Im Dezember 2019 wurde in Wuhan (Provinz Hubei/VR China) der erste Fall einer SARS-CoV-2
induzierten Pneumonie diagnostiziert (1). Das Virus breitete sich weltweit aus, am
12. März erklärte die WHO den COVID-19 Ausbruch als Pandemie, mit — zu diesem Zeitpunkt
— 20.000 bestätigten Fällen in der Europäischen Region (2). Ende Februar traten in
Österreich die ersten bestätigten Fälle auf (3).
Korrektes Ablegen der Schutzkleidung trainieren
Personal in Gesundheitseinrichtungen ist, insbesondere im Umgang mit infizierten Patientinnen
und Patienten, einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt und kann das Virus auch
weitertragen, ohne selbst Symptomatik zu zeigen (4, 5). Daher ist es erforderlich,
dass das Personal eine persönliche Schutzausrüstung (PSA) trägt. Im Zusammenhang mit
anderen Infektionskrankheiten ist bekannt, dass besonders das korrekte Ablegen der
Schutzkleidung trainiert werden muss, denn dieses Prozedere birgt die größte Gefahr
einer Selbstkontamination (6, 7).
Das Wissen über Schutzkleidung und das korrekte Prozedere zum An- und Ablegen der
Schutzkleidung wird meistens in Richtlinien und Empfehlungen von Fachgesellschaften
zur Verfügung gestellt. Für den deutschsprachigen Raum ist an dieser Stelle insbesondere
das Robert Koch Institut (RKI) zu nennen. So lag Anfang März bereits eine Empfehlung
des RKI zu Hygienemaßnahmen inklusive der notwendigen PSA bei SARS-CoV-2 Fällen vor.
Eine Anleitung zum An- und Ablegen der Schutzkleidung in deutscher Sprache war nicht
vorhanden (8). Abgesehen vom Fehlen einer deutschsprachigen Anleitung ist bekannt,
dass der Transfer von Wissen aus Richtlinien und Empfehlungen in die Praxis ein geleiteter
Prozess sein sollte (9). Das bloße Vorhandensein einer Leitlinie ist nicht ausreichend,
um das Wissen aus Leitlinien und Empfehlungen umsetzen zu können (10). Neben sprachlichen
Barrieren gibt es noch viele weitere Hürden beim Wissenstransfer in die Praxis, wie
zum Beispiel Unwissenheit über das Vorhandensein der Leitlinie oder fehlende Zustimmung
zu den Inhalten der Leitlinie (11).
Dieser Praxisbericht soll zeigen, wie Wissen aus deutsch- und englischsprachigen Richtlinien
und Empfehlungen bezüglich der erforderlichen Schutzkleidung bei SARS-CoV-2 Verdachtsfällen
und bestätigten Fällen, sowie dem korrekten Anund Ablegen, schnell zu unterschiedlichsten
Berufsgruppen im Gesundheitswesen transferiert werden kann.
Europas erstes Simulationskrankenhaus
Die Maßnahmen zum Wissenstransfer zu den jeweiligen Zielgruppen fanden vorwiegend
am Simulationskrankenhaus des SIM CAMPUS in Eisenerz statt. Die SIM CAMPUS GmbH entwickelt
und betreibt als Tochtergesellschaft des Landes Steiermark seit Herbst 2019 verschiedene
Ausbildungs- und Trainingsschauplätze, darunter auch Europas erstes Simulationskrankenhaus
— eine Hybrideinrichtung der besonderen Art. Grundsätzlich dient sie als innovative
Ausbildungs- und Trainingsstätte für die Bereiche Katastrophenschutz, Katastrophendiplomatie,
Katastrophenrisikoreduktion, Sicherheit und Gesundheit. Im Fall regionaler oder überregionaler
Notfall,- Krisen oder Katastrophensituationen kann die Einrichtung jedoch innerhalb
weniger Stunden zur medizinischen Notversorgungseinrichtung aktiviert werden (https://www.simcampus.eu/de/mission/).
