Vorbemerkungen
Nach seinem erstmaligem Auftreten Ende 2019 in der chinesischen Stadt Wuhan hat sich
das neuartige Coronavirus-19 relativ schnell weltweit verbreitet. Es ist derzeit in
nahezu allen Ländern mit regional sehr unterschiedlicher Inzidenz nachgewiesen. Mit
dem neuartigen Coronavirus-19-Infizierte können an der durch das Virus verursachten
COVID-19 (Syn. Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS-CoV-2)) erkranken.
Nach Auskunft des Robert-Koch-Institutes (RKI) sind am 29.04.2020 weltweit über 3
Mio. Infektionen mit dem Virus nachgewiesen, 216 700 Infizierte sind im Verlaufe der
Infektion verstorben, wobei anhand der Daten nicht zu differenzieren ist, ob die COVID-19-Infektion
in jedem Fall die unmittelbare Todesursache darstellte, oder die Patienten zwar als
Virusträger, aber aus anderer Ursache verstorben sind. Für Deutschland werden am 28.04.2020
157 641 Infizierte angegeben, was einer Inzidenz von 190/100 000 Einwohner entspricht.
6115 Patienten sind im Verlauf der Infektion verstorben, 112 000 Patienten gelten
als genesen, so dass sich eine Anzahl an aktiv Infizierten von derzeit etwa 40 000
ergibt, was einer Inzidenz von aktiv Infizierten von ca. 50/100 000 entspricht
1
. Allerdings wird immer wieder auf eine mutmaßlich hohe Dunkelziffer hingewiesen,
auch vor dem Hintergrund, dass viele COVID-19-Infizierte klinisch asymptomatisch,
aber Virusüberträger sein können
2
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. Dies gilt in besonderem Maße auch für Kinder, die nicht oder nur sehr selten symptomatisch
erkranken
4
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.
Verschiedene Bevölkerungsgruppen konnten als besondere Risikogruppen für eine COVID-19-Erkrankung
identifiziert werden. Hierzu werden, auch und gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen
mit dem Infektionsverlauf in Italien, Spanien und Frankreich, ältere Patienten mit
einem Alter von über 60 Jahren und vorerkrankte Patienten, z. B. mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
Diabetes mellitus, schweren Lungenerkrankungen, Immunsuppression oder Tumorerkrankungen
gezählt
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.
Aufgrund von regierungsamtlichen Anordnungen und Aufforderungen seitens der Gesundheitsbehörden
wurden in vielen HNO-Kliniken und Praxen in den letzten Wochen seit dem 15.03.2020
die Behandlung elektiver Patienten verschoben. Es wurden weitgehend nur Notfallbehandlungen
und -Eingriffe sowie onkologische Behandlungen und -Eingriffe durchgeführt. Bereits
früh im Rahmen der Infektionsausbreitung in Deutschland haben die Präsidien der Deutschen
Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie sowie des Deutschen Berufsverbandes
der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte dazu aufgerufen, die elektive Tätigkeit im HNO-Gebiet einzustellen.
Dies war im Lichte der akuten und sehr dynamischen Pandemiesituation gerechtfertigt
und konsequent. Es wurden hiermit auch Kontakte von Patienten zu den Praxen und Kliniken
reduziert, was unter infektionsepidemiologischen Gesichtspunkten geboten erschien,
sowie Kapazitäten für die Behandlung einer großen Anzahl an COVID-19-Patienten geschaffen.
Wenn auch die Behandlungsdringlichkeit in der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie
geringer ist als z. B. in der Behandlung von Herzinfarkten oder Schlaganfällen, so
gibt es in der HNO-Heilkunde onkologische Erkrankungen, entzündliche Erkrankungen
an Mittelohr, Tonsillen und Nasennebenhöhlen, die innerhalb von wenigen Wochen zur
Behandlung kommen müssen. Solche „nicht ganz hoch- aber doch dringliche“ Erkrankungen
werden nun seit mehreren Wochen aufgeschoben, was auch die Patienten verständlicherweise
beunruhigt.
Der Verlauf der Anzahl von Neuinfektionen pro Tag, der ansteigenden Verdoppelungsdauer
der Infiziertenanzahl, der ansteigenden Anzahl an Genesenen, der sinkenden Zahl an
Weiterinfizierten (Basisreproduktionszahl R0) und der sich abflachenden Kurve an Todesfällen
von mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten in Deutschland geben Anlass zur Hoffnung,
dass die Infektionswelle an Dynamik verloren hat, und die Pandemie als beherrschbarer
eingeschätzt werden kann. Hinzu kommt, dass in vielen Regionen Deutschlands ausreichende
Kapazitäten in Kliniken und Praxen sowohl zur Versorgung von COVID-19- als auch von
nicht-COVID-19-Patienten zur Verfügung stehen, so dass eine Überforderung des Gesundheitssystems
in Deutschland derzeit nicht absehbar ist.
