. (vWS) ist die häufigste angeborene oder – seltener
– erworbene Bluterkr. Typisch ist eine primäre Blutstillungsstörung, wobei sekundär
eine Blutgerinnungsstörung in Form eines Faktor-VIII-Mangels hinzukommen kann. Aufgrund
der multifunktionellen Natur des Von-Willebrand-Faktors (vWF) können sehr unterschiedliche
Defekte des vWF und daraus folgend klinisch differente Manifestationen der Blutungsneigung
auftreten.
Einevon-Willebrand-Syndrom exakte Diagnostik hat für den Patienten eine große Bedeutung
für eine optimale Beratung und Behandlung und sollte aufgrund der Komplexität der
Blutgerinnungsstörung immer interdisziplinär mit einem erfahrenen Hämostaseologen
erfolgen.
Epidemiologie
▪
Männern : Frauen = 1 : 1
▪
Prävalenz 0,8–1,3 %
–
Nur in 8 ‰ ist mit einer klinischen Relevanz zu rechnen.
–
Eine schwere Form ist sehr selten (0,5–3,0 auf 1.000.000), also in Deutschland max.
250 Patienten.
–
Leichtere Formen bei etwa 10.000 Personen, die meist erst bei besonderen Ereignissen
wie OP oder Geburten durch unvorhergesehene starke Blutungen manifest werden.
Ätiologie Der vWF ist ein komplexes Protein, das ausschließlich im Endothel und in
Megakaryozyten gebildet und konsekutiv von der Endotheloberfläche ins Blut freigesetzt
wird. Es besteht aus der Kombination von mehr als 20 Untereinheiten (Dimere), wobei
an jedem Dimer Bindungsstellen für Faktor VIII, Kollagen, Heparin und Thrombozytenglykoproteine
existieren. Die Wirkung dieses größten löslichen Proteins des Menschen mit einer Plasmakonzentration
von ca. 10 μg/ml ist abhängig von der Größe des Multimers.
Es hat 2 Funktionen:
▪
Bei Verletzung des Endothels wird durch den freigesetzten vWF die Thrombozytenaggregation
und damit die Thrombusbildung gefördert sowie die Adhäsion der Thombozyten an das
Subendothel der Gefäßwand durch die Kollagenbindung vermittelt (primäre Hämostase).
▪
Der im Blut zirkulierende vWF ist selbst kein Protein der plasmatischen Gerinnung,
stabilisiert aber den Faktor VIII, der ohne diese Bindung sehr rasch abgebaut wird.
Dies stellt sich dann als ausgeprägter Faktor-VIII-Mangel dar, obwohl dieser primär
ausreichend synthetisiert wird (Störung der sekundären Hämostase).
Die Gerinnungsstörung wird durch eine Verminderung oder eine völliges Fehlen und/oder
einen funktionellen Defekt des vWF verursacht.
Pathophysiologie Das Gen des vWF ist auf dem distalen Ende des kurzen Arms von Chromosom
12 lokalisiert. Es wurde eine Vielzahl verschiedener Mutationen beschrieben, die entweder
zu quantitativen oder qualitativen Defekten führen können. Die Vererbung kann sowohl
autosomal-dominant (Typ 1, Typ 2) als auch autosomal-rezessiv (Typ 3, Typ 2N) sein.
Neben dem „klassischen“ vererbten vWS wird auch in ca. 25 % eine erworbene Form beschrieben,
bei der normal oder sogar vermehrt sezernierte vWF im Plasma durch unterschiedliche
Pathomechanismen (Tab. 17.58), die abhängig von verschiedenen Grunderkr. sind, vermindert
oder qualitativ verändert wird.
Klassifikation Die verwendete klinische Klassifikation in 3 Gruppen (Tab. 17.59
) erfolgt nach der Schwere der Blutungssymptomatik und spiegelt die unterschiedlichen
Pathomechanismen nur unzureichend wider. Während der Typ 1 durch eine milde Verlaufsform
und der Typ 3 durch schwere Blutungen charakterisiert ist, kann die Ausprägung sowohl
in den Subtypen des Typs 2 als auch des erworbenen vWS erheblich variieren.
Tab. 17.59
Klassifikation des kongenitalen Von-Willebrand-Syndroms und Häufigkeit
Typ 1 (47 %)
Mengenmäßige Verminderung des funktionell normalen vWF
Typ 2 (51 %)4 Subtypen A, B, M, N
Funktionelle Störung des vWF, häufig auch mengenmäßige Verminderung
Typ 3 (3 %)
Vollkommener Mangel an vWF mit schwerer Blutungsneigung
[nach Schneppenheim und Budde 2004]
Klinik Das Leitsymptom ist die verstärkte Blutungsneigung. Häufigkeit von auftretenden
Blutungen bei vWS [Schneppenheim und Budde 2004]
▪
Nasenbluten 64 %
▪
Verstärkte und verlängerte Menstruation 60 %
▪
Nachblutung nach Zahnbehandlung 52 %
▪
Neigung zu „blauen Flecken“ 49 %
▪
Zahnfleischbluten 35 %
▪
Blutung bei und nach Operationen 28 %
▪
Nachblutung nach Entbindung 23 %
Pat. mit dem seltenen vWS Typ 3 haben schwerste Blutungsneigungen, z. T. hämophilieartig
mit spontanen Gelenk- und Muskeleinblutungen sowie häufigen gastrointestinalen Blutungen.
Menorrhagie
▪
Prävalenz Menorrhagieeines vWS bei Frauen mit Menorrhagie 7–20 %
▪
Bei vWS treten in 74–100 % überstarke Menstruationen auf, wobei alle Frauen mit Typ
3 und auch ⅔ mit dem leichteren Typ 1 an Menorrhagien leiden.
▪
Bei vWS Typ 2 und 3 musste in 23 % und bei Typ 1 in 8–18 % eine Hysterektomie wegen
der schweren Blutungen mit sekundärer Anämie durchgeführt werden.
▪
In der Schwangerschaft treten häufiger Aborte im 1. Trimenon sowie Früh- und Totgeburten
auf.
▪
Am häufigsten sind unerwartete schwere postpartale Blutungen.
▪
Während der Schwangerschaft nimmt (außer beim Typ 3) die Blutungsneigung i. d. R.
ab, da ab 1. Trimenon der Faktor-VIII-/-vWF-Komplex ansteigt und damit die Blutungszeit
verkürzt wird.
▪
Unter der Geburt fällt der vWF aber wieder ab.
Diagnostik Aufgrund der Vielgestaltigkeit der Befundkonstellationen muss eine solche
Diagnostik in engster Kooperation mit einem erfahrenen Hämostaseologen und einem darauf
spezialisierten Labor erfolgen.
Bei V. a. eine verstärkte Blutungsneigung folgende Stufendiagnostik durchführen:
▪
Orientierende Diagnostik: ausführliche Anamnese, v. a. Familienanamnese, Blutungszeit,
partielle Thromboplastinzeit (aPTT)
▪
Erweiterte Diagnostik: Von-Willebrand-Faktor-Antigen (vWF-Ag), Ristocetin-Cofaktor-Aktivität
(RiCof), Faktor-VIII-Aktivität (VIII:C)
▪
Spezielle Diagnostik: vWF-Kollagen-Bindungsaktivität (CBA), ristocetininduzierte Plättchenaggregation
(RIPA), Multimeranalyse, vWF-Parameter in Thrombozyten, VIII-Bindungsfähigkeit des
vWF.
In der Schwangerschaft steigt die Konzentration des vWF v. a. zum Ende deutlich an,
sodass die Blutungsneigung abnimmt. Bereits ab dem 1. Trimenon nehmen die Faktor-VIII-/-vWF-Komplexe
zu, dadurch wird die Blutungszeit normalisiert, was v. a. beim Typ 1 die Diagnostik
erschwert. Bei schweren Formen des Typs 3 findet sich dieser Effekt nicht.
Alle weitergehenden Untersuchungen, wie auch die molekulargenetische Diagnostik, erfordern
spezielle Erfahrungen und sollten Spezialisten vorbehalten bleiben.
Um eine falsch-positive „Überdiagnostik“ zu vermeiden, sollten für eine Diagnose eines
vWS folgende Kriterien erfüllt sein:
▪
Typische Blutungszeichen und eine dafür positive Familienanamnese
▪
Mehrfach path. vWF-Laborbestimmungen.
Differenzialdiagnosen Die charakteristisch verlängerte Blutungszeit ist ein Globaltest
der primären Hämostase, der sowohl qualitative und quantitative Störungen der Thrombozytenfunktion,
des Von-Willebrand-Faktors als auch Gefäßwandstörungen und eine verminderte Erythrozytenzahl
erfasst (standardisierte Messmethode erforderlich).
Nur schwere Formen mit einer deutlichen Faktor-VIII-Verminderung und qualitative Störungen
des vWF vom Typ 2N werden durch eine isolierte Verlängerung der aPPT auffällig, was
eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zur Hämophilie notwendig macht (Abb. 17.19
).
Abb. 17.19
Differenzialdiagnostik der Hämophilie und des vWS
[nach Schneppenheim und Budde 2004] [L157]
Therapie Da die klinische Ausprägung eines vWS sehr unterschiedlich sein kann, sind
eine mögliche Prophylaxe und Ther. am klinischen Schweregrad, dem zu erwartenden Blutungsrisiko
und dem Typ des vWS auszurichten.
DDAVP: Aufgrund des Wirkprinzips ist DDAVP nur indiziert, wenn der funktionelle vWF
(Ristocetin-Cofaktor) > 10 % ist. Um die klinische Ansprechbarkeit zu überprüfen,
muss vor dem ther. Einsatz ein sog. Minirintest erfolgen: Die Plasmaspiegel von vWF
und Faktor VIII steigen innerhalb von 1 h auf ihr Maximum (bis 4-Faches des Basalwertes)
an und fallen dann über 4–8 h ab.
▪
Dosierung:
–
Octostim® Nasalspray 1–2 Sprühstöße/d
–
DDAVPMinirin®: Kurzinfusion über 30 Min. 0,3–0,4 μg/kg KG in 100–200 ml NaCl 0,9 %
▪
KI: vWS Typ 2B wegen der Gefahr einer Thrombozytopenie, Angina pectoris oder Herzinsuff.,
Hypertonie, Epilepsie
▪
NW: Flushsymptome und Kopfschmerzen, Wasserretention (Vasopressineffekt), Hypotonie,
Krampfanfälle bei prädisponierten Patienten.
▪
Ein Ansprechen ist nur bei dem milden Typ 1 und dem Typ 2A zu erwarten.
▪
Die wiederholte Anwendung führt zu einer Tachyphylaxie und geringerer Wirksamkeit
innerhalb der nächsten 12 h.
▪
Die NW resultieren aus dem antidiuretischen Effekt und können durch eine sorgfältige
Flüssigkeitsbilanzierung bis zum Einsetzen der Diurese weitgehend vermieden werden.
Plasmakonzentrate mit einem hohen Anteil von hochmolekularem vWF sind bei schweren
Blutungen, längeren postop. Verläufen und Pat. mit < 10 % funktionell aktivem vWF
einzusetzen. Dies trifft v. a. auf die schweren Fälle des Typs 3, aber auch auf viele
Fälle mit einem Typ 2 des vWS zu. Die längsten Erfahrungen liegen mit dem Plasmakonzentrat
Haemate HS® vor. In Deutschland sind weiterhin zur Verfügung: Immunate®, Willate®.