Das Simulationskrankenhaus am SIM CAMPUS war bereits im Februar 2020 Schauplatz einer
interdisziplinären, vollständig simulationsbasierten Lehrveranstaltung der Medizinischen
Universität Graz. Im Rahmen des Wahlfaches „Die Grazer SIMLine: Notaufnahme“, an dem
sowohl Studierende der Pflegewissenschaft als auch der Medizin teilnahmen, wurde am
Simulationskrankenhaus des SIM CAMPUS eine sogenannte Vollprozesssimulation durchgeführt.
An zwei Tagen wurde ein Krankenhausbetrieb inklusive Tag- und Nachtschichten vollständig
simuliert. Der Fokus lag auf der Behandlung in der Notaufnahme sowie dem Transfer
und der Weiterbehandlung auf Intensiv- und Normalstationen. Simuliert wurde dabei
auch die Isolation und Behandlung eines Patienten mit COVID-19. Die Studierenden erlernten
die Vorbereitung zur Isolierung einer Patientin/eines Patienten inklusive Schleusenbetrieb,
sowie das An- und Ablegen der Schutzkleidung. Die Lehrveranstaltung war ein großer
Erfolg. Niemand konnte zum Zeitpunkt des Lehrveranstaltungsabschlusses vorhersehen,
welche Herausforderungen die nächsten Wochen für das Lehrveranstaltungsteam der Med
Uni Graz bereithalten würden. Schon wenige Tage nach Abschluss der Lehrveranstaltung
wurden die Medizinische Universität Graz und die SIM CAMPUS GmbH durch die zuständige
Koordinationsstelle des Landes Steiermark ersucht, Sanitäterinnen und Sanitäter des
Österreichischen Roten Kreuzes auf eine für diese bisher völlig unbekannte Tätigkeit
vorzubereiten — der Durchführung von Rachenabstrichen bei COVID-19 Verdachtsfällen.
In enger Abstimmung zwischen dem Rektorat der Medizinischen Universität Graz, den
Verantwortlichen des Landes Steiermark sowie dem Management der SIM CAMPUS GmbH wurde
ein interdisziplinäres Ausbildungsteam bestehend aus erfahrenen (Fach-)Ärzten, Rettungsdienstmitarbeitern
und diplomierten Pflegekräften zusammengestellt. Dieses Team entwickelte innerhalb
kurzer Zeit ein lernzielorientiertes, simulationsbasiertes und vor allem an die Zielgruppe
angepasstes Ausbildungskonzept. Der Schulungsteil des korrekten An- und Ablegens der
erforderlichen persönlichen Schutzausrüstung oblag den Diplomierten Pflegekräften
innerhalb des Teams.
Evidenzbasiert
Im ersten Schritt fand eine Recherche hinsichtlich Artikeln, Leitlinien, Richtlinien
und Empfehlungen zu speziellen Hygienemaßnahmen bei Verdachtsfällen bzw. bestätigten
Fällen einer SARS-CoV-2 Infektion bzw. COVID-19 Erkrankung, statt. Gesucht wurde am
29.02.2020 und 01.03.2020 in den Datenbanken Pubmed, Cinahl und IsI Web of Knowledge.
Die Suche in den Datenbanken brachte zum damaligen Zeitpunkt keine Ergebnisse. Zusätzlich
wurde auf den Webseiten der renommiertesten Fachgesellschaften gesucht. Dies waren
die Webseiten des Robert- Koch-Institutes (RKI), des European Centre for Disease Prevention
and Control (ECDC), des US- amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention
(CDC) und der WHO. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Empfehlung des RKI sowie eine Richtlinie
des ECDS hinsichtlich der Mindestanforderung an persönliche Schutzausrüstung (PSA).
Beide Fachgesellschaften empfahlen dieselbe Mindestanforderung an PSA. Eine Richtlinie
zum korrekten An- und Ablegen der Schutzausrüstung lag zu diesem Zeitpunkt vom ECDC
in englischer Sprache vor. Die ersten Schulungsinhalte wurden auf Basis dieser Empfehlung
beziehungsweise der Richtlinien — „Empfehlungen des RKI zu Hygienemaßnahmen im Rahmen
der Behandlung und Pflege von Patienten mit einer Infektion durch SARS- CoV-2“(8)
und ”Guidance for wearing and removing personal protective equipment in healthcare
settings for the care of patients with suspected or confirmed COVID-19“(12) erstellt.
