Eingang
8. September 2020
Annahme
6. Oktober 2020
Zusammenfassung
Hintergrund: Die Behandlung von Patienten mit Allergien und einem Risiko für eine
Anaphylaxie wurde seit Beginn der Covid-19-Pandemie vor Herausforderungen gestellt.
Empfehlungen zum "social distancing" und die Angst der Patienten vor einer Infektion
in medizinischen Einrichtungen haben zu einer Abnahme der persönlichen Arzt-Patienten-Kontakte
geführt. Hiervon sind Akutversorgung und die Behandlung chronisch Erkrankter gleichermaßen
betroffen. Generell bestehen keine Hinweise für ein erhöhtes Risiko von Allergikern
für einen schwereren Covid-19-Krankheitsverlauf, auch wenn Interaktionen mit der Immunantwort
durch eine SARS-CoV-2-Infektion bislang nur unzureichend bekannt sind.
Methodik: Es wurde eine selektive Literaturrecherche in Pubmed, Livivo und im World
Wide Web für den Zeitpunkt ab Bekanntwerden der neuartigen SARS-Viren (SARS-CoV-2)
durchgeführt, die Original- und Reviewarbeiten in deutscher oder englischer Sprache
umfasste. Basierend auf nationalen und internationalen Leitlinien und Positionspapieren
und dem Wissen um die Immunologie und den klinischen Verlauf von Covid-19 wurden von
einem Expertenteam in einem Delphi-Verfahren Empfehlungen zum Umgang mit Anaphylaxie-gefährdeten
Patienten in der Covid-19-Pandemie erarbeitet.
Ergebnisse: Es wurden keine Publikationen zu Anaphylaxie-Fällen während einer SARS-CoV-2-Infektion
oder vergleichbare Originaldaten gefunden. Verlässliche Studiendaten zur Versorgung
Anaphylaxie-gefährdeter Patienten in Zeiten imminenter Infektionsgefahr durch SARS-CoV-2
fehlen ebenfalls bis dato. In der internationalen Literatur wird gemutmaßt, dass Typ-2-geprägte
Immunreaktionen, wie sie bei Allergiepatienten oft vorliegen, protektive Effekte bei
dem in schweren Verläufen von Covid-19 beschriebenen "cytokine storm" aufweisen könnten.
Der Einfluss der bei einer Anaphylaxie eintretenden Dysregulation der Immunantwort
auf Covid-19 und umgekehrt ist bislang nicht bekannt.
Schlussfolgerung: Die Beratung, die Entwicklung von Strategien zur Expositionsprophylaxe
und die Notfalltherapie von Patienten mit Anaphylaxie ist in der aktuellen Covid-19-Pandemie
bei gefährdeten Patienten sehr wichtig. Hierzu sollten Vorsorgemaßnahmen getroffen
werden, zu denen die Ausstattung der Patienten mit mindestens einem Adrenalin-Autoinjektor
und weiterer Anaphylaxie-Notfallmedikation gehören. Die Selbstapplikation der Notfallmedikation
ist gerade unter den Bedingungen einer möglichen Quarantäne oder Isolation zu bevorzugen
und auch die Verordnung eines zweiten Adrenalin-Autoinjektors sollte großzügig Patienten-individuell
geprüft werden. Eine telemedizinische Beratung und gegebenenfalls auch Anleitung zur
Behandlung ist zu empfehlen. Ziel sollte es sein, begleitende allergische Erkrankungen
(z. B. Asthma bronchiale) gut einzustellen, die Allergenkarenz zu optimieren und eine
adäquate Notfalltherapie sicherzustellen.
Einleitung
Der globale Ausbruch einer Pandemie von Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus
SARS-CoV-2 wurde als "Coronavirus-Krankheit 2019" (Covid-19) benannt und stellt die
Gesundheitssysteme weltweit vor große Herausforderungen. SARS-CoV-2 ist ein Betacoronavirus
der Untergattung Sarbecovirus und ist umhüllt von einer Lipidmembran, die durch Detergenzien
zerstört werden kann. Es unterscheidet sich vom Coronavirus des Mittleren Ostens (MERS-CoV),
vom Coronavirus des schweren akuten Atemwegssyndroms (SARS-CoV) und von den für die
viralen "Erkältungskrankheiten" verantwortlichen Viren (229E, OC43, NL63 und HKU1)
[1, 2, 3].
Nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 kann es zu einer meist bis zu fünftägigen, in
selteneren Fällen bis zu 14-tägigen Inkubationszeit kommen, in der die erkrankten
Personen asymptomatische (Über)Träger des Virus sein können [4, 5, 6]. Bei einer großen
Zahl von Patienten führt die Infektion nach der Inkubationszeit zu einer Erkrankung
der oberen und unteren Atemwege oder seltener anderer Organsysteme (Nervensystem,
Gastrointestinaltrakt), die im ungünstigen Fall zum Multiorganversagen und respiratorischer
Insuffizienz führt, wie dies auch für andere Coronavirus-Infektionen (SARS-CoV-1,
MERS-CoV) beschrieben wurde [4, 5, 6]. In schwereren Fällen kann eine Infektion mit
SARS-CoV-2 zu Pneumonie, schwerem akutem Atemwegssyndrom, Nierenversagen und zum Tod
führen [5, 7, 8, 9, 10]. In der veröffentlichten wissenschaflichen Literatur zu Covid-19
werden höheres Alter und Komorbiditäten wie chronische Atemwegserkrankungen, Diabetes
mellitus, koronare Herzkrankheit und Immunschwäche unterschiedlichen Ursprungs als
Risikofaktoren für einen schweren Verlauf aufgeführt [7, 5, 9, 10]. Die Notwendigkeit
von intensivmedizinischen Maßnahmen und invasiver Beatmung geht mit einer hohen Mortalität
einher.