▪
Dosierung ist abhängig vom klinischen Schweregrad und Typ:
–
Schwerer Typ 1, 2A und 3: 60–80 E/kg KG Haemate HS® alle 12 h
–
Mittelschwerer Typ 1, 2B und 2N: 40 E/kg KG Haemate HS® alle 24 h
▪
Therapiemonitoring:
–
Verkürzung bis Normalisierung der Blutungszeit
–
Erhöhung über 30 % bis hin zur vWF-PlasmakonzentrateNormalisierung der Aktivität des
Ristocetin-Cofaktors in Abhängigkeit des Blutungsrisikos
▪
NW: Entwicklung von Hemmkörpern, dadurch Wirkungsverlust, allergische Reaktionen.
Geburtshilfliches Vorgehen
Geringerer klinischer Schweregrad: Auch beim leichten Typ 1 fällt nach der Geburt
der während der Schwangerschaft angestiegene vWF-Spiegel ab, sodass Spätblutungen
noch am 7.–10. Tag post partum auftreten können. Deshalb in jedem Fall bei einer Schwangeren
mit bekanntem Von-Willebrand-Sy. sowohl DDAVP als auch Plasmakonzentrate prophylaktisch
bereithalten.
Es empfiehlt sich folgende Stufenther.:
▪
Bei komplikationsloser Entbindung keine Substitution notwendig
▪
Bei postpartaler Blutung Minirin® nasal oder als Kurzinfusion
▪
Bei verstärkter postpartaler Blutung Haemate HS® in o. g. Dosierung.
Schweres Von-Willebrand-Syndrom: Entbindung in einem Zentrum, in dem prophylaktisch
Substitutionspläne für Spontangeburt und Sectio erstellt werden. Plasmakonzentrate
wie o. g. über 10–14 Tage in einer Dosierung von 40–60 E/kg KG. Cave
von-Willebrand-Syndrom:Geburt
: ASS und i. m. Injektionen sind kontraindiziert.
17.20.4
Evidenzbasierte Medizin, Leitlinien
Die AWMF Leitlinie 025-021 Eisenmangelanämie beschäftigt sich nicht mit der Schwangerschaft,
sodass aktuell keine deutsche Leitlinie zu hämatologischen Erkr. in der Schwangerschaft
existiert.
Für die Schweiz wird im Expertenbrief No 22 der Kommission Qualitätssicherung zur
Diagnostik und Ther. der Eisenmangelanämie in der Schwangerschaft und postpartal Stellung
genommen.
Für die Immunthrombozytopenie findet sich eine Oncopedia-Leitlinie der hämatologischen
Fachgesellschaften
Für die Prophylaxe und Ther. einer Anämie in Schwangerschaft und Wochenbett existieren
eine Reihe von Metaanalysen der Cochrane-Datenbank, während unter dem Stichwort Thrombozytopenie
sich nur eine Metaanalyse zur fetomaternalen Alloimmunthrombozytopenie und keine zum
Von-Willebrand-Sy. in der Schwangerschaft findet (Tab. 17.60
).
Tab. 17.60
Übersicht über die Metaanalysen der Cochrane-Datenbank zum Thema Schwangerschaft und
Anämie bzw. Thrombozytopenie
Aussage
Bewertung
Studie
Eisen- und Folsäuresubstitution in der Schwangerschaft
Prävention der Anämie zur Geburt und im Wochenbett, jedoch ohne nachweisbaren sonstigen
Effekt auf fetalen und maternalen Zustand und Schwangerschaftserfolg
[Peña-Rosas et al. 2015]
Ther. der Eisenmangelanämie
•
Tägliche orale Eisengabe senkt Anämiehäufigkeit im Vergleich zu Placebo
•
Eisen wirkt parenteral effektiver als oral
•
Keine ausreichenden Daten über Effekte auf Schwangerschaftsentwicklung und -erfolg
•
Insgesamt nicht ausreichende Studienlage
[Reveiz et al. 2011]
Ther. der postpartalen Anämie
Studien fokussiert auf Laboreffekte, keine guten Aussagen über klinischen Erfolg möglichKombination
mit Erythropoetin weiterhin unklar
[Markova et al. 2015]
Ther. der fetomaternalen Alloimmunthrombozytopenie
•
Optimale Ther. bleibt unklar
•
Vergleich Immunglobuline i. v. ± Glukokortikoide ohne erkennbare Unterschiede
[Rayment et al. 2011]
17.21
Karzinom und Schwangerschaft
Dieter Grab
17.21.1
Mammakarzinom
Epidemiologie Neben dem Zervixkarzinom (17.21.3) das häufigste Karzinom in der Schwangerschaft.
▪
Inzidenz: 0,1–0,3 ‰ [Isaacs 1995; Samuels et al. 1998; Sorosky und Scott-Conner 1998]
▪
Etwa 0,2–3,8 % aller Mammakarzinome treten in Schwangerschaft und Stillzeit auf [Bernik
et al. 1998].
Durch den Aufschub der Reproduktion in das 3. und 4. Lebensjahrzehnt ist entsprechend
der steigenden Inzidenz des Mammakarzinom, in der SchwangerschaftLebensalters mit
einer steigenden Koinzidenz von Schwangerschaft und Mammakarzinom zu rechnen [Desting
und Inthraphuvasak 2004].
Ätiologie
▪
Genetische Prädisposition:
–
Etwa 5 % aller Mammakarzinome mit autosomal-dominantem Erbgang
–
Weitere 10 % treten familiär gehäuft auf, ohne erkennbaren eindeutigen Erbgang.
–
Der genetischen Prädisposition liegen Veränderungen einer Reihe von Genen zugrunde
(z. B. Mutationen des BRCA1- und des BRCA2-Gens). Durch gestörte DNA-Reparaturmechanismen
steigt das Risiko, im Lauf des Lebens an einem Mammakarzinom zu erkranken, erheblich.
▪
Die meisten Mammakarzinome treten sporadisch auf.
▪
Steroidhormone, sowohl Östrogene als auch Gestagene, spielen eine entscheidende Rolle
in der Ätiologie. Positive Korrelation zwischen Mammakarzinom und früher Menarche,
später Menopause, hohem Lebensalter bei der 1. Schwangerschaft und Kinderlosigkeit.
▪
Daneben spielen soziokulturelle Faktoren (fettreiche Ernährung, regelmäßiger Alkoholkonsum,
Vitamin-A-Mangel) eine Rolle.
Pathophysiologie Aufgrund des physiologischen Umbaus der Brust zur Vorbereitung auf
die Laktation kommt es durch die veränderten hormonellen Bedingungen (Serumspiegel
↑ für Östrogen, Progesteron, Prolaktin, hCG) zu einer Proliferation des Brustdrüsengewebes
mit Zellvermehrung, Wasserretention, Zunahme der Vaskularisation, Dichte und Festigkeit
der Brustdrüse. Kleinere Tumoren entgehen damit der Tastuntersuchung oder werden als
benigne Adenome fehlgedeutet.
Werden zur Bestimmung der Hormonrezeptoren kompetitive Testverfahren angewendet, sind
die Östrogenrezeptoren aufgrund der hohen endogenen Östrogenwerte im Blut meist negativ,
da alle Rezeptoren gebunden sind. Deshalb sind immunzytochemische Untersuchungsverfahren
sensitiver als die klassischen Bindungstests [Elledge et al. 1993].
Klassifikation Die Stadieneinteilung entspricht der Klassifikation außerhalb der Schwangerschaft
[Wittekind, Meyer und Bootz 2009]:
Primärtumor:
▪
pTis: Carcinoma in situ
–
Tis (DCIS): duktales Carcinoma in situ
–
Tis (LCIS): lobuläres Carcinoma in situ
–
Tis (Paget): Morbus Paget der Mamille ohne nachweisbaren Tumor
▪
pT1: Tumor ≤ 2 cm in seiner größten Ausdehnung
–
T1 mic: Mikroinvasion ≤ 0,1cm in größter Ausdehnung
–
T1a: > 0,1 cm bis < 0,5 cm in seiner größten Ausdehnung
–
T1b: > 0,5 cm bis < 1 cm in seiner größten Ausdehnung
–
T1c: > 1 cm bis < 2 cm in seiner größten Ausdehnung
▪
pT2: > 2cm bis < 5 cm in seiner größten Ausdehnung
▪
pT3: > 5 cm in seiner größten Ausdehnung
▪
pT4: Tumor jeder Größe mit direkter Ausdehnung auf Brustwand oder Haut
–
pT4a: Ausdehnung auf Brustwand
–
pT4b: Ödem (einschließlich Apfelsinenhaut) oder Ulzeration der Brusthaut
–
pT4c: Kriterien 4a und 4b gemeinsam
–
pT4d: Inflammatorisches Karzinom
Lymphknoten:
▪
pN1mi: Mikrometastase (> 0,2 mm bis < 2 mm)
▪
pN1: Metastase in 1–3 ipsilateralen axillären Lymphknoten
▪
pN2: Metastase in 4–9 axillären Lymphknoten
▪
pN3: Metastase in > 9 axillären Lymphknoten
Fernmetastasen:
▪
MX: Nicht beurteilbar
▪
M0: Keine Fernmetastasen
▪
M1: Fernmetastasen.
Klinik Die Diagnose wird meist durch einen tastbaren Knoten in der Brust gestellt.
Obwohl bei den meisten Frauen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge eine klinische
Untersuchung der Brüste erfolgt, entgehen kleine Mammakarzinome aufgrund der hormonell
induzierten physiologischen Veränderungen der Brustdrüse oft der Tastuntersuchung.
Aber auch tastbare Knoten werden in der Schwangerschaft häufig nicht konsequent genug
abgeklärt: Die durchschnittliche zeitliche Verzögerung von der Entdeckung des Befundes
bis zur Einleitung einer effektiven Ther. liegt bei 5 Mon. [Moore und Forster 2000].
Weitere klassische Symptome wie Konturveränderungen und Hauteinziehungen sind in der
Schwangerschaft nur in Ausnahmefällen bei großen Tumoren zu erwarten.
Diagnostik
▪
Bildgebende Verfahren in der Schwangerschaft nur eingeschränkt verwertbar: Die vermehrte
Wassereinlagerung führt zu einer erhöhten Dichte des Drüsenkörpers und erschwert sowohl
Mammografie als auch Sonografie [Barnavon und Wallack 1990].
▪
Histologische Sicherung: Mittel der Wahl zur Abklärung eines suspekten Tastbefundes
[Gallenberg und Loprinzki 1989]
–
Treffsicherheit von aspirationszytologischen Untersuchungen wird kontrovers diskutiert:
Carillo et al. [1999] fanden in einem Kollektiv von 213 Pat., die eine histologische
Abklärung eines tastbaren Mammaknotens erhielten, eine Sensitivität von 93 %, eine
Spezifität von 97 % und einen positiven Vorhersagewert von 97 %. Andere Gruppen fanden
wesentlich schlechtere Ergebnisse und raten von einer aspirationszytologischen Abklärung
ab [Mitre, Kanbour und Mauser 1997].
–
Sofern sich die Befunde sonografisch darstellen lassen, ist heute die sonografisch
kontrollierte Stanzbiopsie die Methode der Wahl zur Abklärung suspekter Brustbefunde.
▪
Bei histologischem Nachweis eines Mammakarzinoms sind als Staginguntersuchungen in
jedem Fall ein Rö-Thorax, ein Oberbauchsonogramm, Tumormarkern (CA 15, CA 15–3), ein
kleines Blutbild sowie eine Bestimmung der Leberenzyme erforderlich.
