5.1
Persönliche Hygiene von Patient und Personal
Axel Kramer, Sylvia Ryll und Ojan Assadian
Der Weltgesundheitstag vom 7. April 1983 stand unter dem Motto „Gesundheit für alle
– Aufgabe für jeden“. Die damit verbundenen Appelle, sich bewusst um die eigene Gesundheit
zu kümmern, begründen sich in der Erkenntnis, dass die sog. Zivilisationskrankheiten
einschließlich Tumoren und Infektionskrankheiten meist multifaktoriell entstehen und
zumindest teilweise durch die Lebensweise mitbestimmt werden. Das betrifft auch die
Einflussnahme auf den Genesungsprozess hospitalisierter Patienten (Kap. 8.6) und deren
Schutz vor NI.
Im Sinne der Primärprävention Individualhygienewerden zur Individualhygiene alle unmittelbar
und mittelbar gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen des Menschen in seiner Selbstverantwortung
für Gesundheit, Leistungsfähigkeit sowie körperliches und seelisches Wohlbefinden
gerechnet. Die persönliche Hygiene der Mitarbeiter geht deutlich über das Anliegen
der Individualhygiene hinaus, da der Patient für seine Betreuung nicht nur gepflegte,
gesunde Mitarbeiter erwartet, sondern von den Mitarbeitern bei der pflegerischen und
ärztlichen Betreuung kein Infektionsrisiko ausgehen darf.
5.1.1
Bettlägeriger Patient
Allgemeine Betreuung
Menschliche Patient, bettlägeriger
Patient, bettlägerigerBetreuung, allgemeineZuwendung vermag in Verbindung mit individueller
Betreuung dem Patienten die Kraft zu geben, die Krankheit zu überwinden oder sie zumindest
zu ertragen. Die verständnisvolle Zuwendung zur Persönlichkeit des Patienten, zu seinen
Ängsten und zu seinen Genesungsaussichten helfen ihm in Ergänzung zur eigentlichen
Therapie bei der Krankheitsbewältigung. Hieraus ergibt sich eine der schönsten und
dankbarsten Aufgaben für alle im Gesundheitswesen Tätigen: die Betreuung des Patienten
im umfassenden Anspruch zur Wiederherstellung der Gesundheit, zum Erhalt der Leistungsfähigkeit
und zur Förderung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens.
Eine ruhige, besonnene Arbeitsatmosphäre gibt dem Patienten das Gefühl der Geborgenheit
und erleichtert ihm die Anpassung an einen gesundheitsfördernden Tagesrhythmus.
Bei stationärer Behandlung hat der Patient die meisten Kontakte mit dem Pflegeteam.
Ihm vertraut er vielfach seine Probleme, Hoffnungen, Wünsche, u. U. seine Lebensgeschichte
an. Er erhofft sich warmherzige Zuwendung, Beratung und Pflege. Durch die Vertrauensstellung
kann das Pflegeteam auf den Heilungsprozess und die Persönlichkeit des Patienten Einfluss
nehmen, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern vielmehr im Vorübergehen. Die Einflussnahme
kann sich auf Körperhygiene, Ernährung einschließlich der Aufklärung über den Missbrauch
von Genussmitteln, körperliche Aktivität sowie das richtige Verhältnis zum Arzneimittel
und zur Krankheit erstrecken. Im günstigsten Fall kann das Team dem Patienten gedanklich
Wege eröffnen, die Krankheit zu überwinden, mit dem Leiden, wenn es sich um eine chronische
Erkrankung handelt, zu leben bzw. Beistand im Prozess des Sterbens zu erhalten.
Zur Anregung gesundheitsfördernder Verhaltensweisen sind die Vorbildwirkung des einzelnen
Mitarbeiters sowie das Erscheinungsbild und der Hygienestatus der Einrichtung wichtige
Einflussgrößen. Eine gesunde, angepasste Patientenverpflegung kann zum Nachdenken
über gesunde Ernährung beitragen. Das betrifft z. B. das Angebot von Frühstück und
Abendessen als Büffet, die Möglichkeit von Wahlessen einschließlich spezieller Diäten
für die Mittagsmahlzeit und die Beratung bei der Essenauswahl.
Zur Dispositionsprophylaxe gehören der Patient, bettlägerigerDispositionsprophylaxeSchutz
vor physikalischen und chemischen Umgebungsfaktoren (Kap. 9.8, Kap. 9.9), ein behagliches
Raumklima sowie eine angenehme Innenausstattung und Beleuchtung (Kap. 9.7).
Körperreinigung und -pflege
Individuelles PatientenhygieneKörperreinigungSauberkeitsverhalten lässt sich nicht
in Normen und Vorschriften festschreiben. Die Einstellung zur Sauberkeit wird im Wesentlichen
durch Einflüsse der Erziehung, Tradition und das soziale Umfeld geprägt und unterliegt
in der weiteren Entwicklung geschlechts- und berufsspezifischen Einflüssen bis hin
zu Modetrends. Bei den in Tab. 5.1
zusammengefassten Empfehlungen zur Körperhygiene ist zu berücksichtigen, dass aufgrund
starken Schwitzens einerseits, hingegen geringerer Verschmutzung andererseits der
Rhythmus im Krankenhaus abweichen kann.
Tab. 5.1
Empfehlungen zur Körperhygiene (abgeleitet aus Untersuchungen von Bergler 1973, 1989
und Kramer et al. 1993)
Maßnahme
Rhythmus
Ganzkörperbad
Wöchentlich
Duschen oder Körperwaschung
Täglich
Waschung Rima ani
Morgens und abends, u. U. auch zwischenzeitlich
Zähneputzen
Morgens und abends (mindestens jeweils 2 min)
Haarwäsche
1–2 Mal/Woche
Händewaschen
Vor dem Essen, nach Toilettenbenutzung, nach Verschmutzung
Eincremen des Körpers
Nach jedem Duschen
Gesichtspflege:
Morgens und abends, u. U. auch zwischenzeitlich
Tagescreme
Nach morgendlicher Reinigung
Nachtcreme
Nach abendlicher Reinigung
Anwendung dermatologischer Salbe
Bei Wundsein bzw. individuellem Bedürfnis
Wechsel Unterwäsche, Strümpfe
Täglich
Wechsel Hemden, Blusen
Täglich bis jeden 2. Tag
Wechsel Pyjama1
Mindestens wöchentlich
Bettbezug1
Alle 2 Wochen
Bettlaken, Kopfkissen
Bei Bedarf, z. B. nach starkem Schwitzen, Durchfeuchtung, während antiseptischer Sanierung
bei MRSA (Kap. 5.2, Kap. 6.2)
1
Häufiger bei starkem Schwitzen, nach Durchfeuchtung oder während antiseptischer Sanierung
(Kap. 6.2)
Für den Patienten kann bei der Krankenhausaufnahme zusätzlich zur Aushändigung des
desinfizierbaren Patientenidentifikationsarmbands die Aushändigung einer kurz gefassten
Darstellung der Körperpflege zur Gesundheitsaufklärung beitragen.
Hände: Zur HändehygienePatient
PatientenhygieneHändehygieneHautreinigung sind Seifen auf Tensidbasis anstelle flüssiger
Seifen auf Alkalibasis zu bevorzugen (Tab. 5.2
). Obwohl die Händedesinfektion signifikant wirksamer ist als Händewaschung (Kap.
2.1), was sich selbst außerhalb des Krankenhauses epidemiologisch nachweisen lässt
(Hübner et al. 2010), wird durch Waschen mit Wasser und Seife mit der Ablösung der
Schmutzpartikel zugleich ein großer Teil der transienten Flora, aber nur ein geringerer
Teil der residenten Flora entfernt. Bei Virusgrippe ist durch Händewaschung eine Schutzwirkung
erreichbar (Eggers, Terletskaia-Ladwig und Enders 2009) bzw. war kein zusätzlicher
Effekt der Händedesinfektion nachweisbar (Hübner et al. 2010). Allerdings ist die
Seifenwaschung deutlich aggressiver als die Händedesinfektion (Kap. 5.20). Durch Abspülen
mit Wasser und Abtrocknen wird die Verminderung der Bakterienzahl nach dem Händewaschen
noch verbessert (Schmidt und Kramer 1996).
Tab. 5.2
Wirkung von Alkali- und Tensidseifen auf die Haut
Wirkung
Alkaliseifen
Tensidseifen
Kalkseifenbildung
Ja
Nein
Quellung
Ausgeprägt
Gering
Austrocknung
Mäßig
Gering bis mäßig (abhängig von rückfettenden Zusätzen)
Entfettung
Ausgeprägt
Verschiebung des Haut-pH-Werts zum Alkalischen
Je nach Expositionsdauer mäßig bis stark
Nein
Alkalineutralisationsvermögen
Deutlich verzögert
Wenig verzögert
Haut-pH-Regeneration
Stark beeinträchtigt
Kaum beeinflusst
Spreitung
Nein
Möglich
(nach Kramer, Weuffen und Schwenke 1973)
Körperwaschung: Das KörperwaschungPatient
PatientenhygieneKörperwaschungPflegeteam kann auf die Motivierung des Patienten zur
Körperhygiene mit Takt und Einfühlungsvermögen Einfluss nehmen. Baden, Duschen oder
Waschen wirken nicht nur reinigend, sondern auch wohltuend und durch Kreislaufanregung
belebend, was vor allem für geriatrische Patienten erwünscht ist. Wegen der mit dem
Baden verbundenen Kreislaufbelastung sollten betagte Patienten nicht länger als 20
min und nicht zu heiß (37–38 °C) gebadet werden. Es ist die Verwendung hautschonender,
rückfettender Badezusätze zu empfehlen. Stark schäumende Badezusätze sind ungeeignet.
Das Zusammenspiel von warmem Wasser, oberflächenaktiven Substanzen und längerer Einwirkzeit
begünstigt durch Aufquellen der Haut mit Rhagadenbildung den Eintritt von Infektionserregern,
weshalb Duschbad, Sitz- oder Halbbad dem Vollbad im Alter vorzuziehen sind. Werden
Badewanne oder Dusche von mehreren Patienten bzw. Heimbewohnern benutzt, ist nach
dem jedem Gebrauch desinfizierend zu reinigen. In Einrichtungen der Altenpflege wird
z. T. ein Badeplan erstellt, der festlegt, wer wann badet. Diese Badepläne machen
das Dilemma der Altenpflege in Heimen deutlich: Auf der einen Seite sind sie unumgänglich,
wenn jeder Bewohner ein sauberes Bad vorfinden will, auf der anderen Seite beschneiden
sie die Freiheit gerade der jüngeren, mobilen Bewohner.
Intimhygiene: Bei der IntimhygieneIntimhygienePatient
PatientenhygieneIntimhygiene soll auf antimikrobielle Substanzen verzichtet werden,
da die physiologische Schleimhautflora gestört werden kann. Bei WöchnerinnenIntimhygieneWöchnerinnen
ist die Intimhygiene besonders wichtig; 24 h nach der Entbindung sollten sich die
Patientinnen mehrmals täglich spülen bzw. bei Bettlägerigkeit gespült werden, auch
bei Dammnähten und Episiotomien. Dadurch werden Verkrustungen und Verklebungen vermieden
und einer mikrobiellen Kolonisation durch Krankheitserreger entgegengewirkt. Etwa
4–6 Wochen post partum kann die normale Reinigung z. B. mit Intimwaschlotionen begonnen
werden. Stillende reinigen sich die Brüste mehrmals täglich mit einer Handdusche;
durch die Massagewirkung werden zugleich das Gewebe gekräftigt und die Milchsekretion
angeregt (Seidenschnur 1988).
Nasenpflege: Bei PatientenPatientenhygieneNasenpflege
Nasenpflege mit eitrigem oder serösem Ausfluss sind die Benutzung von Einmalmaterialien
und deren hygienische Abwurfmöglichkeit zu gewährleisten. Bei Gefahr oder ersten Anzeichen
von Wundwerden im Bereich der Naseneingänge sind dem Patienten Wundheilsalbe oder
pflegende Öle zur Verfügung zu stellen.
Reinigen der Fingernägel (Maniküre): Die ManiküreNagelpflege, Patient
PatientenhygieneManiküre umfasst das kurzeitige Baden der Hände in warmem Wasser,
damit die Nägel weicher werden und sich leichter schneiden lassen, das Schneiden und/oder
ggf. Feilen der Fingernägel und das abschließende Eincremen der Hände. Beim Schneiden
der Fingernägel ist darauf zu achten, dass die umliegende Haut und das Nagelbett nicht
verletzt werden.
Mund- und Zahnpflege: Hier ist der Mundpflege
Zahnpflege
PatientenhygieneMundpflege
PatientenhygieneZahnpflegeZusammenhang zwischen Verhalten und Krankheitsverhütung
evident. Gesunde Ernährung sowie regelmäßige Entfernung von Speiseresten und Plaque
sind maßgebliche Faktoren zur Verhinderung von Parodontopathien, Karies und langfristig
von systemischen Erkrankungen (Kap. 5.18.6). Die Empfehlung, die Zähne nach jeder
Mahlzeit zu putzen, wird leider nicht konsequent umgesetzt. Selbst die praktikable
Norm, morgens und abends die Zähne zu putzen, ist nicht durchgehend Allgemeingut.
Zur Mundhygiene bedarf es der adäquaten Zahnbürste (möglichst elektrisch, sofern das
Zahnfleisch intakt ist), die bei regelmäßigem Gebrauch nach 8–12 Wochen erneuert werden
soll, sowie Zahnseide und Interdentalbürsten unterschiedlicher Stärke für die Zahnzwischenräume.
Durch im Borstenbereich abgewinkelte Bürsten kann die Reinigung der hinteren Molaren
erleichtert werden.
Für die Dauer eines Klinikaufenthalts sollten neue Zahnbürsten benutzt werden, um
mögliche Infektionsketten vom häuslichen Milieu in die Klinik und umgekehrt zu unterbrechen.
Zahnbürsten sind mit dem Bürstenteil nach oben aufzustellen. Die Zahnreinigung kann
durch antiseptische Mundspülung ergänzt werden.
Wegen der erhöhten Kariesgefährdung in der Schwangerschaft und bei Erkrankungen mit
veränderter Mundhöhlenflora ist die Zahnreinigung nach jeder Mahlzeit möglichst in
Verbindung mit der Anwendung von Zahnseide besonders wichtig.
5.1.2
Mitarbeiter
Alle Maßnahmen der Persönlichen Hygiene einschließlich Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung
für medizinisches Personal sollen NI und deren Ausbreitung sowie Infektionen des Personals
verhindern.
Auf sorgfältige Hygieneschulung der Mitarbeiter ist besonderer Wert zu legen. Ungenügendes
Wissen ist eine der häufigsten Ursachen für hygienisches Fehlverhalten.
Die PersonalhygieneGrundsätze der Personalhygiene sind im IfSG, in Länderhygieneverordnungen,
der Biostoff-Verordnung und der TRBA 250, in Bundesgenossenschaftlichen Vorschriften
(GUV 8.1), in der Richtlinie der KRINKO sowie in Empfehlungen von Fachgesellschaften
(z. B. AWMF, DGKH, VHD, DGSV) geregelt. Zur Berufsausübung ist vom Gesetzgeber Berufskleidung
vorgesehen.
Kleiderordnung
Keine Vorschrift löst so viele Diskussionen aus wie die Einführung einer Kleiderordnung.
Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass bislang die infektionspräventive Evidenz
für das Tragen von Bereichskleidung fehlt und die Regelungen für die Dienstbekleidung
nur als elementare Voraussetzung für eine Basishygiene zu begreifen sind.
Privatkleidung
Vor PersonalhygienePrivatkleidungDienstbeginn ist die PrivatkleidungPrivatkleidung,
Personal bis auf die Unterwäsche und die Strümpfe abzulegen und Berufs- bzw. Bereichskleidung
anzulegen. Am Dienstende wird die Berufskleidung abgelegt und die Einrichtung in Privatkleidung
verlassen. In Arbeitsbereichen, in denen keine Berufskleidung einschließlich Kittel
erforderlich ist (z. B. allgemeine Verwaltung, Telefonzentrale, Sekretariat, Bibliothek),
kann Privatkleidung getragen werden. Über Berufs- und Bereichskleidung ist keine Privatkleidung
zu tragen (Pullover, Langarm T-Shirt).
Häufig herrscht Unklarheit wegen PersonalhygieneStrümpfeder Strümpfe. Strümpfe gehören
(außer im OP) nicht zur Berufskleidung, weil bei geeignetem Schuhwerk praktisch keine
Kontaminationsgefahr besteht. Falls doch eine Benetzung mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten
stattfindet, sind die Strümpfe zu verwerfen oder geschützt verpackt zu transportieren
und bei mindestens 60 °C (bei geringeren Temperaturen mit desinfizierendem Waschmittel
lt. VAH-Liste) zu waschen.
Private Strickjacken und Langarm-Shirts sind PersonalhygieneStrickjackengrundsätzlich
nicht erlaubt, da sie zur Quelle der Übertragung von Krankenhauserregern werden können.
Durch offen getragene Strickjacken kann es zur Aufwirbelung von an Staub gebundenen
Erregern kommen. Die langen Ärmel der Jacke und des Shirts behindern zum einen die
sichere Händedesinfektion und können durch die Nähe zur Hand schnell zu einer Rekontamination
führen. Zusätzlich können sie durch die Berufs- bzw. Bereichskleidung mit Erregern
kontaminiert werden bzw. diese bei erneutem Ankleiden rekontaminieren. Eine regelmäßig
hygienisch sichere Waschung in der Häuslichkeit ist nicht nachvollziehbar bzw. kontrollierbar.
Strickjacken können im Bedarfsfall (z. B. Nachtdienst) vom Arbeitgeber zur Verfügung
gestellt werden und dürfen nicht bei Tätigkeiten am Patienten getragen werden. Sie
müssen in einer Krankenhauswäscherei mit desinfizierenden validierten Waschverfahren
aufbereitet werden.
Bei Tätigkeiten PersonalhygieneSchmuckdie eine Händedesinfektion erforderlich machen,
darf kein Schmuck an Händen und Unterarmen getragen werden (TRBA 250). Unter Ringen,
Armbändern und Uhren findet keine effektive Desinfektion statt. Somit stellt Schmuck
an Händen und Unterarmen ein Erregerreservoir dar und damit eine Gefahrenquelle für
Patienten und Pflegekraft. Ketten, lange oder zu große Ohrringe und Piercings können
zur Verletzungsgefahr werden, wenn z. B. Patienten danach greifen, oder beim Kleidungswechsel,
An- und Ablegen von Schutzkleidung. Ketten und Piercings dürfen in keinem Fall die
Desinfektions- und Pflegemaßnahmen behindern.
Ringe, Armbänder und Uhren an den Händen und Handgelenken sind zum Dienstbeginn abzulegen.
Piercings: Implantierte Piercings (Dermal Anchor) an Händen und Unterarmen sind nicht
zulässig. PersonalhygienePiercings
PiercingsVon einem Piercings andernorts mit abgeheiltem Stichkanal geht kein Infektionsrisiko
aus, sodass es getragen werden kann, solange es keine Kontaminations- und Unfallgefährdung
darstellt. Gleiches gilt für Halsketten. Bei nicht abgeheiltem Stichkanal ist zu beachten,
dass die Wunde nicht ohne vorherige Händedesinfektion berührt wird. Bei infiziertem
Stichkanal ist keine chirurgisch-invasive Tätigkeit zulässig. Es sind keine immunsupprimierten
Patienten zu versorgen. Die Infektion ist dem vorgesetzten Arzt unverzüglich zu melden,
damit dieser über den weiteren Einsatz entscheiden kann (ggf. Rücksprache mit dem
Hygieneteam).
Berufskleidung
BerufskleidungBerufskleidung
PersonalhygieneBerufskleidung (am sinnvollsten kurzärmliger Kasack und Hose) dient
dem Schutz der privaten Kleidung vor Verschmutzung und unerwarteter infektiöser Kontamination.
Sie wird über der privaten Wäsche getragen. Sie soll die private Kleidung vollständig
bedecken. Zugleich vermittelt sie ein einheitliches Erscheinungsbild zur Identifizierung
durch die Patienten. Als Basisbekleidung stellt Berufskleidung nur eine bedingte Schutzfunktion
für den Mitarbeiter dar und erfüllt nicht die Anforderungen von Schutzkleidung. Ihr
Sinn liegt vor allem darin, im Krankenhaus auftretende Krankheitserreger nicht über
die Privatkleidung in den häuslichen Bereich zu tragen.
Grundsätzlich kann von jedem getragenen Bestandteil der Berufskleidung eine Infektionsgefährdung
ausgehen. Damit kann z. B. beim Konsiliarbesuch ebenso wie beim Aufenthalt in einer
Cafeteria oder Kantine eine Verbreitung von Krankheitserregern durch Berufskleidung
nie ausgeschlossen werden. Es ist ein Erregertransport in unterschiedliche Krankenhausbereiche
im Sinne von Kreuzinfektionen möglich. Deshalb muss bei allen Wechseln in Bereichen
mit unterschiedlicher Infektionsgefährdung die Kleidung gewechselt oder ein Schutzkittel
übergezogen werden.
Im Rahmen der Dienstausübung ist über Berufs-, Bereichs- oder Schutzkleidung keine
Privatkleidung zu tragen (Pullover, Langarm T-Shirt). Unter kurzärmliger Berufs- oder
Bereichskleidung ist analog keine langärmelige Privatkleidung zu tragen. Berufskleidung
ist mindestens 2× pro Woche, bei infektiöser Kontamination und/oder Verschmutzung
sofort zu wechseln. Nach dem Wechsel wird die Berufskleidung der Krankenhauswäscherei
zur desinfizierenden Aufbereitung zugeführt. Unter der Voraussetzung, dass die Indikationen
für Schutz- und Bereichskleidung eingehalten werden, kann Berufskleidung auch zur
Essenseinahme anbehalten bleiben. Eine Ausnahme bildet z. B. das zahnärztliche Team
aufgrund der Kontamination der Berufskleidung durch das bei der zahnärztlichen Behandlung
entstehende Aerosol.
Der Arztkittel ist Arztkittel
PersonalhygieneArztkitteleine spezielle Form der Berufskleidung. Er ist geschlossen
zu tragen. Bei Tätigkeiten ohne erhöhte Infektionsgefährdung kann der Arztkittel zum
Schutz über der Privatkleidung getragen werden (Visite). Bei direkten Tätigkeiten
am Patienten ist der Arztkittel jedoch abzulegen.
Wegen der Möglichkeit der unkontrollierbaren Kreuzkontamination ist Berufskleidung
getrennt von Privatkleidung aufzubewahren, d. h. Berufskleidung ist nicht im Garderobenschrank
des Mitarbeiters zu bevorraten, sondern sie muss bis zur Inanspruchnahme in Wäscheschränken/Regalen
gelagert werden.
In den USA, Neuseeland und Australien wird dem medizinischen Personal in manchen Gesundheitseinrichtungen
keine Berufskleidung zur Verfügung gestellt. Stattdessen erscheinen die Mitarbeiter
in kurzärmliger Privatkleidung und legen bei benötigtem Infektionsschutz Bereichs-
oder Schutzkleidung an. Damit erfolgt eine Schwerpunktverlagerung auf die Barrierenpflege
und Aseptik bei allen Tätigkeiten am Patienten.
Berufsschuhe sind nur im Berufsschuhe
PersonalhygieneBerufsschuheArbeitsbereich zu tragen. Sie müssen gemäß BG-Vorschrift
mindestens vorn geschlossen und mit einem Fersenriemchen versehen sein. Sie sollen
bequem und rutschfest sein. Für den Fall der bemerkten oder mutmaßlichen Kontamination
müssen sie durch Wischdesinfektion oder sicherer im RDG aufbereitet werden. Schuhe
im OP, in Transplantationseinheiten und in Reinräumen (z. B. Hornhautbank, Apotheken)
sind täglich aufzubereiten.
Schutzkleidung
SchutzkleidungSchutzkleidung
PersonalhygieneSchutzkleidung wird zusätzlich zur Berufs- bzw. Bereichskleidung bei
Tätigkeiten mit erhöhter Kontaminationsgefahr (z. B. Isolationspflege) und/oder Infektionsgefährdung
oder bei erforderlicher Sterilität getragen (z. B. Legen eines ZVK). Sie hat die Aufgabe,
das Personal und die Patienten vor Kontamination zu schützen. Dazu gehören sterile
und unsterile Schutzkittel, flüssigkeitsdichte Schürzen, sterile und unsterile Handschuhe,
MNS, Schutzbrillen, Haarschutz. Üblicherweise ist der chirurgische MNS ausreichend
(er erreicht die Abscheidequalität von N 95 Filtern).
Unsterile flüssigkeitsdichte Einmalschürzen werden bei Tätigkeiten mit dem Risiko
der Durchfeuchtung über der Berufs-, Bereichs- oder Schutzkleidung getragen (z. B.
bei der Körperwaschung des Pat.). Sie sind nach jedem Gebrauch zu entsorgen.
Unsterile Vlieskittel eignen sich für Besucher isolierter Patienten und sind vor Verlassen
der Isoliereinheit zu entsorgen. Mitarbeiter können bei isolieren Patienten unsterile
Vlieskittel tragen, sofern keine Durchfeuchtung bzw. keine längere mechanische Beanspruchung
des Kittels zu erwarten ist (nicht zu verwenden z. B. bei Körperpflege, Mobilisation,
aufwendigem Verbandswechsel).
Unsterile Schutzkittel (langärmliger Isolierkittel aus erregerdichtem Material nach
ISO 22610, 22612, 16604) werden zum Schutz vor Kontamination mit übertragbarem erregerhaltigem
Material über der Berufs- bzw. Bereichskleidung getragen, wenn davon auszugehen ist,
dass der Vlieskittel die Schutzfunktion z. B. bei zu erwartender mechanischer Beanspruchung
nicht erfüllt. Der Schutzkittel ist ausschließlich der Versorgung eines Patienten
vorbehalten. Ein Wechsel ist nach Schichtende und zusätzlich nach Kontamination der
Innenseite erforderlich.
Sterile Schutzkittel sind für Eingriffe in OP-Einheiten und bei aseptischen Eingriffen
(z. B. ZVK-Anlage) außerhalb von OP-Einheiten anzulegen.
Handschuhe: Unsterile Handschuhe müssen vor geplantem oder potenziellem Kontakt mit
Blut, Sekreten oder Exkreten, Körperausscheidungen und Krankheitserregern und zum
Schutz vor chemischen Belastungen (z. B. Desinfektionsmitteln, Zytostatika) angelegt
werden. Sterile Handschuhe müssen bei allen Tätigkeiten, die Aseptik verlangen, getragen
werden (z. B. chirurgische Eingriffe, Reinraumtätigkeit, ggf. Wundverbandwechsel)
Ein Mund-Nasen-Schutz (MNS) ist anzulegen, wenn mit Verspritzen oder Aerosolbildung
vonPersonalhygieneMund-Nasen-Schutz
Mund-Nasen-Schutz erregerhaltigem Material zu rechnen ist, ebenso vor Operationen
und aseptischen Eingriffen sowie bei der Betreuung von Patienten in Umkehrisolation.
Bei Erkältungskrankheiten der Mitarbeiter ist MNS anzulegen, wenn aufgrund der spezifischen
Situation eine Übertragung auf Patienten oder andere Mitarbeiter verhindert werden
soll (z. B. bei nachgewiesener Virusgrippe). Der MNS muss Mund und Nase bedecken und
dicht am Gesicht anliegen. Er kann so lange getragen werden, wie er die Atmung nicht
behindert. Sobald er einmal abgenommen wurde, ist er zu verwerfen.
Augenschutz: Eine Schutzbrille muss getragen PersonalhygieneSchutzbrille
Schutzbrille
Augenschutzwerden, wenn mit dem Verspritzen von erregerhaltigem Material oder von
Desinfektionsmitteln/Chemikalien zu rechnen ist. Ein Gesichtsschild ist zu benutzen,
wenn das gesamte Gesicht vor Kontamination mit Flüssigkeiten geschützt werden soll.
Haarschutz: Soll PersonalhygieneHaarschutzeine Kontamination durch Haare verhindert
werden (z. B. OP, Küche), ist mit dem Verspritzen von erregerhaltigem Material zu
rechnen und bei infektionsgefährdenden Tätigkeiten (z. B. großflächiger Verbandswechsel)
sind Einmalhauben zu tragen, die das Kopfhaar bedecken und haarundurchlässig sind.
Bereichskleidung
Bereichskleidung entspricht in ihrer Funktion der Berufskleidung. Sie unterscheidet
sich farblich (blau, grün) von der Berufskleidung. Bereichskleidung darf nur in speziell
festgelegten Bereichen getragen werden (ITS-Stationen, OP). Beim Bereichskleidung
PersonalhygieneBereichskleidungWechsel in Risikobereiche wird die Berufskleidung abgelegt
und Bereichskleidung angelegt. Alternativ kann z. B. für Konsiliarärzte ein langärmlig
geschlossen zu tragender Schutzkittel (Isolierkittel) benutzt werden. Bei nicht isolierten
Patienten muss der Schutzkittel nicht zwischen verschiedenen Zimmern/Patienten gewechselt
werden. Bei isolierten Patienten (unabhängig ob infektiös oder als Schutz) muss der
Schutzkittel zwischen verschiedenen Zimmern/Patienten gewechselt werden. Sofern eine
Kontamination des Schutzkittels zu erwarten ist (z. B. aufwendiger Verbandswechsel,
Drainagenwechsel), muss danach ein frischer Schutzkittel angelegt werden. In jedem
Fall ist der Schutzkittel vor dem Verlassen der Station bzw. bei Isolierung im Zimmer
abzulegen.
Für Patiententransporte und Wege innerhalb der Einrichtung kann ein unsteriler, geschlossen
getragener Kittel über die Bereichskleidung angelegt werden.
In Reinraumbereichen muss die für den Bereich festgelegte Reinraumkleidung getragen
werden. Beim Einschleusen ist die Berufskleidung bis auf die Unterwäsche abzulegen
und die Reinraumkleidung anzulegen.
Körperhygiene
Hände einschließlich Fingernägel PersonalhygieneHändemüssen sauber und gepflegt sein.
Die Händehygiene gehört zu den wichtigsten Maßnahmen zur Verhütung der Übertragung
von Krankenhausinfektionen. Sie umfasst neben der Händedesinfektion die Händewaschung
sowie Haut schützende Maßnahmen und Hautpflege. Es wird davon ausgegangen, dass bis
zu 90 % der exogen übertragbaren NI über die Hände übertragen werden. Bereits kleinste
Risse bzw. Mikroverletzungen der Haut können zu Eintrittspforten und Reservoiren für
Erreger werden. Erschwerend kommt hinzu, dass sich eine ungepflegte, raue, rissige
Haut nicht sicher desinfizieren lässt. Das gleiche gilt für zu lange Fingernägel,
abgeplatzten gerissenen Nagellack und für künstliche Fingernägel (diese sind besonders
gefährlich, weil sich Pathogene im Klebebereich ansiedeln und vermehren; war Ursache
verschiedener Ausbrüche). Fingernägel sind kurz mit den Fingerkuppen abschließend
zu schneiden. Farbiger Nagellack und künstliche Fingernägel sind generell abzulehnen,
weil sie die Sichtbeurteilung der Nägel verhindern.
Bei der Haarpflege wird die soziale Funktion des äußeren Erscheinungsbildes besonders
deutlich. Mit ungepflegten, fettigen oder strähnigen Haaren wird eine Nachlässigkeit
des Trägers verbunden. Lange Haare sollen während des Dienstes zusammengebunden oder
hochgesteckt getragen werden.
Bartträger haben den Bart kurz und gepflegt zu halten oder abzudecken.
Duschen: Beim Duschen PersonalhygieneDuschenkommt es zur stärkeren Auflockerung der
oberen Epidermisschichten als beim Waschen mit Seife und Lappen. Die damit verbundene
verstärkte Freisetzung der Hautflora auch aus tieferen Hautschichten ist ggf. zu berücksichtigen.
Falls sich z. B. Mitglieder des OP-Teams zu Dienstantritt oder vor Anlegen der Bereichskleidung
duschen, kann durch anschließendes Eincremen der Haut die Partikel- und Erregerabgabe
auf <
1
10
reduziert werden.
5.2
Allgemeine und spezielle Pflege
Axel Kramer, Sylvia Ryll und Ojan Assadian
5.2.1
Allgemeine Pflege
Für den Standard zur Augenpflege bei Krankenhauspatienten Kap. 5.15.8.
Körperwaschung
Tägliches Duschen oder Körperwaschung mit anschließendem Eincremen der Haut sind ein
festes Ritual der Körperhygiene (Bergler 1973 und 1989; Kramer et al. 1993) und häufig
der erste Mobilisationsschritt nach Bettlägerigkeit.
Bedeutung
Die KörperwaschungKörperwaschungBedeutung
PatientenhygieneKörperwaschung ist ein wesentlicher Bestandteil der Körperhygiene
und wird im stationären Bereich in Form der Teilkörperwaschung/Ganzkörperwaschung
von der Pflegekraft für Patienten übernommen, die sich nicht selbstständig waschen
können. Dem Patienten zu helfen, die persönliche Hygiene beizubehalten, ist ein fundamentaler
Aspekt in der Krankenpflege (Downey und Lloyd 2008). Die Waschung mit Lappen, Wasser
und Seife hat mehrere positive Aspekte. Das gilt sowohl für den komatösen wie für
den wachen Patienten. Dem jeweiligem Bedürfnis des Patienten angepasst, können die
Waschungen sowohl reinigend, belebend, basisstimulierend als auch beruhigend, schweißreduzierend
oder körperorientierend wirken. Auch die Waschung im Bett regt die Durchblutung der
Haut an (Okumura et al. 1994).
Da das Waschen, angepasst an den Stationsablauf, regelmäßig zu festgelegten Zeiten
stattfindet, bietet es dem Patienten einen zeitlichen Rahmen. Der Tag des Patienten
beginnt in der Regel mit der Ganzkörperwaschung und endet mit einer Teilkörperwaschung.
Diese festgelegten, regelmäßigen Rituale geben besonders desorientierten, wahrnehmungs-
oder bewusstseinsgestörten Patienten eine gewisse Stabilität. Zudem sind der körperliche
Kontakt und die Berührung bei der Waschung ein Ausdruck von Nähe und sozialer Bindung,
den Kranke durch diese Art der Pflege erfahren. Darüber hinaus leistet die Körperwaschung
durch die mechanische Verminderung von Mikroorganismen einen zusätzlichen Beitrag
zur Minimierung der Weiterverbreitung von MRE (Climo et al. 2013).
Durchführung
Von derKörperwaschungDurchführung Reihenfolge Waschen und Abtrocknen vom Kopf beginnend
abwärts, Genitalbereich am Schluss mit separatem Lappen, kann individuell auf den
Patienten abgestimmt unter Einhaltung hygienischer Grundsätze abgewichen werden. Bei
Beachtung der Grundregel „sauber vor kolonisiert/infiziert“ ist der Wechsel des Waschwassers
während einer Waschung nicht immer erforderlich, da die Erregerbelastung bei ausreichender
Wassermenge durch den Verdünnungseffekt gering ist. Sinnvoll ist der Wasserwechsel
in folgenden Fällen:
•
Infektion im gewaschenen Bereich, um eine Erregerverschleppung zu verhindern
•
Vor der Waschung in der Umgebung von Eintrittsstellen für Katheter u. Ä.
•
Nach der Waschung des anogenitalen Bereichs
•
Bei starker Verseifung des Wassers, damit keine Seifenrückstände auf der Haut verbleiben.
Werden patienteneigene Utensilien verwendet, sollten für Waschlappen schnell trocknende
Materialien (z. B. Frottee) VerwendungKörperwaschungMaterial finden. Handschuhwaschlappen
sind je nach Produktionsart wegen langsamer Trocknung infolge der doppelten Textilschicht
ungünstiger.
Bei Verwendung krankenhauseigener Utensilien sind für jeden Waschvorgang frisch aufbereitete
Waschlappen und Handtücher zu verwenden. Zur Arbeitserleichterung und geringeren Hautbelastung
tragen gebrauchsfertige handelsüblich vorgetränkte Einwegwaschlappen ohne oder mit
antimikrobieller Ausrüstung (z. B. OCT) bei, die in Risikobereichen von der Klinik
zur Verfügung gestellt werden. Bei der Auswahl sind die Inhaltstoffe der Tränkflüssigkeit
zu beachten. Wegen der Gefahr von Allergien sollten keine Parfümstoffe und Konservierungsmittel
enthalten sein. Derartige Einwegwaschlappen sind v. a. in der Intensivpflege vorteilhaft.
Im Ergebnis einer Anwendungsbeobachtung mit einem vorgetränkten Einwegtuch (nicht-ionische
Tenside, Vitamin E, Dexpanthenol, Polihexanid) auf einer ITS wurde vom Pflegeteam
die Zeitersparnis und Arbeitserleichterung bestätigt. Innerhalb des einwöchigen Messzeitraums
konnten weder subjektiv noch objektiv hautschädigende Einflüsse durch die Pflegetuchanwendung
beobachtet werden. Vielmehr zeichnete sich eine Verbesserung des Hautzustands ab (Scharpenack
2012).
Für das Waschen des Genital- und Analbereichs werden Schutzhandschuhe angelegt, um
eine Kontamination der Hände mit der Fäkalflora zu vermeiden, aber auch zur Wahrung
der Intimsphäre. Bei Frauen wird der äußere Genitalbereich von der Symphyse zum Anus
gewaschen, um keine Darmflora in den Genitalbereich zu verschleppen, danach wird abgetrocknet.
Bei Männern wird mit dem äußeren Genitalbereich einschließlich Glans penis begonnen,
danach das Gesäß abgewaschen und abgetrocknet. Die Reposition der Vorhaut darf nicht
vergessen werden, um die Ausbildung einer Paraphimose zu verhindern. Nach Ablegen
der Schutzhandschuhe wird eine hygienische Händedesinfektion durchgeführt.
Haarwäsche: Ihre Häufigkeit richtet sich nach dem Bedürfnis des Patienten. Bei Verschmutzungen
durch Erbrochenes oder Blut ist sie unverzüglich durchzuführen. Sonderfälle sind die
Therapie von Mykosen und Kopflausbefall.
Vor OPs sind folgende Maßnahmen der Körperhygiene empfehlenswert:
•
Bei geplanten Eingriffen wird am Vorabend eine Ganzkörperreinigung (falls möglich,
Duschbad) mit gleichzeitiger Haarwäsche durchgeführt und danach der Körper eingefettet.
•
Bei ungeplanten Noteingriffen ist abhängig von der Verschmutzung vor dem Eingriff
eine Reinigung durch Ganz- oder Teilkörperwaschung anzustreben.
Nasenpflege
Ist der Patient PatientenhygieneNasenpflege
Nasenpflegenicht selbstständig zur Nasenpflege fähig, übernimmt das Pflegepersonal
diese Aufgabe im Rahmen der täglichen Körperpflege. Bei nasaler Absaugung bzw. Intubation
sind die Naseneingänge ständig sauber zu halten, wobei für jede Nasenöffnung ein frischer
Watteträger zu verwenden ist. Sichtbare Borken bzw. Verunreinigungen müssen vorsichtig
mit Watteträger entfernt werden. Diese können vorher mit Kochsalz oder pflegenden
Ölen angefeuchtet werden. Für jeden Reinigungsgang muss ein neuer Watteträger benutzt
werden. Der hygienische Abwurf benutzter Materialien ist zu gewährleisten.
Pflege des äußeren Gehörgangs
Die PatientenhygieneGehörgang, äußererReinigung wird mit einem mit Leitungswasser
angefeuchteten Einwegtuch ohne Benutzung von Seife oder anderen Reinigungs- bzw. Lösungsmitteln
durchgeführt. Damit sollen Gehörgang- und Trommelfellreizungen bis hin zu chronischem
Ekzem durch Eindringen der Präparate in den Mittelohrbereich (bei Perforation) vermieden
werden. Falls Paraffinöl angewandt wird, ist es aus sterilen Ampullen oder steril
abgefüllten Tropfflaschen zu entnehmen, um ein Erregerreservoir zu vermeiden. Von
außen sichtbare Beläge (Ohrenschmalz) können vorsichtig mit feuchten Watteträgern
entfernt werden.
Der Watteträger darf wegen der Gefahr von Verletzungen nicht in den Gehörgang eingeführt
werden. Eine Ausnahme machen Wattetupfer, die sich im Anschluss an den zur Reinigung
des Gehörgangs bestimmten eingeführten Teil so verdicken, dass die Eindringtiefe limitiert
ist und keine Verletzungsgefahr für das Trommelfell besteht.
Die Ohrenpflege ist täglich zu gewährleisten.
Der Patient wird so gelagert, dass die Reinigung bequem durchführbar ist und Flüssigkeitsreste
ablaufen können. Dann wird mit Daumen und Zeigefinger die Ohrmuschel leicht abgezogen
und mithilfe der anderen Hand vorsichtig u. U. so lange wiederholt gereinigt, bis
Tupfer oder Träger sauber bleiben. Tupfer sind nach einmaliger Benutzung abzuwerfen.
Maniküre und Pediküre
Das Schneiden der Finger- und Fußnägel durch Pflegepersonal setzt die Einwilligung
des Patienten voraus.
Bei Patienten mit Nagelpflege, Patient
PatientenhygieneManiküre
PatientenhygienePediküreperipheren Durchblutungsstörungen, Polyneuropathien und Diabetes
mellitus sollte die Fußpflege, insbesondere das Schneiden der Nägel, durch einen Podologen
(medizinische Fußpflege) übernommen werden. Bei Verletzung des Nagelbetts können häufig
schwer bzw. nicht heilende Wunden entstehen.
Die Pediküre umfasst Fußbad, Schneiden der Zehennägel und ggf. Entfernen der Hornhaut.
Sie sollte nach dem Baden oder Duschen durchgeführt werden, da die Nägel dann weicher
und weniger brüchig sind. Zehennägel werden gerade entlang der Zehenkuppe links und
rechts nicht abgerundet (Gefahr der Verletzung des Nagelbetts, Verhinderung des Einwachsens
der Nägel) und nicht zu kurz geschnitten. Dagegen werden Fingernägel rund geschnitten.
Geräte, bei deren Einsatz es zu unbeabsichtigten Verletzungen kommen kann (z. B. Nagelscheren),
sind bei Verwendung an verschiedenen Patienten nach jedem Gebrauch zu reinigen und
zu desinfizieren bzw. der maschinellen Aufbereitung zuzuführen.
Für den Fall der Hautverletzung ist ein Wundverband mitzuführen.
Mundpflege
Ziel PatientenhygieneMundpflege
Mundpflegeist neben dem subjektiven Wohlbefinden des Patienten der Erhalt der intakten
Schleimhaut, einer belagfreien Zunge, geschmeidiger Lippen und des Zahnstatus. Durch
eine unzureichende Pflege kann sich die Mundflora so verändern, dass es zu Austrocknung,
Rhagaden, Aphthen, Entzündungen, Schädigung der Zähne, Mukositis, Parodontitis, Parotitis
und ggf. absteigenden respiratorischen Infektionen kommt. Besonders gefährdet sind
behinderte Patienten, Senioren, Patienten unter Chemo- oder Strahlentherapie sowie
beatmete und immunsupprimierte Patienten.
Der Patient wird über den Sinn der Mundpflege aufgeklärt. Nach Möglichkeit sollten
patienteneigene Pflegemittel angewendet werden. Falls die patienteneigenen Utensilien
nicht vollständig sind, müssen sie durch Angehörige bzw. die Einrichtung ergänzt werden.
Wegen der Aspirationsgefahr wird der Patient zur Mundpflege möglichst mit erhöhtem
Oberkörper gelagert. Zuerst wird die Mundhöhle (Taschenlampe) inspiziert, um den oralen
Status zu erheben und zu dokumentieren; ggf. ist ein zahnärztliches Konsil anzufordern,
im Anschluss wird gereinigt. Ist kein spezieller Wunsch bekannt, wird mit frisch entnommenem
Leitungswasser gespült. Ist keine Mundspülung durchführbar, muss die Mundhöhle (Wangeninnenfläche,
Wangentaschen, harter und weicher Gaumen, auf und unter der Zunge) mit einem Tupfer
ausgewischt werden.
Die Industrie bietet sog. Denta swops™ an, die besser von Patienten toleriert werden,
da sie angenehmer als Mulltupfer empfunden werden.
Zur Lippenpflege sind patienteneigene Pflegemittel oder alternativ Wund- und Heilsalbe
anzuwenden.
Prothesen: Prothesenträger PatientenhygieneProthesensind gehalten, ihre Zahnprothese
regelmäßig zu tragen. Nach jeder Mahlzeit ist die Zahnprothese unter fließendem, warmem
Wasser mit mittelharter Zahnbürste (vier Borstenreihen + extra Bürstenelement für
Protheseninnenfläche) und Zahnpasta zu reinigen. Vor Einsetzen der Prothese wird der
Mund mit Wasser ausgespült. Werden Zahnprothesen nachts herausgenommen, werden sie
nach Reinigung mit Zahnpasta und Bürste in Reinigungslösung aufbewahrt. Vor Einsetzen
der Zahnprothese ist die Reinigungslösung mit klarem, warmem Wasser abzuspülen. Der
Behälter wird anschließend entweder in der Geschirrspülmaschine mit anderem Geschirr
aufbereitet oder manuell gereinigt. Prothesen sind regelmäßig auf Plaque und Pilzbefall
zu inspizieren und ggf. zur Reinigung in ein zahntechnisches Labor zu geben. Wenn
möglich, ist die normale Kautätigkeit zu erhalten; zur Förderung des Speichelflusses
können Kaugummi oder Brotkruste gekaut (anschließend Mund spülen) oder Zitronensaft/-scheibe
verabreicht werden. Aspekte aus dem Konzept der basalen Stimulation sind hierbei zu
beachten. Es ist für ausreichende Flüssigkeitszufuhr und ausgewogene Ernährung zu
sorgen.
5.2.2
Spezielle Pflege
Antiseptische Körperwaschung
Sie dient der gezielten Dekolonisation bei MRE (Kap. 3.7, Kap. 3.8) oder der Herabsetzung
des Risikos einer Weiterverbreitung von MRE in Risikobereichen (Kap. 2.2).
Die erfolgreiche Kontrolle einer Rekolonisation des Patienten mit MRE umfasst neben
der sachgerechten PatientenhygieneKörperwaschung, antiseptische
GanzkörperwaschungantiseptischeAufbereitung des Bettzeugs die Desinfektion aller direkt
mit dem Patienten in Kontakt kommenden Gegenstände nach Gebrauch, und falls eine kontaminationsfreie
Lagerung im Patientenzimmer nicht gewährleistet ist, auch vor neuerlichem Einsatz
am Patienten. In diesem Zusammenhang bisher wenig beachtet werden MP wie Stauschläuche,
deren Zwischendesinfektion aufgrund der textilen Materialbeschaffenheit nur mit fragwürdiger
Effektivität erfolgt. Für Patienten, für die aufgrund einer Kolonisation mit MRE eine
Indikation zur Isolierung besteht, wird daher das Belassen von Stauschläuchen im Isolierzimmer
empfohlen (AORN 2002). Dennoch kann von einem solchen Stauschlauch bei nicht ordnungsgemäßer
Aufbereitung eine Rekolonisation ausgehen (Golder et al. 2000; Rourke, Bates und Read
2001, Fellowes et al. 2006). Seit Kurzem steht mit einem Einwegstauschlauch (tournistripTM)
eine effiziente Möglichkeit bereit, die Rekontamination zu unterbinden (Kerstein und
Fellowes 2009).
Antiseptische Mundpflege
Abhängig PatientenhygieneMundpflege, antiseptische
Mundpflegeantiseptischevon der Art der Erkrankung bzw. des Eingriffs kann adäquate
Mundhygiene in Verbindung mit Antiseptik zur Verminderung des NI-Risikos beitragen.
Das betrifft z. B. immunsupprimierte granulozytopenische Patienten während der Chemotherapiephase.
Vor elektiver Chemotherapie ist ein Zahnarzt zu konsultieren, um ggf. eine professionelle
Zahnreinigung und die Sanierung kariöser Zähne durchführen zu lassen (Teseler 1990).
Für die Dauer der Panzytopenie kann der Mukositis durch antiseptische Mundspülungen
vorgebeugt werden (Kap. 2.2.5). Nach Resektion oder Bestrahlung von Mundhöhlenmalignomen
kann die Rate oraler Komplikationen durch antiseptische Spülung mit nicht alkoholischen
Lösungen auf Basis von CHX oder Cetylpyridiniumchlorid reduziert werden (Lanzos et
al. 2010). In der Wirksamkeit mindestens gleichwertig sind OCT- und Polihexanid-haltige
Mundhöhlenantiseptika (Rohrer et al. 2010).
Bei BeatmungspatientenMundpflegeBeatmungspatienten ist die Mundhöhlenpflege in Form
mechanischer Zahnreinigung, regelmäßiger Befeuchtung mittels Instillieren steriler
Ringer-Lösung, Sekretabsaugung und antiseptischer Mundspülung wichtig (Kap. 4.4, Kap.
5.9.4). Mundduschen führen nicht unbedingt zur Verbesserung der Zahnpflege und sind
mit dem Risiko einer bakteriellen Besiedlung des Restwassers im Schlauchsystem behaftet.
Hier kann sich massiv insbesondere P. aeruginosa vermehren.
Auch bei behinderten und betagten Patienten verbessert eine gute Mundhygiene in Verbindung
mit einer antiseptischen Mundhöhlenspülung nicht nur die Mundhöhlengesundheit, sondern
reduziert auch die Häufigkeit respiratorischer Infektionen einschließlich Pneumonien
(Kap. 5.18.6).
Pflege bei Harn- und Stuhlinkontinenz
Vielfach PatientenhygieneStuhlinkontinenz
PatientenhygieneHarninkontinenzgenieren sich Patienten und spielen die Beschwerden
unbewusst herunter oder ignorieren sie. Umso dankbarer sind sie dann für ein „beherztes“
Ansprechen des Problems, dem allerdings nicht allein die Zuteilung von Inkontinenzvorlagen
oder speziellen Matratzenbezügen, sondern eine zügige urologische und/oder proktologische
Abklärung mit adäquater Therapie folgen muss.
Harninkontinenz per se ist keine Indikation für einen transurethralen oder suprapubischen
Harnblasenkatheter.
Unterstützende Maßnahmen beinhalten das Blasen- bzw. Beckenbodentraining, ausreichende
Flüssigkeitszufuhr bei Harninkontinenz und ballaststoffreiche Ernährung (z. B. Leinsamen)
bei Stuhlinkontinenz. Bei der Auswahl von Inkontinenzhilfen ist der Inkontinenzgrad
zu beachten. Grundsätzlich müssen sie sicheren Schutz gegen Ausscheidungen und Gerüche
gewährleisten sowie hautverträglich und problemlos zu entsorgen sein: Für Männer kommt
als Alternative das Kondomurinalsystem in Betracht.
Da durch das feuchte Milieu leicht Druckgeschwüre entstehen, sind Inkontinenzhilfen
nach jeder Entleerung zu wechseln. Zur Vorbeugung von Hautmazeration sind tagsüber
mindestens alle 4 h Füllung und Lage zu kontrollieren. Bei jedem Vorlagenwechsel ist
die Haut zum Erhalt ihres Säure- und Fettschutzmantels möglichst nur mit Wasser, ggf.
mit pH-neutraler Waschlotion, zu reinigen und sorgfältig mit klarem Wasser nachzuwaschen.
Alkaliseifen sowie parfümierte oder desodorierende, d. h. mit antibakteriellen Zusätzen
versehene Waschlotionen, sind ungeeignet. Zur Hautpflege sind W/O-Emulsionen geeignet.
O/W-Lotionen wirken austrocknend. Abdeckende Cremes (z. B. Baby-Schutz-Creme, Vaseline)
sollten nicht verwendet werden, weil sie zum Wärmestau mit nachfolgender Verdunstung
und Austrocknung der Haut führen.
Enterostoma (Anus praeter; sog. künstlicher Darmausgang): Bei der Pflege von Enterostomata
ist auf PatientenhygieneEnterostomadie psychische Situation des Patienten und der
Angehörigen Rücksicht zu nehmen. Umso mehr ist die korrekte Pflege wichtig, um Komplikationen
wie Schädigung der Darmschleimhaut durch Austrocknung, Mazeration der intakten Haut
durch Stuhlansammlung unter der Stomaversorgung sowie Schmerzen oder Hautveränderungen
in der Umgebung des Stomas zu verhindern. Die Versorgung eines Enterostomas zielt
daher darauf ab, das Stoma durch sichere Anhaftung der Stomaversorgung vor Austrocknung
zu schützen und intakte Hautverhältnisse um die Stomaanlagestelle sicher zu stellen.
Es stehen eine Vielzahl an guten Lösungen zur Verfügung, die sowohl die Pflege erleichtern
als auch die Akzeptanz des Patienten verbessern. Dabei können Stomabeutel bei guter
Haftung bis zu 3 d verbleiben. Die erforderlichen Pflegeutensilien richten sich nach
der aktuellen Hautbeschaffenheit des Patienten.
Pflege bei immobilen Patienten
Grundsätzlich PatientenhygieneImmobilitätgelten für den immobilen Patienten keine
anderen Sauberkeitsanforderungen, sofern er nicht z. B. stark schwitzt, große nicht
abgedeckte infektionsanfällige Wundflächen oder Bestrahlungsareale aufweist. Es ist
zu beachten, dass Verbände im Bereich von Eintrittsstellen von Urinkathetern, Drainagen
oder Gefäßzugängen nicht durchfeuchten, weil damit das Risiko für die Vermehrung insbesondere
von sog. Nasserregern besteht.
Besondere Maßnahmen gelten für Patienten mit stark nässenden und juckenden Hauterkrankungen,
die leicht superinfiziert werden können (z. B. chronisches Ekzem). Bezüglich der Abdeckung
ist das Vorgehen z. B. mit dem Wundmanager abzustimmen. Juckreiz kann schon durch
Vermeidung eines Wärmestaus vorgebeugt werden, ggf. sind zusätzlich juckreizstillende
Medikamente zu verabreichen. Der Lagewechsel zur Dekubitusprophylaxe wird für jeden
Patienten individuell bestimmt.
Zur Infektionsprävention beim Verbandswechsel, bei Blutgefäß- und Harnwegkathetern
Kap. 4.2, Kap. 4.3, bei Beatmung Kap. 4.4.5 und bei Isolierung Kap. 2.11.
5.3
Infektionsprävention durch gezielte Ernährung und Probiotika
Arved Weimann, mit einem Teilbeitrag von Julian-Camill Harnoß, Axel Kramer und Arved
Weimann
5.3.1
Klinische Bedeutung der Mangelernährung
Häufig ist das Bestehen einer Mangelernährung Ausdruck der Grunderkrankung, z. B.
eines Tumorleidens oder einer chronischen Organinsuffizienz.
In Mangelernährungpostoperative Bedeutungder Chirurgie konnte retrospektiv die Bedeutung
des Ernährungsstatus für die postoperative Morbidität und Letalität bei verschiedenen
Krankheitsbildern gezeigt werden (Weimann et al., 2006, Weimann et al., 2009). In
einer klassischen Erhebung führte eine Mangelernährung mit Proteinmangel bei 101 Patienten
vor großen OPs am Gastrointestinaltrakt zu einer signifikant höheren Rate schwerer
postoperativer Komplikationen einschließlich Pneumonie und einer signifikant längeren
Krankenhausverweildauer. Auch die Häufigkeit an SSI war erhöht, wenn auch nicht signifikant
(Hill 1994). Relevant ist Mangelernährung besonders für die Prognose nach Organtransplantation
sowie für die postoperative Morbidität alter Menschen (Weimann et al., 2006, Weimann
et al., 2013).
In einer prospektiven Erhebung an 5 031 chirurgischen Patienten (Ausschluss Kardiochirurgie)
der Veterans Administration von 1995–2000 wurden Diabetes mellitus und Mangelernährung
als unabhängige präoperative Risikofaktoren für das Entstehen einer SSI identifiziert
(Malone et al. 2002). Als Mangelernährung galt ein signifikanter Gewichtsverlust innerhalb
von 6 Monaten vor der OP. Bereits früher haben Khuri et al. (1997) in einer Kohortenstudie
der Veterans Administration bei 87 078 chirurgischen Patienten (Ausschluss Kardiochirurgie)
als Hauptrisikofaktoren für die Mangelernährungpostoperative 30-Tages-Letalität den
präoperativen Serumalbuminspiegel, die ASA-Klasse und die Notwendigkeit einer Notfall-OP
identifiziert. Auch das Vorliegen eines Gewichtsverlusts > 10 % war ein signifikanter
prädiktiver Faktor.
5.3.2
Erkennen der Mangelernährung
Die Definition einer Mangelernährung ist nicht einheitlich. Aktuell wird Mangelernährung
krankheitsspezifisch durch erniedrigten BMI, unbeabsichtigten Gewichtsverlust und
eine längere Periode unzureichender Nahrungszufuhr definiert (Valentini et al. 2013).
Die MangelernährungDefinition
MangelernährungDiagnoseEuropäische Gesellschaft für Klinische Ernährung und Metabolismus
(ESPEN; Kondrup et al. 2003) empfiehlt als Parameter für das Prä-Screening von Risikopatienten
das Vorliegen
•
eines Körpermassenindex (BMI) < 20 kg/m2.
•
eines Gewichtsverlusts innerhalb der letzten 3 Monate.
•
einer reduzierten Nahrungsaufnahme in der letzten Woche.
•
einer schweren Erkrankung.
Bei Zutreffen eines der Faktoren erfolgt eine genauere Stratifizierung. Für geriatrische
Patienten wird das Screening mit dem Mini Nutritional Assessment empfohlen, das zusätzlich
Mobilität und neuropsychologischen Status berücksichtigt werden. Noch genauer ist
das Subjective Global Assessment (SGA; Jeejeebhoy, Detsky und Baker 1990), das neben
sorgfältiger Anamnese (Änderungen von Gewicht, Nahrungszufuhr, Leistungsfähigkeit,
gastrointestinale Symptome) die körperliche Untersuchung (Ödeme, Aszites, Muskel-
und Fettmasse) einschließt. Anhand des Vorliegens bzw. der Ausprägung der Mangelernährung
werden die Grade A bis C differenziert.
Die Arbeitsgruppe „Chirurgie und Transplantation“ der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin
(DGEM) schlägt für das Vorliegen einer schweren Mangelernährung folgende Definition
vor:
•
BMI < 18,5 kg/m2,
•
Gewichtsverlust > 10–15 % in den letzten 6 Monaten,
•
Subjective Global Assessment (SGA) Grad C,
•
Albumin < 30 g/l (bei Ausschluss von Leber- und Niereninsuffizienz).
5.3.3
Präoperative Ernährung
Eine Ernährungpräoperative, parenteralepräoperative parenterale Ernährung wurde mit
dem Ziel einer Verbesserung des Outcomes in vielen Studien v. a. der 1980er-Jahre
auch prospektiv untersucht. Problematisch sind u. a. die hohe Variabilität und Heterogenität
der Eingangskriterien, der Inzidenz und Definition der Mangelernährung, der Komplikationen
und der Zusammensetzung der Ernährung. In einer Metaanalyse (Klein et al. 1997) reduzierte
die präoperative parenterale Ernährung die absolute Rate postoperativer Komplikationen
um 10 %. Eine besondere Bewertung im Hinblick auf das Auftreten von SSI wurde nicht
durchgeführt. Am meisten profitierten Patienten mit schwerer Mangelernährung (Bozzetti
et al. 2000; Heyland et al. 2001b; Veteran Affairs Study Group 1991). Es besteht heute
Konsens, dass die Verschiebung einer OP zur Durchführung einer gezielten Ernährung
nur bei schwerer Mangelernährung angezeigt ist (Braga et al. 2009; Weimann et al.,
2006, Weimann et al., 2013).
Die Leitlinien der ESPEN empfehlen eine präoperative Ernährung bei mangelernährten
Patienten vor großen gastrointestinalen Eingriffen für die Dauer von 7–14 d, wenn
die OP ohne Risiko verschoben werden kann (Braga et al. 2009; Weimann et al., 2006,
Weimann et al., 2013).
Aus der grundsätzlichen Überlegung, dass die enterale Zufuhr physiologisch ist, sollte
ihr der Vorzug gegeben werden (Weimann et al. 2006).
Die Datenlage zum Vergleich von präoperativer enteraler und parenteraler Ernährung
ist unzureichend. Die prästationäre Durchführung der enteralen Ernährung ist auch
zur Vermeidung von NI anzustreben. Für Tumorpatienten wird vor großen viszeralchirurgischen
Operationen (Ösophagussesektion, Gastrektomie, partielle Duodenopankreatektomie) für
5–7 d die Zufuhr einer Trinknahrung mit immunmodulierenden Substraten (Arginin, ω-3-Fettsäuren
und Ribonukleotide) empfohlen. Aktuell sprechen die Daten für die postoperative Fortsetzung
der Immunutrition (Marimothu et al. 2012; Osland et al. 2014). Eine enterale Ernährung
wird üblicherweise bis zum Abend vor der OP durchgeführt (Weimann et al. 2013). Um
eine metabolische Konditionierung durchzuführen und unnötige präoperative Nüchternheit
zu vermeiden, wird in den Leitlinien vor großen OPs nicht zuletzt im Rahmen eines
Fast-Track- oder Enhanced-Recovery-after-Surgery-Konzepts (ERAS) die Aufnahme einer
glukosehaltigen Trinklösung (12,6 g/100 ml) empfohlen (Ljungqvist, Nygren und Thorell
2002; Lassen et al. 2009; Weimann et al., 2006, Weimann et al., 2013). Ob das auch
zu einer geringeren Komplikationsrate mit Abnahme von SSI führt, ist noch nicht endgültig
geklärt (Awad et al 2013; Mathur et al. 2010; Noblett et al. 2006; Yuill et al. 2005).
5.3.4
Einfluss der postoperativen Ernährung auf SSI
Zeitpunkt des Kostaufbaus:
Generell ist postoperativ keine Unterbrechung der Nahrungszufuhr erforderlich. Der
orale Kostaufbau sollte sich v. a. nach der Toleranz des Patienten richten (Weimann
et al. 2013).
Ein Ernährungpostoperativefrühzeitiger oraler bzw. enteraler Kostaufbau reduziert
im Vergleich zur längerfristigen Nüchternheit das Infektionsrisiko und wirkt sich
günstig auf die Krankenhausverweildauer aus (Weimann et al., 2006, Weimann et al.,
2006). Lewis, Andersen und Thomas (2009) sowie Lewis et al. (2001) zeigten in einer
Metaanalyse aus 11 Studien mit 837 Patienten eine – wenn auch nicht signifikante –
Verminderung des SSI-Risikos. Eine nicht ausreichende Nahrungszufuhr für mehr als
14 d ist mit erhöhter Letalität assoziiert (Sandström et al 1993).
Parenterale Ernährung:
Die Indikation zu künstlicher ErnährungErnährungparenterale besteht auch bei Patienten
ohne Zeichen der Mangelernährung, die perioperativ voraussichtlich mehr als 7 d keine
orale Nahrungszufuhr oder mehr als 14 d oral eine nicht bedarfsdeckende Kost (< 60–75
%) erhalten. Hier wird ohne Verzögerung der Beginn einer enteraler Ernährung empfohlen
(Weimann et al. 2013).
In einer Metaanalyse zum Vergleich der enteralen mit der parenteralen Ernährung, die
Studien an chirurgischen und internistischen Patienten berücksichtigte, zeigte sich
bei den enteral ernährten Patienten eine signifikant niedrigere SSI-Rate (Braunschweig
et al. 2001). Auch für kritisch Kranke fand sich in mehreren Metaanalysen eine Assoziation
der enteralen Ernährung mit einer signifikant niedrigeren lnfektionsrate (Heyland
et al. 2003; Marik und Zaloga 2001). Daher geben alle aktuellen Leitlinien zur Ernährung
beatmeter Intensivpatienten bei ihren Empfehlungen der enteralen Ernährung den Vorzug
vor der parenteralen Ernährung. Sie soll bei hämodynamisch stabilen Patienten möglichst
frühzeitig innerhalb von 24–48 h beginnen (Kreymann et al. 2006; McClave et al. 2009;
Reinhart et al. 2010). Sofern keine kalorienbedarfsdeckende enterale Substratzufuhr
möglich ist, wird eine Kombination aus enteraler und parenteraler Ernährung empfohlen
(Singer et al. 2009; Weimann et al. 2013). Sofern eine parenterale Ernährung indiziert
ist, kann die Supplementierung mit ω-3-Fettsäuren erwogen werden, für die sich in
einer Metaanalyse Vorteile bzgl. Verminderung von SSI zeigten (Chen B et al. 2010;
Pradelli et al. 2012).
Immunmodulierende Sondennahrungen:
In den ESPEN-Leitlinien für Sondennahrung, immunmodulierendeEnterale Ernährung in
der Chirurgie (Weimann et al. 2006) werden immunmodulierende Sondennahrungen für Patienten
nach großen hals- und viszeralchirurgischen Tumoroperationen (Larynx-, Pharynx-, Ösophagusresektion,
Gastrektomie, partielle Duodenopankreatektomie) oder schwerem Polytrauma empfohlen.
Für den Einsatz einer Kombination immunmodulierender Substrate (Arginin, Glutamin,
ω-3-Fettsäuren, Ribonukleotide) in der enteralen Ernährung chirurgischer Patienten
konnte in mehreren Metaanalysen eine signifikante Reduktion der infektiösen Komplikationen
und der Krankenhausverweildauer gezeigt werden (Cerantola et al. 2011; Drover et al.
2011; Heyland et al. 2001a; Marik und Zaloga 2010; Marimuthu et al 2012; Montejo et
al. 2003; Osland et al 2014). In der Metaanalyse von Montejo et al. (2003) wurde in
5 der 26 Studien die Inzidenz von SSI angegeben, weitere 10 enthielten Daten zum Auftreten
von SSI. Die Odds Ratio von 0,46 mit dem 95 %-Konfidenzintervall von 0,30–0,69 (p
= 0,003) spricht auch hier für den Einsatz der immunmodulierenden Kombination. Farreras
et al. (2005) zeigten in einer prospektiven randomisierten Studie nach Magenresektion
mit Supplementierung immunmodulierender Substrate signifikant weniger Komplikationen
(Tab. 5.3
). Als Maß für die Wundheilung war die Menge an Hydroxyprolin in einem s. c. implantierten
Katheterröhrchen signifikant höher in der Interventionsgruppe. Neu diskutiert wird
das geeignete Timing der Intervention prä-, peri- oder ausschließlich postoperativ
(Marimuthu et al 2012; Osland et al 2014).
Tab. 5.3
Postoperative Komplikationen bei enteraler Ernährung nach Magenresektion mit und ohne
Supplementierung immunmodulierender Substrate
Komplikation
Interventionsgruppe (n = 30)
Kontrollgruppe (n = 30)
P
Wundheilungsstörung
0
8 (26,7 %)
0.005
Wunddehiszenz
0
2 (6,7 %)
n. s.
Eviszeration
0
1 (3,3 %)
n. s.
Nahtbruch
0
5 (16,6 %)
0.03
Infektiöse Komplikationen
2 (6,7 %)
9 (30,0 %)
0.01
Chirurgische Wundinfektionen
1 (3,3 %)
4 (13,3 %)
n. s.
Intraabdomineller Abszess
0
1 (3,3 %)
n. s.
Sepsis
0
0
Pneumonie
0
2 (6,7 %)
n. s.
Harnwegsinfektionen
1 (3,3 %)
2 (6,7 %)
n. s.
Komplikationen insgesamt
4 (13,3 %)
13 (43,3 %)
0.01
Letalität
1 (3,3 %)
2 (6,7 %)
n. s.
Im Ergebnis einer retrospektiven Kosten-Nutzen-Analyse anhand einer nationalen US-amerikanischen
Datenbank kann bereits ab einer Infektionsrate > 0,91 % und für Mangelernährte > 3,31
% ein ökonomischer Vorteil durch die kostenaufwendigere immunmodulierende Supplementierung
für normal ernährte Patienten erwartet werden. Für die spezielle Vermeidung einer
SSI werden für Patienten in gutem Ernährungsstatus Werte von 1,7 % und bei Vorliegen
einer Mangelernährung von 4,8 % angegeben (Strickland et al. 2005).
Für die parenterale Gabe von Glutamin wurden Glutamin, parenterale Gabein 2 Metaanalysen
aus 14 Studien günstige Auswirkungen auf die SSI-Rate und die Hospitalliegedauer chirurgischer
Patienten gezeigt (Bollhalder et al 2012; Novak et al. 2002; Wang et al. 2010). Das
Problem vieler in die Metaanalysen eingeschlossener Studien ist die Heterogenität
und Inkonsistenz. Aus heutiger Sicht wurden auch enteral ernährbare Patienten parenteral
mit Glutamin ernährt. In den DGEM-Leitlinien (Weimann et al. 2013) wird aufgrund dieser
Datenlage nicht zuletzt aus Kostengründen die parenterale Gabe von Glutamin nur für
mangelernährte, enteral nicht adäquat ernährbare Patienten empfohlen. Zur Frage, ob
eine parenterale Glutaminapplikation günstigerweise mit einer enteralen Ernährung
mit und ohne Kombination immunmodulierender Substrate erfolgen sollte, liegen keine
Daten vor.
Zhou et al. (2003) fanden in einer randomisierten Studie bei 40 Verbrennungspatienten
bei Anreicherung der enteralen Diät mit 0,35 g Glutamin/kg KM/d als Monosubstanz nach
30 d eine signifikant weiter fortgeschrittene Wundheilung (86 vs. 72, p = 0,041).
Auch die frühe enterale Ernährung mit Präbiotika reduziert die postoperative Infektionsrate
signifikant (Kap. 5.3.5). Dies gilt ebenso, wenn auch nicht signifikant, für die SSI-Rate.
Möglicherweise hat die zusätzliche Gabe des probiotischen Lactobacillus plantarum
299 günstige Auswirkungen auf die Infektionsrate von Patienten nach Magen- und Pankreasresektionen
(Rayes et al. 2002a). Eine Verminderung der Rate an Wundinfektionen konnte von derselben
Arbeitsgruppe auch für Patienten nach Lebertransplantation gezeigt werden (Rayes et
al., 2005, Rayes et al., 2007). Die in den Studien verwandte synbiotische enterale
Diät steht allerdings noch nicht auf dem Markt zur Verfügung.
Für orale Supplemente als Trinklösung wurde in einer randomisierten Studie bei Pflegeheimbewohnern
mit Wundproblemen eine signifikante Verbesserung von Parametern der Wundheilung sowie
der kognitiven Funktion gezeigt (Collins, Kershaw und Brockington 2005).
Der Einfluss des Ernährungsstatus bzw. einer perioperativen Ernährungstherapie auf
das Auftreten infektiöser Komplikationen, hierunter auch die Rate an SSI, und auf
die Morbidität insgesamt kann als gesichert gelten. Mit dem Ziel einer Verkürzung
der Krankenhausverweildauer in der Chirurgie müssen Risikopatienten bereits prästationär
erkannt und die Frage der präoperativen Ernährungstherapie geklärt werden. Hier könnten
integrierte Versorgungsformen zukünftig Bedeutung erhalten. Auch postoperativ sollte
die Ernährung möglichst frühzeitig oral bzw. enteral erfolgen. Bei Patienten mit großen
viszeralchirurgischen Tumoroperationen wird die perioperative Gabe immunmodulierender
Substrate empfohlen. Abhängig von der jeweiligen Infektionsrate können die günstigen
Auswirkungen der Ernährungsintervention trotz des erhöhten Kostenaufwands im Gesamtergebnis
mit Einsparungen einhergehen.
5.3.5
Infektionsprävention durch Probiotika
Julian-Camill Harnoß, Axel Kramer und Arved Weimann
Der menschliche Darm ist von etwa 1013–1014 aeroben und anaeroben Bakterien und Pilzen
besiedelt. Das entspricht mindestens der Anzahl der Körperzellen. Mehr als 1 000 Spezies
sind an der Besiedlung beteiligt, wobei die Zusammensetzung nur in Ansätzen definiert
ist. Die Darmflora wird wegen ihrer Dimension und Bedeutung teilweise auch als das
vergessene Organ bezeichnet.
Die natürliche Darmflora dient im Zusammenwirken mit der mechanischen Schleimhautbarriere
und der darauf befindlichen bis zu 1,5 mm dicken Schleimschicht (Glykokalix) sowie
unspezifischen Schutzfaktoren und lokalen Immunmechanismen der Abwehr unerwünschter
Kolonisation mit nachfolgender Infektion durch Krankheitserreger.
Begriffe
•
Unter Eubiose wird Eubiosedie statistische Norm der kultivierbaren Darmflora verstanden
(Grütte und Hänel 1968).
•
Bei der Dysbiose liegt Dysbioseeine Störung des Verhältnisses der Arten der Darmflora
zueinander vor.
•
Als Probiose wird das Zusammenleben artfremder Spezies bezeichnet, Probiosevon der
eine oder mehrere Arten einen Vorteil und die anderen keinen Nachteil erfahren.
•
Die Antibiose charakterisiert die Beziehung zwischen einzelnen Individuen oder Gruppen
verschiedener Mikroorganismenspezies, die für eine oder mehrere der beteiligten Spezies
Nachteile mit sich bringt (Vermehrungshemmung oder sogar Abtötung).
•
Präbiotika sind Präbiotikanatürliche, nicht verdauliche Lebensmittelbestandteile (z.
B. Oligosaccharide wie Inulin). Sie sollen die Gesundheit verbessern, indem sie die
Darmflora durch selektive Stimulation probiotisch aktiver Bakterien günstig beeinflussen
(Gibson und Roberfroid 1995; Takemura et al. 2010) und erwiesen sich z. B. wirksam
zur primären Prävention bei Kindern mit geringem Risiko für eine atopische Dermatitis
(Grüber et al. 2010).
•
Probiotika sind ProbiotikaPräparationen aus lebensfähigen Mikroorganismen. Sie sollen
durch Verbesserung der gastrointestinalen mikrobiellen Balance einen gesundheitsfördernden
Einfluss auf den Wirt entfalten (Fuller, 1989, Fuller, 1991; Fuller und Gibson 1997).
•
Synbiotika
Synbiotikasind Kombinationen aus Pro- und Präbiotika, also von lebensfähigen Mikroorganismen
und ihrem Substrat.
Der Begriff Probiotika wurde 1965 von Lilly und Stillwell nach dem Vorbild der Natur
kreiert. Grundlage war die Erkenntnis, dass bei der Ernährung mit Muttermilch anstelle
von Flaschennahrung Lactobacillen und Bifidusbakterien die Darmflora dominieren, was
mit einem geringeren Anteil von Pathogenen verbunden ist. Etwa 1980 begann die moderne
Ära der Probiotika mit der Wiederbelebung des Konzepts, dass sich oral in ausreichender
Anzahl zugeführte apathogene oder kommensale Mikroorganismen in der Darmschleimhaut
ansiedeln und zur Prävention und Therapie von Infektionen beitragen können. In der
Folge sind seit 1998 mehr als 500 Peer Reviews zur Probiose erschienen.
Wirkungsweise von Probiotika
Verschiedene ProbiotikaWirkungsweiseFaktoren tragen zur probiotischen Wirkung bei,
wobei deren Zusammenwirken im Einzelnen noch nicht geklärt ist (Karlsson et al. 2010;
O'Hara und Shanahan 2007; West et al. 2009). Dazu gehören
•
die Vergrößerung der bakteriellen Diversität im Darm,
•
die Synthese antimikrobieller Substanzen,
•
eine pH-Absenkung durch Essig- und Milchsäurebildung,
•
Nährstoffkonkurrenz,
•
Eine Adhäsionshemmung durch Besetzung oder Modifikation von Attachmentrezeptoren,
•
die Modifikation von Toxinen,
•
eine Immunstimulation durch IgA und antiinflammatorische Zytokine,
•
die Interaktion mit intestinalen Toll-like-Rezeptoren,
•
der Abfall der Fettsäuren Isovalerin- und Valerinsäure im Kot.
Die Wechselwirkung der Darmflora mit dem Darmepithel und dem Immunsystem hat positive
Auswirkungen nicht nur auf den Darm selbst, sondern auch auf den oberen Respirationstrakt,
die Haut und den Urogenitaltrakt.