Wir stellen nachfolgend Aspekte vor, die bei Patienten mit einer Anaphylaxie-Gefährdung
im Kontext der Covid-19-Pandemie zu bedenken sind. Für die Empfehlungen in diesem
Manuskript wurde eine selektive Literaturrecherche in den gängigen Literaturportalen
durchgeführt für den Zeitpunkt ab Bekanntwerden der neuartigen SARS-Viren (SARS-CoV-2).
Diese Empfehlungen zum Umgang mit Anaphylaxie-gefährdeten Patienten in der Covid-19-Pandemie
wurden basierend auf nationalen und internationalen Leitlinien und Positionspapieren
und dem Wissen um die Immunologie und den klinischen Verlauf von Covid-19 von einem
Expertenteam in einem Delphi-Verfahren erarbeitet.
Anaphylaxie - schwere allergische Allgemeinreaktion
Eine Anaphylaxie ist eine schwere, systemische Reaktion, die durch allergische und/oder
nicht allergische Trigger ausgelöst werden kann [11, 12]. Sie kann den gesamten Organismus
betreffen und ist charakterisiert durch ein schnelles Auftreten potenziell lebensbedrohlicher
Atemwegs- und/oder Kreislaufprobleme, die zumeist mit Veränderungen der Haut oder
Schleimhäute einhergehen [13]. Während bei Erwachsenen Insektengifte (55 %) und Medikamente
(z. B. Antibiotika, Analgetika, Anästhetika) (21 %) klassische Auslöser einer Anaphylaxie
darstellen, sind im Kindesalter Nahrungsmittel wie Erdnüsse oder Milch mit 58 % die
häufigsten Auslöser einer schweren Anaphylaxie [14, 15]. Epidemiologische Untersuchungen
zeigen jährliche Inzidenzraten von zwei bis vier Personen pro 100.000 Einwohner in
Deutschland [16] beziehungsweise sieben bis 50 pro 100.000 Einwohner in den USA, Großbritannien
und Australien [12], wobei zur Varianz der Daten auch die fehlende einheitliche Definition
einer Anaphylaxie beitragen könnte. Zudem lassen sich hohe Dunkelziffern vermuten.
Unbehandelt treten im Extremfall ein bis drei durch Anaphylaxie bedingte Todesfälle
im Jahr pro eine Million Einwohner auf [17]. Laut aktuellen Untersuchungen nehmen
die Inzidenzraten für Anaphylaxien sowie Anaphylaxie-bedingte Krankenhausaufenthalte
weltweit zu [18, 19, 20, 21], wobei für nahrungsmittelinduzierte Anaphylaxien sogar
ein jährlicher Anstieg von 9,8 % in den Jahren 2001-2010 verzeichnet werden konnte
[18]. Auch wenn das wiederholte Auftreten einer Anaphylaxie sehr wahrscheinlich ist
[22, 23], sind Anaphylaxien häufig unvorhersehbar [24]. So zeigten die Ergebnisse
einer Studie, dass bei 66 % der Todesfälle durch Insektengifte und bei 75 % der Todesfälle
durch Medikamente zuvor keinerlei Symptome aufgetreten waren, die auf eine mögliche
Anaphylaxie hätten hinweisen können [14].
Immunantwort bei SARS-CoV-2-Infektion
Die Charakteristika der Immunantwort nach Infektion mit SARS-CoV-2 sind unzureichend
verstanden. Während verschiedene Verlaufsformen der Covid-19-Erkrankung und der Infektion
mit dem Virus beschrieben sind, ist bislang unklar, welche immunologischen Hintergründe
den Verlauf der Erkrankung eventuell beeinflussen. Dies gilt auch für die Bedeutung
von angeborenem und adaptivem Immunsystem im Zusammenhang mit der Infektion. Während
in der frühen Phase von Virusinfektionen klassischerweise natürliche Killerzellen
(NK-Zellen) eine wesentliche Rolle spielen, greifen CD8+-T-Helfer-Zellen in der nachfolgenden
Phase ein [25]. Die frühe Antikörpersekretion und -produktion im Mukosa-assoziierten
lymphatischen Gewebe umfasst zunächst antigenspezifische Antikörper vom Typ IgM und
IgA und später IgG und ist von zentraler Rolle für die Immunantwort [26, 27, 28].
Makrophagen werden aktiviert und sezernieren inflammatorische Zytokine, hierbei nehmen
vor allem Typ-I-Interferone (Typ-I-IFN) eine Schlüsselposition ein. Bei Infektionen
mit anderen Coronaviren (u. a. SARS-CoV-1) ist Typ-I-IFN für die adäquate Einleitung
der Immunreaktion verantwortlich, und Patienten mit verspäteter oder unzureichender
IFN-Produktion zeigten einen schwereren Krankheitsverlauf [6].