▪
Die Skelettszintigrafie hat eine relativ hohe Strahlenbelastung für den Fetus und
sollte nur bei Symptomen oder sehr großem Tumor mit hohem Metastasierungspotenzial
bereits in graviditate erfolgen.
▪
Hirnmetastasen können mittels MRT ausgeschlossen werden [Barvanon und Wallack 1990].
Die Untersuchung ist aber nur bei entsprechendem klinischen Verdacht indiziert.
Operative Therapie Ther. der Wahl.
▪
Lumpektomie oder Mastektomie je nach Tumorgröße sowie axilläre Lymphonodektomie oder
Sentinel-Node-Biopsie [Khera et al. 2008]
▪
Bei brusterhaltendem Vorgehen wie außerhalb der Schwangerschaft eine Radiatio binnen
12 Wo. anschließen. → Brusterhaltende Ther. daher nur möglich, wenn Diagnosestellung
im 3. Trimenon erfolgt ist, oder bei Pat. mit Ind. zur Chemother., bei denen die Strahlenther.
bis nach der Entbindung verschoben werden kann.
Systemische Therapie
▪
Im 1. Trimenon sollte wegen der hohen teratogenen Gefahr keine Chemother. durchgeführt
werden.
▪
Im 2. und 3. Trimenon leitliniengerechte Chemother. möglich, allerdings ist Methotrexat
während der gesamten Schwangerschaft kontraindiziert. Bevorzugt (neo)adjuvante Chemother.
mit anthrazyklinhaltigen Schemata in Standarddosierung
▪
Taxane und Cisplatin sind mögliche Optionen [Mir et al. 2010].
▪
Trastuzumab, Lapatinib, Bevacizumab, Bisphosphonate und Tyrosinkinase-Inhibitoren
sind aufgrund ihres teratogenen Risikos und aufgrund mangelnder Datenlage kontraindiziert
[Würstlein et al. 2015].
Abruptio bzw. Fortsetzung der Schwangerschaft
1. Trimenon:
▪
Unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Behandlungsergebnisse führt eine Abruptio
nicht zu einer Verbesserung der Überlebensrate bei Mammakarzinomen in der Schwangerschaft
[Petrek, Dukoff und Rogatko 1991]. Wurde bereits im 1. Trimenon eine Chemother. durchgeführt,
mit der Schwangeren die Problematik einer teratogenen Schädigung des Fetus diskutieren
→ Schwangerschaftsabbruch in dieser Situation.
▪
Möchte die Mutter die Schwangerschaft im Bewusstsein des erhöhten kindlichen Risikos
fortsetzen, kann ihr eine entsprechende pränatale Überwachung mit Sonografie, ggf.
Amniozentese (eine Punktmutation kann jedoch nicht erkannt werden!) und AFP im maternalen
Serum angeboten werden.
2. Trimenon: Eine Exposition des Fetus mit Zytostatika im 2. Trimenon rechtfertigt
nach Datenlage keine Abruptio aufgrund der Medikamentenexposition [Adler-Ganal 2006;
Cardonick et al. 2015].
Komplikationen
▪
Bei einer Kombinations-Chemother. im 1. Trimenon 25 % Fehlbildungen
▪
Nach Ausschluss der Folsäure-Antagonisten und nach zytostatischer Monother. nur noch
in 6 % Fehlbildungen [Doll, Ringenberg und Yarbro 1988]
▪
Fetale Wachstumsretardierung
▪
Frühgeburtlichkeit
▪
Fetale Anämie und Leukopenie
▪
Kardiotoxizität nach anthrazyklinhaltiger Chemother.
Prognose Bezüglich der Prognose des Mammakarzinoms in der Schwangerschaft liegen widersprüchliche
Daten vor. Lange Zeit wurde eine negative Auswirkung der Schwangerschaft auf den Verlauf
einer malignen Krankheit vermutet. Vergleicht man Pat. gleichen Alters mit gleichem
Tumorstadium und Lymphknotenstatus, haben schwangere Pat. ein signifikant erhöhtes
Risiko, an dem Mammakarzinom zu sterben. Diese Relation besteht auch für Pat., deren
Mammakarzinom bei weniger als ein Jahr zurückliegender Schwangerschaft erstdiagnostiziert
wurde. Ursächlich wurde die gesteigerte Immuntoleranz gegenüber körperfremdem Gewebe
diskutiert [Gleicher und Seigel 1981].
Eine Reihe aktueller Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass die schweren Krankheitsverläufe
eher an der zu spät gestellten Diagnose und einer zögerlichen und inkonsequenten Ther.
liegen als an einem das Tumorwachstum fördernden Einfluss der Schwangerschaft [Barvanon
und Wallack 1990; Nettleton et al. 1996, Raphael, Trudeau und Chan 2015]. Amant et
al. [2013] fanden nach Adjustierung der Prognosefaktoren ein ähnliches Gesamtüberleben
für Pat. mit Brustkrebs in der Schwangerschaft wie bei nicht schwangeren Pat. mit
Brustkrebs.
Wichtigster gesicherter und unabhängiger Prognosefaktor ist der axilläre Lymphknotenstatus.
Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt bei Frauen mit metastasenfreien Lymphknoten 79
%, bei Lymphknotenmetastasierung nur noch 45 %.
Schwangerschaft nach behandeltem Mammakarzinom Schwangerschaften, die im Anschluss
an die Behandlung eines Mammakarzinoms auftreten, führen nicht zu einer Prognoseverschlechterung
[Sorosky und Scott-Conner 1998]. In einer Matched-Pairs-Analyse bei 23 Pat. mit Brustkrebs,
die nach Abschluss der Ther. schwanger wurden:
▪
Rate von Rezidiven und Fernmetastasen nicht größer als im Vergleichskollektiv therapierter
Brustkrebspat. ohne nachfolgende Schwangerschaft [Dow, Harris und Roy 1994].
▪
Studien an 5.762 Pat. < 45 J. [Kroman et al. 1997] und an 383 Pat. < 35 J. [Blakely
et al. 2004], von denen ingesamt 220 im Anschluss an Operation und adjuvante Chemother.
schwanger wurden sowie eine Metaanalyse von Azim et al. [2011] zeigten keine schwangerschaftsbedingte
Prognoseverschlechterung.
▪
Die Kinder konnten ohne Risiko einer Prognoseverschlechterung gestillt werden.
Nach brusterhaltender Ther. gelingt die Laktation häufig auch auf der operierten Seite,
auch nach Bestrahlung [Cardoso et al. 2012; Higgins und Haffty 1994].
Dennoch ist Pat. nach der Ther. eines Mammakarzinoms zu empfehlen, für 2–3 Jahre auf
eine Schwangerschaft zu verzichten. Dieser Zeitraum stellt hinsichtlich einer Progression
der Erkr. die kritischste Phase dar [Cunningham et al. 1997].
Evidenzbasierte Medizin, Leitlinien Die interdisziplinäre S3-Leitlinie der Deutschen
Krebsgesellschaft für die Diagnostik und Ther. des Mammakarzinoms der Frau [Kreienberg
et al. 2012] ist noch nicht in separater Form für die Schwangerschaft ausgearbeitet,
die Empfehlungen können aber in entsprechend adaptierter Form angewandt werden.
Forensische Gesichtspunkte Arzthaftungsfragen beim Mammakarzinom entstehen v. a. bei
Versäumnissen in der Diagnostik. Obwohl bei den meisten Frauen im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge
eine klinische Untersuchung der Brüste erfolgt, werden aufgrund der hormonell induzierten
physiologischen Veränderungen der Brustdrüse Mammakarzinome häufig nicht erkannt.
Die durchschnittliche zeitliche Verzögerung bis zur effektiven Ther. überschreitet
oft 5 Mon., da die Befunde häufig zunächst als benigne eingestuft werden. Durch die
eingeschränkte Verwertbarkeit bildgebender Verfahren hat die histologische Abklärung
eines suspekten Tastbefundes in Schwangerschaft und Stillzeit einen besonders hohen
Stellenwert.
Gutachterlich wichtig ist auch die Abgrenzung einer Mastitis von einem inflammatorischen
Karzinom. Hier ist eine kurzfristige klinische Untersuchung nach entsprechender resorptiver
oder antibiotischer Behandlung zu fordern. Bei über 2 Wo. persistierenden Symptomen
muss ein inflammatorisches Mammakarzinom ausgeschlossen werden.
17.21.2
Ovarialkarzinom
Epidemiologie Ovarialkarzinome sind in der Schwangerschaft außerordentlich selten.
Inzidenz von 1 : 25.000 Entbindungen [Behtash et al. 2008; Jakob und Stringer 1990].
Ätiologie Bei 5 % der Fälle genetische Disposition (BRCA1 und 2 Mutation, Lynch-Sy.).
Bei 95 % sporadisches Auftreten.
Risikofaktoren
▪
Lebensalter, Umwelt und Ernährungsfaktoren (fleisch- und fetthaltige Ernährung).
▪
Die Dauer ovulatorischer Zyklen ist Ovarialkarzinom in der Schwangerschaftpositiv
mit dem Auftreten des Ovarialkarzinoms korreliert, während Multiparität und die Einnahme
von Ovulationshemmern protektive Faktoren darstellen.
Pathophysiologie Von praktischer Bedeutung ist die Expression der Tumormarker.
▪
Das häufig für den Therapieverlauf verwendete CA-125 ist im 1. Trimenon deutlich erhöht
und fällt ab Ende des 1. Trimenons auf normale Werte (< 35 U/ml) ab. Kurz nach der
Entbindung steigen die Werte erneut an.
▪
CEA ist unter physiologischen Bedingungen über den gesamten Schwangerschaftsverlauf
niedrig. Es wird allerdings nur von 10 % der malignen Ovarialtumoren exprimiert. In
diesen Fällen ist der Parameter zur Verlaufskontrolle geeignet.
▪
Einige Keimzelltumoren exprimieren AFP. Eine deutliche AFP-Erhöhung bei schwangeren
Frauen hat neben fetalen Fehlbildungen einen Keimzelltumor als DD [Wienhard, Münstedt
und Zygmunt 2004].
Klassifikation In der Schwangerschaft sind nur ca. ⅔ der malignen Ovarialtumoren epithelialen
Ursprungs [Jolles 1989], bei ⅓ werden die sonst sehr seltenen Keimbahn- und Keimstrangtumoren
diagnostiziert. Die Stadieneinteilung entspricht der Klassifikation außerhalb der
Schwangerschaft.
Primärtumor:
▪
T1: Tumor begrenzt auf Ovarien
–
T1a: Tumor auf ein Ovar begrenzt; Kapsel intakt
–
T1b: Tumor auf beide Ovarien begrenzt, Kapsel intakt
–
T1: Tumor auf ein oder beide Ovarien begrenzt mit Kapselruptur
▪
T2: Tumor befällt ein oder beide Ovarien und breitet sich im Becken aus.
–
T2a: Tumor auf Uterus und Tube begrenzt
–
T2b: Ausbreitung auf andere Beckengewebe
–
T2c: Wie a oder b, aber mit malignen Zellen in Aszites oder Peritonealspülung
▪
T3: Tumor befällt ein oder beide Ovarien mit Peritonealmetastasen jenseits des Beckens.