Probiotisch wirkende Spezies
Eine Bakterienspezies, probiotisch wirkendeReihe von Bakterienspezies wirken probiotisch,
insbesondere Bifido- und Laktobazillen (Azais-Braesco et al. 2010), aber auch Enterococcus-faecium-Stämme
(Hosseini et al. 2009), Bacillus-subtilis- und Escherichia-coli-Stämme (Tsaruk'ianova
und Osadchaia 2007), Clostridium butyricum (Pan et al. 2008) und Saccharomyces spp.
(Czerucka, Piche und Rampal 2007). Die infektionspräventiven Effekte von Probiotika
scheinen spezies- und dosisabhängig zu sein (Azais-Braesco et al. 2010). Seit 2008
wurden mehr als 230 probiotische Produkte registriert.
Tierexperimentelle Befunde zur protektiven Wirkung von Probiotika
An folgenden Modellen konnte eine Schutzwirkung nachgewiesen werden: Reisediarrhö/Wistarratte
(Bisson et al. 2010), Citrobacter rodentium-Infektion/neonatale Maus (Gareau et al.
2010), akute Gastroenteritis/Hund (Herstad et al. 2010), bessere Entwicklung, Anstieg
Plasmaimmunoglobuline/Broileraufzucht (Mountzouris et al. 2010), Kolonkarzinom/Maus
(de Moreno de LeBlanc und Perdigón 2005).
Klinische Effektivität von Probiotika
In Probiotikaklinische Effektivitätden letzten Jahren ist die Anzahl registrierter
klinischer Studien mit der Zielsetzung, die Effektivität von Probiotika zu untersuchen,
deutlich angestiegen (Tab. 5.4
).
Tab. 5.4
Registrierte klinische Studien (Gorbach 2008)
Jahr
USA
Außerhalb der USA
Vor 2003
0
2
2003
0
3
2004
4
5
2005
5
15
2006
6
21
2007
6
24
Nach Vanderhoof und Young (2008) lassen sich vermutlich folgende Erkrankungen durch
Probiotika präventiv oder therapeutisch beeinflussen: virale Diarrhö, antibiotikaassoziierte
Diarrhö, C. difficile-assoziierte Diarrhö, Reisediarrhö, atopische Dermatitis, Reizdarmsyndrom,
rheumatoide Arthritis, Enteritis regionalis Crohn und/oder Colitis ulcerosa, bakterielle
Überbesiedlung des Dünndarms (Small Intestinal Bacterial Overgrowth), Karies, kindliche
Allergien und/oder Asthma (Prävention), Laktoseintoleranz, Dickdarmkrebs (symptomatische
Besserung) und zu hoher Cholesterolspiegel.
Zur Behandlung der Rotavirus-GastroenteritisProbiotikaRotavirus-Gastroenteritis (Verkürzung
der Erkrankungsdauer) und zur Prävention der nekrotisierenden Enterokolitis (NEC)
bei Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (VLBW) ist der Nutzen von Probiotika
als gesichert anzusehen. Bei akuter Rotavirus-Gastroenteritis konnte die Erkrankungsdauer
ohne Nebenwirkungen um 3 d verkürzt werden, sofern Lactobacillus GG am 1. Erkrankungstag
gegeben wurde (Shornikova et al. 1997).
In einer prospektiven randomisierten verblindeten Studie wurde bei VLBW die Ernährung
mit Muttermilch (2-mal/d, n = 187) mit Ernährung mit Muttermilch + Infloran (Lactobacillus
azidophilus + Bifidobacterium infantis; 2-mal/d, n = 180) verglichen. Sowohl die Letalität
(24/187 vs. 9/180) als auch die NEC > Stadium 2 (10/187 vs. 2/180) wurden durch Zusatz
von Infloran signifikant reduziert. Es waren keine Probiotika in der Blutkultur nachweisbar
(Lin et al. 2005). Als Ergebnis einer Metaanalyse, bei der 7 von 12 randomisierten
Studien auswertbar waren, ergaben sich gleichfalls ein geringeres Risiko für NEC (relatives
Risiko 0,36), eine reduzierte Letalität (relatives Risiko 0,47) und eine verkürzte
Zeit bis zu normaler Ernährung. Die Gabe von Probiotika hatte keinen Einfluss auf
die Sepsisrate (relatives Risiko 0,94) und auch sonst wurden keine Nebenwirkungen
beobachtet (Deshpande, Rao und Patole 2007).
Eine schwächere Evidenz zur Effektivität von Probiotika mit dem Bedarf für weitere
Studien ist gegeben bei
•
antibiotikaassoziierter Diarrhö bei Erwachsenen mit Einsatz einer Mischung von B.
mesentericus, E. faecalis und C. butyricum, allerdings nicht bei C. difficile-assoziierter
Diarrhö (Chen CC et al. 2010),
•
Therapie der akute Diarrhö im Kindesalter (Weizmann 2010),
•
chronischer Obstipation,
•
Reisediarrhö (McFarland 2010),
•
Senkung der Morbidität von akuten respiratorischen Infektionen (Cox et al. 2010).
Aussichtsreich ist der präoperative und Surgical Site InfectionsPrävention durch Probiotikafortgesetzte
Probiotikaperioperative Gabepostoperativ Einsatz von Probiotika zur Prävention von
SSI bei viszeralchirurgischen Eingriffen bis zur Stabilisierung der Darmflora (Liu
et al. 2011). Grundlage ist die Hypothese, wonach es während der Hospitalisierung
zu einem Wechsel der Darmflora mit Ansiedlung unerwünschter nosokomialer Erreger kommt,
die lokal und durch Translokation (Linton und Hinton 1988; Wells 1990) Ursache von
SSI werden können. Weitere Hinweise für die Effektivität von Probiotika liefert die
Erhöhung der Kolonisationsresistenz als Schutz vor nosokomialer Besiedlung bei Intensivpatienten
(Forestier et al. 2008), als Schutz vor H.-pylori-Infektion (Lesbros-Pantoflickova,
Corthésy-Theulaz und Blum 2007) sowie als Schutz vor Darminfektion mit Pathogenen
(Paton, Morona und Paton 2006). Ebenso wurde die durch Lipopolysaccharide induzierte
Akute-Phase-Response durch Probiotika reduziert (Jiang et al. 2010). Die Hypothese
wird weiterhin dadurch gestützt, dass diverse Lactobacilli und verwandte Spezies physiologisch
eine größere Rolle im Magen spielen als bisher bekannt war (Ryan et al. 2008).
Erste vielversprechende klinische Ergebnisse zur Reduktion von SSI wurden erzielt
bei Pankreatoduodenektomie und Lebertransplantation (Rayes et al., 2002c, Rayes et
al., 2005, Rayes et al., 2007) sowie bei Hepatektomie wegen Gallengangskarzinom (Sugawara
et al. 2006). Bei Patienten mit Polytrauma oder akuter Pankreatitis wurden die Häufigkeit
von Sepsis und SSI sowie die Mortalität reduziert (Madsen 2008). Eine Metaanalyse
von 13 randomisierten klinischen Studien mit 962 Patienten hat für den Einsatz von
Probiotika und Synbiotika bei elektiv chirurgischen Patienten eine Reduktion der postoperativen
Sepsis (p = 0,03 bzw. p = 0,02) ergeben (Kinross et al. 2012). Für Traumapatienten
hat eine Metaanalyse von 5 Studien mit 281 Patienten eine signifikante Reduktion der
NI (p = 0,02), der beatmungsassoziierten Pneumonien (3 Studien, p = 0,01) und der
Intensivliegedauer (2 Studien, p = 0,001) gezeigt. Ein Einfluss auf die Letalität
bestand nicht. (Guo et al 2013). Die Autoren weisen auf die auch bestehende erhebliche
Heterogenität der Studiendesigns hin.
Für Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma ergab eine PRCT eine signifikante Reduktion
der Infektionsrate und der Verweildauer auf der Intensivstation durch die Gabe einer
Formel mit Glutamin und Probiotika (Falcao de Arruda und de Aguilar-Nascimento 2004).
Die Frage der am besten geeigneten Probiotikaspezies ist noch nicht geklärt. Dazu
sind weitere klinische Studien mit hoher Patientenzahl notwendig. Möglicherweise ist
die Gabe von Probiotika eine kostengünstige gleichwertige Alternative zur selektiven
Darmdekontamination ohne deren Problematik des erhöhten Selektionsdrucks auf Bakterien
(Rayes et al. 2002b).
Absolute Kontraindikationen für den klinischen Einsatz von ProbiotikaProbiotikaKontraindikationen
sind Sepsis, akute Pankreatitis und schwere Immunsuppression.
Derzeit ist die Indikation von Probiotika nicht gesichert bei
•
Reizdarmsyndrom (positive Wirkungen in Einzelstudien, starker Placeboeffekt, keine
Langzeitergebnisse; Hoveyda et al. 2009),
•
Enteritis regionalis Crohn und Colitis ulcerosa (Marteau et al. 2006),
•
Neurodermitis (Brouwer et al. 2006).
Bei der nekrotisierenden Pankreatitis induzierten Probiotika in der PROPATRIA-Studie
eine erhöhte Letalität (Besselink et al. 2008). Bei probiotischer Therapie eines Neonaten
mit Omphalozele wurde eine Sepsis durch Bifidobacterium breve ausgelöst (Ohishi et
al. 2010).
Als Fazit der bisherigen Studien lässt sich ableiten: Probiotika sind wie ein Gegenfeuer
– mit der richtigen Idee wirkungsvoll, mit der falschen Idee verhängnisvoll.
5.4
Der verstorbene Patient
Stefan Koch und Michael Ossadnik
Die hygienische Bedeutung von Leichen Verstorbene Patientenhygienisches Risikowird
vom Laien, aber auch vom medizinischen Personal vielfach überschätzt. Erst bei fortgeschrittener
Leichenfäulnis treten als Folge der Proteolyse biogene Amine und Ptomaine auf, deren
Berührung jedoch ungefährlich ist.
Hygienisches Risiko: Bei im Krankenhaus auftretenden Sterbefällen können folgende
Situationen unterschieden werden:
•
Sterbefall mit bekannter Anamnese und Diagnose. Sofern keine ansteckende Krankheit
vorlag, besteht kein höheres hygienisches Risiko als zu Lebzeiten.
•
Sterbefall mit noch nicht geklärtem Grund- und Nebenleiden (z. B. Tod zu Beginn des
Krankenhausaufenthalts). Er soll so lange als potenziell ansteckend betrachtet werden,
bis etwaige Verdachtsmomente (Tbk, AIDS, Virushepatitis, CJD) ausgeräumt sind. Ebenso
müssen bei der Behandlung akut erkrankter Patienten, die im bewusstlosen oder moribunden
Zustand zunächst in der Notaufnahme des Krankenhauses behandelt wurden und noch dort
verstorben sind, Schutzmaßnahmen beachtet werden. Gegebenenfalls hat der Leichenschau
führende Arzt gegenüber dem zuständigen Gesundheitsamt Meldepflichten zu erfüllen.
•
Sterbefall infolge ansteckender Krankheit bzw. mit ansteckender Krankheit als Nebenleiden
(z. B. auch bei immunsuppressiver Behandlung und reduzierter Immunitätslage). Bedarf
in Abhängigkeit von der Erkrankung spezieller Schutzmaßnahmen (Kap. 2.11).
5.4.1
Versorgung verstorbener Patienten
Der Todeseintritt ist durch die ärztliche Leichenschau festzustellen. Bei dieser sind
medizinische Schutzhandschuhe, ein Schutzkittel und, sofern ansteckende Krankheiten
vermutet werden oder bekannt sind, ggf. Mund-Nasen- und Gesichtsschutz zu tragen.
Bei der Verstorbene PatientenVersorgungVersorgung Verstorbener, die i. d. R. vom Pflegepersonal
durchzuführen ist, sind folgende Prinzipien zu beachten:
•
Wichtigster Grundsatz ist die dem Verstorbenen entgegenzubringende Achtung, wie sie
auch dem Lebenden gebührt.
•
Der Verstorbene wird, falls nicht schon in der Sterbephase geschehen, mit seinem Bett
in ein Einzelzimmer gebracht. Sollte sich der Sterbeplatz in einem Mehrbettzimmer
befinden, ist er mit Wandschirm vom übrigen Zimmer abzutrennen.
•
Die Versorgung des verstorbenen Patienten sollte möglichst frühzeitig nach dem ärztlich
festgestellten Todeseintritt durchgeführt werden.
•
Durch das Pflegepersonal wird der Verstorbene flach im Bett gelagert. Alle Kissen,
Decken und Lagerungshilfsmittel werden entfernt. Eventuelle Verschmutzungen wie Blut
oder Reste von Pflaster und Salbenverbänden werden ebenso entfernt wie Infusionen,
Katheter und Sonden.
•
Drainagen sollten durch das Pflegepersonal knapp über der Wunde gekürzt, mit dicht
schließenden Klemmen oder eng anliegenden Plastikbeuteln verschlossen, aber nicht
gezogen werden. Eine vollständige Entfernung gekürzter Drainageschläuche usw. sollte
erst vom Personal der Pathologie bzw. des Bestattungswesens erfolgen, um die im Rahmen
einer evtl. durchzuführenden Sektion erfolgende Dokumentation nicht zu verfälschen.
•
Dem Verstorbenen wird ein frisches Hemd (Einmalhemd) angezogen; verstorbene Säuglinge
werden in ein Leinentuch eingeschlagen. Die Augen sind zu schließen und mit feuchtem
Tupfer zu beschweren. Die Haare werden gekämmt, das Kinn wird mit einer Mullbinde
hochgebunden, die Hände werden übereinander oder seitlich neben den Körper gelegt.
•
Schmuck ist zu entfernen. Wird ein Ehering getragen, ist der Ehegatte zu befragen,
ob dieser zu entfernen ist. Zahnprothesen sollen erst entfernt werden, wenn sicher
ist, dass keine Angehörigen vom Verstorbenen Abschied nehmen wollen.
•
Zur Identifizierung erhält der Verstorbene einen sog. Fußzettel an Großzehe oder Unterschenkel
gebunden. Auf ihm sind die Personalien des Verstorbenen, Sterbedatum und Station zu
notieren.
•
Abschließend wird der Verstorbene mit einem sauberen Leinentuch ganz bedeckt.
Bei übertragbaren Krankheiten soll Verstorbene PatientenKrankheiten, übertragbareder
Verstorbene nicht gewaschen, rasiert oder frisiert werden. Situationsabhängig ist
zu entscheiden, ob ein Umkleiden erforderlich bzw. vertretbar ist. Abhängig von der
Übertragbarkeit der vorliegenden Erkrankung ist die Kleidung des Verstorbenen ggf.
als infektiöse Wäsche zu entsorgen bzw. zur Wiederaufbereitung einem Desinfektionswaschverfahren
zuzuführen.
Die nachfolgenden Empfehlungen sind in jedem Fall auf die vorliegende Infektionskrankheit
abzustimmen:
•
Das Personal hat Hygieneschutzbekleidung mit Überkleidern bzw. flüssigkeitsundurchlässigen
Schürzen und Handschuhe zu tragen.
•
Nicht klimatisierte Zimmer sollten gelüftet werden.
Nach der Versorgung einschließlich der Abschiednahme wird der Verstorbene so unauffällig
wie möglich in die Leichenhalle bzw. den Leichenkühlraum transportiert.
Das mit der Versorgung von Verstorbenen beauftragte Personal muss über die Richtlinie
über „Biologische Arbeitsstoffe beim Umgang mit Verstorbenen“ belehrt sein und es
empfiehlt sich, den Umgang mit Verstorbenen in einem hausinternen Standard zu regeln.
•
Infektiöse Verstorbene sollten besonders gekennzeichnet werden.
•
Die Leinentuchabdeckung sollte ggf. mit Desinfektionslösung getränkt werden; besser
ist ein Leichensack aus Plastikfolie mit Reißverschluss (bodybag).
•
Bett, Nachttisch und je nach Todesursache auch das übrige Bettenzimmer werden desinfizierend
gereinigt.
•
Privateigentum wird erfasst und geht ggf. desinfiziert mit Nachlassprotokoll an die
Angehörigen zurück.
5.4.2
Abschiednahme und Aufbahrung
Die Verstorbene PatientenAbschiednahme
Verstorbene PatientenAufbahrungAbschiednahme auf Station sollte ärztlich oder pflegerisch
begleitet werden. In Vorbereitung der Abschiednahme werden der Oberkörper, zumindest
aber das Gesicht des Verstorbenen aufgedeckt, Augentupfer und Kinnbinde werden entfernt.
Sollte der Mund nicht geschlossen bleiben, empfiehlt sich eine unter das Kinn gelegte
und mit dem Hemd versteckte Mullbinde.
Da die zeitliche Verzögerung des Abtransports des Leichnams, wenn die Hinterbliebenen
längere Anfahrtswege haben, organisatorische und hygienische Probleme aufwerfen kann,
sollte in der Einrichtung oder bei Vorhandensein eines Instituts für Pathologie innerhalb
desselben ein „Raum der Stille“ existieren, in dem eine pietätvolle hygienisch einwandfreie
Abschiednahme gewährleistet ist. Der Leichnam sollte in einem desinfizierbaren, abwaschbaren
Spezialsarg mit Edelstahlboden und abnehmbaren Seitenwände liegen. Die Innenauskleidung
des Aufbahrungssargs (meist Papier bzw. Karton) muss bei eventueller Verschmutzung
problemlos entfernbar sein. Die zur Aufbahrung verwendete Sarggarnitur und das Leichenhemd
können bei der Abholung des Verstorbenen durch das Bestattungsunternehmen mit übergeben
werden und verursachen dadurch keine zusätzlichen hygienischen, organisatorischen
und finanziellen Aufwendungen.
Aus krankenhaushygienischen Gründen ist eine Wand- und Fußbodengestaltung mit abwaschbaren
Werkstoffen (z. B. Keramik, Kunst- oder Naturstein) vorzuziehen. Der Raum sollte über
eine Be- und Entlüftung verfügen. Der Aufbahrungsraum muss für das Personal zum Zwecke
der Herrichtung des Leichnams vom Einsargungsraum zugängig sein und nach Möglichkeit
nahe der Kühlräume liegen. Die Lage des Aufbahrungs- und Besucherraums sollte jeglichen
Durchgangsverkehr, Beeinträchtigungen durch Geräusche (Kühlmaschinen, Rohre, Gespräche
des Personals usw.) zugunsten einer pietätvollen besinnlichen Abschiednahme ausschließen.
Nach der Aufbahrung ist der Aufbahrungssarg zu desinfizieren und zu reinigen.
Für kleinere Einrichtungen, in denen eine Abschiednahme auf der Station nicht möglich
und kein Raum der Stille vorhanden ist, sollten die Angehörigen darauf hingewiesen
werden, dass die meisten Bestattungsunternehmen über Räume für die Abschiednahme verfügen.
Bei Verstorbenen mit ansteckenden Krankheiten ist auf eine Aufbahrung zu verzichten.
5.4.3
Transport von Verstorbenen
Der Verstorbene PatientenTransportTransport wurde in der Vergangenheit auf unterschiedliche
und z. T. pietätlose Weise praktiziert (fahrbare Blechwanne mit Haube, Transport ohne
gesondertes Behältnis in Fahrzeugen usw.). Die einzig akzeptable Variante ist der
Transport des Verstorbenen in seinem Bett (oder Stretcher), das i. d. R. höhenverstellbar
ist und ein kräfteschonendes Umlagern erleichtert.
Der Leichentransport außerhalb des Krankenhauses bleibt autorisierten Bestattungsunternehmen
vorbehalten. Mit der fachgerechten Aufbewahrung des Verstorbenen in speziell dafür
vorgesehenen Kühleinrichtungen und der Übergabe des Leichnams an das beauftragte Bestattungsunternehmen
endet die Verantwortlichkeit des Krankenhauses.
5.5
Prävention von SSI in der Chirurgie
Axel Kramer, Stefan Maier, Claus-Dieter Heidecke, Günter Kampf und Kurt Oldhafer
5.5.1
Grundlagen
Der Infektionsschutz des chirurgischen Patienten beinhaltet nicht nur die Prävention
von SSI. Er dient ebenso dem Schutz vor weiteren NI mit den Schwerpunkten: beatmungsassoziierte
Pneumonie (Kap. 4.4), gefäßkatheter-assoziierte Blutstrominfektionen (Kap. 4.2), katheter-assoziierte
HWI (Kap. 4.3), Sepsis (Kap. 4.5), C.-difficile-assoziierte Diarrhö (Kap. 3.9) und
Infektionen mit multiresistenten grampositiven Bakterien, wie MRSA und VRE (Kap. 3.7)
einschließlich S. aureus, sowie mit gramnegativen Bakterien, wie ESBL, 3 MRGN und
4 MRGN (Kap. 3.8).
Gemäß CDC-Definition wird nach dem Schweregrad unterschieden zwischen oberflächlichen
(A1) und tiefen Infektionen des OP-Schnitts (A2) sowie Infektionen von Räumen und
Organen im OP-Gebiet (A3) (Mangram et al. 1999) (Kap. 3.1).
Häufigkeit und Übertragung von SSI
Inzidenz: Im KISS-Projekt (NRZ 2013) wird Surgical Site InfectionsInzidenzseit 2002
das eingriffsabhängige Infektionsrisiko ermittelt (Tab. 5.5
). Es ist einheitlich bei laparoskopischen Eingriffen niedriger als bei offen chirurgischen
Eingriffen.
Tab. 5.5
SSI-Inzidenz im Zeitraum Januar 2009 bis Dezember 2012 (NRZ 2013)
Eingriff
n
Gepoolte SSI-Raten
A1
A2
A3
Appendektomie
laparoskopisch
13 231
0,38
0,09
0,2
offen chirurgisch
4 684
3,31
0,98
0,3
Cholezystektomie
laparoskopisch
49 766
0,55
0,09
0,15
offen chirurgisch
5 095
3,71
1,04
0,79
Kolon
laparoskopisch
8 139
2,51
0,74
1,79
offen chirurgisch
23 092
1,51
0,31
0
Herniotomie
laparoskopisch
14 109
0,05
0,05
0,02
offen chirurgisch
14 193
0,27
0,1
0,02
Eingriffe an der Mamma
44 938
0,46
0,28
Nephrektomie
4 230
1,11
0,5
0,47
Rektum-OP
1 732
4,04
0,81
3,81
Schilddrüsen-OP
16 478
0,39
0,12
0,03
Eingriffe an der Aorta abdominalis
1 858
0,54
0,92
Karotisgabel-Rekonstruktion
4 730
0,06
0,13
Arterielle Rekonstruktion untere Extremitäten
15 836
1,64
1,78
Koronare Bypass-OP mit Entnahme autologer Gefäße an Extremitäten (Extremitätenwunde)
40 161
0,29
0,32
Koronare Bypass-OP mit Entnahme autologer Gefäße an den Extremitäten (Thoraxwunde)
40 161
1,12
1,54
0,79
Koronare Bypass-OP ohne Entnahme autologen Gefäße an den Extremitäten
10 079
1,55
1,51
0,51
Venöses Stripping
3 879
0,23
0,26
0
Prävalenz: Im Unterschied Surgical Site InfectionsPrävalenzzur Inzidenz vermitteln
Prävalenzraten aufgrund einer Vielzahl von Faktoren wie Neuzugänge, Liegedauer usw.
nur einen begrenzten Eindruck über die tatsächliche Verbreitung einer Krankheit (Kap.
3.1). In der NIDEP-1-Studie wurde für 5 377 Patienten auf den chirurgischen Abteilungen
von 72 Krankenhäusern eine SSI-Prävalenz von 1,34 % ermittelt. Bei Betrachtung nur
der operierten Patienten lag die Prävalenz bei 2,13 % und aufgeschlüsselt für Cholezystektomien
bei 1 %, für Herniotomien bei 2,9 %, für Kolon- oder Rektumoperationen bei 3,8 % sowie
für Appendektomien bei 4,1 % (Kampf et al. 1996b). SSI waren nach HWI (1,45 %) die
zweithäufigste NI in der Chirurgie (Kampf et al. 1996a). Insgesamt waren SSI in deutschen
Akutkrankenhäusern nach nosokomialen Pneumonien und HWI mit etwa 16 % die dritthäufigste
nosokomiale Infektionsart (Rüden 1995). In der ersten vom ECDC durchgeführten europäischen
Prävalenzerhebung zwischen September und Dezember 2011 waren SSI in Deutschland (Stichprobenumfang
39 699 Patienten an 134 Krankenhäusern) mit einem Anteil von 24,7 % an die erste Stelle
der NI gerückt, gefolgt von HWI mit einem Anteil von 22,4 % (NRZ 2012).
Letalität: SieSurgical Site InfectionsLetalität gibt die Zahl der Sterbefälle an einer
bestimmten Krankheit bezogen auf die Zahl der an dieser Krankheit Erkrankten an. Als
Letalitätsrate wird sie in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Erkrankung auf 10 000
oder 100 000 Erkrankte bezogen. Legt man die für Deutschland auf alle NI bezogene
kalkulierte Letalität von ca. 2,6 % (Gastmeier et al. 2008) auch für SSI zugrunde
– was nicht zutreffen muss – resultiert eine Anzahl von etwa 2 500 Patienten pro Jahr,
die aufgrund von SSI versterben.
Infektionsrisiko: Das Surgical Site InfectionsInfektionsrisikoInfektionsrisiko wird
durch die Eigenschaften der Mikroorganismen bestimmt. Dazu gehören Virulenz (Grad
der Pathogenität), Kontagiosität (Übertragbarkeit), Anzahl, Tenazität (Haftfähigkeit),
Invasivität (Eindringvermögen), Vitalität (Vermehrungsvermögen), Toxizität (Giftigkeit)
und Immunität (Abwehrvermögen). Patienten mit malignen Erkrankungen, Leukopenie, Autoimmunerkrankungen,
offenen Verletzungen, AIDS und Diabetes mellitus sind besonders infektionsgefährdet.
Operationen mit einer Dauer über dem 75. Perzentil erhöhen das SSI-Risiko. Auch ein
Tracheostoma, eine maschinelle Beatmung, Harnblasen- und Gefäßkatheter sowie Drainagen
erhöhen das Infektionsrisiko (Abb. 5.1
). Für das Entstehen von SSI ist eine Reihe von Risikofaktoren gesichert (Tab. 5.6
).
Abb. 5.1
Ursachenkomplex für Surgical Site InfectionsUrsachenSSI
[L106]
Tab. 5.6
Risikofaktoren für das Entstehen von SSISurgical Site InfectionsRisikofaktoren
Präoperative Risikofaktoren (Wirtsorganismus)
Hoher NNIS-Score (Kap. 5.7.1), verlängerte präoperative Verweildauer, höheres Lebensalter,
Vorerkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Dialyse, Lebererkrankung), Infektion/Kolonisation
mit MRE, Infektion anderer Lokalisation, nasale Kolonisation mit S. aureus/MRSA, Mangelernährung/reduzierter
Allgemeinzustand, Adipositas, Vitamin-C-Mangel, Rauchen, Alkoholabusus, maligne Grunderkrankung
abhängig vom Tumorstadium, Vorbestrahlung, Anämie, Granulozytopenie < 1 500/µl, bestimmte
OP-Arten
Perioperative Risikofaktoren
Unsachgerechte OP-Feldvorbereitung (Antiseptik, Haarentfernung) und chirurgische Händedesinfektion,
nicht korrekte PAP, verzögerter OP-Zeitpunkt bei Verletzung, Hypothermie, Hypoxie,
bakterienpermeable Schutzkleidung und Abdeckmaterial, Handschuhperforation, Atemwegsinfektion
beim OP-Team, Erfahrung des Operateurs, Fremdkörper
Eingriffsbezogene Risikofaktoren
Dauer, Anzahl, Umfang und Art des Eingriffs (z. B. Notfall- vs. Elektiveingriff, Kontaminationsgrad,
Rezidiveingriff), OP-Technik einschließlich Blutstillung, Implantat
Postoperative Risikofaktoren
Unsachgerechte postoperative Wundversorgung, Drainage, parenterale Ernährung, antibiotische
Behandlung > 1 Tag postoperativ, postoperative invasive Maßnahmen, die mit Bakteriämien
einhergehen, Unterkühlung
(Quellenangaben in Maier, Kramer und Heidecke 2010; Oldhafer et al. 2007)
Voraussetzung für das Entstehen einer SSI ist die endogene Präsenz von Krankheitserregern
oder deren exogener Eintrag. Die Infektion kann prä-, intra- und selten auch postoperativ
entstehen und u. U. erst nach Wochen oder Monaten zum Ausbruch kommen.
Infektionswege: Zweifellos ist der Surgical Site InfectionsInfektionswegePatient selbst
die wichtigste SSI-Quelle, gefolgt vom Personal. Bezüglich des Stellenwerts der Übertragungswege
lässt sich anhand von Basiswissen, Kasuistiken und Studien bestenfalls eine grobe
Einstufung ableiten (Abb. 5.2
).
Abb. 5.2
Übertragungswege für Erreger von Surgical Site InfectionsÜbertragungswegeSSI
[L106]
Das Hygienemanagement muss folgende Infektionsmöglichkeiten berücksichtigen:
•
Iatrogene NI durch direkte Übertragung durch Arzt oder Pflegepersonal bei diagnostischen
oder therapeutischen Eingriffen
•
Apparativ bedingte NI durch MP oder krankenhaustechnische Ausrüstungen
•
Umgebungsinfektion aus dem Milieu der Gesundheitseinrichtung, z. B. über Hände, Flächen
oder Raumluft (z. B. Schimmelpilzinfektion bei Immunsuppression)
•
Endogene oder Selbstinfektion mit Herkunft des Erregers vom Patienten selbst (Kap.
3.1)
•
Eingeschleppte Infektion durch andere Patienten, das Team oder Besucher (überwiegend
sog. Community-acquired Infections)
Das ärztliche und das pflegerische Team kommen nicht nur als Überträger, sondern auch
als Infektionsquelle in Betracht. Daher dürfen Mitarbeiter mit eitrigen Infektionen
für die Dauer der Infektiosität nicht operativ tätig werden (Oldhafer et al. 2007).
Ätiologie von SSI
In Surgical Site InfectionsÄtiologieder Viszeralchirurgie sind Vertreter der Darmflora
die häufigste Ursache von SSI (Tab. 5.7
). Ebenfalls endogen ist S. aureus, ausgehend von der Kolonisation im Nasen-Rachen-Raum,
eine häufige Ursache von SSI (Oldhafer et al. 2007) Im Ergebnis des NNIS wird deutlich,
dass sich die Ätiologie von SSI im Vergleich der Zeiträume 1986–1989 und 1990–1996
nicht wesentlich geändert hat (Tab. 5.7). In Deutschland ist das Erregerspektrum ähnlich,
wobei im Zeitraum 2009–2013 erwartungsgemäß MRSA an Bedeutung zugenommen hat (Tab.
5.8
).
Tab. 5.7
Isolate bei SSIStaphylococcus aureusSurgical Site InfectionPseudomonas aeruginosaSurgical
Site InfectionProteus mirabilisSurgical Site InfectionKlebsiella pneumoniaeSurgical
Site InfectionEnterokokkenSurgical Site InfectionEnterobacterSurgical Site InfectionEscherichia
coliSurgical Site InfectionSurgical Site InfectionsErregerspektrum
Erreger
Anteil (%) der Isolate1
1986–1989 (n = 16 727)
1990–1996 (n = 17 671)
S. aureus
17
20
KNS
12
14
Enterococcus spp.
13
12
E. coli
10
8
P. aeruginosa
8
8
Enterobacter spp.
8
7
P. mirabilis
4
3
Klebsiella (K.) pneumoniae
3
3
Andere Streptococcus spp.
3
3
C. albicans
2
3
Streptococcus Gruppe D
–
2
andere grampositive Aerobier
–
2
B. fragilis
–
2
1
Ausschluss von Isolaten mit einem Anteil < 2 %.
Tab. 5.8
Erregerspektrum von SSI in Deutschland im Zeitraum Januar 2009 bis Dezember 2012 (NRZ
2013)
Erreger
Allgemeinchirurgien (%)
Abdominalchirurgie n (%)
Gefäßchirurgie n (%)
S. aureus
96 (33,9)
162 (4,2)
225 (36,1)
MRSA (Anteil von S. aureus)
13 (13,5)
50 (30,9)
46 (20,4)
Enterococcus spp.
12 (4,2)
1 069 (27,5)
101 (16,2)
E. coli
13 (4,6)
1 172 (30,1)
79 (12,7)
KNS
21 (7,4)
128 (3,3)
75 (12,0)
P. aeruginosa
4 (1,41)
221 (5,7)
49 (7,9)
Enterobacter spp.
5 (1,8)
185 (4,8)
40 (6,4)
Klebsiella spp.
5 (1,8)
212 (5,5)
28 (4,5)
Proteus spp.
4 (1,4)
145 (3,7)
35 (5,6)
Bacteroides spp.
4 (1,4)
235 (6,0)
7 (1,1)
Citrobacter spp.
2 (0,7)
91 (2,3)
10 (1,6)
C. albicans
1 (0,4)
85 (2,2)
4 (0,6)
Folgen von SSI
Durch Surgical Site InfectionsFolgenFall-Kontroll-Studien konnte gezeigt werden, dass
sich das Sterblichkeitsrisiko von Patienten durch eine SSI verdoppelt, sie mit einer
um 60 % höheren Wahrscheinlichkeit auf einer Intensivstation behandelt werden und
5 Mal häufiger später wieder im Krankenhaus behandelt werden. Durchschnittlich entstehen
durch eine SSI Kosten von etwa 3 000 € und verlängert sich die Aufenthaltsdauer in
der Klinik um etwa 6,5 d (Kirkland et al. 1999). Hochgerechnet bedeutet das eine Belastung
für die Versicherungssysteme von fast 300 Mio. € Mehrkosten und 614 000 zusätzlichen
Krankenhausbehandlungstage pro Jahr in Deutschland (Maier, Kramer und Heidecke 2010).
5.5.2
Prävention von SSI
Nur Surgical Site InfectionsPräventiondurch die klare Regelung des HygienemanagementsSurgical
Site InfectionsHygienemanagement mit repetitiver Evaluation der Ergebnisse im Sinne
einer prospektiven Surveillance kann eine kontinuierlich hohe Qualität der Hygiene
gewährleistet werden. Hierbei ist zu beachten, dass unrealistische Hygieneanforderungen
aufgrund ökonomischer Zwänge sowie zur Gewährleistung der Compliance der Beteiligten
kontraproduktiv sind (Maier, Kramer und Heidecke 2010).
Eckpfeiler der Qualitätssicherung sind die Aufbereitung von MP, die Umsetzung der
Multibarrierenstrategie und der Aufbau eines mehrdimensionalen schnittstellenübergreifenden
Qualitätsmanagements (QM) zur Prävention von SSI, die Realisierung von Antibiotika-Stewardship
und die Surveillance von SSI einschließlich der Erfassung und Bewertung des Auftretens
von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen (IfSGuaÄndG
2011). Für die Umsetzung der Multibarrierenstrategie sind die KRINKO-Empfehlungen
(Gastmeier et al. 2003; Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 1997, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 1999, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2000a, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2000b, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2001, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2003, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2012a, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2012b, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
(KRINKO) am Robert Koch-Institut, 2012c; Oldhafer et al. 2007) besonders relevant.
Ungeachtet der Evidenzstärke sind eine Reihe von Präventionsmaßnahmen, die fortlaufend
evaluiert werden, etablierter Standard. Da sich die Studienlage seit der CDC-Guideline
(Mangram et al. 1999) und der KRINKO-Empfehlung (Oldhafer et al. 2007) geändert hat,
wird nachfolgend eine Neubewertung gemäß der von der KRINKO (2010b) empfohlenen Kategorisierung
vorgenommen (Tab. 5.9
).
Tab. 5.9
Stellenwert wichtiger Maßnahmen zur Prävention von SSI
Maßnahme
Vorgeschlagene Evidenz
Prä-, perioperativ
Sanierung bestehender Infektionen vor elektiven Eingriffen
IA
Qualitätsgerechte Aufbereitung von MP
IA, IV
Aseptische Disziplin im OP
IB
Kurze präoperative Verweildauer
IB
Begrenzung der Personenanzahl im OP auf das erforderliche Maß
IB
Screening und Dekolonisierung von S. aureus bei besonderer Gefährdung
II
Risikoadaptiertes MRSA-Screening und Dekolonisierung
IB
Risikoadaptiertes Screening auf 3 und 4MRGN
II
Einstellen des Rauchens
IB
Korrektur metabolischer Abweichungen bei elektiven Eingriffen
II
Gewichtsreduktion bei elektiven Eingriffen
II
Antiseptisches Bad
III
Indikationsgerechte PAP
IA
Clipping oder keine Rasur
IA
Verbot künstlicher Fingernägel und Fingerringe
IB/IV
Chirurgische Händedesinfektion
IB
Hautschutz der Hände
IV
Präoperative Hautantiseptik
IA
Hautversieglung
III
Antiseptische Inzisionsfolie (indikationsabhängig)
II
Erregerdichte OP-Abdeckung
IB
Verzicht auf Darmreinigung in der Darmchirurgie
II
Screening des OP-Teams bei Ausbruch von SSI durch S. aureus oder A-Streptokokken
IB
Sterile OP-Handschuhe, steriler Kittel, Mund-Nasen-, Haarschutz
IB
Intraoperativ
Vermeidung akzidenteller Hypothermie
IA
Antiseptische Spülungen während der OP
III
Antiseptisches Nahtmaterial (indikationsabhängig)
IB–III∗
Laparoskopische OP-Technik (indikationsabhängig)
IB
Keine Lagerung von Sterilgut außerhalb Sterilverpackung und außerhalb TAV
IB
Turbulenzarme TAV (Hüft- oder Kniegelenk; zum Zusammenhang zwischen erreichter Asepsis
über dem OP-Feld und SSI-Rate keine validen Studien)
III
Strenge Indikationsstellung für Drainagen
IB
Postoperativ
Desinfektion relevanter Flächen im OP
IB
Aseptische Wundversorgung
IB
Surveillance
IA/IV
Rahmenbedingungen
OP-Technik und chirurgische Erfahrung
II
Qualitätsmanagement der Hygiene
IA/IV
Einführung eines SSI-Bundles
IB
Fehleranalyse
IB
Evaluation der Hygiene durch Patienten
II
∗
IB: Shunt-und Wirbelsäulenchirurgie, II: Visteralchirurgie, III: Gefäßchirurgie, Kopf-Hals-Chirurgie
(Quellen in Maier, Heidecke und Kramer 2014)
Bei der nachfolgenden Kommentierung werden überwiegend seit 2006 erschienene Veröffentlichungen
berücksichtigt.
Präoperativ
Sanierung von Infektionen vor elektiven Eingriffen:
Wann immer möglich, sollen klinisch manifeste Infektionen außerhalb sowie im OP-Gebiet
vor elektiven Eingriffen als Risikofaktor identifiziert (Cheadle 2006; van Walraven
und Musselman 2013) und saniert werden (Oldhafer et al. 2007).
Aufbereitung von MP: Die Surgical Site InfectionsPräventionsmaßnahmen, präoperativeAufbereitung
chirurgischer Instrumente ist ein zentrales Element zur Qualitätssicherung. Da auch
hier Defizite nicht ausgeschlossen sind (Attenberger 2005; Azizi et al. 2012; Barion
2011; Becker und Lohan 2002; Department of Health 2009; Heudorf 2011; Murdoch et al.
2006; Thiede und Kramer 2013), empfiehlt es sich, dass sich der verantwortliche Chirurg
mittels der Kompetenz des Hygienefachpersonals davon überzeugt, dass die Qualitätsanforderungen
an die Aufbereitung eingehalten sind.
Kurze präoperative Verweildauer: Bei elektiven abdominalchirurgischen Eingriffen steigt
das SSI-Risiko mit zunehmender präoperativer Krankenhausaufenthaltsdauer (Apanga et
al. 2014; Patel et al. 2011; Saxena et al. 2013). Für stationär allgemein- und gefäßchirurgisch
versorgte Patienten war das SSI-Risiko höher als für ambulant versorgte Patienten,
was allerdings nicht als unabhängiger Risikofaktor identifizierbar war (Neumayer et
al. 2007).
Risikoadaptiertes MRSA-Screening und Dekolonisierung: Es dient bei planbaren OPs der
Möglichkeit der präoperativen Dekolonisierung (Ammerlaan et al. 2009) bzw. bei nicht
aufschiebbarer OP ggf. der Auswahl eines MRSA-sensiblen Antibiotikums zur PAP sowie
der Aufbereitung der OP-Einheit nach dem Eingriff s. u. (Kramer et al. 2012c).
Screening auf multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien (MRGN): Ein erhöhtes
Risiko ist bei positiver Anamnese, nach Kontakt mit in der Anamnese bekanntermaßen
mit 3- und 4MRGN kolonisierten oder infizierten Patienten und bei Patienten aus Ländern
mit hoher Prävalenz gegeben (KRINKO 2012c).
Nach der OP eines Patienten mit Kolonisation oder Infektion mit 3- oder 4MRGN wird
der OP-Saal bis zum Ablauf der Einwirkungszeit der Flächendesinfektion als „septisch“
deklariert, wobei auch das patientenferne Umfeld in die Zwischendesinfektion einbezogen
wird. Das OP-Team schleust sich neu ein, und es erfolgt ein kompletter Wechsel der
Reinigungsutensilien und der Bereichskleidung des Reinigungspersonals. Bei Verlegung
auf die Station sind die Empfehlungen zur Isolierung einzuhalten (KRINKO 2012c).
Einstellung des Rauchens: Rauchen wirkt sich negativ auf die Wundheilung aus, reduziert
die Blutzirkulation in der Haut, stört die Hämoglobinfunktion, wirkt immunsuppressiv
und stört respiratorische Funktionen (Hussey, Leeper und Hynan 1998), was seine Bedeutung
als Risikofaktor für SSI erklärt (Durand et al. 2013; Mawalla et al. 2011; Olsen et
al. 2008; Singh 2013; van Walraven und Musselman 2013). Allerdings gelang der Nachweis
als unabhängiger Risikofaktor nicht immer, möglicherweise aufgrund des Stichprobenumfangs
(Kuri et al. 2011) und der unterschiedlichen Dauer des Rauchens.
Es wird empfohlen, das Rauchen mindestens 30 d vor einem elektiven Eingriff einzustellen.
Eine Karenz von 6–8 Wochen vor elektiven Eingriffen reduziert die SSI-Rate signifikant
(Oldhafer et al. 2007).
Metabolische Korrektur bei elektiven Eingriffen: Bei der Etablierung der „Fast-Track“-Konzepte
hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass mehrtägiges Fasten vor und nach viszeralchirurgischen
Eingriffen zu vermeiden ist. Mangelernährung ist bei aufschiebbaren Eingriffen 7–14
d präoperativ auszugleichen (Kap. 5.3.1). Ob auch bei MangelernährungPrävention von
SSIsTumorerkrankungen ein Aufschieben der OP mit dem Ziel der Optimierung des Ernährungszustands
sinnvoll ist, ist offen, weil unbekannt ist, wie stark die onkologische Grunderkrankung
in diesem Zeitraum fortschreitet und fraglich ist, ob und in welcher Zeit eine Verbesserung
des Ernährungszustands erreichbar ist. Grundsätzlich sollen Patienten bis zum OP-Tag
und so rasch wie möglich postoperativ enteral ernährt werden. Bei Diabetes mellitus
wird prä- und postoperativ die engmaschige Kontrolle des Blutglukosespiegels mit Vermeidung
von Werten > 200 mg/dl bzw. > 11,1 mmol/l empfohlen (Chan et al. 2009; Gandhi et al.
2007).
Anämie: Bei Vorliegen einer Anämie ist die Indikation für eine Bluttransfusion entsprechend
der Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten zu überprüfen
(Kommentar KRINKO 2007b).
Immunsuppression: Bei immunsupprimierten Patienten ist ein interdisziplinäres präoperatives
Patientenmanagement zu empfehlen, damit sowohl individuelle Möglichkeiten der Reduktion
der Immunsuppression als auch spezifische Maßnahmen zur Prophylaxe und ggf. antimikrobiellen
Therapie festgelegt werden können.
Gewichtsreduktion bei elektiven Eingriffen: Bei Adipositas Grad II und III ist eine
Gewichtsreduktion insbesondere für Eingriffe zu erwägen, bei denen der OP-Erfolg von
der Körpermasse beeinflusst wird (z. B. Narbenhernien) (Oldhafer et al. 2007).
Antiseptisches Bad: Für die am Abend vor der OP übliche Ganzkörperwäsche oder das
Duschen (NICE 2013) ist weder bei Benutzung antiseptischer noch normaler Seife ein
Einfluss auf die SSI-Rate nachgewiesen (Webster und Osborne 2007). In einer Studie
mit nachgewiesener Reduktion der Hautflora wurde keine Neutralisation von CHX nach
der Probengewinnung angegeben; da nur je eine SSI in der CHX- und Plazebogruppe auftrat,
bleibt unabhängig von dem methodischen Mangel der fehlenden Neutralisation der Einfluss
auf die SSI-Rate offen (Veiga et al. 2009).
Perioperativ
Perioperative Antibiotikaprophylaxe (PAP): Die Indikation Surgical Site InfectionsPräventionsmaßnahmen,
perioperative
Antibiotikaprophylaxe, perioperativeSurgical Site Infectionzur PAP wird abhängig von
der Art des operativen Eingriffs, der Wundklassifikation sowie individuellen und operationsbedingten
Risikofaktoren gestellt (Prospero et al. 2010). Sie ist wegen des mit ihr verbundenen
Resistenzdrucks und weiterer potenzieller Nebenwirkungen gemäß den Empfehlungen der
Fachgesellschaften nur bei gesicherter Indikation durchzuführen (SIGN 2014). Entscheidend
für Beginn und Dauer der Antibiotikagabe ist, dass ab dem Zeitpunkt des Hautschnitts
für die Dauer der OP ein wirksamer Blut- und Gewebespiegel gewährleistet ist. Bei
starkem Blutverlust (> 1 l) oder länger dauernden Operationen (Eingriff länger als
die doppelte Halbwertszeit des Antibiotikums) muss eine Folgedosis verabreicht werden
(Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2012a). Für die Auswahl des
Antibiotikums sind die Wirksamkeit gegen die häufigsten Wundinfektionserreger bei
der jeweiligen OP, die Gewebegängigkeit und die lokale Resistenzsituation entscheidend
(Oldhafer et al. 2007). Ferner ist die korrekte Dosierung abhängig vom Körpergewicht
und von erhöhten oder erniedrigten Verteilungsräumen zu beachten (Arbeitskreis Krankenhaus-
und Praxishygiene der AWMF 2012a; Prospero et al. 2010) (Kap. 2.10.2).
Bei gesicherter Indikation und einmaliger Verabreichung innerhalb des Zeitfensters
von 30–60 min leistet die PAP einen signifikanten Beitrag zur SSI-Reduktion.
Clipping oder keine Rasur: Haare sind präoperativ nur bei operationstechnischer Notwendigkeit
bevorzugt mittels Clipping zu entfernen (Kramer et al. 2008c).
Hände und Fingernägel: Künstliche Nägel verleiten zur Vernachlässigung der Händehygiene,
erhöhen die Perforationsgefahr für Schutzhandschuhe und wurden als Ursache für SSI-Ausbrüche
identifiziert (Gordin und Schultz 2007). Künstliche Fingernägel dürfen nicht getragen
werden, weil sie als Quelle von NI-Ausbrüchen identifiziert wurden. Die Nageloberfläche
soll nicht rissig sein, z. B. durch abgeplatzten oder gerissenen Nagellack. Farbiger
Nagellack ist abzulehnen, weil er die Sichtbeurteilung der Nägel verhindert und je
nach Abstand zur Auftragung die Wirkung der Händedesinfektion herabsetzt (Assadian
et al. 2011).
Vor operativen Eingriffen sollen keine Nagelbettverletzungen oder entzündlichen Prozesse
an der Hand vorliegen. Unter sorgfältiger Risikoabwägung erscheint es bei nicht entzündlichen
Veränderungen bzw. kleinen Verletzungen im Bereich der Hand vertretbar, die OP mit
zwei übereinander gezogenen Paar Handschuhen, ggf. nach vorheriger Abdeckung mit antiseptischer
Salbe und zusätzlichem Fingerling, durchzuführen.
An Händen und Unterarmen getragene Schmuckstücke behindern die Händehygiene und können
zu einem Erregerreservoir werden (Fagernes und Lingaas 2009; Fagernes, Lingaas und
Bjark 2009; Trick et al. 2003). Außerdem führt das Tragen von Eheringen zu erhöhter
Perforation von OP-Handschuhen (Nicolai, Aldam und Allen 1997).
Chirurgische Händedesinfektion: Zur Gewährleistung ihrer standardisierten Durchführung
sollte das Vorgehen in einer SOP festgelegt sein (Kramer et al. 2008a). Für die Einwirkzeit
von 1,5 min ist experimentell folgendes Vorgehen gesichert (Hübner et al. 2011a):
1.
Vollständiges Benetzen beider Hände (10 s),
2.
Benetzen beider Unterarme (10 s),
3.
Wiederholtes Benetzen der Hände (70 s).
Entscheidend ist, dass Hände und Unterarme für die Dauer der Einwirkzeit vollständig
benetzt sind. Die Handflächen sind unter Vermeidung von Benetzungslücken für die Dauer
der deklarierten Einwirkzeit mittels Einreibetechnik komplett feucht zu halten, wobei
das Hauptaugenmerk auf Fingerkuppen, Nagelfalzen und Fingerzwischenräumen liegt (Kap.
2.1). lodophore sind aus toxikologischen Gründen nicht mehr einzusetzen (Below, Bauer
und Kramer 2007).
Hautschutz der Hände: Zur Erhaltung des physiologischen Hautzustands sind Hautschutz
und Hautpflege unerlässlich (Kap. 5.20.3). Eine Fragebogenerhebung unter Chirurgen
ergab diesbezüglich erhebliche Defizite (Brune et al. 2014). Am wichtigsten ist der
präexpositionelle Hautschutz, der sich nicht durch postexpositionelle Hautpflege ersetzen
lässt (Berndt et al. 2002; Kap. 5.20.3). Bei der Auswahl der Präparate ist deren nachgewiesener
Nutzen zu berücksichtigen (Harnoss et al. 2014). Außerdem darf die Wirksamkeit der
chirurgischen Händedesinfektion nicht beeinträchtigt werden (Große-Schütte et al.
2011; Harnoss et al. 2014).
Präoperative Hautantiseptik: Ihre Effektivität ist einer der Schlüsselpunkte für die
Prävention von SSI, weil davon die in die Tiefe der OP-Wunde gelangende Erregermenge
abhängt. Hautantiseptikperioperative, SSI-PräventionMittel der Wahl sind alkoholbasierte
Präparate, ggf. mit Zusatz remanenter Wirkstoffe (Darouische et al. 2010). Durch die
Einführung der assistierten Applikation mit Freigabe des Hautantiseptikums auf ein
Schwämmchen werden die wünschenswerte Standardisierung der präoperativen Hautantiseptik
und zugleich eine höhere Effektivität erreicht. Alternativ ist das Vorgehen mit Tupfer
und Kornzange mit gleicher Effektivität standardisierbar (Ulmer et al. 2014).
Hautversieglung: Die Versieglung Surgical Site InfectionsHautversieglungder Haut nach
Hautantiseptik wurde zur Fixierung der auf der Hautoberfläche verbleibenden Mikroflora
eingeführt. Im Draft der neuen CDC-Guideline wird die Hautversieglung nicht mehr für
notwendig erachtet (Assadian et al. 2011). Die in einer retrospektiven, nicht-randomisierten
Studie in der Herzchirurgie beschriebene signifikante Herabsetzung der SSI-Rate (Dohmen
et al. 2011) konnte in einer prospektiven Studie nicht bestätigt werden (Waldow et
al. 2012). Bei Gefäßoperationen an der unteren Extremität konnte in einer prospektiven,
randomisierten, doppelblinden Studie eine signifikante Herabsetzung der SSI-Rate nachgewiesen
werden (Iyer et al. 2011). Gestützt werden diese Befunde durch eine signifikante Herabsetzung
der wiedergewinnbaren Hautflora nach Versieglung aus Inzisionswunden beim Schwein
bzw. beim Menschen (Daeschlein et al. 2014; Eckardstein von et al. 2011; Towfigh et
al. 2008; Wilson 2008). Es sind weitere Untersuchungen erforderlich, um den präventiven
Einfluss der Hautversiegelung abzuklären.
Antiseptische Inzisionsfolie: Bei Verwendung nicht antiseptisch imprägnierter Inzisionsfolie
steigt das SSI-Risiko signifikant, deshalb ist ihr Einsatz kontraindiziert (Webster
und Alghamdi 2007). Mit Iod imprägnierte Folie ist in vitro mikrobiozid wirksam. Auch
bei Anwendung auf der Haut kommt es zu einer antiseptischen Wirkung unter der Inzisionsfolie,
zugleich wird die bakterielle Wundkontamination verringert (Kramer, Assadian und Lademann
2010). Wegen der geringen Effektstärke war die Reduktion der SSI-Rate allerdings nur
bei großem Stichprobenumfang zu sichern (Parks et al. 2007).
OP-Abdeckung: Nach präoperativer Antiseptik wird das OP-Feld mit als MP Klasse I zertifizierten
Abdeckmaterialien der Qualität Standard oder High Performance (Arbeitskreis Krankenhaus-
und Praxishygiene der AWMF 2011a; DIN EN 13.795 2010) steril abgedeckt. In der Kombination
von erregerdichter OP-Abdeckung und OP-Schutzkittel war der Nutzen zur SSI-Prävention
nachweisbar (Rutala und Weber 2001). Sofern OP-Abdeckmaterialien die Anforderungen
der DIN EN 13795–1/3 (2010) erfüllen, sind Einweg- und Mehrwegmaterialien aus infektionspräventiver
Sicht gleichwertig, denn beide sind bakteriendicht.
Abhängig vom Eingriff muss der Patient nicht vollständig entkleidet werden. Allerdings
sind nicht entkleidete Patienten ggf. keimarm abzudecken, um einen Erregereintrag
in den OP-Situs einzuschränken und standardisierte OP-Bedingungen zu gewährleisten.
Verzicht auf Darmreinigung in der Darmchirurgie: Sofern die präoperative Darmreinigung
nicht aus OP-technischer Sicht für erforderlich angesehen wird, gilt sie als entbehrlich
(Anthony et al. 2011; Fry 2011; Matsou et al. 2011; Murray et al. 2010).
Screening des OP-Teams: Wird im Rahmen der Surveillance eine Häufung von SSI durch
S. aureus oder Gruppe-A-Streptokokken auffällig, ist ein Screening auf Kolonisation
beim gesamten perioperativen Team durchzuführen (Oldhafer et al. 2007).
Vermeiden einer akzidentellen Hypothermie: Als Hypothermie gelten Körpertemperaturen
≤ 36 °C. Die peri- und postoperative Hypothermie ist ein unabhängiger Risikofaktor
für SSI (Kurtz, Sessler und Lenhardt 1996; Linam et al. 2009). Die Ursachen sind multifaktoriell,
z. B. verzögerte Gerinnung, erhöhte Fibrinolyse, durch Thrombozytopenie und verringerte
Thromboxan-B2-Synthese vermehrter Blutverlust mit Transfusionsbedarf, Immunsuppression,
periphere Vasokonstriktion mit Hypoxie der Wunde (Allen et al. 1997; Greif et al.
2000; Hopf et al. 1997; Torossian et al. 2015).
Peri- und postoperativ soll der Zustand der Normothermie aufrechterhalten werden,
sofern nicht therapeutische Gründe (z. B. Neuroprotektion) eine Hypothermie erfordern
(Brandt, Mühlsteff und Imhoffe 2013; Flores-Maldonado et al. 2011; Lehtinen et al.
2010; Melling et al. 2001).
Aktives Erwärmen ist effektiver als passives; für besonders vulnerable Eingriffe kann
die Kombination beider Möglichkeiten einschließlich präoperativer Erwärmung überlegen
sein (Moola und Lockwood 2013). Zum Schutz des Patienten vor Auskühlung eignen sich
temperierte OP-Tischauflagen, Wärmestrahler (Raumheizer, Infrarotlampen), Wärme speichernde
bzw. Wärme freisetzende Abdeckung und konvektive Wärmesysteme (z. B. Bair Hugger-Wärmeeinheit).
Aktives inneres Erwärmen ist endogen durch Aminosäureinfusion und exogen z. B. durch
warme Infusionen, Inhalationen, Lavagen erreichbar. Die Körperkerntemperatur soll
1–2 h vor Beginn der Anästhesie und intraoperative kontinuierlich oder alle 15 min
gemessen werden (Torossian et al. 2015).
Bereichs- und Schutzkleidung: Die farbige OP-Bereichskleidung wird in der Schleuse
angelegt. Sie ist bei sichtbarer Verschmutzung bzw. Kontamination sowie bei erneuter
Einschleusung zu wechseln. Beim Wechsel von Personal zwischen Aufwach- und OP-Raum
muss (ggf. durch Schutzkittel) Sorge getragen werden, dass die Bereichskleidung nicht
mit Krankheitserregern kontaminiert wird (Holst et al. 1997).
Vor Betreten des OP-Raums werden MNS (Anforderungen gemäß DIN EN 14683 2012) und Haarschutz
angelegt, sofern die sterilen Instrumente bereits gerichtet sind, eine OP demnächst
beginnt oder durchgeführt wird. Der MNS muss ausreichend groß sein, Mund und Nase
bedecken und eng am Gesicht anliegen. Barthaare müssen (ggf. in Kombination mit der
OP-Haube) vollständig abgedeckt sein. Aus Gründen des Arbeitsschutzes kann es erforderlich
sein (z. B. OP von Patienten mit florider Tuberkulose), eine Atemschutzmaske zu tragen
(Kramer et al. 1997). Der Haarschutz muss das Haupthaar vollständig bedecken. Er darf
nicht zu Hause gewaschen werden, weil aufgrund fehlender Verfahrensvalidierung keine
Desinfektion gewährleistet ist (Hübner et al. 2011c). Wache Patienten mit Eingriff
in Regionalanästhesie sollten ebenfalls einen MNS tragen, um beim Sprechen und Atmen
die Verbreitung von Aerosolen zu vermeiden.
Hygieneverstöße sind ein nach OP herunterhängender MNS und dessen erneute Verwendung
sowie der Griff zur benutzten Maske ohne nachfolgende Händedesinfektion.
Bei Gefahr des Verspritzens von Blut oder Sekreten sind Schutzbrille bzw. Gesichtsschild
angezeigt.
Die sterilen OP-Handschuhe werden nach dem Anlegen des sterilen OP-Kittels erst nach
Lufttrocknung des Händedesinfektionsmittels angelegt, weil andernfalls das Perforationsrisiko
steigt (Pitten et al. 1998/99). Der Tragekomfort von OP-Handschuhen aus Naturlatex
wird derzeit von keinem anderen Material erreicht. Gepuderte Latexhandschuhe sind
wegen des Allergisierungsrisikos untersagt (Technische Regeln für Gefahrstoffe 401).
Bei einem Übertragungsrisiko für HIV oder HBV (o. a. Infektionskrankheiten) vom Patienten
sollte Double Gloving mit Indikatorsystem gewählt werden. Alternativ kommen OP-Handschuhe
mit zusätzlicher antimikrobieller Barriere in Betracht (Daeschlein et al. 2011). Im
Trageprozess wurde bei diesem Handschuhtyp die in den Handschuh freigesetzte Hautflora
unabhängig von der OP-Dauer und der Art des Eingriffs signifikant herabgesetzt, sodass
sich auch das Risiko für SSI reduzieren könnte (Assadian et al. 2014).
Nach dem Ablegen von OP-Handschuhen empfiehlt sich eine hygienische Händedesinfektion,
da durch unerkannte Leckagen oder Kontakt beim Abstreifen der Handschuhe die Hände
kontaminiert sein können. Bei Eingriffen mit Viruslast durch unbehüllte Viren muss
das Desinfektionsmittel viruzid wirksam sein.
OP-Schuhe sollen vor Kontamination durch Flüssigkeit schützen und maschinell aufbereitbar
sein.
Vor jeder neuen Operation wird die sterile OP-Kleidung einschließlich MNS und Haarschutz
gewechselt (Oldhafer et al. 2007).
Der OP-Mantel soll knöchellang sein und darf in der Gestaltung von Kragen und Ärmelbündchen
den Träger nicht behindern. Bewegungsfreiheit, Feuchtigkeitsaustausch und ergonomische
Qualität sind für ein aseptisches Arbeiten wichtig.
•
Standard-Performance-Qualität (flüssigkeitsabweisend) ist für feuchtigkeitsarme bzw.
wenig dynamische OPs vorgesehen.
•
High-Performance-Qualität (flüssigkeitsdicht) ist für chirurgische Eingriffe mit hohem
Flüssigkeitsanfall bzw. mit von der Intensität oder Dauer der OP (Schwitzen) verbundenem
erhöhtem Infektionsrisiko vorgesehen.
Antiseptische Spülungen/Tränkung: Im Draft der CDC-Guideline werden folgende antiseptische
Möglichkeiten als ungelöste Frage eingeordnet (HICPAC): intraoperative Spülung (z.
B. intraabdominal, tiefe oder subkutane Gewebe) und Eintauchen von Implantaten in
antiseptische Lösungen vor der Implantation. Die Applikation von Antiseptika in die
Inzision wird abgelehnt.
Antiseptisches Nahtmaterial: Nahtmaterial ist einem Implantat vergleichbar. Als Oberfläche
ergeben sich für einen 150 cm langen 1er polyfilen Vicryl-Faden 130 cm2. Die um die
Naht stattfindende Biofilmbildung schützt die Mikroorganismen vor der Nahtmaterial,
antiseptischesWirtsabwehr (Edmiston et al. 2006; Kathju et al. 2009) und erhöht das
SSI-Risiko (Blomstedt, Osterberg und Bergstrand 1977; Osterberg und Blomstedt 1979).
Nähte in kontaminierten Bereichen befähigen Bakterien zur Penetration in tiefere Gewebeschichten
(Chu und Williams 1984). Zugleich wird die zur Infektion erforderliche Bakterienmenge
durch Nahtmaterial etwa um den Faktor 10 000 reduziert (Howe und Marston 1962). In
der Folge ist das Risiko der Nahtinsuffizienz durch Infektion in bakteriell besiedelten
Darmbereichen erhöht. Deshalb wurde mit Triclosan imprägniertes Nahtmaterial entwickelt,
das in vitro und tierexperimentell außer gegenüber P. aeruginosa (Chuanchuen, Karkhoff-Schweizer
und Schweizer 2003) antimikrobiell effektiv ist. Im Draft zur CDC-Guideline (HIPAC
2014) wird im Unterschied zur aktualisierten Empfehlung des National Institute for
Health and Care Excellence (National Institute for Health and Clinical Excellence
2013) der Einsatz des antiseptischen Nahtmaterials als nicht notwendig erachtet. Allerdings
wurden nur 4 Quellen bewertet. Bei Berücksichtigung aller bisherigen Studien empfehlen
drei Metaanalysen (Edmiston, Daoud und Leaper 2013; Daoud, Edmiston und Leaper 2014;
Wang et al. 2013) den Einsatz für viszeralchirurgische Indikationen. Allerdings erwies
sich in einer nach den Metaanalysen von veröffentlichtem RCT unter Beteiligung von
24 Zentren bei elektiver medianer abdominaler Laparotomie bei vergleichbaren Patientenmerkmalen
die Reduktion um 1–3 % als nicht signifikant. Jedoch wurde die Komplikation eines
Platzbauchs, der möglicherweise auf tiefe unentdeckte Wundinfektionen zurückführbar
ist, signifikant reduziert (Diener et al. 2014). Die Gründe für die unterschiedlichen
Effektstärken in den unterschiedlichen Studien sind in weiteren RCTs abzuklären.
Laparoskopische vs. konventionelle OP-Technik: Bei laparoskopischen OPs war das Risiko
sowohl für SSI als auch für HWI und pulmonale Infektionen in einer Reihe von Analysen
signifikant reduziert (Aziz et al. 2006; Boni et al. 2006; Ingraham et al. 2010; Markides,
Subar und Riyad 2010; Perugini und Callery 2001; Sauerland, Lefering und Neugebauer
2004). Als Gründe werden der kleinere Zugang, die frühere Mobilisation, die geringere
Immunsuppression und die geringe Notwendigkeit zum Einsatz von ZVK gesehen (Boni et
al. 2006).
Keine offene Lagerung von Sterilgut: Da die Aufbereitung von Sterilgut mit hohem technischen
Aufwand durchgeführt wird, muss alles getan werden, um eine Kontamination nach der
Aufbereitung zu vermeiden (Dancer et al. 2012). Das ist vor allem dann zu beachten,
wenn sich die Lagerfläche außerhalb des Lüftungsfelds der RLTA befindet, weil es dann
zur Kontamination z. B. des Instrumentiertisches durch Erregeraufwirbelung aus der
Umgebung kommt (Diab-Elschahawi et al. 2011).
Turbulenzarme Verdrängungsströmung (TAV): Während sich aus einigen Studien eine schwache
Evidenz für den positiven Einfluss von LAF bei alloplastischem Hüft- und Kniegelenkersatz
ableiten lässt, stellen neuere Analysen diese Ergebnisse in Zweifel (Brandt et al.
2008; Breier et al. 2011; Gastmeier, Breier und Brandt 2012; Kap. 6.4). In der Viszeralchirurgie
sind RLTA mit TAV nicht erforderlich. Bei sog. kleinen operativen Eingriffen in einem
Eingriffsraum und bei Eingriffen, für die die Risikobewertung ergibt, dass die in
der OP-Einheit vorhandene Luftkoloniezahl der normalen Raumluft entsprechen kann,
ist aus infektionsprophylaktischer Sicht keine RLTA erforderlich (Kap. 6.4).
Postoperativ
Desinfektion im OP: Nach Indikation Surgical Site InfectionsPräventionsmaßnahmen,
postoperativejeder OP sind die patientennahen und die sichtbar kontaminierten Flächen
sowie der begangene Fußbodenbereich im OP zu desinfizieren. Nach Betriebsende werden
alle Fußbodenflächen und potenziell kontaminierte Flächen in allen Räumen der OP-Abteilung
einer Wischdesinfektion unterzogen (Oldhafer et al. 2007). Bei kolorektaler OP mit
Verdacht auf oder mit gesicherter C. difficile Infektion muss die Flächendesinfektion
mit sporozid wirksamen Präparaten (Peroxide) durchgeführt werden.
Aufenthaltsdauer: Eine kurze postoperative stationäre Aufenthaltsdauer (Roumbelaki
et al. 2008) und eine frühzeitige MobilisierungSurgical Site InfectionsPrävention
des Patienten tragen zur Reduktion des Risikos für SSI und Thrombosen sowie zur Verkürzung
der Hospitalisierung bei (Browning, Denehy und Scholes 2007).
Aseptische Wundversorgung: Die primär Wundantiseptikverschlossene, nicht sezernierende
OP-Wunde wird am OP-Ende mit einer sterilen Wundauflage abgedeckt. Da bei ansonsten
gesunden Patienten (d. h. nicht bei Immunsupprimierten, Diabetikern, unter Kortikosteroidtherapie
usw.) nach 24 h keine Infektionsgefährdung mehr besteht, wird die Verwendung einer
neuen Wundauflage vom ggf. erforderlichen Schutz der Wunde vor mechanischer Belastung
bestimmt (Oldhafer et al. 2007).
Bei sekundär heilenden Wunden sind beim Verbandswechsel folgende Grundsätze zu beachten
(Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2004):
•
Vorbereitung: Desinfektion der Arbeitsfläche, Vorbereiten des Materials, Händedesinfektion,
Einmalhandschuhe (unsteril, nach Bedarf steril), Instrumentensammelbehälter, Abfallsack.
•
Unreine Phase: Bei Bedarf (großflächige bzw. Verbrennungswunden) Schutzkleidung (Kittel,
Maske und Haube), Händedesinfektion, Verband mit Einmalhandschuhen oder instrumentell
entfernen und kontaminationsfrei entsorgen, Handschuhe ausziehen, Wundinspektion.
•
Reine Phase: Händedesinfektion, Reinigung der Wunde, Anlegen des neuen Verbands je
nach Wundgröße mit sterilen Instrumenten oder sterilen Handschuhen, Instrumente nach
Gebrauch kontaminationsfrei entsorgen, abschließend Händedesinfektion, Dokumentation.
Verbandswechsel sind in der Reihenfolge erst aseptische, dann infizierte Wunden einzuplanen.
Die Entfernung von Verband, Nahtmaterial und Drainagen erfolgt unter aseptischen Bedingungen.
Drainagen: WunddrainagenWundeDrainagen sind unabhängig vom Eingriff ein unabhängiger
Risikofaktor für das Entstehen einer SSI (Rao et al. 2011; Tang et al. 2001; VArik
et al. 2010). Zur Notwendigkeit von Drainagen gibt es eine Diskrepanz zwischen Evidenz
und täglicher Praxis. Unbestritten ist der Einsatz bei therapeutischen Indikationsstellungen
(Abszess-, Hämato-, Pneumo-, Pyothoraxdrainagen). Allgemein akzeptiert wird die prophylaktische
Indikation zur Sicherung/Ableitung einer Ösophagusanastomose (Lebensbedrohung durch
Mediastinitis). Bei Hohlraumbildung durch größere Defekte oder beim Belassen eröffneter
Schleimbeutel kann eine Drainage zur Gewährleistung des ungehinderten Abflusses von
Zellresten, Blut, Lymphe, Galle und Wundsekret sowie zur Wundflächenadaptation erforderlich
sein (z. B. nach Eingriffen an Leber- und Gallenwegen, Pankreas, Magen, Thorax, Mediastinum,
Milz-, Kolon-, Rektumresektion, Lymphknotendissektion). Für die hepatobiliäre, Pankreas-
und Schilddrüsenchirurgie haben sich routinemäßige Drainagen dagegen nicht als vorteilhaft
erwiesen (Domínguez Fernández und Post 2003). Für die prophylaktische Drainage in
der kolorektalen Chirurgie konnte kein präventiver Einfluss auf die Anastomosenleakage
und die SSI-Rate nachgewiesen werden (Jesus et al. 2004). Auch bei subkutaner Penrose-Drainage
war kein signifikanter Einfluss auf die Prävention einer SSI nachweisbar (Imada et
al. 2013).
Wunddrainagen sollen nur bei entsprechender Indikation und so kurz wie möglich eingesetzt
werden. Offene Drainagen sind wegen des Infektionsrisikos nicht zu verwenden. Sofern
Drainagen indiziert sind, sollen sie über eine separate Inzision ausgeleitet werden
(Oldhafer et al. 2007).
Die geschlossene Drainage ist mit dem Auffanggefäß ohne Diskonnektionsmöglichkeit
fest verbunden. Das Auffangsystem wird aufgrund seines Fassungsvermögens (> 1 l) nicht
zwischenzeitlich entleert, sondern zusammen mit der Drainage entfernt. Der Drain ist
mittels Naht zu fixieren. Die Punktionsstelle ist mit sterilem Verband ohne Abknicken
der Drainage abzudecken. Die optimale Drainage sollte nicht nur unterschiedliche Saugleistungen
ermöglichen, diese sollten innerhalb des geschlossenen Systems je nach Heilungsstadium
auch variierbar sein (Roth et al. 2006). Bei geplant länger liegenden Wunddrainagen
empfiehlt sich ein Saugsystem mit Rücklaufsperre. Beim Wechsel des Auffangbehältnisses
ist Asepsis zu wahren (Händedesinfektion, nichtsterile Handschuhe, Desinfektion der
Konnektionsstelle mit Hautantiseptikum).
Surveillance von SSI: Die Infektions-Surveillance (Kap. 3.1) ist im IfSG verbindlich
festgelegt und dient der Evaluierung der Maßnahmen der Primärprävention. Sie beinhaltet
die fortlaufende Erfassung von SSI auf der Basis der Definitionen der CDC mit Analyse
und Interpretation der Situation. Allein durch ihre Einführung wird das Infektionsrisiko
gesenkt (Molina-Cabrillana et al. 2007). Für die Surveillance von SSI ist mindestens
eine sog. Marker-OP auszuwählen (KRINKO 2000b). Wegen der Vergleichbarkeit kann es
vorteilhaft sein, hierfür einen aseptischen Eingriff auszuwählen. Entscheidend ist,
dass sich für die Marker-OP eine repräsentative Anzahl ergibt. Im Modul OP-KISS können
häufig vorkommende bzw. besonders relevante Indikator-Operationen ausgewählt werden
(Gastmeier et al. 2012).
OP-Technik und chirurgische Erfahrung: Atraumatisches Gewebehandling ist eine wichtige
Voraussetzung für die primäre Wundheilung und somit für die Vermeidung von SSI (McHugh,
Hill und Humphreys 2011). In der Literatur finden sich keine Hinweise auf eine Korrelation
von chirurgischer Exzellenz und SSI-Rate, wohl aber auf eine solche mit chirurgischer
Expertise. Chirurgen mit hoher Fallzahl (jenseits der Lernkurve) hatten bei der minimal-invasiven
Rektumchirurgie deutlich weniger SSI als Kollegen in der Lernkurve (Ito et al. 2009).
SSI-Bundle: Für Bündelstrategie
Surgical Site InfectionsBündelstrategiedie Prävention von SSI hat es sich als effektiv
erwiesen, besonders wichtige Maßnahmen zu einem sog. Maßnahmenbündel zusammenzufassen,
das Bündel zu trainieren und dessen Einhaltung in Form einer Selbstkontrolle mittels
Checkliste zu überwachen (Corcoran et al. 2013; Lavu et al. 2012; Trussell et al.
2008), weil dadurch die Compliance der Durchführung verbessert wird (Aboelela, Stone
und Larson 2007; Ecri Institute 2007). Die Bundle-Strategie begleitet die Kultur der
Null-Toleranz gegenüber Nichteinhaltung der gesicherten Maßnahmen zur Prävention von
SSI. Ein SSI-Bundle sollte das risikoadaptierte präoperative MRSA-Screening, die indikations-
und zeitgerechte PAP, die standardisierte präoperative Hautantiseptik, die aseptische
Disziplin des OP-Teams und die Surveillance umfassen.
Fehleranalyse: Mehr als zwei Fehler bei der PAP (z. B. falscher Zeitpunkt, falsche
Auswahl des Antibiotikums) hatten einen signifikanten Einfluss auf die SSI-Rate (Young
et al. 2011). Ebenso war allein durch die Kontrolle der Einhaltung der PAP mittels
Checkliste eine signifikante Senkung der SSI erreichbar (Hayenes et al. 2009).
5.5.3
Schutz vor Infektionen durch blutübertragbare Viren
Blutübertragbare Viren stellen für Patienten und Personal ein Risiko dar.
Erkrankungen an akuter Virushepatitis und Erregernachweise für HBV, HCV (namentlich)
und HIV (nichtnamentlich) sind gemäß IfSG meldepflichtig.
Personalgefährdung: In der Dialyse war nach Pflege HCV-positiver Patienten trotz der
Hepatitis-C-VirusPersonalgefährdung
Hepatitis-B-VirusPersonalgefährdung
Human Immunodeficiency VirusPersonalgefährdungbekannten Maßnahmen zur Vermeidung einer
Kontamination der Hände mit Blut während des direkten Patientenkontakts signifikant
häufiger HCV-RNA an den Händen der Mitarbeiter nachweisbar (Alfurayh et al. 2000).
Eintrittspforte für HBV und HCV ist in chirurgischen Disziplinen in erster Linie das
Panaritium, gefolgt von Stich- und Schnittverletzungen. In der akuten virämischen
Phase sind von Patienten mit HBV bis zu 5 × 108 (Zyzik et al. 1986), bei Patienten
mit HCV bis zu 107 infektiöse Einheiten/ml Blut nachweisbar (Davies und Lau 1995).
Eine fast unsichtbare Menge Blut (1 µl) kann noch immer infektiös für HBV und HCV
sein. Aufgrund der in bis zu 83 % unbemerkten Perforation von OP-Handschuhen (Thomas,
Agarwal und Mehta 2001) kam es bei 13 % der Mitarbeiter zur Ansammlung nachweisbarer
Blutmengen im Handschuh (Naver und Gottrup 2000).
Die Impfung ist nur bei HBV möglich, wobei die Effektivität des Impfstoffs sehr hoch
ist (Kralj et al. 1998). Umso unverständlicher ist die unterlassene Schutzimpfung.
Bei akzidenteller Kontamination des Personals sind unverzüglich die empfohlenen Sofortmaßnahmen
einzuleiten (Kap. 5.29.4).
