Kongressbericht - Pinard 2022
Wie gelingt eine gute Stillberatung? Was sollte die Hebamme zum Thema Impfen in der
Schwangerschaft wissen? Und was ist bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung zu tun?
Diese und weitere spannende Themen standen beim Pinard-Kongress des Consilium Hebamme
auf dem Programm.
Unter dem Motto "Jungfernflug" startete der neue Großkongress "pinard" für Hebammen
in Bonn. Für 500 von 1.700 Teilnehmerinnen war die ganztägige Fortbildung im Alten
Bundestag in Bonn die erste Fortbildung seit Langem, die sie wieder live vor Ort erlebten.
Alle anderen nutzten die Chance, die interessanten Vorträge online zu hören und zu
sehen.
Impfen in der Schwangerschaft - Schutz für zwei
Ziel von Impfungen in der Schwangerschaft sei der Schutz für zwei, erklärte Prof.
Ulrich Heininger vom Universitäts-Kinderspital Basel sowie Mitglied der Ständigen
Impfkommission (STIKO): Zum einen sorge die Impfung für einen direkten Schutz der
Schwangeren, die aufgrund der physiologischen Immunsuppression in der Schwangerschaft
an manchen Infektionskrankheiten besonders schwer erkrankt. Zum anderen würden ein
transplazentarer Transfer von IgG-Antikörpern sowie ein geringeres Ansteckungsrisiko
durch die geimpfte Mutter zum indirekten Schutz des Neugeborenen beitragen. Grundsätzlich
können Impfungen mit Totimpfstoffen, beispielsweise gegen Tetanus, in der Schwangerschaft
nachgeholt werden. Lebendimpfungen, wie gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken,
werden in der Schwangerschaft vorsorglich nicht durchgeführt. Eine versehentliche
Impfung in der Schwangerschaft sei jedoch kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch,
so Heininger. Internationale und nationale Registerdaten zeigen kein erhöhtes Risiko
für Fehlbildungen des ungeborenen Kindes bei einer versehentlichen Lebendimpfung in
der Schwangerschaft. Von der STIKO für schwangeren Frauen explizit empfohlen werden
Impfungen gegen
Keuchhusten (Pertussis) zu Beginn des 3. Trimenons, bei erhöhter Wahrscheinlichkeit
für eine Frühgeburt im 2. Trimenon
Grippe (Influenza) ab dem 2. Trimenon, bei erhöhter gesundheitlicher Gefährdung ab
dem 1. Trimenon
COVID-19 ab dem 2. Trimenon
Keuchhusten ist vor allem für junge Säuglinge gefährlich und verläuft bei einer Erkrankung
im ersten Lebensjahr zu 1 % tödlich, berichtete Heininger. Wie eine Beobachtungsstudie
ergab, kann die Impfung der Mutter in der Schwangerschaft das Risiko für Keuchhusten
beim Säugling bis zum Alter von drei Monaten um 91 % reduzieren (Amirthalingam G et
al. 2014). Auch eine mütterliche Influenza-Impfung in der Schwangerschaft führt zu
einem Nestschutz für den Säugling. Studiendaten zufolge wird das Risiko für eine Hospitalisierung
aufgrund von Influenza in den ersten Lebensmonaten um 91,5 % reduziert (Benowitz I
et al. 2010). Das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist in der Schwangerschaft
erhöht. Ziel der Impfung gegen COVID-19 von Schwangeren ist daher, schwere Krankheitsverläufe
und Todesfälle sowie Schwangerschaftskomplikationen zu verhindern. Ob es durch den
Transfer mütterlicher Antikörper zu einem klinisch relevanten Schutz für das Neugeborene
kommt, ist noch nicht geklärt. Die Daten zur Sicherheit der COVID-19-Impfung in der
Schwangerschaft sind zwar noch begrenzt, liefern bisher aber keine Hinweise auf schwere
Nebenwirkungen bei Mutter und Kind, insbesondere nicht auf eine erhöhte Rate an Aborten,
Frühgeburten, Totgeburten oder Malformationen. Heininger empfahl daher: Keine Scheu
vor Schutz für zwei!
Bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung handeln!
Die Zahlen sind erschreckend: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis)
stellten die Jugendämter im Corona-Jahr 2020 bei fast 60.600 Kindern und Jugendlichen
eine Kindeswohlgefährdung fest. Das waren rund 9 % mehr als im Vorjahr. Mehr als die
Hälfte (58 %) wiesen Anzeichen von Vernachlässigung auf, bei rund einem Drittel (34
%) lagen Hinweise auf psychische Misshandlungen vor, bei einem Viertel (26 %) wurden
Indizien für körperliche Misshandlungen und bei 5 % für sexuelle Gewalt gefunden.
Die Dunkelziffer sei jedoch um ein Vielfaches höher, sagte Prof. Wolfgang Kölfen,
Kinder- und Jugendarzt und Kommunikationstrainer in Mönchengladbach sowie Vize-Präsident
des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Alle Formen der Misshandlung
oder Vernachlässigung seien ein Frontalangriff auf die Gesamtpersönlichkeit des Kindes
mit lebenslangen Folgen, betonte Kölfen. Je länger die Misshandlung oder Vernachlässigung
andauere, desto größer seien die Langzeitfolgen. Daher sind frühzeitige Interventionen
gefragt. Die Situation ist gekennzeichnet durch zwei Rechte, die in einen Zielkonflikt
geraten können, erklärte Kölfen: Auf der einen Seite haben Kinder ein Recht auf eine
gewaltfreie Erziehung. Auf der anderen Seite sind Pflege und Erziehung das natürliche
Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht. Ist die Erziehung zum
Wohl des Kindes nicht gewährleistet, steht die Unterstützung der Familie im Vordergrund.