–
T3a: Mikroskopische Peritonealmetastasen
–
T3b: Makroskopische Peritonealmetastasen < 2 cm
–
T3c: Makroskopische Peritonealmetastasen > 2 cm
Lymphknoten:
▪
Nx: Keine Beurteilung möglich
▪
N0: Keine regionären Lymphknotenmetastasen
▪
N1: Regionäre Lymphknotenmetastasen
Fernmetastasen:
▪
MX: Nicht beurteilbar
▪
M0: Keine Fernmetastasen
▪
M1: Fernmetastasen.
Klinik
▪
Die meisten in der Schwangerschaft auftretenden Adnextumoren sind asymptomatisch und
werden im 1. Trimenon beim Sonografie-Screening entdeckt.
▪
Stieldrehungen oder Rupturen der Zystenwand können zu einer starken abdominalen Symptomatik
bis zum akuten Abdomen führen.
Diagnostik Algorithmus zum Vorgehen bei der Diagnose von Adnextumoren in der Schwangerschaft
Abb. 17.20
.
▪
Die sonografischen Kriterien entsprechen denen außerhalb der Schwangerschaft [Bromley
und Benacerraf 1997].
▪
Bei Tumoren < 6 cm Größe handelt es sich in der Mehrzahl um funktionelle Ovarialzysten,
die sich i. d. R. am Ende des 1. Trimenons zurückbilden [Platek, Henderson und Goldberg
1995].
▪
DD: Saktosalpingen, Pseudoperitonealzysten, subseröse oder intraligamentäre Myome.
Abb. 17.20
Algorithmus bei der Diagnose von Adnextumoren in der Schwangerschaft
[L157]
Therapie Wird bei der op. Abklärung eines Adnextumors die Diagnose eines Ovarialkarzinoms
gestellt, stadiengerecht operieren:
▪
T1a und T1b: Ovarektomie ausreichend. Zusätzlich ein komplettes Staging mit Spülzytologie,
Peritonealbiopsien, partieller Omentektomie und Appendektomie durchführen [Cunningham
et al. 1997].
▪
Bei fortgeschritteneren Stadien:
–
Nach Beendigung der Schwangerschaft op. Versorgung entsprechend den Standards außerhalb
der Schwangerschaft durchführen.
–
Dies schließt die abdominale Hysterektomie, Salpingo-Oophorektomie beidseits, Resektion
des Douglas-Peritoneums, Omentektomie, Appendektomie und paraortale Lymphonodektomie
mit ein.
–
In Einzelfällen kann zunächst eine präop. platinhaltige Chemother. in der laufenden
Schwangerschaft durchgeführt werden, bis die Lungenreife gegeben ist.
Keimbahn- und Keimstrangtumoren (Dysgerminome, Stromatumoren, endodermale Sinustumoren)
entsprechend den Richtlinien außerhalb der Schwangerschaft behandeln.
Komplikationen Torsion und Wandruptur erhöhen die Inzidenz von Spontanaborten und
Frühgeburten.
Prognose Schwangerschaften verändern die Prognose der Ovarialkarzinome nicht.
▪
Epitheliale Tumoren: Bei Schwangeren Tumoren mit niedrigem Malignitätsgrad und Frühstadien
überrepräsentiert [Dgani et al. 1989]. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt analog den
Verhältnissen außerhalb der Schwangerschaft bei > 90 %.
▪
Dysgerminome und gonadale Stromatumoren: Für die uteruserhaltende Ther. werden gute
Langzeitergebnisse berichtet [Buller et al. 1992; Young, Dudley und Scully 1984].
▪
Endodermaler Sinustumor: Prognose bei dem sehr selten während der Schwangerschaft
beobachteten Tumor äußerst ungünstig [Farahmand et al. 1991].
17.21.3
Zervixkarzinom
Epidemiologie
▪
Inzidenz während der Schwangerschaft: 0,1–0,5 ‰.
▪
Bei knapp 2–3 % aller Zervixkarzinome besteht gleichzeitig eine Schwangerschaft [Allen
et al. 1995; Nevin et al. 1995; Norstrom, Jansson und Andersson 1997; Schweppe 1990].
Ätiologie
▪
Vor allem exogene, beim Geschlechtsverkehr übertragene Faktoren von Bedeutung
▪
Risikofaktoren: früh begonnener Geschlechtsverkehr, häufig wechselnde Zervixkarzinom,
in der SchwangerschaftSexualpartner und vorangegangene venerische Infektionen
▪
Weitere Faktoren: Zigarettenkonsum, niedriger sozioökonomischer Status
▪
Von besonderer Bedeutung ist die Infektion mit dem humanen Papillomavirus (HPV), v.
a. mit den Subtypen HPV 16 und 18.
Pathophysiologie Der Entwicklung eines Zervixkarzinoms gehen i. d. R. dysplastische
Veränderungen der Transformationszone voraus. Es wird von einem schrittweisen Krebsentstehungsprozess
über leichte zervikale intraepitheliale Neoplasien (CIN I) und mittelschwere und schwere
Dysplasien (CIN II und III) bis zum Carcinoma in situ ausgegangen.
Leichte bis mittelschwere Dysplasien können sich spontan zurückbilden, bei den schweren
Dysplasien und beim Carcinoma in situ handelt es sich um obligate Präkanzerosen.
Klassifikation Die Stadieneinteilung entspricht der Einteilung außerhalb der Schwangerschaft.
Primärtumor:
▪
T1 Karzinom auf die Zervix begrenzt
–
T1a: Invasives Karzinom, ausschließlich durch Mikroskopie diagnostiziert
–
T1a1: Stromainvasion < 3 mm und größter horizontaler Durchmesser < 7 mm
–
T1a2: Größere, nur mikroskopisch sichtbare Läsion
–
T1b: Makroskopisch sichtbare Läsion auf der Zervix:
–
T1b1: < 4 cm
–
T1b2: > 4 cm
▪
T2: Infiltration jenseits des Uterus
–
T2a: Ohne Infiltration des Parametriums
–
T2b: Mit Infiltration des Parametriums
▪
T3: Ausbreitung bis zur Beckenwand oder ins untere Drittel der Vagina
–
T3a: Tumor befällt unteres Drittel der Vagina
–
T3b: Befall des Parametriums bis zur Beckenwand
▪
T4: Infiltration von Harnblase und/oder Rektum
Lymphknoten:
▪
Nx: Keine Beurteilung möglich
▪
N0: Keine regionären Lymphknotenmetastasen
▪
N1: Regionäre Lymphknotenmetastasen
Fernmetastasen:
▪
MX: Nicht beurteilbar
▪
M0: Keine Fernmetastasen
▪
M1: Fernmetastasen.
Klinik
▪
Bei jeder Blutung in der Schwangerschaft (Kap. 16) differenzialdiagnostisch auch an
eine Neoplasie der Zervix denken.
▪
Bei der Spekulumuntersuchung beachten, dass es häufig zu einer verstärkten Ektroponierung
des Zylinderepithels auf die Portio kommt. Die ektopische Zervixschleimhaut kann eine
ausgeprägte deziduale Reaktion aufweisen [Schneider und Barnes 1981], sodass manchmal
sowohl klinisch als auch zytologisch die DD zu Dysplasien, Carcinoma in situ oder
endozervikalem Adenokarzinom sehr schwierig ist [Grab und Kreienberg 2002].
▪
Die klinische Beurteilung der Parametrien ist in der Schwangerschaft mit zunehmendem
Gestationsalter erschwert.
Diagnostik Algorithmus zum Vorgehen bei path. Zervixbefunden in der Schwangerschaft
Abb. 17.21
.
▪
Bei jeder Schwangeren im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien eine Spekulumuntersuchung,
eine zytologische Untersuchung der Ektozervix und des Zervikalkanals sowie eine Kolposkopie
durchführen, möglichst im 1. Trimenon.
▪
Das Vorgehen bei auffälligen zytologischen und/oder kolposkopischen Befunden entspricht
im Wesentlichen den Richtlinien außerhalb der Schwangerschaft.
▪
Kolposkopie: In der Schwangerschaft leichter, da die Transformationszone besser exponiert
ist.
▪
Jeden auffälligen kolposkopischen Befund biopsieren. Hierbei beträgt die Treffsicherheit
99 %, Komplikationen treten < 1 % auf [Economos et al. 1993]: Blutungen aus der Biopsiestelle
können meist durch Betupfen mit Policresulen (Albothyl-Konzentrat) oder durch eine
Tamponade gestillt werden. In Einzelfällen ist eine Umstechung erforderlich.
▪
Endozervikale Kürettage: Wegen der Gefahr der Infektion und des Blasensprungs unterlassen
▪
Konisation:
–
Ausnahmefällen vorbehalten (bei Mikroinvasion und in Zweifelsfällen, wenn eine Invasion
nicht auszuschließen ist, Abb. 17.21).
–
Bei Schwangeren treten gehäuft starke Blutungen auf, daher Eingriff evtl. mit totalem
Muttermundverschluss kombinieren.
–
Bei bis zu 27 % Fehl- und Frühgeburten [Hannigan 1990]
▪
Biopsie eines kolposkopisch auffälligen Befundes:
–
Bei Diagnose eines invasiven Plattenepithelkarzinoms weitere Diagnostik wie außerhalb
der Schwangerschaft.
–
Bei Frühkarzinomen (T1a) die Tumorgröße durch Konisation exakt bestimmen.
–
Bei makroskopisch sichtbaren Tumoren genügt die Biopsie zur Diagnosestellung.
▪
Stadienbestimmung: Wie außerhalb der Schwangerschaft durch die klinische Untersuchung
und bildgebende Verfahren feststellen, ob die Parametrien befallen sind. Die klinische
Untersuchung ist in der Schwangerschaft, v. a. im 2. und 3. Trimenon, außerordentlich
erschwert.
▪
Bildgebende Verfahren: MRT gegenüber der CT bevorzugen.
Das Tumorstadium wird in der Schwangerschaft klinisch häufig unterschätzt.
Abb. 17.21
Algorithmus zum Vorgehen bei path. Zervixbefunden in der Schwangerschaft
[L157]
Therapie Erfolgt abhängig vom Tumorstadium.
Exspektatives Vorgehen
▪
Bei zervikalen intraepithelialen Neoplasien und bei Carcinoma in situ wird heute ein
exspektatives Vorgehen empfohlen [Woodrow et al. 1998].
▪
Vaginale Entbindung möglich
▪
Ther. der Wahl ist die Konisation 6 Wo. p. p. [Madeij 1996, Petru et al. 1998].
▪
Leichte und mittelschwere Dysplasien:
–
Können p. p. in Regression gehen → zytologische und kolposkopische Kontrolle 6 Wo.
p. p. ausreichend
–
Risiko einer Progression in ein invasives Karzinom zu vernachlässigen [Patsner 1990]
!
Dies gilt nicht für Risikogruppen (Rauchen, Immunsuppression, v. a. HIV-Infektionen).
Bei diesen Pat. ist eine rasche Progression zu befürchten. → Deshalb auch bei Grad-I-
und -II-Dysplasien engmaschige zytologische und kolposkopische Kontrollen und ggf.
mehrfache Biopsien im Schwangerschaftsverlauf erforderlich.
▪
Im Zweifelsfall oder bei V. a. Mikroinvasion Konisation während der Schwangerschaft
durchführen.
▪
Carcinoma in situ: außer bei Risikogruppen erst p. p. behandeln (Abb. 17.21).
▪
Frühkarzinome (T1a):
–
Wie außerhalb der Schwangerschaft Konisation im Gesunden
–
Bei freien Schnitträndern im Konisat kann vaginal am Termin entbunden werden.