Patientengefährdung: Der Patient Hepatitis-B-VirusPatientengefährdung
Hepatitis-C-VirusPatientengefährdung
Human Immunodeficiency VirusPatientengefährdungkann durch infektiöse Mitarbeiter mit
HBV, HCV oder HIV infiziert werden. Beispiel: Ein Assistenzarzt in der Anästhesie,
der von einem HCV-Indexpatienten infiziert wurde und erst nach 6 Wochen eine klinisch
apparente Hepatitis aufwies, führte in diesem Zeitraum weitere Narkosen durch. Gleichzeitig
hatte er am rechten Mittelfinger eine Wunde, die wiederholt blutete bzw. aus der Exsudat
austrat. Während der Arbeit am Patienten trug der Mitarbeiter keine Handschuhe. Nachfolgend
wurde bei 5 Patienten eine Hepatitis C nachgewiesen, die außer der Behandlung durch
diesen Arzt keine Risikofaktoren für eine Hepatitis C aufwiesen. Obwohl der genaue
Übertragungsweg nicht bewiesen werden konnte, wurde die Übertragung durch die Hautläsion
des Arztes als die wahrscheinlichste angesehen (Ross et al. 2000).
Insgesamt sind mehr als 40 Fälle bekannt, in denen HBV von Ärzten auf Patienten übertragen
wurden, wobei von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird (Beier et al. 2000).
Das kalkulierte Risiko einer HCV-Infektion wird bei unbekanntem Serostatus des Operateurs
mit 0,00018 %, bei positivem HCV-Status mit 0,014 % angegeben (Ross, Viazov und Roggendorf
2000), d. h., die Wahrscheinlichkeit der Übertragung bei mindestens 1 von 5 000 Operationen
innerhalb von 10 Jahren beträgt 0,9 % (unbekannter Serostatus des Operateurs) bzw.
50,3 % (positiver HCV-Status des Operateurs).
Der Schutz des Patienten istHepatitis-B-VirusSchutz des Patienten
Hepatitis-C-VirusSchutz des Patienten
Human Immunodeficiency VirusSchutz des Patienten nicht einfach sicherzustellen. Nach
aktueller Rechtsprechung handelt es sich bei HBV- bzw. HCV-positiven Mitarbeitern
um Carrier. Grundsätzlich kann die zuständige Behörde Kranken, Krankheitsverdächtigen,
Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern die Ausübung beruflicher Tätigkeiten ganz
oder teilweise untersagen. Kommt es zur Untersagung der beruflichen Tätigkeit, muss
berücksichtigt werden, dass die Maßnahme notwendig, geeignet und verhältnismäßig sein
muss. Bei Feststellung einer Infektiosität des Arbeitnehmers für HBV, HCV bzw. HIV
ist die individuelle Beratung des Arbeitnehmers durch den Betriebsarzt zum weiteren
beruflichen Einsatz erforderlich (Kap. 5.29.2).
5.5.4
Effektivität der Prävention
Durch Einhaltung der Hygieneregeln kann ein substanzieller Anteil von SSI verhindert
werden. In der SENIC-Studie wurde durch retrospektive Analyse von 339 000 Patientenakten
der Jahre 1970–1975 ermittelt, dass etwa ein Drittel der NI durch ein Infektionssurveillance-
und Kontrollprogramm mit fortlaufender Überprüfung der Maßnahmen der Primärprävention,
der Surveillance von NI und der personellen Realisierung des Präventionsprogramms
(Pflegefachkraft für Krankenhaushygiene und ein für die Infektionsprävention spezialisierter
Arzt) vermeidbar ist (Haley et al. 1985).
Die Umsetzung akzeptierter Standards zur Prävention von SSI ist immer dann besonders
erfolgreich, wenn unterschiedliche, einander ergänzende Maßnahmen in Form des Multibarrierensystems
der Primärprävention mit Einführung sog. Bundles etabliert werden und die Effektivität
durch Infektionssurveillance ermittelt wird (Kap. 3.1).
Studien zur Compliance bestätigen die Notwendigkeit einer konsequenten Umsetzung evidenzbasierter
Maßnahmen (Howard et al. 2009; Spady, de Gara und Forgie 2008). So lag die Compliance
z. B. für die PAP bei nur 80 % (Pons-Busom et al. 2004) und wurde ihr Zeitpunkt nur
in 29 % der Fälle eingehalten (Yalcin et al. 2007). In einer prospektiven, doppelblinden
Kohortenstudie konnte die Compliance zur zeitgerechten PAP von 5,9 auf 92,6 % und
zur perioperativen Normothermie von 60,5 auf 97,6 % verbessert werden (Forbess et
al. 2008).
Voraussetzung für die Umsetzung infektionspräventiver Maßnahmen sind die Ausarbeitung
des Hygieneplans und seine Präzisierung durch SOPs. Damit der Hygieneplan umgesetzt
wird, müssen bei jedem Mitarbeiter das Problembewusstsein provoziert und die Einhaltung
der zuvor im Team erarbeiteten Regelungen überwacht werden. Eine wirksame Methode
ist die Kontrolle mittels Checklisten, z. B. wurde ein Infektionspräventions-Check-in
mit 12 Items entwickelt, der vom Chirurgen vor jeder OP auf Einhaltung überprüft wird
(Kramer, Schilling und Heidecke 2010). Zur Überprüfung der Einhaltung von Hygienemaßnahmen
in der postoperativen Betreuung wurde der sog. Infektionspräventions-Check-out mit
15 Items entwickelt (Kap. 8.14). Hierdurch erhält der Patient die Möglichkeit der
Bewertung ausgewählter Hygienemaßnahmen (Kramer, Schilling und Heidecke 2010).
Prinzipiell besteht unter Chirurgen eine große Akzeptanz für Lehrvideos als Lernmedium.
Deshalb wurde zur Unterstützung der Umsetzung der World Alliance for Patient Safety
von 2004 ein Lehrfilm zur Prävention postoperativer Wundinfektionen erstellt (Oldhafer
et al. 2009).
Das Einhalten der Standards durch jeden Mitarbeiter – sog. Nulltoleranz gegenüber
Handlungslücken – kann den Anteil der SSI auf das unvermeidbare Minimum reduzieren.
Aufgrund der endogenen Entstehung von SSI und der nicht komplett realisierbaren Distanzierung
des Patienten vor Krankheitserregern gibt es jedoch kein Nullrisiko für SSI.
5.6
Orthopädie und Unfallchirurgie
Julia Seifert, Dirk Stengel und Axel Ekkernkamp
5.6.1
Epidemiologie
2013 wurden in OrthopädieSSI-Epidemiologie
UnfallchirurgieSSI-Epidemiologie
Surgical Site InfectionsOrthopädie
Surgical Site InfectionsUnfallchirurgieDeutschland allein in den Krankenhäusern mehr
als 16 Mio. chirurgische Interventionen durchgeführt (www.gbe-bund.de). Mit etwa 4,5
Mio. Eingriffen an den Bewegungsorganen liegen Orthopädie und Unfallchirurgie an der
Spitze der Eingriffsstatistik chirurgischer Fächer. Bei mehr als 370 000 gelenkersetzenden
Maßnahmen pro Jahr in deutschen Kliniken und einer SSI-Rate von 1–2 % (Geipel und
Herrmann 2004; Frommelt 2004; Trampuz et al. 2007) entstehen rein rechnerisch 3 700–7
400 behandlungsassoziierte Infektionen pro Jahr. Berücksichtigt man die erhöhte SSI-Rate
von bis zu 5 % in sog. Risikokollektiven (Wechseloperationen, durchgemachte Infektionen
u. a.), könnte die Zahl der SSI auf 18 500 ansteigen.
1994 wurde die NIDEP 1 als erste repräsentative bundesweite Studie zur Prävalenz von
NI in Deutschland durchgeführt (Kap. 3.1). Die Prävalenz von NI betrug damals bei
internistischen Patienten3,0 %, bei chirurgischen Patienten 3,8 %, bei gynäkologisch-geburtshilflichen
Patienten 1,5 % und bei Intensivpatienten 15,3 %. Für die Unfallchirurgie und Orthopädie
werden seit 1996 die SSI nach festgelegten Tracer-OPs (Knie- und Hüftgelenkersatz,
proximale Oberschenkelfrakturversorgung, Osteosynthese des Sprunggelenks, Hallux valgus
OP, Spondylodese) im KISS ausgewertet. Die nationale Punktprävalenzstudie 2011 zeigte
für die Gesamtprävalenz der NI (3,4 %) keine statistisch signifikante Änderung gegenüber
NIDEP-1; jedoch ergab sich eine neue Rangfolge: SSI lagen mit 24,3 % an der Spitze
aller NI (Behnke et al. 2013).
Die Diskussion um „Vision-Zero“ oder „Targeting-Zero“, d. h. das Erstreben einer Null-Infektionsrate
nach operativen Eingriffen, ist aus chirurgischer Sicht kritisch. Sie gibt der Laien-Öffentlichkeit
eine Zielvorstellung, die unter realen Umständen nicht erreichbar sein wird, vor.
Eine SSI ist auch bei aseptischen Eingriffen als nicht vollständig vermeidbares Risiko
einzuordnen, da weder die Haut vollständig dekontaminierbar, noch eine intra- und/oder
postoperative Bakteriämie durch PAP sicher vermeidbar ist. Schließlich kann abhängig
von der Größe des OP-Zugangs auch ein Erregereintrag über die Raumluft stattfinden.
Im europaweiten Vergleich von SSI-Raten nach der Implantation von Hüft- und Knieendoprothesen
erreicht Deutschland insbesondere in Bezug auf A3-Infektionen (Abb. 5.3
, Abb. 5.4
) nicht ganz den EU-Durchschnitt – es besteht also ein Potenzial zur Reduktion.
Abb. 5.3
Kumulative Inzidenz der SSI-Raten von Hüftendoprothesenimplantationen 2010–2011 (aus:
Surveillance of Surgical Site Infections in Europe 2010–2011)
[W922-001/L106]
Abb. 5.4
Kumulative Inzidenz der SSI-Raten von Knieendoprothesenimplantationen (2010–2011)
(aus: Surveillance of Surgical Site Infections in Europe 2010–2011)
[W922-001/L106]
5.6.2
Pathogenese von SSI
Die OrthopädieSSI-Pathogenese
UnfallchirurgieSSI-PathogeneseAngabe einer Kontaminationsklasse reicht nicht mehr
aus, um das Infektionsrisiko für SSI abzuschätzen. Vielmehr sind zahlreiche individuelle,
patienteneigene und operationsbedingte Risiken beschrieben, die mit einem erhöhten
postoperativen Infektionsrisiko einhergehen und auch bei aseptischen, sauberen Eingriffen
oder bei nicht kontaminiertem Gewebe zu infektiösen Komplikationen führen können (Tab.
5.10
).
Tab. 5.10
Risikofaktoren OrthopädieSSI-RisikofaktorenUnfallchirurgieSSI-Risikofaktorenfür die
Entstehung von SSI
Patienteneigene Faktoren
Chirurgische Faktoren
Präoperativ
Intraoperativ
Postoperativ
•
Alter (Zunahme pro Dezennium) (Lizan-Garcia, Garcia-Caballero und Asensio-Vegas 1997;
Zelenitsky et al. 2000)
•
Diabetes mellitus (Zelenitsky et al. 2002)
•
Immuninkompetenz
•
Reduzierter Allgemeinzustand
•
Übergewicht (Itani et al. 2008; Lofgren et al. 2005)
•
Mangelernährung
•
ASA-Score > II (Irribarren und Araujo 2006)
•
MRSA/MSSA-Träger (Chaberny und Gastmeier 2009; Finkelstein et al. 2002; Perl und Roy
1995)
•
Fieber/Schüttelfrost innerhalb einer Woche vor der Operation
•
Weibliches Geschlecht bei Eingriffen am Kolon, Kardiochirurgie (Salehi et al. 2007)
•
Männliches Geschlecht nach Trauma, in der Gefäßchirurgie, bei Kniegelenkersatz (Jamsen
et al. 2009)
•
Dialysepatienten
•
Hepatitis
•
Stoma (Zelenitsky et al. 2000)
•
Drogenabusus
•
Infektionen anderer Lokalisation
•
Arterielle Mangeldurchblutung
•
Periphere Ödeme
•
Lymphangitis
•
Neuropathie
•
Vorausgegangene Antibiotikatherapie (Garcia Prado et al. 2008)
•
Rauchen (Khan, Manan und Qadir 2006)
•
Linksherzversagen nach koronarem Bypass (Rosmarakis et al. 2007)
•
Bakterielle Translokation bei Laparotomie (MacFie et al. 2006)
•
Rheumatoide Arthritis bei Kniegelenkersatz (JAmsen et al. 2009)
•
Zirrhose (Pessaux et al. 2005)
•
Notfalloperation
•
Längerer präoperativer Krankenhausaufenthalt
•
Falsche Wahl des Antibiotikums
•
Zeitpunkt der Antibiotika-Gabe: mehr als 2 Stunden zu früh oder zu spät (Classen et
all. 1992)
•
Wundklassifikationen kontaminiert-schmutzig
•
Vorbestrahlung
•
Hochrisiko-Operation
•
Rezidiveingriffe
•
Steine im Gallengang, Gallengangsverschluss
•
Erhöhte Werte für C-reaktives Protein
•
Fremdkörperimplantation
•
Rasur nicht unmittelbar vor OP
•
Präoperative Urinkatheter (Pessaux et al. 2005)
•
Vorausgegangene (neurochirurgische) Eingriffe (Lietard et al. 2008)
•
Erfahrung des Chirurgen (Gislason, Søreide O und Viste 1999, Medina et al. 1997)
•
Operationsdauer über 2 h (Zunahme je h)
•
Infizierter Operationsbereich
•
Kontaminierter Operationsbereich
•
Bluttransfusion, Albuminzufuhr
•
Lange Anästhesiedauer
•
Mehr als ein operativer Eingriff
•
Diathermie
•
Sauerstoffabfall
•
Unterkühlung (Scott und Buckland 2006)
•
Wundstapler
•
Unvorhersehbare Komplikationen
•
Operationstechnik (Nichols, Condon und Barie 2005)
•
Unterkühlung
•
Ineffektive Wirkspiegel (Zelenitsky et al. 2000)
•
Verfahrenswechsel Laparoskopie/Laparotomie (Chaberny und Gastmeier 2009; Chen et al.
2008)
•
Enterokokken, Enterobakterien, Bacteroides fragilis in der Wunde (Rode, Brown und
Millar 1993)
•
Drainagedauer länger als 3 Tage
•
Respiratorische Sepsis
•
Invasive Techniken, Urinkatheter, Thoraxdrainage, Nasensonde. zentraler Venenkatheter
•
Nachweis von Dialyse (Centofanti et al. 2007)
•
Frühe Reoperation wegen Blutungen (Centofanti et al. 2007)
•
Liquorleck, externer Shunt (Lietard et al. 2008)
(nach Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie 2010) [X346]
Avitale Fremdkörper und Implantate wie Osteosynthesematerialien oder Endoprothesen
spielen eine große Rolle bei der Entstehung von SSI. Sie lösen chemisch lokaltoxische
Reaktionen aus: neben einem Korrosionsprozess, Metall- oder Polyethylenabrieb begünstigt
die hohe Oberflächenspannung die Adhäsion von Albumin, Wirtszellen und Mikroorganismen.
Bereits die Kolonisation von Fremdmaterial mit 102 Erregern kann eine Infektion auslösen
(Elek und Conen 1957). Nach Adhäsion der Erreger auf der Oberfläche des Fremdmaterials
kommt es bei einigen Erregern zur Proliferation und Ausbildung von Zelllayern, dem
sog. BiofilmBiofilm (Zimmerli, Trampuz und Ochsner 1998). Dieser besteht aus der zunächst
flächenhaft, dann dreidimensional wachsenden Mikroflora sowie den von ihr aus Glykosaminen
gebildeten Exopolysacchariden. Der Biofilm bietet den Erregern ausgezeichneten Schutz
und ermöglicht es ihnen, sich auf veränderte Umgebungsbedingungen einzustellen. Die
Toleranz gegenüber pH- und Temperatur-Schwankungen, Antibiotika, UV- und Röntgenstrahlung
sowie Nährstoffmangel steigt erheblich (Kap. 4.9).
Einige Erreger (S. aureus, S. epidermidis, P. aeruginosa und E. coli) sind in der
Lage, sog. Small Colony VariantsSmall Colony Variants (SCV) zu bilden, die sich durch
langsamere Vermehrung und erniedrigte Stoffwechselaktivität auszeichnen. Sie schützen
sich besonders durch ihre Inaktivität, sind schwer oder gar nicht nachweisbar und
typischerweise Auslöser von Infektionsrezidiven (Zheng et al. 2012).
Ob die Erreger erfolgreich bekämpft werden können oder ob sich eine Infektion manifestiert,
wird durch eine komplexe Interaktion zwischen Funktionsfähigkeit der eigenen Körperabwehr
(Wirtsfaktor), der Last und Virulenz der Erreger (Erregerfaktoren) sowie von operativen
Bedingungen wie Handhabung der Antibiotikaprophylaxe, gewebeschonendem Operieren (iatrogener
Faktor) und dem Implantat (Implantatfaktor) bestimmt.
5.6.3
Erregerspektrum
Etwa OrthopädieErregerspektrum
UnfallchirurgieErregerspektrumzwei Drittel der Infektionserreger gehören zum grampositiven
Spektrum. Häufigstes Agens für SSI und speziell für Infektionen von Implantaten sind
Staphylokokken (Tab. 5.11
) (Trampuz und Zimmerli 2006). Offene und verschmutzte Frakturen sind dagegen häufig
mit sog. Umwelterregern (P. aeruginosa, E. coli u. a.) kontaminiert (Hofmann 2004;
Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie 2010).
Tab. 5.11
Erregerspektrum von SSI (in %) (Daten des OP-KISS des NRZ aus den Jahren 2009–2013)
Erreger
Allgemeinchirurgie
Abdominalchirurgie
Gefäßchirurgie
Urologie
Gynäkologie
Herzchirurgie
Traumatologie/Orthopädie
Neurochirurgie
Gesamt
S. aureus
96 (33,92)
162 (4,16)
225 (36,06)
46 (20,09)
209 (23,46)
535 (25,31)
843 (32,80)
20 (35,09)
2 116 (19,96)
MRSA (Anteil an S. aureus)
13 (13,54)
50 (30,86)
46 (20,44)
11 (23,91)
17 (8,13)
106 (19,81)
122 (14,47)
365 (17,25)
Enterococcus spp.
12 (4,24)
1 069 (27,48)
101 (16,19)
38 (16,59)
87 (9,76)
182 (8,61)
289 (11,25)
5 (8,77)
1 778 (16,77)
E. coli
13 (4,59)
1 172 (30,13)
79 (12,66)
27 (11,79)
104 (11,67)
107 (5,06)
118 (4,59)
4 (7,02)
1 620 (15,28)
Koagulase neg. Staph.
21 (7,42)
128 (3,29)
75 (12,02)
19 (8,30)
97 (10,89)
557 (26,35)
507 (19,73)
7 (12,28)
1 404 (13,24)
Koagulase neg. Staph.∗
18 (6,36)
45 (1,16)
51 (8,17)
16 (6,99)
70 (7,86)
455 (21,52)
395 (15,37)
7 (12,28)
1 050 (9,90)
P. aeruginosa
4 (1,41)
221 (5,68)
49 (7,85)
3 (1,31)
20 (2,24)
72 (3,41)
66 (2,57)
2 (3,51)
435 (4,10)
Enterobacter spp.
5 (1,77)
185 (4,76)
40 (6,41)
9 (3,93)
16 (1,80)
91 (4,30)
86 (3,35)
4 (7,02)
432 (4,08)
Klebsiella spp.
5 (1,77)
212 (5,45)
28 (4,49)
5 (2,18)
27 (3,03)
59 (2,79)
37 (1,44)
373 (3,52)
Proteus spp.
4 (1,41)
145 (3,73)
35 (5,61)
2 (0,87)
49 (5,50)
54 (2,55)
56 (2,18)
1 (1,75)
345 (3,25)
Bacteroides spp.
4 (1,41)
235 (6,04)
7 (1,12)
3 (1,31)
15 (1,68)
3 (0,14)
7 (0,27)
274 (2,58)
Citrobacter spp.
2 (0,71)
91 (2,34)
10 (1,60)
1 (0,44)
6 (0,67)
23 (1,09)
7 (0,27)
140 (1,32)
C. albicans
1 (0,35)
85 (2,19)
4 (0,64)
2 (0,87)
2 (0,22)
20 (0,95)
8 (0,31)
122 (1,15)
C. albicans
∗
1 (0,35)
14 (0,36)
1 (0,16)
1 (0,44)
2 (0,22)
8 (0,38)
6 (0,23)
33 (0,31)
Anzahl der Erreger in der Tabelle
167
3 705
653
155
632
1 703
2 024
43
9 039
Anzahl der anderen Erreger
39
386
63
19
137
231
473
8
1 348
Anzahl der Erreger insgesamt
206
4 091
716
174
769
1 934
2 497
51
10 387
Anzahl Infektionen ohne Erreger
105
1 394
106
87
300
481
466
13
2 939
Anzahl Infektionen mit Erreger
178
2 496
518
142
591
1 633
2 104
44
7 662
Anzahl Infektionen insgesamt
283
3 890
624
229
891
2 114
2 570
57
10 601
∗
als alleinige Erreger
[T745]
Etwa 25 % der SSI werden durch gramnegative Stäbchenbakterien und ca. 10 % durch obligate
Anaerobier verursacht.
Der Nachweis von MSSA im OrthopädieMSSA
UnfallchirurgieMSSANasenvorhof ist mit einem erhöhten SSI-Risiko verbunden, weshalb
bei elektiver Endoprothetik ein entsprechendes Screening und ggf. eine Eradikation
erfolgen sollte (Chen, Wessel und Rao 2013; Perl et al. 2001).
MRSA: Seit den 70er-Jahren wirdMethicillin-resistenter Staphylococcus aureusOrthopädie
Methicillin-resistenter Staphylococcus aureusUnfallchirurgie
OrthopädieMRSA
UnfallchirurgieMRSA eine Zunahme von MRSA beobachtet. Die Eradikation ist mit einer
signifikanten Senkung von SSI nach orthopädischen OPs verbunden und ist zugleich kosteneffektiv
(Lee et al. 2010). Für die Therapie stehen stamm- und empfindlichkeitsabhängig Cotrimoxazol,
Fosfomycin, Fusidinsäure, Vancomycin, Daptomycin, Linezolid und Tigecyclin zur Verfügung,
wobei zu beachten ist, dass einige dieser Antibiotika nicht für die Behandlung von
Knocheninfektionen zugelassen sind (sog. Off-label use).
MRGN: In den letzten Jahren Multiresistente gramnegative ErregerSurgical Site Infections,
Orthopädie
Multiresistente gramnegative ErregerSurgical Site Infections, Unfallchirurgie
OrthopädieMRGN
UnfallchirurgieMRGNzeichnet sich eine zunehmende Resistenz innerhalb der gramnegativen
Stäbchenbakterien ab. Zu den Ursachen gehört auch der stetig zunehmende Tourismus
in Länder mit endemischem Vorkommen, mit niedrigeren hygienischen Standards und mit
unkontrolliertem Antibiotikaverbrauch. Neben Kriegsverletzten und Soldaten haben auch
zivile Reisende, die Kontakt zum ausländischen Gesundheitssystem solcher Länder hatten,
ein hohes Risiko, sich mit MRGN zu kontaminieren. Bei stationärer Aufnahme in heimische
Krankenhäuser können sie zum Auslöser von NI werden. Im Rahmen des seit 2012 von der
KRINKO empfohlenen Screenings (Kap. 3.8) wurden 20 % der unfallchirurgischen bzw.
traumatologischen Patienten mit unmittelbarem Kontakt zum Ausland (Urlaub) bzw. ausländischen
Gesundheitssystemen MRE-positiv gescreent. Mehr als zwei Drittel (81 %) davon waren
MRGN (Seifert et al. 2014). Da Sanierungsmaßnahmen für MRGN derzeit nicht sinnvoll
erscheinen, ist die präventive Hygiene von besonderer Bedeutung. Kliniken sollten
für die Behandlung von Infektionen mit MRGN ein Antibiotikamanagement erarbeiten (McPherson
1999).
5.6.4
Diagnostik und Nachweisverfahren
Die Diagnose einer Infektion beruht auf der Inspektion und Untersuchung, bei der auf
die 5 typischen klinischen Zeichen (Rubor, Tumor, Calor, Dolor und Functio laesa)
zu achten ist, auf radiologisch nachweisbaren Veränderungen im Röntgenbild und MRT
(Weichteilinfiltrationen und -abszesse, Osteolysen, periostale Reaktionen, Sequester,
Implantatlockerung, ausbleibende knöcherne Durchbauung) sowie auf einen positiven
Erregernachweis.
MRT-UntersuchungenOrthopädieSSI-Diagnostik
UnfallchirurgieSSI-Diagnostik gehören zum Standardverfahren in der Diagnostik von
Weichteil-, Knochen- und Implantat-assoziierten Infektionen und können auch bei einliegendem
Material mit guter oder ausreichender Qualität durchgeführt werden. Dabei sind die
Größe des Implantats und die magnetische Flussdichte (Tesla) ausschlaggebend dafür,
ob ein MRT möglich oder kontraindiziert ist. Zu große Implantate erhitzen sich und
liefern eine schlechte Bildqualität.
Wichtigstes Kriterium für den Nachweis einer manifesten SSI ist der Erregernachweis.
Dazu sollten immer aus verschiedenen Regionen des Infektionsgebiets drei bis sechs
Abstriche gewonnen werden. Günstigerweise erfolgen sie vor der Antibiotikaerstgabe.
Besser als Abstriche sind Abradate, die ebenfalls kulturell aufgearbeitet werden können.
Außerdem sollten tusätzliche Abradate für eine histologische Untersuchung gewonnen
werden.
Die Abstrichentnahme ist im Rahmen jeder Revisionsoperation obligat, sollte aber erst
am Ende der OP, also zur Kontrolle des Therapieerfolgs, erfolgen. Abstriche aus purem
Eiter sind häufig steril.
Wichtig ist, dass Abstriche/Abradate mit 1 ml steriler physiologischer Kochsalzlösung
in sterilen Röhrchen keinesfalls länger bals 2 h transportiert werden. Prinzipiell
sollten die Transportzeiten der Proben so kurz wie möglich sein und soltle der Transport
bei Raumtemperatur erfolgen, um falsch positive und falsch negative Ergebnisse zu
minimieren. Punktate in sterilen Spritzen sollten nicht mehr als 30 min nach der Entnahme
im Labor verarbeitet werden. Sie können den Verdacht innerhalb kürzester Zeit bei
positivem Befund durch Gramfärbung und mikroskopische Untersuchung bestätigen (Sensitivität
10–30 %, Spezifität > 90 %). Bei Punktaten mit > 10 ml sollten aerobe und anaerobe
Blutkulturflaschen beimpft werden. Die angesetzten Kulturen sollten mindestens 14
d bebrütet werden, da andernfalls mit falsch negativen Ergebnissen zu rechnen ist.
Das gilt besonders für den Nachweis von Propionibakterien, die nahezu regelhaft erst
in der zweiten Woche der Bebrütung nachgewiesen werden konnten (Schäfer et al. 2008).
Bei wiederholt negativen Ergebnissen empfiehlt es sich, Nukleinsäure-Amplifikationsverfahren
(Breitspektrum-PCR, Erregerspezifische PCR) durchzuführen. Allerdings sind diese Verfahren
teuer, weisen eine hohe Sensitivität und geringere Spezifität auf und können noch
nicht zu den Standardverfahren gezählt werden.
Paraklinische Parameter wie CRP, Leukozyten, PCT und BSG sind unspezifisch. Sie eignen
sich üblicherweise als Verlaufsparameter und insbesondere zur Beurteilung des Therapieerfolgs,
wenn sie initial erhöht waren.
Ein weiterer diagnostischer Ansatz bei Implantatinfektionen besteht darin, das entfernte
Material in einen sterilen Behälter zu geben, um den Biofilm im Labor durch Ultraschallbehandlung
abzulösen (SonifikationSonifikation). Hierdurch lässt sich die Sensitivität des kulturellen
Keimnachweises insbesondere bei Patienten mit Antibiotikabehandlung signifikant verbessern
(Vester et al. 2010).
5.6.5
Therapie
Unabhängig von der Infektionsgenese besteht die Therapie aus einer Kombination von
chirurgischem Vorgehen und antibiotischer Behandlung.
Antibiotikatherapie: Leitlinien OrthopädieAntibiotikatherapie
UnfallchirurgieAntibiotikatherapie
AntibiotikatherapieOrthopädie
AntibiotikatherapieUnfallchirurgieund Empfehlungen zur spezifischen Antibiotikatherapie
typisch orthopädisch-unfallchirurgischer Infektionen (Implantatinfektionen, Osteitis,
septische Arthritis oder Spondylodiszitis) existieren derzeit nicht. Die 2012 vom
BMG implementierte ART-Kommission hat die jeweiligen Fachgesellschaften aufgefordert,
sich mit der Erstellung solcher Leitlinien zu beschäftigen. Die ART-Kommission empfiehlt
außerdem die künftige Bestellung sog. ABS-Experten und -beauftragter für Kliniken
und Praxen, die im Rahmen von ABS-Kursen (Antibiotic Stewardship) besondere Kompetenzen
für einen rationalen Einsatz von Antibiotika erlangen (Wolcott und Ehrlich 2008).
Im Rahmen der Novellierung des IfSG wurden länderspezifische Hygieneverordnungen erlassen,
in denen u. a. die Einrichtung einer Hygienekommission vorgeschrieben ist. Ihre Aufgaben
sind aufgrund der föderalen Struktur Deutschlands unterschiedlich definiert worden.
In einigen Ländern wird ihr auch die Erstellung von Antibiotikaempfehlungen nach hausinterner
Erreger- und Resistenzstatistik, die in Zusammenarbeit mit den beratenden Mikrobiologen
und der Arzneimittelkommission erarbeitet werden sollte, zugewiesen.
Eine generelle Empfehlung für eine spezifische Antibiotikatherapie ist nur eingeschränkt
möglich, da Faktoren wie hausinterne Resistenz, patienteneigene Risikofaktoren, Erregerart,
Resistenz und Virulenz Einfluss auf die Wahl des Antibiotikum haben.
Bei unkomplizierten postoperativen Wund- und Weichteilinfektionen kann Ampicillin/Sulbactam
eingesetzt werden. Komplizierte Wund- und Weichteilinfektionen und/oder Fremdkörper-assoziierte
Infektionen erfordern aufgrund des beschriebenen Pathomechanismus der Biofilmbildung
und der möglichen Entwicklung von SCV eine antibiotische Kombinationstherapie (Tab.
5.12
). Diese muss resistenzgerecht sein, sollte einen bakteriziden Wirkmechanismus sowie
gute Knochen- und Gewebegängigkeit haben und eine niedrige Rate spontaner Resistenzentwicklung
aufweisen.
Tab. 5.12
Geeignete Antibiotika für Infektionen im Bereich Unfallchirurgie und Orthopädie
Erreger
Antibiotikum
S. aureus, S. epidermidis
Ampicillin/SulbactamRifampicin + Penicillin oder ChinolonFosfomycin + ChinolonCephalosporin,
Glykopeptid
S. aureus (MRSA)
Vancomycin + RifampicinAlternativ: Daptomycin∗, Linezolid∗
Streptokokken, Enterokokken
AminopenicillineAlternativ: 3. Generationscephalosporine
Gramnegative Erreger
3. Generationscephalosporin + Chinolone
Anaerobier
ClindamycinAlternativ: Carbapeneme
∗
(keine Zulassung zur Therapie von Knocheninfektionen, sog. Off-label use)
Die Dauer der systemischen Antibiotikatherapie sollte bei Infektionen von Osteosynthesen
für mindestens 6 Wochen und bei Protheseninfekten für mindestens 12 Wochen erfolgen
(Trampuz et al. 2007). Vor einer Reosteosynthese oder einer Prothesen-Reimplantation
sollte eine zweiwöchige Antibiotikapause eingehalten werden.
Stengel et al. (2001) zeigten in ihrer Metaanalyse zum Thema Antiobiotikatherapie
von Knochen- und Gelenkinfektionen die methodischen Schwächen von 22 RCTs und 3 quasi
RCTs mit insgesamt 927 Patienten. Nur 12 Studien lieferten Ergebnisse zum primären
Endpunkt (Infektionsfreiheit nach 1 Jahr), 8 Studien wiesen eine nicht verblindete
Randomisierung, stark heterogene Patientenpopulationen und z. T. erhebliche Schwächen
im Bereich der Erregergewinnung (Punktate und Gewebe nur in 7 Studien) auf. Die Studie
von Zimmerli, Trampuz und Ochsner Zimmerli et al. (1998) liefert die Basis für die
noch heute gültige Kombinationstherapie mit Rifampicin und Chinolonen bei Implantatinfektionen
mit Staphylokokken. Fazit dieser Metaanalyse war, dass keine Überlegenheit eines Therapieansatzes
über einen anderen nachgewiesen werden konnte, dass sich ein Benefit für die Kombinationstherapie
Rifampicin/Fluorchinolone zeigte, dass das chirurgische Vorgehen ein wesentlicher
Kofaktor für eine erfolgreiche Sanierung ist, dass eine Eradikation bei 77 % der Patienten
gelang und dass in immerhin 19 % der Fälle unerwünschte Ereignisse auftraten. Da Fluorchinolone
zu den sog. Reserveantibiotika zählen, sollte ihr Einsatz rational und nur unter Hinzuziehung
mikrobiologischer Expertise erfolgen (Wolcott und Ehrlich 2008).
Die systemische Antibiotikatherapie kann z. B. bei offenen und verschmutzten Frakturen
durch lokale Platzierung antiobiotikahaltiger Träger ergänzt werden (Ostermann, Seligson
und Henry 1995).
Lokale Antibiotikatherapie: Als Trägermaterialien kommen resorbierbares Kollagen oder
bei Osteitis mit knöchernen Defekten Polymethylmethacrylat (PMMA) infrage. Dem Zement
können bestimmte hitzeresistente Antibiotika (Ampicillin, Gentamycin, Amikacin, Vancomycin,
Clindamycin, Teicoplanin, Daptomycin, Linezolid, Ofloxacin) zugemischt werden. Dabei
sollte das pulverisierte Antibiotikum 10 % der Gesamtpulvermenge nicht überschreiten
(Hendrich, Frommelt und Eulert 2004). Zu beachten ist, dass der mit einem Antibiotikum
vermischte Zement ein modifizeirtes MP ist. Der Patient ist daher vorab über das Vorgehen
aufzuklären und muss einwilligen. Günstig sind kommerzielle gentamicinhaltige Zementgemische,
die sich durch Zugabe von z. B. Vanco- und Clindamycin besonders in der Therapie von
Problemerregern mit rezidivierender oder persistierender Infektion als vorteilhaft
erwiesen haben. Ein interessanter Aspekt ist, dass Vancomycin die Freigabe anderer
zugesetzter Antibiotika verbessert (Gentamicin, Tobramycin), weshalb eine Kombination
von z. B. Vancomycin und Gentamicin im Zement sinnvoll sein kann (Penner, Masri und
Duncan 1996). Die Gefahr einer Resistenzentwicklung ist durch die hohen lokalen Konzentrationen
(das 8- bis 25-fache der MHK) gering. Systemische Nebenwirkungen sind bisher nicht
beschrieben. Die Freisetzung der Medikamente aus dem Zement ist nach ca. 3 Wochen
beendet. Zementspacer oder PMMA Ketten sollten dann nach Möglichkeit wieder entfernt
werden, da sie selber als Fremdkörper fungieren und so zur Infektionsquelle werden
können. Antibiotikahaltige Kollagenfliese sind nach 3–4 Wochen vollständig resorbiert.
Sie können im Rahmen des Resorptionsvorgangs zu unerwünschter Wundsekretion führen.
Daher empfiehlt sich die Anwendung eingefärbter Fliese, sodass das Sekret eindeutig
zuzuordnen ist.
Chirurgische Therapie: Die chirurgische Therapieplanung sollte stets die individuelle
Komorbidität des Patienten, die zugrunde liegende Verletzung, das Implantat, das Erregerspektrum
und die Compliance des Patienten berücksichtigenSurgical Site Infectionschirurgische
Therapie.
Wesentlich ist die rasche, radikale chirurgische Sanierung der Infektion durch Debridement
aller infizierten und avitalen oder minderperfundierten Gewebe. Revisions-OP erfolgen
nur, wenn im Rahmen der ersten OP keine ausreichende Radikalität erzielt werden konnte
oder die am Ende der OP gewonnenen Abstriche keine Erregerfreiheit zeigen.
Prinzipiell entspricht die operative Radikalität derjenigen bei der Tumorchirurgie.
Verschmutzte Wunden, offene Frakturen sowie stark mit Debris behaftete Wunden oder
tiefe unzugängliche Infektionsbereiche können durch eine gepulste und in Niederdrucktechnik
durchgeführte Jet-Lavage mit 1–3 l einer Ringer-Laktat- oder NaCl-Lösung gereinigt
werden. Empfehlenswert ist dabei die Anwendung von Spülungen mit 0,02 % oder 0,04
% Polihexanidlösung, die möglichst über einen Zeitraum von 5–10 min einwirken sollte.
Im Gelenkbereich kann Polihexanid allerdings aufgrund seiner Toxizität für den Knorpel
nicht angewandt werden.
Ob und zu welchem Zeitpunkt ein Implantat/eine Endoprothese entfernt werden soll und
wann eine Neuimplantation erfolgen kann, wird kontrovers diskutiert. Frühinfektionen
mit niedrig virulenten Erregern und bei geringer Komorbidität des Patienten können,
sofern keine Zeichen einer Materiallockerung bestehen, einer chirurgisch-antibiotischen
Kombinationstherapie unter Erhalt des Implantats zugeführt werden (Trampuz und Zimmerli
2006; Trampuz et al. 2007). Prothesen könnten in diesem Fall belassen, bewegliche
Teilkomponenten gewechselt oder aber ein einzeitiger kompletter Wechsel durchgeführt
werden. Bei allen anderen Infektionsformen ist die Entfernung des infizierten Implantats
bzw. der Prothese dringlich zu erwägen. Bei zementierten Prothesen ist darauf zu achten,
dass der Zement rückstandslos entfernt wird. Nach Ausbau der Prothese können Zementspacer
mit entsprechender Antibiotikazumischung eingebracht werden.
Für Frakturen, die noch nicht knöchern konsolidiert sind, muss ein Verfahrenswechsel
geplant werden. Ebenso sind alle gelockerten Osteosynthesen zu entfernen. Bis zur
Infektionssanierung kann ein Fixateur externe (monoaxial oder als Ringfixateur) angelegt
werden. Bei sicheren Zeichen für eine Osteitis oder Osteomyelitis kann eine Resektion
des infizierten Knochensegments notwendig werden. Die verschiedenen technischen Verfahren
der Kallusdistraktion und des Segmenttransports (Methode nach Ilizarov) (Schnettler
und Steinau 2004; Trampuz und Widmer 2006) einschließlich der plastischen Weichteilrekonstruktion
sollten Kliniken vorbehalten sein, die große Erfahrung in der Behandlung dieser Erkrankung
haben. Erst nach sicherer Sanierung (fehlender Erregernachweis, Leukozyten und CRP
im Normbereich, keine klinischen oder radiologischen Zeichen einer Infektion über
einen Zeitraum von mindestens 6 Wochen) ist ein erneuter Verfahrenswechsel, sofern
notwendig, empfehlenswert.
Vor einer Prothesenreimplantation empfehlen wir die operative Gewinnung von Gewebematerial
aus dem ehemals infizierten Gelenkbereich (3–6 Abradate) und den kulturellen Nachweis
von Erregerfreiheit. Die Antibiotikatherapie sollte zum Zeitpunkt der Gewebegewinnung
seit 2 Wochen beendet sein.
Zwischen den Eingriffen kann ein Wundverschluss durch eine spannungsfreie Naht erfolgen
oder, falls nicht möglich, durch temporäre Deckung mit Polyvinylalkohol Hydroschaum
oder Hautersatzstoffen. Bei erkennbarer Heilungs- und sekundärer Granulationstendenz
großer, stark sezernierender Wunden kann eine weitere Wundkonditionierung durch einen
Vakuumverband erfolgen.
Verbleibende Weichteildefekte sollten innerhalb der ersten 1–2 Wochen plastisch rekonstruiert
werden.
5.6.6
Prävention
Für Surgical Site InfectionsPrävention
Surgical Site InfectionsPräventiondie Vermeidung von SSI ist es notwendig, an mehreren
Stellen der Patientenbehandlung präventiv zu wirken. Diese Strategie wird auch als
„Bundle strategy“ (BündelstrategieBündelstrategie) bezeichnet (Schweizer et al. 2013).
Einzelaspekte dieses „Bundles“ für den Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie werden
im Folgenden dargestellt.
Kritische Indikationsstellung: Die Indikationen für sog. Bagatelleingriffe in der
Unfallchirurgie und Orthopädie (Gelenkpunktionen, Materialentfernungen etc.) sind
nach Abwägung aller bestehenden exo- und endogenen Risiken kritisch zu stellen.
Präoperative Waschung: Kontrovers diskutiert wird die präoperative antiseptische Waschung
der OP-Region, für die bisher keine Evidenz nachzuweisen ist (Wertheim et al. 2004).
Sofern keine Verschmutzung vorliegt, sind übliche Maßnahmen der Körperhygiene ausreichend.
Präoperative Rasur: Eine Haarentfernung im OP-Gebiet mittels Rasur sollte unbedingt
vermieden werden, da sie das Infektionsrisiko erhöht. Die Haarentfernung ist nur dann
zu empfehlen, wenn sie operationstechnisch notwendig ist. Empfohlen wird die Verwendung
von elektrischen Haarschneidemaschinen (Clipper) empfohlen (KRINKO 2007a).
Präoperative Antibiotikaprophylaxe: Für Antibiotikaprophylaxe, präoperativeUnfallchirurgie
Antibiotikaprophylaxe, präoperativeOrthopädieden Bereich der Unfallchirurgie und Orthopädie
ist die Effektivität der präoperativen intravenösen Single-Shot- und Kurzzeit-Antibiotikaprophylaxe
(24 h) durch Metaanalysen und durch darin nicht berücksichtigte plazebokontrollierte,
randomisierte Studien belegt (Stengel et al. 2003). Die Antibiotika sollten mindestens
30 min vor Schnittzeit infundiert werden. Ob eine erneute Gabe notwendig ist, hängt
von der Halbwertszeit des Medikaments und der OP-Dauer ab und muss individuell entschieden
werden. Der Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF hat eine Leitlinie
zur PAP erstellt (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2012a).
Ob die Antibiotika bei offenen Frakturen mit hochgradiger Verschmutzung und somit
Kontamination nicht nur einmalig (single-shot), sondern kalkuliert darüber hinaus
(kalkulierte Antibiotikatherapie) gegeben werden sollten, ist bislang nicht eindeutig
geklärt (Hauser, Adams und Eachempati 2006; Trampuz et al. 2007) und liegt damit im
Ermessen des Chirurgen. In jedem Fall sind ausreichend Abstriche und Abradate zu gewinnen,
die mikrobiologisch untersucht werden müssen. Das Antibiotikum zur kalkulierten Therapie
sollte die zu erwartenden Erreger erfassen, Dauer und Dosierung müssen adäquat sein.
OP Handschuhe: Besonders für orthopädisch-unfallchirurgische OPs findet sich eine
von der OP-Dauer abhängige im Vergleich zu anderen chirurgischen Disziplinen erhöhte
Mikroperforationsrate der Handschuhe, die gehäuft am Zeigefinger der nicht dominanten
Hand des Operateurs nachweisbar ist (Harnoss et al. 2010). Da die Perforationshäufigkeit
von zwei übereinander getragenen Handschuhen signifikant geringer als die einzeln
getragener Handschuhe, wird für alle großen und/oder lang dauernden Operationen das
Tragen von zwei Paar Handschuhe empfohlen (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen
Medizinischen Fachgesellschaften 2011).
Implantatbeschichtung: In-vivo-Studien zeigen für antibiotika- oder silberbeschichtete
Implantate eine antimikrobielle Wirkung (Webster und Osborne 2007; www.gbe-bund.de).
Da randomisierte kontrollierte Studien bisher fehlen, ist noch kein präventiver Nutzen
nachgewiesen.
Screening: Screeningmaßnahmen auf MRE für Risikopatientenkollektive sind bei stationärer
Aufnahme oder Übernahme aus dem Ausland gemäß Empfehlungen der KRINKO durchzuführen.
Sanierung von
S.-aureus
-Trägern: Patienten, bei denen eine Kontamination des Nasenvorhofs mit MSSA oder MRSA
bekannt ist, sollten vor elektiven Knochen- und Weichteileingriffen eradiziert werden,
da die Kolonisation mit einem signifikant erhöhtem Risiko für postoperative S.-aureus-Infektionen
einhergeht (de With et al. 2013).
5.7
Häufigkeit, Ursachen und Prävention von Infektionen in der Neurochirurgie
Jan-Uwe Müller und Henry W. S. Schroeder
5.7.1
Infektionsgefährdung und Einflussfaktoren auf das SSI-Risiko
Postoperative entzündliche Komplikationen bei neurochirurgischen Patienten sind selten
Surgical Site InfectionsNeurochirurgie
NeurochirurgieSurgical Site Infection
NeurochirurgieInfektionsgefahr, haben aber insbesondere bei Kraniotomien und ausgedehnten
spinalen Eingriffen oft dramatische Folgen. Neben Liquorleckagen führen sie bei etwa
1 % der Patienten zur unplanmäßigen Wiederaufnahme (Buchanan et al. 2014; Young und
Lawner 1987). Die Kenntnis von Risikofaktoren und kritischen Patientenpopulationen
ermöglicht eine bewusste Einschätzung des individuellen Risikos für einzelne Patienten
und erlaubt den Einsatz präventiver Maßnahmen (Kubilay et al. 2013; Leverstein-van
Hall et al. 2010; Prusseit et al. 2009).
Neben oberflächlichen und tiefen lokalen Infektionen mit einer Häufigkeit von 0,5–6,4
% (Tab. 5.13
), spielen systemische entzündliche Komplikationen eine wesentliche Rolle. Die Wahrscheinlichkeit
für diese Komplikationen liegt mit 5,4–6,2 % (Agarwal und Thomas 2013; erman et al.
2005) um ein Mehrfaches höher als die lokaler Infektionen. Beispielhaft zeigt das
der National Nosocomial Infections Surveillance System Report (2004) mit einer Rate
Katheter-assoziierter Harnwegsinfektionen von 6,7/1 000 Anwendungstage; auch die mit
einem ZVK oder mit invasiver Beatmung assoziierten Infektionsraten lagen mit 4,6 respektive
11,2 Ereignissen 1 000 Anwendungstage bei neurochirurgischen Patienten vergleichsweise
hoch.
Tab. 5.13
Infektionsraten bei neurochirurgischen Eingriffen
n
Lokale Infektionen (%)
Systemische Infektionen (%)
Autoren
408
0,5
0
Chang et al. 2003
2 334
1,6
5,43
Agarwal und Thomas 2003
503
Keine Angaben
6,2
Erman et al. 2005
2 944
4 %
Keine Angaben
Korinek 1997
1921/2052
2,11/5,92
Keine Angaben
Bullock et al. 1988
1711/1852
0,61/2,72
Keine Angaben
Djindjian, Lepresle und Homs 1990
2031/1992
0,51/3,52
Keine Angaben
Geraghty und Feely 1984
4181/4122
1,01/3,62
Keine Angaben
Young und Lawner 1987
2 249
6,4
Keine Angaben
Narotam et al. 1994
20 3391/11 5882
2,31/2,82
4,41/9,62
Sharma et al. 2009
3
1
unter Antibiotikaprophylaxe
2
Kontrollgruppe ohne Antibiotikaprophylaxe
3
positiver Erregernachweis in Blut/Liquor
Risikofaktoren
Zusätzliche Risikofaktoren hängen von der Art des Eingriffs, dem Kontaminationsgrad
der Wunde und den individuellen Risiken des Patienten ab. Der NNIS System Report 2004
zeigte eine Infektionsrate von 0,91 % bei Kraniotomie in der Niedrigrisiko-Gruppe
gegenüber 1,72 % bzw. 2,4 % in der Patientenpopulation mit erhöhtem und stark erhöhtem
Risikoindex (CDC NNIS System 2004) (Tab. 5.14
).
Tab. 5.14
Infektionsrate (Edwards et al. 2009) bei neurochirurgischenNeurochirurgieInfektionsrisiko
Eingriffen unter Beachtung des NNIS-Risikoindex (Culver et al. 1991)
Eingriff
Infektionsrate in % (Anzahl der Eingriffe)
Risikoindex 0
Risikoindex 1
Risikoindex 2, 3
Kraniotomie
2,15 (7 902)
2,15 (7 902)
4,66 (1 761)
Andere neurochirurgische Eingriffe
1,53 (2 356)
Wie Risikoindex 0
Wie Risikoindex 0
Ventrikelshunt
4,04 (867)
5,36 (12 324)/5,93 (4270)
Wie Risikoindex 1
Spinale Fusion
0,7 (20 059)
1,84 (16 640)
4,15 (4 511)
Spinale Refusion
2,32 (863)
Wie Risikoindex 0
8,63 (126)
Laminektomie
0,72 (20 972)
1,1 (15 054)
2,3 (4 051)
Der verwendete NNIS-Score (Culver et al. 1991) erfasst die Faktoren präoperativer
Zustand des Patienten gemäß ASA-Score (ASA 1963), Kontaminationsgrad der Wunde sowie
Dauer der OP (Werte des 75. Perzentils). Basierend darauf werden die Gruppen 0 bis
3 mit zunehmendem Infektionsrisiko für einzelne Eingriffsgruppen gebildet (Tab. 5.15
). Die in dieser Untersuchung verwandte Einteilung der Eingriffe in die Gruppen sauber
(aseptisch), sauber-kontaminiert (bedingt aseptisch), kontaminiert und verschmutzt
(infiziert) bildet jedoch die spezifischen Risiken bei Eingriffen am Liquorsystem
bzw. auch beim Einsatz großer Implantate in der kranialen und Wirbelsäulenchirurgie
nicht ausreichend ab. Näher am klinischen Alltag ist die von Narotam et al. (1994)
vorgenommene Modifikation mit der zusätzlich aufgenommenen Gruppe „Sauber mit Fremdkörper“
(Tab. 5.16
).
Tab. 5.15
Berechnung des NNIS-Scores (Culver et al. 1991) NeurochirurgieNNIS-Score
Faktor
Score
Berechnung
a) Klassifikation der Wundkontamination
Sauber (aseptisch)
1
1 Punkt, falls Score für Wundkontamination > 2, sonst 0 Punkte
Sauber-kontaminiert
2
Kontaminiert
3
Schmutzig
4
b) ASA-Score
ASA 1: gesunder Patient
1
1 Punkt, falls ASA-Score > 2, sonst 0 Punkte
ASA 2: geringgradige bis mittelschwere systemische Erkrankung
2
ASA 3: schwere systemische Erkrankung
3
ASA 4: schwere lebensbedrohliche systemische Erkrankung
4
ASA 5: moribunder Patient, der ohne OP wahrscheinlich nicht überleben würde
5
c) Dauer der OP
Kraniotomie: T = 4 h
1 Punkt, falls Operationsdauer T überschritten wird, sonst 0 Punkte
Anderer ZNS-Eingriff: T = 4 h
Ventrikulärer Shunt: T = 2 h
Spinale Fusion: T = 4 h
Laminektomie: T= 2 h
Die Addition der Werte für a, b und c ergibt den NNIS-Score mit Werten von 0–3.
Tab. 5.16
RisikoklassifikationNeurochirurgieRisikoklassifikation Eingriffe neurochirurgischer
Eingriffe (Narotam et al. 1994)
Kategorie
Beschreibung
Verschmutzt
Patienten mit einer Infektion zum OP-Zeitpunkt (viszerale oder Hirnabszesse, subdurale
Empyeme, Meningitis, Osteitis, purulente Hautinfektionen)
Kontaminiert
Keine Zeichen einer Infektion, aber Kontamination des OP-Gebiets, d. h. offene Schädelbasisfraktur,
Skalpierungsverletzung (älter als 4 h), Liquorrhö, Re-Eingriff innerhalb von 4 Wochen
Sauber-kontaminiert
Eröffnung der Nasennebenhöhlen, Schädelbasisfraktur, Abweichung von der Standardtechnik,
OP-Dauer > 2 h
Sauber mit Fremdkörper
Eingriff erfüllt Kriterien „saubere Chirurgie“, aber permanente oder temporäre Verwendung
von Fremdmaterialen wie Shunts, Reservoirs, Ventrikelkatheter oder große Metallimplantate
Sauber
Ausschluss aller o. g. Kriterien, Wunddrainagen im subgalealen Raum nicht länger als
48 h
Andere identifizierte Risikofaktoren sind:
•
Liquorfistel (Agarwal und Thomas 2003; Korinek 1997; Narotam et al. 1994)
•
Eingriffsart Shunt-OP (Erman et al. 2005; Narotam et al. 1994)
•
Kontaminationsgrad des OP-Gebiets (Notfalleingriffe, sauber-kontaminierte und kontaminierte
Eingriffe; Korinek 1997; Narotam et al. 1994)
•
OP-Dauer > 4 h (Korinek 1997; Narotam et al. 1994; Valentini et al. 2008),
•
Lange liegende Harnwegskatheter (Agarwal und Thomas 2003; CDC NNIS System 2004)
•
Alter (Erman et al. 2005)
•
Gegenwart von Fremdkörpern/Implantaten (Erman et al. 2005)
•
Diabetes mellitus (Erman et al. 2005)
•
ICP-Monitoring (Erman et al. 2005)
•
Re-Eingriffe (Korinek 1997)
•
Fremdkörperimplantation (Narotam et al. 1994)
•
Gestörte Bewusstseinslage (Agarwal und Thomas 2003)
•
Elektive Beatmung (Agarwal und Thomas 2003; CDC NNIS System 2004)
•
Externe Ventrikelableitung (Agarwal und Thomas 2003)
•
Fehlerhafte Händedesinfektion, falscher Handschuheinsatz (Agarwal und Thomas 2003)
•
Extensiver Antibiotikaeinsatz (Agarwal und Thomas 2003).
Insgesamt 80 % der lokalen SSI werden durch Staphylokokken hervorgerufen. Dabei muss
man sich in Erinnerung rufen, dass sowohl das OP-Gebiet als auch die Hände nur desinfiziert
und nicht sterilisiert werden und der endogene Erregereintrag dominiert (Kap. 2.10.5).
Aufgrund der Heterogenität der neurochirurgischen OP-Gebiete ist eine getrennte Analyse
der Risikofaktoren sinnvoll, die im Folgenden durchgeführt wird für
•
elektive Kraniotomien,
•
transorale und transsphenoidale Eingriffe,
•
liquorableitende Operationen,
•
spinale Eingriffe,
•
Medikamentenpumpen und Implantate zur Tiefenhirnstimulation,
•
offenen Schädel-Hirn- und spinale Traumen,
•
Eingriffe bei entzündlichen Erkrankungen.
Grundsätzlich gelten auch für die Neurochirurgie die in der Chirurgie etablierten
fachübergreifenden Prinzipen der Infektionsprävention (Kap. 5.5). Deshalb soll in
diesem Kapitel nur auf fachspezifische Besonderheiten eingegangen werden.
5.7.2
Elektive Kraniotomie
Infektionsrisiko: Die Kraniotomie, elektive
Surgical Site InfectionsKraniotomie, elektive
Kraniotomie, elektiveInfektionsrisikoGefahr von SSI ist mit 0,9–2,4 % in Abhängigkeit
von der Risikogruppe des Patienten sehr gering. Der Nachweis einzelner Risikofaktoren
gestaltet äußerst schwierig, weil nur die wenigsten Studien eine ausreichend hohe
Anzahl von Patienten einschließen.
Faktoren mit Einfluss auf das Infektionsrisiko sind:
•
Liquorfistel (Abu Lytsy und Ronne-Engstrom 2014; Agarwal und Thomas 2003; Korinek
1997; Lietard et al. 2008; Narotam 1994)
•
Re-Eingriff innerhalb von 4 Wochen (Korinek 1997; Lietard et al. 2008)
•
Lange OP-Dauer (Abu, Lytsy und Ronne-Engstrom 2014; Korinek 1997)
•
Externe Liquordrainage (Korinek 1997; Lietard et al. 2008)
•
Einsatz großflächiger Implantate
•
Kontaminationsgrad der Wunde (Korinek 1997; Lietard et al. 2008).
Präventionsmaßnahmen: Während Kraniotomie, elektiveInfektionspräventionpatientenbedingte
Risikofaktoren kaum zu beeinflussen sind, können Modifikationen der OP-Technik zu
einer Senkung der Infektionsrate beitragen.
Ein besonderes Augenmerk sollte auf die Vermeidung von Liquorfisteln gelegt werden.
•
Für die plastische Deckung von Duradefekten ist autologem Material der Vorzug einzuräumen,
da es Hinweise auf eine erhöhte Infektionsrate bei Verwendung von Durasubstituten
(Abu, Lytsy und Ronne-Engstrom 2014; Malliti et al. 2004; Nakagawa et al. 2003) gibt.
Die Autoren bevorzugen daher die Verwendung autologen Materials, das bei sorgfältiger
Präparation i. d. R. in ausreichendem Maß schon im OP-Gebiet zur Verfügung steht.
•
Inwiefern die präoperative Haarentfernung einen Einfluss auf das Infektionsrisiko
hat, ist nicht endgültig geklärt. Zumindest weisen einzelne Publikationen keinen negativen
Effekt bei Verzicht darauf nach (Bekar et al. 2001; Kretschmer, Braun und Richter
2000; Miller et al. 2001; Tang, Yeh und Sgouros 2001). Gemäß der Empfehlung ist eine
Entfernung nur bei chirurgischer Notwendigkeit bevorzug mittels Kürzen der Haare bzw.
chemischer Entfernung unmittelbar vor der OP durchzuführen (KRINKO 2007a).
•
Eine PAP scheint die Rate lokaler SSI zu senken (Holloway et al. 1996; Kanat 1998;
Zeidman, Thompson und Ducker 1995). Andere Arbeiten zeigen keinen signifikanten Einfluss
(Korinek 1997; Lietard et al. 2008). Allerdings sind die betrachteten Untersuchungen
mit bis zu maximal 2 900 eingeschlossenen Patienten bei einer primären Infektionsrate
von weniger als 1 % statistisch bei zu geringem Stichprobenunfang nicht aussagekräftig.
Das Ergebnis deckt sich jedoch mit den klinischen Erfahrungen, sodass auch in unserer
Klinik die PAP mit einem gegen Staphylokokken wirksamen Cephalosporin der 2. Generation
etabliert wurde (Kap. 2.10.5).
5.7.3
Transorale und transsphenoidale Eingriffe
Der transoraleNeurochirurgietransoraler Eingriff
Neurochirurgietranssphenoidaler Eingriff Zugang zum kraniozervikalen Übergang bzw.
der transsphenoidale Zugang zur Hypophyse erfolgt durch kontaminiertes Gebiet mit
nur eingeschränkten Möglichkeiten der Antiseptik. Trotzdem treten hier auffallend
wenige Infektionen auf.
Transsphenoidaler Zugang
Infektionsrisiko: Die infektiösen Komplikationen bei transsphenoidalem Operation,
transsphenoidaleInfektionsrisiko
Surgical Site Infectionstransspenoidale OperationZugang zur Hypophyse sind relativ
gut dokumentiert. Ciric et al. (1997) berichteten nach der Befragung von mehr als
900 Neurochirurgen über Meningitiden bei lediglich 2 % der Patienten im postoperativen
Verlauf. Buchfelder und Fallbusch (1988) gaben eine Infektionsrate von 0,6 % an, Ammirati,
Wei und Ammirati (2014) eine Infektionsrate 1,1–2,1 %. Ursache dieser Komplikationen
ist in den meisten Fällen eine Liquorfistel (Black, Zervas und Candia 1987), die ein
sekundäres Aufsteigen von Erregern aus dem kontaminierten Zugangsbereich ermöglicht.
Weitere infektiöse Komplikationen sind Abszesse der Hypophyse sowie Entzündungen und
Mukozelen im Bereich des Sinus sphenoidalis (Berker et al. 2012; Buchinsky et al.
2001; Gondim et al. 2011; Herman et al. 1998).
•
Bei der Vorbereitung transsphenoidaler Eingriff ist eine gezielte Fokussuche im Bereich
der Nasennebenhöhlen sinnvoll.
•
Postoperative Liquorfisteln müssen zügig diagnostiziert und saniert werden.
Präventionsmaßnahmen: Maßnahmen Operation, transsphenoidaleInfektionspräventionzur
Reduktion des Infektionsrisikos bei transsphenoidalem Zugang zur Hypophyse sind:
•
Präoperativer Ausschluss von Entzündungen im Zugangsbereich
•
Verwendung minimalinvasiver Techniken mit geringer Gewebetraumatisierung
•
Vermeiden einer postoperativen Liquorrhö durch Schonung des Diaphragma sellae und
durch einen liquordichten Verschluss des Zugangswegs
•
Sorgfältige Schleimhautpräparation zur Vermeidung einer Mukozele
•
Nachuntersuchung auf Liquorrhö und Sekretstau in den Nasennebenhöhlen
•
PAP.
Transoraler Zugang
Die Neurochirurgietransoraler Eingriff
Operation, transoraleInfektionsrisiko
Surgical Site Infectionstransorale OperationDatenlage beim seltener genutzten transoralen
Zugang zum kraniozervikalen Übergang und zum Klivus ist sehr heterogen.
Infektionsrisiko: Typische entzündliche Komplikationen sind hier lokale Wundheilungsstörungen
(Kingdom, Nockels und Kaplan 1995), Liquorfisteln (Hayakawa et al. 1981; Kondoh et
al. 1990; Tuite et al. 1996) und in deren Folge Meningitiden (Kingdom, Nockels und
Kaplan 1995). Seltene Komplikationen sind Entzündungen im Bereich des weichen Gaumens
und eine Otitis media infolge eines Verschlusses oder einer Durchtrennung der Tuba
auditiva.
Präventionsmaßnahmen: Empfohlene Operation, transoraleInfektionspräventionMaßnahmen
zur Verringerung des Infektionsrisikos bei transoralem Zugang zur Schädelbasis und
zum kraniozervikalen Übergang sind:
•
Eine möglichst kleine anatomische Freilegung
•
Das Vermeiden eienr Spaltung des weichen Gaumens
•
Ein mehrschichtiger Wundverschluss an der Rachenhinterwand (Hayakawa et al. 1981)
•
Bei Duraeröffnung die Anlage einer temporären externen Liquordrainage (Hayakawa et
al. 1981)
•
Eine Tracheostomie bei erwarteten Schluckstörungen zum Vermeiden einer Aspirationspneumonie.
5.7.4
Liquorableitende Operationen
Ventrikuloperitoneale und ventrikuloatriale Ableitungen
Infektionsrisiko: Die Implantation permanenter LiquorableitungenNeurochirurgieLiquorableitung,
permanente
Liquorableitung, permanenteInfektionsrisiko
Surgical Site InfectionsLiquorableitung ist im Langzeitverlauf mit Infektionsraten
von 3–20 % verbunden (Kulkarni et al. 2001). Risikofaktoren sind die OP-Dauer (Kestle
et al. 1993; Kontny et al. 1993), das Patientenalter (Choux et al. 1992; Mancao et
al. 1998; Piatt und Carlson 1993; Pople et al. 1992; Prusseit et al. 2009; Renier
et al. 1984; Shapiro et al. 1988) mit gehäuftem Auftreten bei Infektionen, nosokomialeLiquorableitungssystemeFrühgeborenen
(PHVD Drug Trial Group 1998) sowie postoperative Liquorfisteln (Welch 1979). Eine
weitere Ursache kann im intraoperativen Kontakt zwischen Kathetermaterial und der
Haut des Patienten bzw. des Operateurs liegen.
Kulkarni, Drake und Lamberti-Pasculli (2001) belegnten einen signifikanten Zusammenhang
zwischen der Beschädigung der OP-Handschuhe und Shuntinfektionen.
Präventionsmaßnahmen: Zur Reduktion von Liquorableitung, permanenteInfektionspräventionShuntinfektionen
sind folgende Maßnahmen empfehlenswert:
•
Vermeidung postoperativer Liquorleckagen durch äußerste Sorgfalt bei der Implantation
•
Vermeidung des Hautkontakts der Implantate
•
Möglichst Verwendung shuntfreier Versorgungstechniken wie z. B. der endoskopischen
Ventrikulostomie
•
Verkürzung der OP-Dauer durch optimale Koordination der Abläufe
•
PAP mit staphylokokkenwirksamem Antibiotikum
•
Atraumatische OP-Technik
•
Tragen von doppelten Handschuhen.
Temporäre externe ventrikuläre und lumbale Liquorableitungen
Infektionsrisiko: Bei der externen Liquordrainagen besteht ein NeurochirurgieLiquorableitung,
temporäre
Liquorableitung, temporäreInfektionsrisikohohes Risiko für NI (Scheithauer et al.
2010). Bei der externen Ventrikeldrainage wird die infektionsrate mit 6–22 % (Acikbas
et al. 2002; Herman et al. 1998; Lyke et al. 2001) angegeben und bei der lumbalen
Katheteranlage mit bis zu 10 % (Coplin et al. 1999; Shapiro und Scully 1992). Gesicherte
Einflussfaktoren sind die Liegedauer sowie die Frequenz der Probenahme aus den Drainagen
(Leverstein-van Hall et al. 2010; Schade et al. 2005).
Risikofaktoren für Infektionen bei externen Liquordrainagen (Bader, Littlejohns und
Palmer 1995; Lozier et al. 2002; Schreffler, Schreffler und Wittler 2002) sind die
Dauer der Drainage, eine Diskonnektion des Drainagesystems, ein Verschluss der Drainage
sowie die Frequenz der Probenentnahme
Das Risiko ventrikulärer und lumbaler Drainagen unterscheidet sich bei gleicher Liegedauer
nicht.
Präventionsmaßnahmen: Empfehlenswert Liquorableitung, temporäreInfektionspräventionsind
Reduktion der Probenentnahme auf ein vertretbares Minimum, Wechsel der Drainage nach
5–10 Tagen, bei klinischen oder paraklinischen Infektionsnachweis sofortiges Entfernen
der Drainage und ggf. Neuanlage nach einen vertretbaren Zeitintervall. Die externe
Liquordrainage ist keine Indikation zur PAP, da keine Evidenz in Form randomisierter
Studien mit dem Endpunkt Meningitis vorliegt (McCarthy und Wenzel 1977; Poon, Ng UND
Wai 1998). Möglicherweise kann die Infektionsrate durch langstreckige Tunnelung des
Ventrikelkatheters reduziert werden (Khanna et al. 1995).
Für externe Ventrikelableitungen sind silberimprägnierte bzw. antibiotikabeschichtete
Katheter verfügbar, deren antimikrobieller Effekt in vitro nachgewiesen wurde (Secer
et al. 2008). Erste randomisierten Studien bestätigen diesen Effekt (Keong et al.
2012). Eine Antibiotikaimprägnierung bringt wahrscheinlich keinen Vorteil gegenüber
einer Silberauflage (Winkler et al. 2013).
Vorgehen bei Shuntinfektionen: Infektionen sind ShuntinfektionLiquorbei ventrikuloperitonealen
Ableitungen eine der häufigsten Komplikationen. Die aussichtsreichste Behandlungsmethoden
sind die vollständige Entfernung des infizierten Ableitungssystem, die intermittierende
oder kontinuierliche externer Liquordrainage und die Neuimplantation nach Ausheilung
der Infektion (Schreffler, Schreffler und Wittler 2002). Deutlich geringer ist die
Wahrscheinlichkeit einer Ausheilung der Infektion bei direktem Austausch des infizierten
Ableitungssystems unter Antibiotikagabe. Eine Ausheilung der häufig chronischen Infektion
unter Antibiotikatherapie bei Belassen des Shuntsystems ist gegenüber den beiden o.
g. Behandlungsverfahren die Methode mit der geringsten Erfolgsaussicht (Schreffler,
Schreffler und Wittler 2002).
5.7.5
Spinale Eingriffe
Infektionsrisiko: Die Wahrscheinlichkeit Neurochirurgiespinale Eingriffe
WirbelsäulenoperationInfektionsrisiko
Surgical Site InfectionsWirbelsäulenoperationvon NI nach spinalen Eingriffen beträgt
in Abhängigkeit von der Art des Eingriffs und patientenindividueller Risikofaktoren
1–6 % (CDC NNIS System 2004; Edwards et al. 2009; Takahashi et al. 2009). Dabei vervielfachen
v. a. patientenindividuelle Risikofaktoren das Infektionsrisiko. Risikofaktoren für
Infektionen nach spinalen Eingriffen sind die Wundgröße, die OP-Dauer, die lange Verwendung
von Drainagen, das Ausmaß des Blutverlusts, Instrumentierung und Übergewicht (Chiang
et al. 2014). Da die Inzidenz von NI bei instrumentierten Eingriffen mit 3,8 % (Levi,
Dickman und Sonntag 1997) bzw. 4,2 % (Wimmer et al. 1998) angegeben wird, müssen spinale
Eingriffe mit und ohne Instrumentierung in Bezug auf das Infektionsrisiko getrennt
betrachtet werden.
•
Bei nicht instrumentierten spinalen Eingriffen ist Wirbelsäulenoperationnicht instrumentierteeine
SSI-Rate von ca. 1–2 % zu erwarten (Dimick, Lipsett und Kostuik 2000). Neben oberflächlichen
und tiefen Weichteilinfektionen sind Diszitiden und Spondylodiszitiden unangenehme
und langwierige Komplikationen. Seltener, aber in ihrem Ausmaß bedeutsamer sind spinale
epidurale Abszesse, in deren Folge durch Raumforderung und Kompression neuraler Strukturen
oder durch sekundäre Entwicklung von Meningitiden und Myelitiden schwerste neurologische
Defizite eintreten können.
•
Bei instrumentierten spinalen Eingriffe liegt Wirbelsäulenoperationinstrumentiertedie
Infektionsrate deutlich höher und scheint bei dorsaler Instrumentierung höher zu sein
als bei ventraler (Olsen et al. 2003; Wimmer et al. 1998). Häufigste Erreger sind
auch hier Staphylokokken. Allerdings finden sich bei posterioren lumbosakralen Zugängen
häufig gramnegative Erreger. Disponierend ist hier eine Inkontinenz, die zur Kontamination
der Wunden führen kann. Die lokale Applikation von Vancomycinpulver (0,5–2 g) scheint
die Infektionsrate zu senken. Jedoch ist die Datenlage für eine generelle Empfehlung
noch nicht ausreichend (Chiang et al. 2014).
Präventionsmaßnahmen: MaßnahmenWirbelsäulenoperationInfektionsprävention zur Reduktion
entzündlicher Komplikationen in der Wirbelsäulenchirurgie sind
•
die Reduktion des Gewebetraumas durch mikrochirurgische und minimalinvasive OP-Techniken
(O'Toole, Eichholz und Fessler 2009),
•
die intermittierende Spülung der Wunde mit NaCl-Lösung,
•
die Minimierung des Einsatzes von Wunddrainagen (Payne et al. 1996),
•
eine PAP (Kap. 2.10.5),
•
ein Handschuhwechsel nach 90 Minuten (Partecke et al. 2009).
•
Da das Risiko von NI proportional zum Ausmaß des Gewebetraumas steigt, sollten nach
Möglichkeit mikrochirurgische (Olsen et al. 2003) und minimalinvasive Techniken eingesetzt
werden.
•
Beim Auftreten von Infektionen ist die Entfernung metallischer Implantate nicht zwingend
erforderlich. Kunststoffimplantate müssen dagegen i. d. R. explantiert werden.
5.7.6
Medikamentenpumpen, Implantate zur tiefen Hirnstimulation und andere Neurostimulatoren
Infektionsrisiko: Bei Pumpen zur intrathekalen Medikamentenapplikation und Stimulatoren
für Neurostimulatoren, Infektionsrisiko
Implantateneurochirurgische, Infektionsrisikoverschiedene Einsatzgebiete sind implantatabhängige
entzündliche Komplikationen mit 1–4,7 % ein seltenes Ereignis (Bhatia et al. 2011;
Fenoy und Simpson 2014; Harke et al. 2003; Kenney et al. 2007). Neben lokalen Entzündungen
können sowohl Meningitiden als auch spinale und zerebrale Abszesse und Granulome mit
dem Bild einer Paraplegie bzw. mit zentralen neurologischen Defiziten auftreten.
Präventionsmaßnahmen: Bei der Implantation dieser Apparate gelten dieselben Vorsichtsmaßnahmen
wie bei der Implantation ventrikuloperitonealer Ableitungen. Eine PAP mit einem staphylokokkenwirksamen
Antibiotikum ist empfehlenswert.
Sanierungsversuche bei belassenen Implantaten werden zwar erfolgreich beschrieben
(Boviatsis et al. 2004; Zed et al. 2000), sollten aber wegen der geringen Erfolgschancen
und der hohen Komplikationsgefahr unterbleiben. Vielmehr ist die vollständige Entfernung
des Implantats und eine Neuimplantation in Analogie zur Sanierung chronisch infizierter
ventrikuloperitonealer Ableitungen das Mittel der Wahl.
5.7.7
Offene Schädel-Hirn- und spinale Traumen
Aufgrund des unterschiedlichen Verletzungs- und Kontaminationsmusters werden penetrierende
Schädel-Hirn-Verletzungen, fronto- und otobasale offene Schädel-Hirn-Traumen sowie
offene spinale Verletzungen getrennt betrachtet.
Direkt offene penetrierende Schädel-Hirn-Traumen
Bei Schädel-Hirn-Trauma
Schädel-Hirn-Traumadirekt offenes penetrierendesSchussverletzungen ist eine Wundversorgung
mit Entfernung von Blutungen, Nekrosen, Knochenfragmenten sowie eingedrungenen Fremdkörpern
wie Haaren und Kleidung vorzunehmen. Das intakte Hirngewebe sollte dabei geschont
werden. Sowohl am Ein- als auch am Austritt des Projektils ist eine plastische Deckung
des Duradefekts notwendig. S. aureus ist der häufigste Erreger, aber auch gramnegative
Bakterien sind regelmäßig nachzuweisen.
Häufig wird eine antibiotische Behandlung mit Cephalosporinen empfohlen (Esposito
und Walker 2009; Gutierrez-Gonzalez et al. 2008). Baystone et al. (2000) empfehlen
eine Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure, alternativ Cefuroxim, sowie Metronidazol
über 5 Tage. Ein analoges Vorgehen ist bei anderen penetrierenden Schädel-Hirn-Verletzungen
notwendig.
Indirekt offene frontobasale und otobasale Schädel-Hirn-Verletzungen
Bei Schädel-Hirn-Traumaindirekt offenes fronto- und otobasalesoffenen frontobasalen
Verletzungen besteht ein deutlich erhöhtes Meningitisrisiko im Langzeitverlauf. Daher
ist die plastische Deckung des Duradefekts unbedingt erforderlich. Oft verhindert
jedoch ein begleitendes Hirnödem die frühzeitige operative Versorgung.
Der Nutzen einer prophylaktischen Antibiotikatherapie ist umstritten. Eljamel und
Foy (1990) stellten darunter einen Rückgang entzündlicher Komplikationen fest, während
Choi und Spann (1996) eine Zunahme entzündlicher Komplikationen nachwiesen. Prospektive
randomisierte Studien hierzu liegen nicht vor. Die Autoren empfehlen den Verzicht
auf eine prophylaktische antibiotische Therapie bei engmaschigem Screening nach Hinweisen
auf eine Meningitis.
Otobasale posttraumatische Liquorfisteln heilen i. d. R. unter intermittierender oder
kontinuierlicher externer Liquorableitung spontan aus. Eine prophylaktische antibiotische
Therapie ist nicht notwendig.
Penetrierende Wirbelsäulenverletzungen
Schussverletzungen Wirbelsäulenverletzung, penetrierendeder Wirbelsäule sind mit einer
Infektionsrate von 5–8 % verbunden. Kolonverletzungen vor Eintritt des Projektils
erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Infektion (Romanick et al. 1985; Velmahos und
Demetriades 1994). Bei dieser Art der Verletzung wird die operative Entfernung des
Projektils empfohlen, um die Infektionsrate zu senken. Allerdings zeigten andere Autoren
(Kihtir et al. 1991; Kumar, Wood und Whittle 1998; Lin et al. 1995), dass unter Antibiotikatherapie
und Verzicht auf spinale Revision keine spinalen Infektionen auftraten.