Aus den vorhandenen Quellen wurden die Mindestanforderungen an die PSA abgeleitet
(Tab. 1), sowie ein speziell für das mobile Detektionsteam angepasstes Prozedere entwickelt
(Tab. 2 und Tab. 3).
▪ Schutzkittel: Geeignet sind langärmelige mindestens flüssigkeitsabweisende Kittel
mit Rückenschluss und Abschlussbündchen an den Armen, die entweder desinfizierbar
sind oder als Einmalkittel entsorgt werden.
▪ Einweghandschuhe
▪ Dicht anliegende Atemschutzmaske (mind. Schutzstufe FFP2)
▪ Schutzbrille bzw. Face Shield
▪ Kopfhaube
▪ Händesdesinfektion nach Hygienestandard
▪ Erstes Paar Handschuhe anziehen
▪ Schutzkittel anziehen: Dabei darauf achten, dass Schutzkittel vollständig geschlossen
ist
▪ Schutzmaske anziehen — diese muss dicht anliegen: Metallklip muss an die Nase gedrückt
werden; Schutzmaske nur an desinfizierbaren Stellen angreifen bzw. keinesfalls an
der Innenseite berühren
▪ Schutzbrille aufsetzen
▪ Paar Handschuhe anziehen
▪ Desinfektion der behandschuhten Hände (Entnahme des Desinfektionsmittels durch Ellenbogen)
nach Hygienestandard
▪ Ausziehen des ersten Paars Handschuhe. ACHTUNG: Rekontamination vermeiden
▪ Desinfektion der behandschuhten Hände
▪ Ausziehen des Schutzkittels: Herausziehen der Arme — Falten des Schutzkittels der
Länge nach mit der kontaminierten Seite nach innen — Zusammenrollen des Schutzkittels
unter ausschließlichem Kontakt zur nicht kontaminierten Seite — Abwurf des Schutzkittels
▪ Desinfektion der behandschuhten Hände
▪ Anlegen der Schutzbrille
▪ Ausziehen des Mundschutzes
▪ Ausziehen der Kopfhaube
▪ Handschuhe ausziehen
▪ Desinfektion der Hände nach Hygienestandard
Zusätzlich zu diesen speziellen Maßnahmen wurden auch Basishygienemaßnahmen vermittelt,
wie das korrekte Händewaschen, die korrekte Händedesinfektion, notwendige Maßnahmen
zur persönlichen Hygiene sowie der Umgang mit erforderlichen Desinfektionsmitteln.
Diese Inhalte wurden aus den RKI Empfehlungen abgeleitet (13).
Die gesamte achtstündige Schulungsmaßnahme beinhaltete folgende Punkte:
▪ Vortrag 1: Allgemeine Informationen zu SARS-CoV-2/COVID-19, Übertragungswege, Infektiosität
(45 min)
▪ Vortrag 2: Allgemeine und spezielle Hygienemaßnahmen, An- und Ablegen der persönlichen
Schutzausrüstung (PSA), Arbeiten nach Richtlinien
▪ Praktische Übungen der einzelnen Prozeduren: Durchführen eines Rachenabstrichs,
Händewaschen, Händedesinfektion, Anlegen der PSA, Ablegen der PSA,
▪ Prozesssimulation mit der Simulationspuppe
▪ OSCE — Objective structured clinical examination: mündlich-praktisches Prüfungsverfahren
Die Schulungsmaßnahmen fanden im März und April 2020 statt. Vor jeder Schulung wurden
sämtliche Richtlinien und Empfehlungen, auf denen Schulungsinhalte basierten, auf
Neuerungen und Änderungen überprüft. Im April publizierten die Centers for Disease
Control and Prevention eine Richtlinie zum korrekten An- und Ablegen der PSA: „Use
Personal Protective Equipment (PPE) When Caring for Patients with Confirmed or Suspected
COVID 19” (14). Diese Richtlinie unterschied sich nur in einem Schritt (Händedesinfektion
nach dem Ablegen des Schutzmantels) von der bisherigen Vorgehensweise; dieser Schritt
wurde hinzugefügt. Ebenso wurde die Problematik der Ressourcenknappheit betreffend
Schutzbekleidung in die Schulung mitaufgenommen. Sofern es zu dieser Problematik Empfehlungen
und Richtlinien gab, wurden auch diese in die Vorträge beziehungsweise in die einzelnen
Prozeduren inkludiert. Ein Beispiel hierfür ist die Mehrfachverwendung von FFP2 (filtering
face piece) Masken oder die zusätzliche Verwendung von face shields (Gesichtsschirm)
(15).