–
Engmaschige kolposkopische und zytologische Kontrolluntersuchungen in der Schwangerschaft
obligat.
–
Empfehlenswert ist die Re-Konisation 6 Wo. p. p. [Connor 1998].
▪
Tumorstadien T1b bis T2b:
–
Wie außerhalb der Schwangerschaft Ther. der Wahl die Wertheim-Meigs-Radikaloperation
[Method und Brost 1999; Van der Wange et al. 1995].
–
1.Trimenon: Schwangerschaftsabbruch erwägen
–
Bei fortgeschrittener Schwangerschaft: Abwarten, bis der Fetus lebensfähig ist.
–
Bei hohem Risiko für Lymphknotenmetastasierung laparaskopisches Staging Lymphadenektomie
[Alouini, Rida und Mathevet 2008]
–
Vaginale Entbindungen bergen das Risiko der Implantation von Tumorzellen in die Episiotomienarbe
oder in einen Dammriss [Cliby, Dodson und Podratz 1994; Khalil et al. 1993] → nach
Lungenreifebehandlung Sectio.
–
Die wesentlich verbesserten perinatologischen Möglichkeiten lassen heute eine frühzeitige
Ther. zu. Unter Abwägung der Risiken der Frühgeburtlichkeit wird die Sectio i. d.
R. erst nach 28 SSW durchgeführt. Die erweiterte Hysterektomie und die pelvine und
paraaortale Lymphonodektomie erfolgen in gleicher Sitzung [Monk und Montz 1992].
–
OP führt in diesen Stadien zu besseren Ergebnissen als die Bestrahlung [Lewandowskyi
et al., 1995].
▪
Bei weiter fortgeschrittenen Zervixkarzinomen wird die kombinierte Strahlenther.,
beginnend ab 3 Wo. p. p., empfohlen [Sood und Sorosky 1998].
Komplikationen Bedeutsame Komplikationen sind v. a. Aborte nach diagnostischen Eingriffen
(Biopsien und Konisationen) in der Schwangerschaft. Tritt eine Schwangerschaft nach
einer ausgedehnten Konisation auf, einen totalen Muttermundverschluss und ggf. eine
Zerklage (21.2) erwägen.
Prognose
▪
Zervixkarzinom: Ob die Schwangerschaft zu einer Verschlechterung der Prognose führt,
wird nicht einheitlich beurteilt. Baltzer und Mitarbeiter [1990] fanden in einem Kollektiv
von 1.092 Patienten mit Zervixkarzinomen 40 schwangere Pat. Es zeigten sich zwar keine
Unterschiede im Grading und in der Tumorwachstumsgeschwindigkeit, aber häufiger eine
Haemangiosis carcinomatosa, v. a. im Wochenbett.
–
Aufgrund der Schwangerschaftsvorsorge wird das Zervixkarzinom in günstigeren Stadien
diagnostiziert als außerhalb der Schwangerschaft [Zemlickis et al. 1991].
–
Die Überlebensrate wird durch die Schwangerschaft nicht beeinflusst [Duggan et al.
1993]. Im Stadium Ib beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate nach radikaler Hysterektomie
und Lymphonodektomie > 90 % [Magrina 1996].
–
Das Abwarten bis zur Lebensfähigkeit des Fetus verschlechtert die Prognose nicht [Duggan
et al. 1993, van Vliet et al. 1998].
▪
Plattenepithelkarzinom: Betrifft die Mehrheit der Pat., spricht auf die Ther. gleich
an wie bei nicht schwangeren Frauen im gleichen Tumorstadium.
▪
Adenokarzinome oder Mischformen: Ein ungünstiger Einfluss der Schwangerschaft auf
den Verlauf der Erkr. wird vermutet [Schweppe 1990]. Ein Vergleich von 24 Schwangeren
und 408 nicht schwangeren Pat. zeigte jedoch keinen signifikanten Unterschied der
Überlebensraten [Senekijan et al. 1986].
17.22
Sonografie bei „akutem Abdomen“
Heinrich-Otto Steitz
Ätiologie Zahlreiche abdominelle und teilweise auch nicht abdominelle Erkr. mit einer
Schmerzprojektion in den Bauchraum.
Klinik Teils dramatisch!
▪
Leitsymptome: Akut einsetzende abdominelle Schmerzen, schweres subjektives Krankheitsgefühl,
Dysfunktion des Gastrointestinaltraktes, dessen Funktionalität ursächlich oder reaktiv
gestört sein kann.
▪
Begleitsymptome: häufig Abdomen, akutes, SonografieBrechreiz mit und ohne Erbrechen,
Fieber sowie als Ausdruck einer Sonografie:akutes AbdomenMitreaktion des zirkulatorischen
Systems eine arterielle Hypotension mit Tachykardie und Eskalation bis zum Schock.
▪
Befunde: path. abdominelle Druckdolenz mit umschriebener oder generalisierter Abwehrspannung
(„Defense“) und einer path. veränderten Darmperistaltik.
Das klinische Bild ist immer ein Notfall mit der Symptomatik einer akuten abdominellen
Erkr. und dem Potenzial einer vitalen Gefährdung.
Prognose Wird maßgeblich bestimmt durch eine stringente, jeden unnötigen Zeitverlust
exkludierende Diagnostik und der unmittelbar konsekutiv abgeleiteten Ind. der adäquaten
Therapiemaßnahmen.
Diagnostisches Vorgehen
▪
Anamnese: zentraler Ausgangspunkt der Diagnostik! Bei fehlender Kommunikationsfähigkeit
Erhebung einer Fremdanamnese
▪
Klinische Untersuchung: Inspektion, Palpation, Perkussion, Auskultation
▪
Primäre apparative Diagnostik: Sonografie, Röntgen-Übersichtsdiagnostik von Abdomen
und Thorax, möglichst im Stehen, sonst in Linksseitenlage, Labordiagnostik, EKG, endoskopische
Verfahren.
Häufig können Anamnese, klinische Untersuchung und apparative Primärdiagnostik bereits
eine so eindeutige Befundkonstellation ergeben, dass eine klare Diagnose zugeordnet
werden kann. Bei systematischer Nutzung der Ultraschalldiagnostik ist in etwa 60 %
der Fälle eine eindeutige Diagnose möglich. Oft ist bereits auch ein Ausschluss sonografisch
darstellbarer Befunde differenzialdiagnostisch weiterführend. Nur wenn bis zu diesem
Zeitpunkt keine eindeutige Diagnose gestellt werden kann, sind spezielle Laboruntersuchungen
sowie ggf. eine CT oder MRT indiziert.
Kontrastmittelapplikationen und szintigrafische Verfahren sind in der Schwangerschaft
kontraindiziert.
Durchführung der Sonografie Generell erfordert die orientierende sonografische Exploration
des Abdomen einen Schallkopf mit einer Sendefrequenz von 3,5 MHz. Praktisch bewährt
haben sich besonders Schallköpfe mit konvexer Schallabstrahlung. Die Beurteilung der
Darmpathologien erfordert obligatorisch den Einsatz eines hochauflösenden Schallkopfes
mit einer Frequenz von mind. 5 MHz. Die Oberfläche des Scanners kann konvex oder auch
linear sein. Um einen Wechsel des Schallkopfes während der Untersuchung vermeiden
zu können, empfiehlt sich der Einsatz konvexer Multifrequenzschallköpfe, deren Frequenzband
eine dynamische Anpassung der Sendefrequenz an die jeweilige Fragestellung ermöglicht.
Trotz des meist bei der klinischen Untersuchung auffallenden Peritonismus ist die
sonografische Exploration bei vorsichtig dosierter Kompression der Bauchwand und Anwendung
eines subjektiv als angenehm empfundenen kühlen Ultraschallgels im Allgemeinen problemlos
möglich.
17.22.1
Stellenwert der Sonografie
Hoher diagnostischer Stellenwert
▪
Hohe diagnostische Effizienz, die oft bereits unter synoptischer Bewertung von Anamnese,
klinischer Untersuchung und Labordiagnostik eine eindeutige Diagnose gestattet.
▪
Hohe Verfügbarkeit, im Notfall ohne Transport oder Vorbereitung des Patienten „bedside“
▪
Unabhängig von der Bewusstseinslage durchführbar
▪
Bei Bedarf beliebig oft wiederholbar
▪
Die Sonografie ist sogar in den Fällen wertvoll, in denen sie letztlich keine Formulierung
einer Diagnose zulässt, weil sie zumindest einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Ausschlussdiagnostik
liefern kann. Es hat sich daher bewährt, im Rahmen der Abklärung des akuten Abdomens
grundsätzlich die Ultraschalldiagnostik zu implementieren. Dies begünstigt auch den
notwendigen guten Trainingszustand des Untersuchers.
Sonografisch „blinde“ Krankheitsbilder In Tab. 17.61
sind Krankheitsbilder aufgelistet, die unter dem Bild eines akuten Abdomen auftreten,
aber keinen charakteristischen sonografischen Befund zeigen. Die Sonografie trägt
deshalb hier nicht zur Diagnosefindung bei. Trotzdem können nebenbefundlich sonografisch
darstellbare Korrelate vorhanden sein, z. B. ein Pleuraerguss im Rahmen einer Pleuritis
oder Aortenruptur.
Tab. 17.61
Ursachen des akuten Abdomens ohne eindeutiges sonografisches Korrelat
Pulmonal
Basale Pneumonie, Pleuritis, Lungenembolie (17.3), Pneumothorax
Kardiovaskulär
Angina pectoris, Myokardinfarkt (17.6), Perikarditis, akute Herzinsuff., Aneurysma
und/oder Dissektion mit/ohne Ruptur der thorakalen Aorta
Metabolisch
Akute intermittierende Porphyrie, Urämie, Hypertriglyzeridämie, Hämochromatose, Amyloidose
Endokrines System
Diabetes mellitus (Pseudoperitonitis diabetica), Hypoglykämie (17.4), Hyperparathyreoidismus,
NNR-Insuff. (Addison-Krise)
Hämatopoetisches System
Leukosen, Sichelzellanämie, Hämophilie, hämolytische Krisen
Neurologisch
Diskusprolaps, Wirbelfraktur, Meningitis, Tabes dorsalis, Herpes zoster (18.1.1),
Interkostalneuralgie
Infektionen
Typhus, Parathyphus, Herpes zoster (18.1.1), akutes rheumatisches Fieber, Tuberkulose,
Malaria (18.3.1)
Intoxikation
Blei, Thallium, Arsen, Quecksilber
Autoimmunerkr.
Panarteriitis nodosa, SLE (17.19.3)
Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit
Entzugssymptomatik (Kap. 3)
Sonografisch erkennbare Krankheitsbilder Wenn das Bild des akuten Abdomens durch eine
abdominelle oder retroperitoneale Erkr. induziert wird, ist meist die sonografische
Darstellung möglich (Tab. 17.62
).