5.7.8
Eingriffe bei entzündlichen Erkrankungen
Hirnabszess
Ätiologie: Die Hirnabszess
HirnabszessÄtiologieUrsache eine Abszedierung ist in den meisten Fällen die direkte
Fortleitung einer Infektion aus der Umgebung. Häufigste Lokalisationen sind dabei
Otitiden und Mastoiditiden sowie Sinusitiden (Tab. 5.17
) (Radoi, Ciubotaru und Tataranu 2013). Bei hämatogener Ausbreitung finden sich häufig
multiple Abszesse bevorzugt im Stromgebiet der A. cerebri media. Weitere Risikofaktoren
sind vorangegangene neurochirurgische Eingriffe sowie offene Schädel-Hirn-Verletzungen
(Tab. 5.17).
Tab. 5.17
Lokalisation des infektiösen Fokus bei direkter und hämatogener Ausbreitung von Hirnabszessen
Direkte Fortleitung
Hämatogen
•
Otitis media
•
Mastoiditis
•
Sinusitis
•
Osteomyelitis
•
Zahnwurzelgranulome
•
Bronchiektasen
•
Lungenabszess
•
Endokarditis
•
Dentale Sepsis
•
Osteomyelitis
•
Vorhof- oder Ventrikelseptumdefekt mit kardialem Rechts-links-Shunt
Im Rahmen der Geneseklärung sollten auch eine medikamentöse Immunsuppression, konsumierende
Grunderkrankungen, eine HIV-Infektion und ein chronischer intravenöser Drogenabusus
beachtet werden.
Die Behandlung des HirnabszessTherapieHirnabszesses besteht in der operativen Entfernung
des Eiters, der Sanierung des Fokus sowie systemischer antibiotischer Therapie.
Therapie: Eine medikamentöse Therapie sollte erst nach der Entnahme einer mikrobiologischen
Probe eingeleitet werden. Bei ausgeprägtem perifokalem Ödem ist eine zusätzliche Gabe
von Dexamethason empfehlenswert. Eine ausschließlich medikamentöse Therapie ist nur
in der Frühphase vor der eitrigen Einschmelzung des Abszesses oder bei multiplen Herden
sinnvoll (Tab. 5.18
). Die sich entwickelnde Membran behindert später eine ausreichende Medikamentenpenetration.
Die Dauer der antibiotischen Behandlung sollte mindestens 4–6 Wochen betragen (Felsenstein
et al. 2013).
Tab. 5.18
Empfohlene ungezielte Antibiotikatherapie bei Hirnabszess (Dosierung für einen ca.
75 kg schweren Erwachsenen)AntibiotikatherapieHirnabszess
Medikament
Dosierung
Flucloxacillin (alternativ Oxacillin)
3 × 2 g i. v.
Cefotaxim
3 × 2 g i. v.
Metronidazol
2 × 500 mg i. v.
Bei bereits eingeschmolzenen Abszessen ist die ultraschallgestützte oder stereotaktische
Abszessentleerung Mittel der Wahl. In seltenen Fällen kann ein reifer Abszess in toto
analog einer Tumoroperation entfernt werden.
Subdurales Empyem
Hierbei Empyemsubduraleshandelt es sich um eine fulminant verlaufende, akut lebensbedrohliche
Erkrankung. Häufig findet sich ein ausgeprägtes Hirnödem mit der akuten Gefahr einer
zerebralen Herniation. Ursächlich sind häufig Entzündungen der Stirnhöhle oder des
Mastoids, offene Schädel-Hirn-Verletzungen sowie vorangegangene neurochirurgische
Eingriffe (Nathoo et al. 1999).
Die Therapie besteht in der sofortigen Drainage des Empyems in Kombination mit antiödematöser
Kortikoidtherapie. Die initiale kalkulierte (empirische) Therapie erfolgt z. B. mit
Cefotaxim, Flucloxacillin und Metronidazol und beginnt sofort nach Entnahme der mikrobiologischen
Proben. Wird intraoperativ ein Erreger nachgewiesen, ist eine Deeskaltation der initial
sehr breit wirksamen Therapie anzustreben.
Spinale Abszesse und Empyeme
In Abszess, spinaler
Empyemspinalesden letzten Jahren ist eine deutliche Verschiebung der Ursachen spinaler
Entzündungen von spontan lokalen oder hämatogenen Ursachen hin zu Komplikationen iatrogener
Maßnahmen zu beobachten. Dabei spielen v. a. die extensive Nutzung von Schmerzkathetern
und die sog. periradikuläre Therapie eine wichtige Rolle. Das Risiko entzündlicher
Komplikationen liegt bei ca. 0,2 % für diagnostische Eingriffe (Zeidman, Thompson
und Ducker 1995). Problematisch ist dabei die Kombination aus vorbestehenden vertebrogenen
oder diskogenen Schmerzen mit neu auftretenden Schmerzen als Folge der Entzündung,
die häufig erst in der Spätphase bei manifesten neurologischen Defiziten zur Diagnosestellung
führen. Die wichtigste prophylaktische Maßnahme ist daher die Reduktion invasiver
Behandlungsmaßnahmen. Die häufigsten Erreger sind auch hier Staphylokokken (Rigamonti
et al. 1999).
Prädisponierende Faktoren für spinale Entzündungen sind (Rigamonti et al. 1999) intravenöser
Drogenabusus, Diabetes mellitus und vorangegangene spinale Eingriffe oder Injektionen.
Therapie: In der Regel ist die chirurgische Sanierung des Prozesses erforderlich.
Üblicherweise wird neben der Ausräumung des Abszesses besonders bei langstreckigen
epiduralen Abszessen der Einsatz einer Saug-Spül-Drainage notwendig. Die antibiotische
Therapie sollte sofort nach Materialentnahme für die mikrobiologische Diagnostik mit
einer Kombinationstherapie gegen anaerobe und aerobe Bakterien begonnen werden.
5.7.9
Hygienemaßnahmen
Antibiotikaprophylaxe Kap. 2.10.5
Händehygiene: Wie in allen Disziplinen wird auch in der NeurochirurgieNeurochirurgieHygienemaßnahmen
die SSI-Rate durch indikationsgerecht durchgeführte Händedesinfektion reduziert. In
einer Interventionsstudie konnte nach Einführung eines Händehygieneprogramms die SSI-Rate
von 8,3 auf 3,8 % gesenkt werden (Le et al. 2007).
Einfluss der Raumklasse: In einigen Fällen konnte ein Erregereintrag via Raumluft
in das OP-Areal als Ursache neurochirurgischer SSI identifiziert werden (Duhaime et
al. 1991; Reichert und Schultz 2002). Da durch Laminar Air Flow (LAF) eine effektivere
Verdrängung luftgetragener Mikroorganismen und Partikel im Vergleich zu Mischlüftung
erreicht wird und bei der Implantation von Hüftendoprothesen ein infektionspräventiver
Einfluss nachgewiesen werden konnte (Kramer et al. 2010c), ist davon auszugehen, dass
durch LAF zumindest bei lang dauernden Eingriffen mit Implantation von Fremdmaterial
ein zusätzlicher Schutz erreichbar ist.
Surveillance: Zur exakten Identifizierung neurochirurgischer SSI ist ein aktives Surveillanceprogramm
zu etablieren (Burnichon et al. 2007; Heipel et al. 2007). Nur auf dieser Basis sind
eine Evaluation des QM und eine Qualitätssicherung möglich. In unserer Klinik wurde
als Marker-OP die postoperative Diszitis ausgewählt.
5.8
Neurologie und Psychiatrie
Sarah Bornmann, Maren Eggers und Christof Kessler
Für neurologische und psychiatrische Kliniken existieren bindende Vorschriften für
Standardmaßnahmen zur Infektionsprävention, um eine Verbreitung von Krankheitserregern
unter Patienten, Personal und Besuchern zu vermeiden. Da entzündliche Prozesse des
ZNS zu Beginn oft ein uncharakteristisches klinisches Bild bieten, ist die Entscheidung
nicht einfach, welche Hygiene- und Schutzmaßnahmen eingeleitet werden müssen.
Die Furcht vor der Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie der Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
(vCJD) und importierter Virusinfektionen wie dem Schweren Akuten Respiratorischen
Syndrom (SARS) oder dem Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERS-CoV) sowie
das häufigere Auftreten von Borreliose, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und
Influenza haben zu Unsicherheiten über die notwendigen Hygienemaßnahmen geführt. Die
Situation wird dadurch erschwert, dass bisher nach Aussagen der Deutschen Krankenhausgesellschaft
keine Studien zu spezifischen hygienischen Fragestellungen in der Neurologie und Psychiatrie
vorliegen.
5.8.1
Infektionsrisiko bei Eingriffen in der Neurologie
Grundsätzlich unterscheidetSurgical Site InfectionsNeurologie sich der Umgang mit
potenziell infektiösem Gewebe, Liquor oder Blut in der Neurologie nicht von anderen
Fachgebieten. Eine Infektionsgefährdung kann in seltenen Fällen im Rahmen therapeutischer
und diagnostischer Verfahren in der Neurologie ausgehen.
Elektroden:
Durch Oberflächenelektroden sind keine lokalen oder systemischen Infektionen beschrieben.
Infektionen durch Nadelelektroden sind eine Rarität.
Letztere Elektroden, neruologische, Infektionsrisikowurden nach elektromyographischen
Untersuchungen durch S. epidermidis, Mycobacterium (M.) fortuitum und HBV verursacht
(Burris und Fairchild 1986; Nolan, Hashisaki und Dundas 1991). In einem Fall konnte
bei insgesamt 75 HBV-Neuinfektionen, die sich zwischen 1991 und 1996 ereignet hatten,
eine Index-Person ausfindig gemacht werden. Überträger war ein HBe-positiver Techniker,
der bei den betroffenen Patienten ein EEG mit Nadelelektroden durchgeführt hatte (Johnson
et al. 2000). Nach Einführung einer abschließenden Sterilisation nach der Reinigung
und Desinfektion der Elektroden traten keine weiteren Fälle mehr auf. Außerdem wird
über einen Patienten berichtet, der durch Implantation von EEG-Tiefenelektroden an
CJD erkrankte (Bernoulli et al. 1977). Die Elektroden waren vorher bei einem Patienten
mit dieser Erkrankung benutzt und mit einem Standardverfahren sterilisiert worden.
Liquorpunktion: Bei der lumbalen oder subokzipitalen Liquorpunktion kann die Übertragung
von LiquorpunktionInfektionsrisikoKrankheitserregern durch Kontamination der Liquornadel
bei der Passage durch die Haut erfolgen. Die iatrogene MeningitisMeningitis, iatrogene
nach Liquorpunktion ist eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation. Kasuistiken
betreffen z. B. Meningitiden durch S. aureus (n = 3), S. salivarius (n = 2), P. aeruginosa,
Acinetobacter spp. und M. tuberculosis (je n = 1) (Torres et al. 1993; Domingo et
al. 1994; Pandian et al. 2004). In einer prospektiven Studie an 1 880 Neugeborenen
konnte nur in einem Fall der Zusammenhang zwischen lumbaler Liquorentnahme und sekundärer
bakterieller Meningitis festgestellt werden (Hristeva et al. 1993).
Bei LiquorshuntInfektionsrisikosehr unreifen Frühgeborenen mit Hydrocephalus malresorptivus
nach intraventrikulären Blutungen wird heute meist vorübergehend ein Rickham-Reservoir
implantiert. Die unter der Haut gelegene Punktionskammer ist über einen Katheter mit
dem Seitenventrikel verbunden. Das lässt die wiederholte Punktion und Druckmessung
unter streng aseptischen Kautelen zu. Bei einem Teil der Kinder kann das Reservoir
im Verlauf ersatzlos explantiert werden. Persistiert der Hydrozephalus, erhalten die
Kinder einen dauerhaften ventriukuloperitonealen Shunt.
Griewing und Machetanz (2001) registrierten im Zeitraum 1970–1995 bei etwa 28 000
diagnostischen Liquorentnahmen keine Meningitis. Bei 2 000 Lumbalpunktionen mit Einzelinjektion
im Rahmen einer intrathekalen Zytostatikatherapie bei Meningeosis neoplastica kam
es in 3 Fällen zu postpunktionellen Meningitiden. Da in seltenen Fällen mit einer
iatrogenen Entzündung des Liquorraums nach einer Punktion gerechnet werden muss, sind
ausreichende Schutzmaßnahmen nicht nur aus hygienischer, sondern auch aus juristischer
Sicht einzuhalten (Tab. 5.19
).
Tab. 5.19
Diagnostische und therapeutische Verfahren mit besonderen hygienischen AnforderungenNervenleitgeschwindigkeitsmessung,
HygienemaßnahmenLiquorpunktionHygienemaßnahmenElektromyografieHygienemaßnahmenElektroenzephalografie,
Hygienemaßnahmen
Eingriff/Maßnahme
Anforderungen
Liquorpunktion (lumbal, subokzipital, ventrikulär)
Hautantiseptik, sterile Tupfer, sterile Handschuhe, MNS, steriles Abdeck- oder Lochtuch,
grundsätzlich steriles Einmalmaterial
Verschiedene Nadelinstrumente zur klinischen Untersuchung der Schmerzempfindung
sterile Nadeln, Hautantiseptik, grundsätzlich steriles Einmalmaterial
EMG, Messung von Nervenleitungsgeschwindigkeit und evozierten Potenziale mit Nadelelektroden
Elektroenzephalografie (Nadel-Skalpelektroden, Sphenoidalelektroden)
Infusionen von aus Humanserum gewonnenen Substanzen (z. B. Immunglobulintherapie bei
Polyradikulitiden)
Einhaltung der Grundsätze der Infusionstherapie
Prionenerkrankungen: 1920 berichtete Creutzfeldt (Creutzfeldt 1920) über eine 23-jährige
Frau, die an einem rasch progredienten hirnatrophischen Prozess verstorben war. Drei
ähnliche Fälle wurden ein Jahr später von Jakob (Jakob 1921) publiziert. In den folgenden
Jahrzehnten fielen neuropathologische Prionkrankheiten
PrionkrankheitenÜbertragungÄhnlichkeiten zwischen CJD, Kuru, BSE beim Rind und Scrapie
auf (Hadlow 1959). Infektiöses Agens sind in allen Fällen Prionen. Beim Menschen werden
durch Prionen ferner vCJD, das Gerstmann-Sträussler-Syndrom und die Fatal Familial
Insomnia (FFI) ausgelöst (Kap. 3.3).
Iatrogene Übertragungen wurden durch Hornhauttransplantation, Duraimplantation, kontaminierte
stereotaktische EEG-Elektroden und durch in üblicher Weise und damit bezüglich CJD
ungenügend sterilisiertes neurochirurgisches OP-Besteck verursacht (Will und Matthews
1982; Collins et al. 1999) (Kap. 3.3). 1985 und 1986 wurden Fälle beschrieben, bei
denen die CJD 5–22 Jahre nach Erhalt von aus menschlichen Hypophysen extrahiertem
Wachstumshormon auftrat (Gibbs et al. 1985; Titner et al. 1986).
Bei PrionkrankheitenPersonalschutz
PersonalschutzPrionkrankheitenmedizinischem Personal wurde die Erkrankung bisher nur
selten dokumentiert (Brown 1980), wobei sich die Infektion nicht auf Patienten zurückführen
ließ. Obwohl Pathologen, Neuropathologen und Sektionsgehilfen einem erhöhten Infektionsrisiko
ausgesetzt sind, liegen keine Berichte über Infektionen vor (Rosenberg et al. 1986).
Ebenso sind keine Veröffentlichungen zur Gefährdung bei Zahnbehandlungen, z. B. bei
der Eröffnung der Pulpahöhle oder bei Anwendung hochtouriger Präparationsinstrumente
mit Freisetzung von Nervengewebe, bekannt. Hier muss man vorläufig davon ausgehen,
dass ein potenzielles, aber nicht näher untersuchtes Risiko besteht. Damit ergibt
sich, dass CJD nicht ansteckend im üblichen Sinne, aber übertragbar ist. Für Ärzte
und Pflegepersonal ist im persönlichen Umgang mit Erkrankten keine Infektion zu befürchten.
•
Bei invasiven Maßnahmen, z. B. Blut- oder Liquorentnahme, EMG oder operativen Maßnahmen,
ist bei Verdacht oder gesicherter Diagnose von CJK große Vorsicht vor Selbstverletzung
geboten.
•
Nur die ausschließliche Verwendung von Einmalmaterialien bietet die sichere Gewähr,
dass eine Krankheit nicht auf andere Patienten übertragen werden kann.
•
Zur Wiederverwendung vorgesehene MP sind vor der Sterilisation risikoabhängig zusätzlich
effektiven Dekontaminationsverfahren zu unterziehen (Kap. 3.3).
5.8.2
Antimikrobielle Maßnahmen bzw. Verfahren aus neurologischer Sicht
Hautantiseptik. Vor jedem Einstich in die Haut ist die Antiseptik erforderlich (Kap.
2.2.3), wobei abhängig vom Eingriff sterilisierte oder sterile Tupfern zu verwenden
sind. Für Peridural-/Spinalanästhesie mit Katheteranlage bzw. Anlage eines Periduralkatheters
zur Schmerztherapie sind sterile Tupfer, steriles HautantiseptikNeurologie
NeurologieHautantiseptikAbdeck- oder Lochtuch, sterile Handschuhe, MNS, steriler Kittel
und OP-Haube zu verwenden (Morin et al. 2006). Bei länger liegendem Katheter sind
alkoholbasierte Hautantiseptika mit remanentem Wirkstoffzusatz (CHX oder OCT) einzusetzen.
Auf talgdrüsenreicher Haut, wie in der Schweißrinne des Rückens, ist vor lumbaler
Liquorentnahme und vor der Diagnostik mit Nadelelektroden die verlängerte und für
das ausgewählte Antiseptikum deklarierte Einwirkungszeit zu beachten (jeweils aktuelle
Desinfektionsmittelliste des VAH). Nach aktuellen Erkenntnissen kann die Einwirkzeit
abhängig vom Präparat auf 2,5 oder 3 min begrenzt werden (Hübner et al. 2011b; Kampf
et al. 2007).
Vor dem Aufbringen von Oberflächenelektroden ist keine Antiseptik erforderlich.
Aseptik. Die überlegte adäquate AseptisNeurologie
NeurologieAseptikVorbereitung der Lumbalpunktion unter Anwendung aseptischer Arbeitstechniken
und die zu Beginn durchgeführte hygienische Händedesinfektion helfen, Infektionen
vorzubeugen. Die Vorbereitung muss durch geschultes Personal erfolgen. Der Kontaminationsvermeidung
dient das Arbeiten mit freien Unterarmen.
Es konnte der Zusammenhang zwischen der Kontamination des Areals aus der Mundhöhle
vor der Lumbalpunktion mit nachfolgender Meningitis nachgewiesen werden (Pandian et
al. 2004; Veringa, van Belkum und Schellekens 1995).
Erfolgt die Vorbereitung des Zubehörs auf einer Arbeitsfläche, muss diese zuvor wischdesinfiziert
bzw. bei Punktionen, die einen Wechsel und ein zwischenzeitliches Ablegen steriler
Instrumente erfordern, zusätzlich steril abgedeckt werden.
•
Für die Lumbalpunktion müssen sterile Handschuhe und ein MNS getragen werden.
•
Aus Gründen des Selbstschutzes ist das Tragen von Schutzhandschuhen bei der neurophysiologischen
Diagnostik mit Nadelelektroden zur Vermeidung von durch Blut übertragbaren Infektionen
routinemäßig zu empfehlen.
Aufbereitung von Medizinprodukten: Oberflächenelektroden MedizinprodukteaufbereitungNeurologie
NeurologieMedizinprodukteaufbereitungwerden nach jedem Patienten von der verbliebenen
Elektrolytpaste gereinigt und eine Wischdesinfektion durchgeführt. Bei Patienten mit
floriden bakteriellen oder viralen Infektionen wird empfohlen, Oberflächenelektroden
sorgfältig zu reinigen und, wenn es das Elektrodenmaterial ermöglicht, unter Beachtung
von Konzentration und Einwirkzeit der VAH-Liste mit einem Instrumentendesinfektionsmittel
zu desinfizieren. Bei Infektionen mit unbehüllten Viren sind viruzide Mittel zu verwenden.
Wenn die Elektrode nicht zu desinfizieren ist, muss sie entsorgt werden. Bei bestätigter
oder ungeklärter Diagnose sind kritische und semikritische MP CJD-spezifisch aufzubereiten
oder zu verwerfen (Kap. 3.3).
Nadeln für Akupunktur, Myografie und Nervenleitgeschwindigkeitsmessung sind wegen
des CJD-Risikos grundsätzlich als Einwegmaterial zu empfehlen.
Distanzierung bei Meningoenzephalomyelitis: Grundsätzlich Meningoenzephalomyelitis,
Isolierung
IsolierungMeningoenzephalomyelitisrichtet man sich zunächst nach dem potenziellen
Erreger, bei dem die strengsten Isolierungsmaßnahmen notwendig sind. Nach Klärung
der Ätiologie sind die Maßnahmen dem nachgewiesenen Erreger anzupassen (Tab. 5.20
).
Tab. 5.20
Isolierungsempfehlungen bei Meningitiden/Enzephalitiden
Reich
Erreger
Isolierung
Schutzkittel, Handschuh1
MNS
Haarschutz
Wirkungsspektrum für die Desinfektion
Aufhebung der Isolierung
Unbekannt
+
+
+
+
Viruzid
Nach Diagnose fehlender Übertragung
Bakterien
N. meningitidis
+
+
+
+
Bakteriozid
24 h nach Therapiebeginn
S. pneumoniae
(+)
–
–
–
B. burgdorferii, L. monocytogenes, E. coli, H. influenzae
–
+
–
–
M. tuberculosis
Nur bei offener Tbc
+
+
+
Tuberkulozid
Bei offener Tbc bis neg. Sputumbefund
Pilze
C. neoformans
2
–
–
–
–
Fungizid
Behüllte Viren
Herpes-simplex-Virus Typ-I und II, Varicella-Zoster-Virus, Epstein-Barr-Virus
–
+
–
–
Begrenzt viruzid
HIV
–
+
–
–
Achtung bei profuser Diarrhö
Influenza3
+
+
+
+
7 Tage nach Erkrankungsende
Masern3
+
+
+
+
Nach Erkrankungsende
Mumps3
+
+
+
+
Nach Erkrankungsende
Tollwut
+
+
–
Während der Erkrankung
Flaviviren wie z. B. FSME-, Dengue- oder West-Nil-Virus, Lymphozytäre-Choriomeningitis-Virus
(LCM-Virus) und weitere durch Athropoden-übertragene (Arbo-)Viren wie z. B. Sandfliegenfieber
(Toskana),
–
–
–
–
Unbehüllte Viren
Adenoviren
+2
+
+
+
Viruzid
Nach Erkrankungsende
Enteroviren (Coxsackie A und B, Echo, Enterovirus 71, Polio)
–
+
–
–
Nach Erkrankungsende
Parvovirus B192
–
–
–
–
Kein Kontakt zu nicht immunen Schwangeren
Prionen
CJD4, vCJD4
–
Bei Lumbalpunktion
Bei Verunreinigung mit Liquor u. Ä. Guanidinthiocyanat
Während der Erkrankung
Protozoen
T. gondii
–
–
–
–
Würmer
ZystizerkoseToxocariasis
–
–
–
–
Gründliche Händewaschung nach operativer Entfernung
1
Bei erwartetem Kontakt
2
Kein Kontakt zu Immunsupprimierten
3
Geimpftes bzw. immunes Personal einsetzen (+) keine Pflege durch Ungeimpfte > 60 Jahre
4
Bei Verletzung mit Expositionsrisiko Wunde mit 1 M NaOH auswaschen, danach gründlich
unter fließendem Wasser spülen
Grundsätzlich ist insbesondere bei klinischen Hinweisen auf eine Genese durch Pneumo-
und Meningokokken zunächst eine Einzelunterbringung des Patienten notwendig.
Als Schutz vor DistanzierungsmaßnahmenMeningoenzephalomyelitisKontamination müssen
MNS, Schutzkittel und Handschuhe bei möglichem Kontakt mit erregerhaltigem Material,
mit kontaminierten Objekten oder mit der erkrankten Person angelegt werden. Zur Desinfektion
von Instrumenten, Flächen und Wäsche sollen Desinfektionsmittel und -verfahren mit
dem Wirkungsbereich B angewandt werden (Kap. 2.4). Für die hygienische Händedesinfektion
sind bis zur Diagnoseklärung viruzide Präparate auszuwählen. Bei allen routinemäßigen
Desinfektionsmaßnahmen und bei der Schlussdesinfektion ist jeweils die Konzentration
für die Einwirkungszeit von 1 Stunde einzusetzen.
5.9
Intensivmedizin
Matthias Gründling, Sven-Olaf Kuhn, Konrad Meissner und Axel Kramer
Nosokomiale Infektionen (NI) limitieren, insbesondere wenn sie zur Sepsis führen,
häufig den Erfolg intensivmedizinischer Bemühungen.
5.9.1
Epidemiologie
Nach der Infektionen, nosokomialeIntensivstation
Infektionen, nosokomialeEpidemiologie IntensivstationGesundheitsberichterstattung
des Bundes treten in Deutschland auf Intensivstationen (ITS) jährlich > 60 000 NI
auf (Geffers, Gastmeier und Rüden 2002).
Bei den neuesten Daten der Extended Prevalence of Infection in Intensive Care (EPIC
II) Study (7. Mai 2007) auf 1 265 Intensivstationen aus 75 Ländern (Vincent et al.
2009), bei denen nicht zwischen nosokomialen und nichtnosokomialen Infektionen unterschieden
wurde, wurden von 13 796 gescreenten Intensivpatienten 51 % als infiziert eingestuft.
Am häufigsten waren Infektionen des Respirationstrakts (64 % der infizierten Patienten),
gefolgt von abdominalen Infektionen (20 %), Blutstrominfektionen (15 %) und HWI (14
%). Bei 70 % der Infektionen gelang ein Erregernachweis, dabei handelte es sich in
62 % der Fälle um gramnegative, in 47 % der Fälle um grampositive Bakterien und in
17 % um Pilze.
Bei der EPIC Study 15 Jahre zuvor waren 45 % der Patienten infiziert, wobei bei 23
% eine auf der ITS erworbene Infektion vorlag (Vincent et al. 1995). Atemwegsinfektionen
waren mit 65 % am häufigsten, gefolgt von Harnwegs- (18 %) und Blutstrominfektionen
(12 %). Die am häufigsten nachgewiesenen Erreger waren Enterobacteriaceae (34 %),
S. aureus (30 %), P. aeruginosa (29 %), KNS (19 %) und Pilze (17 %).
5.9.2
Pathophysiologie
Das Infektionen, nosokomialePathophysiologie IntensivmedizinEntstehen von NI auf der
Intensivmedizin ist durch verschiedene Faktoren bedingt. Durch Grunderkrankungen oder
die akute lebensbedrohliche Situation (OP, Trauma, Herzinfarkt) existiert eine eingeschränkte
Immunkompetenz des kritisch kranken Patienten. Diese trifft auf eine Vielzahl invasiver
diagnostischer und therapeutischer Verfahren, die physiologische Barrieren durchbrechen.
Die besondere hygienische und mikroökologische Situation auf einer ITS (Häufung infizierter
Patienten, massiver Einsatz von Breitspektrumantibiotika, enger Kontakt zwischen Personal
und Patient) begünstigt zusätzlich das Entstehen von NI. In der Regel geht der Infektion
eine Kolonisation primär nicht kolonisierter Areale voraus. Diese kann durch endogenen
Erregertransfer, Selektion und Übergewicht potenziell pathogener Erreger der patienteneigenen
Flora (Oropharynx, Gastrointestinal-, Urogenitaltrakt) oder durch exogene Übertragung
entstehen.
Wird das Gleichgewicht zwischen Immunkompetenz und Erregerlast gestört, kommt es zur
NI.
5.9.3
Diagnostik von NI in der Intensivmedizin
Die Infektionen, nosokomialeDiagnostik IntensivmedizinInfektionsdiagnostik gestaltet
sich im Einzelfall schwierig, da zwar oft klassische Infektionssymptome vorhanden
sind, diese aber durchaus eine nichtinfektiöse Ursache haben können. Der Nachweis
von Bakterien in primär sterilen Arealen gestattet noch keine ausreichende Differenzierung
zwischen Infektion und Kolonisation.
Da die adäquate Therapie über das Outcome des infizierten Patienten entscheidet (Kumar
et al. 2009), müssen vor dem schnellen Beginn der antiinfektiven Therapie Blutkulturen
und mikrobiologisches Material vom vermuteten Infektionsort gewonnen werden (O'Grady
et al. 2008).
Infektionssymptome wie Fieber, Bewusstseinsstörungen und Kreislaufdepression können
beim Intensivpatienten oft nicht infektiöse Ursachen haben. Andererseits sollte bei
derartigen Symptomen bis zum Ausschluss immer an eine NI gedacht werden. Hilfreich
ist neben apparativen Verfahren wie Röntgen, Sonografie und CT die Bestimmung von
EntzündungsparameternEntzündungsparameter (Burillo und Bouza 2014). Bei der Diagnostik
lebensbedrohlicher Infektionen bietet Procalcitonin (PCT) wegen vergleichsweise guter
Sensitivität und Spezifität Vorteile gegenüber dem CRP und dem Leukozytengehalt im
Blut (Hetherill et al. 1999). Entscheidend für die Wahl des Infektionsparameters ist
zudem die Kinetik der Marker. Während Interleukin-6 in den ersten Stunden einer Infektion
bzw. Entzündung erhöht ist und dann schnell wieder abfällt, werden PCT nach 6 h und
CRP nach 24 h signifikant ansteigen und länger erhöht bleiben (Meisner, Adina und
Schmidt 2006). Für schwere Infektionen scheint PCT daher der am besten geeignete Parameter
zu sein. Ausreichende klinische Daten liegen jedoch bisher nur für die ambulant erworbene
Pneumonie vor (Christ-Crain et al. 2004; Christ-Crain und Muller 2014). Für die klinische
Routine empfiehlt sich die Diagnosestellung strikt nach Definitionskriterien in Kombination
mit einer PCT-Bestimmung. Beispielhaft sei die Pneumoniediagnostik erwähnt (Kap. 4.4.3).
5.9.4
Allgemeine Maßnahmen zur Prävention nosokomialer Infektionen in der Intensivmedizin
Händehygiene
Die IntensivstationHändehygiene
HändehygieneIntensivmedizin
IntensivstationInfektionsprävention
IntensivstationHygienemaßnahmenDurchsetzung indizierter Händehygiene vermeidet die
Übertragung der wichtigsten nosokomialen Krankheitserreger, was für Intensivpatienten
besondere Bedeutung besitzt. Wichtig ist, dass vor und nach jedem Patientenkontakt
sowie nach Kontakt mit Sekreten oder den dem Patienten zugeordneten Flächen (Bett,
Spritzenpumpe, Monitor usw.) eine Händedesinfektion erfolgt. Außerdem ist die Händedesinfektion
vor allen aseptischen Tätigkeiten erforderlich auch wenn dabei saubere Einmalhandschuhe
zum Personalschutz getragen werden. Auch nach dem Ablegen von Handschuhen soll eine
Händedesinfektion erfolgen. Wegen der Hautbelastung ist Händewaschen nur bei Verschmutzung
der Hände bzw. Kontamination mit Bakteriensporen wie C. difficile zusätzlich zur Händedesinfektion
durchzuführen (ansonsten Risiko der Umfeldkontamination mit anderen Erregern + schlechtere
Hautverträglichkeit + beeinträchtigte Wirkung durch Restfeuchte).
Im Griffbereich jedes Patienten und am Zutritt zur Station ist ein Desinfektionsmittelspender
vorzusehen, um die Händedesinfektion für jeden Eintretenden einschließlich Besucher
zu ermöglichen, und durch ein Piktogramm auf die Benutzung aufmerksam zu machen.
Distanzierung
Mit der Zunahme von MRE kommt der Einhaltung der DistanzierungIntensivmedizin
IntensivstationDistanzierung
IsolierungIntensivmedizin
IntensivstationIsolierungDistanzierungsmaßnahmen, insbesondere der Isolierung (Kap.
2.11) sowie der Gewährleistung von Aseptik (Barrierepflege, Schutzhandschuhe, Non-Touch-Technik,
Schutzkleidung) und Antiseptik, besondere Bedeutung zu. Räumliche und personelle Voraussetzungen
beeinflussen die NI-Rate, weil der auf einer ITS häufige enge Kontakt zwischen Personal
und Patient insbesondere bei Pflegemaßnahmen eine erhebliche Gefahr der Erregerübertragung
birgt.
Personelle Voraussetzungen: Ein nicht angemessener Pflegeschlüssel geht mit einer
erhöhten Morbidität und Mortalität einher (Hugonnet. Chevrolet und Pittet 2007; Needleman
et al. 2002, Spigaglia et al. 2009). Bei aufwendiger Intensivtherapie sind nach den
Richtlinien der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensivmedizin (1979)
3 Pflegekräfte/Patient anzustreben.
Der beste Personalschlüssel gibt keine Garantie für eine effektive Infektionsprophylaxe,
wenn das Personal nicht geschult ist.
Bauliche Anforderungen: Die Abtrennung Isolierungbauliche Anforderungender Station
mittels Schleuse bringt keinen infektionspräventiven Nutzen (Pitten, Wackerow und
Wendt 2001). Eine ITS ist so zu gestalten, dass ausreichend separate Vorbereitungsräume,
Entsorgungs- und Lagerräume vorhanden sind. Neben den räumlichen Voraussetzungen müssen
die hygienischen Anforderungen an die Intensivtechnik beachtet werden (Beachtung der
Desinfizierbarkeit von Oberflächen, ggf. Sterilisierbarkeit von Geräteelementen und
Reduktion von Kabelverbindungen, Tastaturen und Bedienelementen mit oder ohne Touchscreen
bei der Geräteauswahl).
Bei der Neuplanung von Intensiveinheiten empfiehlt es sich, mindestens die Hälfte
der Zimmer als Einbett- und die übrigen als Zweibettzimmer vorzusehen. Ideal sind
Lösungen mit beweglichen Zwischenwänden. Einzelzimmer mit vorgeschalteten Schleusen
ermöglichen die Isolierung von Patienten mit MRE, offener Tuberkulose, Virusgrippe
oder ausgedehnten Wundflächen. Zur Umkehrisolation stark abwehrgeschwächter Patienten
(z. B. lang anhaltende Granulozytopenie und Sepsis, andere Komplikationen nach Stammzelltransplantation)
muss die RLTA die Luftzirkulation von innen nach außen sicherstellen (leichter Überdruck
im Isolationszimmer). Ansonsten reduziert ein leichter Unterdruck, im einfachsten
Fall durch Luftabführung in der Sanitärzelle, den Erregertransfer nach außen. Je nach
Lage der Räume kann bei Ausstattung der Fenster mit Fliegengaze die zusätzliche Möglichkeit
der Fensterlüftung erwogen werden, sofern aufgrund der Umgebung nicht mit einem Eintrag
von Aspergillus-Sporen zu rechnen ist.
Die Zimmer selbst müssen so groß sein (> 20 m2), dass die intensivmedizinische Ausstattung
(z. B. Beatmungsgerät, Infusionspumpe) ohne hygienische Risiken bedient werden kann,
d. h. bei der Bedienung bettseitiger Technik der Kontakt mit dem Patientenbett vermieden
wird. Das betrifft auch den Bettenabstand zur Wand. Um auf die Notwendigkeit der Desinfektion
patientennaher Flächen aufmerksam zu machen, sollten diese bereits herstellerseitig
mit einer Warnfarbe (z. B. gelb) markiert werden. Bei Kontamination von Flächen z.
B. mit Blut, Sputum, Wundsekret u. Ä. hat die umgehende Beseitigung mit Schutzhandschuh
und desinfektionsmittelgetränktem Tuch zu erfolgen.
Auf der Station müssen ausreichende Arbeitsflächen zur aseptischen Zubereitung vorhanden
sein. Sofern nicht elektiv planbare iv. Infusate auf der ITS hergestellt werden sollen,
kann das als Kompromisslösung für Nicht-CMR Arzneimittel in einer LAF Werkbank gemäß
DIN 12469-Klasse 2 in einem separaten Raum mit ausschließlich geschultem Personal
(n=2) durchgeführt werden. Hierzu ist ein detaillierter Standard gemeinsam mit der
Krankenhaushygiene festzulegen (Kap. 6.8.1). Allerdings sollten elektiv planbare Mischlösungen
zur total parenteralen Ernährung in der Apotheke in LAFs unter Reinraumbedingungenen
von Fachpersonal hergestellt werden.
Auch eine desinfizierende Reinigung der Fußböden wird in Hochrisikobereichen – wie
allen ITS – von der KRINKO empfohlen (Kap. 2.5).
Auf der ITS müssen mikrobielle Umweltreservoire eliminiert werden (z. B. Blumenvase,
Waschlotion, Tee u. a. Lebensmittel) Abnahmestellen für Wasser zum menschlichen gebrauch
(Wasserhähne, Duschköpfe) sollten mit 0,2 mm Bakterienfiltern versehen sein, wenn
das Wasser für die Pflege von ITS Patienten genutzt wird. Der Einsatz von selbstdesinfizierenden
Siphons kann erwogen werden. (Kap. 6.6.2).
Screening
Intensivstationen IntensivstationMRSA-Screening
MRSA-ScreeningIntensivmedizinhaben die höchste Prävalenz v. a. von MRSA und Glykopeptid-intermediär-sensiblem
S. aureus (GISA), der zunehmend für Therapieversagen verantwortlich ist. Deshalb ist
auf der ITS ein generelles MRSA-Aufnahmescreening mittels PCR mit Kontaktisolierung
bis zum negativen Befund notwendig (Kalenic et al. 2010; Kramer et al. 2010a; Simon
et al. 2009a; Wilson et al. 2006). In Verbindung mit einer konsequenten Dekolonisierung
der MRSA-Träger kann die MRSA-Prävalenz auch klinikweit gesenkt werden und erwies
sich als kosteneffektiv (Trautmann 2008; Kap. 3.7.4). Wird der Patient bereits bei
Aufnahme mit einem MRSA-wirksamen Antibiotikum behandelt, kann das Screening nur mittels
PCR durchgeführt werden.
Rationale Antibiotikatherapie
Antibiotikaanwendung IntensivstationAntibiotikatherapie
AntibiotikatherapieIntensivmedizin und -auswahl sind wegen des häufigen Einsatzes
und der Häufung von MRE in der Intensivmedizin besonders relevant. Darüber hinaus
wirkt sich der inadäquate Umgang mit Antibiotika an einem Klinikum auf die Intensivstationen
besonders ungünstig aus. Insofern müssen alle Fachrichtungen dazu beitragen, durch
rationalen Umgang mit Antibiotika die Probleme in der Intensivmedizin zu reduzieren
(de Wit et al. 2013).
Grundlage des rationalen Umgangs mit Antibiotika muss eine Antibiotikarichtlinie mit
verbindlicher Regelung allgemeiner Grundsätze und lokaler Besonderheiten sein. Sie
sollte mindestens alle 3 Jahre aktualisiert werden. Kernpunkte sind die sofortige,
kalkulierte, hochdosierte und frühzeitige i. v. Gabe eines Breitspektrumantibiotikums
bei Verdacht auf eine schwerwiegende Infektion ebenso wie eine (bis auf wenige Ausnahmen)
auf 7–10 d begrenzte Behandlungsdauer. Die Auswahl der für die empirische/kalkulierte
Therapie am besten geeigneten Antibiotika richtet sich nach dem nachgewiesenen oder
vermuteten Infektionsherd, der Antibiotikaanamnese des Patienten, der lokalen Resistenzsituation
am Klinikum, pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Aspekten sowie den durch
die Behandlung zu erwartenden Nebenwirkungen.
Jede begonnene Antibiotikatherapie sollte alle 48–72 h anhand klinischer und mikrobiologischer
Kriterien neu evaluiert werden. Oft liegen zu diesem Zeitpunkt Ergebnisse der mikrobiologischen
Diagnostik vor, die eine Deeskalation der initial sehr breit wirksamen Therapie möglich
machen. Jede nicht gerechtfertigte Antibiotikatherapie sollte sofort beendet werden.
Die nicht indikationsgerechte Gabe von Breitspektrumantibiotika führt unweigerlich
zu vermehrter Resistenzentwicklung und zu einem Selektionsvorteil für MRE.
Vor der kalkulierten Antibiotikatherapie sollte ohne Zeitverzug unbedingt der Versuch
der Erregerisolierung aus dem bekannten oder vermuteten Infektionsherd erfolgen. Die
isolierten Erreger sind eine der Grundlagen für die Deeskalation oder Umstellung der
Therapie (Kap. 4.4.4). Wesentlich für die weitere Behandlung sind die Veränderung
des klinischen Zustands und die Kinetik der Entzündungsparameter (Kap. 5.9.3). Es
konnte für Intensivpatienten mit lebensbedrohlichen Infektionen gezeigt werden, dass
bei identischem Outcome in der Gruppe, bei der die Antibiotikatherapie mittels PCT
gesteuert wurde, signifikant weniger Antibiotika verabreicht wurden (Bouadma et al.
2010).
Der rationale Antibiotikaeinsatz kann sowohl beim einzelnen Patienten sekundär endogene
Infektionen reduzieren helfen als auch das infektiologische Geschehen allgemein positiv
beeinflussen.
Surveillance
Aufgrund SurveillanceIntensivmedizin
IntensivstationSurveillanceder Relevanz von NI für das Outcome des Patienten sind
nach § 23 IfSG Intensivstationen verpflichtet, mindestens eine NI zu erfassen. Die
dafür bedeutsamste ist die nosokomiale bzw. beatmungsassoziierte Pneumonie (VAP).
Schon die Einführung der Surveillance trägt zur Reduzierung der NI-Rate bei (Haley
et al. 1985), weil die Aufmerksamkeit für das Problem erhöht wird und die Ergebnisse
Basis für anschließende Interventionen sind.
Für die Intensivmedizin kommen als zu überwachende Infektionen die beatmungsassoziierte
Pneumonie (VAP) (KRINKO 2013a) und die primäre ZVK-assoziierte Sepsis (CABSI) infrage.
Aus- und Fortbildung
Der Effekt strukturierter Schulungsprogramme auf die NI-Rate ist für Gefäßkatheter-assoziierte
Blutstrominfektionen (CABSI) und verbesserte Händehygiene nachgewiesen (Kap. 2.1,
Kap. 4.2.4). In die Ausbildung des Intensivpersonals werden zunehmend Trainingseinheiten
an Simulatoren implementiert, für die eine Reduktion der Komplikationen bei Katheteranlage
und von CABSI nachgewiesen wurde (Barsuk et al. 2009). Auch für die VAP ist die Wirksamkeit
von Ausbildungsprogrammen und des Einsatzes speziell geschulten Personals bezüglich
Reduktion von Pneumonie, Beatmungsdauer und Intensivverweildauer belegt (Babcock et
al. 2004; Zack et al. 2002). Ebenso existieren für die Sepsis als häufigste Todesursache
in der Intensivmedizin zunehmend Daten über den die Sterblichkeit reduzierenden Effekt
von Ausbildungsprogrammen (Kap. 4.5.3).
In den Empfehlungen der CDC werden Personalschulung, Aus- und Fortbildung als infektionspräventive
Maßnahme in den höchsten Evidenzgrad eingestuft.
5.9.5
Spezielle Infektionsprophylaxe
Beatmungsassoziierte Pneumonie
Die Pneumonie, beatmungsassoziierteProphylaxebeatmungsassoziierte Pneumonie (VAP)
ist bei beatmeten Intensivpatienten die am häufigsten erworbene NI. Ihre klinische
Bedeutung beruht darauf, dass sie die häufigste Sepsisursache ist, die Mortalität
von Intensivpatienten signifikant erhöht und die Dauer der maschinellen Beatmung sowie
des Intensiv- und Krankenhausaufenthalts verlängert. In zahlreichen Empfehlungen wird
auf die Prävention der VAP eingegangen (Dodek et al. 2004; Rotstein et al. 2008; Tablan
et al. 2004). Zielführend ist die aktuelle Empfehlung der KRINKO zu diesem Thema (KRINKO
2013a). Die beste Prophylaxe ist die Verhinderung der Beatmung z. B. durch nicht invasive
Atemunterstützung bei hierfür geeigneten Patienten.
Unabhängige Risikofaktoren sind höherer SOFA-Score bei Aufnahme auf die ITS, Länge
der mechanischen Beatmung sowie schlechter Ernährungsstatus (Zahar et al. 2009).
Eine effektive Prophylaxe reduziert nicht nur Morbidität und Mortalität von Intensivpatienten,
sie führt auch zur erheblichen Reduktion der Behandlungskosten. Surveillance und Personalschulungen
zählen auch bei VAP zu den effektiven Prophylaxeregimen (Zack et al. 2002). Maßnahmen
wie Händedesinfektion vor und nach jedem Kontakt mit der Beatmungseinheit sowie (zusätzlich
zu den Einmalhandschuhen) mit Sekreten des Respirations- und Oropharyngealtrakts sind
Standard der Pneumonieprophylaxe. Insbesondere bei Kolonisation mit MRE müssen die
Patienten isoliert werden, da die Übertragung mit anschließender Kolonisation des
Oropharynx eine der Ursachen für die Entstehung der VAP ist. Vor Operationen sollten
der prä- und perioperative Zustand optimiert werden. Neben optimalem Ernährungszustand
sowie Beachtung der Hygienestandards bei Intubation und Beatmung während der Narkose
sind die effektive perioperative Schmerztherapie mit nicht sedierenden Medikamenten
und der Einsatz regional schmerzausschaltender Anästhesieverfahren zu bevorzugen.
Ist die maschinelle Beatmung unvermeidbar, sollte sie so kurz wie möglich durchgeführt
werden.
Aufwachversuche und anschließende Adaptation der Sedierung reduzieren die Beatmungsdauer
und somit die VAP-Rate. Maßnahmen, die zu andauernder Alkalisierung des Magensafts
führen, wie Gabe von H2-Blockern und Protonenpumpenhemmern zur Stressulkusprophylaxe
sowie die kontinuierliche Ernährung über eine Magensonde, sollten auf das Mindestmaß
beschränkt werden. Die enterale Ernährung soll an die Peristaltik adaptiert sein und
bei Subileuszuständen über eine Jejunalsonde erfolgen, um die Gefahr der Aspiration
zu minimieren. Bei Verdacht auf Schluckstörungen und bei tracheotomierten Patienten
ist vor oraler Nahrungszufuhr mittels Schluckdiagnostik die Gefahr der Aspiration
auszuschließen. Bei Schluckstörungen sollte die enterale Ernährung über eine perkutane
endoskopische Gastrostomie (PEG) erfolgen.
Bei geeigneten Patienten ist die nicht invasive Maskenbeatmung der endotrachealen
Intubation und Beatmung vorzuziehen.
Die invasive Beatmung sollte über einen orotrachealen Tubus erfolgen. Nasotracheale
Tuben gehen mit höherer Sinusitisrate einher, die wiederum mit einer höheren Pneumonierate
assoziiert ist. Ob die frühe Tracheotomie die VAP-Rate reduziert, ist nicht abschließend
geklärt. Die subglottische Absaugung und Drainage über spezielle Tuben ist geeignet,
die VAP-Rate zu reduzieren. Mundhöhlenantiseptik mit CHX reduziert die Häufigkeit
von früh manifesten Pneumonien bei kardiochirurgischen Patienten. In mehreren Studien
konnte gezeigt werden, dass durch selektive Darmdekontamination (SDD) die Rate nosokomialer
Pneumonien und die Letalität beatmeter Intensivpatienten reduziert werden kann, in
der aktuellen KRINKO Empfehlung wird die SDD jedoch vor dem Hintergrund der zunehmenden
Prävalenz von MRGN kritisch hinterfragt (Kap. 2.10.12). Die bevorzugte Lagerung des
Oberkörpers in 45°-Position wird von der KRINKO Empfehlung nicht mehr zur Pneumonieprophylaxe
empfohlen. Mittels Lagerungsmaßnahmen und Anwendung kinetischer Betten kann zwar eine
Reduktion der Pneumonierate, nicht aber der Sterblichkeit erreicht werden, eine generelle
Empfehlung zur Prophylaxe der VAP kann daher nicht gegeben werden (Delaney et al.
2006). Beatmungsschläuche sollten (solange sie intakt und nicht grob verschmutzt sind)
nicht häufiger als wöchentlich und nach jedem Patienten gewechselt werden. Zur Anfeuchtung
sollten HME-Filter gegenüber aktiver Kaskadenbefeuchtung bevorzugt werden. Vor dem
Umlagern der Patienten sind Kondensatrückstände aus dem Beatmungsschlauch zu entfernen
(Sekretfalle). Ob Atemgymnastik bzw. Physiotherapie die VAP-Rate reduziert, ist nicht
belegt. Zur Prophylaxe der VAP bietet die geschlossene endotracheale Absaugung keine
Vorteile gegenüber der offenen, sie ist jedoch bei mit MRE besiedelten Patienten zu
empfehlen, damit die Umgebungskontamination beim Absaugen reduziert wird (Jongerden
et al. 2007).
Durch Bündelung der Maßnahmen (sog. Bundles) wird der Erfolg der Infektionsprävention
optimiert. Das am besten Bündelstrategieuntersuchte Bundle zur VAP-Prävention umfasst
Training, Händehygiene, Schräglagerung, antiseptische Mundpflege, Verzicht auf Sedierung,
Prophylaxe tiefer Venenthrombosen und peptischer Ulzera, Einhaltung des Beatmungs-Weaning-Protokolls
und ggf. eine kontinuierliche subglottische Sekretabsaugung über einen speziellen
Tubus (Resar et al. 2005).
Gefäßkatheter-assoziierte Blutstrominfektion (CABSI)
Während Blutstrominfektion, gefäßkatheterassoziierteProphylaxebei peripheren Venenzugängen
und arteriellen Kathetern NI von untergeordneter Bedeutung sind, stellen zentrale
Gefäßkatheter wie ZVK und Rechtsherzkatheter (Pulmonalarterienkatheter) ein nicht
unerhebliches Infektionsrisiko dar. Etwa 80 % aller primären Bakteriämien sind einem
zentralen Gefäßkatheter assoziiert (CABSI) Den KISS-Surveillance-Daten zufolge war
2005 von 1,5 CRBSI/1 000 Kathetertagen (entspricht 8 400 Infektionen/Jahr) auszugehen,
einem europäischen Survey zufolge wird eine Häufigkeit von 1–3,1 CRBSI/1 000 Kathetertage
angenommen (Suetens et al. 2007).
Durch regelmäßige Fortbildung des Personals müssen Indikationen, sachgerechte Anlage,
Pflege und Infektionskontrollmaßnahmen zur Prävention von CABSI vermittelt werden.
Infektionswege können intraluminal, Blutstrominfektion, gefäßkatheterassoziierteInfektionswegeextraluminal
und hämatogen sein. Ätiologisch kommen v. a. CoNS, S. aureus, Enterococcus spp., Corynebacterium
spp., gramnegative Erreger wie E. coli oder P. aeruginosa und C. albicans in Betracht.
Die Infektionsrate verschiedener Punktionsstellen für ZVK wurde offenbar nie randomisiert
untersucht. Die Punktion der V. subclavia zeigt in einigen Untersuchungen die geringste
Kolonisations- bzw. Infektionsrate im Vergleich zur V. jugularis bzw. V. femoralis
(Nagashima et al. 2006; Templeton et al. 2008). Die Anzahl der Lumina erhöht die Infektionsrate;
nicht benötigte Lumina sollten unter aseptischen Kautelen mit steriler 0,9-prozentiger
NaCl-Lösung oder mit einer antimikrobiell wirksamen Blocklösung geblockt werden. Die
Katheteranlage ist unter hygienisch optimierten Bedingungen wie auf der ITS bzw. im
OP mit einer niedrigeren Kolonisationsrate verbunden. Shaldon-Katheter können bei
schlanken, normalgewichtigen IST-Patienten auch in die Vena femoralis (Leiste) gelegt
werden.
Die Anlage hat streng aseptischGefäßkatheterAnlage unter maximalen Barrierevorkehrungen
nach einem für alle gültigen Standard zu erfolgen, der mithilfe einer Checkliste überprüft
werden kann. Nach Händedesinfektion werden Kopfbedeckung, MNS, steriler Kittel und
sterile Einmalhandschuhe angezogen, das Punktionsgebiet wird großflächig mit Hautantiseptikum
(Alkohol plus remanenter Wirkstoff) benetzt und mit einem ausreichend großen sterilen
Lochtuch abgedeckt. Das Lochtuch soll so groß bemessen sein, dass eine Kontamination
des Führungsdrahtes sicher vermieden wird (Seldinger-Technik). Vor der Punktion kann
eine zweite Antiseptik der Einstichstelle erfolgen (wieder mit Abwarten der Einwirkzeit).
Bei ultraschallgestützter Punktion ist der Ultraschallkopf steril zu verpacken.
Die Katheterinsertionsstelle wird entweder GefäßkatheterInsertionsstelle, Pflegemit
steriler Gaze oder mit einem sterilen, transparenten (semipermeablen) Folienverband
abgedeckt. Während bislang für die wiederholte Antiseptik an der Insertion venöser
oder arterieller Katheter kein infektionspräventiver Effekt nachgewiesen werden konnte,
gibt es Hinweise für die Effektivität beim ZVK. Sowohl durch 0,1-prozentiges OCT/30-prozentiges
Propan-1-ol + 45-prozentiges Propan-2-ol als auch durch 74-prozentiges Ethanol/10-prozentiges
Propan-2-ol war eine signifikante Reduktion der Mikroflora an der Katheterinsertionsstelle
nachweisbar, wobei OCT/Propanol über 24 h effektiver war (Dettenkofer et al. 2002).
Eine Metaanalyse von 6 randomisierten Studien, die unterschiedliche Zusammensetzungen
aus CHX und 10-prozentigem PVP-Iod in ihrer Eigenschaft zur Prävention katheter-assoziierter
Infektionen beurteilte, zeigte die Überlegenheit von CHX (Chaiyakunapruk et al. 2002).
Analysiert man diese Metaanalyse genauer, ergibt sich jedoch lediglich für die Studien,
in denen CHX in alkoholischer Lösung eingesetzt wurde, eine Überlegenheit gegenüber
den Interventionsgruppen, in denen 10-prozentiges PVP-Iod allein eingesetzt wurde.
Durch Einsatz von chlorhexidinbeschichteten Schwämmen als Verband (sog. Biopatch™)
kann eine weitere Reduktion von Kolonisation und CRBSI erreicht werden (Raad, Hanna
und Maki 2007, Timsit et al. 2009). Inzwischen gibt es auch einen CHX-freisetzenden
transparenten Folienverband (Scheithauer et al. 2014; Timsit et al. 2012). Auch durch
eine tägliche Ganzkörperwaschung mit CHX-haltigen Tüchern wurden in der internistischen
Intensivtherapie die Raten ZVK-assoziierter Blutstrominfektionen und positiver Blutkulturen
signifikant reduziert (Popovich et al. 2009). Ob dies bei konsequenter Anwendung anderer
evidenzbasierter Präventionsmaßnahmen und ggf. zusätzlch zu einem CHX-freisetzenden
Verband an der Eintrittsstelle von Vorteil ist, wird kontrovers diskutiert.
Es ist zu berücksichtigen, dass bisher fast alle Studien zur Infektionsprävention
bei Intensivpatienten mittels Antiseptik bzw. Imprägnierung mit CHX durchgeführt wurden,
weil OCT-haltige Antiseptika bisher in angloamerikanischen Ländern nicht verbreitet
sind. Bezüglich Nutzen-Risiko-Bewertung sind OCT-haltige Antiseptika zur Insertion
(zusammen mit Isopropanol) und Pflege (mit Phenoxyethanol) der ZVK-Eintrittsstelle
ebenfalls gut geeignet.
Die tägliche Reevaluation der Notwendigkeit des Gefäßzugangs trägt entscheidend zur
Verhinderung von CABSI bei.
Zur Vermeidung von CABSI ist die Beachtung von Empfehlungen im Umgang mit Infusionen
und Infusionssystemen essenziellBlutstrominfektion, gefäßkatheterassoziierteInfusionssysteme.
Fetthaltige Lösungen (sog. 3-in-1-Lösungen) sollten in 24 h einlaufen, reine Lipidlösungen
in 12 h und Blut bzw. Blutprodukte in 6 h. Die aktuellen Empfehlungen legen ein Wechselintervall
für Infusionssysteme von 72–96 h bzw. für reine Lipdlösungen von 24 h fest. Bei lipidhaltigen
Medikamenten (z. B. Propofol) sind die entsprechenden Angaben in der Fachinformation
zu beachten. Für die Verwendung antibiotika- bzw. antiseptikaimprägnierter Katheter
kann derzeit keine generelle Empfehlung ausgesprochen werden. Der zeitlich befristete
Einsatz aus individualmedizinischen Erwägungen (Patienten mit sehr hohem Risiko, z.
B. Brandverletzte) oder bei anhaltend hohen CABSI-Raten kann erwogen werden. Bei Einhaltung
des Präventionsbundles bleibt offen, ob sich ein zusätzlicher Effekt sichern lässt
(Hockenhull et al. 2009). Die Blockung von ZVK-Lumina mit Antibiotika kann derzeit
nicht generell empfohlen werden ggf. sollten hierzu aus infektionspräventiven Gründen
eher Ethanol oder Taurolidin verwendet werden (Zacharioudakis et al. 2014).
Mit der Bundle-Strategie (Marschall et al. 2014) Blutstrominfektion, gefäßkatheterassoziierteBündelstrategieist
eine signifikante Reduzierung der CABSI-Rate erreichbar (Berenholtz et al., 2004,
Berenholtz et al., 2014; Pronovost, Berenholtz und Needham 2008; Pronovost et al.
2006). Sie umfasst Training, Händehygiene, optimale Auswahl der Insertionsstelle,
maximale Barrierevorkehrungen bei Anlage und Diskonnektion, Hautantiseptik mit CHX/Isopropanol
(oder OCT/Isopropanol) sowie tägliche Überprüfung der Notwendigkeit mit rechtzeitiger
Katheterentfernung. In den entsprechenden Studien wird die korrekte Umsetzung des
Standards zur ZVK Anlage von einer Pflegefachkraft beobachtet und dokumentiert. Bei
Abweichungen vom vereinbarten Vorgehen („Hygienefehler“) weist die beobachtende Person
den Arzt darauf hin und darf die (fehlerhafte) ZVK-Anlage ggf. auch unterbrechen.
Katheter-assoziierte Harnwegsinfektionen (HWI)
Im Harnwegsinfektionen, katheter-assoziierteProphylaxeErgebnis der deutschen Prävalenzstudie
des Kompetenznetzwerks Sepsis (SepNet) sind urogenitale Infektion mit 6,5 % bzgl.
schwerer Sepsis prävalent. Die 2014 aktualisierte Leitlinie U. S.-amerikanischer Fachgesellschaften
(Lo et al. 2014) fasst die aktuellen Empfehlungen zusammen. Darin wird u. a. auf die
strenge Indikationsstellung für die Anwendung von Harnwegskathetern (HWK) hingewiesen
(Kap. 4.3).
Analog wie bei zentralen Gefäßzugängen sollte regelmäßig (ITS: täglich!) die Notwendigkeit
von HWK überprüft werden. Bei Querschnittssyndrom bzw. wenn immer möglich und praktikabel
ist ein intermittierender Einmalkatheterismus zu bevorzugen. Die Anlage transurethraler
Katheter hat streng aseptisch mit geschlossenem Urinableitsystem zu erfolgen.
Ein Routinewechsel von Katheter oder Drainagesystem bringt aus Gründen der Infektionsprävention
keinen Vorteil. Zur Vermeidung eines Refluxes muss sich der Sammelbehälter stets unter
Blasenniveau befinden. Auf freien Abfluss ist zu achten bzw. ein Abknicken oder eine
Obstruktion des Ableitschlauchs ist zu vermeiden. Um Ablagerungen und Verkrustungen
zu vermeiden, sind Silikonkatheter am besten geeignet.
Bei langfristig vorhandener Indikation zu einer kontinuierlichen Harnableitung ist
ein suprapubischer Katheter von Vorteil: in Bezug auf die Prävention von HWI ist dies
jedoch nicht bewiesen. (individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung). Eine Harnableitung mittels
Urinkondomen ist ggf. zu erwägen. Anhand der verfügbaren Studien kann keine generelle
Empfehlung zur Verwendung antimikrobiell beschichteter Katheter gegeben werden (Lo
et al. 2014).
Postoperative Wundinfektionen (SSI)
Sie Surgical Site InfectionsProphylaxesind die dritthäufigste NI. S. aureus ist im
Erregerspektrum führend. Darüber hinaus ist die Kolonisation bzw. Infektion mit MRE
besonders bei längerer Krankenhausliegedauer als weitere Ursache zu nennen. Am bedeutendsten
ist die intraoperative Infektionsentstehung (Kap. 5.5). Postoperativ spielen Eintrittspforten
wie Wunddehiszenzen oder Drainagen eine große Rolle. Somit sind strenge Wundhygiene
und Sorgfalt bei der Wundversorgung die wichtigsten postoperativen Maßnahmen zur Vermeidung
von SSI. Der Verbandswechsel erfolgt aseptisch frühestens nach 24–48 h, bei durchfeuchteten
bzw. durchgebluteten Verbanden sofort. Drainagebeutel sind unter Patientenniveau zu
befestigen; eine Dekonnektion ist so weit wie möglich zu vermeiden, d. h. kein Routinewechsel
der Auffangbehältnisse. Drainagen sollten generell so bald als möglich entfernt werden
(Kap. 5.5.2).
Gastrointestinale nosokomiale Infektionen
Häufigster Infektionen, nosokomialegastrointestinale
Infektionen, nosokomialeClostridium difficileErreger ist bei erwachsenen Intensivpatienten
C. difficile (Kap. 3.9). Auch virale Erreger wie Noro- oder Rotaviren (Kap. 3.5) können
sich auf einer ITS bei lückenhafter Basishygiene oder verzögerter virologischer Diagnostik
(beim Indexpatienten) ausbreiten. Die im ambulanten Bereich häufigen bakteriellen
Gastroenteritiserreger (Salmonellen, Yersinien, Campylobacter) spielen auf der ITS
eine untergeordnete Rolle. Die massive Zunahme schwerer C.-difficile-assoziierter
ErkrankungenClostridium-difficile-assoziierte Erkrankung (CDAD) in den letzten Jahren
(Geffers und Gastmeier 2011) (von der Antibiotika-assoziierten Diarrhö bis zur lebensbedrohlichen
pseudomembranösen Colitis mit toxischem Megakolon mit Multiorganversagen) ist zum
einen eine Folge des unsachgemäßen Einsatzes von Breitspektrumantibiotika (Lubbert,
John und von Muller 2014). Dabei spielen v. a. Cephalosporine der 3. und 4. Generation,
Carbapeneme und Fluorchinolone eine herausragende Rolle (Spigaglia et al. 2009). Des
Weiteren werden vor allem bei alten Menschen vermehrt bestimmte hypervirulente C.-difficile
Stämme mit weltweiter epidemischer Ausreitung nachgewiesen.
Zur Clostridium-difficile-assoziierte ErkrankungPräventionPrävention ist die Überprüfung
einer kalkulierten antiinfektiven Therapie nach 72 h unbedingt erforderlich. Mehrere
Studien zeigen, dass der Einsatz von Protonenpumpenhemmern mit der Zunahme von CDAD
assoziiert ist (Barlette et al. 2013; Buendgens et al. 2014). Alkoholische Händedesinfektionsmittel
sind gegen Clostridiensporen unwirksam. Nach dem Ablegen der Einmalhandschuhe muss
erst eine Seifenwaschung der Hände und anschließend eine Händedesinfektion erfolgen
(Dubberke et al. 2014). Außerdem müssen die zur Umgebungs-/Flächendesinfektion bei
diesen Patienten eingesetzten Desinfektionsmittel sporozid wirksam sein.
•
Die Distanzierung infizierter Patienten durch Einzel- bzw. Kohortenisolierung von
an CDAD erkrankten Patienten ist mindestens bis 2 d nach Abklingen der Symptome erforderlich.
•
Eine Kontrolluntersuchung des Stuhls bei erfolgreich mit Vancomycin, Metronidazol
oder Fidaxomycin oral behandelten Patienten wird nicht empfohlen.
Zur Clostridium-difficile-assoziierte ErkrankungDiagnostikkosteneffektiven Diagnostik
einer Durchfallerkrankung auf der ITS sollte in der Anamnese v. a. die Zeit seit der
Hospitalisierung berücksichtigt werden. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass auch
Intensivpatienten durch Nahrungsmittel an einer Salmonellose erkranken, eine CDAD
ist jedoch am wahrscheinlichsten. Als Cut-off gilt die Zeitspanne von 72 h seit Hospitalisierung.
Bei Patienten, die innerhalb dieser Zeit eine Diarrhö entwickeln bzw. einem speziellen
Risikoprofil (Alter > 65 Jahre und dauerhafte Organfunktionsstörung, HIV, Neutropenie
oder V. a. Ausbruch) zuzuordnen sind, sollte die Stuhldiagnostik auf Salmonellen,
Shigellen, Yersinien, Campylobacter usw. erfolgen. Auch an Noroviren ist bei entsprechender
Klinik und Anamnese zu denken.
Bei allen anderen Fällen oder im Zweifelsfall sollte (ausschließlich bei symptomatischen
Patienten) eine CDAD ausgeschlossen bzw. bestätigt werden. Als Screeningtest dient
der Nachweis der C.-difficile-Glutamat-Dehydrogenase (GDH) im Stuhl, ist dieser Nachweis
positiv, wird mittels ELISA nach den Toxinen A und B gesucht (TcdA und TcdB). Die
Erregeranzucht ist bei Proben symptomatischer Patienten aus klinischen Hochrisikobereichen
und bei Ausbrüchen zu empfehlen, damit ggf. eine toxigene Kultur angelegt und zeitnah
hypervirulente CD-Isolate mit molekularbiologischen Methoden identifiziert und typisiert
werden können.
Durch bettseitige Rektoskopie ist noch vor dem Eintreffen des endgültigen mikrobiologischen
Ergebnisses der Stuhluntersuchung eine Differenzialdiagnose mit dem Nachweis typischer
Pseudomembranen möglich.
Die Therapie der Clostridium-difficile-assoziierte ErkrankungTherapieCDAD erfolgt
mit enteral appliziertem Vancomycin oder mit enteral/parenteral verabreichtem Metronidazol.
Andere Antibiotika sollten – wenn immer möglich – abgesetzt werden. Schwere Krankheitsmanifestationen
und CDAD Fälle bei Hochrisikopatienten werden primär mit Vancomycin behandelt. Die
Therapie der CDAD mit Vancomycin oder Metronidazol erhöht das Risiko der Selektion
von VRE. Etwa ein Drittel aller Patienten erleidet mindestens einen Rückfall während
des Aufenthalts. Der Einsatz von Fidaxomycin ist mit einer geringeren Rezidivrate
assoziiert aber primär sehr kostenintensiv.
5.10
Anästhesie
Sven-Olaf Kuhn, Matthias Gründling, Konrad Meissner und Axel Kramer
5.10.1
Allgemeine Prinzipien
Bei AnästhesieInfektionsrisikoder Durchführung von Anästhesieverfahren besteht ein
hohes Risiko des Erregertransfers. Sowohl nichtinvasive Techniken wie die orotracheale
Intubation als auch Verfahren zur Anlage verschiedener intravasaler bzw. regionaler
Katheter sind für den Patienten und seine Umgebung mit einer Vielzahl möglicher Kontaminationen
verbunden. Mit dem Anstieg des Durchschnittsalters der Patienten und der Zunahme der
Komorbiditäten ist auch eine Zunahme von Infektionen mit Problemerregern zu beobachten.
Trotz der zunehmenden Präsenz von MRE und anderen Problemerreger existiert kein 100-prozentig
zuverlässiges Screeningverfahren, das es ausreichend lange präoperativ erlaubt, im
Bedarfsfall speziell erforderliche Hygienemaßnahmen zu treffen. Insbesondere die Einbestellung
von Patienten unmittelbar vor dem geplanten Eingriff oder für ambulante Eingriffe
ist für ein frühzeitiges Erkennen von „Hygieneproblemen“ ungeeignet. Andererseits
ist die Beachtung gerade der Basishygienemaßnahmen eine häufig unterschätzte Möglichkeit
zur Infektionsverhütung (Beovic, Bufon und Cizman 2005). In jedem Fall sind die Maßnahmen
der AnästhesieBasishygienemaßnahmenBasishygiene, d. h. die Gesamtheit der Hygienemaßnahmen,
die bei der Versorgung der Patienten anzuwenden sind, einzuhalten, um die Übertragung
von Erregern oder erregerhaltigen Sekreten auf den Patienten bzw. zwischen Patienten
(Patientenschutz), auf das medizinische Personal (Personalschutz) sowie auf Geräte
und Flächen zu verhindern.
Die AnästhesieHändehygiene
HändehygieneAnästhesieHände sind Hauptüberträger für NI. Die Kontamination von Oberflächen,
die häufig durch das Anästhesiepersonal berührt werden (Narkosegerät, Monitor, Wegehähne),
stellt einen relevanten Risikofaktor in der Infektionsübertragung dar (Loftus et al.,
2008, Loftus et al., 2011). Deshalb kommt der Händedesinfektion eine herausragende
Bedeutung zu. Gut sichtbar angebrachte und ausreichend viele Desinfektionsmittelspender
in den Vorbereitungs- und Eingriffsräumen sowie direkt am Anästhesiearbeitsplatz (kurze
Wege) sind eine einfache, effektive Maßnahme. Besonders vor der Zubereitung von Medikamenten
und Infusionslösungen sowie vor aseptischen Tätigkeiten wie dem Legen von Gefäßzugängen,
Urinableitungen, Intubation oder endotrachealem Absaugen, aber auch nach Toilettengang,
Naseputzen oder Ablegen von Schutzhandschuhen hat eine Händedesinfektion zu erfolgen.
Auch das Tragen von Einmalhandschuhen bei Kontakt mit Sekreten und Körperflüssigkeiten
ist unverzichtbarer Bestandteil der Händehygiene (Boyce und Pittet 2002; Gemmell,
Birks und Radford 2008).
5.10.2
Personalhygiene
In AnästhesiePersonalhygiene
PersonalhygieneAnästhesieden OP-Bereichen ist das Tragen von farblich sich von anderen
Bereichen unterscheidender Bereichskleidung, maschinell desinfizierbaren Bereichsschuhen
sowie von geeigneter Kopfbedeckung, MNS bzw. Gesichtsschutz obligat. Die Kleidung
ist bei Verunreinigung, vor Verlassen des OP-Bereichs bzw. nach Verlassen eines „septischen
Saals“ zu wechseln. Das Wechseln des MNS soll bei Durchfeuchtung oder Verunreinigung
sowie zumindest dann vor jedem neuen Patienten erfolgen, wenn bei dem Patienten eine
respiratorische Infektion oder tracheale Kolonisation mit Problemerregern bekannt
ist. Ein einmal abgenommener MNS ist in jedem Fall zu verwerfen.
Die hygienische Händedesinfektion ist vor Betreten und Verlassen des OP-Bereichs Pflicht.
Aus hygienischen Gründen und zur Verhütung von Arbeitsunfällen verbieten sich jeglicher
Schmuck und Uhren an Händen und Unterarmen (UVV BGV C8 § 22). Situationsabhängig sind
Hautschutz- und Hautpflegemittel anzuwenden. Fingernägel sind sauber und kurz zu halten,
künstliche Fingernägel sind nicht zulässig.
Ein Saalwechsel des Anästhesiepersonals bei aseptischen Eingriffen ist nach hygienischer
Händedesinfektion möglich, sollte jedoch so weit es geht vermieden werden. Bei septischen
Eingriffen ist der direkte Saalwechsel untersagt. In diesen Fällen muss ein Wechsel
der OP-Kleidung inkl. Schuhe, MNS und OP-Haube erfolgen.
Von infektiösen Durchfallerkrankungen (z. B. Norovirusinfektionen) betroffene Mitarbeiter
sind von der Patientenversorgung auszuschließen.
Zur Durchsetzung der Hygienestandards und zur Verbesserung der Compliance muss die
regelmäßige Fortbildung durch die ärztliche und pflegerische Leitung der Anästhesiebereiche
in Zusammenarbeit mit dem Hygienefachpersonal durchgeführt werden.
5.10.3
Räumliche Besonderheiten
Eine Anästhesieräumliche BesonderheitenTrennung zwischen OP-Saal bzw. Eingriffsraum,
Einleitungs- und Ausleitungsraum und dem Aufwachbereich ist nicht zwingend erforderlich.
Prinzipiell bestehen keine Bedenken, die Anästhesieein- bzw. -ausleitung direkt im
OP-Saal durchzuführen (Kap. 9.4). Auch die verschiedenen Punktionen und Katheteranlagen
sind unter Beachtung der Basishygiene unproblematisch.
5.10.4
Medikamente, Narkosemittel, Blut und Blutprodukte
Medikamente und Narkosemittel müssen staubgeschützt, übersichtlich und den Fachinformationen
entsprechend temperiert gelagert werden. Die Temperatur der Medikamenten- und Blutkühlschränke
ist regelmäßig zu kontrollieren und zuAnästhesieNarkosemittel
NarkosemittelVerabreichung
NarkosemittelHygienemaßnahmen dokumentieren. Die Bevorratung hat ökonomisch und so
zu erfolgen, dass Überlagerung bzw. Verfall vermieden werden.
Für die Applikation von Narkotika und anderen Medikamenten ist die Verwendung steriler
Einwegmaterialien Standard. Das Vorbereiten der Medikamente bzw. Infusionen erfolgt
immer unmittelbar vor Verwendung und nicht auf Vorrat (BGH Urteil 1981, Schneider
und Bierling 1996). Aus hygienischen Gründen verbietet sich eine Resteverwertung!
Ob die Verwendung von Rückschlagventilen vor einer Spritze in Spritzenpumpen und eine
mindestens 1 m langes Überleitsystem eine Alternative darstellt, ist nicht belegt
und daher abzulehnen, weil es nicht nur um bakterielle, sondern auch virale Infektionsgefährdung
geht und gerade bei horizontaler Lage und Druckschwankungen die Klappen flottieren
und Rückspüleffekte auftreten können (Kiski 2009; Koller und Assadian 2000).
•
Das Verwenden von Vorratsbehältnissen für Medikamente wie Spritzen oder Flaschen zur
Versorgung mehrerer Patienten und die Weiterverwendung von Infusionsresten oder Infusionssystemen
für nachfolgende Patienten ist obsolet (Hirschmann 2010).
•
Die mehrfache Nutzung von Einmalspritzen während der Anästhesie bei demselben Patienten,
z. B. für Repetitionsdosen, ist abzulehnen, weil bei erneutem Befüllen einer entleerten
Spritze eine Kontamination des ausgezogenen Spritzenstempels möglich ist.
Bei Nutzung von Ampullen zur mehrfachen Entnahme ist die Verwendung neuer Einwegmaterialien
(Spritzen und Kanülen) nach vorheriger Desinfektion des Gummiverschlusses erforderlich
(Kap. 4.1.3).
Medikamente ohne Konservierungsstoffe und v. a. lipidhaltige Medikamente wie Propofol
sind besonders kontaminationsanfällig, sodass die Aseptik besonders sorgfältig zu
wahren ist. Für lipidhaltige Infusionen wird eine maximale Infusionsdauer von 12 h
gefordert.
Eröffnete („angestochene“) Blutkomponenten sind innerhalb von 6 h zu transfundieren.
Nach den Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung
von Blutprodukten (Hämotherapie), aufgestellt gemäß Transfusionsgesetz von der Bundesärztekammer
im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut in der jeweils gültigen Fassung, dürfen
Blutprodukten vom Anwender keine Medikamente bzw. Infusionslösungen beigefügt werden
(Vorstand der Bundesärztekammer auf Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats 2008).
Erforderliche Ausnahmen von den oben aufgeführten Regeln (z. B. Notfallmedikamente)
müssen vom Krankenhaushygieniker und dem zuständigen Apotheker in einer Standardarbeitsanweisung
festgelegt werden (KRINKO 2011b).