Die Aktivierung von Apoptose oder Pyroptose in Epithelzellen dient der Virusabwehr,
überschießende Immunreaktionen können durch synergistische Effekte aber auch zur lokalen
Gewebeschädigung beitragen [29]. Eine überschießende Produktion proinflammatorischer
Zytokine wurde bereits bei SARS-CoV-1-, MERS-CoV- und auch bei SARS-CoV-2-Infektionen
beobachtet und als "cytokine storm" beschrieben [4, 5]. Ausgedehnte Schäden an der
Lunge führen zu einer rapiden klinischen Verschlechterung und meistens zur Notwendigkeit
einer intensivmedizinischen Behandlung, die typischerweise sieben bis 14 Tage nach
Infektion zu beobachten ist. Die Gefahr von Nieren-, Leber- und/oder anderer Organschädigungen
oder einer Verbrauchskoagulopathie ist hierbei stark erhöht. Betroffene Patientinnen
und Patienten weisen in der Regel stark erhöhte Spiegel von Interleukin(IL)-1-β, IL-6,
IL-8 und TNF-α auf [30]. Die therapeutische Blockade von einem oder mehreren dieser
Zytokine wird als potenzielle zukünftige Therapieoption für schwer betroffene Patienten
diskutiert. Die beschriebenen Immunreaktionen vom Typ-1 und Typ-3 werden durch andere
Zytokine, wie zum Beispiel IL-10 und TGF-β eingedämmt, und auch Typ-2-Entzündungen
könnten eventuell als Gegenspieler eines "cytokine storms" agieren. Erhöhten Werten
von eosinophilen Granulozyten als eine der Schlüsselzellen der Typ-2-Inflammation
wurde eine protektive Wirkung bei schweren Virusinfektionen zugeschrieben, wobei der
Wirkungsmechanismus bislang nicht identifiziert werden konnte [31]. Auch eine reduzierte
Expression von Angiotensin-converting-enzyme-2 (ACE2) in Atemwegsepithelzellen von
Patienten mit allergischem Asthma wird als möglicher schützender Faktor für eine SARS-CoV-2-Infektion
diskutiert [32]. Es ist anzunehmen, dass erst das Zusammenspiel der einzelnen Zytokinantworten
zu einer adäquaten und effektiven Immunantwort bei Coronavirusinfektionen führt. Bislang
liegen keine Erfahrungen mit an Covid-19 erkrankten Patienten vor, die während ihrer
Erkrankung eine Anaphylaxie erlitten haben. Dysbalancen zwischen den Typ-1-, Typ-2-
und Typ-3-Immunreaktionen sind aber wahrscheinlich in der Lage, den Verlauf einer
Virusinfektion maßgeblich negativ oder positiv zu beeinflussen.
Erfahrungen mit Covid-19 bei allergischen Erkrankungen
Bislang gibt es nur ungenaue Hinweise darauf, welche Risikofaktoren bei SARS-CoV-2-Infizierten
einen schweren Verlauf mit Übergang in eine schwere Covid-19-Erkrankung bedingen.
Vorerkrankungen der Lunge galten initial als potenzieller Risikofaktor für eine Covid-19-Erkrankung
und für einen schwereren Verlauf. Dies hat sich im Zuge weiterer Studien als Confounder
herausgestellt. So sind Patienten mit einem medikamentös gut eingestellten Typ-2-assoziierten
Asthma bronchiale in Abwesenheit weiterer möglicher Risikofaktoren nicht als Risikopatienten
für einen schweren Covid-19-Verlauf einzustufen [33]. Auch wenn zu anderen Allergien
und atopischen Erkrankungen nur wenige und hinsichtlich ihrer prognostischen Aussagekraft
eng limitierte Daten zu Covid-19 im Kontext mit Typ-2-assoziierten Erkrankungen vorliegen,
kann aufgrund der aktuell verfügbaren Studiendaten kein erhöhtes Risiko postuliert
werden [9, 34, 35, 36, 37, 38, 39].
Empfehlungen für Anaphylaxie-gefährdete Patienten in der aktuellen Covid-19-Pandemie
Wir empfehlen für Anaphylaxie-gefährdete Patienten in der aktuellen Covid-19-Pandemie
einerseits allgemeine Maßnahmen der Infektionsprophylaxe, die überwiegend mit allen
derzeit empfohlenen Hygienemaßnahmen übereinstimmen, und andererseits spezifische
Maßnahmen für bestimmte Patientengruppen, die nachfolgend dargestellt werden.
Allgemeine Empfehlung/Präventivmaßnahmen
Die Covid-19-Pandemie macht erhebliche Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben
erforderlich, insbesondere zum Schutz besonders gefährdeter Patientengruppen und zur
Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems [40, 41, 42].