Tab. 17.62
Krankheitsbilder des akuten Abdomens mit sonografischem Korrelat
Schmerzlokalisation
Krankheitsbild
Sonografie
Mittleres Epigastrium
Refluxösophagitis, Gastritis, Gastroenteritis
–
Symptomatisches Ulcus ventriculi sive duodeni (mit Penetration oder Perforation)
+
Akute Pankreatitis, akuter Schub einer chron. Pankreatitis
±
Tumor oder Entzündung im Colon transversum
±
Akute Appendizitis (Frühstadium, 17.15.1)
+
Rechter Oberbauch
Symptomatische Cholelithiasis (17.10.13)
++
Choledocholithiasis (17.10.13)
++
Akute Cholezystitis
++
Gallenblasenempyem
++
Gallenblasenperforation
++
Symptomatisches Ulcus duodeni
–
Akute Pankreatitis
±
Subphrenischer Abszess rechts
++
Leberabszess
++
Echinokokkose
++
Tumor oder Entzündung in oder nahe der re. Kolonflexur
±
Akute Appendizitis (retrozökal hochgeschlagen, 17.15.1)
+
Nephrolithiasis (17.9.6), Niereninfarkt, -ruptur rechts
+
Linker Oberbauch
Akute Pankreatitis
±
Subphrenischer Abszess li.
++
Milzinfarkt/-ruptur
+
Nephrolithiasis (17.9.6), Niereninfarkt, -ruptur links
+
Tumor oder Entzündung in oder nahe der li. Kolonflexur
+
Magenperforation
+
Mittelbauch
Ileus (Dünn- und Dickdarm; 17.15.3)
+
Invagination
++
Angina abdominalis
–
Mesenterialischämie, -infarkt
–
Inkarzerierte Nabel-, Narbenhernie
++
Enterokolitis
+
Colitis ulcerosa (17.11)
+
Penetrierendes/perforiertes Bauchaortenaneurysma
++
Rektusscheidenhämatom (Antikoagulanzienther.)
++
Unterbauch
Ureterstein
++ (Nierenstauung)
Adnexitis, Extrauteringravidität (Kap. 9), stielgedrehte Ovarialzyste, Follikelsprung
+
Inkarzerierte Hernie (17.15.4)
++
Akute Harnblasenabflussstörung
++
Rechter Unterbauch
Akute Appendizitis (17.15.1)
++
Lymphadenitis mesenterialis
+
Ileitis regionalis, Enteritis regionalis Crohn (17.11)
+
Meckel-Divertikulitis
+
Divertikulitis im Colon ascendens oder bei Elongation im Colon sigmoideum
++
Zökumkarzinom mit Penetration/Perforation
+
Linker Unterbauch
Sigmadivertikulitis
++
Sigmakarzinom mit Penetration/Perforation
+
Alle Quadranten/diffuse Peritonitis
Hohlorganperforation
+
Pankreasruptur
+
Hämorrhagisch nekrotisierende Pankreatitis
+
Infizierter Aszites
++
Septisches Mehrorganversagen
–
Infektion postop. /posttraumatisch
+
+ Sonografie leistet Beitrag zur Diagnosefindung
++ Mittels Sonografie ist eine Diagnosestellung eindeutig möglich
– Sonografie leistet keinen Beitrag zur Diagnosefindung
Die topografische Zuordnung der Schmerzen in den Ober-, Mittel- und Unterbauch ist
häufig nicht möglich, da die Schmerzen häufig insbesondere bei fortgeschrittenen Befunden
nicht auf eine Region des Abdomens beschränkt bleiben und das akute Abdomen eine Dynamik
zeigt, in deren Verlauf die Schmerzlokalisation wandern kann. Ist eine Schmerzlokalisation
möglich, v. a. in der frühen Phase einer Erkr., kann meist auf das ursächliche Krankheitsbild
geschlossen werden. Mitberücksichtigt werden muss auch die Größenzunahme des Uterus
in der Schwangerschaft, die zusätzlich zur Verlagerung von typischen Schmerzpunkten
(Appendizitis) führen kann.
17.22.2
Chirurgisch relevante Differenzialdiagnosen
Appendizitis
Sonografie Die Appendix sollte immer primär aus dem Längsschnitt über dem kaudalen
Pol des Zökums entwickelt werden. Bei gezielter Kompression mit dem Schallkopf korrespondiert
die Lokalisation mit dem Punctum maximum des Schmerzes.
▪
Path. kleine Kokarde im rechten Unterbauch:
–
Inhomogen echoarmes Lumen, begrenzt durch kräftigen echoreichen Reflex, der umgeben
ist von einer echoarmen äußeren Schicht, die dem entzündlichen Wandödem entspricht
(Abb. 17.22
und Abb. 17.23
).
Abb. 17.22
Akute Appendizitis. Dorsal des terminalen Ileum (TI) ist die path. verdickte Kokarde
der Appendix im Querschnitt zu erkennen. Der „Halo-Saum“ des echoreichen umgebenden
Fettgewebes ist Folge der entzündlichen Reaktion im benachbarten Gewebe
[M378]
Abb. 17.23
Akute Appendizitis. Im Längsschnitt ist die aufgetriebene Basis der Appendix (APP)
zu erkennen, die sich aus dem Zökum (Z) entwickelt. Bei der Fahndung nach der Appendix
wird immer am kaudalen Zökalpol der Abgang der Appendix aufgesucht und dann der weitere
Verlauf des Organs erarbeitet
[M378]
–
Die Appendixkokarde ist gegenüber dem ebenfalls kokardenförmig dargestellten Ileum
oder Zökum deutlich kleiner und nimmt nicht an der Peristaltik teil.Appendizitis:Sonografie
–
Durchmesser ≥ 9 mm: sicher path. vergrößert (normal: ≤ 6 mm)
▪
Teilweise lässt sich als Ursache der Entzündung ein intraluminaler Appendikolith darstellen.
▪
Je ausgeprägter die phlegmonöse oder gar ulzero-phlegmonöse Komponente der Entzündung
ist, desto sicherer gelingt der sonografische Nachweis der Appendizitis.
!
Katarrhalische Appendizitis: nativ sonomorphologisch nicht von der normalen Appendix
abgrenzbar
▪
Fortgeschrittene Entzündung: Nachweis freier Flüssigkeit in der Umgebung der Appendix
als Korrelat für das umgebende Exsudat (Abb. 17.24
) bzw. den ggf. vorhandenen perityphlitischen Abszess.
Abb. 17.24
Retrozökaler perityphlitischer Abszess. Dorsal des Zökums (Z) stellt sich inhomogen
echoarm und -reich die Einschmelzung des Fettgewebes dar
[M378]
Nachweis freier Flüssigkeit
▪
Häufig das erste und z. T. auch einzige sonografische Zeichen einer Appendizitis,
v. a. bei atypischer Lokalisation (retrozökale Lokalisation, Verdrängung durch die
Schwangerschaft)
▪
Da mit zunehmender Erfahrung und bei günstigen Untersuchungsbedingungen zunehmend
die normale Appendix dargestellt wird, ist für die Diagnose die Synopse von klinischem,
sonografischem und Laborbefund (Leukozytose, CRP) unerlässlich. So kann ein geringes
Volumen freier intraabdominaler Flüssigkeit, z. B. in der Frühschwangerschaft, eine
sehr gute sonomorphologische Kontrastierung der blanden Appendix zur Folge haben,
die dann nicht mit einer akuten Appendizitis verwechselt werden darf (17.15.1).
Lymphadenitis mesenterialis
Sonografie Im rechten Unterbauch vergrößerte, echoarm imponierende mesenteriale Lymphknoten.
Ggf. freie Flüssigkeit. Cave: Fieber und Nachweis der Entzündungsparameter in der
Laboruntersuchung erschweren die klinische DD zur Appendizitis erheblich.
Therapie Bei positivem Lymphknotennachweis und fehlendem Kokardenphänomen der Appendix
ist ein konservatives Vorgehen mit engmaschigen Verlaufskontrollen möglich. Sinnvoll
ist eine stationäre Überwachung der Pat.Lymphadenitis mesenterialis, Sonografie\"
Meckel-Divertikulitis
▪
Kann klinisch, laborchemisch und sonografisch eine Appendizitis imitieren.
▪
Lagevarianten der Appendix verhindern eine eindeutige Differenzialdiagnose allein
aufgrund der topografischen Lage des Meckel-Divertikels.
▪
Path. Kokarde im Organlängsschnitt untersuchen → Im Allgemeinen Entwicklung des Meckel-Divertikels
aus dem Ileum nachweisbar (Appendix entwickelt sich aus dem Zökum).
▪
Nachweis der Lagebeziehung bei schwerer phlegmonöser Appendizitis mitunter sehr schwierig.
▪
Die schwierige sonografische DD ist ohne ther. Konsequenz, da beide Erkr. op. saniert
werden müssen.
Enteritis regionalis Crohn
Sonografie Im Querschnitt als Kokarde, klassisch im Bereich des terminalen Ileums.
Das betroffene Segment hat meist eine Länge von mehreren Zentimetern.Meckel-Divertikulitis,
Sonografie
▪
Echoarme Wandverdickung, z. T. > 10 mm (sonomorphologisch ähnlich der Kolitis Abb.
17.25
)
Abb. 17.25
Pseudomembranöse Sonografie:Kolitis, pseudomembranöseKolitis, pseudomembranöseKolitis.
Die Wand ist massiv ödematös verdickt und daher gut echoarm darstellbar, während das
echoreiche Lumen rarefiziert ist und kaum noch Gasartefakte die Untersuchung erschweren
[F228-002]
▪
In der Umgebung des entzündeten Darmabschnitts inflammatorisch vergrößerte, meist
relativ echogene Lymphknoten.
Komplikationen (Domäne der Enteritis regionalis Crohn:SonografieSonografie): transmurale
Fistel mit oder ohne Abszessbildung, regionales entzündliches Exsudat oder der entzündliche
Konglomerattumor, in den die benachbarten Dünndarmschlingen bzw. das Zökum und Colon
ascendens einbezogen sein können (erleichtern die sonografische Diagnose).
Invagination
Seltenes Krankheitsbild beim Erwachsenen (bei Kindern häufig als passagere ileokolische
Intussuszeption). Meist nicht passagere, sondern persistierende Einstülpung benachbarter
Dünndarmsegmente, v. a. im Zusammenhang mit einem Tumorleiden.
Sonografie
▪
Als Korrelat der Invagination Zwiebelschalen-(Zielscheiben- oder Bull-eye-)Phänomen
(Abb. 17.26
)
Abb. 17.26
Sonografie:InvaginationInvagination des Ileum im rechten Unterbauch. Typisches „Zwiebelschalenphänomen“,
bei Erwachsenen häufig bedingt durch eine peritoneale Manifestation eines metastasierten
Tumorleidens. Der vorgeschaltete Darm stellt sich im Sinne des Ileus distendiert dar
[T409]
▪
Bei persistierender Invagination: Wandödem (als Invagination, Sonografieechoarme Wandverdickung
erkennbar), fehlende Peristaltik, lumenerweiterte vorgeschaltete Darmabschnitte mit
Hyperperistaltik und Distension infolge der Obstruktion.
Leberhämatom und Leberperforation
In der Schwangerschaft kann es im Rahmen des HELLP-Sy. (17.2.2) zu spontanen Leberrupturen
mit ausgeprägten subkapsulären Leberhämatomen kommen.
Sonografie
▪
Das subkapsuläre Leberhämatom stellt sich abhängig von der Manifestationsdauer als
echoarme oder zunehmend inhomogene Raumforderung mit Verdrängungseffekt der intrahepatischen
benachbarten Strukturen dar Leber:Hämatom, Sonografie(Abb. 17.27
). Je nach Ausdehnung des Leber:Perforation, SonografieHämatoms besteht ein mehr oder
weniger ausgeprägtes, relatives distales Schallverstärkungsphänomen.