Weiters wurde mit dem erweiterten Schulungsteam ein Video gedreht, in dem das korrekte
An- und Ablegen der PSA dargestellt wird. Das Video ist sowohl auf der Homepage der
Medizinischen Universität Graz (https://oeffentlichkeitsarbeit.medunigraz. at/expertinnen-zu-covid-19/)
als auch auf youtube (https://www.youtube.com/watch?v=16bAdCONDM8) aufrufbar
Auf Basis dieses Schulungskonzeptes wurden auch Schulungen für andere Zielgruppen
angepasst und durchgeführt. So wurden an der Medizinischen Universität Ärzteteams,
nach Anfrage am SIM CAMPUS, punktuell im An- und Ablegen der Schutzausrüstung geschult,
ebenso wie Lehrer und Lehrerinnen sowie Schüler und Schülerinnen der Krankenpflegeschule
Leoben. Die Schulungsmaßnahme wurde auch bei den wiedereinberufenen Zivildienern angewandt.
Schlussfolgerung und Ausblick
Das primäre Ziel der Schulungsmaßnahme war der bestmögliche Schutz der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter im Gesundheitswesen vor einer Infektion. Ein weiterer Faktor war die
Zeit, da schnell eine effektive Maßnahme gefunden werden musste, um das Wissen in
die Praxis bringen zu können. Die face-to-face Schulungsmaßnahme erschien als effektivste
Lösung, was sich letztlich auch bestätigt hat. Es gibt keinen Goldstandard hinsichtlich
Implementierungsstrategien, um Wissen in die Praxis zu bringen. Edukative Implementierungsansätze
und auch Einzelmaßnahmen werden in der Literatur häufig als effektive Maßnahmen beschrieben
(16). In einem Cochrane Review von Veerbeek et. al (2020) bezüglich des korrekten
An- beziehungsweise Ablegens der PSA und den damit verbundenen An- und Ablegetrainings
konnte gezeigt werden, dass persönliche Instruktionen das Nichtbeachten einzelner
Schritte besser reduzieren als nur Flyer oder Videos. Weiters zeigte dieser Review,
dass zusätzliche Computeranimationen Fehler beim Anlegen verringern. Videos hinsichtlich
des Anlegens der PSA führen zu besseren Kenntnissen des Anlegens (17). Da sich die
Richtlinien und Empfehlungen nahezu täglich ändern können bzw. neue Richtlinien und
Empfehlungen laufend hinzukommen, ist eine fortlaufende Recherche erforderlich, um
auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Ähnlich stellt die Ressourcenknappheit der Schutzausrüstung
eine Herausforderung dar, die entsprechend berücksichtigt werden muss, und insbesondere
bei den Schulungen des ärztlichen Personals auch intensiv diskutiert wurde.
Für die Zukunft gilt es primär, weitere Strategien zu entwickeln, wie das Wissen um
die korrekte Verwendung von Schutzkleidung effektiv zu den Personen transferiert werden
kann, die dieses Wissen brauchen. Wir würden empfehlen, dass dieses Wissen schon vor
dem Auftreten einer (zukünftigen weiteren) Pandemie insbesondere bei Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern im Gesundheitswesen parat ist, denn das Fehlen von Richtlinien oder
Empfehlungen zur korrekten Vorgehensweise zeigte sich als ein wesentliches Problem.
Dazu sollten laufend Implementierungsmaßnahmen, sowie die Evaluierung dieser, stattfinden,
damit dieses Wissen im Ernstfall schnell zur Verfügung steht und entsprechend geschultes
Personal abrufbar ist.