Virale Atemwegsinfektionen wie SARS-CoV-2 werden am häufigsten durch direkten Kontakt
mit gehusteten oder genießten Tröpfchen einer infizierten Person oder Aerosolbildung
in der Raumluft übertragen. Der Hand-zu-Hand-Kontakt oder das Berühren einer infizierten
Oberfläche sind weniger häufige Übertragungsmechanismen. Zu den allgemeinen Empfehlungen
für Patienten gehören das Händewaschen mit Seife und Wasser oder die Händedesinfektion
mit alkoholischen Lösungen und die Vermeidung von Kontakt mit Personen, die Symptome
von Atemwegsinfekten haben. Patienten mit Verdacht auf Covid-19 oder bestätigter Diagnose
von Covid-19, die ärztlichen Rat suchen, sollten eine Gesichtsmaske tragen und in
einem speziellen Raum untersucht werden - idealerweise in einem Isolationsraum, der
mit technischen Maßnahmen zum Schutz vor durch Luftübertragene Infektionserreger ausgestattet
ist [43].
In Übereinstimmung mit dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten
(ECDC, European Centre for Disease Prevention and Control) und der WHO (World Health
Organization) empfehlen wir in der aktuellen Pandemiesituation nachfolgende präventive
Allgemeinmaßnahmen für Ärzte, medizinisches Fachpersonal, Patienten und Begleitpersonen:
Einhaltung eines Abstands von eineinhalb bis zwei Metern zwischen Personen
Förderung der Einhaltung allgemeiner Hygienemaßnahmen wie regelmäßige Händedesinfektion/Händewaschen
für mindestens 30 Sekunden, Schleimhäute nicht mit den Händen berühren
Minimierung sozialer Kontakte
Beschränkung persönlicher Patientenkontakte auf das absolut notwendige Maß
Tragen persönlicher Schutzkleidung
Regelmäßige Desinfektion von Oberflächen, insbesondere von Türgriffen
In Deutschland und den meisten Ländern weltweit wird Patienten mit Verdacht auf eine
SARS-CoV-2-Infektion eine meist 14-tägige Quarantäne empfohlen. Patienten mit einer
nachgewiesenen Infektion und leichter Symptomatik werden in eine häusliche Isolation
geschickt, Patienten mit schwereren Symptomen in eine isolierte Hospitalisation genommen.
Schulung für Notfall und Prävention
Die Anaphylaxie-Schulung stellt eine der wichtigsten Präventivmaßnahmen für den Patienten
zur Vermeidung weiterer Anaphylaxien dar [44]. Zu diesem Zweck bietet die Arbeitsgemeinschaft
Anaphylaxie Training und Edukation (AGATE) ein Schulungsprogramm für Anaphylaxie-Patienten
(www.anaphylaxieschulung.de). Das Schulungsprogramm unterstützt Betroffene im Umgang
mit ihrer Erkrankung [45].
Wertvolle Hinweise enthält auch eine Informationsseite mit Anaphylaxie-Schulungsfilm
(www.anaphylaxie-experten.de). Bei Nahrungsmittelallergien sollte eine ausführliche
Ernährungsberatung durch eine speziell geschulte Ernährungsberaterin erfolgen. Ansprechpartner
für Patienten hinsichtlich des Umgangs mit der Erkrankung und Alltagsmanagement sind
zudem Patientenorganisationen wie der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB, www.daab.de).
Spezielle Maßnahmen bei Nahrungsmittelallergien
Patienten mit einer Nahrungsmittelallergie sollten eine individuell angepasste therapeutische
Eliminationsdiät bei einer in der Allergologie erfahrenen Ernährungsfachkraft erhalten
(Adressen zertifizierter Fachkräfte bei DAAB und Arbeitskreis Diätetik in der Allergologie,
www.daab.de). Hierdurch lassen sich zukünftige Anaphylaxien häufig vermeiden. Sollten
Reaktionen auf Nahrungsmittel auftreten ist es wichtig, dass der Patient über einen
Plan mit angemessenen Handlungsanweisungen verfügt (siehe Notfalltherapie). Insbesondere
bei Nahrungsmittelallergien sind Reaktionen abhängig von Kofaktoren (Augmentationsfaktoren)
und können in Einzelfällen zusammen mit diesen ausgelöst oder verstärkt werden [46].
Infektionen stellen bekannte Kofaktoren dar [46]. Es könnte angenommen werden, dass
bei aktiver SARS-CoV-2-Infektion und Allergenkontakt das Risiko für das Auftreten
von Anaphylaxien und/oder der Schweregrad der Reaktion erhöht sind. Insofern ist insbesondere
während aktiven Infektionen der Allergenkontakt zu meiden [46].
Der Patient sollte über ausreichende Notfallmedikamente verfügen und in deren Anwendung
instruiert sein [44]. Für eine eventuelle Quarantäne- und/oder Isolationssituation
ist es wichtig, dass Kinder und Erwachsene mit einer Nahrungsmittelallergie Zugang
zu geeigneten Nahrungsmitteln haben, die ihren Ernährungsempfehlungen entsprechen
[46, 47]. Für Patienten mit Anaphylaxie-Risiko ist ein Anaphylaxie-Pass zu empfehlen
[13, 46] mit Informationen über die Diagnose, ursächlich auslösende Allergene und
die Notfallbehandlung für den Fall einer Anaphylaxie, aber auch für eine Krankenhauseinweisung
aufgrund von Covid-19. Dieser sollte zusammen mit den Notfallmedikamenten immer mitgeführt
werden. Die orale (OIT) und epikutane Immuntherapie (EPIT) bei Nahrungsmittelallergien
sollte den Handlungsempfehlungen für die Allergen-Immuntherapie in der Covid-19-Pandemie
der deutschen und europäischen Allergiegesellschaften entsprechen [48, 49].