Zur Applikation von Anästhetika und anderen Medikamenten ist neben der Beachtung der
Zubereitungsvorschriften des Herstellers das aseptische Arbeiten Vorschrift. Vor allen
vor Manipulationen an Zuspritzstellen, Spritzenpumpensystemen oder Infusionen ist
eine Händedesinfektion notwendig. Besonders Zuspritzstellen z. B. an Venenverweilkanülen,
Wegehähnen und Kathetern sollen frei von Blut oder Blutprodukten gehalten werden und
sind vor Benutzung zu desinfizieren und danach mit sterilen Verschlussstopfen zu sichern.
Für die Transfusion von Blut und Blutprodukten sowie Gerinnungspräparaten gelten neben
den Festlegungen der Transfusionsrichtlinien die gleichen Hygienevorgaben (KRINKO
2002c; O'Grady et al. 2011).
Spitze Gegenstände wie Punktionsnadeln oder Skalpelle sind umgehend in einem speziellen
Abwurfbehältnis zu entsorgen – kein Recapping!
5.10.5
Durchführung der Anästhesie
Allgemeinanästhesie: Zur Narkoseeinleitung gelten Allgemeinanästhesie, Hygienemaßnahmen
AnästhesieAllgemeinanästhesiedie o. g. Hygieneanforderungen für den Umgang mit Medikamenten
zur intravasalen Injektion. Die Zuspritzstellen und Wegehähne sind mit sterilen Verschlussstopfen
zu verschließen. Die Intubation hat aseptisch zu erfolgen. Jeder Patient erhält einen
neuen Atemsystemfilter (ASF). Wird kein ASF verwendet, müssen nach Beendigung der
Narkose das Narkoseschlauchsystem und das Narkosekreissystem (Atemsystem) entsprechend
der Herstellerangaben aufbereitet werden. Bei Verwendung eines ASF kann das Narkoseschlauchsystem
bis zu 7 Kalendertage eingesetzt werden, sofern seine Funktionalität und Dichtigkeit
gegeben sind, die Abscheideleistung des ASF für luftgetragene Partikel > 99 % beträgt
und für Flüssigkeit Retentionswerte bis zu Drücken von mindestens 60 hPa (= 60 mbar)
oder 20 hPa oberhalb des gewählten maximalen Beatmungsdrucks im Narkosesystem erreicht
werden. Kommt es unter Rückatmungsbedingungen zu sichtbarer Kondensation von Wasser
im Schlauchsystem, kann der Einsatz von Elektretfiltern derzeit nicht empfohlen werden.
Nach jedem Patienten sind alle Handkontaktflächen an der Narkosegerätschaft einschließlich
Schlauchsystem und Handbeatmungsbeutel desinfizierend aufzubereiten. Bei Vorliegen
oder Verdacht einer meldepflichtigen Infektionskrankheit mit Übertragungsmöglichkeit
wird als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme der komplette Wechsel von Schlauchsystem und
Handbeatmungsbeutel nach der Narkose empfohlen (Kramer et al. 2010b).
Regionalanästhesie: Mit 2,4 % liegt die Infektionsrate AnästhesieRegionalanästhesie
Regionalanästhesie, Hygienemaßnahmenvon Katheterverfahren nach Angaben deutscher Einzelzentren
im Bereich der häufigen Komplikationen (Maier, Wawersik und Wulf 1986). Das Infektionsrisiko
einer postoperativen Schmerztherapie mittels Periduralkatheter ist unter den organisatorischen
Bedingungen normaler Krankenpflegestationen niedrig (Neuburger et al. 2006; Popping
et al. 2008; Wiegel et al. 2007). Wenn, dann sind multifaktorielle Ursachen wie lokalisationsspezifische
Besonderheiten (talgdrüsenreiche Haut potenziell häufiger infiziert), Komorbiditäten
oder Mehrfachpunktionen für die Infektionen verantwortlich.
Periphere Regionalanästhesie: Rumpfferne Regionalanästhesieverfahren werden nach Hautantiseptik
und sterilem Abdecken mit sterilen Handschuhen durchgeführt. Für die Anlage von Kathetern
zur Regionalanästhesie ist das Abdecken des Punktionsgebiets mit einem Lochtuch erforderlich.
Neben dem aseptischen Vorgehen wird für die Regionalanästhesie die Verwendung von
Bakterienfiltern und das Untertunneln von Kathetern empfohlen (s. auch Morin et al.
2006).
Zentralvenöse Katheter, Arterienkatheter in Seldinger-Technik, Peridural- bzw. Spinalkatheter,
rumpfnahe Nervenblockaden: Die GefäßkatheterHygienemaßnahmenAnlage erfolgt unter streng
aseptischen Bedingungen. Nach der Händedesinfektion wird der Instrumentiertisch mit
MNS, Kopfbedeckung, sterilem Kittel und sterilen Periduralkatheter, Hygienemaßnahmen
Spinalkatheter, Hygienemaßnahmen
Nervenblockaden, rumpfnahe, HygienemaßnahmenEinmalhandschuhen aseptisch vorbereitet,
das Punktionsgebiet ausreichend lange großflächig desinfiziert und mit einem ausreichend
großen sterilen Lochtuch bedeckt. Bei sonografiegestützter Punktion muss der Ultraschallkopf
steril bezogen werden; die Verwendung von sterilen Handschuhen als „steriler Bezug“
ist abzulehnen. Die Insertionsstelle der Katheter wird entweder mit sterilem Gaze-
oder mit sterilem transparentem (semipermeablem) Folienverband abgedeckt. Durch Applikation
alkoholbasierter Hautantiseptika mit Gehalt an remanentem Wirkstoff auf die Insertion
des ZVK ist eine signifikante Reduktion der Hautkolonisation erreichbar (Dettenkofer
et al. 2002).
Reinigung und Desinfektion des Anästhesieequipments: Die regelmäßige, mindestens tägliche
Desinfektion der ReinigungAnästhesieequipment,DesinfektionAnästhesieequipment
AnästhesieMedizinproduktereinigungAußenflächen der Narkosegeräte, Überwachungsmonitore
und Kabel ist obligat bei vermuteter bzw. sichtbarer Kontamination der Kontaktflächen
nach jedem Patienten. Eine äußere Kontamination macht nicht nur bei Faltenschläuchen
einen Systemwechsel erforderlich.
Die Verwendung hydrophober, virusdichter Filter zwischen Patient und Narkoseschlauchsystem
ermöglicht die mehrmalige Nutzung der Schlauchsysteme. Prinzipiell bestehen keine
Einwände für die Verwendung aufbereitbarer Narkosesysteme. Die Aufbereitung der Kreisteile
ist nur erforderlich im Rahmen von Wartungsarbeiten und nicht routinemäßig.
Die Reinigung bzw. Desinfektion von Computerbildschirmen und Eingabegeräten erfolgt
regelmäßig mit vom Hersteller empfohlenen Produkten.
Bei der Benutzung von Laryngoskopen ist neben der Reinigung und Desinfektion der Spatelblätter
besonderes Augenmerk auf die Desinfektion der Griffe zu legen.
Blutdruckmanschetten, Pulsoxymeter, EKG-Kabel oder Temperatursonden werden nach jedem
Patienten desinfiziert.
5.10.6
Perioperative Antibiotikaprophylaxe
Sie soll 30 min bis 1 h vor dem Schnitt verabreicht werden. Abgesehen von sehr langen
Operationen ist keine Repetitionsdosis erforderlich. Das Infektionsrisiko wird dadurch
nicht zusätzlich positiv beeinflusst, wohl aber der Selektionsdruck zur Verbreitung
von MRE Antibiotikaprophylaxe, perioperativeAnästhesie
AnästhesieAntibiotikaprophylaxe, perioperativeverstärkt (Kap. 2.10.1).
Der Anästhesist sollte für die rechtzeitige Applikation der Antibiotika vor dem OP-Beginn
und ggf. als Repetitionsdosis nach einer OP-Zeit von 2–4 h Sorge tragen.
5.10.7
Hygieneanforderungen bei speziellen Erregern
C. difficile: Von dem rasanten Clostridium difficileHygieneanforderungen, Anästhesie
AnästhesieClostridium difficileAnstieg durch Infektionen mit C. difficile sind v.
a. ältere und multimorbide Patienten betroffen. Die Hauptübertragung der C.-difficile-Sporen
erfolgt v. a. von infizierten oder kolonisierten Patienten über die Hände des Personals
(Kap. 3.9.9). Alkoholische Händedesinfektionsmittel sind unwirksam. Zur Beseitigung
der Sporen sollten zunächst eine Händewaschung mit Wasser und Seife und anschließend
eine Händedesinfektion durchgeführt werden. Die Anwendung eines sporoziden Händedesinfektionsmittels
(Peressigsäure) ist nur im Ausnahmefall bei massiver Kontamination der nicht behandschuhten
Hand in Betracht zu ziehen. Patienten mit C.-difficile-Infektionen sollten mindestens
so lange isoliert werden, wie die akute Durchfallsymptomatik existiert.
Andere fäkal-oral übertragbare Infektionen: Nur bei Kontakt mit Stuhl bzw. ggf. mit
Erbrochenem besteht ein Übertragungsrisiko. Das Tragen von Schutzhandschuhen ist notwendig.
Abgesehen von den Basishygienemaßnahmen sind keine speziellen Maßnahmen erforderlich.
Bei Norovirusinfektionen sind zur Händedesinfektion viruzide Händedesinfektionsmittel
zu verwenden.
Patienten mit MRE, MRSA, (VRE) und ESBL: Generell muss auf das Risiko einerAnästhesieMRE
AnästhesieMRSA
AnästhesieVRE
AnästhesieESBL
Multiresistente ErregerHygieneanforderungen, Anästhesie
Methicillin-resistenter Staphylococcus aureusHygieneanforderungen, Anästhesie
Vancomycin-resistente ErregerHygieneanforderungen, Anästhesie
ESBL-BildnerAnästhesieTransmission auf andere Patienten hingewiesen werden. Neben
der OP-Planung (Saal, Zeitpunkt) ist das beteiligte Personal vorab gut zu informieren.
Auf die Einhaltung der Händehygiene ist zu achten. Eine Distanzierung zu anderen Patienten
ist zu gewährleisten. Patienten mit nasaler MRSA-Besiedlung sind so lange wie möglich
mit MNS zu versorgen. In der Regel werden zur Versorgung solcher Patienten Handschuhe,
Kopfbedeckung, MNS und ein zusätzlicher Schutzkittel über der Bereichskleidung empfohlen.
Verbrauchsmaterialien und Geräte werden nur patientengebunden verwendet. Soweit möglich,
sollte nicht benötigtes Equipment aus der Umgebung des Patienten entfernt werden.
Bei Auftreten von VRE bzw. ESBL werden prinzipiell dieselben Distanzierungsmaßnahmen
wie bei MRSA empfohlen (Kap. 3.6, Kap. 3.7.5).
Parenteral übertragbare Krankheiten (HIV, HBV, HCV): Medizinisches Personal ist gegen
Hepatitis B zu impfen. Eine Übertragung durch Blut zu Blut bzw. AnästhesieHepatitis
AnästhesieHIV
Human Immunodeficiency VirusHygieneanforderungen, Anästhesie
Hepatitis-B-VirusHygieneanforderungen, Anästhesie
Hepatitis-C-VirusHygieneanforderungen, AnästhesieBlut auf Schleimhäute ist im Rahmen
von Anästhesien möglich. Zum Schutz vor Blut oder Körpersekreten ist zusätzlich zu
Einmalhandschuhen ein kombinierter Augen- und MNS zu tragen.
Durch Tröpfchen übertragbare Infektionen: Hierbei ist die Verwendung von Einwegnarkosesystemen
zu bevorzugen. AnästhesieTröpfcheninfektionenBei aerosolgenerierenden Tätigkeiten
(z. B. Intubation, offenes endotracheales Absaugen, Bronchoskopie) ist z. B. bei Influenza,
Vogelgrippe, SARS und virusbedingtem hämorrhagischem Fieber mindestens eine FFP2-Maske
erforderlich.
Aerogen (durch Tröpfchenkerne) übertragbare Infektionen: Bei geschlossener Tuberkulose
sind keine besonderen Maßnahmen seitens der Anästhesie erforderlich. Bei offener Tuberkulose
ist für Patient und Personal das Tragen von Atemschutzmasken mindestens der FFP-Klasse
2 erforderlich. Sollte bei Masern und Varizellen aus anderer Indikation eine Anästhesie
erforderlich sein, ist nachweislich immunes Personal einzusetzen.
CJD und Variante CJD: Prophylaktisch ist die strikte Einhaltung der Basishygiene ausreichend,
da die CJD nicht per inhalationem übertragbar ist (Kap. 3.3). Der Nutzen sog. prionensicherer
Beatmungsfilter ist nicht belegt. Aus Sicherheitsgründen wird eine Creutzfeldt-Jakob-KrankheitHygieneanforderungen,
Anästhesie
AnästhesieCreutzfeldt-Jakob-Krankheitprionendekontaminierende spezifische Aufbereitung
aller Instrumente, die direkten Kontakt mit Mundhöhle, Pharynx, Tonsillen und Respirationstrakt
hatten, empfohlen.
Bei Patienten mit erhöhtem Risiko, eine CJD zu haben oder zu entwickeln, sind Einwegprodukte
zu verwenden. Es dürfen keine nicht dampfsterilisierbaren MP wie Gummituben und Larynxmasken
aufbereitet werden – sie werden nach Gebrauch entsorgt. Ebenfalls empfiehlt sich die
Verwendung von Einwegmaterialien für Akupunkturnadeln, Myografie- bzw. NLG-Nadeln
(Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2012b). Die Einwegprodukte sind
separat zu entsorgen und als Abfall (Abfallschlüssel 180103/C-Abfall) in sicheren
Behältnissen zur Verbrennung geben (Tast Force vCJK 2002). Für die Endoskopie von
CJD-Patienten sollte der Gerätepool in der Uniklinik Göttingen am Institut für Neuropathologie
oder eine in der Aufbereitung befähigte Zentralsterilisationsabteilung genutzt werden
(Kap. 3.3).
5.11
Gynäkologie und Geburtshilfe
Axel Kramer und Marek Zygmunt
5.11.1
Häufigkeit und Ätiologie nosokomialer Infektionen
Gynäkologie
Während Infektionen, nosokomialeGynäkologie
GynäkologieInfektionsrisiko
Surgical Site InfectionsGynäkologieMitte der 1990er-Jahre Harnweginfektionen (HWI)
mit 50–80 % an der Spitze der NI standen, hat sich ihr Anteil durch konsequenten Verzicht
auf transurethrale Verweilkatheter und verbesserte postoperative Versorgung bei suprapubischer
Harnableitung deutlich reduziert. In einer neuen Stichprobe betrug der Anteil von
HWI nur 33 %, für SSI 38 % und für Sepsis, Haut- und Weichteilinfektionen je 11 %.
Die stationäre Verweildauer bei HWI verlängerte sich um das mehr als Dreifache. Im
Durchschnitt fanden sich 2,4 Risikofaktoren bei Auftreten einer NI (Diabetes mellitus,
Hypertonie, Durchblutungsstörungen, Blasenkatheter).
Im OP-KISS betrug die SSI-Rate 0,2–4,8 % (Tab. 5.21
). International differiert die SSI-Rate nach abdominaler Hysterektomie zwischen 2
% und 21 % (Lazenby und Soper 2010). Als unabhängige Risikofaktoren wurden hoher Glukoseserumspiegel
5 d postoperativ, Bluttransfusion und Body Mass Index (BMI) > 35 ermittelt (Olsen
et al. 2009). Etwa ⅔ der SSI in der Gynäkologie verlaufen als oberflächliche A1-Infektion.
Tab. 5.21
SSI-Rate (%) in DeutschlandSurgical Site InfectionsGynäkologie im Zeitraum 2009–2013.
Diese Risikokategorie wurde nach Summe der Risikopunkte eingeteilt (Wunden der Kategorie
3 oder 4; ASA Score ≥ 3; Dauer der Operation > 75 % Perzentil) (NRZ für Surveillance
von NI 2014)
Engriff
Risikokategorie
0
1
2,3
0–3
Hysterektomie:
abdominal laparoskopisch
0,16
0,89
4,76
0,42
vaginal
0,57
0,22
0,37
0,46
Sectio caesaria
0,65
Mamma-OP
0,52
1,23
2,58
0,87
An GynäkologieErregerspektrumerster Stelle des Erregerspektrums steht S. aureus (23,5
%), gefolgt von MRSA (8,1 %), Enterococcus spp. (9,8 %), E. coli (11,7 %), KNS (10,9
%), Proteus spp. (5,5 %), Klebsiella spp. (3,9 %), P. aeruginosa (2,2 %), Enterobacter
spp. (1,8 %), Bacteroides spp. (1,7 %), Streptococcus spp. (1,5 %) und C. albicans
(0,2 %) (NRZ 2014).
Die nekrotisierende Fasziitis mit meist polymikrobieller Ätiologie erfordert als lebensbedrohliche
SSI ein ausgedehntes sofortiges Débridement des gesamten betroffenen Gewebes bei gleichzeitiger
parenteraler Breitspektrum-Antibiotikatherapie.
Geburtshilfe
Bis Infektionen, nosokomialeGeburtshilfe
GeburtshilfeInfektionsrisiko
Surgical Site InfectionsGeburtshilfezur Einführung der Händewaschung mit Chlorkalklösung
betrug die Letalität an Kindbettfieber 3–11 % (Semmelweis 1861). Heute werden die
meisten geburtshilflichen Infektionen durch Vertreter der vaginal-zervikalen Flora,
häufig polymikrobiell, zumeist aszendierend verursacht (Emmons et al. 1988).
Präpartale Risikofaktoren für NI
Schwangere die Infektionen, nosokomialeRisikofaktoren, präpartale
Infektionen, nosokomialeSchwangerschaftpräpartal längere Zeit stationär behandelt
werden, haben ein höheres Risiko für NI als Kreißende, die erstmals unmittelbar vor
Wehenbeginn aufgenommen werden, bedingt z. B. durch infektionsbedingte drohende Fehl-
oder Frühgeburt und/oder durch Kolonisation mit der Hospitalflora (Koepcke 2001).
Der Zusammenhang zwischen bakterieller Vaginose/aerober Vaginitis und Gefahr der aszendierenden
Infektion mit und ohne vorzeitigen Blasensprung, vorzeitiger Geburt, Chorioamnionitis
sowie neonatalen, puerperalen und maternal-fetalen Infektionen gilt als gesichert
(DGGG 2013; Donati et al. 2010; Lamont und Taylor-Robinson 2010; Saling et al. 1997).
Die Strategie der vaginalen pH-Selbstmessung ermöglicht die Erkennung von pH-Wert-Abweichungen,
sodass ein Teil der für Spätabort und Frühgeburt relevanten Risikofaktoren binnen
kurzer Frist mit adäquater Therapie beantwortet werden kann (DGGG 2013; Hoyme, Schwalbe
und Saling 2005).
Infektionen nach Amniozentese oder anderen Formen der invasiven pränatalen Diagnostik
und Therapie (Choriozentese, Chordozentese) haben eine Häufigkeit von < 1 % (Workman
und Philpott-Howard 1997). Ein invasives Monitoring des Fetus (Amniozentese, fetale
Blutgasanalyse, Skalpelektrode) sollte generell und insbesondere bei Vorliegen einer
blutübertragbaren Infektionskrankheit vermieden oder nur bei strenger Indikationsstellung
nach Abwägung der Risiken durchgeführt werden (zu Risikofaktoren für Frühgeburt und
Spätabort Kap. 2.10.8).
Die Häufigkeit des invasiven fetalen Monitorings ist auf das erforderliche Minimum
zu reduzieren und eine Chorioamnionitis so rasch wie möglich zu behandeln.
Postpartale NI der Mutter
Die wichtigsten Infektionen, nosokomialeRisikofaktoren, postpartalepostpartalen Infektionen
sind HWI, Endometritis, SSI (nach Dammriss bzw. Schnitt und ggf. Laparotomiewunde),
das prä- und postpartales Amnioninfektionssyndrom (AIS) sowie die Mastitis puerperalis
(Kap. 2.10.8).
Nach Sectio caesarea ereigneten sich nach älteren Angaben in Deutschland in 12 % Inflammation
der abdominalen Wunde, gefolgt von Endometritiden in 11 %. Der Anteil an Atemwegsinfektionen
betrug 3,6 %, an Haut- und Schleimhautinfektionen 2,6 % und an Bakteriämien 0,4 %
(Decker und Hirsch 1977).
Nach vaginaler Entbindung wurde in 3,6 % der Fälle eine Bakteriurie gefunden (Decker
und Hirsch 1977).
HWI sind HarnwegsinfektionenSchwangerschaftsowohl während der Schwangerschaft als
auch postpartal häufig, weshalb während der Schwangerschaft (und erneut bei Fieber)
ein Screening auf Bakteriurie mit Sanierung bei relevantem Befund empfohlen wird (DGU
2010; Kressel und. Linnemann 2004). Obwohl die antibiotische Therapie von HWI wirksam
ist, kann aufgrund der Datenlage kein spezifisches Behandlungsregime während der Schwangerschaft
präferiert werden (Vazquez und Abalos 2011). In der Schwangerschaft empfiehlt sich
bei begründetem V. a. eine HWI (Symptomatik, positiver Streifentest) die Anlage einer
Urinkultur (Mittelstrahlurin; Erregernachweis und Antibiogramm).
SSI: Für den Zeitraum 2009–2013 wurde die SSI-Rate nach Kaiserschnitt mit 0,65 % ermittelt
(Tab. 5.22
). Im ErgebnisSurgical Site Infectionspostpartale einer prospektiven Studie in Norwegen
war die SSI-Rate innerhalb 30 postoperativer Tage mit 8,9 % deutlich höher, betrug
dagegen nur 1,8 % bei Erfassung bis zur Entlassung. Als unabhängige Risikofaktoren
wurden OP-Dauer > 38 min und BMI > 30 ermittelt (Opoien et al. 2007). In Alberta,
Kanada, war die SSI-Rate mit 9,9 % innerhalb des Zeitfensters von 30 postoperativen
Tagen noch höher, wobei die in mehr als 25 % fehlende PAP von Einfluss gewesen sein
dürfte (Griffiths et al. 2005). Das steht in Übereinstimmung zu Ergebnissen einer
estnischen Studie mit einer SSI-Rate von 6,2 %, wobei 42 % erst nach Entlassung auftraten.
Bei einem Vergleich von 12 europäischen Ländern für den Zeitraum 2010 und 2011 differierte
die SSI Rate zwischen 0,5–8,2 % und wurde für die USA mit 1,9 % angegeben (Ruef, Eisenring
und Troillet 2013).
Tab. 5.22
Risiko der Infektionsausbreitung bei ausgewählten Infektionen der Gebärenden
Erreger
Risiko
B. burgdorferi, T. gondii
Nein
C. albicans, CMV, C. trachomatis, B-Streptokokken, HBV, HCV, Hepatitis-D- und -E-Virus,
HIV, L. monocytogenes, N. gonorrhoeae, Parvovirus B19, Rötelnvirus, T. pallidum
Gering
EHEC, Sarcoptes scabiei
Mäßig
HSV, Masern-, Mumps-, Rota-, Noroviren, Varizella-coster-Virus, Influenza-Viren
Hoch
Invasives fetales Monitoring, Chorioamnionitis und die Wundklassifikationen kontaminiert
und schmutzig-infiziert sind mit erhöhtem SSI-Risiko korreliert (Mitt et al. 2005).
Weitere Risikofaktoren sind die Dauer des Eingriffs und OP-Technik. Durch intraoperativen
Handschuhwechsel des OP-Teams nach Plazentalösung konnte die SSI-Rate signifikant
gesenkt werden (Ventolini, Neiger und McKenna 2004). Nur selten treten SSI nach Episiotomie
auf (Kressel u. Linnemann 2004).
Ohne PAP kann die postpartale Endometritis
Endometritis, postpartalein 5–95 % nach Kaiserschnitt und in 1–4 % nach vaginaler
Entbindung auftreten und sich auf Myometrium und parametrales Gewebe mit Abszess und
Sepsis ausbreiten (Enkin 1989; Kressel und Linnemann 2004). Bei elektiven Eingriffen
ist das Risiko mit 7 % (0–24 %) deutlich geringer als bei nicht elektiven Eingriffen
mit 30,1 % (3–61 %) (Smaill und Hofmeyr 2007). Im Ergebnis einer prospektiven Surveillance
mit inkonsistenter PAP betrug die Rate 2 % (Mah et al. 2001). Wichtigster Risikofaktor
sind ein vorzeitiger Blasensprung, aber auch eine protrahierte Entbindung, die Retention
von Plazentaresten und häufige vaginale Untersuchungen.
Das Amnioninfektionssyndrom (AIS) Amnioninfektionssyndromentsteht vorwiegend aszendierend
durch Vaginalflora. Bei begründetem Verdacht auf AIS müssen unverzüglich antibiotische
Therapie und rasche Geburtsbeendigung erfolgen.
Mastitis puerperalis: Milchstau und mangelnde Stillhygiene begünstigen die Entstehung
einer Mastitis puerperalisMastitis puerperalis. Beim Stillen kann vor allem S. aureus
von der Haut und/oder aus dem kindlichen Nasopharynx über Rhagaden in die mütterliche
Brustdrüse gelangen und sich lymphogen, seltener kanalikulär oder hämatogen ausbreiten.
Bei Vermeidung von Milchstau und Rhagadenbildung wird die Frühmastitis kaum noch beobachtet.
Ausbrüche von A-Streptokokken-Infektionen sind selten, bedürfen aber der sofortigen
Abklärung und Therapie (Mastro et al. 1990). An eine A-Streptokokken-Infektion ist
immer bei rascher Verschlechterung des Zustands der Wöchnerin zu denken. Der Ursprung
kann im (Nasen-)Rachen-Raum der Mutter sein. Es sind aber auch Fälle beschrieben,
in denen A-Streptokokken von kolonisiertem chirurgischem Personal insbesondere intraoperativ
auf Patienten übertragen wurden (Literatur in KRINKO 2007c).
Ausbrüche von Staphylokokkeninfektionen sind selten, lediglich für MRSA und CA-MRSA
ist das Risiko höher (Bratu et al. 2005; Jenum et al. 2008; Moore und Williams 1991).
Auch für S. marcescens (Stephen und Lalitha 1993) und Influenzaviren (Pramanick et
al. 2011) sind Ausbrüche beschrieben. Bei Wöchnerinnen kann eine Influenza besonders
schwer verlaufen; eine Influenza-Impfung ist vor oder während der Schwangerschaft
(ab dem 2. Trimenon) zu empfehlen (Blanchard-Rohner und Siegrist 2011).
Infektionen des Neugeborenen
Neugeborene sind vor allem durch Infektionen mit B-Streptokokken, H. simplex und C.
trachomatis gefährdet. Spontan geborene Neugeborene leiden aufgrund der physiologischen
Besiedlung des Neugeborenen mit der mütterlichen Flora (Kramer et al. 2013b) seltener
als mittels Sektio entbundene an gastrointestinalen Infektionen (Lotz et al. 2006;
van Epps 2006). Allerdings kann das Neugeborene bei Kolonisation des Geburtskanals
mit Pathogenen z. B. eine Ophthalmia neonatorum erwerben. Deren Inzidenz wurde für
die USA mit 1,6 % und für afrikanische Länder > 23 % angegeben (Kramer et al. 2002).
Staphylokokken waren zu 37 % (Kap. 2.10.8), Chlamydien zu 34 % an der Ätiologie beteiligt,
während Virusinfektionen selten waren (Assadian et al. 2002).
Äußerst selten kann durch mütterliche Mykosen eine Candida-Sepsis ausgelöst werden
(Chapman und Faix 2003; Mendling et al. 2006). Außerdem können Neugeborene durch anogenitale
und orale Candidosen in ihrem Befinden beeinträchtigt werden (Blaschke-Hellmessen
1998; Mendling et al. 2006).
5.11.2
Prävention von NI
Gynäkologie
Präoperative Katheterisierung Kap. 2.10.8.
Präoperatives Screening: Das Risiko GynäkologieInfektionspräventionfür eine postoperative
Infiltration der Vaginalmanschette nach Hysterektomie wird durch präoperative Vaginitis
oder Vaginose (bakteriell oder T. vaginalis) erhöht. Deshalb wird gelegentlich von
einigen Autoren ein präoperatives Screening empfohlen, um vor elektiven Eingriffen
eine antibiotische Sanierung vorzunehmen (Lazenby und Soper 2010). Zur antibiotischen
Prophylaxe gehört auch der Wiederaufbau der physiologischen Scheidenflora.
Haarentfernung: Falls die Haare im Schambereich aus operationstechnischen Gründen
entfernt werden sollen, ist Clipping im Vergleich zur Rasur mit dem geringsten SSI-Risiko
verbunden (Kramer et al. 2008c).
Antiseptik: ZusätzlichAntiseptikVulva und Vagina zu den in anderen chirurgischen Disziplinen
für ein erhöhtes SSI-Risiko identifizierten Risikofaktoren (Kap. 2.10.8, Kap. 5.5)
ist die kolonisierte bzw. infizierte Vagina ein spezieller Risikofaktor.
Vagina und Vulva werden nach der Geburt mit diphtheroiden und anaerob wachsenden Stäbchenbakterien,
Sarzinen, Coli- und Smegmabakterien sowie Hefen besiedelt. Bis zur Pubertät dominieren
Staphylokokken, Streptokokken, Coliforme und Diphtheroide. Im Erwachsenenalter herrscht
L. azidophilus vor (Wewalka und Spitzbart 1993), daneben kommen auch andere Lactobacillus
spp. vor.
Vor diagnostischen oder therapeutischen transvaginalen Eingriffen ist die VaginalantiseptikVaginalantiseptik
indiziert. Zur Antiseptik sind mindestens drei separate Tupfer für die großen, die
kleinen Labien und den Urethraeingang zu verwenden. In klassischen Vorschriften werden
fünf Tupfer gefordert (getrennt für rechts und links, große und kleine Schamlippe,
Urethra). Nach Antiseptik der äußeren Schamlippen mit frischem, satt mit Antiseptikum
getränktem Tupfer wird die gesamte Vagina mit leichtem mechanischem Druck für 1 min
ausgewischt, der Vorgang für 1 min wiederholt. Die Antiseptik soll die gesamte Anourogenitalregion
einbeziehen. In Hinblick auf Wirksamkeit und fehlende systemische Gefährdung ist die
Kombination von OCT mit Phenoxyethanol PVP-Iod-basierten Antiseptika vorzuziehen (Below,
Brauer und Kramer 2007; Hübner, Siebert und Kramer 2010).
Bei abdominalen und Mamma-Eingriffen müssen Bauchnabel und intertriginöse Bereiche
gründlich gesäubert und anschließend antiseptisch behandelt werden. Hierfür sind alkoholbasierte
Hautantiseptika mit Zusatz remanenter Wirkstoffe (OCT, CHX) Mittel der Wahl (Levin
et al. 2011, Kap. 2.2.3). Auf wunden Hautarealen kommen OCT- oder Polihexanid-basierte
Antiseptika auf wässriger Basis in Betracht.
Durch Vaginalantiseptik unmittelbar vor Sectio caesaria (mit PVP-Iod) wird das Risiko
der postoperativen Endometritis signifikant reduziert (Haas et al. 2010, Memon et
al. 2011).
PAP: Sie Antibiotikaprophylaxe, perioperativeGynäkologie
GynäkologieAntibiotikaprophylaxe, perioperativewird für alle Arten der Hysterektomie
empfohlen (außer bei nicht direktem Zugang von der Bauchhöhle zum Uterus bzw. zur
Vagina), ebenso für Karzinomoperationen, chirurgische Schwangerschaftsabbrüche, Sectio
caesarea (Conroy et al. 2012), Sterilitätseingriffe, Hysterosalpingografie, das Einlegen
von Implantaten und Mamma-OP (v. a. bei Adipositas und Diabetes mellitus) sowie Eingriffen
in bestrahlten Arealen (Hoyme 2005; van Eyk et al. 2012). Bei Sectio caesarea wird
das Endometritisrisiko durch PAP um ⅔ bis ¾ reduziert; außerdem werden das HWI-Risiko
und die postpartale febrile Morbidität herabgesetzt (Smaill und Hofmeyr 2007). Nicht
routinemäßig sollte sie hingegen bei diagnostischer oder operativer Hysteroskopie,
Endometriumablation, transabdominaler Myomektomie, Laparoskopie ohne Hysterektomie
(Kap. 2.10.8; Lazenby und Soper 2010) sowie bei elektiver Mammachirurgie bei Wundklassifikation
1 (Gupta et al. 2000) durchgeführt werden. Eine großzügige PAP wird in der Fertilitätschirurgie
empfohlen, ist aber nicht durch Studien belegt. Um das Ergebnis der PAP zu optimieren,
muss die Auswahl des Antibiotikums der Empfindlichkeit des Erregers Rechnung tragen
(Hof et al. 2012).
Nahtmaterial: Entrolltes Nahtmaterial soll wegen des Kontaminationsrisikos nicht auf
dem Instrumentiertisch zwischengelagert werden, um den Rest für die Subkutannaht zu
verwenden. Durch Einsatz von antiseptisch imprägnierten Nahtmaterial war tendenziell
eine Senkung der SSI-Rate nach brustkrebschirurgischen OPs erreichbar (Williams et
al. 2011; Zhang et al. 2011).
Wunddrainage: Wegen des erhöhten SSI-Risikos ist die Indikationsstellung streng zu
stellen (Kap. 2.10.8). Wird die Drainage für erforderlich angesehen, ist ein geschlossenes
System anzuwenden (z. B. Niederdruckverfahren, Handy-Vac, keine intraperitoneale Redon-Drainage
wegen starker Gewebetraumatisierung).
Aufbereitung fachspezifischer MP:
•
Spekula sind MP semikritisch A MedizinprodukteaufbereitungGynäkologie
GynäkologieMedizinprodukteaufbereitungund sollten vorzugsweise im RDG, können aber
auch manuell aufbereitet werden.
•
Vaginalsonden werden vor der Ultraschalluntersuchung mit einer Hülle (z. B. Untersuchungskondom
oder Einmalhandschuh) geschützt. Nach der Untersuchung und Entfernung von Schutzhülle
und Gelresten mit weichem Einmaltuch ist die Desinfektion z. B. mit desinfektionsmittelgetränkten
Fertigtüchern durchführbar. Wegen möglicher Kontamination mit Papillomaviren ist auf
die Deklarierung viruzid zu achten. Bei sichtbaren Ablagerungen ist die Sonde mit
einer mit sterilem Wasser getränkten Kompresse abzuwischen.
•
Ultraschallköpfe mit Hautkontakt werden nach jeder Untersuchung mit einem mit Instrumentendesinfektionsmittel
getränkten Tuch abgewischt. Sofern kein Hinweis auf eine Infektion durch unbehüllte
Viren vorliegt, ist die Deklarierung „begrenzt viruzid“ ausreichend.
Geburtshilfe
Obwohl die Schwangerschaft keine Erkrankung und die Entbindung primär kein operativer
Eingriff ist, sind alle üblichen Maßnahmen der Basishygiene zum Schutz vor NI und
zum Schutz des Personals auch hier notwendig und in einem eigenen Hygieneplan für
den Kreißsaal festzuschreiben.
Präpartale mikrobiologische und virologische Screeninguntersuchungen Kap. 2.10.8.
Händehygiene: Die HändehygieneGeburtshilfe
GeburtshilfeHändehygienewichtigste Maßnahme zur Prävention postpartaler Infektionen
ist die Händedesinfektion in Verbindung mit dem Tragen nichtsteriler Handschuhe bei
der vaginalen Untersuchung. Bei vaginalen operativen Entbindungen (Vakuumextraktion,
Forceps), Nachtastung und manueller Plazentalösung sind sterile Handschuhe bzw. OP-Kittel
zu benutzen.
Bei drohender Frühgeburt sollte einer Spiegeluntersuchung und vaginaler Sonografie
der Vorzug gegeben und von der Palpation Abstand genommen werden.
PAP: Sie Antibiotikaprophylaxe, perioperativeGeburtshilfe
GeburtshilfeAntibiotikaprophylaxe, perioperativeist erforderlich bei vorzeitigem Blasensprung
> 18 h vor Geburt, Fieber > 38 °C, elektiver und sekundärer SC (Wagner et al. 2006)
oder Zeichen eines AIS (Kap. 2.10.8), nicht jedoch bei einfacher operativer vaginaler
Entbindung (Kressel und. Linnemann 2004). Die Antibiotikagabe bei Nachweis von B-Streptokokken
oder zur Endokarditisprophylaxe muss ebenfalls berücksichtigt werden.
Aseptik: Vaginale und transvaginale UntersuchungenAseptisGeburtshilfe
GeburtshilfeAseptik, insbesondere nach Blasensprung, invasives fetales Monitoring
und Harnblasenkatheterisierung müssen streng indiziert unter Wahrung der Aseptik durchgeführt
werden.
Antiseptik: Aus der AntiseptikGeburtshilfe
GeburtshilfeAntiseptikSicht der Gynäkologie wird nur im Falle einer Verletzung der
Geburtswege oder bei Plazentalösung die Vagina vorbereitet. Die Antiseptik des Geburtskanals
vor der Entbindung ist nicht üblich und wird nicht empfohlen. Im Ergebnis von zwei
Cochrane Analysen war nach Vaginalantiseptik mit CHX vor der Entbindung die Reduktion
der postpartalen Endometritis nur als Trend sicherbar (Lumbiganon et al. 2004). Die
z. T. beobachtete Reduktion der neonatalen Kolonisation mit betahämolysierenden Gruppe-B-Streptokokken
war nicht mit wichtigen Endpunkten wie Early-onset-Sepsis, Meningitis, Pneumonie oder
Mortalität assoziiert, während andererseits bei den Müttern leichte Nebenwirkungen
(Brennen, lokale Irritation) beobachtet wurden (Ohlsson et al. 2014).
Hygiene im Kreißsaal: Die GeburtshilfeHygienemaßnahmenEinrichtung soll Behaglichkeit
vermitteln, trotzdem müssen Oberflächen und Mobiliar der desinfizierenden Reinigung
zugängig sein. Nach der Entbindung werden mit Blut oder Körperflüssigkeiten kontaminierte
Gegenstände und Flächen der desinfizierenden Reinigung mittels Wischen unterzogen.
Gleiches gilt für Gebärstuhl/-bett der Kreißenden.
Die Anwesenheit des Vaters im Kreißsaal ist aus psychohygienischen Gründen zur Selbstverständlichkeit
geworden (David et al., 1994, David et al., 2009; Sioma-Markowska et al. 2004). Nach
einer Sektio wird der frühe Haut-zu-Haut-Kontakt gefördert und dadurch das Risiko
der Hypothermie des Neugeborenen reduziert (Pestvenidze und Bohrer 2007). Das Team
muss trainiert werden, die Väter zur aktiven Teilnahme an der Entbindung und ggf.
auch Sektio zu befähigen (Gutmann und Tabak 2011). Durch den Vater ergibt sich kein
erhöhtes Infektionsrisiko (Banda 2008). Vor dem Eintreten soll er allen Schmuck an
den Händen ablegen und die Hände desinfizieren. Bereichskleidung oder Schutzkittel
sind für den Vater nicht erforderlich (Ausnahme Sektio). Bei respiratorischen Infektionen
ist insbesondere während der Influenzasaison das Tragen eines MNS zu empfehlen (CDC
2011); zu Herpes labialis siehe unten.
Wassergeburt: Durch WassergeburtGeburtshilfeWassergeburt
Wassergeburt, Hygienemaßnahmen wird im Ergebnis einiger Studien die Entbindungsdauer
verkürzt, die Rate von Episiotomien und die Schmerzperzeption der Gebärenden verringert
(Thoni, Mussner und Ploner 2010). Werden die Hygieneanforderungen nicht eingehalten,
ist die Gebärende durch Infektionen mit P. aeruginosa und andere Wasserpathogene gefährdet.
Das Neugeborene ist sowohl durch Wasserpathogene als auch durch die Stuhlflora der
Mutter und das Personal durch Kontakt mit bluthaltigem Wasser gefährdet. Fallberichte
lassen den Schluss zu, dass Infektionen beim Neugeborenen zu schwerwiegenden Erkrankungen
sowohl durch P. aeruginosa (Vochem, Vogt und Döring 2001) als auch durch L. pneumophila,
letztere mit tödlichem Verlauf, führen können (Franzin et al. 2001, Nagai et al. 2003).
Damit ist eine mikrobiologisch unbedenkliche Wasserqualität unabdingbare Voraussetzung
bei der Unterwassergeburt.
Voraussetzungen für die Unterwassergeburt seitens der Kreißenden und des Kindes sind
keine geburtshilflichen Risiken, Informationen über Infektionsstatus der Kreißenden,
um bei das Personal gefährdenden Infektionskrankheiten keine Wassergeburt zuzulassen,
Impfschutz des Personals gegen blutgetragene Infektionen sowie ein Reinigungseinlauf
bei der Kreißenden (Bösenberg et al. 2002; GNPI 2012). Nur die Kreißende darf sich
in der Wanne aufhalten.
•
Das Einlaufwasser muss den Anforderungen an Wasser für den menschlichen Gebrauch genügen.
Wird die mikrobiologische Wasserqualität inkl. Pseudomonaden (0/100 ml) und Legionellen
(0/100 ml) (Dyck, Exner und Kramer 2007) nicht erreicht, sind endständige Bakterienfilter
zu verwenden.
•
Die Gebärwanne muss der Kreißenden ausreichende Bewegungsfreiheit gewähren und sollte
von drei Seiten zugängig sein. Die Wassereinläufe sollten sich im Beinbereich befinden.
Überläufe sind wegen des Kontaminationsrisikos abzulehnen. Gleiches gilt für Luftdüsen.
•
Nach Entbindung und Ablassen des Wassers mit kurzem Nachspülen der Wanne sind die
kontaminierten Flächen mit einem Flächendesinfektionsmittel mit begrenzt viruzider
Wirksamkeit zu behandeln; vor erneuter Benutzung ist die deklarierte Einwirkungszeit
abzuwarten.
•
Es sind Gesichts-, Augen- und langärmliger Hand-/Armschutz als Personal- und Patientenschutz
zu empfehlen.
•
Schon allein aus Haftungsgründen ist die Infektionssurveillance zu empfehlen.
Whirlpool: Die Nutzung GeburtshilfeWhirlpoolvon Whirlpools während der Wehen hatte
positiven Einfluss auf Analgesie, Zustand des Perineums und Zufriedenheit, die mütterliche
und kindliche Infektionsrate blieb unbeeinflusst (Rush et al. 1996).
Unmittelbar nach der Geburt sollen und müssen Neugeborene nicht gebadet werden. Neugeborene
können rasch auskühlen.
Wochenstation: Rooming-in-GeburtshilfeWochenstation
Wochenstation, HygienemaßnahmenPflege im Einzel- bzw. Doppelzimmer mit zugehöriger
Sanitäreinheit oder das Familienzimmer sind fest etabliert (De Carvalho Guerra Abecasis
u. Gomes 2006, Lee et al. 2010). Durch die enge Mutter-Kind-Bindung werden die Entwicklung
des Kindes und das Behaglichkeitsempfinden der Mutter gefördert (Janssen, Dennis und
Reime 2006) und erreicht, dass ein hoher Anteil der Neugeborenen auch nach der Entlassung
weiter gestillt wird. Im Vergleich zur zusammengefassten Unterbringung der Neugeborenen
in größeren Einheiten wird das Infektionsrisiko für das Neugeborene bei Rooming-in
reduziert (Fujita und Murono 1996; Langmaack, Schleipen und Daschner 1982). Ausnahmen
sind gegeben, wenn durch die Infektion der Mutter eine vitale Bedrohung des Neugeborenen
zu befürchten ist. Vorlagen zum Auffangen des Wochenflusses müssen keimarm sein und
kontaminationsgeschützt gelagert werden.
Mastitis puerperalis: Ihre Mastitis puerperalisPräventionPrävention beinhaltet (in
der Klinik) Händedesinfektion vor dem Anlegen des Neugeborenen, Vermeiden von Milchstau
durch Training der Stilltechnik, Wechsel zwischen unterschiedlichen Stillpositionen,
um beim Saugen durch das kindliche Kinn verschiedene Quadranten zu massieren, Anlegen
an beide Brüsten nacheinander in wechselnder Reihenfolge (Leertrinken beider Brüste),
Vermeidung des Kontakts zwischen Brust und Lochien, Verwendung sauberer Stilleinlagen,
lokale Behandlung entstehende Rhagaden der Brustwarzen; nach dem Stillen anhaftende
Milchreste zuerst trocknen lassen und erst dann BH anlegen, Stressvermeidung (evtl.
mit dem Kind tagsüber schlafen).
Herpes simplex neonatorum: Bei Herpes simplex neonatorumder Mehrzahl der Patienten
mit primärer Herpes-labialis-Manifestation im Bläschenstadium lässt sich an den Händen
der Mutter HSV nachweisen. Die Läsionen sollten deshalb abgedeckt, die Mütter zur
Händedesinfektion angehalten und beim Stillen ein MNS angelegt werden. Kreißenden
mit genitalen Herpesbläschen wird die Sektio empfohlen (ACOG 2007). Bei einer mehrfach
rezidivierenden HSV-Infektion wird eine antivirale Therapie mit Aciclovir empfohlen
(Anzivino et al. 2009).
Säuglinge mit disseminiertem Herpes neonatorum oder mit HSV-Enzephalitis (Le Doare
et al. 2014) müssen kontaktisoliert werden (Kap. 3.4.10, Kap. 5.13.5).
Ophthalmia neonatorum: Gemäß Ophthalmia neonatorumAWMF-Leitlinie (GNPI 2012) ist die
gesetzliche Vorschrift zur generellen Durchführung der Credé Prophylaxe aufgehoben.
Es wird ggf. eine gezielte antibiotische Therapie nach Lidabstrichentnahme empfohlen
(Kap. 5.15.3).
Spezielle Schutzmaßnahmen vor peri- und postpartalen Infektionen
(Kap. 3.3.2, Kap. 3.4)
In Tab. 5.22 wird das von Gebärenden ausgehenden Infektionsrisiko für Dritte orientierend
eingestuft.
Neugeborene mit Masern-, Mumps-, Varicella-zoster-, Röteln-, Influenza- oder Norovirusinfektion
müssen isoliert werden.
Streptokokken: Bei postpartaler StreptokokkenGeburtshilfe
GeburtshilfeStreptokokkenund postoperativer A-Streptokokken-Infektion müssen Mutter
und Kind bis 24 h nach Beginn der Antibiotikatherapie isoliert werden. Bei gehäuftem
Auftreten (> 2 Erkrankungen) muss eine Meldung an das Gesundheitsamt erfolgen; ein
Personalscreening ist zu erwägen.
Da B-Streptokokken schwere Infektionen beim Neugeborenen hervorrufen können (Early
und Late Onset), wird das Screening aller Schwangeren auf B-Streptokokken zwischen
35 + 0 und 37 + 0 SSW (vaginal und rektal) empfohlen, um bei positivem Nachweis mindestens
4 h vor der Geburt mit einer Antibiotikaprophylaxe (Penicillin parenteral) zu beginnen
(Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2008; Kressel und Linnemann
2004). Dadurch kann in bis zu 90 % der Fälle eine Neugeborenensepsis verhindert werden,
ohne dass nach bisherigem Wissensstand eine Zunahme anderer potenzieller Risiken (z.
B. Anaphylaxie, Zunahme von nicht durch B-Streptokokken verursachten Sepsisfällen)
verbunden ist.
MRE: Bei Auftreten von Multiresistente ErregerGeburtshilfe
GeburtshilfeMREMRSA und weiterer MRE gelten die diesbezüglichen Regeln (Kap. 3.7,
Kap. 3.8.5). Gegebenenfalls ist die antiseptische Sanierung der Scheide zu empfehlen,
jedoch ist keine Sektio erforderlich. Die Hautdekontamination beim Neugeborenen kann
mit OCT erfolgen.
Wegen des Risikos der alimentären Aufnahme von Listerien und EHEC ist während der
Schwangerschaft kein Genuss von rohen Fleischwaren, Rohmilch, Vorzugsmilch und nicht
pasteurisierten Milchprodukten zu empfehlen.
Virushepatitiden: Bei HBsAg-positiven Hepatitis-B-VirusGeburtshilfe
GeburtshilfeHepatitis-B-VirusMüttern oder bei unklarem Hepatitis-B-Status der Mutter
ist das Neugeborene in den ersten 72 h nach der Geburt aktiv und passiv zu immunisieren.
Es darf danach gestillt werden.
Bei Hepatitis-C-VirusGeburtshilfe
GeburtshilfeHepatitis-C-VirusHepatitis C sollte bei hohem Virustiter und gleichzeitiger
HIV-Infektion eine Sektio durchgeführt werden. Die HCV-Infektion allein stellt dagegen
keine Kontraindikation für die vaginale Entbindung dar (Ross, Viazov und Roggendorf
1999). Bei operativer Entbindung ist Double Gloving zu empfehlen. Da das Übertragungsrisiko
für HCV durch Stillen nicht sicher eingeschätzt werden kann (CDC 1998), wird die Viruslast
als Entscheidungskriterium herangezogen.
HIV: Wichtig ist das Screening auf HIVHuman Immunodeficiency VirusGeburtshilfe
GeburtshilfeHuman Immunodeficiency Virus, da durch präpartale antivirale Therapie
das Übertragungsrisiko auf das Kind um nahezu 70 % gesenkt werden kann (Public Health
Service Task Force 2004) und durch primäre Sektio die Transmissionsrate mit 55–80
% deutlich reduziert wurde (International Perinatal HIV Group 1999, European Mode
of Delivery Collaboration 1999). Bei HIV-Infektion sind die Empfehlungen zur HIV-Therapie
in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen (in Überarbeitung) und
der AWMF zur Prävention blutübertragbarer Virusinfektionen (AWMF 2011b) zu beachten.
Tbc: Bei TuberkuloseGeburtshilfe
GeburtshilfeTuberkuloseoffener Lungentuberkulose sind die Schutzmaßnahmen des RKI-Ratgebers
(2013), des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (2012) und der
Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF (2006, in Überarbeitung) einzuhalten.
Candida-Infektionen können zwar unter der Geburt von der Mutter auf das Kind übertragen
werden, erfordern aber unter der Entbindung kein besonderes Hygieneregime zum Schutz
Dritter.
Besucher
Sofern diese gesund sind, gibt es keine Besuchseinschränkung. Allerdings sollte beim
Eintritt eine Händedesinfektion durchgeführt werden. Bei Erkältungen von Personal
und Besuchern ist ein MNS anzulegen. Nach dem Naseputzen ist die Händedesinfektion
durchzuführen. Personal und Besucher mit floridem Herpes labialis dürfen nur nach
Händedesinfektion und Anlegen eines MNS und eines patientenbezogenen Schutzkittels
Kontakt mit dem Kind haben (Kap. 3.4). Bei Vorliegen hoch kontagiöser Darminfektionen
soll für die Dauer der Erkrankung kein Kontakt mit Neugeborenen erfolgen.
5.11.3
Infektionsprophylaxe bei Verfahren der assistierten Reproduktion
Zur Reproduktion, assistierte, Infektionsprävention
GynäkologieReproduktion, assistierteInfektionsprävention werden folgende Maßnahmen
empfohlen (Kupka und Weigel 2008):
•
präkonzeptionelle Sanierung bei Infektion der Vagina: Screening auf Vaginose, Chlamydien,
B-Streptokokken, vor invasiven Maßnahmen Auswaschen der Vagina bzw. Abtupfen der Portio
mit steriler isotoner Kochsalzlösung, Antiseptik wird wegen möglicher Beeinflussung
des Spermas nicht empfohlen
•
Verwendung von Einmalinstrumenten bei Follikelpunktion, Spermienpräparation, Embryokultur
und Embryotransfer
•
Hitzesterilisation und ggf. Ultraschallreinigung von Mehrweg-Utensilien
•
Anreicherung des Kulturmediums mit Penicillin und Streptomycin
•
Qualitätskontrollen des Kulturmediums (Mikroorganismen, Endotoxine, Pyrogene)
•
Serumsupplement nur mit Albuminpräparationen aus getesteten (HIV, HBV, HCV, CMV, T.
pallidum), quarantänegelagerten Spenderpools; notfalls Eigenserum der Patientin verwenden
•
Einhalten der Hygienevorschriften zur Spermiengewinnung
•
Regelmäßige Aufbereitung der Lagerbehälter für Kryokonservate
•
Röteln- und Varizellenschutz der Mutter
•
Impfprävention und hygienische Schutzmaßnahmen für das Laborpersonal.
Zellspender müssen frühestens 7 d vor jeder Eizellentnahme oder Samengewinnung ein
Screening für HIV, Hepatitis B und Hepatitis C (Anti-HIV-1, -2, HbsAg, Anti-HBc, Anti-HCV-Ab)
durchführen lassen (Gewebegesetz 2007). Bei Vaginose wurden durch vaginale Applikation
von Probiotika die Spermien vor Lipidperoxidation geschützt, was eine aussichtsreiche
Option zur Verbesserung der In-vitro-Fertilisation darstellt (Barbonetti et al. 2011).
5.11.4
Surveillance
Durch Surveillance wird das Infektionsrisiko quantifiziert, die Infektionsrate reduziert
und können Schlussfolgerungen für Präventionsmaßnahmen abgeleitet werden. Daher ist
die Surveillance unverzichtbares Instrument der Infektionskontrolle (Vincent-Bouletreau
et al. 2005, Mahmood, Fazal ur Rehman und Chughtai 2008).
5.11.5
Personalschutz
Im Ergebnis der Gefährdungsanalyse (Kap. 5.29.2) sind die erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen
zu treffen und die Aufklärung zu Schutzimpfungen zu dokumentieren (Kap. 2.12.1). Wegen
des häufigen Kontakts mit Blut, Amnionflüssigkeit und weiteren Sekreten und Exkreten
(bis zu 39 % Kontamination bei der Geburtshilfe; Panlilio et al. 1992) sind die erforderlichen
Sofortmaßnahmen bei akzidenteller Kontamination regelmäßig in Erinnerung zu bringen
(Arribas Llorente et al. 2004; Catanzarite et al. 2007; Jagger, Berguer und Gomaa
2009; Lewis et al. 1995).
Zum Infektionsrisiko für das OP-Team bei Laserentfernung von Kondylomata Kap. 5.26.6.
5.12
Urologie
Hansjürgen Piechota und Peter Brühl
Im Jahr 2011 liegen Urologie, InfektionsrisikoHarnwegsinfektionenHarnwegsinfektionenHäufigkeit
(HWI) in Deutschland mit 23,4 % nach SSI an 2. Stelle der NI. Das entspricht etwa
155 000 nosokomialen HWI (nHWI) in Deutschland pro Jahr. Die nach einer sekundären
Bakteriämie ggf. auftretende Urosepsis weist eine signifikante Mortalität von etwa
10 % auf (Gould et al. 2010). Damit hat die Prävention von nHWI einen hohen individuellen
und sozioökonomischen Stellenwert, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der zunehmenden
Resistenzentwicklung bakterieller Erreger. Da nHWI in etwa 80 % der Fälle mit einem
Harnwegskatheter (HWK) assoziiert sind, hat der korrekte Umgang mit HWK den höchsten
Stellenwert für die Infektionsprävention. Konkrete Handlungsanleitungen sind in den
aktuellen Empfehlungen der KRINKO und des Arbeitskreises Krankenhaus- und Praxishygiene
der AWMF (2015) hinterlegt (KRINKO 2015).
In Übereinstimmung damit sind die Kernempfehlungen zur Prävention katheter-assoziierter
HWI in acht englischsprachigen Leitlinien über 30 Jahre bemerkenswert konstant geblieben
(Conway und Larson 2012; Lo et al. 2014):
•
Jede HWK-Anlage bedarf der strengen, ärztlichen Indikationsstellung.
•
Die Technik beim Katheterismus und bei der Katheterpflege erfordert ebenso wie die
Erkennung von katheter-assoziierten Komplikationen eine regelmäßige Schulung.
•
Das Legen eines Katheters erfolgt stets unter streng aseptischen Bedingungen.
•
Es dürfen nur sterile und geschlossene Harnableitungssysteme verwendet werden.
•
HWK sollen so früh wie möglich wieder entfernt werden.
Eine antimikrobielle Prophylaxe ist weder bei der Einlage, noch beim Wechsel oder
während der Liegedauer eines HWKs erforderlich. Selbst bei einer asymptomatischen
Bakteriurie ist sie lediglich vor Operationen am Harntrakt indiziert (KRINKO 2015).
5.12.1
Transurethrale Katheterdrainage der Harnblase
Antiseptik
Zielsetzung Harnblasenkatheterisierung, transurethrale
Harnblasenkatheterisierung, transurethraleAntiseptik
AntiseptikHarnblasenkatheterisierung
Blasenverweilkatheter, transurethralerist eine möglichst weitgehende Reduktion der
Mikroflora der Genitoperinealregion um den Meatus urethrae bzw. am Introitus vaginae
vor der Katheterisierung (Heeg 1997).
Bei der Auswahl des Schleimhautantiseptikums ist nicht nur auf die lokale Verträglichkeit,
sondern auch auf eine fehlende Resorptionstoxizität zu achten. Quecksilberhaltige
Präparate sind aus toxikologischen Gründen und wegen ihrer ungenügenden Wirksamkeit
obsolet. Produkte auf Alkoholbasis können aufgrund der Schleimhautunverträglichkeit
nur beim anästhesierten Patienten verwendet werden. Iodophore sind am weiblichen Orificium
urethrae OCT und CHX in der Sofortwirkung tendenziell überlegen, es ist aber die Resorptionstoxizität
zu beachten. Am männlichen Genitale war dieser Unterschied nicht nachweisbar. Hier
sind OCT-haltige Antiseptika wegen der besseren remanten Wirkung zu bevorzugen, zumal
durch CHX anaphylaktische Reaktionen ausgelöst werden können (Kap. 2.2) (Assadian
und Kramer 2008; Krautheim, Jermann und Bircher 2004; Odedra und Farooque 2014).
Antiseptik: Beim Mann muss das Präputium (sofern vorhanden) nach steriler Abdeckung
komplett retrahiert, die Harnröhrenöffnung mit Daumen und Zeigefinger gespreizt und
mitsamt Eichel dreimal hintereinander mit je einem satt getränkten Tupfer abgerieben
werden. Bei der Frau werden die großen Schamlippen von der Symphyse weg zum Anus antiseptisch
abgerieben und dann mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand gespreizt. Die kleinen
Schamlippen werden mit der freien Hand und neuem Tupfer in der gleichen Weise von
vorn nach hinten gereinigt. Zum Schluss wird die Harnröhrenmündung mit einem weiteren
Tupfer behandelt und der letzte Tupfer in den Vaginaleingang eingebracht. Mit der
anderen Hand wird der sterile Katheter nach Instillation eines sterilen, anästhesierenden
Gleitmittels eingeführt.
Bezüglich Aseptik und Antiseptik ist jeder Harnblasenkatheterismus einem chirurgischen
Eingriff gleichzusetzen.
Aseptik: VoraussetzungHarnblasenkatheterisierung, transurethraleAseptik
AsepisHarnblasenkatheterisierung für das aseptische Vorgehen sind standardisierte
Arbeitsmaterialien (Set) und ein standardisierter Arbeitsablauf (AWMF 2015). Bei industriell
gefertigten Sets (Handschuhe, Abdeckmaterial, Tupfer, ggf. Pinzette zur aseptischen
Katheterinsertion, Schleimhautantiseptikum, Gleitmittel) haftet der Hersteller für
die Zusammensetzung des Sets und dessen Sterilität. Das ist vor allem in Disziplinen
wichtig, in denen seltener katheterisiert wird.
Der aseptische intermittierende Katheterismus (IK) ist eine erprobte, sichere Methode
zur Blasenentleerung bei bestimmten Formen der neurogenen Blasenfunktionsstörung (Tab.
5.23
). Der IK kann langfristig erfolgen, wobeiHarnblasenkatheterisierung, transurethraleintermittierende
aseptische
Katheterismus, intermittierender aseptischer die erfolgreiche Infektionsprävention
von einer adäquaten Technik und der Katheterisierungsfrequenz abhängt (4–6 Mal in
24 h). Es stehen handelsübliche sterile Einmalkatheter mit gerader, weicher, konisch
verlaufender Spitze und abgerundeten, „entschärften“ Katheteraugen in gut handhabbarer
Verpackung in Kombination mit sterilem Gleitmittel zur Verfügung. Das Gleitmittel
muss die gleiche Biokompatibilität wie der Katheter besitzen (Kramer et al. 2001).
Es werden verschiedene Techniken praktiziert. Im Krankenhaus sollte der IK unter streng
aseptischen Kautelen erfolgen.
Tab. 5.23
Indikationen für den Katheterismus der HarnblaseHarnblasenkatheterisierung, transurethraleVerweilkatheterHarnblasenkatheterisierung,
transurethraleIndikationenHarnblasenkatheterisierung, transurethraleEinmalkatheter
Diagnostischer Katheterismus(meist Einmalkatheterismus)
Therapeutischer Katheterismus(meist Verweilkatheter)
•
Intensivüberwachung: Volumenbilanzierung, Nierenfunktionsüberwachung bei schwerkranken
Patienten oder langdauernden Operationen (meist Verweilkatheter)
•
Harngewinnung für mikrobiologische Untersuchung (falls Mittelstrahltechnik versagt)
•
Sondierung der Harnröhre, z. B. bei fraglicher Lumeneinengung (Harnröhrenkalibrierung)
•
Diagnostik der unteren Harnwege, z. B. Urodynamik, Miktionszystourethrogramm
•
Blasenentleerungsstörungen: z. B. bei Bewusstlosigkeit, nach spinalem Trauma, rückenmarknaher
Anästhesie (Option suprapubischer Katheter), bei stark obstruktiver Miktion und bei
ausgeprägter funktioneller/neurogener Blasenentleerungsstörung1
•
Förderung der Wundheilung/Hautschutz im Bereich des äußeren Genitale bei Harninkontinenz;
palliative Behandlung der (therapierefraktären) Harninkontinenz (strenge Indikationsstellung!),
•
Perioperativer Einsatz bei speziellen OP wie z. B. kolorektaler und Beckenchirurgie,
endoskopische und spezielle plastisch-rekonstruktive urologische und urogenitale OP
•
Ausräumung von Blasentamponaden
•
Spül- bzw. Instillationsbehandlung
•
Akuter und chronischer Harnverhalt
•
Kontinuierliche Nulldruck-Ableitung, bei komplizierten Harnwegsinfektionen
•
Verbesserung des Patientenkomforts und Erleichterung der Pflege am Lebensende
1
intermittierender Einmalkatheterismus
(nach Geng et al. 2012, SCIRE 2014)
Beim hygienischen Selbstkatheterismus außerhalb des Krankenhauses oder beim Katheterismus
durch immer die gleiche Fremdperson (Clean Intermittent CatheterisationHarnblasenkatheterisierung,
transurethraleSelbstkatherismus, hygienischer
Selbstkatherismus, hygienischer
Clean Intermittent Catheterisation
Harnblasenkatheterisierung, transurethraleClean Intermittent Catheterisation, CIC)
erfolgt eine hygienische Händedesinfektion und Antiseptik des Meatus und seiner Umgebung.
Die Utensilien sind sterile Einmalartikel. Auf Handschuhe und sterile Abdeckung wird
verzichtet und der gebrauchsfertige Katheter direkt „aus der Hülle“ in die Harnröhre
eingeführt. Die Katheterisierungsintervalle sollten eine Füllung der Harnblase über
400 ml vermeiden. Je öfter katheterisiert wird, desto niedriger bleiben Blasenfüllung
und Infektionsrate. Die Methode kann unter bestimmten Voraussetzungen vom Patienten
selbst erlernt werden. Wichtig ist die regelmäßige Schulung des Patienten bzw. der
Personen, die den IK durchführen.
Kathetermaterial
Der Harnblasenkatheterisierung, transurethraleKathetermaterial
Blasenverweilkatheter, transurethralerMaterialtransurethrale Verweilkatheter kann
als Fremdkörper durch physikalische und chemische Faktoren das physiologische Gleichgewicht
urothelialer Abwehrmechanismen beeinträchtigen. Abhängig von den Eigenschaften des
Kathetermaterials kommt es zur mechanischen Reizung mit nachfolgender Schädigung des
Urothels (Nacey, Tulloch und Ferguson 1985), die durch Manipulation am Katheter, Katheterwechsel,
Zug am Katheter und Ableitungssystem oder durch Blasenspülungen verstärkt werden (Kap.
4.3).
Anforderungen: Zu den spezifischen Adhärenzmechanismen einiger Mikroorganismen gehören
die Fimbrien (Pili), mit denen sie an Urothel und Katheteroberflächen anhaften und
persistieren können. Zu den unspezifischen Adhärenzmechanismen gehört der Biofilm
(Kap. 4.9), der Mikroorganismen an den Oberflächen des Katheterdrainagesystems eingebettet
festhält (Warren 1990). Beides wird durch eine raue Katheteroberfläche ebenso begünstigt
wie die Katheterinkrustation durch Struvit oder Karbonatapatit, die an ein alkalisches
Urinmilieu gebunden und pathognomonisch für eine Bakteriurie mit ureasebildenden Mikroorganismen
ist.
Die Inkrustation reduziert die Drainageleistung bis zur Obstruktion von Katheterlumen
und Ableitungssystem (Stamm 1998) mit Blasenentleerungsstörung und Erhöhung des intravesikalen
Drucks (Stickler 2014; Warren 1997; Kap. 4.3). Die Lumenobstruktion verkürzt die Liegedauer
des Katheters und erhöht durch die unzureichende Drainage des beim Dauerkatheterträger
in der Regel kontaminierten Urins sowie durch die gesteigerte Wechselfrequenz und
Manipulation am Katheter das Infektionsrisiko (Urosepsisgefahr!). Struvit und Apatit
auf der Katheteraußenfläche irritieren beim transurethralen Katheter das Urothel vor
allem der Harnröhre mit der Folge einer bakteriellen Urethritis. Beim Katheterwechsel
führen sie zu weiteren urethralen Läsionen mit einer möglichen Bakteriämie durch uropathogener
Erreger und der Spätfolge einer Harnröhrenstriktur (Bull et al. 1991; Tritschler et
al. 2013).
Da Mikroorganismen im Biofilm vor antibiotischen und antiseptischen Maßnahmen geschützt
sind, sind harnwegskatheter-assoziierte HWI häufig therapieresistent und persistieren
so lange, bis der kontaminierte Fremdkörper entfernt wird. Daher bestehen hohe Anforderungen
an die Biokompatibilität eines Katheters.
Die Anforderungen an einen HarnwegskatheterAnforderungenHarnwegskatheter sind indikationsabhängig
(Tab. 5.23) und beinhalten beim Verweilkatheter im Idealfall folgende Eigenschaften:
•
chemisch biostabil, d. h. indifferent, alterungsfrei, korrosionsfrei,
•
biokompatibel, allergenfrei,
•
physikalisch formstabil, elastisch, elektrostatisch neutral,
•
morphologisch glatt, wasserabstoßend, antiadhäsiv,
•
physiologisch gut drainierend, strömungsfördernd.
Preisgünstige PVC-Katheter werden zur Einmalkatheterisierung HarnwegskatheterPVCohne
längeren Urothelkontakt verwendet (Piechota und Pannek 2007).
Latex ist Latex, Harnwegskatheter
Blasenverweilkatheter, transurethralerLatexmechanisch stabil und flexibel, jedoch
nicht biokompatibel. Die elektronenmikroskopisch erkennbare raue Oberflächenstruktur
führt zu erheblicher Inkrustationsneigung und starken Urothelirritationen (Cox 1990,
Hedelin, Grenabo und Pettersson 1991). Durch Urethralsekret und Harn werden chemische
Zusätze wie Weichmacher und Stabilisatoren aus dem Latex herausgelöst. Latexkatheter
induzieren innerhalb weniger Stunden chemisch-toxische Urethritiden, indem Anaphylotoxine
freigesetzt werden, die bei der Herstellung als Akzeleratoren (Zinkcarbamat usw.)
benötigt werden. Diese wirken toxisch auf das Urothel. Schon aus diesem Grund wird
von der längerfristigen Verwendung (> 5 d) unbeschichteter Latexkatheter abgeraten
(Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2015; KRINKO 2015). Außerdem
können Latexbestandteile besonders bei Atopikern und Patienten, die häufig oder dauerhaft
katheterisiert werden müssen (z. B. Kinder mit Spina bifida, Patienten mit neurogener
Blasenentleerungsstörung und im Rahmen von Mehrfachoperationen) lokale und generalisierte
allergische Reaktionen auslösen (Hamann 1994; Merguerian 1991; Turjanmaa 1994). Die
Symptome reichen von einer leichten Kontakturethritis über ein Quincke-Ödem und eine
generalisierte Urtikaria bis zum anaphylaktischen Schock (Shenot et al. 1994).
Das allergene Potenzial von Latexkathetern muss beachtet werden. Wer auf Früchte wie
Bananen, Avocado, Kiwi, Papaya, Ananas, Kartoffel, Tomate allergisch reagiert, kann
auch auf Latexproteine reagieren (Kreuzallergie).
Polyurethan wird für Harnleiter- (endoureterale HarnwegskatheterPolyurethanSchiene,
Splint, Doppel-J- oder „Pigtail“-Katheter) und Nephrostomiekatheter verwendet. Auch
nach einer längeren Liegedauer von bis zu 6 Monaten werden keine nennenswerten Mengen
von Weichmachern oder anderen Additiven herausgelöst. Die Oberfläche zeigt sich elektronenmikroskopisch
relativ glatt.
Katheter aus HarnwegskatheterSilikon
Blasenverweilkatheter, transurethralerSilikonreinem Silikon haben den Vorteil der
geringsten kinetischen Reibung und induzieren weniger Urothelirritationen, da sie
chemisch inaktiv sind (Khoury et al. 1991). Sie besitzen eine hohe Elastizität und
Formstabilität und sind temperatur- und altersbeständig. Die Hydrophobie verhindert
vor allem Ablagerungen wasserlöslicher oder wasserhaltiger klebender Substanzen, z.
B. von Harn, Serum oder Blut. Davon profitieren besonders Patienten mit hoher Katheterinkrustationsneigung.
Elektronenmikroskopisch ist die Oberfläche sehr glatt. Der Silikonkatheter kann daher
bei längerfristiger, mehrwöchiger Drainage verwendet werden (Piechota und Pannek 2007).
HWK-assoziierte Urothelkomplikationen und Kosten können verringert werden. Bezüglich
der Durchflusskapazität zeigt sich eine signifikante Überlegenheit gegenüber Latexkathetern
(Hedelin, Grenabo und Pettersson 1991). Die Materialbeschaffenheit des Silikons erlaubt
den dünnwandigeren Aufbau des Katheterschafts, sodass eine größere Lumenquerschnittsfläche
erreicht werden kann. Da diese Vorteile auch nach der Inkrustationsphase erhalten
bleiben, ist schon aus diesem Grund eine Bevorzugung bei längeren Verweilzeiten (>
5 d) gerechtfertigt (Hesse et al. 1994). Dagegen gibt es bis heute keine Evidenz für
Unterschiede in der Rate katheter-assoziierter HWI zwischen Latex- und Silikonkathetern
(Hosseinpour et al. 2014; Lo et al. 2014; Pickard et al. 2012b).
Katheter aus reinem Silikon weisen ein Optimum an Biokompatibilität, Biostabilität
und Urothelverträglichkeit auf.
Katheterbeschichtungen
LatexkatheterHarnwegskatheterbeschichtete
Blasenverweilkatheter, transurethralerbeschichteter werden häufig mit Materialien
beschichtet, die biostabiler und verträglicher als reines Latex sein sollen. Durch
Beschichtung der inneren und äußeren Oberfläche mit einer Silikonelastomer- oder Teflonschicht
konnte das toxische Potenzial des Latexkatheters gesenkt werden. Durch die glattere
Oberfläche werden Reibung und Inkrustationsneigung im Vergleich zu unbehandelten Latexkathetern
reduziert (Bull et al. 1991). Von Interesse ist ferner die Beschichtung mit hydrophilen
Polymeren, die chemisch relativ inaktiv und biokompatibel sind. Es handelt sich um
hydrophiles Polyurethan (Hydrogel), das bei Kontakt zum Urothel Wasser absorbiert
und so zu einem „weichen Gel“ mit geringem Reibungskoeffizienten wird. Diese Katheter
gleiten gut bei Katheterinsertion und irritieren das Urothel kaum. Tierexperimentell
konnte nachgewiesen werden, dass der hydrogelbeschichtete Katheter nicht zytotoxisch
ist und sich in situ keine zytotoxischen Substanzen herauslösen. In vitro wurde eine
gegenüber Latex geringere mikrobielle Adhäsions- und Inkrustationsneigung nachgewiesen
(Roberts, Kaack und Fußell 1993). Durch die chemische Bindung der Beschichtung an
das Substrat kommt es bei kurzer Liegedauer (< 5 d) nicht zu Materialbruch oder Abreibung
der Beschichtung, sodass die Bedingungen für die hohe Biokompatibilität kurzfristig
erhalten bleiben. Längerfristig ist aber die Oberfläche im Vergleich zu reinem Silikon
deutlich instabiler (Bach 1995). Hydrogel-beschichtete Katheter scheinen im Langzeiteinsatz
besser toleriert zu werden. Es gibt dagegen keinen Hinweis auf Vorteile im Hinblick
auf die Infektionsprävention (Bull et al. 1991, Pickard et al., 2012a, Pickard et
al., 2012b).
Ziel einer antiinfektiven Imprägnierung ist es, Antibiotika oder Antiseptika in hohen
Wirkkonzentrationen in oder auf das Kunststoffmaterial zu bringen und so über einen
Low-Delivery-Mechanismus hohe Wirkspiegel gezielt am potenziellen Infektionsort freizusetzen.
Gleichzeitig sollen der Harnwegskatheterantiinfektiöse Imprägnierungsystemische Wirkstoffspiegel
niedrig sowie die Nebenwirkungen gering sein. In bisherigen Untersuchungen führte
das Eintauchen der Kathetermaterialien z. B. in antibiotische Lösungen trotz Optimierung
aller physikalisch-chemischen Parameter zu einer nur relativ kurzfristigen Bindung
des Antibiotikums (Warren 1997). Eine dauerhaft wirksame Beschichtung mit den verschiedenen
Wirkstoffen konnte nicht gesichert werden (Schierholz et al. 1998).
Aus Sicht der Infektionsprävention kann keine Empfehlung zur bevorzugten Verwendung
bestimmter Kathetermaterialien gegeben werden. Gleiches gilt für alle bekannten hydrophilen
und antimikrobiellen Katheterbeschichungen (KRINKO 2015).
Die Adhäsion von Mikroorganismen am Katheterpolymer soll durch Beschichtung mit Silberionen
verhindert werden (Guggenbichler, Kramer und Reichwagen 2008). Dabei war zunächst
kein Einfluss auf SilberHarnwegskatheter
HarnwegskatheterSilberbeschichtungdie Inzidenz katheter-assoziierter Bakteriurien
und Harnwegsinfektionen feststellbar (Riley et al. 1995). Die Ergebnisse aus 12 Studien
zu silberbeschichteten Latexkathetern sind durch methodische Mängel kompromittiert.
Die wichtigste Limitation dieser Studien war, dass nicht die symptomatische HWI sondern
ausschließlich eine katheter-assoziierte Bakteriurie als Endpunkt untersucht wurde
(Johnson, Kuskowski und Wilt 2006). Eine prospektive Cross-over-Studie zu silberimprägnierten
Silikonkathetern im Vergleich zu hydrogelbeschichteten Kathetern fand bei ausschließlicher
Betrachtung von Normalstationspatienten einen signifikanten Vorteil für silberimprägnierte
Katheter (Karchmer et al. 2000). Zwei gut konzipierte prospektive multizentrische
Studien zeigen dagegen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit Teflon-beschichteten
Latexkathetern keinen infektionspräventiven Nutzen von Silikonkathetern, die mit Silber
oder dem Antibiotikum Nitrofurazon beschichtet waren (Pickard et al. 2012a). Aufgrund
der heterogenen Datenlage wird die Verwendung antimikrobiell beschichteter Katheter
zur Infekionsprävention von der KRINKO nicht empfohlen (Jahn, Beutner und Langer 2012;
KRINKO 2015).
Auch durch die Behandlung von Kathetern mit Salicylsäure (Farber und Wolff 1993) und
durch die Freisetzung von Chloridionen aus Iontophorese-Kathetern (Wong, Riedl und
Griffith 1995) konnte keine Senkung der täglichen Inzidenz neu erworbener Bakteriurien
erreicht werden.