Vor diesem Hintergrund haben die Präsidien der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde,
Kopf- und Halschirurgie sowie des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte
Gedanken und Empfehlungen entwickelt, in welcher Form ein Weg zurück in die Normalität
der Gesundheitsversorgung möglich, sicher, verantwortungsvoll und sinnvoll ist. Mit
gleicher Perspektive veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium am 27.4.20 ein
Papier mit Ratschlägen für eine angepasste Krankenhausorganisation.
https://cdn.hno.org/media/Corona-Ticker/Mitteilung_BMG_27.4.20.pdf
. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Problematik der COVID-19-Infektionen den
medizinischen Alltag noch einige Zeit bestimmen wird. Zwar liegen einige ermutigende
Resultate über die potenzielle Wirksamkeit einiger Substanzen bei COVID-19 vor; allerdings
wird es nach allgemeiner Einschätzung noch einige Zeit bis zur Zurverfügungstellung
eines Impfstoffes oder einer wirksamen Therapie dauern
9
.
Besonderheit des HNO-Gebietes
Für den HNO-Bereich ergeben sich bei COVID-19 mehrere Besonderheiten:
Gefährdungen durch das Virusreservoir insbesondere in der Nasenhaupthöhle
die klinischen Symptome und die Therapie von Erkrankungen im Kopf-Hals-Bereich
Bereits früh in der Pandemie wurden Berichte aus China publiziert, wonach sich das
neuartige Coronavirus insbesondere im Bereich von Nase, Nasenrachenraum, Larynx und
Trachea nachweisen lässt und sich hier anreichert, und zwar bereits einige Tage bevor
Patienten klinisch symptomatisch werden
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. Auch haben frühe Berichte, wonach insbesondere HNO-Ärzte und Mitarbeiter von HNO-Ärzten
aufgrund dieser Tatsache eine erhöhte Erkrankungsrate und Todesrate aufweisen, für
Besorgnis gesorgt
12
. Allerdings beziehen sich diese Berichte auf die Frühphase des Infektionsgeschehens,
als noch keine wirksamen Maßnahmen des persönlichen Schutzes zur Verfügung standen,
und die pathogenetischen Kenntnisse der Infektion noch sehr lückenhaft waren
12
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. Seither wurde wiederholt in den Medien über eine höhere Infektions- und Sterblichkeitsrate
bei HNO-Ärzten berichtet, insbesondere aus Italien, Spanien, USA und Ecuador. Diese
Berichte haben bisher jedoch keinen Einzug in die wissenschaftliche Literatur gefunden.
Häufig bezogen sie sich auch auf Fälle, in denen keine persönlichen Schutzmaßnahmen
bei der Untersuchung und Therapie von COVID-19-Erkrankten ergriffen wurden.
Zu den klinischen Symptomen bei COVID-19 gehören Fieber, trockener (häufiger) oder
produktiver (seltener) Husten, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Gliederschmerzen und gastrointestinale
Symptome (
Tab. 1
). Symptome im Kopf-Hals-Bereich sind demgegenüber bisher zwar seltener berichtet
worden, aber im Ergebnis bleibt jedoch festzuhalten, dass zahlreiche Patienten Symptome
wie Husten, Heiserkeit, Halsschmerzen und Rhinitis zeigen, weswegen sie bei HNO-Ärzten
vorstellig werden
14
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. Neben diesen Symptomen gehören häufig auch Riech- und Schmeckstörungen und gelegentlich
zentralnervöse Symptome zu den Initialsymptomen der Erkrankung
16
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. Auch wird der HNO-Arzt mit der Durchführung von nasalen Abstrichtests konfrontiert
18
. In den letzten Wochen wurden Berichte veröffentlicht, wonach gehäuft sensorineurale
Hörstörungen bei COVID-19-Patienten oder diffuser Schwindel auftreten können, wobei
die Hörstörung persistieren kann
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. Dieses überrascht bei der nachgewiesenen Neurotropie des Virus nicht
16
17
. Es ist auch zu erwarten, dass HNO-Ärzte in Kliniken, in denen COVID-19-Patienten
behandelt und beatmet werden, mit der Frage der Tracheotomie konfrontiert werden
22
, wobei die Indikation hierfür sehr eng zu stellen ist, da meist eine Langzeitbeatmung
von länger als vier Wochen nicht notwendig ist. Wird eine Tracheotomie aus Gründen
der besseren Bronchialpflege, der Sorge um laryngotracheale Stenosen oder mit der
Perspektive eines schnelleren Weanings notwendig, ist darauf zu achten, dass eine
geblockte Kanüle eingesetzt wird, sodass ein geschlossenes System entsteht und eine
Aerosolbildung möglichst vermieden wird
22
. Diese Beschreibungen verdeutlichen, warum HNO-Ärzte und auch das Personal in HNO-Praxen
und -Kliniken zu den besonderen Risikogruppen im Gesundheitswesen gezählt werden,
was auch von dem Center for Disease Control and Prevention der USA (CDC) bestätigt
wird
23
.
Tab. 1
Übersicht über die häufigsten Symptome bei COVID-19-Patienten
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23
.