Spezielle Maßnahmen bei Insektengiftallergien
Grundsätzlich ist zu vermuten, dass während der Covid-19-Pandemie allergische Reaktionen
auf Insektenstiche eher zunehmen, da viele Freizeitangebote und auch die Gastronomie
bewusst in Außenräume verlagert wurden. Im Falle einer anaphylaktischen Reaktion durch
einen Insektenstich sollten die Patienten gemäß aktuellen Leitlinien diagnostiziert
und behandelt werden [13, 50, 51].
Insbesondere bei Hochrisikopatienten (z. B. bei einem hohen Risiko für nachfolgende
Stichereignisse, bei Patienten mit Mastozytose und bei Patienten mit Anaphylaxie Grad
3 oder 4) muss die Diagnostik für eine Insektengiftallergie baldmöglich erfolgen und
eine Insektengift-Immuntherapie sollte eingeleitet werden, um schwere Reaktionen bei
weiteren Stichen in Zukunft zu verhindern [50, 51, 52], unter Beachtung der Empfehlungen
für die Allergen-Immuntherapie in der Covid-19-Pandemie [48, 49, 51]. Die Patienten
sollten zudem über Karenzstrategien informiert werden. Eine Verordnung von Medikamenten
zur Selbstanwendung, insbesondere von Adrenalin-Autoinjektoren, ist zu empfehlen und
die Patienten müssen im Umgang mit diesen Präparaten geschult werden [44]. Hierfür
und auch für das Informationsgespräch vor einer Insektengift-Immuntherapie kann insbesondere
in Zeiten der Covid-19-Pandemie eine telemedizinische Beratung gewählt werden [53].
Spezielle Maßnahmen bei Medikamentenallergien
Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass Patienten mit akuten Arzneimittelreaktionen
schwerere Verläufe unter Covid-19 zeigen; umgekehrt jedoch können Patienten, die wegen
Covid-19 behandelt werden, Arzneimittelallergien entwickeln. Schwere allergische Reaktionen
auf Medikamente müssen sofort behandelt werden [54].
Auch Medikamente, die zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden, können Überempfindlichkeitsreaktionen
auslösen, die von virusinfektionsbedingten Hautmanifestationen abgegrenzt werden müssen
[55]. Häufig sind Reaktionen auf typische Auslöser von Arzneimittelallergien (z. B.
von Betalaktamantibiotika), die auch zur Behandlung von Komplikationen von Covid-19
eingesetzt werden. Dies kann zum Beispiel bei Patienten der Fall sein, die unter Reaktionen
auf Antibiotika leiden, die zur Behandlung einer bakteriellen Superinfektion bei einer
Covid-19-Pneumonie notwendig sein können. Das klinische Bild, das Zeitintervall zwischen
Einnahme und Auftreten von Symptomen und die verwendeten Medikamente ergeben zusammen
den Verdacht auf eine Arzneimittelreaktion und geben Hinweise auf das verdächtige
Arzneimittel [56]. Man unterscheidet vorwiegend zwischen Sofortreaktionen mit Anaphylaxie
und/oder Urtikaria und Spätreaktionen mit unterschiedlichen Exanthemen. Bei Verdacht
auf eine allergische Reaktion auf dringend notwendige Medikamente können das sofortige
Absetzen der Medikamente und diagnostische Tests unverzüglich angezeigt sein, auch
zu Zeiten der Covid-19-Pandemie, wenn diese Arzneimittel möglicherweise in Zukunft
eingesetzt werden sollen. Bei Sofortreaktionen wird im Allgemeinen das Arzneimittel
zunächst gemieden, während bei unkomplizierten makulopapulösen Exanthemen und dringender
Notwendigkeit eine Durchbehandlung unter enger ärztlicher Überwachung durchaus möglich
ist [57]. Im Falle bestehender Behandlungsnotwendigkeit mit einem Medikament, das
im Verdacht steht, für makulopapulöse Exantheme verantwortlich zu sein, ist die Medikamenten-Toleranzinduktion
ein therapeutisches Verfahren, das darauf abzielt, bei einem Patienten mit einer bestätigten
Allergie einen (vorübergehenden) Zustand der immunologischen Toleranz auf ein Medikament
herbeizuführen [58]. Während der Medikamenten-Toleranzinduktion können respiratorische
und gastrointestinale Symptome auftreten [58]. Daher müssen bei der Entscheidung,
das Verfahren während der aktuellen Pandemie durchzuführen, sowohl der erwartete Nutzen
der Medikamentenverabreichung als auch die potenziellen Risiken schwerer Reaktionen
berücksichtigt werden.
Beispiele für Indikationen einer Toleranzinduktion bei Sofortreaktionen können in
Ausnahmefällen die Anwendung von Chemotherapeutika bei onkologischen Patienten, Aspirin
bei Patienten mit ischämischen Erkrankungen und Antibiotika bei infizierten Personen
sein, wenn keine wirksame Alternative zur Verfügung steht [54].