Zur Limitierung der Anlagerung von Harnkristallen an Katheteroberflächen wurde heparinisiertes
Material HarnwegskatheterHeparinbeschichtungentwickelt. Heparin verhindert die Anlagerung
von Fibrinmonomeren. Dadurch sollen die Inkrustationsneigung verhindert und die bakterielle
Kolonisation reduziert werden (Fuse et al. 1994). Ein signifikanter infektionsprotektiver
Effekt konnte dadurch bisher nicht bewiesen werden.
Wie schwierig bei antiinfektiv imprägnierten Kathetern trotz erfolgreicher Laborversuche
der Nachweis einer klinischen Effizienz ist, zeigt sich darin, dass es trotz jahrzehntelanger
Entwicklungsarbeit zurzeit keine Modifikation gibt, die eine HWK-assoziierte Bakteriurie
bzw. bakterielle Entzündung des Urogenitaltrakts zuverlässig unterdrücken kann. Kein
Kathetermaterial und keine Katheterbeschichtung können die patientenspezifischen und
die mechanisch-physikalischen Faktoren, welche die anatomische Integrität des Urothels
beeinflussen, eliminieren (Haacke, Schierholz und Timpe 1997, Pickard et al. 2012b).
Eine 2012 aktualisierte Cochrane Analyse zum Einfluss des Kathetermaterials (Latex
vs. Silikon vs. PVC) für den Endpunkt HWI hat keine signifikanten Unterschiede gezeigt
(Jahn, Beutner und Langer 2012). Beim topischen Einsatz von antimikrobiellen Substanzen
müssen zudem Aspekte wie Resistenzentwicklung, Nebenwirkungen und Kosten-Nutzen-Vergleich
beachtet werden.
Katheterstärke
Für Männer wird eine Katheterstärke von 14–18 Charr., für Frauen von 12–16 Charr.
und für Kinder je nach Lebensalter von 6–10 Charr. empfohlen.
Der transurethrale HarnwegskatheterKatheterstärke
Blasenverweilkatheter, transurethralerStärkeKatheter darf kein größeres Kaliber aufweisen
als der Meatus urethrae. Zu große Katheter traumatisieren bereits bei Insertion das
Urothel. Ein zu enges Anliegen der Harnröhrenwand kann zur Verlegung des Sekretabflusses
aus den urethralen Anhangsdrüsen mit erhöhtem Risiko einer Urethritis und Epididymitis
führen (Khoury et al. 1991). Es können Urothelischämien und Drucknekrosen mit nachfolgenden
Harnröhrenstrikturen entstehen.
Große Kaliber wie z. B. Spülkatheter können nur bei spezieller urologischer Indikation
erforderlich werden. Zu dünne Katheter sollten nicht verwendet werden, da sich diese
beim Einführen in den Mukosafalten verfangen können (via falsa) und leichter obstruieren
und abknicken.
Katheterhygiene und Katheterwechsel
Die HarnwegskatheterKatheterhygienetägliche Reinigung des Meatus und Genitale beim
transurethralen Harnwegskatheter bzw. des Punktionsbereichs beim suprapubischen Katheter
mit Trinkwasser und Seifenlotion ohne Zusatz antiseptischer Substanzen im Rahmen der
normalen Körperpflege reicht zur Reduktion der Kontamination und Kolonisation aus
(KRINKO 2015).
Katheterhygiene: Die Häufigkeit Blasenverweilkatheter, transurethralerHygieneeiner
kathetervermittelten Bakteriurie wird durch antiseptische Meatuspflege nicht beeinflusst.
Bei 2-mal täglicher Anwendung von PVP-Iod-Salbe war die Bakteriurierate sogar höher
als in einer nicht behandelten Kontrollgruppe (Burke und Riley 1996). Inkrustationen
des meatusnahen Katheters treten bei regelmäßiger Katheterhygiene praktisch nicht
auf und werden ansonsten schonend mit 3 % H2O2-getränkten Mullkompressen abgelöst.
Jeder Zug am Katheter ist zu vermeiden. Bei immobilen Patienten kann als zusätzliche
Maßnahme zum Schutz der Wäsche vor Verschmutzung und zum Schutz des Meatus vor Fäkalflora
eine trockene, saubere Kompresse ohne Antiseptikum vor den Meatus urethrae um den
Katheter geschlungen und geknotet werden. Häufige Lagekontrollen und tägliche Wechsel
sind empfehlenswert. Bei Durchfeuchtung und Verschmutzung ist ein sofortiger Wechsel
erforderlich. Auf perineale Hygiene ist insbesondere bei Stuhlinkontinenz zu achten
(Doughty 2005; Lima et al. 1990). Zur Dekontamination empfiehlt sich hier die Verwendung
antiseptischer Waschlotionen.
Katheterwechsel: Verweilkatheter HarnwegskatheterWechsel
Blasenverweilkatheter, transurethralerWechselsollen nicht routinemäßig in festen Intervallen,
sondern bei Bedarf nach individuellen Gesichtspunkten gewechselt werden, z. B. bei
symptomatischer HWI sowie bei Katheterdefekt, Verschmutzung, Inkrustation und Obstruktion
(KRINKO 2015). Ein regelmäßiger Wechsel des Katheters oder des Ableitungssystems nach
festen Intervallen hat keinen Vorteil bei der Prävention Katheter-assoziierter HWI
(White und Ragland 1995, Keerasuntonpong et al. 2003).
Blasentraining: Beim sog. BlasentrainingBlasentraining
Blasenverweilkatheter, transurethralerBlasentraining soll durch intermittierendes
Abklemmen eines Verweilkatheters vor dessen Entfernung das Gefühls für einen normalen
Miktionsrhythmus wiederhergestellt und ein „Auftrainieren“ der Blasenkapazität erreicht
werden. Die Stase des stets kontaminierten Urins kann dabei einer manifesten HWI Vorschub
leisten, indem sie das unkontrollierte Bakterienwachstum im feucht-warmen Milieu der
Harnblase begünstigt. Hinzu kommt, dass das Urothel der Harnblase bei der Verweilkatheterdrainage
zumeist durch mechanische Einwirkungen des Katheters (Katheterspitze, Katheterballon)
geschädigt wird. Zystoskopisch zeigen sich multiple petechiale Hämorrhagien und Rötungen
sowie ein bullöses Ödem (sog. Kathetermarke) als Zeichen der Verletzung des Uroepithels
mit Infiltration der Submukosa durch Entzündungszellen (Kunin 1997). Durch die teilweise
Zerstörung der anatomischen Integrität der Blasenwand ist die katheterisierte Harnblase
besonders infektionsgefährdet.
Beim Blasentraining kann es zu unerwünschten intravesikalen Drucksteigerungen von
> 100 cmH2O kommen (Brühl 1995). Der infizierte Harn wird dann durch unkontrollierbare
hohe intravesikale Drücke in die vorgeschädigte Blasenwand eingepresst, wodurch die
Gefahr einer bakteriellen Invasion besteht (Kap. 4.3, Abb. 4.1). Die Bakteriämie kann
zum pyelonephritischen Schub, zur Urosepsis bis zum uroseptischen Schock führen. Bei
Insuffizienz der Harnleiterostien (Reflux) steht außerdem der Weg für eine direkte
Erregeraszension in die Niere(n) offen. Detrusorspasmen erhöhen den intravesikalen
Druck noch weiter und führen zur Katheterleckage, bei der ein hygienisch nachteiliger
unwillkürlicher Urinverlust neben dem Katheter auftritt. Das sog. Blasentraining vor
Entfernung eines Blasenverweilkatheters ist unnötig und erhöht möglicherweise die
Häufigkeit von katheter-assoziierten Infektionen (Chenoweth, Gould und Saint 2014;
Griffiths und Fernandez 2007; Phipps et al. 2006). Selbst eine Schrumpfblase beim
Dialysepatienten kann nach erfolgreicher Nierentransplantation ohne Blasentraining
problemlos die ursprüngliche Kapazität und Funktion wiedergewinnen. Die Kontrolle
der Spontanmiktion und des Restharns sind Vorteile des suprapubischen Blasenkatheters.
Auf das Blasentraining vor Entfernung eines Blasenverweilkatheters soll wegen des
fehlenden funktionellen Nutzens und des Infektionsrisikos grundsätzlich verzichtet
werden (Gould et al. 2010; KRINKO 2015).
5.12.2
Suprapubische Katheterdrainage der Harnblase
Bei erforderlicher Harnblasendrainage für > 5 d, Wochen oder Monate und nach größeren
operativen Eingriffen bietet der suprapubische Blasenverweilkatheter (SBK) entscheidende
Vorteile (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2015).
Der Harnblasenkatheterisierung, suprapubische
Harnblasenkatheterisierung, suprapubischeIndikationen
Blasenverweilkatheter, subrapubischer
Blasenverweilkatheter, subrapubischerIndikationenSBK umgeht das genitoperineale Biotop
und die schutzbedürftige Harnröhre. Der Pflegeaufwand ist geringer. Es entstehen kein(e)
katheter-assoziierte(s) Irritation der Harnröhre, Präputialödem, Balanitis, Urethritis,
Prostatitis, Epididymoorchitis und Harnröhrenstriktur (O'Kelly et al. 1995). Daher
sollte der SBK bevorzugt bei längerfristig Katheterisierten und nach größeren operativen
Eingriffen insbesondere im kleinen Becken und am Genitale zur Anwendung kommen (KRINKO
2015; Piechota und Pannek 2003).
Die vesikale Bakteriurie tritt beim SBK verzögert auf (Ringert und Groß 1996). Patienten
mit transurethralem Verweilkatheter haben pro Kathetertag ein nahezu 5-fach höheres
Infektionsrisiko (Geiss 1994). Beim SBK ist das Infektionsrisiko mit Problemerregern
(bei geschlossener Harnableitung) reduziert, da die Bauchhaut vergleichsweise geringer
kolonisiert ist (Stickler 1994). Zur Frage, ob der SBK gegenüber der transurethralen
Harndrainage zu einer signifikanten Verringerung von katheter-assoziierten HWI beitragen
kann, liegen widersprüchliche Ergebnisse vor (Conway und Larson 2012; Gould et al.
2009; Healy et al. 2012; Hooton et al. 2010; Lo et al. 2014; McPhail, Abu-Hilal und
Johnson 2006; Niel-Weise et al. 2012).
Bei Verwendung eines Harnblasenkatheterisierung, suprapubischeMiktionsfähigkeitstraining
Blasenverweilkatheter, subrapubischerMiktionsfähigkeitstrainingSilikon-Ballonkatheters
besteht nur eine geringe subjektive Belästigung des Patienten, da der SBK im Gegensatz
zum transurethralen Katheter den Blasenverschlussmechanismus nicht irritiert. Ein
postoperatives Training der Miktionsfähigkeit ist nur mit SBK möglich, weil der Patient
spontan Wasser lassen kann. Danach wird der Restharn über den SBK geprüft. Das versuchsweise
Entfernen und die ggf. erforderliche Wiedereinlage wie beim transurethralen Katheter
entfallen. So können die Wiederherstellung der MiktionsfähigkeitstrainingSpontanmiktion
schneller erfolgen, der stationäre Aufenthalt verkürzt und Belastungen für den Patienten
sowie Kosten reduziert werden (Baan et al. 2003; Hälleberg Nyman et al. 2013; Jannelli
et al. 2007; McPhail, Abu-Hilal und Johnson 2006; Niel-Weise et al. 2012; Phipps et
al. 2006).
Anforderungen an den Trokar: Der Trokar zur suprapubischenHarnblasenkatheterisierung,
suprapubischeTrokar, Anforderungen Blasenpunktion und Kathetereinführung sollte eine
einfache, hygienisch einwandfreie und vor allem sichere Handhabung ermöglichen (Irby
und Stoller 1993). Die Steuerbarkeit bei der Punktion sollte durch ergonomischen Griff,
mechanische Stabilität des Schafts und eine Trokarspitze gewährleistet sein, die ein
sanftes Durchstechen der verschiedenen Gewebeschichten mit minimalem Kraftaufwand
gewährleistet. Hygienisch bedenkliche und traumatisierende Quetsch-, Riss- oder Gewebeausstanzeffekte,
wie sie bei Voll-, Hohl- und innenliegenden Trokaren auftreten können, müssen dabei
zuverlässig vermieden werden. Durch den Trokar soll ein Punktionskanal geschaffen
werden, der eine die Elastizität der Haut ausnutzende Spannung aufweist, die den Austritt
von Urin neben dem Katheter und den Eintritt von Mikroorganismen in die Tiefe der
Gewebeschichten bis in die Harnblase minimiert. Die Trennung des Katheters vom (rinnenförmigen)
Trokarschaft nach der Punktion soll ohne Verletzungsgefahr für Patienten, Katheter
und Hände des Anwenders gewährleistet sein.
Diese Postulate an den optimalen Trokar werden z. B. von dem Curity®-Punktionssystem
durch wichtige technische Details am Trokargriff und Trokarschaft sowie durch eine
funktionell definierte und geometrisch dreigeteilte Trokarspitze erfüllt (Piechota,
Meessen und Brühl 1992, Meessen, Brühl und Piechota 2000). So werden nicht nur das
Handling und die Sicherheit für Arzt und Patient objektiv verbessert, sondern auch
Probleme bei der Harnblasenpunktion minimiert.
Bei der suprapubischen Blasenkathetereinlage handelt es sich um einen operativen Eingriff,
der nach Aufklärung und Vorbereitung nur vom Arzt durchzuführen ist.
Aseptische Technik: Unbedingte Harnblasenkatheterisierung, suprapubischeTechnik, aseptischeVoraussetzung
ist die Kenntnis des Füllungszustands der Blase (Palpation, vorzugsweise Sonografie).
Die Gefahr einer Verletzung von Peritoneum und Dünndarm ist bei ungenügender Blasenfüllung
(< 150 ml) erhöht. Besondere Sorgfalt muss bei Patienten mit früheren Unterbauchoperationen
angewandt werden. Hier weisen Peritoneum und Darm oft Verwachsungen auf und stehen
deutlich tiefer als im Normalfall. Bei Blasentumoren oder Hauterkrankungen im Punktionsbereich
sollte die SBK-Anlage nicht durchgeführt werden.
Nach leichter Beckenhochlagerung, Clipping der suprasymphysären Behaarung, Hautantiseptik
und Lokalanästhesie genau in der Mittellinie 1–2 Querfinger oberhalb der Symphyse
wird der rinnenförmige Trokar mit dem innen liegenden Katheter unter sanftem Druck,
ggf. über eine kleine Stichinzision der Haut und der Faszie (Linea alba), in die ausreichend
gefüllte Blase vorgeschoben. Nach Entfernung des Punktionstrokars wird der Katheterballon
mit steriler 8- bis 10-prozentiger Glycerollösung gefüllt. Die Verwendung einer antimikrobiellen
Blockerlösung (Triclosan in Farco-fill® Protect) kann zur Reduktion der Bakteriurie
und Inkrustations-/Okklusionsrate beitragen (Pannek und Vestweber 2011). Der Ballon
darf unter Beachtung der Herstellerangaben nicht überfüllt werden (Studer, Bishop
und Zingg 1983). Für eine Annaht im Einzelfall z. B. bei Erstanlage oder agitierten
Patienten sollte vorzugsweise ein monofiler Kunststofffaden verwendet werden. Nach
8–10 d wird der Faden entfernt. Der aseptische Verband ist für 2–3 d zu belassen.
Eine schlitzförmige Wundauflage soll dann die Eintrittsstelle des Katheters nicht
„abdecken und verbergen“, sondern ihre Überwachung ermöglichen. Sie ist bei Bedarf
schonend mit H2O2 (3-prozentig) getränkten Mullkompressen von Sekret oder Krusten
zu reinigen. Um Zugkräfte zu vermeiden, wird der Katheter vorzugsweise zwischen Nabel
und Punktionsstelle mit einem Pflaster (Führungslasche) befestigt (Yates 2013).
Katheterwechsel: Beim Wechsel Blasenverweilkatheter, subrapubischerKatheterwechseldes
SBK ist steriles Gleitmittel zu verwenden und auf eine ausreichende Blasenfüllung
(ca. 100 ml) zu achten. Wie der transurethrale Katheter muss auch der SBK nicht routinemäßig
in festen Intervallen gewechselt werden. Bei Infektion, Inkrustation, Obstruktion,
Verschmutzung oder technischem Defekt erfolgt der Wechsel nach individuellen Gesichtspunkten
und ärztlicher Indikationsstellung. Dabei ist stets das gesamte Harnableitungssystem
auszutauschen (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2015).
Die Liegedauer des SBK kann 1–2 Monate betragen. Duschen und Baden sind erlaubt, wobei
ein Harnsammelbeutel vorher entleert und unter Harnblasenniveau positioniert wird.
5.12.3
Geschlossene Harndrainage
Bereits Kass (1956) sowie Kunin und McCormack (1966) konnten zeigen, dass bei der
Verweilkatheterdrainage Blasenverweilkatheter, transurethralergeschlossene Harndrainage
Blasenverweilkatheter, suprapubischergeschlossene Harndrainageder Harnblase der Beginn
der Bakteriurie von 4 d beim offenen Harndrainagesystem auf bis zu mehr als 30 d beim
geschlossenen Harndrainagesystem hinausgezögert werden konnte. Früher war die retrograde
intrakanalikuläre Erregeraszension im Katheterlumen bei der Verwendung offener Behälter
zum Auffangen des Harns der Hauptinfektionsmodus. Damals wurden bereits nach 2–4 d
Bakteriurieraten von nahezu 100 % erreicht, da stehender Harn ein ausgezeichnetes
Kulturmedium ist und E. coli sowie Proteus spp. in stehenden Harnsäulen aufsteigend
leicht das Blaseninnere erreichen können. Die Öffnung des an seiner Außenseite stets
kontaminierten Harndrainagesystems zur Gewinnung von Harnproben, zur Harnblasenspülung,
zum Abstöpseln des Katheters (z. B. beim „Blasentraining“) oder zum Entleeren eines
vollen Ableitungsbeutels fördern die retrograde mikrobielle Aszension im Harnableitungssystem.
Bei der Verweilkatheterdrainage der Harnblase muss ein steriles geschlossenes Harndrainagesystem
verwendet werden.
Ein geschlossenes Harnableitungssystem schützt das Lumen der Harndrainage während
der Ableitung weitestgehend vor Kontamination von außen, kann jedoch die extrakanalikuläre
Migration der Mikroorganismen in der mukopurulenten Membran („Bakterienstraße“) zwischen
dem Katheter und der Harnröhrenwand nicht verhindern.
Systemanforderungen: Im Harndrainage, geschlosseneHandel sind verschiedene geschlossene
Systeme, die den Anforderungen der DIN EN ISO/DIS 8669–2: 1997–04 entsprechen. Es
sollen jedoch nur Systeme zur Anwendung kommen, welche die nachfolgenden hygienischen
Anforderungen (Exner et al. 1980, Brühl 1985) erfüllen:
•
sterile Einzelverpackung (Setsystem),
•
Schutzkappe am Konnektor des Drainageschlauchs,
•
Drainageschlauch, transparent, weitgehend unbenetzbar, mit ausreichender Knickfestigkeit
und Flexibilität, Lumenweite (0,7–0,8 cm) und Länge (ca. 1 m),
•
plan im Konnektor eingelassene Harnprobeentnahmestelle,
•
flüssigkeitsdicht belüftetete, nicht komprimierbare Tropfkammer am Übergang vom Drainageschlauch
zum Harnsammelbeutel mit durchgehend identischer Lumenweite,
•
Pasteur-Einlauf aus dem Drainageschlauch in die Tropfkammer,
•
Harnsammelbeutel, Kapazität 2 000 ml, Markierungsskala mit 100 ml graduiert, gut ablesbar,
auch bei längerem Gebrauch transparent und nicht verfärbend, flüssigkeitsdichte Belüftung,
•
vertikal angeordnete, verklebungsgeschützte Rückflusssperre zwischen Tropfkammer und
Harnsammelbeutel, die nur bei retrogradem Fluss volumendicht schließt,
•
sichere Aufhängung bzw. Fixierung unter Blasenniveau, wobei die Tropfkammer senkrecht
positioniert sein muss,
•
Ablassstutzen am tiefsten Punkt des Harnsammelbeutels, leicht zu bedienen bei ausreichender
Bodenfreiheit und nicht nachtropfend, integrierte ergonomische Rückstecktasche.
Der Sammelbeutel ist rechtzeitig zu entleeren, bevor der Harn mit der Rückflussperre
in Kontakt kommt. Bei der Harnentsorgung darf der Ablassstutzen des geschlossenen
Harndrainagesystems nicht mit dem Auffanggefäß in Kontakt kommen. Auf Spritzschutz
ist zu achten, um eine Kontamination des Personals und der Umgebung mit Gefährdung
anderer Patienten zu verhindern. Nach Entleerung empfiehlt sich die Dekontamination
des Ablassstutzens mit einem alkoholischen Desinfektionsmittel (Seuffer 1999). Bei
intensivmedizinisch betreuten Patienten soll zur exakten Bilanzierung und Ausfuhrbestimmung
ein hygienisch geprüftes, geschlossenes Harndrainagesystem mit integriertem Urinmessgerät
(Urimeter) verwendet werden (Drehsen, Schuhmacher und Daschner 1998). Bei Harnentsorgung
oder Systemwechsel sind saubere Einweghandschuhe zu tragen. Vor und nach jeder Manipulation
am HWK oder Ableitungssystem ist eine hygienische Händedesinfektion erforderlich (Arbeitskreis
Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2015). Fehler bei der Auswahl und Handhabung
des Harndrainagesystems sind ein bedeutender Risikofaktor für katheter-assoziierte
HWI (Chenoweth, Gould und Saint 2014).
Zur erfolgreichen Prävention von katheter-assoziierten HWI sind die strenge Beachtung
der Regeln der Basishygiene und die regelmäßige Schulung von ärztlichem und pflegerischem
Personal unerlässlich (KRINKO 2015).
Beim funktionsfähigen Harndrainagesystem ist die Verweildauer des Urins in der Blase
und im System extrem kurz, da der Urin durch das System kontinuierlich abfließt. Eine
Harntransportstörung kann bei Patienten mit Verweilkatheter infolge einer Abknickung
der Harnableitung oder Katheterobstruktion bzw. -okklusion auftreten. Diese entsteht
durch intrakanalikuläre Präzipitation von Harnsalzen mit Inkrustation und Verschmutzung
des Katheter- und Drainagelumens durch Zelldetritus und eiweißhaltiges Matrixmaterial.
Sie wird begünstigt durch dünnlumige Katheter in Verbindung mit herabgesetzter Diurese.
Beim Wechsel eines Blasenverweilkatheters ist stets das gesamte geschlossene Harnableitungssystem
auszutauschen (KRINKO 2015).
Die Isolierung von Patienten mit HWK-assoziierten nosokomialen HWI mindert nicht das
Übertragungsrisiko von Krankenhausinfektionserregern und ist außer bei MRE nicht erforderlich.
Das Einhalten der Asepsis bei Katheterismus und Katheterpflege sowie die Verwendung
geeigneter geschlossener Harndrainagesysteme können nicht durch räumliche Trennung
ersetzt werden.
5.12.4
Katheter-/Blasenspülung und Instillation
Die früher zur Infektions- und Inkrustationsprophylaxe beim dauerkatheterisierten
Patienten übliche Blasenspülung ist wegen der Gefährdung durch unsachgemäße Spülung
(Elliott et al. 1989), fehlende Effektivität, Erregerverschleppung und ungeeignete
Spülmedien obsolet (Kennedy et al. 1992; Schneeberger et al. 1992).
Durch HarnwegskatheterSpülung
Blasenverweilkatheter, transurethralerSpülung
Blasenverweilkatheter, suprapubischerSpülungManipulationen am Katheter bei direkter
Instillation wird die Integrität des geschlossenen Systems unterbrochen und das Infektionsrisiko
erhöht. Blasenspülungen bei dauerkatheterisierten Patienten sind nicht nur ineffektiv,
sondern im Vergleich zu optimaler Katheterpflege und adäquater Diurese bzw. „innerer
Spülung“ kostenintensiver, patientengefährdend und komplikationsträchtig. Eine nachhaltige
Reduktion von Mikroorganismen in der Blase oder Infektionsprävention wird nicht erreicht
(Chenoweth, Gould und Saint 2014; Daha und Mouton 1985; Gould et al. 2010; Niel-Weise
et al. 2012; Phipps et al. 2006; van den Broek).
Durch den während der manuellen Blasenspülung unkontrolliert ansteigenden intravesikalen
Druck wird das Risiko einer Bakteriämie (Urosepsis) erhöht, da er die bakterielle
Invasion des entzündlich oder durch den Harnwegskatheter mechanisch vorgeschädigten
Urothels und der Blasenwand begünstigt. Die Spülung der Harnblase über einen HWK wird
lediglich bei speziellen urologischen Indikationen wie z. B. der Evakuation von Pus
und Detritus bei fibrinös-eitriger Zystitis oder fortgeschrittenen Karzinomen der
Harnblase und Prostata, zur Prophylaxe oder Ausräumung von Blutkoagula (Tamponadeprophylaxe
nach Blasen- und Prostata-OP) oder zur lokalen Instillationsbehandlung z. B. im Rahmen
einer intravesikalen Chemotherapie durchgeführt.
Die Spüllösungen müssen steril sein, wobei indifferenten Fertigmedien (NaCl 0,9 %
oder Ringer-Lösung) der Vorzug zu geben ist. Die Aufbrauchfrist sollte 12 h nicht
überschreiten. Die Applikation erfolgt im geschlossenen System z. B. über doppelläufige
Spülkatheter. Bei der sog. inneren Spülung handelt es sich um eine endogene Flüssigkeitsdiurese
von mehr als 1 500 ml/24 h unter entsprechender Flüssigkeitszufuhr (spezifisches Harngewicht
≤ 1 015), die jedoch nur bei herzgesunden Patienten eingesetzt werden kann. Zur Verschlechterung
der Vermehrungsbedingungen für Bakterien und zur Inkrustationsprophylaxe sollte bei
alkalischem Harn-pH eine orale Harnansäuerung z. B. mit Vitamin C oder Acimethin®
auf ein pH-Optimum von 5,8–6,2 angestrebt werden (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene
der AWMF 2015).
Die topische Applikation systemischer Antiinfektiva in die Harnblase ist obsolet.
Ist die Blase gut drainiert und fließt der Harn klar ab, ist der Einsatz von Antibiotika
beim beschwerdefreien Patienten nicht erforderlich. Trüber und übel riechender Urin
ist oft Folge einer mangelnden Diurese. Eine ausreichende Diurese trägt über die „innere
Spülung“ zur Erregerelimination und Inkrustationsprophylaxe bei.
5.12.5
Synopse der Empfehlungen zur Einschränkung kathetervermittelter nosokomialer HWI
(Piechota und Kramer 2014)
Indikation
•
Medizinisch strenge Begründung (Arzt) und Dokumentation.
•
Weiterbestehen der Indikation täglich ärztlich überprüfen; z. B. Einsatz von Checklisten
für Interventionsbündel im Rahmen von Surveillance und QM.
•
In (Pflege-)Einrichtungen ohne ärztliche Anwesenheit muss Indikationsstellung und
-überprüfung durch den Arzt zeitnah eingeholt und dokumentiert werden.
•
Überprüfung von Alternativen, v. a. des aseptischen intermittierenden Einmal-(Selbst-)Katheterismus
(ISK).
Personen
•
Regelmäßige Schulung des ärztlichen und pflegerischen Personals (aseptisches Vorgehen,
Katheterisierungstechnik, Umgang mit dem liegenden Katheter, Erkennung von Katheter-assoziierten
Komplikationen/Infektionen),
•
Schulung des Patienten und der häuslich Pflegenden (z. B. Angehörige), ggf. mithilfe
geeigneten Informationsmaterials.
Arbeitsweise und Materialien
•
Strenge Beachtung der Basishygiene,
•
Aseptisches Katheterisieren in einwandfreier Technik,
•
Verwendung ausschließlich steriler Verbrauchsmaterialien (sterile Handschuhe, Abdeckmaterial,
Tupfer [ggf. Pinzette], Schleimhautantiseptikum, Gleitmittel, Katheter, geschlossenes
Harndrainagesystem),
•
Hygienische Händedesinfektion vor und nach jeder Manipulation am Katheter.
Katheterisierung und Harnableitungssystem
•
Bevorzugung des ISK, wenn indiziert und praktikabel,
•
Suprapubische Katheterdrainage zur Vermeidung subvesikaler Komplikationen bei Langzeitdrainage
(> 5 d) und größeren Operationen im kleinen Becken/am Genitale,
•
Anpassung der Katheterstärke an die Weite des Meatus urethrae
•
Ballonblock mit sterilem Aqua dest. oder steriler 8–10-prozentiger Glycerol-Wasser-Lösung,
•
Blockvolumen nach Herstellerangaben (Überblockung vermeiden!),
•
Nur geschlossene Ableitungssysteme einsetzen mit Probeentnahmestelle für bakteriologische
Untersuchungen, Rückflusssperre, Luftausgleichsventil und Ablassstutzen/-ventil (DIN
EN ISO 8669–2:1997–04).
Kathetermaterial
•
PVC für Einmalkatheterismus (ISK),
•
Latex für die Kurzzeitdrainage (< 5 d), sofern eine Latexallergie ausgeschlossen ist,
•
Silikon für die Langzeitdrainage (> 5d + suprapubisch).
Kommentar:
Vollsilikon besitzt die höchste Biokompatibilität und -stabilität
Latexkatheter besitzen das höchste Allergisierungspotenzial.
Hydrogel-beschichtete Katheter und Silikonkatheter bieten Vorteile im Hinblick auf
Patientenkomfort und Inkrustationsprophylaxe.
Keines der Kathetermaterialien wirkt unmittelbar infektionspräventiv; das gilt auch
für antimikrobiell beschichtete Katheter.
Handling und Katheterpflege
•
Abkickung des Katheters und Drainageschlauchs vermeiden, freien Urinabfluss gewährleisten,
•
Frei hängender Auffangbeutel ohne Bodenkontakt und stets unter Blasenniveau,
•
Katheter und Drainageschlauch grundsätzlich nicht diskonnektieren (außer bei spezifischen
urologischen Indikationen, Kap. 5.12.4),
•
Wisch-/Sprühdesinfektion der Verbindungsstelle mit alkoholischem Präparat, vorher
und nachher, wenn Diskonnektion nicht zu vermeiden ist,
•
Rechtzeitige Entleerung des Drainagebeutels, bevor Urin mit Rückflusssperre in Kontakt
kommt; dabei saubere Einweghandschuhe tragen (Personalschutz),
•
Bei Entleerung des Drainagebeutels auf Spritzschutz achten, Nachtropfen verhindern,
•
Ablassstutzen nicht mit Auffanggefäß in Kontakt kommen lassen,
•
Patientenbezogener Einsatz des Auffanggefäßes, anschließende desinfizierende Reinigung,
•
Reinigung des Genitales mit Trinkwasser und Seifenlotion ohne antiseptische Zusätze
im Rahmen der normalen täglichen Körperpflege,
•
Gegebenenfalls schonende Entfernung von Inkrustationen am Meatus urethrae z. B. mit
3-prozentigem H2O2.
Katheterliegedauer und -wechselintervalle
•
Reduktion der Liegedauer auf das medizinisch erforderliche Minimum,
•
Individualisierte Katheter-Wechselintervalle (z. B. bei Infektion, Inkrustation, Obstruktion,
Verschmutzung, technischem Defekt) nach ärztlicher Indikationsstellung,
•
Beim Wechsel des Katheters stets Austausch des gesamten geschlossenen Harndrainagesystems.
Gewinnung von Harnproben
•
Nur aus der dafür vorgesehenen patientennahen Entnahmestelle am Drainagesystem nach
vorheriger Wischdesinfektion mit alkoholischem Präparat,
•
Bakteriologische Urindiagnostik bei dauerkatheterisierten Patienten grundsätzlich
nur bei klinischer Symptomatik oder vor Operationen am Harntrakt oder aus epidemiologischen
Gründen.
Antibiotikaprophylaxe und Blasenspülungen
•
Keine Antibiotika-Prophylaxe beim Legen eines Dauerkatheters oder während der Katheterliegedauer,
•
Keine regelmäßigen oder intermittierenden Spülungen über den liegenden Katheter (außer
bei speziellen urologischen Indikationen, Kap. 5.12.4),
•
Keine Instillationen von antiseptischen oder antimikrobiellen Substanzen in das Harndrainagesystem
(außer bei speziellen urologischen Indikationen, Kap. 5.12.4).
Blasentraining
•
Obsolet, da es infektiösen Komplikationen Vorschub leistet.
5.12.6
Urologische Endoskopie
Neben Endoskopie, urologischeHygienemaßnahmendiagnostischen transurethralen Untersuchungen
werden zunehmend minimal-invasive therapeutische Eingriffe (transurethral und perkutan)
endoskopisch durchgeführt.
Raumanforderungen: Röntgenuntersuchungstische Endoskopie, urologischeräumliche Anforderungenfür
retrograde oder antegrade (perkutane) urologische Eingriffe müssen in Räumen positioniert
sein, in denen die Einhaltung aseptischer Bedingungen für den Patienten möglich ist.
Bei der Zuordnung und Einrichtung derartiger Räume muss berücksichtigt werden, dass
die gesamte Behandlungsmaßnahme durchgehend an einem Arbeitstisch vollzogen werden
kann. Die Umlagerung von Patienten mit liegenden Sonden vom Endoskopieraum in einen
anderen, entfernt liegenden Röntgenraum ist aus ablauftechnischen und hygienischen
Gesichtspunkten indiskutabel. Sowohl bei manueller als auch bei maschineller Aufbereitung
der Instrumente ist ein vom Untersuchungs- und Behandlungsraum abgetrennter Aufbereitungsraum
erforderlich. Weitere Anforderungen der Hygiene an die baulich-funktionelle Gestaltung
und apparative Ausstattung von Endoskopieeinheiten sind in der KRINKO-Empfehlung (2002a)
aufgeführt.
Videokamera: Für videounterstützte minimal-invasive endoskopische Eingriffe gilt der
gleiche Anspruch an die Aseptik wie für konventionelle Schnittoperationen. Einzige
Ausnahme ist die Videokamera, die nicht sterilisierbar ist und einschließlich des
Übertragungskabels mit einer sterilen, wasserdichten Hülle überzogen werden muss.
Die transurethrale Videoresektion (Prostata, Blasentumor) minimiert die Gerätekontamination
durch den Operateur, bewahrt diesen vor unmittelbarem Augen- bzw. Gesichtskontakt
mit dem Okular und minimiert so das Kontaminationsrisiko durch Blut und Urin. Aus
Gründen des Personenschutzes ist ein chirurgischer MNS (nach DIN EN 14683), ggf. auch
Augenschutz, erforderlich (Muir und Davies 1996, Öge et al. 1998).
Die Hygiene im OP-Raum für transurethrale und perkutane Eingriffe entspricht der Aseptik
und Antiseptik in der OP-Abteilung für Schnittoperationen (KRINKO 2000b, Kap. 9.4.1).
Personal: Eine Endoskopie, urologischePersonalverhaltensterile Abdeckung des Patienten
und sterile OP-Schutzkleidung des Operateurs und der Instrumentierenden sind selbstverständlich.
Wegen des bisweilen erheblichen Spülwasseranfalls in der operativen urologischen Endoskopie
ist dafür Sorge zu tragen, dass weder das Abdeckmaterial noch die OP-Kleidung und
OP-Bereichskleidung durchweichen. Das ist keine Frage des Handlings, sondern eine
wesentliche Anforderung an flüssigkeitsdichtes Abdeckmaterial (Werner und Feltgen
1998). Die Verwendung geeigneter Einwegmaterialien wie flüssigkeits- und bakteriendichter,
reißfester Vliesstoffe vermeidet mögliche Probleme der Aufbereitung (Hansis 1998,
KRINKO 2001).
OP-Tisch, Patient und Operateur müssen am Ende des Eingriffs trotz Spülung trocken
sein.
Kontaktgel: Für Endoskopie, urologischeKontaktgel
Kontaktgel, Endoskopie, urologischeultraschallgesteuerte perkutane Eingriffe ist Kontaktgel
in Weithalsflaschen mit Schraubverschluss ungeeignet, da es durch die Entnahme zahlreicher
Einzelproben zur bakteriellen Verunreinigung kommt. Kontaktgel ist ein Nährboden für
Mikroorganismen. Zugemischte Konservierungsmittel wie Formaldehyd, Phenol, Glycerol
u. Ä. bewirken keine Sterilität. Wegen der möglichen Zytotoxizität und des Risikos
anaphylaktischer Reaktionen bei CHX ist ein portioniertes steriles Gel ohne jeden
antiseptischen Zusatz zum Einmalgebrauch zu fordern (Kramer et al. 2000). Diesen Zweck
erfüllen alternativ auch handelsübliche Gleitmittel für den transurethralen Katheterismus.
Bei der Desinfektion von Ultraschallköpfen sind die Herstellerangaben zum zulässigen
Aufbereitungsverfahren zu beachten (Schrader 2003).
Das Kontaktgel zur Durchführung ultraschallgesteuerter, perkutaner endoskopischer
Eingriffe muss steril sein.
Endoskopische Instrumente: Endoskopisches Instrumentarium muss unmittelbar nach Gebrauch
einer Grob- und Vorreinigung Endoskopie, urologischeInstrumentenaufbereitung
InstrumentenaufbereitungEndoskopie, urologischeaußerhalb des Eingriffraums unterzogen
werden. Grobverschmutzungen sind sofort nach der OP mit einem Tuch abzuwischen, das
mit geeigneter Instrumentendesinfektionslösung plus Reinigungskomponente oder mit
einem auf das Desinfektionsmittel abgestimmten Reinigungsverstärker getränkt ist (Kommission
für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert Koch-Institut,
2002b, Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert
Koch-Institut, 2004; Rutala und Weber 2004). Wiederverwendbare Schlauchsysteme müssen
durchgespült werden. Die Trockenentsorgung von Endoskopen sollte nur dann erfolgen,
wenn die Instrumente zur Vermeidung von Inkrustierung und Korrosion unverzüglich maschinell
aufbereitet werden können. Werden OP Einmalinstrumente verwendet, gibt es keine hygienischen
Probleme. Die Anwendung wiederverwendbarer OP Instrumente kann nur empfohlen werden,
wenn die Konstruktion eine vollständige Aufbereitung und sichere Sterilisation der
Kanäle und beweglichen Teile zulässt (Leiß, Exner und Niebel 1995).
Bei thermolabilen Instrumente wie den flexiblen Urethrozystoskopen und Ureteroskopen
erfolgt eine chemothermische Desinfektion im RDG, was voraussetzt, dass das Endoskop
wasserdicht ist, also auch der Instrumentenkopf mit dem Okular und den Bedienungselementen.
Alle Endoskope ohne diese Eigenschaften und ohne die Möglichkeit, die Dichtigkeit
überprüfen zu können, dürfen nicht mehr verwendet werden. Die lediglich zu diagnostischen
Zwecken eingesetzten flexiblen urologischen Endoskope werden als Medizinprodukt semikritisch
B eingestuft. Direkt nach der Anwendung erfolgt eine Vorreinigung. Die Reinigung und
Desinfektion wird dann bevorzugt maschinell inkl. Lumenerfassung durchgeführt (KRINKO
2012a). Besteht nach Herstellerangaben die Möglichkeit der Gassterilisation, muss
diese wahrgenommen werden.
Grundsätzlich sollten alle autoklavierbaren endoskopischen Instrumente der Dampfsterilisation
zugeführt werden (Steuer und Junghannß 1990).
Bei der Aufbereitung von starren und flexiblen urologischen Endoskopen und wiederverwendbaren
Instrumenten müssen immer die Herstellerangaben und die KRINKO-Empfehlungen (KRINKO
2002b, 2012a) berücksichtigt werden. Es ist unabdingbar, dass das Personal in der
ZSVA über den Einsatzbereich des Instrumentariums und den Ablauf der OP informiert
ist, damit funktionsfähige Siebe zur Verfügung stehen. Dafür sollten sog. Team-Hospitationen
gemeinsam von Arzt, Pflegepersonal der Endoskopie, HFK und Personal der ZSVA organisiert
werden.
Mängel entstehen entweder durch die angewandten Reinigungs- und/oder Desinfektionsverfahren,
eine unsachgemäße Handhabung der Geräte oder verunreinigte Spüllösungen (während der
Endoskopie). Gemäß der Europäischen Richtlinien (MPG) muss der endoskopierende Arzt
ggf. die sichere Aufbereitung nachweisen. Nicht der Patient muss beweisen, dass er
vom Endoskopanwender geschädigt wurde, sondern der Endoskopanwender muss nachweisen,
dass er die vorhandenen Möglichkeiten zur Sicherung der Hygiene und Infektionsprävention
ausgeschöpft hat (Produkthaftung). Hier kann es Probleme geben, wenn ein Endoskop
manuell aufbereitet oder ein RDG verwendet wurde, dessen Funktion nicht in allen Verfahrensschritten
durch Prozessdaten (Validierung) im Rahmen der Qualitätssicherung belegt ist. Die
Strukturqualität umfasst damit sowohl personelle und technische Voraussetzungen, als
auch definierte hygienische Handlungsweisen, Schulung und Information der Mitarbeiter
sowie Dokumentation (Emori und Gaynes 1993).
Endoskope, die bei haut- oder schleimhautpenetrierenden Eingriffen und/oder in physiologisch
sterilen Körperhöhlen eingesetzt werden, müssen steril sein. Unzureichend aufbereitete
und/oder unsachgemäß aufbewahrte Endoskope und Endoskopiezubehörteile sind die Hauptursache
für exogene Infektionen bei der Endoskopie.
Von Endoskopie, urologischeHygieneanforderungender KRINKO und Behörden wurden zur
Basishygiene und Sicherstellung von Asepsis und Antisepsis folgende auf die urologische
Endoskopie anwendbare Empfehlungen und Anforderungen an die Hygiene formuliert:
•
Händehygiene (KRINKO 2000a),
•
Hygiene bei Operationen und anderen invasiven Eingriffen (KRINKO 2000b),
•
Baulich-funktionelle Gestaltung und apparative Ausstattung von Endoskopieeinheiten
(KRINKO 2002a),
•
Aufbereitung flexibler Endoskope und endoskopischen Zusatzinstrumentariums (KRINKO
2002b),
•
Reinigung und Desinfektion von Flächen (KRINKO 2004),
•
Dezentrale Desinfektionsmitteldosiergeräte (Bundesanstalt für Materialforschung und
-prüfung, RKI und KRINKO 2004),
•
Bekleidung und persönliche Schutzausrüstung (KRINKO 2007d),
•
Personelle und organisatorische Voraussetzungen zur Prävention von NI (KRINKO 2009),
•
Punktionen und Injektionen (KRINKO 2011a),
•
Aufbereitung von Medizinprodukten (KRINKO 2012a),
•
Abfallentsorgung im Gesundheitswesen (LAGA 2014).
5.12.7
Hygienische Hilfsmittel bei Harninkontinenz
Zu den aufsaugenden Hilfsmitteln gehören am Körper getragene Vorlagen/Inkontinenzslips
und Unterlagen zum Schutz des Patienten sowie von Betten, Stühlen und der Umgebung.
Man unterscheidet körpernahe Einwegvorlagen/Inkontinenzslips, Einwegkrankenunterlagen,
am HarninkontinenzHilfsmittel, aufsaugendeKörper getragene Mehrwegvorlagen sowie Mehrwegunterlagen.
Der unfreiwillig ausgeschiedene Urin wird von den absorbierenden Materialien aufgesaugt
und gebunden. Als aufsaugende Materialien werden meist Zellstoffe wie Zellulose oder
Pulp verwendet, aber auch Textilien kommen in Betracht. Diese sind jedoch mit einem
erhöhten HWI-Risiko assoziiert (Zimakoff et al. 1996). Die Qualitätsanforderung an
aufsaugende Hilfsmittel betrifft Lebensqualität, Wirtschaftlichkeit und umweltgerechte
Produktgestaltung. Damit eine optimale Auswahl getroffen wird, müssen Ursache, Häufigkeit
und Schweregrad der Harninkontinenz in die Entscheidung einbezogen werden (Füsgen
et al. 1998).
Ableitende Hilfsmittel für Männer sind Kondomurinale bei anders HarninkontinenzHilfsmittel,
ableitende
Kondomurinalenicht beherrschbarer Harninkontinenz. Sie bestehen aus eng anliegendem
Latex (cave Allergie!) oder Silikon und werden entweder außen durch einen Klebestreifen
befestigt oder sind an der Innenseite selbstklebend. Sie werden an ein Harnauffangsystem
angeschlossen. Auf Kondom- oder Schlauchabknickung ist zu achten. Wichtig sind Kondomgröße,
Klebetechnik und regelmäßiger Wechsel. Bei der Kondomableitung finden sich häufig
HWI und entzündliche Affektionen infolge eienr Mazeration der Penisschafthaut (Stover
et al. 1991, Zimakoff et al. 1996). Sie darf nicht von Patienten mit symptomatischen
HWI oder retrahiertem Penis verwendet werden. Wegen der erheblichen mikrobiellen Kolonisation
von Urethra und Perineum mit Pseudomonas, Klebsiella oder Providencia (Montgomerie
und Maeder 1998) ist eine sorgfältige genitoperineale Antiseptik zu empfehlen. Für
Frauen stehen keine vergleichbaren ableitenden Hilfsmittel zur Verfügung. Anstelle
aufsaugender Hilfsmittel ist der suprapubische Katheter eine mögliche Alternative.
Kondomurinale sollen über Nacht abgenommen werden, um die mikrobielle Kolonisation
zu reduzieren.
5.12.8
Urostomapflege
Urostomata Urostomapflegesind alle operativ angelegten artifiziellen Körperöffnungen,
die der Harnableitung bei geschädigtem Ureter und bei stark funktionsgestörter oder
entfernter Harnblase dienen. Dabei werden trockene Stomata wie beim kontinenten Nabelpouch
(Mainz-Pouch-Darmersatzblase) von nassen Stomata wie bei Harnleiter-Haut-Fisteln oder
beim Ileum-Conduit unterschieden. Während bei trockenen Stomata regelmäßig ein sauberer
Einmalkatheterismus erforderlich ist, müssen nasse Stomata ständig abgeleitet werden.
Das erfolgt mit Klebebeuteln, die den Harn unmittelbar nach Austritt aus dem Stoma
auf der Hautoberfäche (Harnleiter-Haut-Fistel) oder idealerweise sollte das bei einem
gut angelegten Urostoma der Fall sein.
Bei Stomata mit Verweilkatheterableitung müssen Stoma und Katheter regelmäßig gepfegt
werden.
Kontinente Stomata werden für dieUrostomapflegekontinentes Stoma Einmalkatheterisierung
täglich mit Trinkwasser und Seifenlotion ohne Zusätze gereinigt. Eine antiseptische
Vorbehandlung der umgebenden Haut vor Katheterinsertion ist anders als beim transurethralen
Katheterismus nicht zwingend erforderlich bzw. optional. Zum Schutz der Wäsche und
aus hygienischen Gründen kann das kontinente Stoma mit einem trockenen Verband geschützt
werden. In Einzelfällen kann die Dauerableitung über das kontinente Stoma durch einen
Verweilkatheter erforderlich sein. Die geschlossene Harnableitung erfolgt dann beim
mobilen Patienten über spezielle Systeme mit Beinbeutelversorgung (Bach und Brühl
1995, Piechota und Pannek 2007).
Bei nassen Stomata mit Klebebeuteln (Ileum-/Kolon-Conduit, Ureterostoma) ist regelmäßig
eine spezielle StomapflegeUrostomapflegenasses Stoma und Hauthygiene erforderlich,
wobei der Schutz der Haut vor Mazeration im Vordergrund steht. Voraussetzung dafür
sind exakt für das Stoma ausgeschnittene und abdichtende Klebeplatten. Ihre Hautverträglichkeit
muss bei jedem Patienten geprüft und das Fabrikat (z. B. einteiliger Klebebeutel oder
zweiteiliges System mit Basisplatte und Beutel) ggf. von Zeit zu Zeit gewechselt werden.
Das Haften des Beutels bzw. der Platte setzt eine saubere, trockene, gesunde Haut
voraus. Die Säuberung erfolgt mit warmem Trinkwasser und flüssigen Tensidseifen ohne
Zusätze. Pflasterrückstände werden mit speziellen Lösungsmitteln (nicht Benzin oder
Ether) entfernt. Die Trocknung der Haut vor Aufkleben des Beutels bzw. der Platte
erfolgt erforderlichenfalls mittels Föhn. Bei narbigen, verzogenen oder eingesunkenen
Stomata sind vor Aufkleben des Beutels zum Niveauausgleich ggf. Hautschutzpasten (z.
B. Karaya) aufzutragen oder spezielle konkave Basisplatten mit Gürtelsystemen zu verwenden
oder ggf. eine operative Revision zu erwägen.
5.13
Neonatologie und Pädiatrie
Arne Simon mit einem Beitrag von Helmut Küster, Matthias Heckmann, Anke Beyersdorff,
Sylvia Ryll und Axel Kramer
5.13.1
Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen
Ein Infektionen, nosokomialeNeonatologie
Infektionen, nosokomialePädiatrieerhöhtes Risiko ergibt sich durch
•
patientenspezifische Faktoren (z. B. fehlende Immunität und fehlender Nestschutz),
•
Immunsuppression (z. B. im Rahmen einer zytostatischen Therapie) (Simon et al. 2008),
•
die gestörte Barrierefunktion von Haut und Schleimhaut (Frühgeborene, Kinder mit Verbrühungen
oder Verbrennungen, Kinder mit schwerer atopischer Dermatitis oder Epidermolysis bullosa),
•
angeborene Fehlbildungen z. B. der Harnwege, des Herzens (Dresbach et al. 2009a) oder
des ZNS,
•
invasive Maßnahmen und den Einsatz spezieller MP, wie Katheter, Drainagen, externe
Liquorableitungen oder Shunts (Prusseit et al. 2009; Scheithauer et al., 2009, Scheithauer
et al., 2010),
•
invasive Beatmung (Turton et al. 2008; Simon et al. 2011),
•
die wiederholte Exposition gegenüber Antibiotika mit breitem Wirkungsspektrum,
•
mangelnde Compliance bei der Anwendung von krankenhaushygienischen Basismaßnahmen
durch das Kind selbst bzw. in seiner Umgebung.
Bei Kindern mit hohem Risiko für NI ergänzen sich meist verschiedene Aspekte zu einem
komplexen individuellen Risikoprofil, dem nur durch ein Multibarrierekonzept der Infektionsprävention
und -kontrolle angemessen begegnet werden kann.
5.13.2
Multiresistente Erreger
Die Prävalenz von Erregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen (RKI 2013b)
ist bei Kindern insgesamt deutlich niedriger als bei Erwachsenen (Geffers, Schwab
und Gastmeier 2009; Christoph et al. 2013; Geffers und Gastmeier 2011; Herrmann et
al. 2013).
Nach Pädiatriemultiresistente Erreger
Multiresistente ErregerPädiatrie
Neonatologiemultiresistente Erreger
Multiresistente ErregerNeonatologieder von der KRINKO vorgegebenen Terminologie (KRINKO
2011b) wird ein gramnegatives Isolat mit Resistenz gegen 3 von 4 Gruppen von Antibiotika
zur empirischen Therapie schwerer Infektionen bei Erwachsenen als 3MRGN, eines mit
Resistenz gegen alle 4 Antibiotikagruppen entsprechend als 4MRGN bezeichnet (Kap.
3.8). Erreger, die nur gegen 2 der 4 Antibiotikagruppen in vitro resistent sind, werden
in der KRINKO-Empfehlung für Erwachsene nicht als „multiresistent“ ausgewiesen und
der Nachweis solcher Erreger hat bei erwachsenen keine krankenhaushygienischen Konsequenzen
(KRINKO 2012c).
Die Bewertung von Resistenzprofilen in der Pädiatrie ist aus klinisch-therapeutischer
Sicht eine andere als auf Intensivstationen für erwachsene Patienten, da Fluorchinolone
im Kindesalter nur eingeschränkt zugelassen und nicht zur empirischen Therapie geeignet
sind (Bradley und Jackson 2011; Christoph et al. 2013). Daher wurde 2013 eine Erweiterung
der Klassifizierung von MRGN für neonatologische und pädiatrische Patienten vorgeschlagen:
die 2MRGN NeoPäd (KRINKO 2013a), die berücksichtigt, dass Fluorchinolone im Kindesalter
nur eingeschränkt zugelassen und nicht zur empirischen Therapie geeignet sind (Bradley
und Jackson 2011; Christoph et al. 2013). Diese gramnegativen Isolate sind resistent
gegen Drittgenerations-Cephalosporine und Piperacillin (± Tazobactam), jedoch sensibel
gegen Fluorchinolone und Carbapeneme. Entsprechend sollten Kinderkliniken und angegliederte
Spezialambulanzen gemeinsam mit den Mikrobiologen und dem Krankenhaushygieniker über
die Hygienekommission eigene Vereinbarungen zum Umgang mit MRGN erarbeiten, in denen
diese Besonderheit berücksichtigt wird.
Im Unterschied zu erwachsenen Patienten sollten mit 3MRGN besiedelte oder infizierte
Kinder stets in einem Einzelzimmer isoliert werden (unter bestimmten Bedingungen ist
eine Kohortierung möglich, wenn es sich um ein identisches Isolat handelt) (Laux et
al. 2013). Dabei ist nicht das Lebensalter, sondern die klinische Behandlungssituation
zielführend. Zum Beispiel wird ein 19-jähriger junger Erwachsener mit zystischer Fibrose
in der Kinderklinik stationär aus krankenhaushygienischer/infektionspräventiver Sicht
genauso behandelt wie ein 6-jähriger Junge mit ähnlichem Krankheitsbild. Die dahinter
stehende Überlegung ist, das Risiko einer nosokomialen Übertragung auf Kinder und
Jugendliche und das Risiko von Infektionsausbrüchen zu minimieren.
5.13.3
Maßnahmen zum Erkennen von MRE-Trägern (Screening)
Auch in der Pädiatrie ist es sinnvoll, bei bestimmten Patienten(gruppen) ein mikrobiologisches
ScreeningMRE-ScreeningPädiatrie
PädiatrieMRE-Screening durchzuführen, um zeitnah eine Besiedlung mit MRE zu erkennen.
Die Indikation für ein derartiges Screening besteht abhängig von der Anamnese in folgenden
Situationen (Simon, Graf und Furtwangler 2013):
•
Patienten mit positivem Nachweis von MRSA/MRGN/VRE in der Anamnese (→ Alert in der
elektronischen Krankenakte)
•
Patienten, die während eines stationären Aufenthaltes direkten oder indirekten Kontakt
zu einem Träger von MRSA/MRGN/VRE hatten (z. B. Behandlung im gleichen Krankenzimmer)
•
Patienten aus Einrichtungen mit bekannt hoher MRE-Prävalenz (z. B. Pflegeheime für
Kinder mit Langzeit-Behandlungspflege, neurologische Rehabilitationskliniken) (MRSA,
MRGN).
•
Übernahme aus einer anderen Klinik nach operativen Interventionen und anschließender
Intensivtherapie (Chirurgie, Orthopädie, Neurochirurgie) (MRSA)
•
Patienten, die in den letzten 3 Monaten wiederholt i. v. Breitspektrumantibiotika
erhalten haben und wiederholt stationär behandelt werden mussten (MRSA, MRGN).
•
Patienten mit
–
Devices wie Harnwegkatheter, Tracheostoma, Ernährungssonde, PEG (MRSA, MRGN)
–
chronischen (schlecht heilenden) Wunden (MRSA)
–
chronisch-entzündlicher Darmerkrankung (MRSA)
–
urogenitalen Fehlbildungen und wiederholten HWI (MRGN).
•
Patienten, die aus dem Ausland verlegt werden, insbesondere aus Kliniken in Ost- und
Südeuropa und aus anderen Ländern mit hoher Prävalenz von MRGN/MRSA. (Hilfreich ist
hier eine „white list“ der Krankenhaushygiene, bei welchen Ländern das nicht erforderlich
ist.)
•
Patienten, die in einer Gesundheitseinrichtung der US-Armee (MEDCENs = military medical
centers) behandelt wurden (MRGN; community acquired MRSA?).
5.13.4
Erwartungen des Behandlungsteams an das Hygienefachpersonal
Die meisten klinisch-tätigen Pädiater und auch das der Abteilung zugeordnete Pflegepersonal
wünschen sich einen intensiven Austausch und eine enge Zusammenarbeit mit dem Hygienefachpersonal
auf der Station bzw. in den Ambulanzen. Dabei soll (nicht ausschließlich, aber auch)
die Compliance der Mitarbeiter mit den Vorgaben zur hygienischen Händedesinfektion
patientennah beobachtet werden (Sax et al. 2007; Monch et al. 2009; Scheithauer et
al. 2011). Die KRINKO-Empfehlung zum Hygienemanagement (KRINKO 2009) soll von der
ärztlichen Leitung von Kinderkliniken aktiv dazu genutzt werden, eine angemessene
Präsenz von Hygienefachpersonal einzufordern.
Das Hygienefachpersonal kann mannigfache weitere Arbeitsabläufe aus infektionspräventiver
Perspektive analysieren, sich an der Erstellung von abteilungsinternen Standards beteiligen
und auch in die Kommunikation mit Patienten und Eltern „einsteigen“, wenn es um die
Erläuterung von zusätzlich zur Basishygiene erforderlichen Barrieremaßnahmen bei Besiedlung
oder Infektion mit MRE geht.
5.13.5
Isolierung
Kinder im Vorschulalter (und oft auch darüber hinaus) gehören zu den Patienten, die
sich – auch nach entsprechender Erklärung und Schulung – nicht mehrheitlich an die
Basishygiene halten (können).
Wahrscheinlich PädiatrieHygienemaßnahmen
PädiatrieIsolierung
IsolierungPädiatrieist das Risiko unerwünschter Effekte einer Einzelzimmerisolierung
in Bezug auf die medizinische Versorgung, die Patientensicherherheit und die psychosoziale
Entwicklung bei Kindern größer als bei Erwachsenen (Abad, Fearday und Safdar 2010).
Insofern entsteht bei der Isolierung von Kindern aus infektionspräventiven Gründen
ein erheblicher Mehraufwand, der nur bei einer angemessenen Personalisierung im Pflegebereich
gemeistert werden kann (Haertel et al. 2013; Rogowski et al. 2013).
Vor allem in den Wintermonaten kommt es in Kinderkliniken durch saisonal gehäuft auftretende
Infektionserkrankungen der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts regelhaft dazu,
dass die verfügbare Anzahl von Zimmern, die zur Isolierung genutzt werden können,
überschritten wird. Ein Isolierzimmer ist Isolierzimmerdefiniert als ein als Einzelzimmer
(oder ein zur Kohortenisolierung nutzbarer Raum) mit eigenem Sanitärbereich/Bad und
ausreichend dimensioniertem Vorraum zum An- und Ablegen bzw. zur Entsorgung von Kitteln,
Handschuhen und MNS. In der allgemeinen Pädiatrie und auf den Intensivstationen (NICU,
PICU) ist ein Anteil von Isolierzimmern von mindestens 30 % zu fordern. In der Kinderonkologie
sind 40–50 % zielführend, weil hier aus protektiven Gründen zusätzlich hochgradig
immunsupprimierte Kinder isoliert werden müssen (z. B. während der Induktionstherapie
einer AML). Kinderkliniken müssen auch Isolierzimmer vorhalten, in denen Kinder mit
aerogen-übertragbaren Erkrankungen (z. B. Varizellen, Masern, offene Tbc der Atemwege)
isoliert werden können. Diese Zimmer sind mit einer Schleuse und ggf. auch mit spezieller
Raumlufttechnik ausgestattet, sodass keine Erreger über den Luftstrom aus dem Zimmer
in den Stationsflur gelangen können.
Asymptomatische Ausscheider: Kinder können bestimmte Krankheitserreger schon einige
Tage bevor es zu klinischen Symptomen kommt auf andere Menschen übertragen (z. B.
Varizellen, Masernvirus). Zudem scheiden sie mitunter bestimmte Krankheitserreger
über Wochen bis Monate aus, obwohl die Symptome der Erkrankung längst abgeklungen
sind (z. B. RSV, Rotavirus, Norovirus, Parvovirus B19, CMV). Dieses Phänomen bedingt,
dass
•
Maßnahmen der Basishygiene bei engem Kontakt mit Kindern (und von ihnen potenziell
kontaminierten Gegenständen und Oberflächen) besonders konsequent eingehalten werden
müssen und
•
im stationären Behandlungskontext die Ausscheidung bestimmter Erreger kontrolliert
werden muss, weil Isolierungsmaßnahmen erst aufgehoben werden können, wenn die Erreger
nicht mehr nachweisbar sind (z. B. Rotavirus, Norovirus, RSV).
Spielzeug kann zum SpielzeugHygienemaßnahmen
PädiatrieSpielzeugVektor von NI werden und sollte daher entweder desinfizierbar sein
und zwischen den Patienten desinfiziert werden oder nur von beaufsichtigten Kindern
genutzt werden, die zu einer ggf. assistierten Händedesinfektion in der Lage sind.
Hier gerät man naturgemäß in einen Konflikt mit der Lebensqualität der Kinder. Kinder,
die wegen ansteckender Erkrankungen isoliert werden müssen, sollten ggf. ihr eigenes
Spielzeug von zu Hause mitbringen dürfen. Auch die Bedienkonsolen von Fernsehern,
Notebooks und Videospielen sind in den Desinfektionsplan einzubeziehen.
Besucherregelung: In Absprache PädiatrieBesucherregelung
NeonatologieBesucherregelungmit der Krankenhaushygiene ist für Patienten, die mit
MRE besiedelt oder infiziert sind, schriftlich eine einheitlich gehandhabte Besucherregelung
festzulegen. In Absprache mit den Eltern/Sorgeberechtigten ist die Zahl der Besucher
zu begrenzen, damit die zusätzlichen Aufgaben für das Behandlungsteam (Einweisung
in die Händehygiene, Anamnese bezüglich Risikofaktoren auf Seiten des Besuchers, ggf.
Einweisung in Barrieremaßnahmen) tatsächlich geleistet werden können. Mit MRSA, 3MRGN
oder 4MRGN kolonisierte/infizierte Patienten werden meist ausschließlich von den Eltern
bzw. Sorgeberechtigten begleitet und erhalten in der Regel keinen zusätzlichen Besuch
(Ausnahmen müssen individuell festgelegt werden).
Alle Besucher müssen in die hygienische Händedesinfektion eingewiesen werden. Sie
sind darüber aufzuklären, dass für Kontaktpersonen mit chronischen Grundkrankheiten
im Falle einer MRSA, 3MRGN- oder 4 MRGN-Übertragung ein erhöhtes Risiko für eine langfristige
Besiedlung mit einem solchen MRE bestehen kann.
Mit aufgenommene Eltern/Sorgeberechtigte: In bestimmten Behandlungssituationen werden
enge PädiatrieEltern, mit aufgenommene
NeonatologieEltern, mit aufgenommeneKontaktpersonen mit den Patienten stationär aufgenommen.
Das ist z. B. nahezu immer bei Kindern im Vorschulalter der Fall, manchmal auch bei
besonders pflegebedürftigen Jugendlichen, die außerhalb des Krankenhauses von ihren
Angehörigen zuhause gepflegt werden. Die mit stationär aufgenommene Begleitperson
ist kein Besucher, denn Eltern oder Sorgeberechtigte sind keine Besucher ihres Kindes
im Krankenhaus. (Naturgemäß gelten auf Intensivpflegestationen spezielle Regeln, die
vor Ort vereinbart und kommuniziert werden müssen.) Diese Unterscheidung ist auch
bei der Frage von Bedeutung, welche Barrieremaßnahmen enge Kontaktpersonen einhalten
sollen, wenn sie gemeinsam mit ihrem Kind außerhalb der Intensivstationen isoliert
werden.
Sind die Patienten bereits bei Aufnahme MRSA- oder MRGN-positiv, ist sehr wahrscheinlich,
dass das auch bei engen Kontaktpersonen der Fall ist (Laux et al. 2013; Löhr et al.
2013; Strenger et al. 2013). Auch wenn ein Kind im Krankenhaus eine MRE-Kolonisation
oder Infektion erwirbt, kann das kein Grund sein, es von seinen Eltern abzuschirmen
oder zu trennen.
Mit dem Patienten stationär aufgenommene Eltern/enge Kontaktpersonen werden gemeinsam
mit dem Kind im Einzelzimmer isoliert.
Die mit aufgenommenen Eltern/engen Kontaktpersonen sollen innerhalb des Isolierbereichs
v. a. auf basishygienische Maßnahmen achten (Händedesinfektion, saubere Einmalhandschuhe
beim Wechseln der Windel, Schutzkittel außerhalb der Isoliereinheit usw.) und außerhalb
des Isolierzimmers keinen direkten Kontakt zu anderen Patienten oder Eltern haben.
Sie dürfen gemeinsam von allen Patienten/Familien genutzte Bereiche wie z. B. die
Stationsküche, einen Patientenaufenthaltsraum oder das Spielzimmer nicht betreten.
Daraus ergeben sich für die Eltern der isolierten Kinder, die potenziell ebenfalls
Keimträger sind, strukturell-organisatorische Probleme, die vom Behandlungsteam antizipiert
und geregelt werden müssen, z. B.
•
Wie kommen die Eltern an ihr Essen?
•
Wo können die Eltern essen (Intensivstation)?
•
Was geschieht mit dem benutzten Geschirr?
•
Wo gehen die Eltern auf die Toilette?
•
Wo können die Eltern duschen?
In einigen Kliniken wird für mit aufgenommene Eltern beim Verlassen des Isolierzimmers
zusätzlich zur Händedesinfektion das Tragen eines Schutzkittels und eines MNS empfohlen.
Die Erfahrung zeigt, dass nicht alle Eltern/Begleitpersonen in der Lage und/oder bereit
sind, sich einem so komplexen Maßnahmenbündel aktiv anzuschließen. Dadurch kann ein
erhebliches Konfliktpotenzial entstehen, vor allem wenn sich die Begleitpersonen MRE-besiedelter
Kinder ausgegrenzt und stigmatisiert fühlen. Auch das erhöht den Aufwand in pädiatrischen
Abteilungen erheblich. Handouts/Flyer für die Patienten und ihre Begleitpersonen ersetzen
das persönliche Gespräch nicht, sind aber trotzdem sehr hilfreich (z. B. www.mre-rhein-main.de/informationsflyer.php)
Vom Hygienefachpersonal wird in diesem Kontext Einfühlungsvermögen und Kommunikationskompetenz
erwartet.
Ein von der DGKH und anderen Fachgesellschaften und Verbänden unterstütztes Projekt
des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit am Universitätsklinikum Bonn,
stellt Informationsmaterialien für Kinder und Eltern im Krankenhaus in leicht verständlicher
Form und eingängigem Layout zur Verfügung (www.hygiene-tipps-fuer-kids.de). Zusätzlich
zur Informationsbroschüre, die über Basishygiene inkl. Händedesinfektion informiert,
sind ansprechend gestaltete Poster zum Thema Händehygiene und MNS sowie Schulungsmaterialien
für Klinikclowns entwickelt worden.
Elternhäuser, Ronald McDonald Haus: Vor allem in Kinderkliniken der Maximalversorgung
werden Elternhäuser
PädiatrieElternhäuserPatienten behandelt, die überregional oder aus dem Ausland anreisen,
um speziell in dieser Klinik behandelt zu werden. Die Patienten (während ambulanter
Betreuungsphasen) und ihre Angehörigen werden in kliniknahen Elternhäusern untergebracht,
wo sie mit anderen Familien gemeinsam wohnen (gemeinsame Küche, gemeinsame Aufenthaltsräume,
oft gemeinsame Waschmaschine usw.). Hier ergibt sich aus infektionspräventiver Perspektive
ein Regulierungs- und Supervisionsbedarf. Das klinikeigene Hygienefachpersonal ist
jedoch häufig für das Elternhaus nicht zuständig.
Da die der Klinik angegliederte Elternhäuser und „Patientenhotels“ zum Ausgangspunkt
von nosokomialen Infektionsausbrüchen werden können (Longtin et al. 2010), erscheint
es sinnvoll, sie im klinikeigenen Konzept der Infektionsprävention mit zu berücksichtigen
(Guzman-Cottrill et al., 2012, Guzman-Cottrill et al., 2013).
5.13.6
Erfassung nosokomialer Infektionen
Die Pädiatrienosokomiale Infektionen, Erfassung
Infektionen, nosokomialeErfassung, Pädiatrie
Neonatologienosokomiale Infektionen, Erfassung
Infektionen, nosokomialeErfassung, NeonatologieDeutsche Gesellschaft für Pädiatrische
Infektiologie (DGPI) hat 2009 in Zusammenarbeit mit der DGKH eine gemeinsame Stellungnahme
zur Erfassung nosokomialer und Gesundheitssystem-assoziierter Infektionen in der Pädiatrie
herausgegeben (www.dgpi.de). Darin wird hervorgehoben, dass es für die Erfassung von
NI bei Kindern eigener Module mit geeigneten Definitionen bedarf, von denen die wichtigsten
NI adäquat erfasst werden (Simon et al. 2009a).
Im Bereich der NICU und der PICU stehen hierzu die entsprechenden Module des NRZ für
die Surveillance von NI (z. B. Neo-KISS; pädiatrische Sektion des ITS-KISS) zur Verfügung
(Christoph et al. 2013; Geffers et al. 2014).
Kinder und Jugendliche in der akuten Phase einer Stammzelltransplantation (während
der Granulozytopenie) können in das ONKO-KISS Modul gemeldet PädiatrieONKO-Kiss-Modul
ONKO-Kiss-Modulwerden (Dettenkofer et al. 2005). Zwar ist die Inzidenzdichte der NI
bei den allogen transplantierten Kindern und Jugendlichen am höchsten (Laws et al.
2005), quantitativ treten aber die meisten NI bei pädiatrisch-onkologischen Patienten
außerhalb der Stammzelltransplantation auf.
Für kinderonkologische Patienten unter einer konventionellen Chemo- oder Strahlentherapie
stehen die Definitionen und Methoden des Oncoped Moduls zurOncoped-Modul
PädiatrieOncoped-Modul Verfügung (Biwersi et al. 2009; Krenn et al. 2011; Simon et
al., 2000, Simon et al., 2008). Es ist sinnvoll und wünschenswert, dass ein solches
Modul für Kinder unter einer konventionellen Chemotherapie in Zukunft in das Spektrum
der vom NRZ angebotenen Module eingebunden wird. Im Oncoped Modul werden NI unabhängig
von der aktuellen Leukozytenzahl des Kindes erfasst, weil ein erheblicher Teil der
NI bei Patienten ohne Granulozytopenie auftritt (z. B. etwa 50 % aller Bakteriämien,
mehr als die Hälfte aller C.-difficile-assoziierten Infektionen). Die Erfassung sollte
in diesem Patientenkollektiv v. a. valide Informationen über Blutstrominfektionen
(BSI; Bakteriämie, Sepsis mit Erregernachweis in der Blutkultur, Candidämie, Candidasepsis)
liefern. Ein 2013 publizierter Survey hat gezeigt, dass 2011 in nur 42 % der teilnehmenden
GPOH-Zentren (n=29 von ca. 50 in Deutschland) eine prospektive Surveillance von BSI
nach den Vorgaben des Infektionsschutzgesetzes durchgeführt wurde (Simon, Graf und
Furtwangler 2013). Hier ist die aktive Zusammenarbeit mit dem Hygienefachpersonal
bei der Primärdatenerfassung und Auswertung sowie eine entsprechende Priorisierung
von Seiten der Hygienekommission unbedingt erforderlich (KRINKO 2009).
5.13.7
Erfassung des Antibiotikaverbrauchs
Bei Kindern wird die antimikrobielle Chemotherapie aufgrund des deutlich niedrigeren
Körpergewichts und pharmakokinetischer Besonderheiten in mg/kg Körpergewicht oder
in mg/m2 Körperoberfläche dosiert.
Es AntibiotikaverbrauchErfassung, Pädiatrie
AntibiotikatherapiePädiatriegibt bislang keine international akzeptierten „defined
daily doses“ für Antiinfektiva in der Pädiatrie, die sich auf alle Altersgruppen anwenden
ließen (Schweickert et al. 2013). Des Weiteren gibt es in den meisten Kliniken noch
keine elektronische Patientenakte, in der die Gabe von Antiinfektiva direkt dokumentiert
wird und so für eine fallbezogene elektronische Auswertung zugänglich wäre (Simon,
Graf und Furtwangler 2013). Daher hat die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie
(DGPI) entgegen der vom RKI für Erwachsene vorgegeben Methode vorgeschlagen, in Kinderkliniken
folgende (stations- oder abteilungsbezogene) Surrogatparameter zu verwenden (DGPI
2013):
•
Auslieferung in g/100 Aufnahmen
•
Auslieferung in g/100 vollstationäre Patiententage
Diese Daten sind mithilfe der Apotheke und der Patientenadministration relativ einfach
zu generieren.
Eine Fraktionierung von i. v. Ampullen/Gebinden („batching“) (Goff et al. 2012) ist
nur unter Reinraumbedingungen in der Klinikapotheke zulässig (KRINKO 2011b). Daher
muss ein erheblicher Anteil der Standardpräparationen (i. v. Ampullen mit Standarddosis
für Erwachsene) verworfen werden. Demnach entsprechen auch die von der Apotheke an
die jeweilige Station ausgegebenen Antiinfektiva-Mengen in Gramm nicht dem tatsächlichen
fall- oder patientenbezogenen Verbrauch. Sie können lediglich zur Orientierung dienen,
welche Antiinfektiva in einer pädiatrischen Abteilung wie häufig zum Einsatz kommen.
Aus der Perspektive von Antimicrobial Stewardship Programmen (ASP) (Hyun et al. 2013;
Patel und Saiman 2012) reicht es keinesfalls aus, den abteilungsbezogenen Verbrauch
allein durch eine Auflistung der Apothekenausgabe darzustellen. Vielmehr muss es möglich
sein, den Einsatz von bestimmten Antiinfektiva „fallbezogen“ zu analysieren.
5.13.8
Besondere Behandlungssituationen
Neonatologische Intensivstationen
Die Intensivstationneonatologische
NeonatologieIntensivstationmeisten NI bei Neugeborenen betreffen bei der Geburt extrem
unreife Frühgeborene (VLBW, Geburtsgewicht < 1500 g), die auf neonatologischen Intensivstationen
(NICU) behandelt werden (Geffers et al. 2014, Härtel, Gille und Orlikowsky 2014).
Extrem unreife Frühgeborene haben ein erhöhtes Risiko für NI, weil
•
bestimmte Teile ihres Immunsystem noch unreif sind (Christoph et al. 2013),
•
die Haut- und Schleimhautbarrieren in den ersten Lebenstagen nicht vollständig ausgebildet
sind (Mannan et al. 2007),
•
sie in hohem Maße gegenüber invasiven Devices und breit wirksamen Antibiotika exponiert
sind (Patel und Saiman 2012; Petel et al. 2010),
•
ihre spezielle Pflege mannigfache direkte und indirekte (Hand-)Kontakte zum Behandlungsteam
und zu den Eltern bedingt (Laux et al. 2013),
•
sie mitunter mehr als 100 Tage im Krankenhaus behandelt werden müssen (Haertel et
al. 2013).
Bei FrühgeborenenFrühgeborenenosokomiale Infektionen
Infektionen, nosokomialeFrühgeborene
Infektionen, nosokomialeIntensivstation, neonatologischegehen bestimmte NI mit einer
signifikant erhöhten Morbidität und Mortalität einher (Benjamin et al. 2004; Stichtenoth
et al. 2012). Außerdem ist die psychomotorische und mentale Entwicklung noch etliche
Jahre nach einer Sepsis während der NICU-Therapie deutlich schlechter als ohne eine
solche Infektion (Adams-Chapman 2012; LeCouffe et al. 2014). Bereits die Besiedlung
mit fakultativ pathogenen Infektionserregern kann ein Risikofaktor für eine Late-onset-Sepsis
sein (Härtel, Gille und Orlikowsky 2014; Smith et al. 2010).
Infektionsausbrüche sind in dieser Hochrisikopopulation keine Seltenheit und müssen
sehr zeitnah entdeckt und eingedämmt werden (Gastmeier et al. 2007; Schwab et al.
2014).