Aufgaben der Jugendhilfe sind dann die Förderung beispielsweise durch Familienbildung
und Jugendarbeit sowie Hilfe beispielsweise durch Erziehungsberatung. Bei dringender
Gefährdung des Kindeswohls steht der Schutz des Kindes im Vordergrund und Aufgabe
der Jugendhilfe kann eine Inobhutnahme sein. Wer ein Kind als gefährdet einschätzt,
darf die lokalen Jugendämter informieren, so Kölfen. Gemäß aktueller Rechtslage habe
die Sicherstellung des Kindeswohls Vorrang vor dem Datenschutz.
Anhand verschiedener Szenarien erläuterte Kölfen das praktische Vorgehen, wenn eine
Hebamme mit Situationen von Kindeswohlgefährdung konfrontiert wird: Eine akute Kindesmisshandlung
ist eine Notfallsituation. Auch bei einem schlechten Allgemeinzustand eines Säuglings
ist umgehendes Handeln gefragt und ärztliche Hilfe hinzuzuziehen. Kölfen empfahl Hebammen,
für Notfälle eine Liste mit wichtigen Telefonnummern von örtlichen Kinderarztpraxen,
Notarztwagen, Kinderklinik und Jugendamt bereit zu halten. Die Hebamme sollte die
Eltern jedoch nicht mit dem Verdacht auf eine Vernachlässigung oder Misshandlung konfrontieren,
betonte der Kinder- und Jugendarzt. Besser sei es, die Mitarbeit zu gewinnen durch
Aussagen wie "Dem Kind geht es schlecht, es hat Schmerzen und wir müssen jetzt rasch
gemeinsam Hilfe holen". Sind die Eltern nicht einverstanden, sollte die Hebamme in
eigener Initiative handeln. Die Situation sollte gut dokumentiert werden, wenn möglich
auch durch Fotos mit dem Smartphone.
Stellt die Hebamme bei einem Hausbesuch Hinweise auf eine Vernachlässigung oder eine
nicht kindgerechte häusliche Umgebung fest, ohne dass eine akute Gefährdung vorliegt,
sollte sie behutsam anregen, dass sich die Eltern Unterstützung beispielsweise im
Verwandten- oder Freundeskreis holen. Je nach Situation sollte die Hebamme das Jugendamt
einschalten. Möglich sei auch, den Fall zunächst anonym zu schildern und sich beraten
zu lassen. Kölfen ermutigte Hebammen, auf ihr Bauchgefühl zu hören und bei dem Eindruck,
dass etwas nicht stimmt, aktiv zu werden.
"Pinard 2022", Kongress des Consilium Hebamme; Bonn, 5. Februar 2022
Gestationsdiabetes: Das Stillen fördern
Ein Gestationsdiabetes zählt der aktuellen S2e-Leitlinie "Diabetes in der Schwangerschaft"
zufolge zu den Faktoren, die dazu führen, dass Frauen seltener und kürzer stillen.
Studiendaten belegen ein verzögertes Einsetzen der Laktogenese bei Gestationsdiabetes,
insbesondere bei vorliegender Adipositas und Insulinbehandlung, aber auch, wenn die
Mutter bei Stillfragen keine Unterstützung erhält (Matias SL et al. 2014). Umso wichtiger
sei gerade bei Gestationsdiabetes eine gute Stillberatung, betonte Dr. Bärbel Basters-Hoffmann,
Chefärztin an der Klinik für Geburtshilfe im St. Josefskrankenhaus Freiburg und ausgebildete
Still- und Laktationsberaterin. Stillen reduziere sowohl die ungünstige Stoffwechselprägung
und das Risiko des Kindes, übergewichtig oder adipös zu werden, als auch das Risiko
der Mutter, einen Typ-2-Diabetes und ein metabolisches Syndrom zu entwickeln. Aufgrund
der positiven Auswirkungen des Stillens auf die mütterliche und kindliche Gesundheit
sollten die Frauen zum Stillen ihres Kindes ermutigt werden. Studiendaten zufolge
stillen Mütter mit Gestationsdiabetes erfolgreicher, wenn sie bereits vor der Geburt
eine Stillberatung erhalten und auch postnatal gut betreut werden (Finkelstein SA
et al. 2013).
Als niederschwellige Unterstützung zur Stillvorbereitung empfahl Basters-Hoffmann
Hebammen, Frauen mit Gestationsdiabetes bereits rechtzeitig vor der Geburt die Kolostrummassage
zu erklären. Dadurch kann die Frau frühzeitig die Technik des Ausstreichens einüben
und der Umgang mit der eigenen Brust wird vertrauter. Das stärke auch das Selbstbewusstsein
der Frau, sagte Basters-Hoffmann. Ein zusätzlicher Vorrat an tiefgefrorenem Kolostrum
helfe, nach der Geburt bei Bedarf einen niedrigen Blutzuckerspiegel des Neugeborenen
zu überbrücken. Außerdem fördere die Kolostrummassage den Übergang zur reifen Muttermilch.