Verordnung von Medikamenten zur Notfalltherapie (Notfallset)
Deutsche und europäische Leitlinien empfehlen als First-Line-Therapie in einer Notfallsituation
die intramuskuläre Applikation von Adrenalin [13]. Adrenalin wirkt in vielfältiger
Weise positiv bei anaphylaktischen Reaktionen [13]: Es wirkt blutdrucksteigernd, in
dem es die Gefäße verengt sowie die Herzfrequenz und Kontraktionskraft erhöht, es
fördert den Rückgang von Ödemen, erweitert die Bronchien und verringert die Ausschüttung
entzündungsfördernder Botenstoffe [59]. So verhindert die frühzeitige Verabreichung
von Adrenalin das Fortschreiten der Anaphylaxie, verbessert die Prognose und reduziert
Krankenhausaufenthalte und Todesfälle [60], während eine zu späte Verabreichung eventuell
die schwerwiegenden, im Extremfall tödlichen Folgen nicht mehr verhindern kann [61,
62].
Dennoch wird Adrenalin nur von 12 % der Anaphylaxie-Patienten frühzeitig eingesetzt
[63] und nur von circa 50 % der Patienten genutzt [64]. Asthma stellt einen Hauptrisikofaktor
für die Entwicklung einer Anaphylaxie dar, wobei das Risiko einer Anaphylaxie mit
dem Schweregrad der Asthmaerkrankung zunimmt [65]. Insbesondere schlecht eingestellte
Asthmapatienten und solche, die zusätzlich Nahrungsmittelallergien aufweisen, sind
einem erhöhten Anaphylaxie-Risiko ausgesetzt [66, 67, 68].
In der deutschen S2k-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie [13]
werden als "Notfallset" mehrere einzeln zu verordnende Medikamente zur Eigenapplikation
als Soforthilfe für die Anaphylaxie empfohlen, die von den Betroffenen zusammen mit
dem Anaphylaxie-Pass immer mitgeführt werden sollten. Hierzu gehört ein Adrenalin-Autoinjektor,
ein Histamin-H1-Rezeptorantagonist, ein Glukokortikoid und bei Patienten mit Asthma
bronchiale oder vorheriger Reaktion mit Bronchospasmus ein inhalativer Bronchodilatator
(β2-Adrenozeptoragonist).
Hierbei ist zu beachten [13], dass bei der Auswahl des Histamin-H1-Rezeptorantagonisten
die Schluckfähigkeit und die individuelle Präferenz bei der Auswahl der Applikationsform
(Tropfen für Kleinkinder, Tabletten oder Schmelztabletten für größere Kinder und Erwachsene)
berücksichtigt werden. Bei Schwierigkeiten beim Schlucken in der Anamnese (z. B. Larynxödem)
sollte eine flüssige Applikation bevorzugt werden. Gleiche Kriterien gelten für Glukokortikoide
(1-2 mg/kg KG), wobei auch eine rektale Applikation möglich ist. Die Expertengruppe
der Anaphylaxie-Leitlinie empfiehlt die Behandlung der Anaphylaxie mit Antihistaminika
in erhöhten Dosen (bis zur vierfachen Dosis der jeweilig zugelassenen Einzeldosis)
[13]. Zugelassene Antihistaminika in Deutschland zur Behandlung der Anaphylaxie sind
nur die Wirkstoffe Dimetindenmaleat und Clemastinfumarat. Die neueren selektiven Histamin-H1-Rezeptorantagonisten
der zweiten Generation sind zur Therapie der Anaphylaxie nicht zugelassen, werden
in der Leitlinie aber dennoch zur oralen Notfalltherapie der Anaphylaxie empfohlen
[13]. Bei vorbestehendem Asthma sollte zusätzlich ein inhalativer β2-Adrenozeptoragonist,
bei Vorgeschichte von Larynxödem alternativ gegebenenfalls ein Adrenalinpräparat zur
Inhalation verordnet werden [13]. Unterschiedliche Adrenalin-Autoinjektor-Modelle
stehen zur Verfügung, die sich in Dosis, Handhabung, Auslösemechanismus und Nadellänge
unterscheiden [13]. Wichtig ist daher die Instruktion der Patienten auf ihren individuellen
Adrenalin-Autoinjektor. Die Präparate sind nicht einfach austauschbar, die Nachverordnung
muss sichergestellt sein [69].
Bei der Rezeptur soll das "Aut-idem-Kästchen" auf dem GKV-Rezept (GKV, gesetzliche
Krankenversicherung) angekreuzt werden [70].