Symptom
Häufigkeit
Fieber
43–98 %
„Trockener“ Husten
68–82 %
Produktiver Husten mit Sputumbildung
28–33 %
Müdigkeit/Abgeschlagenheit
38–44 %
Gastrointestinale Symptome
20 %
Halskratzen/Heiserkeit
14–17 %
Nasale Obstruktion
5 %
Rhinorrhoe
4 %
Hyposmie/Anosmie
bis 50 %
Hypogeusie/Ageusie
bis 50 %
Diffuser Schwindel
kasuistisch
Hörminderung
bisher 1–3 %
In der Literatur sind allerdings nur relativ wenige Arbeiten zur besonderen Gefährdung
von Gesundheitspersonal veröffentlicht
24
25
. Fest steht jedoch, dass Untersuchungen und Behandlungen an Nase, Nasennebenhöhlen,
Oro- und Hypopharynx, Larynx und Trachea und mit Einschränkung auch im Bereich des
Mittel- und Innenohres aufgrund der oben ausgeführten Viruskonzentration zu den anatomischen
Risikogebieten gezählt werden müssen. Alle Behandlungen und Untersuchungen, bei denen
es zu einer Aerosolbildung kommen kann, sollten vermieden oder auf ein unbedingt notwendiges
Mindestmaß reduziert werden. Hierzu zählen auch endoskopische Untersuchungen der Nase
und des Kehlkopfes, die, wenn notwendig, unter topischer Anästhesie mit einem Gelanästhetikum
durchgeführt werden sollten, um Niesen etc. zu verhindern
22
26
27
. Gleiches gilt für die operativen Maßnahmen, bei denen z. B. im endonasalen und mastoidalen
Bereich mit einer Aerosolbildung bei der Anwendung von Bohr- und Spülsystemen zu rechnen
ist, nicht jedoch bei der Anwendung eines Microdebriders
27
28
.
Nicht zu vernachlässigen sind die zahlreichen asymptomatischen Patienten mit COVID-19-Infektion,
die die HNO-Praxen und -Kliniken aufgrund von anderen Beschwerden aufsuchen, sowie
Kinder, die z. B. zur Adenotomie vorgestellt werden und asymptomatische Virusträger
sein können.
Somit ist gerade für die HNO-Heilkunde als besonders gefährdetem Fachgebiet die Frage
der „Normalität“ der Patientenversorgung speziell. Offizielle Regelungen sind hier
bisher unseres Wissens kaum ergangen und man darf erwarten, dass diese ähnlich wie
bei der Frage des Maskenschutzes der Bevölkerung und der Ladenöffnungen nicht bundeseinheitlich
sein werden. Es ist zu erwarten, dass möglicherweise je nach Votum von Gesundheitsämtern,
Kommunen, Regierungsbezirken, Ärztekammern, Bundes- oder Landesbehörden regionale
oder lokale Besonderheiten gültig werden können. Diese behördlichen Aussagen werden
dann fraglos eine höhere Verbindlichkeit haben, als die hier niedergelegten Gedanken.
Oft wird ein Arzt auch an die Vorgaben eines Trägers einer Klinik oder Einrichtung
formal gebunden sein.
Dabei sind Regelungen der Patientenversorgung außerhalb des akuten Notfalls in der
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde von großer Bedeutung: So haben beispielsweise die Operationen
an Nase, Nasennebenhöhlen und Adenoiden einen Anteil von zwischen 25 % und 35 % an
allen operativen Leistungen einer HNO-Klinik/Abteilung. Zudem zählen die Operationen,
z. B. an der Nasenscheidewand oder an den Adenoiden, zu den häufigsten operativen
Eingriffen beim Menschen in Deutschland per se.
In anderen Ländern mit COVID-19-Erkrankungen sind bereits Empfehlungen für die nicht
notfallmäßige chirurgische Therapie von Erkrankungen im Allgemeinen und im HNO-Bereich
im Speziellen formuliert worden, so z. B. vom American College of Surgeons, der Stanford
University oder den Fachgesellschaften der Anästhesiologie
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. In Deutschland sind einige Überlegungen von einzelnen Kliniken bekannt (z. B. Univ.
HNO-Klinik Jena, Univ. HNO-Klinik Leipzig, HNO-Klinik Klinikum Nordstadt Hannover).
Ausgehend von diesen Überlegungen haben die Präsidien der Deutschen Gesellschaft für
Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie sowie des Deutschen Berufsverbandes
der HNO-Ärzte „Handlungsempfehlungen für die HNO-Elektiv-/nicht notfallmäßige Behandlung
in Corona-Zeiten“ formuliert, die online publiziert sind (
www.hno.org/corona
Ticker) und auf die besonders hingewiesen wird.
Fazit
Hals-Nasen-Ohrenärzte werden häufig mit COVID-19 konfrontiert, sowohl aufgrund der
Symptome des Patienten im akuten Krankheitsfall und nach Abklingen der akuten Infektion,
als auch bei den diagnostischen und therapeutischen Prozeduren. Da zu erwarten ist,
dass die COVID-19-Erkrankungen noch längere Zeit auftreten werden, wird sich für HNO-Ärzte,
aber auch für HNO-Praxis- und Klinikpersonal bleibend eine höhere Infektionsgefährdung
ergeben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der Einhaltung des konsequenten persönlichen
Schutzes und der Einhaltung von Präventionsmaßnahmen.