Abb. 17.27
HELLP-Sy. Bei ausgeprägtem Schmerz im rechten Oberbauch ist im rechtslateralen Längsschnitt
subdiaphragmal eine echoreiche fokale Raumforderung abgrenzbar
[F284-001]
▪
Bei der Leberperforation wird zusätzlich zum Leberhämatom (s. o.) intraabdominelle
freie Flüssigkeit (echoarm irregulär, nicht nur in Umgebung der Leber) nachgewiesen.
Leberabszess
Sonografie Stellt sich sonografisch je nach Zusammensetzung, Ursache sowie Keimbesiedlung
echoarm, inhomogen oder auch partiell echoreich dar:
▪
Bei Besiedlung mit gasbildenden Keimen echoreiche und schallschattenproduzierende
Einzelreflexe (Abb. 17.28
)
Abb. 17.28
Sonografie:LeberabszessLeberabszess. Scharf begrenzter, inhomogen echoarmer Leberherd
(LH), in diesem Schnitt ohne erkennbare relative distale Schallverstärkung. Medial
ist der Magen-Darmtrakt (M/D) angeschnitten
[M379]
▪
Je liquider der Prozess, desto deutlicher ist distal eine relative Schallverstärkung
nachzuweisen.
▪
Je ausgeprägter die Gasbildung, desto mehr wird die Leber:Abszess, SonografieSchallverstärkung
durch Gasartefakte überlagert.
Therapie Diagnose und Ther. erfolgen in einer Sitzung. Bei sonografischem Nachweis
eines Abszesses grundsätzlich in derselben Sitzung ultraschallgezielte diagnostische
und ggf. ther. Punktion (solitäre Abszesse bis max. 100 ml Evakuation) oder Platzierung
eines perkutan eingebrachten Saug-/Spülkathetersystems (PCD).
Cholezystolithiasis
Sonografie
▪
Konkremente: lagevariable Raumforderungen in der Gallenblase. Verursachen je nach
chemischer Zusammensetzung (Kalzifizierungsgrad) das Phänomen der distalen Schallauslöschung.
–
Bei starker Kalzifizierung ist die Steinmorphologie evtl. nicht mehr erkennbar, sondern
nur ein echoreicher Eintrittsreflex sowie direkt von dort ausgehend die distale Schallauslöschung
(Abb. 17.29
).
Abb. 17.29
Sonografie:CholezystolithiasisCholezystolithiasis. Der Tonnenstein füllt die Gallenblase
(GB) fast vollständig aus, sodass praktisch kein Lumen mehr abgrenzbar ist und nur
die schallkopfnahe sichelförmige Kontur des verkalkten Konkrementes sowie die dahinter
erkennbare, als Folge der Totalreflexion der Schallwellen entstehende distale Schallauslöschung
zu erkennen ist. Nebenbefundlich zeigt der Pfeil einen Thrombus in der Vena cava inferior
[M392]
–
Nicht kalzifizierte Cholezystolithiasis:SonografieKonkremente sind morphologisch vollständig
darstellbar. Ggf. ist eine Abgrenzung zu Gallenblasenwandpolypen oder -karzinomen
durch Prüfung der Lagevariabilität notwendig. Gallenblasentumoren verursachen aber
üblicherweise kein akutes Abdomen, kleine Konkremente können bei infundibulumnaher
Lokalisation Koliken induzieren.
▪
Sludge: Auch wenn in der Gallenblase nur Sludge Gallenblase:Konkrementedarstellbar
ist, können kleine kristalline Konkremente enthalten sein, die evtl. bei Inkrustierung
im Infundibulum oder Gallengangsystem kolikartige Schmerzen verursachen (v. a. wenn
sich, ausgehend vom dargestellten Sludge, kleine scharfe Schallschatten darstellen
lassen, die verkalkte Konkremente im Sludge reflektieren).
▪
Tonnenstein: Bei einem die Gallenblase weitgehend oder vollständig ausfüllenden Sludgeverkalkten
Tonnenstein kann das Organ selbst nicht mehr darstellbar sein. In Projektion auf das
Gallenblasenlager findet sich dann nur ein die Größe des Tonnensteins reflektierender,
meist bogenförmig aufgespannter Eintrittsreflex mit kräftiger distaler Schallauslöschung.
Komplikationen
▪
Mirizzi-Sy.: Entzündung der steingefüllten Gallenblase verursacht im Bereich des Infundibulum
eine Schwellung des Organs mit Druck auf das benachbarte Gallengangsystem → Ductus
hepaticus communis wird eingeengt und sein Abfluss behindert → extra- und intrahepatische
Cholestase.
▪
Cholestase auch Folge der Choledocholithiasis. Die cholangiolären Konkremente können
sehr klein und dann schwer darstellbar sein, wohingegen größere Steine mit einem Durchmesser
> 3 Mirizzi-Syndrommm, v. a. bei Verkalkung, leicht sonografisch im Verlauf des Ductus
hepatocholedochus, auch in seinem intrapankreatischen Anteil erkennbar sind. Lediglich
die häufigste klinische Lokalisation der Konkremente direkt präpapillär kann für die
Bildgebung problematisch sein.
Kalkulöse Cholezystitis
Sonografie
▪
Wandverdickung der Gallenblase auf > 3 mm
▪
Bei zunehmender Schwere der Entzündung immer deutlicher erkennbares Phänomen der Dreischichtung
(echoreich, -arm, -reich). Cave: Bei fehlendem Murphy-Zeichen (Peritonismus unter
dem rechten Rippenbogen direkt über der Gallenblase, insbesondere bei Inspiration)
und Z. n. Nahrungsaufnahme in den letzten 2 h muss an eine normale postprandiale Kontraktion
der Gallenblase und daraus resultierende Dreischichtung gedacht werden!
▪
Cholezystitis:SonografiePerivesikales Ödem im Vollbild der Cholezystitis zwischen
Leber und Gallenblasenwand als mehr oder weniger kräftiger, echoarmer Saum in Projektion
auf das benachbarte Leberparenchym
▪
Irreguläre Flüssigkeit perivesikal zwischen Leber und Gallenblase ist ein Hinweis
auf eine mögliche gedeckte Perforation der Gallenblase. Freie Flüssigkeit perivesikal
und insbesondere auch subhepatisch ist als peritonitisches Exsudat zu bewerten, kann
aber auch auf eine Perforation der Gallenblase hinweisen. Cave: Bei Aszites bzw. freier
Flüssigkeit (z. B. Blut) in der Umgebung der Gallenblasenwand kann eine entzündliche
Wandverdickung vorgetäuscht werden! Abgrenzbar ist dieses Artefakt durch Analyse des
Abschnittes der Gallenblasenwand, der direkt an die Leber grenzt und in diesen Fällen
die reale Wanddicke darstellt.
▪
Gallenblasenempyem:
–
Gallenblasenwand zunehmend verdickt und im fortgeschrittenen Bild geschichtet
–
Ein äußerer und ein innerer echoreicher Saum umgeben den zentralen echoarmen Anteil
(Halo-Phänomen). Der echoarme Anteil reflektiert die ödematös aufgetriebene Gallenblasenwand.
Die echoreichen Randsäume reflektieren die Artefakte am Übertritt der Schallwellen
von der Gallenblase zum Gallenblasenlumen bzw. von der Gallenblasenwand zur Umgebung
der Gallenblase.
–
Die Gallenblase:Empyem, Sonografiegeschichtete Wand zeigt bei weiterem Fortschreiten
eine v. a. umschriebene Ausdünnung .→ Sicherer Hinweis auf eine drohende Perforation.
Akalkulöse Cholezystitis
Eine akalkulöse Cholezystitis entsteht als entzündliche Komplikation, z. B. im Rahmen
eines Entzündungs- oder Schockgeschehens.
Sonografie Die steinfreie Gallenblase zeigt eine verdickte, im Vollbild dreischichtige
Wand (Abb. 17.30
).
Abb. 17.30
Akute akalkulöse Sonografie:Cholezystitis, akute akalkulöseCholezystitis. Die dreischichtig
dargestellte Wand der Gallenblase (GB) ist erheblich verdickt (hier 12 mm). Ein Konkrement
ist nicht auffindbar. Das Duodenum (DUO) ist reflektorisch aton und mit Flüssigkeit
gefüllt
[M392]
Therapie In derselben Sitzung kann nach der Diagnosestellung die Ther. durch eine
sonografisch kontrollierte perkutane transhepatische Drainage der Gallenblase erfolgen.
Alternativ kann die Cholezystektomie laparoskopisch oder offen zur Sanierung des entzündlichen
Fokus vorteilhaft sein, da hierbei die Möglichkeit der Peritoneallavage besteht. Das
Vorgehen wird wesentlich durch den Zustand der Pat. und der Schwangerschaft bestimmt.
Eine spätere op. Cholezystektomie nach primärer transhepatischer Gallenblasendrainage
ist im Allgemeinen nicht erforderlich (17.15.2).
Akute Pankreatitis
Sonografie Frühstadium sonografisch „blind“ (Diagnose durch typische Amylasämie und
Lipasämie in Verbindung mit einer Leukozytose und dem laborchemischen Anstieg des
C-reaktiven Proteins). Im Verlauf (Veränderungen sonografisch gut erkennbar):
▪
Ödematöse Pankreatitis: Ab dem 3. Tag deutliche ödematöse Organschwellung. Das Pankreas
wird echoärmer und die Kontur geglättet (Abb. 17.31
). Nachweis von peripankreatischem Sekret, v. a. inPankreatitis, Sonografie der Bursa
omentalis.
Abb. 17.31
Akute nekrotisierende Sonografie:Pankreatitis, akute nekrotisierendePankreatitis.
Weitgehende Aufhebung der Kontur des Pankreaskopfes, der von echoarmen Nekrosestraßen
(x x) retroperitoneal und intraperitoneal umgeben ist. Im Oberbauchquerschnitt sind
die Gefässe Aorta (AO) und Arteria mesenterica superior (AMS) die gut erkennbaren
anatomischen Leitstrukturen, während das Pankreas je nach Stadium der Erkr. zunehmend
schwer abgrenzbar ist. Retrogastrale Flüssigkeit (A) in der Bursa omentalis wirkt
als zusätzliches „Schallfenster“
[M386]
Obwohl ein engmaschiges bildgebendes Monitoring des Pankreas wünschenswert ist, kann
die Sonografie nur in bis zu 60 % den Übergang der ödematösen in die hämorrhagisch
nekrotisierende Form der akuten Pankreatitis abbilden, da mit zunehmender Entzündungsdauer
eine reflektorische Paralyse des Darms einsetzt und die Gasüberlagerung die Beurteilung
des Pankreas zunehmend erschwert.
▪
Hämorrhagisch nekrotisierende Pankreatitis. Wenn eine sonografische Beurteilung möglich
ist:
–
Darstellung eines entzündlichen Exsudats in der Umgebung des Pankreas, das seinerseits
häufig kaum noch morphologisch abgrenzbar ist
–
Echoarme Nekrosestraßen können dann retrokolisch darstellbar sein (Ausmaß und genaue
Ausbreitung wegen der Gasüberlagerung meist unterschätzt).
–
Neben dem systematischen Monitoring der Laborparameter muss bei der Überwachung der
Pat. die bildgebende Diagnostik den Übergang von der ödematösen zur hämorrhagisch
nekrotisierenden Pankreatitis erfassen.