Nach Ring [13] sollte ein Adrenalin-Autoinjektor insbesondere verordnet werden für:
Patienten mit systemischer allergischer Reaktion und Asthma bronchiale (auch ohne
Anaphylaxie in der Vorgeschichte)
Patienten mit progredienter Schwere der Symptomatik der systemischen allergischen
Reaktion
Patienten mit Vorgeschichte früherer anaphylaktischer Reaktionen gegen nicht sicher
vermeidbare Auslöser
Patienten mit systemischer Allergie mit extrakutanen Symptomen auf potente Allergene,
wie Erdnüsse, Baumnüsse, Milch, Sesam
Patienten mit hohem Sensibilisierungsgrad mit erhöhtem Anaphylaxie-Risiko - vor allergischer
Provokationstestung
Patienten, die bereits auf kleinste Mengen des Allergens reagiert haben
Erwachsene mit Mastozytose (auch ohne vorherige Anaphylaxie)
Insbesondere während der Covid-19-Pandemie sollte die Indikation zur Verordnung eines
zweiten Notfallsets und eines zusätzlichen zweiten Adrenalin-Autoinjektors großzügig
gestellt werden, insbesondere [13, 44]:
für Patienten mit besonders schwerer Anaphylaxie in der Vergangenheit
für Patienten mit hohem Körpergewicht > 100 kg KG
für Patienten mit unkontrolliertem Asthma bronchiale
für Patienten mit schlechter Erreichbarkeit der nächsten notfallmedizinischen Versorgung
für Patienten mit besonders hohem Risiko für schwere Anaphylaxie (z. B. Erwachsene
mit Mastozytose nach Anaphylaxie)
eine Quarantäne-/Isolationssituation
aus organisatorischen Gründen (z. B. für Kinderbetreuungsstätte/Schule sowie gemäß
familiärer Situation)
Verhaltensempfehlungen für eine Anaphylaxie in einer Quarantänesituation
Die meisten anaphylaktischen Notfälle treten in Alltagssituationen, häufig auch im
häuslichen Umfeld der Betroffenen auf [13]. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass
eine Anaphylaxie auch in einer Quarantäne-/Isolationssituation auftritt. Das Notfallselbstmanagement
sollte den Betroffenen hierfür vertraut sein [44]. Betroffene sollten angeleitet werden,
...
anaphylaktische Reaktionen zu erkennen.
die Selbstmedikation Symptom-bezogen anwenden zu können.
eine korrekte Lagerung durchzuführen und
den Notruf abzusetzen (Telefonnummer 112) unter der Angabe, dass eine Anaphylaxie/ein
anaphylaktischer Schock stattgefunden hat und das eine Quarantäne-/Isolationssituation
aufgrund einer SARS-CoV-2 Infektion besteht. Keinesfalls sollte in einer solchen Situation
auf das Absetzen des Notrufs verzichtet werden! Potenzielle Auslöser (Nahrungsmittel,
Insekt, Arzneimittel) sollten nach Möglichkeit asserviert werden.
Die Selbstmedikation wird entsprechend der Symptomatik und der Gewissheit über einen
sicheren Allergenkontakt gegeben: Die korrekte stadiengerechte Verabreichung der verschiedenen
Medikamente zur Akutmedikation ist essenzieller Bestandteil der Patientenaufklärung,
da diesbezüglich die größte Unsicherheit bei Patienten und Angehörigen besteht. Die
Patientenschulungen finden für die Betroffenen und für Personen des sozialen Umfelds
(bei Kindern Betreuungspersonen) statt. Hierfür sind in idealer Weise Schulungen nach
dem bereits dargestellten AGATE-Konzept geeignet [45], bei dem der Gebrauch der Selbstmedikation
anhand von standardisierten Anaphylaxie-Notfallplänen und konkreten Handlungsanweisungen
zum Notfallmanagement eingeübt wird. Diese Schulungen finden aktuell in Zeiten der
Covid-19-Pandemie auch als Online-Schulungen statt (www.anaphylaxieschulung.de).
Ein Anaphylaxie-Pass mit schriftlicher Anleitung zur Anwendung ist wichtiger Bestandteil
der Notfallausstattung. Ein (oder mehrere) Adrenalin-Autoinjektor(en) zur intramuskulären
Applikation sollte gewichtsadaptiert verabreicht werden. Zugelassen sind (je nach
Adrenalin-Autoinjektor-Präparat):
> 7,5-25 Kg KG oder > 15-30 kg KG: 150 μg Adrenalin
> 25-50 kg KG oder > 30-50 kg KG: 300 μg Adrenalin
> 50 kg KG: 300 μg, 500 μg oder 600 μg Adrenalin.
Dies wird für den Patienten vorab individuell festgelegt je nach Alter, Gewicht und
klinischer Situation. Ein H1-Antihistaminikum sollte je nach Patientenalter und -präferenz
oral als Flüssigkeit oder (Schmelz-)Tablette eingenommen werden. Die Dosis des jeweiligen
Antihistaminikums kann als "off-label use" bis auf das Vierfache der Einzeldosis erhöht
werden. Bei Dimetinden-Tropfen kann analog eine gewichtsadaptierte Dosierung der i.
v.-Formulierung als oral einzunehmende Dosis empfohlen werden. Ein Glukokortikoid
sollte je nach Patientenalter und -präferenz rektal (Zäpfchen) oder oral (als Flüssigkeit
oder Tablette) mit 50-100 mg Prednisolonäquivalent verwendet werden. Bei einer Reaktion
mit Bronchospasmus sollten zusätzlich zwei Hübe eines β2-Adrenozeptoragonisten angewendet
werden.