Die KRINKO 2007c (ergänzt und fortgeschrieben 2012 und 2013) hat in einer eigenen
Empfehlung zur Prävention von NI bei intensivmedizinisch behandelten Früh- und Neugeborenen
Stellung bezogen, auf die an dieser Stelle ausdrücklich verwiesen wird (KRINKO 2007c,
2012b und 2013b). Im dazugehörigen 2013 aktualisierten Dokument zur Risikocharakterisierung
finden sich detaillierte Hinweise zur Beurteilung der Relevanz bestimmter Erregerspezies
im Kontext der NICU (Christoph et al. 2013). Auch eine aktuelle Übersicht in deutscher
Sprache beschäftigt sich mit der Prävention von NI bei Frühgeborenen (Simon et al.
2014).
Umgang mit Muttermilch und mit Formulanahrung: MuttermilchMuttermilchHygienemaßnahmen
NeonatologieMuttermilch kann bakterielle und virale Krankheitserreger enthalten und
diese bei Kontakt auf das Neugeborene oder auf das Personal übertragen. Beim manuellen
Umgang mit Muttermilch ist eine Kontamination der Hände des Pflegepersonals möglich.
Das gilt auch für die Verabreichung von Muttermilch oder Formulanahrung über eine
Magensonde mithilfe von Einmalspritzen, weshalb hier zusätzlich zur hygienischen Händedesinfektion
das Tragen von sauberen Eimalhandschuhen empfohlen wird (Berthelot et al. 2001; KRINKO
2007c). Insofern benötigen Kinderkliniken nicht nur für Formulanahrung und Sondenkost,
sondern auch für den Umgang mit abgepumpter Muttermilch einen schriftlich festgelegten
Hygienestandard. In Pulverform vom Hersteller gelieferte Formulanahrung NeonatologieFormulanahrung
Formulanahrung, Hygienemaßnahmenfür Neugeborene ist nicht steril, sondern kann bei
Einhaltung der Richt- und Warnwerte mit Bakterien kontaminiert sein (Roy et al. 2005).
Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang die Kontamination von Formulanahrung
mit Cronobacter (vormals Enterobacter) sakazakii, einem Cronobacter sakazakiiErreger,
der durch seine Temperaturtoleranz den Herstellungsprozess überlebt und bei Neugeborenen
eine Sepsis mit Meningitis auslösen kann (Agostoni et al., 2004; Healy et al. 2010;
Hunter und Bean 2013).
•
Wasserbäder („Flaschenwärmer“) zum Aufwärmen der Nahrung sind obsolet.
•
Strikt abzulehnen ist das in der Praxis oft übliche „Vorwärmen“ vorbereiteter Spritzen
für die Sondenernährung im Inkubator.
Das Aufwärmen der Muttermilch oder Formulanahrung im Milchwärmer auf 28–37oC (Temperaturoptimum
der meisten Erreger) schafft ideale Voraussetzungen für ein exponentielles Bakterienwachstum.
Bislang ist ungeklärt, ob ein Erwärmen der in der Regel bei 4 oC für maximal 24 h
gelagerten Nahrung über Raumtemperatur überhaupt notwendig ist. Inzwischen stehen
hierfür wasserfreie, voll desinfizierbare Geräte zur Verfügung. In den Empfehlungen
europäischer Fachgesellschaften wird eine maximale Aufbewahrung (Synonym: Verabreichungszeit)
bei Raumtemperatur von 4 h angegeben (Agostoni et al. 2004).
Pädiatrische Intensivstationen
Pädiatrische Intensivstationpädiatrische
PädiatrieIntensivstationIntensivpflegestationen (PICU) sind meist interdisziplinär
organisiert und behandeln ein breites Patientenspektrum unterschiedlichen Lebensalters.
Ein besonders hohes Risiko für NI besteht
•
bei Kindern mit komplexen angeborenen Fehlbildungen des ZNS (Prusseit et al. 2009),
des Herzens, des Gastrointestinaltrakts oder der Harnwege, die operativ korrigiert
werden müssen.
•
bei Kindern nach schweren Unfällen (Alharfi et al. 2014).
•
bei Kindern mit großflächigen und höhergradigen Verbrühungen und Verbrennungen.
In Pädiatriekardiologischekinderherzchirurgischen Abteilungen sollte sich die Surveillance
und Prävention vor allem auf postoperative Wundinfektionen und auf Blutstrominfektionen
(z. B. katheter-assoziierte Sepsis) fokussieren (Dresbach et al. 2009b). Auch in der
Kinderherzchirurgie (und allgemein für PICUs) gibt es inzwischen Präventionsbündel
zur Senkung der Inzidenz von postoperativen Wundinfektionen und weiterer NI (Adler
et al. 2012; Costello et al. 2008; Smulders et al. 2013; Huskins et al. 2012). Neben
den Device-assoziierten Infektionen, inkl. der der beatmungsassoziierten Infektion
(Simon et al. 2011) spielt bei den NI auch die Übertragung saisonal auftretender virale
Erreger von Atemwegsinfektionen (z. B. RSV, HMPV) und von Gastroenteritiden (z. B.
Noro-, Rotavirus) eine wichtige Rolle. Bei stationär behandelten Kindern mit entsprechenden
Symptomen muss sehr zeitnah eine gezielte Diagnostik durchgeführt werden. Das erfolgt
heute in der Regel mit PCR-basierten Verfahren, sodass die Ergebnisse mit hoher Sensitivität
schon nach wenigen Stunden vorliegen. Auch aus anderen Gründen bereits intubierte
und beatmete Kinder können an einer nosokomialen RSV-Infektion erkranken und versterben
(Simon et al. 2006; von Renesse et al. 2009).
Pädiatrisch-onkologische Patienten
Pädiatrisch-onkologische Patienten Pädiatrieonkologischemit Leukämien, hochmalignen
Lymphomen oder soliden Tumoren (in etwa 20 % des ZNS) sind auch außerhalb der autologen
und allogenen Stammzelltransplantation besonders infektionsgefährdet. Die Grunderkrankung
oder deren Therapie (zytotoxische Chemotherapie, Bestrahlung, OP) bedingen eine ausgeprägte
Störung der Infektionsabwehr und eine vorübergehende hochgradige Beeinträchtigung
der Schleimhautbarriere (Mukositis). Der am besten gesicherte Risikofaktor ist die
Granulozytopenie (neutrophile Granulozyten < 0.5 ×109/L oder Leukozyten < 1 ×109/L
ohne Differenzialblutbild, Tendenz fallend), deren Dauer mit dem Infektionsrisiko
korreliert. Die Einteilung in Risikogruppen und die daraus resultierenden Maßnahmen
sind im Prinzip die gleichen wie bei erwachsenen Patienten (RKI 2010). Zum Beispiel
müssen auch Kinder nach allogener (Fremdspender-)Transplantation in einem Raum protektiv
isoliert werden, dessen Raumluft mit Filtern der Klasse H13 gefiltert ist. Andererseits
sind kinderonkologische Stationen außerhalb der Stammzelltransplantation offene und
sehr lebendige Einheiten mit liberalen Regeln für die Besucher (z. B. Angehörige,
Geschwister) und vielen gemeinsamen Aktivitäten im Spielzimmer/Elternküche/Patientenschule
usw. Auch die Prävention lebensmittelassoziierter Infektionen spielt hier eine wichtige
Rolle (Schmid et al. 2008).
Die meisten pädiatrisch-onkologischen Patienten haben einen dauerhaft implantierten
ZVK vom Typ Port oder Broviac (Central Venous Access Device; CVAD), der einer spezielle
Pflege nach schriftlich festgelegten Standards erfordert (Simon et al. 2013a). Die
entsprechende Empfehlung der Fachgesellschaft (GPOH) wurde gerade aktualisiert (Simon
et al. 2013a). CVAD-assoziierte Blutstrominfektionen sind die wichtigsten NI bei pädiatrisch-onkologischen
Patienten (Miedema et al. 2013; Simon et al. 2008); ihre Diagnostik und Therapie bindet
in erheblichem Maß finanzielle und personelle Ressourcen (Biwersi et al. 2009). Die
Inzidenzdichte und das Erreger- und Resistenzprofil dieser Infektionen sollte dem
Behandlungsteam und dem Hygienefachpersonal (RKI 2009) vor Ort bekannt sein. Auch
in dieser pädiatrischen Patientengruppe sind mittlerweile Präventionsbündel zur Vermeidung
CVAD-assoziierter Blutstrominfektionen erfolgreich eingeführt worden (Choi et al.
2013; Handrup, Moller und Schroder 2013; Rinke et al. 2012).
Mukoviszidose
Für Infektionen, nosokomialeMukoviszidose
Mukoviszidose
PädiatrieMukoviszidosedie Infektionsprävention bei Patienten mit Mukoviszidose (in
der Klinik, in Spezialambulanzen und im ambulanten Umfeld) hat eine interdisziplinäre
Arbeitsgruppe im Auftrag der KRINKO eigene Präventionsstandards definiert (Bremer,
Pfeiffer-Auler S und Brunsmann 2011; Simon et al., 2012; Ullrich et al. 2002), auf
die an dieser Stelle nur verwiesen werden kann. In der Klinik (in der CF-Ambulanz)
muss vor allem die Übertragung von P. aeruginosa auf Patienten mit Mukoviszidose bzw.
die Kreuzübertragung zwischen Patienten mit Mukoviszidose verhindert werden.
Jugendliche mit Mukoviszidose und MRSA-Kolonisation der tiefen Atemwege (Dasenbrook
2011) sind nur sehr schwer zu dekolonisieren (MacFarlane et al. 2007).
5.13.9
Umgang mit Muttermilch und Frauenmilchspenden
Helmut Küster, Matthias Heckmann, Anke Beyersdorff, Sylvia Ryll und Axel Kramer
Bedeutung der Ernährung mit Muttermilch
MuttermilchMuttermilch
MuttermilchBedeutung ist für das Neugeborene die beste Ernährung. Sie enthält nicht
nur die optimale Nährstoffzusammensetzung mit entsprechender Bioverfügbarkeit und
Verträglichkeit, sondern besitzt wertvolle immunologisch (German, Dillard und Ward
2002; Lonnerdal 2004), antimikrobiell (Hakansson et al., 1985, Hakansson et al., 2000;
Isaacs und Thormar 1991; Marks, Clementi und Hakansson 2012; Newburg 1996; Newburg,
Ruiz-Palacios und Morrow 2005; Prott et al. 1984; Welk et al., 2009, Welk et al.,
2011; Weuffen et al., 1987, Weuffen et al., 1982, Weuffen et al., 1984), antiinfektiv
(Yoshioka, Iseki und Fujita 1983), antiinflammatorisch (Buescher und Hair 2001; Garofalo
und Goldman 1999; Goldman 1993) und endokrinologisch wirksame Inhaltsstoffe einschließlich
Wachstumsfaktoren und Enzyme (Maier 2011; Siafakas et al. 1999) und einen hohen Gehalt
an Antioxidantien (Xavier, Rai und Hedge, 2011).
Durch die Aufnahme von Lactobacillus acidophilus wird die Kolonisationsresistenz im
Gastrointestinaltrakt des Säuglings gefördert (Yoshiaka, Iseki und Fujita 1983), wobei
Laktobazillen in vitro auch direkt antimikrobiell wirksam sind (Olivares et al 2006).
Mit Muttermilch ernährte Säuglinge litten seltener unter Koliken und schliefen nachts
länger. Für Letzteres wird als mögliche Ursache Melatonin diskutiert (Engler et al.
2012). Schließlich wird dem Kind durch den Körperkontakt beim Stillen Wärme und Geborgenheit
vermittelt. Bei der Mutter fördert Stillen durch Freisetzung von Hormonen die Rückbildung
schwangerschaftsbedingter Veränderungen (Kramer et al. 2013a).
Durch Ernährung mit Muttermilch wird nicht nur die Entwicklung des Neugeborenen einschließlich
einer Allergieprävention (Maier 2011) im Vergleich zu künstlicher Ernährung besser
gefördert (German, Dillard und Ward 2002; Lange, Schenk und Bergmann 2007), sondern
es wird zugleich die Inzidenz und Schwere einer Reihe von Infektionskrankheiten reduziert
(Aniansson et al. 1994; Bachrach, Schwarz und Bachrach 2003; Chirico G et al. 2008;
Golding, Emmett und Rogers 1997; Hanson 2004; Hanson und Korotkova 2002; Koletzko
et al. 2013; Ogra, Rassin und Garofalo 2006; Sadeharju et al. 2007). Daher muss alles
unternommen werden, um Mütter zum Stillen zu ermutigen (Bundesinstitut für Risikobewertung
1998).
Weiterhin gibt es Anhaltspunkte zum präventiven Einfluss auf die Manifestation von
Otitis media (Van Gysel et al. 2012), allergischer Diathese (Gdalevich et al. 2001;
Laubereau et al. 2004; Schneider, Stein und Fritscher 2007; Sears et al. 2002), Zöliakie
(Peters, Schneeweiss und Trautwein, 2001), Enteritis regionalis Crohn (Jackson und
Nazar 2006), Adipositas (von Kries et al. 1999; Toschkle et al. 2002), RSV-Bronchiolitis,
Pneumonie, Typ 1- und Typ 2-Diabetes, Leukämie, plötzlichem Kindstod, Fettstoffwechselstörungen,
Hypertonie und Herzinfarkt (Eidelman 2012; Rudan et al. 2008; Toschke et al. 2002;
Ziegler et al. 2003) sowie zur Förderung der neurologischen Entwicklung (Krawinkel
2005; Rozé JC et al. 2012).
Insbesondere für die MuttermilchFrühgeborene
FrühgeboreneMuttermilchErnährung von Frühgeborenen bis etwa zur 28. Schwangerschaftswoche
(SSW) ist die Ernährung mit Muttermilch besonders wichtig, weil die Häufigkeit der
nekrotisierenden Enterokolitis (NEC) bei extrem unreifen Frühgeborenen, die mit nativer
Muttermilch versorgt werden, geringer ist als bei solchen, die pasteurisierte Muttermilch
oder Formulanahrung erhielten (Lucas und Cole 1990; Hylander, Strobino und Dhanireddy
1998; Schanler, Shulman und Lau C 1999; Schanler et al. 2005; McGuire und Anthony
2003). Außerdem wird Muttermilch besser toleriert (Schanler 1995) und führt schneller
zum vollen Nahrungsaufbau, womit Dauer und Nebenwirkungen einer parenteralen Ernährung
reduziert werden (Stein, Cohen und Herman 1986; Schanler und Hirst 1994).
Die Verabreichung von unpasteurisierter Frauenmilch ist besonders wichtig für
•
eutrophe Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht < 1 000 g oder einer Reife < 28 SSW
•
hypo/eutrophe Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht < 1 500 g mit enteralen Motilitäts-
oder Verdauungsstörungen, nach OP am Magen-Darm-Trakt und bei Kurzdarmsyndrom.
Risiken durch Krankheitserreger in Muttermilch
In Anlehnung an die Hämotherapie-Richtlinie (Bundesärztekammer 2010) ist die Gefährdung
durch MuttermilchMuttermilchInfektionsrisiko anamnestisch für HIV, HBV, HCV, Humanes
T-lymphotropes Virus 1 (HTLV-1), HSV und VZV abzuklären. Vor beabsichtigter Milchspende
müssen Infektionen mit HIV, HBV, HCV, HSV und VZV serologisch ausgeschlossen werden.
Das Ergebnis des Aufklärungsgesprächs muss durch den aufklärenden Arzt schriftlich
festgehalten werden.
•
Bei einer HIV-Infektion ist Stillen wegen der Infektiosität der Muttermilch nicht
zu vertreten.
•
HTLV-1 wird durch Pasteurisieren und anschließendes Einfrieren inaktiviert (Kramer
et al. 2013a).
•
Bei HBV-Infektion kann das Kind ab dem Zeitpunkt der aktiven und passiven Impfung
gestillt werden (Kramer et al. 2013a). Da bei hoher HCV-Last im Blut der Mutter, bei
Lebererkrankungen, wunden Brustwarzen und bestimmten HCV-Genotypen ein Übertragungsrisiko
nicht auszuschließen ist, sollte eine Stillempfehlung nur nach Risikoabklärung gegeben
werden (Kramer et al. 2013a).
•
Bei HSV-Infektion kann gestillt werden, sofern keine Läsionen auf der Brust als Eintrittspforten
vorhanden sind (Kramer et al. 2013a).
•
Bei VZV-Infektion soll das Anlegen erst 3 d nach der letzten frischen Hautläsion erfolgen
(Kramer et al. 2013a).
•
Bei Infektion durch HAV und Virusgrippe kann unter bestimmten Voraussetzungen gestillt
werden. Da HAV nur über Hände bzw. kontaminierte Flächen übertragen wird, kann bei
Einhaltung der Basishygiene gestillt werden (Kramer et al. 2013a). Bei Virusgrippe
kann gestillt werden, sofern es sich nicht um ein neues Virus handelt, gegen das die
Mutter keine Immunität ausgebildet haben kann (Kramer et al. 2013a).
Zytomegalievirus: Da durch native MuttermilchMuttermilchZytomegalievirus
Zytomegalievirus, humanesMuttermilch insbesondere das Risiko für eine NEC herabgesetzt
wird, kann nach entsprechender Aufklärung und Zustimmung der Erziehungsberechtigten
auch bei CMV-IgG-positiven, aber CMV-IgM-negativen Müttern von extrem unreifen Frühgeborenen
(< 28. SSW) unpasteurisierte Muttermilch verabreicht werden (Kramer et al. 2013a).
Bei systemischen Infektionszeichen des Frühgeborenen muss dann allerdings auch immer
an die Möglichkeit einer CMV-Primärinfektion gedacht werden. Die Pasteurisierung der
Muttermilch ist in Mitteleuropa weit verbreitet, in vielen anderen Ländern aber gänzlich
unbekannt und kann daher nicht grundsätzlich empfohlen werden. Da CMV in Kolostrum
frühestens am 3. Tag post partum nachgewiesen wurde (Doctor et al. 2005), kann die
ersten beiden Lebenstage auf jeden Fall auf eine Pasteurisierung verzichtet werden.
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass eine Gefährdung durch CMV niemals mit Sicherheit
auszuschließen ist, da CMV-IgG-positive Mütter das Virus auch bei negativem CMV-IgM
durch Reaktivierung über die Muttermilch übertragen können (Doctor et al. 2005; Hamprecht
et al. 2001; Hayes et al. 1972). Für Reifgeborene ist das nicht kritisch, weil die
die Auseinandersetzung mit CMV in der Regel asymptomatisch verläuft bzw. das Immunsystem
des ansonsten gesunden Kindes die CMV-Infektion kontrolliert (Capretti et al. 2009;
Hamprecht et al., 2001, Hamprecht et al., 2003; Kumar et al. 1984). Bei Frühgeborenen
werden die Langzeitfolgen einer CMV-Infektion unterschiedlich beurteilt (Dvorak et
al. 2003; Dworsky et al. 1983; Kumar et al. 1984; Paryani et al. 1985; Vollmer et
al. 2004). Eine aktuelle Nachuntersuchung von Frühgeborenen mit postnatal erworbener
CMV-Infektion zeigte eine beeinträchtige kognitive Funktion (Brecht et al 2014). Bei
extrem unreifen Frühgeborenen sind schwere Infektionen (Enzephalitis, Pneumonien)
mit tödlichem Ausgang beschrieben (Dworsky et al. 1983; Maschmann et al. 2001; Neuberger
et al. 2006; Stagno et al. 1980; Vochem et al. 1998). Insbesondere Frühgeborene an
der Grenz der Überlebensfähigkeit (22.–24. Entwicklungswoche) scheinen gefährdet zu
sein (Mehler et al. 2014). Da das reifste Kind mit einem schweren CMV Verlauf ein
Frühgeborenes von 30 SSW war (Hamprecht et al. 2001), wäre eine Option, das Virus
bei Frühgeborenen bis zu einem korrigierten Alter von 30 SSW zu inaktivieren (Pickering,
Kimberlin und Long 2012), nachdem die Erziehungsberechtigten über den damit verbundenen
Nachteil der erhöhten NEC-Rate aufgeklärt wurden.
Bei Borreliose, Gonorrhö, Syphilis und Tuberkulose (neg. Sputum, kein aktiver Herd
in der Brust) kann unterMuttermilchStillverbot Antibiotikatherapie der Mutter gestillt
werden (Kramer et al. 2013a). Es ist zu beachten, dass durch den Übergang des Antibiotikums
in die Muttermilch Magen-Darm-Störungen, Sprosspilzbesiedelung von Schleimhäuten und
Sensibilisierung verursacht werden können. Bei Borreliose ist bisher keine Erkrankung
der Neugeborenen durch Stillen bekannt geworden.
Im akuten Stadium der Listeriose ist Stillen kontraindiziert. Nach antibiotischer
Therapie von ca. 4 d und gleichzeitiger präventiver Therapie des Kindes kann jedoch
gestillt werden (Neuberger et al., 2006). Bei Toxoplasmose kann gestillt werden, da
mit dem Übertritt von T. gondii auch Antikörper in die Milch gelangen (Neuberger et
al. 2006).
Bei Fieber unklarer Ursache sollte das Stillen insbesondere bei Verdacht auf eine
Virusinfektion bis zur Ursachenklärung unterbrochen werden.
Risikobewertung physiologischer Flora bzw. potenziell pathogener Mikroorganismen in
Muttermilch
Im Gegensatz zu MuttermilchKeimbelastungFormulanahrung (Kramer et al. 2013a) gibt
es für Muttermilch, die an das eigene Kind gefüttert wird, bisher keine mikrobiologischen
Qualitätsstandards. Der Grund hierfür sind fehlende Studien, ob bzw. ab welchem Ausmaß
einer mikrobiellen Belastung Muttermilch pasteurisiert werden sollte bzw. ob der Nutzen
nichtpasteurisierter Muttermilch selbst bei Vorkommen potenziell pathogener Bakterien
höher ist, als wenn pasteurisierte Muttermilch gegeben wird, deren immunologischer,
antiinfektiver und ernährungsphysiologischer Wert durch das Pasteurisieren deutlich
verliert (Dvorak et al. 2003; Rath, Gembruch und Schmidt 2010). Zugleich ist weder
für kommensale Hautflora noch für potenziell pathogene Erreger die minimale Infektionsdosis
bekannt (Cossey et al. 2011). Nur für Enterokokken einschließlich VRE wird die Infektionsdosis
mit 10–100 Erreger angegeben (Robine, Derangere und Robin 2000).
Da der kommerzielle Vertrieb von menschlicher Muttermilch über das Internet etabliert
ist und propagiert wird, hat die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für
Kinder- und Jugendmedizin vor der Verwendung unzureichend geprüfter Muttermilch von
Spenderinnen gewarnt (Bührer et al. 2014). Ausdrücklich ausgenommen von dieser Warnung
sind die an wenigen Kinderkliniken in Deutschland etablierten Frauenmilchsammelstellen,
die durch umfassende Kontrollen sichere Spendermilch besonders für Risikoneugeborene
zur Verfügung stellen können, ohne dass für die Empfänger zusätzliche Kosten entstehen.
Vorschläge für hygienisch sichere Spendermilch unter Berücksichtigung der Empfehlungen
verschiedener Länder:
Lediglich für MuttermilchMuttermilchSpendermilch
NeonatologieSpendermilch aus Milchbanken (SpendermilchSpendermilch
Frauenmilchspende) gibt es eine Empfehlung des National Institute for Health and Clinical
Excellence des NHS (National Institute for Health and Clinical Excellence, 2010).
Hiernach darf rohe Muttermilch nicht > 105 KbE/ml Gesamtlast enthalten, für Enterobakterien
und S. aureus muss dieser Wert unter 104 KbE/ml liegen. Für pasteurisierte Milch darf
ein Wert von 10 KbE/ml nicht überschritten werden.
In der Schweiz wird Spendermilch grundsätzlich pasteurisiert (Frischknecht et al.
2010). Das kann unter dem Aspekt der Notwendigkeit der Stimulierung der frühen Immunantwort
(früher als Hygienehypothese bezeichnet) für die immunologische Reifung nicht vorteilhaft
sein (Kramer et al. 2013a). Springer et al. (1998) vertreten die Auffassung, dass
Muttermilch ab > 105 KbE/ml verworfen werden soll. Sofern es sich dabei nur um physiologische
Flora handelt, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass dadurch Infektionen verursacht werden,
so dass die Milch nach unserer Auffassung verabreicht werden kann. Hierbei ist zu
berücksichtigen, dass selbst hygienisch vorbildlich gewonnene Frauenmilch (nach Anleitung
durch Stillberaterin, Brusthygiene, Abpumpen der ersten Milchportion) mit 104–105
KbE KNS/ml kontaminiert war (eigene Untersuchungen).
Beim Nachweis potenziell pathogener Erreger (z. B. betahämolysierende Streptokokken,
Enterobakterien, Pneumokokken, gramnegativer Bakterien einschließlich Nonfermenter)
wird z. T. Nichtfreigabe zur Spende, z. T. Pasteurisierung vor der Spende empfohlen.
Das Vorkommen von S. aureus wird in der Schweizer Leitlinie toleriert (Frischknecht
et al. 2010). Wegen des Risikos der Toxinbildung sollte nach unserer Auffassung ab
102 KbE S. aureus/ml die Milch nicht zur Spende verwendet werden, da evtl. vorhandene
Toxine durch den Pasteurisierungsvorgang nicht inaktiviert werden. Mit MRSA kontaminierte
Muttermilch ist zu verwerfen.
Nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung wurden in der Abteilung für Neonatologie/Pädiatrische
Intensivmedizin der Universitätsmedizin Greifswald für Spendermilch folgende Grenzwerte
festgelegt:
•
Bei Vorkommen von ≥ 102 KbE/ml potentiell pathogener Erreger (s. o.) und bei Nachweis
von MRE Spendermilch verwerfen, weil durch Pasteurisierung nicht alle Erreger mit
Sicherheit inaktiviert werden.
•
Bei Vorkommen von ≤ 102 KbE/ml potentiell pathogener Erreger Pasteurisierung möglich
(ärztliche Anordnung).
Hygienische Anforderungen an die Gewinnung und Zubereitung von Muttermilch
Wird Muttermilch abgepumpt, kann es zu bakterieller Kontamination mit nachfolgender
Infektion kommen (Donowitz et al. 1981; Gras-Le Guen et al. 2003; Keim et al. 2013).
Aber auch von intrinsischer Kontamination kann eine Gefährdung ausgehen (s. o.). Diese
kann mit Pasteurisieren der Muttermilch reduziert werden.
Einfluss der Pasteurisierung auf die Muttermilch: Für die MuttermilchPasteurisierungQualität
abgepumpter Muttermilch und die Stabilität ihrer Inhaltsstoffe sind die Art der Gewinnung,
die verwendeten Sammelbehälter (sofern die Muttermilch umgefüllt wird), die Lagertemperatur,
aber vor allem der Einfluss der Pasteurisierung entscheidend (Lawrence 2001; Tully,
Jones und Tully 2001). Während die in Muttermilch enthaltenen Lipasen sehr thermolabil
sind und durch Holder-Pasteurisierung inaktiviert werden (Tully, Jones und Tully 2001),
war Milch nach High-Temperature Short-Time (HTST)-Pasteurisierung (15 s auf 72 °C)
High-Temperature Short-Time Pasteurisierungdurch eine Lipaseaktivität und ein Proteinmuster
gekennzeichnet, die unbehandelter Muttermilch am ähnlichsten waren. Ebenso blieben
Lactoferrin, IgA, IgG, Insulin und Wachstumsfaktoren sowie die antioxidative Kapazität
besser erhalten (Baro et al. 2011). Dabei wurde jeweils nicht nur untersucht, inwieweit
die Integrität, sondern auch inwieweit die biologische und immunologische Aktivität
der Proteine erhalten blieb. Die Ergebnisse sprechen dafür, Muttermilch thermisch
möglichst kurz zu behandeln. Andererseits wurde festgestellt, dass die bakterizide
Aktivität von Muttermilch umso mehr abnimmt, je höher die Temperatur bei der Pasteurisierung
war und dass auch unpasteurisierte Muttermilch bei Lagerung bei 4 °C deutlich an bakterizider
Kapazität verliert (Virex 2006). Sowohl die mittels Holder- als auch die mittels HTST-Methode
pasteurisierte Milch verlor durch die Lagerung im Kühlschrank jedoch nicht weiter
an bakterizider Aktivität. Somit war letztlich der Unterschied in der bakteriziden
Aktivität zwischen pasteurisierter und unbehandelter Milch nicht mehr so groß.
Eine MuttermilchVirex IVWeiterentwicklung der HTST ist die Kurzzeithitzebehandlung
mit dem Gerät Virex IV (Virex 2006). Hierbei werden Muttermilchproben mit einem Volumen
von 15–50 ml mittels Heißluft auf eine Maximaltemperatur von 60–62 °C erhitzt und
diese für 5 s gehalten. Anschließend erfolgt die rasche Abkühlung mittels Kühlwasser.
Der gesamte Behandlungsprozess einer Probe dauert 90 s. Hiermit soll CMV sicher inaktiviert
werden. Inwieweit das für bakterielle Kontamination zutrifft, ist nicht angegeben.
Mit demMuttermilchDiscover Mikrowellengerät Discover (CEM GmbH, Kamp-Lintfort, Deutschland)
wurde durch 85 °C mit einer Zeitdauer bis zum Erreichen der Solltemperatur von 2:45
min (Energieeintrag 100 Watt) und nachfolgender Haltezeit von 5 min für die Testorganismen
S. aureus, E. coli, E. faecium und E. cloacae eine sicherere Abtötung als mit der
Holder Pasteurisierung erreicht, verbunden mit einer Zeitersparnis, da die einzelne
Probe inklusive Aufwärm- und Abkühlphase nur für 12:45 min im Gerät behandelt werden
muss (Virex 2006). Es ist zu vermuten, dass die Milch zugleich schonender behandelt
wird.
Muttermilch für das eigene Kind
Für die Gabe von Muttermilch bei stationär behandelten Neugeborenen sind folgende
Rahmenbedingungen schriftlich festzulegen:
•
Aufklärung der Mutter über Notwendigkeit und Vorteile des Stillens,
•
Infektionsanamnese der Mutter (s. o.),
•
Abklärung von Drogenkonsum, Rauchen und Pharmakotherapie (Kramer 2013a),
•
Beratung zur konsequenten Einhaltung der Brusthygiene – Fingernägel kurz und sauber
halten, möglichst keine künstlichen oder gegelten Fingernägel, Händewaschen vor dem
Stillen, vor und nach dem Stillen Brüste mit lauwarmem Leitungswasser abspülen, danach
Brustwarzen mit Einmal-Papierwaschlappen oder Kleenex vorsichtig abtrocknen (Frottee-Waschlappen
reizt die Haut), zur Vermeidung einer Austrocknung oder Reizung keine Seife, kein
Antiseptikum und keine Brustwarzensalbe benutzen.
Gewinnung mittels Pumpset
Die Gewinnung und Aufbewahrung der MuttermilchMuttermilchMilchgewinnung sowie die
Aufbereitung von Pumpset, Milchflaschen und Sauger (stationär und in der Häuslichkeit)
sollte in einer SOP festgelegt werden.
Milchgewinnung: Die ersten Milchtropfen werden ausgestrichen und verworfen, weil sie
stärker mit Bakterien belastet sind. Danach wird der Pumpaufsatz mittig aufgesetzt.
Das Gerät wird zunächst mit geringstem Sog bedient, der nachfolgend bei Bedarf gesteigert
wird.
Aufbereitung des Pumpsets: Die Mutter ist durch das Pflegepersonal in die Handhabung
des Pumpsets einzuweisen. Der Grund, warum nachfolgend geringe Unterschiede zwischen
dem Vorgehen in der Häuslichkeit und in der Klinik gemacht werden, ist darin zu sehen,
dass die Klinik aufgrund ihrer Verantwortung für die Patientensicherheit vermeidbare
Infektionsrisiken ausschalten muss, weil sie bei dadurch verursachten Infektionen
u. U. haftet. Zwar kann Trinkwasser auch in der Häuslichkeit. kontaminiert sein, z.
B. P. aeruginosa, aber das liegt außerhalb der Verantwortung des Krankenhauses. Als
weitere Besonderheit ist im Krankenhaus das Kontaminationsrisiko durch nosokomiale
Pathogene nicht vergleichbar mit der häuslichen Situation.
•
Vor dem Abpumpen wird eine Händedesinfektion durchgeführt.
•
Danach wird die Brust mit Leitungswasser von Trinkwasserqualität (in der Häuslichkeit
Wasser vor Benutzung etwa 5 min ablaufen lassen) oder – wenn diese bei Gewinnung im
Krankenhaus nicht gewährleistet werden kann – mit steril filtriertem Wasser (endständiger
Sterilfilter am Wasserauslass) abgespült (Daeschlein et al. 2007) oder mit Kompressen,
die mit sterilem Aqua dest. getränkt sind, gereinigt und vorsichtig abgetrocknet (s.
o.).
•
In der Häuslichkeit wird das Pumpset nach jeder Verwendung gemäß Herstellerangaben
gereinigt, getrocknet und trocken gelagert. In der Klinik werden entweder Einmalsets
verwendet oder die milchführenden Teile (Pump- und Schraubaufsatz) in einer Transportbox
zur Aufbereitung (RDG) in die ZSVA gegeben. Der Schlauch zur Pumpe (falls nicht Einmalmaterial)
wird gemäß Herstellerangabe nach jedem Benutzerwechsel analog aufbereitet. Bei Verwendung
für Sammelmilch ist das Pumpset abschließend zu sterilisieren. Die aufbereiteten Teile
werden staubsicher und trocken gelagert. Die Geräteaußenflächen werden einer Wischdesinfektion
unterzogen. Jährlich wird die Funktion technisch überprüft.
Umgang mit Milchflaschen und -verschlüssen. JedeMuttermilchMilchflasche
NeonatologieMilchflaschen und -verschlüsse Milchflasche ist mit Namen, Datum und Uhrzeit
zu versehen. Bei Abpumpen in der Häuslichkeit werden der Mutter Einwegplastikmilchflaschen
und mit dem Namen des Kindes vorbedruckte Etiketten mitgegeben. Werden in der Klinik
Mehrwegmilchflaschen verwendet, sind sie im RDG bei 93 °C aufzubereiten, bei Verwendung
zur Milchspende nachfolgend zu sterilisieren und anschließend in geschlossenen Behältern
trocken zu lagern. Zum Verschließen der Milchflaschen werden in der Klinik sterilisierte
Deckel oder Einwegmaterial eingesetzt. Bei Benutzung der Deckel ist die Innenseite
kontaminationssicher abzulegen und nicht mit den Händen zu berühren. Personal, das
mit Muttermilch arbeitet (z. B. Aufziehen in Spritzen zur Verabreichung über eine
Sonde) soll zusätzlich zur Händedesinfektion saubere Einmalhandschuhe tragen.
Aufbewahrung der Muttermilch: Beim Transport von MuttermilchMuttermilchAufbewahrung
darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden.
•
Frisch gewonnene Muttermilch ist unverzüglich bei Temperaturen zwischen +4 und +6
°C für max. 36 h zu lagern. Ist abzusehen, dass sie nicht innerhalb von 36 h verbraucht
wird (bei Milchüberschuss), ist sie bei Temperaturen zwischen −18 bis −40 °C einzufrieren.
Die Lagerfrist eingefrorener Milch soll 6 Monate nicht übersteigen, da bei längerer
Lagerung eine Hydrolyse der Lipide einsetzt, die sich in leicht seifigem Geschmack
der Milch bemerkbar macht (Berkow, Freed und Hamosh 1984).
•
Für den Transport zur Klinik verwenden die Eltern eine Kühltasche. Bei Ankunft in
der Klinik wird die Milch sofort im Kühlschrank bzw. in einem Tiefkühlfach gelagert.
Vor Entnahme der Flaschen aus der Kühltasche ist eine Händedesinfektion durchzuführen.
•
Die Temperaturen der Kühlschränke bzw. Tiefkühlschränke sind kontinuierlich zu messen,
eine Alarmierung bei einer Temperaturabweichung muss sichergestellt sein. Bei Abweichungen
von der Solltemperatur ist der technische Dienst zu informieren.
•
Glas- oder Einwegflaschen werden verschlossen mit sterilisiertem Deckel im Kühlschrank
gelagert oder eingefroren. Für Portionen unter 20 ml abgefüllte Spritzen werden mit
sterilem Stopfen verschlossen und zusätzlich in einer Plastiktüte verpackt.
•
In der Klinik sollte die Einhaltung der Kühlkette halbjährlich mikrobiologisch überprüft
werden. Dazu wird parallel je eine Probe (0,5–1 ml) unpasteurisierter Milch in der
Milchküche und erneut auf der Station vor Verabreichung derselben Portion entnommen
und die KbE-Anzahl beider Proben verglichen.
•
Es empfiehlt sich, für die Mutter den Ablauf zur Milchgewinnung in einem Merkblatt
zusammenzufassen (Muster in Kramer et al. 2013a).
Verarbeitung von Muttermilch: Grundsätzlich ist zuerst frisch abgepumpte Milch zu
verwenden. Gekühlte MuttermilchMuttermilchVerarbeitung ist unmittelbar vor Verabreichung
im Thermoblock (wasserfrei) zu erwärmen. Erwärmte Reste sind zu verwerfen. Tiefgefrorene
Muttermilch wird in einem Babykostwärmer aufgetaut. Aufgetaute Muttermilch ist im
Kühlschrank zu lagern und innerhalb von 24 h zu verbrauchen. Für den Umgang mit Muttermilch
bei Frühgeborenen empfiehlt sich die Aushändigung eines Merkblatts (Muster in Kramer
et al. 2013a).
Zu Hause sollte Muttermilch schonend bei Zimmertemperatur aufgetaut werden. Bei Zimmertemperatur
aufgetaute Muttermilch ist nur maximal 4 Stunden aufzubewahren.
Pasteurisierung: Wurde die ärztliche Entscheidung zur Pasteurisierung der Muttermilch
getroffen, richtet sich die Geräteauswahl nach dem beabsichtigten Wirkungsspektrum,
d. h. erforderliche Wirksamkeit nur gegen CMV oder auch gegen resistentere Erreger
(s. o.).
Frauenmilchspende
Voraussetzungen: Für die FrauenmilchspendeFrauenmilchspende
Spendermilch muss die Aufklärung, Einwilligung und Anamnese der Spenderin vorliegen.
Ausschlusskriterien sind:
•
Erkrankung durch HTLV-1, HIV, HBV/HCV oder Lues sowie CMV-IgM-positive Frauen
•
Schutzimpfung mit Lebendimpfstoff für die Dauer des Erregerübergangs in die Muttermilch
•
Erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten
•
Erhalt von Blutprodukten sowie Tattoo/permanent Make-up oder Piercing innerhalb der
letzten 6 Monate
•
Drogen, Nikotin, Alkohol, übermäßiger Koffeingenuss, vegane Ernährung
•
Galaktosämie
•
Chronische Erkrankungen, erhöhte Werte für ASAT und ALAT
•
Einnahme von Medikamenten, die in die Muttermilch übergehen
•
Frauen > 6. Laktationsmonat
Die serologischen, laborchemischen und mikrobiologischen Kontrollen erfolgen vor der
Erstzulassung zur Frauenmilchspende und nach Beginn der Spende erneut nach 2 Monaten.
Die Erziehungsberechtigten des Empfängerkinds müssen vor der Verabreichung der Spendermilch
nach erfolgter Aufklärung ihre Einwilligung erteilen. Die Voraussetzungen für die
Zulassung zur Frauenmilchspende sind in einem Ablaufschema in Kramer et al. (2013a)
zusammengefasst.
Anforderungen an die Gewinnung, Verarbeitung und Verabreichung: Für den Gesamtablauf
ist ein HACCP-Konzept FrauenmilchspendeHygienemaßnahmen
SpendermilchWeiterverarbeitungmit den Schwerpunkten Personalhygiene, Aufbereitung
von Material, Geräten und Flächen, Gewinnung und Weiterverarbeitung von Muttermilch
zu erarbeiten (Kramer et al. 2013a). Spendermilch ist nach Möglichkeit in der Klinik
zu gewinnen, da das hygienische Risiko in häuslicher Umgebung einschließlich der Einhaltung
der Kühlkette nicht kalkulierbar ist. So war beim Vergleich der Kontamination zu Hause
oder im Krankenhaus gewonnener Milch erstere höher kontaminiert (Serra et al. 2013).
Jede abgepumpte Spendermilch ist mikrobiologisch zu untersuchen. Dazu können vor dem
Tieffrieren 2 ml mit steriler Spritze entnommen werden. Alternativ kann ein Ausstrich
direkt in der Milchküche gemacht werden. Die Probe ist identifizierungssicher zu kennzeichnen
(Chargennummer, Name der Spenderin, Datum, Uhrzeit, Mengenangabe, Datum der Abgabe).
Die Dokumentation einschließlich des Hinweises „serologische Befunde vorhanden, freigegeben“
ist 10 Jahre aufzubewahren. Kleine Mengen werden nicht in Einzeldosen mittels steriler
Einmalspritzen ausgegeben, sondern als Gesamtmenge innerhalb der max. Lagerfrist von
36 h aus der Flasche entnommen und für jedes Kind unmittelbar vor der geplanten Applikation
einzeln portioniert. Hierbei sind folgende Maßnahmen einzuhalten:
•
Wischdesinfektion der Arbeitsfläche
•
Händedesinfektion
•
Bereitstellung der Materialien (sterile Spritze, steriler Verschlussstopfen, Milchflasche,
steriler Verschlussdeckel)
•
aseptische Entnahme mit steriler mit Name des Kindes, Datum und Uhrzeit beschrifteter
Spritze.
Danach wird die Flasche mit einem neuen sterilen Deckel wieder verschlossen und kühl
gelagert.
Anforderungen an die Milchküche
Mitarbeiter: Gemäß IfSG ist vor Milchküche
MilchkücheAnforderungenTätigkeitsaufnahme eine aktenkundigen Belehrung durch das Gesundheitsamt
erforderlich. Im Abstand von 2 Jahren ist die Belehrung durch den Arbeitgeber zu wiederholen
und der Nachweis zu dokumentieren. Unbefugten ist der Zutritt in den reinen Bereich
der Milchküche nicht zu gestatten.
Bauliche Voraussetzungen: Der Milchküchebauliche Anforderungenreine und der unreine
Raum werden zweckmäßigerweise durch ein Durchreichefenster verbunden, da der reine
Raum der Milchküche nur über eine vorgelagerte Personalschleuse betreten werden sollte.
Für die Mitarbeiter ist in räumlicher Nähe eine separate Toilette vorzuhalten. Wände,
Fußboden, Schränke sowie sämtliche Ablage- und Arbeitsflächen sind glatt und wischdesinfizierbar
auszulegen. Wasserarmaturen sind im reinen Bereich mit Sterilfiltern auszustatten.
Der Waschplatz befindet sich im unreinen Bereich und ist mit Spendern für Waschlotion,
Händedesinfektionsmittel und Einmalhandtüchern einschließlich Abwurf für gebrauchte
Handtücher auszustatten. Im reinen Bereich ist mindestens ein Spender für die Händedesinfektion
zu installieren.
Desinfektion: Gebrauchte MilchkücheDesinfektion
DesinfektionMilchkücheFlaschen/Geschirr werden im unreinen Arbeitsraum angeliefert,
nach Entleerung von Nahrungsresten und Entfernung von Aufklebern vorgespült und in
den Geschirrspüler für Flaschen bzw. in die separate Geschirrspülmaschine einsortiert.
Flaschenbürsten sind nach Benutzung zu verwerfen oder aufzubereiten. Nach Beendigung
der Desinfektion werden nach vorheriger hygienischer Händedesinfektion und Anlegen
von neuen Einmalhandschuhen sowie Mund-, Nasen- und Haarschutz die Flaschen bzw. das
Geschirr entnommen. Falls keine Einmalflaschen verwendet werden, werden für die Milchspende
vorgesehene Flaschen nach der Verpackung sterilisiert und in geschlossenen Schränken
gelagert.
Arbeitsflächen werden zu Dienstbeginn und am Dienstende, Fußböden nur am Dienstende
desinfiziert. Nach jedem abgeschlossenen Arbeitsgang erfolgt eine Zwischendesinfektion.
Verschüttete Nahrung, Pulver a. Ä. sind unverzüglich mit einem Einmaltuch aufzunehmen.
Anschließend erfolgt die Wischdesinfektion der Arbeitsfläche. Fahrbare Wagen werden
zu Arbeitsbeginn auf der Lagerfläche und den Handkontaktflächen wischdesinfiziert.
Vor dem Abstellen von keimarmen Behältern oder Material wird eine erneute Desinfektion
durchgeführt. Bei Schränken werden die Handkontaktflächen täglich, der übrige Schrank
monatlich desinfiziert. Abfallbehälter werden täglich entleert und wischdesinfiziert.
Griffflächen von Kühl- und Gefrierschränken werden täglich, die Innenfächer bei sichtbaren
Kontaminationen und bei jedem Wechsel der Patientenzugehörigkeit desinfizierend gereinigt.
Monatlich erfolgt eine vollflächige desinfizierende Reinigung. Herdplatten und Griffflächen
des Kochherds werden nach jeder Benutzung, die übrigen Flächen monatlich desinfizierend
gereinigt. Waagen werden nach jeder Benutzung desinfizierend gereinigt.
Der Pasteurisator und das Auftaugerät werden nach Gebrauch desinfizierend gereinigt
und staubfrei abgedeckt. Die Aufbereitung des Pasteurisators (Reinigung und Desinfektion)
erfolgt gemäß Herstellerangaben. Der Pasteurisator sollte halbjährlich überprüft werden,
z. B. mittels Prüfkörper (Flasche mit etwa 107 KbE Enteroccocus faecium/ml in 100
ml physiologischer Kochsalzlösung).
Das Kühlgerät wird täglich vollflächig desinfizierend gereinigt. Kühltaschen, Transport-
und Lagerungsbehälter werden nach jeder Benutzung vollflächig desinfizierend gereinigt,
anschließend im reinen Arbeitsraum gelagert und an das Stromnetz angeschlossen.
Verarbeitung von Spendermilch: SpendermilchSpendermilchVerarbeitung ist getrennt von
Muttermilch zu lagern, um Verwechslungen auszuschließen. Sammlung und Lagerung von
Spendermilch erfolgt in Glas- oder Plastikflaschen aus Polypropylen; Gefrierbeutel
sind aus hygienischer Sicht ungeeignet. Einmal aufgetaute Milch darf nicht erneut
tief gefroren werden. Nicht verwendete Restmenge aufgetauter Spendermilch kann 24
h gekühlt gelagert werden. Nach anschließender Pasteurisierung ist die weitere Verwendung
für 24 h möglich.
QM: Die halbjährliche Umgebungsuntersuchung des reinen Arbeitsraums und die Überwachung
der Mitarbeiter sind ein wichtiger Baustein der Qualitätssicherung der Hygiene.
5.13.10
Kinderkrankheiten
Einige Kinderkrankheitenim Krankenhaus behandelte Kinder (z. B. Mitarbeiter, Besucher)
sind gegen klassische Kinderkrankheiten nicht immun. Oft sind diese Krankheiten bereits
während der Inkubationszeit hoch kontagiös. Als Hilfe für die Praxis werden einige
Aspekte dieser Thematik in Tab. 5.24
aufgeführt.
Tab. 5.24
Orientierende Hinweise zu Kinderkrankheiten (Auswahl) für das Hygienefachpersonal
(Garner 1996; Musher et al. 2003; Richardson et al. 2001; RKI 2001; Siegel 2002; Weinstock
et al. 2004)Pneumonie, bakterielleKinderKeuchhustenPertussisBordetella pertussisEpstein-Barr-VirusPfeiffer-DrüsenfieberMononukleose,
infektiöseKissing DiseaseInfluenzaMasernParotitis epidemicaMumpsMeningokokkenMeningitisNeisseria
meningitidisNorovirusParvovirus B19RingelrötelnHydrops fetalisaplastische Krise, transienteKrupp-HustenRespiratory
Syncytial VirusHumanes MetapneumovirusRotavirenWindpockenVarizellenHerpes ZosterVaricella-Zoster-Virus
Erreger
Erkrankung
Inkubationszeit
Ansteckungsweg
Dauer der Kontagiosiät
Isolierung1
Bakterielle Pneumonie
Pneumonie
3–5 d
Tröpfcheninfektion
Bis 24 h nach Beginn einer klinisch wirksamen Antibiotikatherapie
EinzelzimmerKittel, Handschuhe (Sekrete), MMS bei engem Kontakt (< 1,5 m)
Bordetella pertussis
Keuchhusten (Pertussis)
7–20 d (meist < 10 d)
Tröpfcheninfektion
Beginnt am Ende der Inkubationszeit, erreicht ihren Höhepunkt während der ersten beiden
Wochen der Erkrankung (Stadium catarrhale) und klingt dann allmählich ab (insgesamt
etwa 3 Wochen).Durch eine Antibiotikatherapie verkürzt sich die Dauer der Ansteckungsfähigkeit
auf etwa 5 d nach Beginn der Therapie.
Einzelzimmer, KontaktisolierungMNS bei engem Kontakt (< 1,5 m)Im Einzelfall Postexpositionsprophylaxe
mit Makroliden
Auch immune Menschen können B. pertussis übertragen!
Epstein-Barr-Virus
Pfeiffer-Drüsenfieber (infektiöse Mononukleose)
4–7 Wochen
Tröpfcheninfektion enger Kontakt (Kissing Disease)
Bei EBV-Ausscheidern lebenslang (Speichel, Zervixsekret).
StandardhygieneAuf Station Kontakt mit Kindern vermeiden, bei denen ein Immundefekt
vorliegt (z. B. Wiskott-Aldrich-Syndrom, Severe Combined Immunodeficieny, HIV-Infektion).
Influenzavirus
Influenza
1–3 d
Überwiegend durch Tröpfchen, (> 5 µm), nach einzelnen Publikationen auch aerogenKontakt
der Hände zu kontaminierten Oberflächen und anschließendem Hand-Mund/Hand-Nasen-Kontakt
Beginnt < 24 h vor Auftreten der klinischen Symptomatik und besteht danach gewöhnlich
für 3–5 d.Kleinkinder und Immunsupprimierte können das Virus früher und für längere
Zeit (> 1 Woche) ausscheiden.Bei Verbleib im Krankenhaus aus anderen Gründen: PCR
einmal pro Woche wiederholen bis negativ.
Einzelzimmer, Kittel, Handschuhe (Sekrete), MNS bei engem Kontakt (< 1,5 m).
Masernvirus
Masern
8–10 d bis zu den Prodromi14 d bis zum Exanthem
AerogenTröpfcheninfektion
5 d vor bis 7 d nach Auftreten des Exanthems
Einzelzimmer mit Schleuse (Es darf nur jeweils eine von beiden Türen geöffnet werden.)Unterdruckbelüftung
(falls vorhanden)
Mumpsvirus
Parotitis epidemica
12–25 d
Tröpfcheninfektion (Speichel)
7 d vor bis 9 d nach Auftreten der Parotisschwellung
Einzelzimmer, Kontaktisolierung (Zusammenlegung mit zweimal geimpften, immungesunden
Kindern möglich)
Neisseria meningitidis
Meningokokkenmeningitis, Meningokokkensepsis
1–4(–10) d
Tröpfcheninfektion
Bis 48 h nach Beginn einer wirksamen i. v. antibakteriellen TherapiePenicillintherapie
führt vermutlich nur zur Suppression, aber nicht zur Eradikation der nasopharyngealen
Meningokokkenbesiedlung (Rifampicin zusetzen!)
EinzelzimmerKittel, Handschuhe (Sekrete), MNS bei engem Kontakt (< 1,5 m)Bei ausgedehnten
Hautläsionen im Anschluss protektive Isolierung wie bei VerbrühungspatientenUmgebungsprophylaxe
mit Rifampicin oder Ciprofloxacin!
Norovirus
Gastroenteritis
10–50 h
Fäkal-oral oder durch Bildung virushaltiger Aerosole während des Erbrechens
Meist 7–14 d, in Ausnahmefällen aber auch mehrere Wochen.Bei Verbleib im Krankenhaus
aus anderen Gründen: PCR einmal pro Woche wiederholen bis negativ.
Einzelzimmer oder KohortenisolierungHändedesinfektionsmittel mit noroviruzider Wirksamkeit,
Kittel, Handschuhe, MNSWindeln sofort entsorgen, viruzide Umgebungsdesinfektion
Parvovirus B19
Ringelröteln, Hydrops fetalis, transiente aplastische Krise (Anämie)
4–28 d
TröpfcheninfektionBlut(produkte)Hohe Tenazität!
2 d vor Ausbruch des Exanthems am größten.Bis zum Ende der klinischen Erkrankung.
Einzelzimmer v. a. für immunsupprimierte Kinder oder Kinder mit aplastischer Krise
bei angeborenen HämatopathienHandschuhe, Kittel
Respiratory Syncytial VirusAnalog: HMPV
Krupp-Husten, Bronchitis, Pneumonie
2–5 d
Tröpfcheninfektion (auch über Gegenstände!)
Immunkompetente Kinder: 7 dImmungeschwächte Patienten: bis mehrere Wochen.Bei Verbleib
im Krankenhaus aus anderen Gründen: Antigentest einmal pro Woche wiederholen bis negativ.
Einzelzimmer oder KohortenisolierungKittel, Handschuhe, MNS
Rotavirus
Gastroenteritis
1–3 d
Fäkal-oral
Bis zum Ende der klinischen Symptomatik, mindestens jedoch 1 Woche.Bei Verbleib im
Krankenhaus aus anderen Gründen: Antigentest einmal pro Woche wiederholen bis negativ.
Einzelzimmer oder Kohortenisolierung.Kittel, Handschuhe, Windeln sofort entsorgen,
viruzide Umgebungsdesinfektion
Varicella-Zoster Virus1
Windpocken (Varizellen), Herpes Zoster
14–21 d
AerogenTröpfcheninfektion
3 d vor Ausbruch des Exanthems bis etwa 7 d nach Auftreten der ersten Bläschen (alle
Läsionen verkrustet).Abwehrgeschwächte Patienten mit protrahierten Varizellen sind
kontagiös, solange neue Läsionen auftraten bzw. bis alle Läsionen verkrustet sind.
Einzelzimmer mit Schleuse (es darf nur jeweils eine von beiden Türen geöffnet werden),
falls vorhanden: Unterdruckbelüftung.
Das „Auslüften“ in der Schleuse ist obsolet.
1
Prophylaxe nach Exposition durch Inkubationsimpfung (nur immunkompetente Kinder!)
oder Aciclovir und ggf. Hyperimmunglobulin VZV; Inkubationsimpfung (nur immunkompetente
Kinder!) oder Standardimmunglobulin (0,5 g/kg einmalig).
Prinzipiell sollte dem Behandlungsteam der eigene Immun-/Immunisierungsstatus bekannt
sein (betriebsärztliche Untersuchung). Das gilt in pädiatrischen Behandlungseinheiten
für Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Tetanus, Varizellen, Parvovirus B19, EBV und
CMV sowie für HIV, Hepatitis A, B und C und für Tbc (GT10).
5.14
HNO-Heilkunde
Horst Luckhaupt und Axel Kramer
Auch in der HNO-Heilkunde basiert die Infektionsprävention auf dem konsequenten Einhalten
der Basishygiene ergänzt durch fachspezifische Besonderheiten.
5.14.1
Risiko für NI
Operationen: Bei sauber-kontaminierten OPs ohne PAP betrug die Inzidenz von SSI in
der Krebschirurgie Infektionen, nosokomialeHals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Surgical Site InfectionsHals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeOperationenim Kopf-Hals-Bereich 30–80 % (Penela et al. 2001).
Aber auch bei adäquater PAP betrug die Inzidenz bis 40 % (Velanovich 1991). Als Risikofaktoren
wurden männliches Geschlecht, vorangegangene Chemotherapie, präoperative Hospitalisierungsdauer,
hypopharyngeale Lokalisation und Tracheostoma nach Laryngektomie identifiziert (Penela
et al. 2005).
Nach Strumektomie und Stapedektomie ist die SSI-Rate sehr niedrig und konnte nach
Einführung einer Surveillance bis auf Null gesenkt werden (Preyer et al. 2005). Weitere
Möglichkeiten für SSI sind Septumabszess nach rhinochirurgischen Eingriffen und Ohrmuschel-Perichondritis
nach Ohr-OP. In den 90er-Jahren wurde die Häufigkeit mit 0,5–0,9 % angegeben (Schu
1992).
Nach länger liegender vorderer oder hinterer Nasentamponade kann über die Tuba Eustachii
eine Otitis media acuta entstehen.
Auf Intensivstationen werden bei Intubation, nasotracheale, Infektionsrisiko
Sonde, nasogastrale, InfektionsrisikoPatienten mit nasotrachealer Intubation und nasogastralen
Sonden gelegentlich nosokomiale Sinusitiden beobachtet. Hier sollte ein Erregernachweis,
z. B. durch endoskopisch gewonnenen Abstrich aus dem mittleren Nasengang oder Punktion
geeigneten Materials aus der Kieferhöhle, angestrebt werden. Neben typischen Erregern
wie S. pneumoniae, H. influenzae und M. catarrhalis muss auch mit gramnegativen Bakterien,
Anaerobiern und selten mit Pilzen gerechnet werden (Luckhaupt, Hildmann und Opferkuch
1996). Die Therapie umfasst abschwellende Maßnahmen und eine gezielte antibakterielle
und/oder antimykotische Behandlung bei therapierefraktärem Verlauf oder Komplikationen,
ggf. auch operative Eingriffe an den Nasennebenhöhlen.
Lokale Infektionen des Tracheostomas sind häufig das Resultat permanenter Sekretexposition,
u. U. aber auch der Unverträglichkeit des Materials.
Bei der Endoskopie können Endoskopie, HNOErreger durch das Endoskop eingebracht werden,
wenn sich nach dessen Einsatz keine sichere Aufbereitung anschließt. Darüber hinaus
können auch ordnungsgemäß aufbereitete Endoskope über das Personal, die Umgebung oder
vom Patienten kontaminiert und zu einer Kontaminationsquelle werden, wenn die Grundsätze
der Basishygiene nicht eingehalten werden. Das Infektionsrisiko hängt von Art und
Ausmaß der Gewebetraumatisierung, der lokalen und systemischen Abwehrlage des Patienten
und vom Erreger ab. Wird bei endoskopisch gestützten OPs die Schleimhautbarriere durchbrochen,
erhöht sich das Infektionsrisiko mit der Invasivität des Eingriffs (Hosemann und Draf
2013).
Selbst bei rhino-neurochirurgischen Eingriffen mit breitflächiger Eröffnung der Dura
wurden die Rate intrakranieller Infektionen mit 1,6 % und die infektionsbedingte Mortalität
mit 0,125 % angegeben, waren also vergleichbar mit nicht endoskopischen transkraniellen
Eingriffen (Kassam et al 2010).
5.14.2
Erregerspektrum
Im Vestibulum nasi Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeErregerspektrumi dominieren als Erreger
von NI S. aureus (selten auch MRSA), gefolgt von S. pneumoniae und anderen Streptokokken,
C. albicans, gramnegativen Erregern wie Klebsiella spp., E. coli, Proteus spp., H.
influenzae und P. aeruginosa sowie Vertretern der Standortflora wie Bacteroides spp.
und Corynebacterium spp. (Toda 2006). 2003 wurde das Creutzfeldt-Jakob-Prion-Protein
(PrPSc) bei Verstorbenen mit sporadischer CJD im Riechepithel nachgewiesen (Zanusso
et al. 2003), sodass in der KRINKO-BfArM-Empfehlung (2012a) olfaktorisches Epithel
bei chirurgischen HNO-Eingriffen als Risikogewebe definiert wurde. Nachweise mittels
Bürstenzytologien deuten darauf hin, dass eine weitere Risikoabklärung nötig ist (Orrú
et al. 2014)
In der Mundhöhle überwiegen aerobe Organismen, während im subgingivalen Raum Anaerobier
wie Actinomyceten, Fusobakterien ud Peptostreptokokken siedeln.
An viralen Erregern sind im oberen Respirationstrakt insbesondere Rhino-, Corona-,
Coxsackie A-, Influenza A-, RS-, Adeno- und Parainfluenza-, aber auch Enteroviren
relevant (Nicholson et al. 1997, Chonmaitree et al. 2008).
Die Nasennebenhöhlen und der Larynx sind trotz der Erregerdichte und -vielfalt in
den angrenzenden Biotopen physiologisch nicht kolonisiert (Abou-Hamad et al. 2009).
5.14.3
Prävention von NI/SSI
Bezüglich der Risikofaktoren und Anforderungen der Hygiene an HNO-chirurgische OPs
gelten die gleichen Grundsätze wie bei chirurgischen Eingriffen in anderen Fachdisziplinen
(Kap. 5.5). Zur PAP Kap. 2.10.7.
Präoperatives Screening auf MRE
Patienten, Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeMRE-Screening
MRE-ScreeningHals-Nasen-Ohren-Heilkundebei denen Risikofaktoren für die Kolonisation
mit MRSA oder MRGN vorliegen, sollten nach Empfehlungen der KRINKO zeitnah vor elektiven
Eingriffen identifiziert und mikrobiologisch untersucht werden, sofern sich durch
die genannten Erreger eine zusätzliche Gefährdung ergeben würde (KRINKO 2012c, 2014).
Das ambulante Screening auf MRSA wird bei Risikopatienten (Kap. 3.7.4) seit 2012 vergütet
(trifft nicht für MRGN zu); allerdings nicht für diagnostische Endoskopien.
Wahl des Antiseptikums
Unbefriedigend Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeAntiseptik
AntiseptikHals-Nasen-Ohren-Heilkundeist die Datenlage zum Einsatz von Antiseptika
in der HNO-Heilkunde (Müller 2008). Eine Reihe von OPs findet in kolonisierten Bereichen
statt, z. B. Adenotomien, Tonsillektomien, Nasen- und Nasennebenhöhlen-Eingriffe.
Damit verbunden kommt es zu transienter Bakteriämie z. B. während und nach Tonsillektomie.
Ein wirksames Antiseptikum zur Anwendung auf Schleimhäuten vor diagnostischen und
operativen Eingriffen ist OCT (Kap. 2.2), das OctenidinHNO-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeOctenidinauch zur MRSA-Sanierung im Vestibulum nasi eingesetzt
wird (Hübner et al. 2009). Polihexanid, ebenfalls PolihexanidHals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundePolihexanidein zugelassenes Schleimhautantiseptikum, ist
im Unterschied zu OCT ≤ 0,005 % knorpelverträglich (Hübner und Kramer 2010), allerdings
ist es OCT in vitro in der Wirksamkeit deutlich unterlegen (Koburger et al. 2010).
Für beide Antiseptika liegen keine Untersuchungen zum Einfluss auf die SSI-Rate vor.
Unabhängig davon hat sich Polihexanid im Fachgebiet der HNO als Wundantiseptikum bei
schlecht heilenden oder chronischen Wunden z. B. nach großen tumorchirurgischen Eingriffen
mit Wundheilungsstörungen bewährt. Auch bei Weichteilphlegmonen und Osteomyelitis
(z. B. radiogene Unterkieferosteomyelitis) ist Polihexanid verträglich und wirksam.
•
Die Anwendung von OCT ist am Trommelfell ist kontraindiziert (Müller 2008).
•
Die Anwendung von CHX und Polyhexanid am Mittelohr (z. B. chronische Otitis media)
ist wegen möglicher ototoxischer Effekte kontraindiziert.
Die Anwendung von CHX inChlorhexidinHNO-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeChlorhexidin der Mundhöhle sollte wegen der zytotoxischen
und mutagenen Potenz sowie der Induktion prämaligner Veränderungen auf 14 d begrenzt
werden (Müller 2008). Hinzu kommt das Risiko der Anaphylaxie. OCT ist identisch wirksam
zur Mundhöhlenantiseptik (Welk et al. in rev.), aber ohne die für CHX relevanten toxischen
Risiken.
Ein aussichtsreiches hoch wirksames, gut schleimhautverträgliches Antiseptikum, für
das kein neurotoxisches Risiko bekannt ist, ist die NatriumhypochloritHNO-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeNatriumhypochloritKombination von Natriumhypochlorit mit
hypochloriger Säure (Kap. 2.2). Durch kombinierte Anwendung von Antibiotika und sinonasale
Spülung mit der Hypochlorit-Lösung, die mehrfach täglich durchgeführt werden muss,
da Hypochlorit vermutlich keine remanente Wirkung besitzt, konnte eine MRSA-Osteitis
im Bereich der Schädelbasis saniert werden (Küster et al. in rev.).
Eine vernachlässigbare Rolle (unter Beachtung der Kontraindikation, Kap. 2.2) im HNO-Gebiet
spielt PVP-Iod. Nur bei Schnitt- und Stichverletzungen mit HIV-, HBV-, HCV-Gefährdung
(Kap. 5.29.4) sowie Tierbissen ist die Povidon-IodHNO-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundePVP-IodKombination von PVP-Iod mit Alkohol indiziert (Kramer
et al. 2010d).
Versorgung von Tracheostomata
Besondere Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeTracheostomaversorgung
Tracheostomaversorgungklinische Bedeutung kommt dem sachgerechten Umgang mit Tracheostomata
zu. Das gilt sowohl für Patienten mit temporärer als auch für solche mit permanenter
Tracheostomie und nach Laryngektomie. Die Tracheostomie ist ein invasiver Eingriff,
der die Trachealschleimhaut in ihrer Abwehrfunktion beeinträchtigt; klinische Bedeutung
kommt dem möglichen Sekretstau zu.
Alle Manipulationen am Tracheostoma sind unter aseptischen Bedingungen durchzuführen.
Die Stomawunde ist insbesondere in den ersten Tagen nach Tracheostomie infektionsgefährdet.
Bei Patienten mit frischem Tracheostoma wird der Verband nach Händedesinfektion mit
einer Pinzette entfernt, falls erforderlich, wird abgesaugt, die Luftröhrenkanüle
entfernt und z. B. in desinfizierter Nierenschale abgelegt. Nach erneuter Händedesinfektion
und Überziehen steriler Handschuhe erfolgt die Reinigung der Wundränder (z. B. mit
OCT- oder Polihexanid-basierten Antiseptika). Nach Einsetzen einer neuen Trachealkanüle
wird eine sterile Schlitzkompresse untergelegt und die Kanüle fixiert.
Die Pneumonie ist die häufigste NI bei Patienten nach Laryngektomie und tritt insbesondere
in den ersten Wochen nach der OP auf. Sie kann zuverlässig durch spezielle Hygienemaßnahmen
beim Absaugen und bei der Befeuchtung der Atemluft verhindert oder zumindest in der
Häufigkeit ihres Auftretens deutlich gesenkt werden (Schu 1992).
Aufbereitung fachspezifischer Medizinprodukte
Gemäß MedizinprodukteaufbereitungHNO-Heilkunde
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeMedizinprodukteaufbereitungMedizinproduktebetreiberverordnung
(2014) ist der Hersteller von MP verpflichtet, den Aufbereitungsprozess auf der Grundlage
der von ihm durchgeführten Prozessvalidierung im Detail vorzugeben. Leider bestehen
diesbezüglich weltweit z. T. erhebliche Defizite von Seiten der Hersteller (Kap. 6.1).
Risikoklassifizierung
HNO-Ärzte in Praxis und Klinik müssen beachten, dass mit Krankheitserregern kontaminierte
MP eine Infektionsquelle im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen sein können.
Das gilt insbesondere für semikritische und kritische MP (Kap. 2.9.5, Tab. 5.25
). Trotz der einfachen Aufbereitbarkeit waren bei einer Analyse von Otoskopen unmittelbar
vor der Anwendung am Patienten 90 % der Griffe mikrobiell kontaminiert, davon 45 %
mit S. aureus und 10 % mit MRSA (Cohen et al. 1997). Das verdeutlicht, dass auch MP
semikritisch A validiert aufbereitet werden müssen.
Tab. 5.25
Risikoklassifikation typischer in der HNO genutzter MP
Semikritisch A
Semikritisch B
Kritisch A
Kritisch B
KehlkopfspiegelMundspatelNasenspekulaPinzettenStarre und flexible Optiken ohne ArbeitskanalWatteträger
Griff für KehlkopfspiegelNasensaugerOhrzängelchenSpeicheldrüsenkatheterTonsillensaugerTubenkatheterZerstäuber
(für Kehlkopf)Starre Optiken mit Arbeitskanal
Drahtschlingen für NasenchirurgieElevatoriumMeißelMetallhammerParazentesemesserRaspatoriumRaspelRund-,
SichelmesserScharfe LöffelSeptummesserTonsillenschlinger
Hammerkopf-StanzeKnochenzangenKnorpelquetschzangeKonchotomMP für KoniotomieMP für
MikrolaryngoskopieMP für TracheotomieMundsperrerNasenschere, -zangeOhrhandstück mit
FräseOhrschlingenSpeichelgangschereTonsillenabszesszangeTonsillenkompressoriumTonsillenschnürerWundsperrer
(nach Stasche und Hartwig-Bade 2010)
Räumliche Anforderungen
Das räumliche Umfeld muss die ordnungsgemäße Aufbereitung ermöglichen. Alle Oberflächen
im Untersuchungsraum müssen nass zu reinigen und desinfizierbar sein. Die Untersuchungsräume
müssen eine ausreichende Bewegungsfreiheit gewährleisten, um Kreuzkontaminationen
zwischen unreinen und reinen Zonen im Bereich der Aufbereitung oder zwischen dem Patienten
und seinem Umfeld zu vermeiden. Sofern für die Aufbereitung der Endoskope eine ausreichende
Arbeitsfläche vorhanden ist, die eine Trennung der unreinen bzw. reinen Zone ermöglicht
(KRINKO 2012a), kann die Aufbereitung im Sprechzimmer erfolgen. Zur manuellen Aufbereitung
ist ein doppeltes Spülbecken zu empfehlen, um eine aerogene Rekontamination bei der
Schlussspülung auf der reinen Seite zu vermeiden (Sissoko et al. 2005).
Aufbereitung von Laryngoskopen und starren Endoskopen
Gemäß KRINKO-BfArM-Empfehlung (2012) ist Laryngoskope, Aufbereitung
Endoskopie, HNOEndoskope, starre, Aufbereitung
Endoskopie, HNOLaryngoskope, Aufbereitung
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeEndoskope, starre, Aufbereitung
Hals-Nasen-Ohren-HeilkundeLaryngoskope, Aufbereitungsowohl die maschinelle als auch
die manuelle Aufbereitung statthaft, auch wenn im Hinblick auf den geringeren Zeit-
und Personalaufwand und insbesondere wegen der einfacheren Standardisierung die maschinelle
Aufbereitung State of the Art ist.
Validierung: Während die Validierung der maschinellen Aufbereitung oft vom Hersteller
durchgeführt wird (DGKH 2011, 2014), muss die Validierung einer manuellen Aufbereitung
mit jedem Teilschritt vom Anwender selbst oder im Auftrag von ihm vorgenommen werden.
Für die Desinfektion sollen nur vom VAH zertifizierte Instrumentendesinfektionsmittel
eingesetzt werden, deren Effektivität und Materialverträglichkeit für das jeweilige
MP nachgewiesen ist. Sinngemäß gilt Gleiches für die vorausgehende Reinigung und die
Schlussspülung, d. h. der Gesamtprozess muss in seinen Einzelschritten definiert,
validiert und in einer SOP festgelegt werden. Die SOP muss ausdrücklich alle kritischen
Verfahrensschritte benennen. Diese werden periodisch geprüft, um die anhaltende Wirksamkeit
zu belegen (Kramer et al. 2015).
Einmal jährlich muss die Aufbereitungsqualität jedes Endoskops überprüft werden. Sind
die mikrobiologischen Befunde zu beanstanden, erfolgt eine Nachkontrolle.
Die Reinigung als erster Aufbereitungsschritt muss mit nicht fixierenden Mitteln vorgenommen
werden; andernfalls kann am MP koaguliertes Eiweiß die Desinfektionswirkung infrage
stellen (RKI 2013c). Aus diesem Grund wird der Einsatz von Glutaral und Peressigsäure
nicht zur Vorreinigung und Reinigung empfohlen (Kampf, Fliss und Martiny 2014). Das
Instrumentendesinfektionsmittel muss bakterizid einschließlich Mykobakterien, fungizid
und viruzid wirken. Sofern das Riechepithel penetriert wird oder Gewebeproben aus
der Regio olfactoria entnommen werden, wird zusätzlich Wirksamkeit gegen Prionen als
notwendig angesehen (KRINKO und BfArM 2012).
Die manuelle Aufbereitung erfolgt unter Beachtung des Personalschutzes (Handschuhe,
ggf. Schutzkittel und Augenschutz) und der Herstellerangaben in vier (bis fünf) Schritten
(Kramer et al. 2015):
1.
Manuelle Vorreinigung/Reinigung: Unmittelbar nach Beendigung der Untersuchung wird
das Einführungsteil z. B. mit wasserfeuchter Kompresse abgewischt, um grobe Verunreinigungen
zu entfernen und ein Antrocknen organischer Materialien zu vermeiden. Danach wird
das Endoskop mit Leitungswasser gespült und z. B. mit flusenfreiem Einmaltuch getrocknet.
Dadurch soll eine Verdünnung des Desinfektionsmittels im zweiten Schritt verhindert
werden.
2.
Sofern das Riechepithel im Verlauf der Endoskopie definitiv penetriert wurde, ist
nach der Vorreinigung als Zwischenschritt ein Einlegen in ein prionwirksames Mittel
vorzunehmen, z. B. in 6 molare Lösung von GdSCN für 15 min (Boldt et al. 2014).
3.
Desinfektion: Das gereinigte Endoskop wird in die Desinfektionsmittellösung eingestellt
(Auswahl des viruziden Mittels, Konzentration und Einwirkzeit nach Herstellerangaben).
Dafür sind passende Einsätze zu verwenden. Das Instrumentarium muss vollständig benetzt
sein (außer Okular mit Stutzen zur Lichtzufuhr). Es dürfen keine Hohlräume oder Luftblasen
bestehen. Der Griffteil des Endoskops wird mit dem gleichen Desinfektionsmittel, das
zur Tauchdesinfektion benutzt wird, desinfizierend nass gereinigt. Die Desinfektionsmittellösung
bzw. die Einsätze sind arbeitstäglich und zusätzlich bei sichtbarer Kontamination
zu wechseln bzw. desinfizierend zu reinigen.
4.
Schlussspülung: Nach der Desinfektion wird das Endoskop gründlich mit Leitungswasser
gespült. Da die hierfür erforderliche Trinkwasserqualität ohne fortlaufende mikrobiologische
Überwachung nicht sichergestellt werden kann, wird empfohlen, für die Spülung mithilfe
endständiger Sterilfilter am Wasserauslass filtriertes Wasser zu verwenden (KRINKO
und BfArM 2012)
5.
Trocknung/Lagerung: Abschließend werden der Außenmantel des Endoskops mit frischem
Einmaltuch abgetrocknet und die Sauberkeit und Unversehrtheit des MP visuell überprüft.
Bis zur nächsten Anwendung wird das Endoskop trocken und staubgeschützt gelagert.
Hohlinstrumente aus der HNO-Praxis sollen generell nicht durch alleiniges Einlegen
in Desinfektionslösung aufbereitet werden. Die Innenaufbereitung im RDG mit Spülanschluss
gewährleistet die erforderliche Sicherheit. Flexible und starre Endoskope mit Manipulations-
und/oder mit Luftinsufflationskanal können aber auch manuell aufbereitet werden, weil
der Lumendurchmesser das manuelle Durchspülen erlaubt (Kap. 5.17.3).
Endoskope mit mehreren ineinander schiebbaren Röhren und eingeschobener Hopkins-Optik
müssen vor der Aufbereitung komplett zerlegt werden, weil nur so alle inneren und
äußeren Oberflächen der Reinigung und Desinfektion zugänglich sind (Weidenfeller und
Reick 2010). Bei der Reinigung von Geräten mit Lichtleitern im Ultraschallbad entstehen
irreparable Schäden.
Die gelegentlich beschriebene Praxis, Laryngoskope nach Gebrauch lediglich mit alkoholgetränkten
Kompressen abzuwischen, ist abzulehnen. Sofern Laryngoskope zwischen den Einsätzen
nur einer Wischdesinfektion unterzogen wurden (Call et al. 2009) waren sie in 22 %
und vor der Anwendung (durch zwischenzeitige Kontamination) in 86 % mit kritischen
Pathogenen kontaminiert (Lowman, Venter und Scribante 2013).
Aufbereitung der HNO-Behandlungseinheit
Wasserführende Teile derHals-Nasen-Ohren-HeilkundeBehandlungseinheit, Aufbereitung
HNO-Behandlungseinheit sind anfällig für Biofilmbildung (Kap. 6.6.1). Bei Neuanschaffung
empfiehlt sich der Verzicht auf Wasserinstallation und als Alternative ein mobiles
Ohrspülgerät. Andernfalls sollten Ohrspülungen mit steril filtriertem Wasser durchgeführt
werden.