Die Defizite der Sonografie als Folge des begleitenden paralytischen Ileus machen
prinzipiell den Einsatz des CT erforderlich, um den Zeitpunkt der OP zu definieren,
bei der Nekrosen ausgeräumt werden und ein geschlossenes Spülsystem eingebracht wird.
Da jedoch nur das kontrastmittelverstärkte CT diagnostisch wertvoll ist und ggf. wiederholt
eingesetzt werden müsste, wird in der Schwangerschaft die Ind. zur op. Exploration
eher großzügig gestellt werden müssen.
Chronische Pankreatitis
Songorafie Bietet v. a. in der Phase der rezidivierenden akuten Schübe häufig ein
buntes, teilweise schwer verständliches Bild (Abb. 17.32
):
▪
Parenchym: Infolge des progredienten bindegewebigen Umbaus echogen und zunehmend rarefiziert
▪
Ductus pancreaticus: Glatt oder lakunenartig („Chain-of-lakes-Phänomen“) erweitert
mit einem Kaliber bis ≥ 1 cm
▪
Verkalkungen im umgebenden Gewebe (Eintrittsreflex und distale Schallauslöschung)
→ können die Interpretation zusätzlich erschweren.
Abb. 17.32
Akuter Schub einer chron.-rezidivierenden Sonografie:Pankreatitis, chronischePankreatitis.
Im Oberbauchquerschnitt stellt sich das Organ infolge beginnender Nekrotisierung echoarm
vergrössert dar. Der Ductus wirsungianus ist hier nur diskret erweitert, die Vena
lienalis zeigt unregelmässig echoreich abgrenzbare Thromben nahe des Confluens venosum,
der Einmündung in die Vena mesenterica superior
[G454]
Komplikationen Bei chron.-rezidivierender Pankreatitis teils imposante Pseudozysten,
v. a. im Pankreasschwanz (zentral echofrei, bei Kammerung septiert, ohne Randsaum,
mit ausgeprägter distaler Schallverstärkung).
Nephrolithiasis
Sonografie Sonografisch meist unspektakulär:
▪
Harte echoreiche Eintrittsechos mit distaler Schallauslöschung unabhängig vom Ausmaß
der Kalzifizierung
▪
Bei kleineren Konkrementen z. T. nur distale Schallauslöschungsphänomene ohne einen
Eintrittsreflex erkennbar.
▪
Große Konkremente sind im Pyelon und am Übertritt zum Ureter darstellbar mit der postobstruktiven
Dilatation des Nierenbeckenkelchsystems.
Hydronephrose
Ätiologie Entsteht bei einem Abflusshindernis der ableitenden Harnwege:Nephrolithiasis:Sonografie
▪
Intraluminale Ursachen: Konkremente, Tumoren, Ureterstenosen, Blutungen
▪
Extraluminal: Verlegung des Abflusssystems.
Sonografie Der Parenchym-Pyelon-Index verschiebt sich zugunsten des Nierenbeckens,
das echoarm aufgestaut zur Darstellung kommt. Stadien:
▪
Stadium I: erweitertes echofreies Nierenbecken bei normal breitem Parenchymsaum
▪
Hydronephrose:SonografieStadium II: zunehmende Dilatation des Pyelons und des Nierenbeckenkelchsystems,
Parenchymsaum verschmälert, gestauter Ureter kann darstellbar sein.
▪
Stadium III: Verplumpung des Kelchsystems, zunehmende Erweiterung des Nierenbeckens
(Abb. 17.33
), Parenchym nur noch sehr schmal
Abb. 17.33
Sonografie:HydronephroseHydronephrose Grad II. Dilatation des Pyelon, Verplumpung
des Kelchsystems aber noch keine Verschmälerung des Rindenparenchyms
[M389]
▪
Stadium IV: hydronephrotische Sackniere mit vollständigem Parenchymschwund.
Inkarzerierte Nabel- oder Narbenhernie
Sonografie Sonografisch in Ergänzung zur klinischen Diagnostik leicht darstellbar.
Die Lücke in der Bauchwand ist als Unterbrechung in der Schicht der inneren Faszie
und ggf. der Bauchwandmuskulatur meist schon ohne Provokationstest zu erkennen. Der
Bruchinhalt (entzündliches Exsudat, ggf. Anteile des Omentum majus oder Darmschlingen)
ist meist gut zu differenzieren.
▪
Grundsätzlich mit Nabelhernie, SonografieValsalva-Pressmanöver eine Vorwölbung des
Bruchinhalts über das Narbenhernie, SonografieNiveau der Faszie prüfen
!
Bei inkarzerierten Hernien ist meist ohne Pressversuch bereits die Herniation zu erkennen
(Abb. 17.34
). Der sehr schmerzhafte Pressversuch führt dann zu keiner weiteren Vorwölbung des
Bruchinhalts.
Abb. 17.34
Inkarzerierte Sonografie:Nabelhernie, inkarzierteNabelhernie. Querschnitt mit Darstellung
der nicht reponiblen Herniation über das Faszienniveau. Das prolabierte Fettgewebe
des Omentum maius ist als Folge der Strangulation inflammatorisch verändert und daher
echoreich dargestellt
[E833]
Divertikulitis
Sonografie
▪
Kolitis: Dickdarm langstreckig wandverdickt
▪
Divertikulitis: Während das gesunde Kolon sonografisch kaum darstellbar ist (Gasüberlagerung),
stellt sich das entzündete Kolon segmental infolge der Ödembildung in der Wand, im
Mesokolon und in den Appendices epiploicae bei simultaner Lumenreduktion und vermindertem
intraluminalem Gasgehalt gut kontrastiert dar.
–
Das betroffene Kolonsegment ist meist etwa 10 cm lang und hat ein Kaliber („Divertikulitis,
SonografieTargetphänomen“) von etwa 4–5 cm.
–
Das Lumen der entzündeten Abschnitte ist deutlich verengt.
–
Endoluminal oft kräftige Gasreflexe, fixiert ohne Beteiligung an der segmental spärlichen
Peristaltik (Abb. 17.35
). Reflexe korrelieren mit der intradivertikulären Gasansammlung.
Abb. 17.35
Sonografie:SigmadivertikulitisSigmadivertikulitis mit gedeckter Perforation
[T405]
–
Evtl. inkarzerierte Kotsteine
–
Die Kolonwand ist in der Divertikulitis inflammatorisch ödematös auf 5–10 mm verdickt.
Ein echoreicher Randsaum („Halo-Zeichen“) mit einer Breite von etwa 2–3 mm kommt als
Ausdruck der Peridivertikulitis bei etwa 40 % der Patienten zur Darstellung.
Indikation der Sonografie bei Divertikulitis
▪
Sensitivität für den Nachweis der Divertikulitis mittels Sonografie 80 %
▪
Abgrenzung einer blanden Divertikulitis mit Peridivertikulitis von einer komplizierten
Entzündung mit gedeckter oder offener Perforation: Komplikation meist gut darstellbar,
v. a. bei gedeckter Perforation zwischen Kolon und Bauchwand bzw. zwischen Kolon und
Harnblase.
▪
Auch der durch einen entzündlichen Konglomerattumor aus herangezogenen Dünndarmschlingen
abgegrenzte perikolische, in den Douglas-Raum reichende Abszess ist häufig gut darstellbar.
▪
Die freie Perforation kann bei freiem entzündlichem Exsudat dargestellt werden.
Peritonitis
Sonografie
▪
Generalisierte Peritonitis: Bei entsprechender klinischer Symptomatik und Konstellation
der Laborbefunde sonografisch nachweisbar, sobald sich diffus peritonitisches Exsudat
in ausreichender Menge intraabdominell findet (Abb. 17.36
).
Abb. 17.36
Mechanischer Ileus
[M412]
▪
Zunehmende Chronifizierung: Verdickung aller darstellbaren Darmwandabschnitte.
Die Peritonitis geht mit einer progredienten Paralyse des Darms einher, die infolge
von Gasüberlagerung die sonografische Exploration zunehmend erschwert.
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Freies Exsudat bei fehlendem Keimnachweis und klinischem V. a. eine diffuse Peritonitis
durch eine sonografisch gestützte Punktion asservieren und mikrobiologisch untersuchen
▪
Hohlorganperforation: Eine der möglichen Ursachen für die Entwicklung der diffusen
Peritonitis. Nachweis von freiem Gas ist weitaus problematischer als der Nachweis
freier Flüssigkeit. Die Abgrenzung gegenüber Darmgasen ist über den Darmschlingen
nur schwer möglich. Ein sicherer Nachweis von freiem Gas gelingt nur Peritonitisdann,
wenn sich Gasreflexe oder auf Gas zurückzuführende Artefakte wie die Wiederholungsechos
(Reverberationen) zwischen Leber und Zwerchfell bzw. zwischen Milz und Zwerchfell
im Subphrenium nachweisen lassen.
Ileus
Ist immer Teil des Symptomenkomplexes des akuten Abdomens (17.15.3).
Sonografie Der mechanische Ileus kann sonografisch gut diagnostiziert werden (Abb.
17.36). Häufig kann der Ort der Obstruktion sonografisch nachgewiesen werden. Verdickte
Wand im vor dem Hindernis liegenden Darmsegment sowie Hyperperistaltik des Darms.
▪
Wandödem in dem vor das Hindernis Hohlorganperforationgeschalteten Darmabschnitt,
das umso ausgeprägter ist, je länger der Ileuszustand dauert. Dann ist der wandverdickte
Darm gut gegenüber dem nicht wandverdickten, der Obstruktion nachgeschalteten „Hungerdarm“
abzugrenzen.
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Weitere sonografische Zeichen: zunehmende Distension der flüssigkeitsgefüllten Darmschlingen,
ggf. „Klaviertasten-Phänomen“ als Korrelat der ödematösen Kerckring-Falten (erscheint
bei tangentialem Anschnitt der Darmschlinge als „Leiter-Phänomen“), Pendelperistaltik
vor dem Hindernis. Cave: Auch für diese zunächst gut erkennbaren Phänomene gilt, dass
mit zunehmendem Übergang des mechanisch obstruktiven Ileus in den paralytischen Ileus
die sonografische Exploration schwieriger wird und letztlich durch andere bildgebende
Verfahren ersetzt werden muss.
Beim paralytischem Ileus ist die Sonografie infolge der Gasüberlagerung durch die
zunehmende Paralyse erschwert und schließlich unmöglich, sodass eine Schnittbilddiagnostik
nur noch mit CT oder MRT möglich ist. In der Schwangerschaft sollte das MRT eingesetzt
und nur bei hohem Zeitdruck auf das CT ausgewichen werden. Da nur das kontrastmittelverstärkte
CT/MRT diagnostisch weiterführend ist und der Übergang in den paralytischen Ileus
ein Spätstadium des akuten Abdomens ist, wird die Ind. zur op. Exploration in der
Schwangerschaft eher großzügig zu stellen sein.
Relevante darmpathologische Befunde
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Dünndarmdistension > 3 cm
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Dickdarmdistension > 5 cm
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Darmwandverdickung > 5 mm
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Propulsive Peristaltik bei inkomplettem und eine Pendelperistaltik bei komplettem
mechanischem Ileus
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Freie, periintestinale liquide Kollektion
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Bei segmentalem Charakter der Befunde kann die Ind. zu einer Laparotomie unter Notfallbedingungen
nach Heistermann mit folgendem positivem Vorhersagewert (pV+) abgeleitet werden:
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1 Darmpathologie → pV+ 11 %
–
2 Darmpathologien → pV+ 26 %
–
> 2 Darmpathologien → pV+ 100 %.