Diskussion
Angesichts der laufenden Covid-19-Pandemie und des sich beständig weiterentwickelnden
Wissens um die Erkrankung mit den neuartigen SARS-CoV-2-Viren sind die Sicherheit
und das Wohlergehen unserer Patienten, unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie
Kollegen und Kolleginnen unser höchstes Ziel. AeDA, DGAKI, GPA und DAAB werden die
Situation weiterhin genau beobachten und empfehlen, für alle Diagnose- und Behandlungsmaßnahmen
die Empfehlungen und Leitlinien des Robert-Koch-Instituts (RKI), der Weltgesundheitsorganisation
[8] und des ECDC anzuwenden und diese wo notwendig an die Situation in der Allergologie
anzupassen in Übereinstimmung mit allen maßgeblichen Bestimmungen der nationalen,
regionalen und lokalen Regierungs- und Gesundheitsbehörden [44]. Eine Reduktion von
Praxis- und Krankenhausbesuchen ist unerlässlich und kann durch eine angemessene Triage
Anaphylaxie-gefährdeter Patienten und Versorgung mit Notfallmedikation erreicht werden.
Oberste Priorität sollte die Gewährleistung der Sicherheit und des kontinuierlichen
Zugangs zu medizinischer Versorgung haben, was die Einhaltung der örtlichen Gesundheitsvorschriften
und der eingeführten Covid-19-Richtlinien erfordert. Patienten mit hochgradigem Verdacht
auf oder einer nachgewiesenen Covid-19-Infektion sollten die lokalen Behandlungs-
und Quarantäne-Richtlinien befolgen. Für diesen Fall sollten die Patienten eine ausreichende
Notfallmedikation erhalten und bereits vorab für diese Situation geschult werden [44].
Derartige Instruktionen und auch Patientenschulungen können derzeit auch über telemedizinische
Verfahren wie Telefonanrufe oder Videosprechstunden erfolgen [53, 71, 72, 73], was
auch für das AGATE-Schulungsprogramm angeboten wird (www.anaphylaxieschulung.de).
Die Beratung, die Entwicklung von Strategien zur Expositionsprophylaxe und die Notfalltherapie
von Patienten mit Anaphylaxie ist in der aktuellen Covid-19-Pandemie ganz besonders.
Hierzu sollten Vorsorgemaßnahmen getroffen werden, zu denen die Ausstattung der Patienten
mit mindestens einem Adrenalin-Autoinjektor und weiterer Anaphylaxie-Notfallmedikation
gehören. Die Eigenapplikation der Notfallmedikation ist gerade unter den Bedingungen
einer möglichen Quarantäne einzuüben, und auch die Verordnung eines zweiten Adrenalin-Autoinjektors
sollte großzügig Patienten-individuell geprüft werden. Eine telemedizinische Beratung
und gegebenenfalls auch Anleitung zur Behandlung ist zu empfehlen [44, 53]. Ziel sollte
es sein, begleitende allergische Erkrankungen (z. B. ein Asthma bronchiale) gut einzustellen,
die Allergenkarenz zu optimieren und eine adäquate Notfalltherapie sicherzustellen.
Nach derzeitigem Kenntnisstand liegen für Patienten mit Anaphylaxie keine gesicherten
Daten vor, dass für diese ein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion oder für
einen schwereren Krankheitsverlauf vorliegt. Umgekehrt ist es denkbar, dass Patienten,
die während einer Covid-19-Erkrankung eine Anaphylaxie entwickeln, eine veränderte
Immunreaktion zeigen. Gesicherte Daten hierzu liegen bislang jedoch nicht vor.
Schlussfolgerung
Unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien zur Anaphylaxie-Behandlung wie auch
der WHO- und RKI-Empfehlungen zu Covid-19 schlussfolgern wir, dass Anaphylaxie-Patienten
mit vermuteter oder diagnostizierter SARS-CoV-2-Infektion weiterhin nach den aktuellen
Richtlinien behandelt werden sollten. Es ist darauf hinzuweisen, dass es derzeit keine
zuverlässigen Daten über den Verlauf einer Anaphylaxie bei Covid-19-Patienten existieren.
Daher sind wir als Angehörige der Heilberufe, als Wissenschaftler und als Akademiker
verpflichtet, unsere Patienten zu beobachten, sie auf der Grundlage des aktuellen
medizinischen Wissensstandes optimal zu beraten und zu behandeln und sie entsprechend
zu informieren, wenn neue Erkenntnisse vorliegen und die Therapieempfehlungen angepasst
werden sollten. Die Autoren werden weiterhin gewissenhaft daran arbeiten, eine schnellstmögliche
Reaktion auf neue Entwicklungen und nationale wie internationale Empfehlungen sicherzustellen.
Prof. Dr. Ludger Klimek
Zentrum für Rhinologie und Allergologie
An den Quellen 10
65183 Wiesbaden
Deutschland
E-Mail: ludger.klimek@allergiezentrum.org
Abkürzungen
ACE2 Angiotensin-converting-enzyme-2
AGATE Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation
Covid-19 Coronavirus-Krankheit 2019
ECDC European Centre for Disease Prevention and Control
EPIT Epikutane Immuntherapie
GKV Gesetzliche Krankenversicherung
IL Interleukin
MERS-CoV Coronavirus des Mittleren Ostens
NK-Zellen Natürliche Killerzellen
OIT Orale Immuntherapie
RKI Robert-Koch-Institut
SARS-CoV Severe acute respiratory syndrome-Coronavirus
SARS-CoV-2 Severe acute respiratory syndrome-Coronavirus 2
Typ I-IFN Typ-I-Interferon
WHO World Health Organization