Bakteriendichte Filter sind heute Standard bei den Absaugeinrichtungen der Behandlungseinheiten.
Die Stirnlampe für die HNO-Untersuchung und Lichtleiter werden täglich wischdesinfiziert.
Die Behandlungseinheit wird täglich und zusätzlich bei sichtbarer Kontamination mit
einem vom Hersteller empfohlenen Flächendesinfektionsmittel der desinfizierenden Reinigung
unterzogen (Weidenfeller und Reick 2010).
5.14.4
Künftige Herausforderungen
Die hygienischen Standards sind offensichtlich in der Lage, die Rate bekannt gewordener
Infektionen gering zu halten. Das entbindet jedoch nicht von der Verpflichtung, hygienische
Voraussetzungen fortlaufend in die Behandlungsabläufe zu integrieren.
Gerade in Funktionsbereichen mit hoher Dichte an Eingriffen und hohem Patientendurchsatz
wie in der HNO kommt der Prozessoptimierung unter Einbeziehung von Hygiene und Patientensicherheit
eine entscheidende Bedeutung zu (Kramer et al. 2015). Die Notwendigkeit hierfür wird
durch eine orientierende Auswertung des Hygienestatus in überwiegend ambulant tätigen
HNO-Praxen verdeutlicht. Im Ergebnis wurden z. T. gravierende Mängel bei der Realisierung
der Händehygiene angegeben. Auch im Hinblick auf die Rahmenbedingungen der Aufbereitung
von MP wurden Defizite deutlich, was sich mit Berichten aus der Literatur deckt (BMG
2008, Fuchs 2010, Heudorf 2011).
In jeder operativ tätigen Einrichtung ist aufgrundlage des absolvierten Curriculums
bis 2016 ein hygienebeauftragter Arzt zu benennen (IfSG 2011). Das betrifft jedoch
nicht Einrichtungen, in denen ausschließlich diagnostische HNO-Untersuchungen durchgeführt
werden. Für operativ tätige Einrichtungen ist die prospektive klinische Überwachung
(Surveillance) von SSI verpflichtend. Es empfiehlt sich, zur Erfüllung der Vorgabe
eine repräsentative „Markeroperation“ auszuwählen (KRINKO 2001). Ebenso sind das Auftreten
spezieller Krankheitserreger sowie Art und Umfang des Antibiotikaverbrauchs fortlaufend
aufzuzeichnen, zu bewerten und mindestens 10 Jahre aufzubewahren.
Auch wenn NI in der HNO-Heilkunde eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, ist
ein konsequentes Hygienemanagement in HNO-Praxis und -Klinik unverzichtbarer Bestandteil
zur Gewährleistung der Patientensicherheit.
5.15
Ophthalmologie
Wolfgang Behrens-Baumann, Uwe Pleyer, Axel Kramer und Stefan Clemens
5.15.1
Risikofaktoren für NI
Nach OphthalmologieInfektionsrisiko
Infektionen, nosokomialeOphthalmologieder Art der Entstehung ist zwischen SSI und
ohne chirurgischen Eingriff entstandenen NI zu unterscheiden. Bei ersteren ist ein
Infektionsrisiko bei intraokular eingebrachten Wirkstoffen (Makuladegeneration, -ödem,
Uveitis u. a.) in der refraktiven Chirurgie (LASIK, PRK, Crosslinking, IOL) sowie
bei additiv ins Auge eingeführten Hilfsmitteln (u. a. Glaukomdrainagen) gegeben. Allgemeine
Risikokonstellationen sind unvollständiger Lidschluss, das trockene Auge, Vitaminmangel,
Innervations- und Durchblutungsstörungen, Bindehautdehiszenzen, Fistulationen, im
Auge befindliche Fremdkörper, Träger weicher Kontaktlinsen, Diabetes mellitus, Immunsuppression,
Früh- und Neugeborene, hohes Alter, Malnutrition sowie exogen auf das intakte Auge
übertragbare Infektionen (Seewoodhary und Stevens 1999).
Hauptüberträger exogener NI sind unzureichend oder nicht desinfizierte Hände, insbesondere
die ungeschützte Hand des Untersuchers, fehlender MNS, kontaminierte Untersuchungsgeräte
(z. B. Kontakttonometer), Ophthalmika und intraoperativ eingesetzte MP (z. B. Silikonschläuche
für Phakoemulsifikations- und Vitrektomiegeräte), aber auch Mitpatienten und Besucher.
Bei Diabetes mellitus ist das SSI-Risiko für alle intraokulären Eingriffe 2- bis 3-fach
höher (Tolentino et al. 1984).
5.15.2
Mikroflora des Auges
Konjunktivalsekretproben sind Auge
AugeMikroflorapräoperativ in hohem Prozentsatz positiv (Schumacher 1993), wobei in
46–75 % der Proben potenziell pathogene Erreger nachweisbar sind (Tab. 5.26
). Von über 65 in der Konjunktivalflora nachgewiesenen Bakterienarten dominieren grampositive
Bakterien wie KNS, Propionibacterium- und Corynebacterium-Spezies sowie Angehörige
der Gattungen Peptostreptococcus, Streptococcus und Actinomyces. Unter den gramnegativen
Bakterien herrschen Vertreter der Gattungen Neisseria und Haemophilus und aus der
Familie der Enterobacteriaceae Proteus spp. vor (Boltze et al. 1990, Schumacher 1993).
Tab. 5.26
Mikrobiologische Befunde präoperativer Bindehautabstriche
Positiver Abstrich
Anteil am Erregerspektrum
Literatur
51 %
KNS (40 %), S. aureus (4 %),
E. coli, Enterokokken, S. faecalis, vergrünende Streptokokken (je 1 %), Korynebakterien
(3 %)
Behrens-Baumann, Dobrinski und Zimmermann (1988)
62 %
KNS (62 %), S. aureus (14 %), gramnegative Bakterien (9 %)
Bialasiewicz und Welt (1991)
75 %
KNS (66 %), S. aureus (9 %), Anaerobier (11 %)
Boes et al. (1992)
76 %
KNS (90 %), P. acnes (62 %), Korynebakterien (18 %), Peptostreptokokken (3 %)
Doyle et al. (1995)
Typische Hautflora (Cogen et al. 2008) wird nach Inzisionen trotz Antiseptik in bis
zu 15 % festgestellt. Aus oberflächlichen Schichten lassen sich vor allem S. epidermidis,
aus den tiefen Koryne- und Propionibakterien nachweisen (Osato 1996). In rund 50 %
der tiefen Hautschichten und Haarfollikel ist S. aureus nachweisbar. Die Besiedlung
der Konjunktiva mit Pilzen nimmt im Laufe des Lebens zu (Hemmeke 1960), wobei Umwelteinflüsse
von Bedeutung sind (z. B. bei Landwirten). Die Entnahmetechnik und ob vorher Antibiotika
appliziert worden waren, spielen für das Ergebnis der Abstrichuntersuchung eine entscheidende
Rolle (Ta et al 2002).
Die Tränenflüssigkeit enthält AugeTränenflüssigkeit
Tränenflüssigkeitzu einem Drittel der Proteinfraktion Lysozym. Weitere Komponenten
sind Laktoferrin, Coeruloplasmin, β-Lysin, Komplement, Faktoren des alternativen Wegs
und Muzine. Im Rahmen der spezifischen zellgebundenen Abwehr sind antigenpräsentierende
Zellen, Makrophagen und Langerhans-Zellen in Funktion. Auch Antikörper gegen Viren
sind in der Tränenflüssigkeit nachweisbar. Die Bindehaut besitzt eine stark auf Entzündungsreize
reagierende Vaskularisation mit einem zusätzlichen spezifischen schleimhautassoziierten
Abwehrsystem. Hinzu kommen die Lymphgefäße im Gegensatz zum Augeninneren, das keine
Lymphgefäße und -gewebe besitzt. Außerdem verfügt die Bindehaut über unspezifische
und spezifische Abwehrmechanismen. In den USA betrug die Häufigkeit der nosokomialen
Konjunktivitis bei Neugeborenen auf der ITS 5 % (Haas et al. 2005). Bei erwachsenen
ITS-Patienten wurden als Risikofaktoren für die Entstehung einer nosokomialen Konjunktivitis
Personalmangel, nasogastrische Sonde, Beatmung und wiederholte Bronchoskopie identifiziert
(Halwani et al. 2006).
Zum Verständnis der Infektionswege ist die Kenntnis des anatomischen und funktionellen
Aufbaus von Lidern, Tränenorganen und Hornhaut erforderlich.
5.15.3
Typisch ophthalmologische NI
Etwa 0,3 % aller NI ereignen sich in der Augenheilkunde (Peacock 1997).
Vorderabschnittinfektionen
In Vorderabschnittinfektionen
AugeVorderabschnittinfektionen
OphthalmologieVorderabschnittinfektionender Ätiologie der Vorderabschnittinfektionen
hat ein Erregerwandel stattgefunden, der im Gesamtkonzept der antiinfektiösen Maßnahmen
zu berücksichtigen ist. So sind neben dem bisher bekannten Erregerspektrum (Kap. 5.15.6)
zunehmend MRSA (Walvick und Khan 2013) und andere MRE relevant.
Blepharitis
Die Lidhaut Blepharitis
VorderabschnittinfektionenBlepharitis
AugeBlepharitis
OphthalmologieBlepharitishat durch ihre Trockenheit, den Säuremantel und die Sezernierung
von Fett eine mikrobiostatische Wirkung. Staphylokokken, Streptokokken und Candida
spp. können gehemmt werden, gramnegative Bakterien werden weniger beeinflusst (Bialasiewicz
1991). Erworbene Blepharitiden können als Sekundärinfektionen bei Konjunktivitiden
oder Infektionen des Auges selbst oder auch bei dermatologischen Erkrankungen wie
Rosazea vorkommen. Nekrotisierende Blepharitiden kommen vor bei Mukormykosen oder
Pseudomonasinfektionen bei Patienten mit eingeschränkter Immunabwehr und nach längerem
Krankenhausaufenthalt. Häufiger sind Infektionen durch Staphylokokken. Eine differenzierende
Einteilung hat McCulley 1982 und 2000 vorgestellt.
Konjunktivitis
Die Konjunktivitis
VorderabschnittinfektionenKonjunktivitis
AugeKonjunktivitis
OphthalmologieKonjunktivitismeisten NI treten als Konjunktivitis auf (Wang et al.
2006). Bei Intensivneonaten wurde eine nosokomiale Konjunktivitis in 5–38 % beobachtet.
Dominierende Erreger waren CNS, S. aureus, Klebsiella spp., E. coli, S. marcescens,
P. aeruginosa und Enterobacter spp. (Chen und Starr 2008; Haas et al. 2005). Risikofaktoren
waren geringes Geburtsgewicht und Kontamination des Auges durch respiratorische Sekrete.
Während vor 20–30 Jahren S. pneumoniae, C. diphtheriae und Moraxella spp. dominierten,
stehen derzeit in Abhängigkeit von Alter und geographischen Einflüssen andere Erreger
im Vordergrund (Tab. 5.27
). In absteigender Reihenfolge werden folgende Stämme bei der Konjunktivitis gefunden:
KNS in 22 %, S. aureus in 19 %, Streptokokken, Pneumokokken, H. influenzae und P.
aeruginosa in jeweils 9 % (Tab. 5.27).
Tab. 5.27
Erreger von VorderabschnittinfektionenVorderabschnittinfektionenErregerspektrum
Infektion
Ätiologie
Konjunktivitis
Membranös
β-hämolysierende Streptokokken,
N. gonorrhoeae
Pseudomembranös
N. menigitidis, S. pneumoniae, P. aeruginosa, E. coli, S. aureus
Ulzerierend, nekrotisierend, hämorrhagisch
Viren
Follikulär
Staphylokokken, Korynebakterien, Haemophilus, Streptokokken, Proteus spp., Chlamydien,
HSV-1, Adenoviren
Granulomatös
Mykobakterien, Pilze
Keratitis
S. aureus, P. aeruginosa, P. mirabilis, E. coli, HSV, Adenoviren, Pilze, Acanthamaeba
spp.
(nach Kramer et al. 1997)
HSV 2 kann durch den Geburtskanal der klinisch inapparent infizierten Mutter übertragen
werden und neben Augeninfektionen zu schweren systemischen Infektionen führen, was
eine Indikation zur Sektio sein kann (Riley 1998). Die Infektion des ersten Auges
kann auf das unversehrte zweite Auge übergreifen.
An reizfrei persistierenden fakultativ pathogenen Erregern kommen derzeit vor allem
S. epidermidis und andere Staphylokokkenstämme infrage, die in der Ätiologie sog.
endogener Infektionen dominieren. Die genitookulare Chlamydieninfektion (15 Serotypen)
führt beim Neugeborenen zur Ophthalmia neonatorumOphthalmia neonatorum. Bei Kindern
und Erwachsenen verursachen Chlamydien eine follikuläre Konjunktivitis, selten auch
eine akute Hornhautinfiltration. Unbehandelt kann es durch chronische Umbauprozesse
an der Konjunktiva mit sekundärer Einwirkung auf die Hornhaut zu anhaltenden Sehstörungen
kommen (Behrens-Baumann et al. 2007).
Epithelläsion der Hornhaut
Kontaktinfektionen können durch Mikroläsionen (nachweisbar durch Anfärbung mit Fluoreszein)
begünstigt werden. Das gilt für Bakterien, Pilze nach Verletzungen mit organischem
Material und Herpesviren. Im Stadium der Vermehrung werden die Mechanismen der Resistenz
und Immunabwehr mobilisiert (z. B. IgA in der Tränenflüssigkeit, Lysozym, weitere
Immunglobuline, zellvermittelte Abwehr, Opsonierung, Thiocyanat-H2O2-Peroxidase-Systeme,
Lysierung und Komplementkaskade), sodass sich die Infektion im Allgemeinen nicht manifestiert.
Keratitis
KeratitidenKeratitis
VorderabschnittinfektionenKeratitis
AugeKeratitis
OphthalmologieKeratitis werden in erster Linie bei vorher symptomlosen Intensivpatienten
als exogene Infektion bei Septikämie gefunden. Die Häufigkeit von Neuinfektionen liegt
bei intubierten Patienten bei 1–3 %. Tritt eine Infektion des Respirationstrakts hinzu,
kann die Häufigkeit auf 14 % ansteigen. Ein besonderer Risikofaktor ist der Lagophthalmus
mit Benetzungsstörung und Risiko zur Entstehung eines Ulcus corneae. KeratitisErregerspektrumHaupterreger
sind S. aureus, Pneumokokken, P. aeruginosa, S. marcescens und Moraxella spp. Pilzinfektionen
durch F. solani, Aspergillus und Candida spp. sind wesentlich seltener (Kap. 5.15.6).
Keratokonjunktivis epidemica (KCE): Zu den Keratokonjunktivitis epidemicaexogen auftretenden
NI zählt die KCE, die in absteigender Reihenfolge der Häufigkeit durch Adenoviren
der Subtypen 8, 11, 19 und 37 verursacht wird und deren epidemische Ausbreitung durch
Isolierung unterbunden werden muss (Kap. 3.4.2). Sie wird direkt (Kontakt und Tröpfchen)
aber auch indirekt über kontaminierte Gegenstände wie Tonometer, Tropfpipetten oder
Handtücher übertragen (Meyer-Rüsenberg et al. 2011; Pleyer und Birnbaum 2015). Die
Abwehrmechanismen unterscheiden sich auf den einzelnen Stufen der Erregerinvasion
(Kap. 5.15.3). Die Inkubationszeit beträgt 2–12 d. Ansteckungsgefahr besteht vermutlich
schon vor Auftreten klinischer Symptome. In der Tränenflüssigkeit bleibt das Adenovirus
bis zu 4 Wochen nachweisbar (Meldepflicht!).
Bei Keratokonjunktivitis epidemicaIsolierung
IsolierungKeratokonjunktivitis epidemicastationärem Aufenthalt von Patienten mit Keratokonjunktivitis
epidemica müssen diese durch Einzelunterbringung oder Kohortenisolierung räumlich
separiert werden, sofern aus medizinischer Indikation keine sofortige Entlassung möglich
ist. Bei epidemischem Auftreten kann die vorübergehende Schließung einer Station oder
Praxis notwendig werden. Bei Kontakt mit Patienten oder infiziertem Material sind
Schutzkittel und Handschuhe zu tragen. Nach Ablegen der Handschuhe muss die Händedesinfektion
mit einem viruzid wirksamen Mittel durchgeführt werden. In der Isoliereinheit ist
die laufende viruzide Desinfektion insbesondere aller Kontaktflächen zu gewährleisten
(Kap. 2.11). Neuaufnahmen sind erst nach Schlussdesinfektion vorzunehmen (Kap. 2.4).
Bei der KCE gilt die Grundregel, dass das Auge infektiös ist, so lange es tränt.
Mykotische Keratitis: Eine generelle KeratitismykotischeDisposition für Mykosen besteht
bei Therapie mit Kortikosteroiden und Antibiotika, bei vorbestehenden Augenerkrankungen
und bei reduzierter Immunabwehr, z. B. beim Diabetes mellitus (Behrens-Baumann 1999).
Richtungsweisend sind prominente Infiltrate des Epithels und landkartenartige Infiltrationen
in der Oberfläche der Hornhaut. Kommt es zu einem Hypopyon, ist dieses zäh und pyramiden-oder
zapfenförmig zusammenhängend (Behrens-Baumann, 1999, Behrens-Baumann et al., 2010).
SSI Keratitis: Mit Surgical Site InfectionsKeratitis
KeratitisSSIzunehmender Zahl refraktiver Hornhauteingriffe (Laser in situ keratomileusis,
Lasik, Photorefraktive Keratektomie, PRK) hat das Risiko der infektiösen Keratitis
zugenommen (Linke, Richard und Katz 2011; Viestenz und Behrens-Baumann 2007) (Inzidenz
bakterieller Infektion 1/1 000–1/5 000). Interessant ist das z. T. ungewöhnliche Erregerspektrum
bei diesen Patienten; unter 116 Keratitiden befanden sich atypische Mykobakterien
(28 %), gefolgt von Staphylokokken (20 %). Als Ursache wurden kontaminierte Instrumente
und Kontaktlinsen vermutet (Donnenfeld et al. 2005)
•
Für Keratoplastiken kommt Keratoplastik
KeratitisKeratoplastikdas kolonisierte Epithel als Infektionsquelle in Betracht. Bei
der Hornhautspende muss vor allem die Übertragung von Virusinfektionen, insbesondere
von HIV, aber auch von HBV, HCV, CMV und Prionen mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
ausgeschlossen werden. Die Seroprävalenz für HIV 1 liegt bei Hornhautspendern in den
USA bei 0,3–0,84 % (Ortiz und Aaberg 1991). Wegen der möglichen Serokonversion nach
einer Latenz von bis zu 2 Jahren und der Seroreversion mit zumindest vorübergehendem
Fehlen serologischer Nachweismöglichkeiten kann es keine absolute Sicherheit für den
Ausschluss infizierter Spender geben (Dubord et al. 2013). Ist der Spender CMV-positiv,
sind zumindest Empfänger mit Immunsuppression und Abwehrschwäche von der Spende auszuschließen
(Bredehorn-Meyer, Duncker und Armitage 2009).
•
Keratoprothesen werden Keratoprothese
KeratitisKeratoprotheseals letzte Möglichkeit bei schweren Vorschäden in Betracht
gezogen – sie weisen die höchste Rate von infektiöser Keratitis auf (13,6 % bei 125
Eingriffen); eine oft eingesetzte Vancomycinprävention führte häufiger zu Keratomykosen
(Kim, Yu und Aldave 2013).
Kontaktlinsenassoziierte Keratitis: Kontaktlinsen können bereits beim Anpassvorgang
kontaminiert sein (Kramer et al. 1995). Vor allem aber kommt es durch unzureichende
Hygiene im Umgang mit bevorzugt weichen Kontaktlinsen zu Infektionen mit Bakterien,
Amöben und Fusarien. Durch das Tragen weicher Kontaktlinsen werden Veränderungen der
Sensibilität und Mikrotraumen mit erhöhter Infektionsanfälligkeit hervorgerufen. Sofern
Keratitiskontaktlinsen-assoziierteKeratitiden bei Kontaktlinsenträgern bei der Anpassung
erworben worden sind, handelt es sich um eine NI. Materialspezifische Faktoren sind
bedeutsam; die Inzidenz kontaktlinsenassoziierter mikrobieller Keratitis wird für
Linsen mit verlängerter Tragezeit (Silikon) mit 21/100 000 angegeben und bei Tageslinsen
mit 4/100 000 (damit ca. 20-fach erhöht gegenüber „Brille“; Cheng et al. 2004). Häufigste
Erreger sind Pseudomonas spp., Serratia spp., Streptokokken, Corynebakterien sowie
Akanthamöben und Pilze (Kramer et al. 1995).
Postoperative Keratitis: Sie betrifft Keratitispostoperativevor allem Infektionen
durch Tropfflaschen nach Katarakt- oder Glaukom-OP und Keratoplastiken. Postoperative
Hornhautinfektionen aufgrund von Fadenlockerungen sind aktuellen Untersuchungen zufolge
rückläufig; das wird sich aufgrund der deutlich zunehmenden Zahl lamellärer Eingriffe
(DMEK) ohne jegliche Naht weiter vermindern.
Intraokuläre Infektionen
Die Endophthalmitis lässt AugeEndophthalmitis
OphthalmologieEndophthalmitis
AugeInfektionen, intraokuläre
Endophthalmitis
EndophthalmitisÄtiologiesich auf vier wesentliche Ursachen zurückführen:
•
Postoperative Endophthalmitis nach intraokularen Eingriffen (exogen)
•
Posttraumatische Endophthalmitis nach perforierenden Verletzungen (exogen)
•
Fortgeleitete Lokalinfektion z. B. als Sickerkisseninfektion oder nach Keratitis (exogen)
•
Septisch – metastatisch besonders bei eingeschränkter Immunantwort (endogen).
Die Möglichkeit der Infektion des Augeninneren ist grundsätzlich bei jedem Bulbus
eröffnenden Eingriff gegeben. Die anatomischen Voraussetzungen für die Infektionsabwehr
des Augeninneren sind gekennzeichnet durch große Kompartimente ohne Vaskularisation
mit der Möglichkeit der Einnistung von Erregern ohne die sonst folgende lokale Abwehrreaktion
am Ort der Infektionsausbreitung. Bei geringer Zellzahl von Erregern ist eine Eindämmung
durch eingewanderte Immunzellen über die dann herabgesetzte Blut-Retina-Schranke möglich.
Kommt es zu größeren Ansammlungen von Erregern, stellt der avaskuläre Glaskörper ein
Hindernis für die Infektionsabwehr dar. Gleiche Grundsätze bestehen für die ebenfalls
avaskuläre Linse, deren Besiedlung einen Kapseldefekt voraussetzt. Abgesehen von herantransportierten
Immunfaktoren besitzt das Pigmentepithel Phagozytosefunktion.
Die EndophthalmitisErregerspektrumErregerpopulation entstammt nach vorausgehender
Kataraktoperation zu 90 % der betreffenden Konjunktivalflora (Binder 1999). In folgender
absteigender Reihenfolge wurden als Erreger KNS (S. epidermidis), S. aureus, Bacillus
spp., S. faecalis, S. viridans, Peptostreptokokken, M. morganii, Candida spp., A.
fumigatus, Bacteroides spp., E. coli, Moraxella und Alternaria spp., Corynebakterien
und P. acnes gefunden. Bei Endophthalmitis nach Kataraktoperation dominierten KNS.
Insgesamt EndophthalmitisEpidemiologiedifferieren die epidemiologischen Daten zur
Endophthalmitisrate nach Vitrektomie zwischen 0,05 und 1 % (Strmen et al. 1997, Kattan
et al. 1991), Katarakt OP einschließlich Keratoplastik zwischen 0,01 % und 0,3 % mit
z. T. abfallender Inzidenz seit 2002 (Gower et al. 2013, Fintak et al. 2008, Zell
et al. 2000, Schmitz et al. 1999, Norregaard et al. 1997, Kattan et al. 1991, Christy
und Lall 1973, Allen et al. 1964). Modifizierte und kombinierte Eingriffe sowie zusätzliche
Therapie mit 5-Fluorouracil (Wolner et al. 1991) weisen eine deutlich höhere Inzidenz
auf (Aaberg et al. 1998; Kattan et al. 1991):
•
nach sekundärer Linsenimplantation 0,3 bzw. 0,366 %,
•
nach kombinierter penetretierender Keratoplastik und Kataraktchirurgie 0,194 %,
•
nach intrakapsulärer Kataraktextraktion mit/ohne Linsenimplantation 0,093 %,
•
nach extrakapsulärer Katarakt-OP mit/ohne Linsenimplantation 0,072–0,1 % (Stark et
al. 1983),
•
nach Kataraktchirurgie mit/ohne Linssenimplantation ohne Aufschlüsselung 0,082 %,
•
nach intravitrealer Injektion 0,019–1,4 % (0,049 %; McCannel 2011),
•
bei Glaukomchirurgie 0,061 %–0,124 %, bei ungedeckter Filtration bis 9 % (Allen et
al. 1964),
•
bei komb. Trabekulektomie und Kataraktchirurgie 0,114 %,
•
bei perforierender Verletzung 0,9 % (Reich et al. 1981), bei bis zur Vitrektomie verbleibende
Fremdkörper 2–13 % (Bialasiewicz 1991; Brinton et al. 1984; Jonas et al. 2000).
Die höchste Prävalenz der postoperativen EndophthalmitisEndophthalmitispostoperative
EndophthalmitisSurgical Site Infection wird mit 5,4 % nach Keratoprothesenimplantation
(Boston Typ) mitgeteilt (v. a. grampositive Bakterien, auffällig zunehmend gramnegative
Bakterien und Pilze). Risikofaktoren sind veränderte Kommensalen und vernarbende Bindehauterkrankungen
(Steven-Johnson Syndrom, Pemphigoid). Weitere Aufschlüsselungen zu Infektionen des
Vorderabschnitts und zu intraokulären Infektionen Kap. 5.15.3.
In Abhängigkeit von der OP ergeben sich unterschiedliche intraokulare Infektionsraten.
Im Rahmen der Katarakt-OP ist stets mit einer Kontamination des Augeninneren durch
Erreger aus der Umgebung des Auges und der Bindehaut zu rechnen. Forster et al. (1989)
konnten nach einfacher Katarakt-OP in 51 % der Fälle und nach zusätzlicher Kunstlinsenimplantation
in 76 % der Fälle in der Vorderkammer Bakterien nachweisen.
Die ESCRS-Studie zum EndophthalmitisErregerspektrumAuftreten der Endophthalmitis lieferte
einen repräsentativen Überblick zur Erregerverteilung nach 13 698 Kataraktoperationen
(Barry et al. 2007; Endophthalmitis Study Group 2007). Ursächliche Erreger waren Staphylokokken,
Streptokokken, P. acnes, E. coli, Salmonella spp., Shigella spp. und Gemella haemolysans.
Die Visusprognose war bei Patienten mit Streptokokken ungünstiger als bei Patienten
mit Staphylokokken.
Nach Netzhautplombeninfektionen kann im Plombenbett eine lokalisierte Infektion mit
Durchwanderung ins Augeninnere und resultierender Endophthalmitis entstehen.
Bei schmerzärmer verlaufender Endophthalmitis sind eher Anaerobier, weniger virulente
Bakterien wie S. epidermidis oder Pilze die Ursache. S. epidermidis und Propionibakterien
haben eine längere Inkubationszeit, P. aeruginosa führt innerhalb kürzester Zeit durch
Elastasen und Endotoxine zur Denaturierung des Glaskörpers und zur Retinanekrose.
Membranbestandteile von Erregern können zu einer protrahierten toxischen Einwirkung
auf die Gewebe des Augeninneren führen, besonders nach Infektionen mit gramnegativen
Erregern.
Eine weitere bedeutsame Ursache der Erregerverschleppung sind Viskoelastika, die während
der Katarakt-OP als transparente Platzhalter verwendet werden und deren Sterilisation
hohe gerätetechnische Anforderungen stellt (Roy et al. 1997).
In der ESCRS-Studie wurde ermittelt, dass bei Implantation einer Silikon-Intraokularlinse
das Infektionsrisiko 3-mal höher und bei Clear-Cornea-Inzision 6-mal höher war als
nach korneoskleralem Tunnel (Endophthalmitis Study Group 2007). Auch MRSA können gelegentlich
zu einer Endophthalmitis nach Katarakt-OP führen. Ambulante Patienten sind weit weniger
mit MRSA kolonisiert. Streptokokken treten vor allem bei chronischer Bronchitis als
Risikoerreger auf. Bei Atopikern sind es mehr Staphylokokken.
Nach refraktiven chirurgischen Eingriffen mit Lappenbildung der Hornhaut (Flap) kann
es zur infektiösen Endophthalmitis mit Einschmelzung und ggf. Durchwanderungsendophthalmitis
kommen (Viestenz und Behrens-Baumann 2007). Die Erreger können aus dem Konjunktivalsack,
der Lidkante, den Wimpern, den eingesetzten Instrumenten, den Schwämmen zur Medikamentenapplikation
und vom Chirurgen kommen. Beteiligt sind vor allem S. aureus und S. epidermidis (Varssano
et al. 2009). Auch Pilze oder Mykobakterien können in die Interface-Lamelle gelangen
und dort eine Infektion hervorrufen. Bei diesen Erregern kommt es auch bei rein medikamentöser
Abheilung der Hornhaut zu stärkeren Trübungen und Sehbeeinträchtigungen (Chang, Jain
und Azar 2004).
Risikofaktoren: Gesicherte/vermuteteEndophthalmitisRisikofaktoren Risiken für die
Entstehung der Endophthalmitis nach Katarakt-OP sind ein komplizierter OP-Verlauf
mit Ruptur der Hinterkapsel (Garat et al. 2005; Montan et al., 2002, Montan et al.,
2002), Diabetes mellitus (Ciulla et al. 2002), hohes Lebensalter > 85 Jahre (West
et al. 2005), temporale Inzision (Ciulla, Starr und Masket 2002; Taban et al. 2005;
West et al. 2005), Glaskörpereinklemmung im Wundspalt, dehiszente Naht, exponierte
Lidränder mit Exprimat der Meibom-Drüsen, Kontakt der Zilien mit der intraokularen
Linse, verlängerte OP-Dauer und Erregerverschleppung aus der Umgebung (Behrens-Baumann
2008).
Da als Erreger nach intravitrealer Injektion signifikant häufiger Streptokokken-Stämme
gefunden wurden als bei Katarakt-Endophthalmitis, könnte das auf eine Tröpfchen-Transmission
aus dem Nasen-Rachen-Raum des behandelnden Arztes hinweisen. Daher ist das Tragen
eines dicht sitzenden MNS sowie eine Reduktion der Gespräche mit dem Patienten während
der Injektion auf ein Minimum zu beschränken (DOG Stellungnahme 2013).
Das Risiko der Erblindung oder des Augenverlusts durch eine Endophthalmitis nach Katarakt-OP
beträgt 10–20 %. Orientierendes Sehen von 0,05 oder mehr wird nur in etwa 50 % der
behandelten Fälle, Lesefähigkeit nur in etwa 33 % erreicht (Zell et al. 2008).
Therapie: Infektionen EndophthalmitisTherapiedes Augeninneren nach Trauma, OP oder
metastatisch bei immunkompromittierten Patienten erfordern neben der lokalen und systemischen
antibakteriellen Therapie zumindest eine Probennahme zur mikrobiologischen Untersuchung
mit Entfernung von toxischem Exsudat und Erregern (Assadian und Kramer 2014). Die
von Erregern und Abwehrzellen freigesetzten Substanzen haben ein hohes Destruktionspotenzial,
das frühzeitig auf die Netzhaut einwirken kann. Antibiotika müssen als Basistherapie
intraokular verabreicht werden. Zu beachten ist die bei Entzündung um rund 40 % verkürzte
Verweildauer intravitreal injizierter Antibiotika, die experimentell zwischen 5 und
14 h lag; Aphakie und Zustand nach Vitrektomie verkürzen die Zeiten entscheidend (Shaarway
et al. 1995). Am Kaninchenauge betrug die Clearance von Amphotericin B für infizierte
Augen 8,6 d, für aphake Augen 4,7 d und für aphake, vitrektomierte Augen 1,4 d (Doft
et al. 1985). Das freie Zirkulationsvolumen für intraokular applizierte oder durch
die Blut-Kammerwasser-Schranke herangeführte Antibiotika wird durch Vitrektomie gewährleistet
und ermöglicht das Erreichen des Wirkspiegels in allen Nischen, insbesondere in der
Ziliarregion. Experimentell konnte nachgewiesen werden, dass durch intraokulare Entzündung
und Vitrektomie die Schrankenfunktion für systemisch applizierte Antibiotika deutlich
reduziert wurde (Meredith et al. 1996).
Die Indikation zur interventionellen Therapie nach intraokularen Eingriffen oder Verletzungen
ist gegeben, wenn ein nicht adäquater postoperativer Reizzustand mit stärkeren Schmerzen
und starker Rötung des Auges beobachtet wird. Hinzu kommt ein rasch progredienter
Befund mit Verlust des Rotreflexes innerhalb von Stunden. Je nach Pathogenität der
Erreger ist die Prognose für die Wiedererlangung einer verwertbaren Sehschärfe von
≥ 0,2 unterschiedlich. Nach Infektion mit CNS und gramnegativen Erregern erreichten
etwa ⅔, mit Enterokokken und der Streptokokken nur etwa ¼ die gleiche Sehschärfe (Kreutzer
2005).
Bei aufgehobenem Einblick in den Augenhintergrund ermöglicht die echografische Untersuchung
die Darstellung einer Verdickung der Netzhaut und Aderhaut als unmittelbares Zeichen
der segmentalen oder totalen Beteiligung der Augenrückwand (Clemens, Kroll und Meyer-Rüsenberg
1988). Elektrophysiologische Methoden vermögen lediglich eine Alles- oder Nichts-Antwort
zu geben.
Die Gabe von Antiinfektiva sollte nach zu erwartendem Spektrum und Direktabstrich
auf mehreren Wegen, insbesondere intravitreal, erfolgen. Kortikoide reduzieren den
Reizzustand und verbessern das funktionelle Resultat.
Andere Manifestationen von NI
Weitere Manifestationen können die Tränensäcke/-drüsen (Dakryozystitis, Dakryoadenitis),
die Uvea (Uveitis) und die Orbita (Orbitalphlegmone) betreffen, während eine Entzündung
des Augenlids (Blepharitis) fast nie nosokomial ist.
Durch Echoviren (Subtypen 19K, 11A, 11/B) wurden bei Kindern in Russland fünf nosokomiale
Uveitis-Ausbrüche verursacht (Lashkevich et al. 2005). Eine nosokomiale durch Viren
(CMV) oder Parasiten (T. gondii) verursachte Uveitis kann v. a. bei immunkompromittierten
Personen z. B. nach Knochenmark-, Stammzelltransplantation oder nach Transfusion eintreten
(Chung et al. 2007, Fricker-Hidalgo et al. 2009).
5.15.4
Infektionspräventive Maßnahmen im Rahmen der OP
Hauptquelle für SSI in der Ophthalmologie ist die endogene Flora des Patienten (Kap.
5.15.6).
Das OphthalmologieInfektionsprävention, intraoperativeVerhalten des OP-Teams unterscheidet
sich nicht von dem in anderen operativen Fächern. Nach Abszessspaltung oder OP bei
Endophthalmitis muss die OP-Einheit im infrage kommenden Kontaminationsbereich desinfiziert
werden. In Abhängigkeit von der RLTA ist zu gewährleisten, dass es intraoperativ nicht
zur Austrocknung am Auge kommt.
Das Risiko für eine Endophthalmitis scheint durch Wimpernschneiden nicht reduziert
zu werden (Behrens-Baumann et al. 2003). Das OP-Feld wird mit einem Lochtuch (low
performance) abgedeckt. Durch Abdecken der Lidkanten mit Wimpern und Ausführungsgängen
der Meibom-Drüsen mit Inzisionsfolie nach Antiseptik wird vermutlich ein zusätzlicher
Schutz erreicht (Behrens-Baumann und Kramer 2002; Pervanidi und Sonntag 1982). Außerdem
wird die bei der OP störende Anwesenheit von Wimpern im Arbeitsgebiet vermieden.
•
Die präoperative Untersuchung auf Disposition zur bakteriellen Kontamination durch
Blepharitis, Rosazea, Neurodermitis, trockenes Auge und Verschluss des Tränensacks
ist empfehlenswert.
•
Die präoperative Spülung der Tränenwege hat keinen Einfluss auf die Kontamination
von Kammerwasseraspirat. Wird sie unmittelbar vor dem Eingriff durchgeführt, werden
sogar vermehrt Erreger aus dem Tränen – in den Bindehautsack gespült (Behrens-Baumann
et al. 2003).
Zur Erzielung präoperativer Erregerarmut kann die Lidkorrektur mit Wiederherstellung
der Kongruenz zwischen Tarsus, Lidkante und Bulbus dienen. Der Irrigations- und Wischeffekt
der Tränenflüssigkeit und der Lider kann so zur Wiederherstellung ausreichender Benetzung
und zu vollständigem Lidschluss führen. Im Fall eines trockenen Auges bei OP an der
Hornhaut kann durch temporären Verschluss der Tränenpünktchen ein vorzeitiger Abfluss
der Tränenflüssigkeit über die Tränenpumpe vermieden werden. Ist es zu einem Verschluss
im Bereich der Tränenkanälchen ohne Sackbeteiligung gekommen, ist nicht mit erhöhter
Infektionsgefahr zu rechnen, vorausgesetzt, eine Canaliculitis durch Aktinomyzeten
konnte ausgeschlossen werden. Ist es zu einem Verschluss innerhalb des Tränensacks
gekommen, sollte vor intraokularer OP eine Dakryocystorhinostomie in Erwägung gezogen
werden. Obwohl die temporäre Diathermieverödung der Tränenpünktchen in Gebrauch ist,
steht der Nachweis aus, ob dadurch eine Erregerreduktion erreichbar ist. Bei Patienten
mit reduziertem Allgemeinzustand und der Zumutbarkeit einer intraokularen OP kann
ein temporärer Verschluss mit einem Kanälchenstopfen oder einer Naht durchgeführt
werden. Bei Dakryophlegmone sollte zunächst konservativ lokal antiinfektiv und systemisch
antibiotisch behandelt werden, bis ein spontaner Rückgang erfolgt oder eine Abszessspaltung
möglich wird.
Lidabszesse können mit Spaltung, Einlegen einer kleinen Lasche und begleitend lokal
und systemisch antimikrobiell behandelt werden.
Zur Therapie eines destruierenden Hornhautprozesses mit und ohne Infektion kann die
Keratoplastik à chaud gerechnet werden (Stübiger et al. 1995, Behrens-Baumann 1984).
Sie dient der Stabilisierung des Auges, der Exzision der Infektion und der Verbesserung
der Möglichkeiten der antiinfektiven Therapie.
Patienten mit Keratokonjunktivitis epidemica und anderen Augeninfektionen mit vermutlich
hoher Kontagiosität und/oder hochvirulenten Erregern sollten von frisch operierten
sowie von Patienten in Vorbereitung auf die OP separiert werden (in jedem Fall bei
Kolonisation oder Infektion durch MRE).
5.15.5
Fachspezifische Besonderheiten der Sterilisation und Desinfektion
Ophthalmologisches MedizinprodukteaufbereitungOphthalmologie
InstrumentenaufbereitungOphthalmologie
OphthalmologieMedizinprodukteaufbereitung
OphthalmologieInstrumentenaufbereitungInstrumentarium ist aus Gründen der Effizienz
und des Personalschutzes soweit wie möglich einem maschinellen Reinigungs-Desinfektionsverfahren
zuzuführen.
Für die zur manuellen Aufbereitung verbleibenden Materialien (z. B. spezielle Einführungsdrähte
oder Schnüre, Spezialbürsten) wird nach vorsichtiger(!) Vorreinigung im Ultraschallbad
eine Oberflächenreinigung vorgenommen. Bei manueller Aufbereitung ist zu beachten,
dass der Gesamtprozess validiert wird, bestehend aus Vorreinigung, chemischer Desinfektion
mit viruzider Wirkung und Schlussspülung mit sterilem Wasser zur Entfernung von Rückständen.
Im Interesse des Funktionserhalts des empfindlichen ophthalmologischen Instrumentariums
empfiehlt es sich, den Aufbereitungsprozess einschließlich der Sterilisation als Substerilisation
in der Verantwortung ophthalmologisch Erfahrener zu belassen und nicht in die allgemeine
ZSVA auszulagern.
Grundsätzlich muss bei der Aufbereitung von MP mit direktem Kontakt zum Auge ein viruzide
Wirksamkeit gewährleistet sein.
Die Aufbereitung ophthalmologischer Untersuchungs- und OP-Geräte erfolgt materialabhängig
unterschiedlich (Lakkis et al. 2007). Aufgrund unterschiedlicher Herstellerempfehlungen
können nachfolgend nur allgemeine Grundsätze aufgeführt werden:
•
Metallinstrumente sind nicht in jedem Fall dampfsterilisierbar, da Oberflächenvergütungen
oder Entspiegelungen ihre Funktion einbüßen können. Eine Alternative für homogene
Metallwerkstoffe ist die Heißluftsterilisation. Schiötz-Tonometer aus Ganzmetall können
hitzedesinfiziert werden.
•
Funktionsansätze wie Diathermie für intraokulare Anwendung und Lichtkabel sowie Ophthalmoskopierlupen
aus Kunststoff mit Oberflächenvergütung müssen meist mit Formaldehyd oder Ethylenoxid
sterilisiert werden.
•
Phakoemulsifikationsansätze können meist dampfsterilisiert werden.
•
Mikroskopadapter für die indirekte Ophthalmoskopie müssen wegen der Nähe zum OP-Feld
sterilisiert werden oder können in eine sterile Kunststoffumhüllung eingepasst werden.
Wegen des Risikos von CJD bzw. vCJD ist als erster Aufbereitungsschritt die alkalische
Reinigung (pH ≥10) erforderlich. Nach Neutralisierung und Desinfektion (möglichst
im RDG) ist eine Dampfsterilisation bei 134 °C für mindestens 5 min erforderlich (Kap.
3.3.2).
•
Zur Desinfektion von Tonometer-Messkörpern sowie Laser- und Diagnostikkontaktgläser
sind Aldehyde wegen der Eiweißfixierung keine Alternative für Sauerstoffabspalter,
wohl aber Methoden mit Luftimpuls-Tonometrie oder transpalpebraler Messung, sofern
die ausreichende Messgenauigkeit gegeben ist. Beim Tonometer Typ Tonopen XL ist der
Tonometerkopf mit einer Einwegschutzkappe geschützt, die nach jedem Patienten gewechselt
wird. Einweg-Tonometerköpfe sind aus wirtschaftlichen Gründen keine Alternative.
•
Ein Übertragungsrisiko besteht auch für Kontaktgläser bei der intraokularen Untersuchung.
Für nicht dampfsterilisierbare Kontaktgläser werden zur Desinfektion NaOH oder NaOCl
empfohlen. Hierbei ist ein aufwendiges Neutralisierungsverfahren unumgänglich. Wichtig
ist als 1. Schritt die Reinigung direkt nach der Anwendung (Iffenecker und Ruef 2002).
•
Gonioskope werden unter Leitungswasser abgespült, müssen ebenfalls viruzid desinfiziert,
z. B. mit 1 % (10 000 ppm) NaOCl-Lösung ≥ 10 min (Hawksworth 2012), danach steril
abgespült und vor Gebrauch getrocknet werden. Koeppe-, Goniotomie- oder BIOM-Linsen
aus Kunststoff werden in Ethylenoxid sterilisiert. Formaldehyd erfordert etwas höhere
Temperaturen und kann die Oberflächen beschädigen.
Zur Vermeidung der Kontamination von Augentropfflaschen ist zunächst die Händedesinfektion
durchzuführen. Der Kontakt der Tropfflasche mit den Zilien muss vermieden werden.
Das Ektropionieren des Unterlids durch die Pflegekraft soll mittels Tupfer erfolgen.
Anschließend soll der Patient seine Tränenpünktchen für > 2 min digital verschließen,
damit das Medikament am Auge verbleibt und nicht durch die Tränennasengänge abtransportiert
wird (Behrens-Baumann und Pleyer 2007; Fraunfelder 1976) – „Augentropfen statt Nasentropfen“.
Jeder Patient bekommt seine eigene Tropfflasche (Kap. 5.15.5). Es sind die Verwendungsfrist
und Lagerungsvorschrift einzuhalten.
Viruzide Desinfektion von Tonometer-Messkörpern sowie Laser- und Dianostikgläsern
mit einem apparativen Verfahren
Maren Eggers
Tonometer-MesskörperDiagnostikkontaktgläser, Aufbereitung
Tonometer-Messkörper, Aufbereitung
OphthalmologieDiagnostikkontaktgläser, Aufbereitung
OphthalmologieTonometer-Messkörper, Aufbereitung oder Laser- und Diagnostikkontaktgläser
können Adenoviren, die Ursache der hoch kontagiösen Keratokonjunktivits epidemica
sind, übertragen (Meyer-Rüsenberg et al. 2011; Pleyer und Birnbaum 2015; RKI 2010).
Um das Risiko einer NI in Augenkliniken und Arztpraxen zu vermeiden, sollen die empfindlichen
Messinstrumente viruzid desinfiziert werden. Das Abspülen der Messinstrumente unter
fließendem Wasser stellt keine Alternative dar, da von künstlich mit Adenovirus-kontaminierten
Tonometer-Messkörpern (8,00 TCID50/ml, d. h. umgerechnet ca. 100 Mio. Adenoviren pro
Messkörper) nach 1-minütigem Spülen mit Wasser noch 11 500 Adenoviren (ca. 4 TCID50/ml)
rückgewonnen werden konnten (unveröff. Daten). Ein thermisches Desinfektionsverfahren
würde die thermolabilen Tonometer oder die reflexmindernden Beschichtungen der Kontaktgläser
beschädigen und kann deshalb nicht angewandt werden.
Die Tonometer aus thermolabilen Materialien (z. B. vom Hersteller Haag-Streit) und
Kontaktgläser sind wegen der mangelnden Materialverträglichkeit des thermischen Desinfektionsverfahrens
daher chemisch ohne Hitzeeinwirkung zu desinfizieren. Aber auch bei chemischer Desinfektion
ist bzgl. der Materialverträglichkeit bei Plexi- oder Acrylglas („organisches“ Glas)
und bei Kitten größte Sorgfalt geboten. Plexiglas kann eintrüben oder zu Rissbildung
neigen. Sowohl Tonometer-Messkörper als auch Kontaktgläser besitzen Kittverbindungen,
die quellen können, wenn die Produkte länger als 15 min in der Flüssigkeit liegen.
Diese Materialbeeinflussung wird durch hohe Anteile an Lösungsmitteln und/oder nichtionischen
Tensiden in Desinfektions- oder Reinigungsmitteln begünstigt. Auch ein manuelles Desinfektionsverfahren
mit schnell wirkenden alkoholischen Desinfektionsmitteln scheidet aus, da diese die
Materialien in kurzer Zeit beschädigen und außerdem in ihrer viruziden Wirkung unsicher
sind. Zur Desinfektion der empfindlichen ophthalmologischen Instrumente sollten daher
wässrige Desinfektionsmittellösungen in niedriger Anwendungskonzentration mit möglichst
kurzen Einwirkzeiten verwendet werden, die das volle viruzide Wirkspektrum besitzen.
Dabei sind das vom Hersteller vorgegebene Mischungsverhältnis und die Einwirkzeit
der Desinfektionslösung exakt einzuhalten. Nach der Desinfektion ist die gründliche
Spülung mit Wasser erforderlich, um jegliches Risiko eines versehentlichen Kontakts
des Auges mit Desinfektionsmittelresten auszuschließen.
Derzeit werden Tonometer-Messkörper sowie Laser- und Diagnostikkontaktgläser nach
Verfahrensanweisungen, die von den Kliniken in Zusammenarbeit mit den Herstellern
erarbeitet worden sind, manuell desinfiziert. Solche Verfahrensanweisungen sehen in
der Regel vor, dass die MP nach einer Reinigung unter fließendem Wasser im Tauchverfahren
(Einlegen in ein mit Desinfektionslösung gefülltes Gefäß) desinfiziert werden. Hierbei
muss das Personal darauf achten, dass die Einwirkzeit entsprechend den Herstellervorgaben
der Desinfektionslösung für die Tonometer-Messkörper oder das Kontaktglas eingehalten
wird. Verbleiben die zu desinfizierenden MP zu kurz in der Lösung, ist die Wirkung
nicht sicher. Liegen sie zu lange in der Lösung, weil z. B. während der Desinfektion
schnell noch andere Arbeiten erledigt werden müssen, können die empfindlichen Produkte
beschädigt werden.
Ein apparatives Aufbereitungsverfahren, wie es z. B. mit dem TonoCleanTM-Gerät (Entwicklung
RS-Medizintechnik GmbH, Grassau; Vertrieb: Dieter Mann GmbH, Mainaschaff) gewährleistet
ist, bietet wegen der standardisierten Durchführung eine höhere Sicherheit als die
manuelle Aufbereitung. Hierbei wird der Aufbereitungsprozess Mikroprozessor gesteuert
automatisiert. Der Prozess ist wie bei der manuellen Desinfektion in Reinigung (1
min Spülung mit sterilem Wasser plus 10 s Trocknung), Desinfektion (z. B. für 5 min
mit 2 % Sekusept aktiv) und einer anschließenden Endspülung (1 min Spülung mit sterilem
Wasser plus 10 s Trocknung) gegliedert. Bei Untersuchungen mit Tonometer-Messkörpern
sowie Kontaktgläsern, die künstlich mit 107–108 Adenoviren kontaminiert wurden, konnten
in allen Versuchen keine Restviren auf den Prüfkörpern mehr nachgewiesen werden (unveröff.
Daten).
5.15.6
Antiseptik
Indikationen: Die OphthalmologieAntiseptik
AugeAntiseptik
AntiseptikOphthalmologie
AntiseptikAugeprophylaktische Anwendung von Antiseptika am Auge ist indiziert
•
Präoperativ periorbital und konjunktival, ggf. zusätzlich intraoperativ
•
Zur Prophylaxe der Ophthalmia neonatorum
•
Bei akzidenteller Erregerkontamination des Auges
•
Zur Konjunktivitis- und Keratitisprophylaxe bei Intensivtherapiepatienten
•
Zur antiseptischen Spülung von Spenderbulbi
•
Bei Kolonisation mit MRE (speziell MRSA)
•
Ggf. zur Prophylaxe okulärer Infektionen bei epidemiologischer Situation.
Präoperative Antiseptik von Konjunktiva und Kornea
Aufgrund praktisch regelmäßig positiver mikrobiologischer Befunde am Auge ist eine
präoperative Kultur entbehrlich, da in jedem Fall eine präoperative Antiseptik durchgeführt
werden muss.
Aktuell ist PVP-Iod 5 % Mittel OphthalmologiePVP-Iod
Povidon-IodAugenantiseptik, präoperative
AugePVP-Iod
AntiseptikKonjunktiva und Kornea
Konjunktiva, Antiseptik, präoperative
Kornea, Antiseptik, präoperativeder Wahl zur präoperativen Augenantiseptik. Die Wischantiseptik
des OP-Gebiets bietet sich zur präoperativen Erregerreduktion an. Anfang der 1980er-Jahre
wurde PVP-Iod zur risikoarmen präoperativen Augenantiseptik eingeführt (Isenberg et
al. 1985; Wille 1982). Durch präoperative Antiseptik mit PVP-Iod wird die Anzahl der
Bakterien um 90–99 % reduziert bzw. eine Reduktion der Anzahl positiver Abstriche
mit Staphylokokken von 30 % auf 10 % und für P. acnes von 23 % auf 1,9 % erreicht.
Dieser Effekt war auch am Ende der OP nachweisbar (Binder et al. 1998 und 1999). Die
Effektivität war der kombinierten Gabe von Polymyxin-B-Sulfat, Neomycinsulfat und
Gentamicin überlegen. Durch PVP-Iod 5 % konnten präoperativ alle gramnegativen Erreger
ausgeschaltet werden (Boes et al. 1992). Auch durch 1-prozentige und 1,25-prozentige
PVP-Iod-Lösung wird die Bakterienzahl auf der Konjunktiva signifikant gesenkt. 1,25-prozentige
PVP-Iod-Lösung ist bei bakterieller Konjunktivitis auch therapeutisch wirksam (Behrens-Baumann
und Kramer 2002). Bei positiven Bindehautabstrichen konnte durch 5-prozentiges PVP-Iod
(gemäß DAC 1992) eine Reduktion der Erreger innerhalb 2 min bei 87 % der Patienten
mit einer durchschnittlichen Herabsetzung der Erregeranzahl von 102–104 auf 101–103
nachgewiesen werden (Maeck, Eckardt und Höller et al. 1990). Vergleichbare Ergebnisse
erzielten Apt, Isenberg und Yoshimori et al. (1984) mit 5-prozentigem PVP-Iod. Unter
dem Aspekt der Verträglichkeit gibt es Hinweise, dass sogar 10-prozentige PVP-Iod-Lösung
nur mit geringer kornealer Toxizität einhergeht. Andererseits ist bereits bei Vorderkammereintritt
einer 5-prozentigen PVP-Iod-Lösung mit Nebenwirkungen zu rechnen. Tierexperimentell
wird die Heilung von Hautwunden bereits durch 2-prozentiges PVP-Iod signifikant verzögert,
während es 1,25-prozentig vom empfindlichen Nasoziliarepithel bzw. 1-prozentig von
adultem Knorpelgewebe toleriert wird, ohne dass die Wirksamkeit in vitro bei diesen
Verdünnungen selbst bei hoher Eiweiß- und Blutbelastung eingeschränkt ist (Behrens-Baumann
et al. 2003). Da bereits mit 1,25-prozentigem PVP-Iod eine signifikante Reduktion
der Konjunktivalflora erreichbar ist, dürfte dieser Konzentration aufgrund der In-vitro-Befunde
zur Wirksamkeit und besseren Verträglichkeit im Vergleich zu höher konzentrierten
Lösungen der Vorzug zu geben sein, was jedoch der epidemiologischen Überprüfung bedarf.
Bohigian (1999) konnte in einer retrospektiven Auswertung bei insgesamt 19 269 Katarakt-Extraktionen
zeigen, dass nach Einführung der Antiseptik mit 5-prozentigem PVP-Iod die Endophthalmitisinzidenz
tendenziell von 0,08 % auf 0,03 % sank. Durch 5 % PVP-Iod konnte die Endophthalmitisinzidenz
im Vergleich zur Kontrollgruppe (Silber-Protein-Lösung) signifikant gesenkt werden
(Speaker und Menikoff 1991). Wird PVP-Iod 10-prozentig eingesetzt, wird die von der
WHO für die Schilddrüsengefährdung definierte kritische Schwelle der Iodurie überschritten,
was anamnestisch zu beachten ist. Bei 1,25-prozentiger Konzentration ist anhand der
Iodurie keine Schilddrüsengefährdung gegeben (Razavi et al. 2013). Zur Applikation
bietet sich die Wischantiseptik des OP-Gebiets an.
Als Alternative kommt Polihexanid in OphthalmologiePolihexanid
PolihexanidAugenantiseptik, präoperative
AugePolihexanidBetracht. Im Neuen Rezeptur-Formularium des DAC sind Polihexanid-Augentropfen
0,02 %, NRF 15.25, und Polihexanid-Augenbad 0,04 %, NRF 15.26, enthalten. Polihexanid
wird schon länger zur Therapie der Akanthamöbenkeratitis eingesetzt und ist bezüglich
Zytotoxizität, Irritation und Remanenz 2,5 % PVP-Iod überlegen (Hübner und Kramer
2010; Kramer und Behrens-Baumann 1997). 0,04-prozentig war Polihexanid analog wirksam
wie 1,25 % PVP-Iod, jedoch mit später einsetzender, dafür aber länger anhaltender
Wirkung, sodass selbst 24 h postoperativ kein Erregernachweis gelang; die Verträglichkeit
unterschied sich nicht von PVP-Iod (Hansmann, Kramer und Ohgke 2005). Bei Polihexanid
ist der im Vergleich zu PVP-Iod langsamere Wirkeintritt (geeignetes Applikationsregime)
zu beachten. Allerdings fehlt bisher eine vergleichende Untersuchung zur Endophthalmitisrate
im Vergleich PVP-Iod 5 % und Polihexanid 0,02 %. Mit Gentamicin haltiger Salbe wurde
keine Erregerfreiheit nach 24 h erreicht (Hansmann et al. 2004).
Kontaktlinsenträger müssen präoperativ als bakteriell kolonisiert betrachtet werden,
da sich auf der Kontaktlinse leicht Biofilme bilden (Erie et al. 1993; Kramer et al.
1995, Bourcier et al. 2003, Pleyer und Behrens-Baumann 2007, Patel et al. 2008, Rändler
et al. 2010). Ein wesentlicher Grund hierfür ist die unzureichende mikrobiozide Wirksamkeit
einiger Kontaktlinsenpflegemittel (Hildebrandt et al. 2012). Daher ist die Herausnahme
der Linse mindestens 24 h vor der OP mit mehrfacher Reinigung und Antiseptik des Bindehautsacks
zu empfehlen.
Antiseptik vor intravitrealer operativer Medikamenteneingabe (IVOM)
Da die Infektionsrate AntiseptikMedikamentengabe, intravitreale operative
AugeMedikamentengabe, intravitreale operative
OphthalmologieMedikamentengabe, intravitreale operativedurch topische Antibiotikagabe
nicht verringert wird, ist sie wegen des Risikos der Resistenzentwicklung entbehrlich
(DOG Stellungnahme, Hoerauf et al. 2013). Das konnte in einer neueren Studie mit Einschluss
von 117 171 Patienten bestätigt werden (Storey et al. 2014). Eine Studie der DRCR.net-Studiengruppe
weist auf die alleinige Bedeutung der aseptischen Bedingungen während des Eingriffs
mit antiseptischer Behandlung der Lidhaut, Abkleben der Lider und Wimpern und Bindehautsack-Spülung
mit 5-prozentiger PVP-Iod-Lösung hin.
Durch die Antiseptik mit PVP-Iod wird sowohl die bakterielle Kontamination von Injektionskanülen
nach intravitrealer Injektion deutlich gesenkt, als auch eine signifikante Reduktion
der Bakterien in der Bindehaut erreicht, ohne dass detektierbare Mengen von Iod in
die Vorderkammer gelangen (Hansmann et al. 2007).
Bei aktiver bakterieller Blepharitis oder Konjunktivitis sollte die intravitreale
Behandlung zurückgestellt werden und unmittelbar eine Behandlung der Lid- und Bindehautproblematik
erfolgen, bevor die IVOM-Therapie beginnt. In diesen Fällen sollten neben Lidrandhygiene
und antiseptischer auch eine antibiotische Therapie erfolgen. Inwieweit die Durchführung
einer Parazentese zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos führt, wurde bislang nicht
systematisch untersucht.
Präoperative topische Antibiotikaprophylaxe
Nur Antibiotikaprophylaxe, präoperativeAuge
AugeAntibiotikaprophylaxe, präoperative
OphthalmologieAntibiotikaprophylaxe, präoperativefür PVP-Iod ist der Herabsetzung
der Endophthalmitisinzidenz gesichert (Ciulla, Starr und Masket 2002). Im Unterschied
dazu sind die Ergebnisse zur topischen Applikation von Antibiotika widersprüchlich,
sodass von der FDA keine topische Medikation zur Prophylaxe der Endophthalmitis zugelassen
ist. Im Ergebnis eines Reviews kommt Tan (2007) zu der Schlussfolgerung, dass allein
durch topische Antibiotika die Rate der Endophthalmitis nicht signifikant reduziert
werden kann und keine Reduktion der Flora im Konjunktivalsack nachweisbar ist (Grzybowski
2014). Ebenso hatte die topische Anwendung von Antibiotika keinen zusätzlichen Einfluss
auf die Wirksamkeit von 5-prozentigem PVP-Iod bezüglich der Reduktion der Konjunktivalflora
(Halachmi-Eyal et al. 2009; Moss, Sanislo und Ta 2009). Trotzdem wurden in den USA
von 91 % der Chirurgen vor Katarakt-OP topische Antibiotika mit Überwiegen (81 %)
der 4. Generations-Fluorchinolone eingesetzt (Chang et al. 2007).
In Anbetracht der Risiken der Resistenzentwicklung kann beim aktuellen Wissensstand
die präoperative topische Antibiose nicht empfohlen werden.
Präoperative periorbitale Hautantiseptik
Auswahlkriterium Hautantiseptikperiorbitale präoperative
AugeHautantiseptik, periorbitale
OphthalmologieHautantiseptik, periorbitalefür Hautantiseptika ist die Augenreizwirkung,
da Präparatreste ins Auge gelangen können. Mittel der Wahl ist 10 % PVP-Iod, wobei
als Einwirkungszeit 10 min einzuhalten ist, da es sich im Bereich der Stirn um talgdrüsenreiche
Haut handelt. Bei Kontraindikationen für Iodophore ist auf ein alkoholisches Hautantiseptikum
mit reduziertem Ethanolgehalt (z. B. Hospidermin) auszuweichen. Ungeeignet sind Präparate
mit CHX > 0,05 %. Unter Berücksichtigung von Befunden zur Irritationspotenz sind auch
Hautantiseptika mit Hexetidin, Cetylpyridiniumchlorid und OCT (> 0,05 %) nicht am
Auge anzuwenden, bevor diese Anwendung nicht abgesichert ist. Antibiotika sind in
diesem Bereich einschließlich des Lidrands wegen mangelhafter Wirksamkeit ungeeignet.
Credé-Prophylaxe
Die Credé-ProphylaxeCredé-Prophylaxe ist nach wie vor als indiziert anzusehen und
dient in erster Linie der Vermeidung der Ophthalmia neonatorum durch den ggf. mit
Chlamydien oder weitaus seltener mit Gonokokken infizierten Geburtskanal.
In Deutschland beträgt die Gonokokkenprävalenz etwa 0,1 %. Die Durchseuchung der Mütter
mit Chlamydien beträgt 2–11 %. Als weitere Erreger kommen Streptokokken der Viridans-Gruppe
und der Gruppe B, S. aureus, E. coli, Haemophilus spp., Mykoplasmen, Pseudomonas und
Klebsiella spp. sowie Herpes-simplex-Viren infrage (Kramer et al. 2002). Dieses breite
Wirkungsspektrum wird durch PVP-Iod komplett abgedeckt.
Wegen der lokalen Reizwirkung und fehlender Wirksamkeit gegen Chlamydien wird anstelle
von 1-prozentiger Silber-Nitrat-Lösung 1,25-prozentige PVP-Iod-Lösung empfohlen (Assadian
et al. 2002; Isenberg, Apt und Wood 1995; Isenberg et al. 1985). Die Schilddrüsenfunktion
wird nicht beeinträchtigt (Richter et al. 2006).
Auch wenn die Credé-Prophylaxe seit 1992 in Deutschland nicht mehr vorgeschrieben
ist, gelangte eine Kommission beim BGA zu der Auffassung, dass die Credé-Prophylaxe
der Gonoblenorrhö trotz der Gegenargumente wie chemische Konjunktivitis durch die
Lokalanwendung, Schmerzreaktion des Säuglings und mögliche Prophylaxeversager weiterhin
zu empfehlen sei (Hoyme 1993), da der Schaden einer Gonoblenorrhö im Einzelfall beträchtlich
ist und zur Erblindung führen kann. Die zur Verfügung stehenden Methoden des Screenings
auf Infektion mit N. gonorrhoeae sind lückenhaft, da der Erregernachweis oft misslingt
und die Infektion blande verläuft. Durch die Credé-Prophylaxe ist die Gonoblenorrhö
in den Industrieländern auf < 0,04 % zurückgegangen. Ohne die Prophylaxe beträgt die
Übertragung von der Mutter auf das Kind etwa 30 %, mit Prophylaxe wird sie mit hoher
Sicherheit verhindert. 1994 wurde erneut vom BGA empfohlen, weiterhin eine Reinigung
beider Augen des Neugeborenen mit Instillation eines Antiseptikums vorzunehmen. 1-prozentige
Silbernitratlösung sollte allerdings nur so lange verwendet werden, bis eine andere
Substanz mit besserer Verträglichkeit bei zumindest gleichem Empfindlichkeitsspektrum
verfügbar ist (Kramer et al. 1995; Tietze 1994). 1969 wurden in den USA wegen des
in 10 % durch 1-prozentiges Silbernitrat aufgetretenen Argentumkatarrhs als Ersatz
Erythromycin und Tetracyclin empfohlen. In Deutschland wurden diese Ausweichpräparate
wegen des Riskos der Resistenzentwicklung abgelehnt. Die Credé-Prophylaxe wurde 1989
von den CDC Atlanta erneut mit 0,5-prozentiger Erythromycin- oder 1-prozentiger Tetracyclin-Augensalbe
empfohlen. Beide haben u. U. jedoch keinen Effekt auf die Gonoblenorrhö, sodass Silbernitrat
die sicherere Alternative ist. Die Prophylaxe mit 1-prozentigem Silbernitrat erfasst
jedoch nicht sicher die Chlamydieninfektion. Die Kommission „Infektion in der perinatalen
Medizin“ der deutschen Gesellschaft für Perinatalmedizin hat unter dem Eindruck der
Chlamydieninfektion und deren Einflussmöglichkeiten auf die Schwangerschaft empfohlen,
bei Nachweis von Chlamydien in einem Schwangerschaftsscreening ab der 14. Woche eine
systemische Erythromycintherapie einzuleiten (Hoyme und Bialasiewicz 1992). Diese
Untersuchung kann auch auf Gonokokken erweitert werden.
Prophylaxe der Konjunktivitis und Keratitis
Bei KeratitisProphylaxe
KonjunktivitisProphylaxeIntensivtherapiepatienten besteht insbesondere bei beeinträchtigtem
Lidschluss und Infektion des Respirationstrakts das Risiko einer Konjunktivitis und
Keratitis. Als Konsequenz wird ein Screening zur früheren Identifikation empfohlen
(McHugh et al. 2008).
Ein weiterer Risikofaktor ist der LagophthalmusLagophthalmus mit Störung der Benetzung
und Entstehung eines Ulkus. Zur Vermeidung der Hornhautaustrocknung mit dem Risiko
der Ulkusbildung werden bei beeinträchtigtem Lidschluss die Augen mit Klebebändern,
Salben, Uhrglasverband oder – bei Patienten mit Fazialisparese – mittels Tarsorrhaphie
oder alternativ durch Injektion von Botulinustoxin verschlossen.
Hornhautspendermaterial
Das AugeHornhautspendermaterial
OphthalmologieHornhautspendermaterial
Hornhautspendermaterial, Antiseptik
AntiseptikHornhautspendermaterialRisiko einer Transplantatinfektion mit Transplantatabstoßung
ist bei Keratoplastik < 1 %, kann aber bei foudroyantem Verlauf zum Verlust des Auges
führen (Robert, Adenis und Pleyer 2005). Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit von
Überwachungsuntersuchungen zumindest bei Anhalt für eine Infektion (Ritter et al.
1990).
Bei Keratoplastiken kann aus Gründen der zytotoxischen Wirkung antimikrobieller Substanzen
keine komplette Erregerfreiheit des Spendermaterials erreicht werden.
Positive Kulturen von Spenderaugen fanden sich zwischen 12 und 100 % (Bredehorn-Meyer,
Duncker und Armitage 2009; Pardos und Gallaher 1982; Pollack, Locatcher-Khorazo und
Gutierrez 1967; Schimmelpfennig und Hürzeler 1977; Semenitz 1983; Zirm, Reich und
Glawogger 1967). Ausgehend von der Entnahme des Spendermaterials wurde im frischen
Abradat in 80 % eine Kontamination festgestellt, davon in 16 % als Mischinfektionen.
P. aeruginosa war der am häufigsten isolierte Erreger (Ritter et al. 1990). Weder
das Alter der Spender noch der Entnahmezeitpunkt der Bulbi post mortem hatten einen
Einfluss auf die Kontamination. Mit zunehmendem Aufenthalt der Spender im Krankenhaus
nahm der Anteil gramnegativer Bakterien zu. Beatmete Spenderpatienten waren deutlich
stärker mit gramnegativen Erregern besiedelt (Sugar und Liff 1980). Nach Sepsis des
Spenders soll das Risiko der postoperativen Endophthalmitis erhöht sein (Keates et
al. 1977). Bei Besiedlung der Spenderhornhaut mit Pilzen kann es zu schweren Infektionen
des Empfängers kommen (Behrens-Baumann 1999; Pflugfelder, Flynn und Zwickley 1988).
Auch die Übertragung von CJD wurde tierexperimentell nachgewiesen (Tateishi 1985).
Sowohl im Hornhautepithel als auch in Retina, Sehnerv, Iris, Glaskörper und Linse
wurden Prionen nachgewiesen (Wadsworth 2001). Somit ist die Übertragbarkeit theoretisch
auch über Biometriesonden und Tonometer gegeben. Die Übertragung über eine Keratoplastik
wurde postuliert (Metha, Osborne und Bloom 2004).
Die antiseptische Entnahme der Bulbi beinhaltet folgende Schritte (Bredehorn-Meyer,
Duncker und Armitage 2009; Wilhelm, Bredehorn und Kramer 2002; Wilhelm et al., Wilhelm
et al., 2001):
1.
Initialer Bindehautabstrich zur mikrobiologischen Diagnostik
2.
Vor Entnahme Tropfen des Spenderfornix mit 0,5 % PVP-Iod-Augentropfen (1 min)
3.
Abwaschen des OP-Gebiets mit 10 % PVP-Iod-Lösung und Abdecken (Lochtuch)
4.
Aseptische Entnahme der Spenderbulbi und Lagerung in sterilen Transportgefäßen
5.
5 min Tauchen der Spenderaugen in 0,5 % PVP-Iod-Lösung und Abspülen mit steriler NaCl-Lösung,
BSS oder Nährmedium wie für die Konservierung
6.
Aseptisches Präparieren und Umlagern der Transplantate unter Sterilwerkbank
7.
Einbringen der Transplantate in Kulturmedium mit Antibiotika- bzw. Antimykotikazusatz
und Lagerung für mind. 7 d im Brutschrank bei +37 °C
8.
Nach Umlagerung der Transplantate in Dextran haltiges Kulturmedium zwecks Entquellung
9.
Mediumprobe zur mikrobiologischen Untersuchung (48-h-Befund abwarten).
Perioperative und intraoperative Antibiotikaprophylaxe
BeiAntibiotikaprophylaxe, perioperativeAuge
AugeAntibiotikaprophylaxe, perioperative
OphthalmologieAntibiotikaprophylaxe, perioperativeAuge aseptischen intra- und extraokulären
Eingriffen ist eine systemische Antibiotikaprophylaxe unüblich. Nach penetrierender
Verletzung wird prophylaktisch ein systemisches Antibiotikum gegeben, z. B. Cefuroxim
oder Moxifloxacin (Behrens-Baumann, Frank und Neß 2010).
Durch die lokale Applikation von Antibiotika ist eine Senkung der Endophthalmitisrate
nach Katarakt-OP nicht erreichbar.
Die Ergebnisse der ESCRS-Studie (Endophthalmy Study Group 2007) und des Schwedischen
Kataraktregisters erbrachten keinen Vorteil der präoperativen lokalen Applikation
von Antibiotika zur Prävention der postoperativen Endophthalmitis (Endophthalmy Study
Group 2007; Friling et al. 2013). Nach der ESCRS-Studie (Barry et al. 2007) scheint
eine Cefuroxim-Gabe in die Vorderkammer am Ende nach Katarakt-OP eine Reduzierung
der Endophthalmitisrate zu bewirken. Zu der Studie hat es mehrfach Kritik gegeben
(Behrens-Baumann 2011), z. B. die nicht geklärte hohe Endophthalmitisrate der Kontrollgruppe
von 0,326 %. Die Diskussion über pro und contra zur Vorderkammer-Antibiose nach Katarakt-OP
ist nicht abschließend geklärt und auch nicht deren mögliche Auswirkung zur Resistenzentwicklung.
Lokale antiinfektive Therapie
Superfizielle Ophthalmologieantiinfektive Therapie, lokale
Augeantiinfektive Therapie, lokaleBlepharitis, bakterielle, virale, mykotische oder
protozoische Konjunktivitis, Keratitis bzw. Keratokonjunktivitis, Tränenganginfektion
und chronische bakterielle Entzündungen der Anophthalmushöhle sollten mit Antiseptika
oder nicht resorbierbaren Antibiotika (sog. Lokalantibiotika) behandelt werden, weil
durch lokale Applikation höhere Konzentrationen als bei systemischer Gabe erzielt
werden. Bei intraokularer Beteiligung (z. B. Lid- und Orbitalphlegmone, Endophthalmitis),
Risiko der Metastasierung auf dem Blut-Lymph-Weg (z. B. Dakryoadenitis und -zystitis)
sowie auf topische Therapie nicht ansprechende Konjunktivitis der Anophthalmushöhle
und Blepharitis müssen zusätzlich antimikrobielle Chemotherapeutika oral oder parenteral
eingesetzt werden (Behrens-Baumann, Frank und Neß 2010; Kramer, Assadian und Pleyer
2014).
Da die therapeutische Antiseptik kein hygienisches Anliegen ist, soll der Hinweis
genügen, dass bei superfizieller Infektion mit wenigen Ausnahmen die lokale Anwendung
von Chemotherapeutika wegen des Resistenzdrucks auf Bakterien kontraindiziert ist.
Da Antiseptika in ihrer Wirksamkeit Lokalantibiotika in vitro überlegen sind, hat
sich ihr therapeutischer Einsatz bereits zur MRSA-Sanierung sowie zur Therapie der
Akanthamöbenkeratitis und z. T. der Behandlung der KCE etabliert. Eingesetzt werden
1,25 PVP-Iod oder 0,02 % Polihexanid (Kramer, Assadian und Pleyer 2014).
Zur Durchführung der mikrobiologischen Diagnostik wird auf Assadian und Kramer (2014)
verwiesen.
5.15.7
QM der Infektionsprävention
In jeder operativ tätigen Einrichtung ist bis zum Jahr 2016 (abhängig vom Bundesland
ggf. früher) ein Hygienebeauftragter Arzt zu benennen (IfSG 2011). Dieser muss einen
40-stündigen Grundkurs für Hygienebeauftragte Ärzte als Lehrgang oder als E-Learning-Curriculum
absolviert haben. Das betrifft jedoch nicht Einrichtungen, in denen ausschließlich
diagnostische Untersuchungen durchgeführt werden.
In einem Hygieneplan (Kap. 7.1, Kap. 7.2, Kap. 8.2) sind die Maßnahmen entsprechend
den Besonderheiten der Einrichtung im Detail festzulegen. Der Hygieneplan muss den
Beschäftigten bei Einstellung aktenkundig bekannt gemacht und erläutert werden. Bei
Veränderungen im Aufgabenbereich und Einführung neuer Arbeitsmittel oder -verfahren
ist der Hygieneplan anzupassen. Die Unterweisung in den Hygieneplan muss regelmäßig
– mindestens jährlich – wiederholt und dokumentiert werden (IfSG 2011).
Für Arzthelferinnen im Bereich „Ambulantes Operieren in der Augenheilkunde“ wurde
ein Fortbildungscurriculum geschaffen, das 12 h Hygiene einschließlich der Surveillance
von NI beinhaltet (BÄK 2004).
Entsprechend § 23 IfSG sind Leiter von stationären Einrichtungen sowie von Einrichtungen
für ambulantes Operieren verpflichtet, definierte Infektionen sowie Krankheitserreger
mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen fortlaufend in gesonderter Niederschrift
aufzuzeichnen und zu bewerten.
Aufgrund der üblicherweise kurzen postoperativen Verweildauer stationär behandelter
ophthalmologischer Patienten bzw. bei ambulanter OP erfordert die Realisierung einer
Surveillance von SSI die Zusammenarbeit mit dem weiterbehandelnden Arzt oder die Befragung
der Patienten über Post oder Telefon möglichst unter Verwendung standardisierter Fragebögen
zu möglichen postoperativen Komplikationen (Kap. 7.2).
5.15.8
Standard zur Augenpflege bei Krankenhauspatienten
A. Kramer, S. Ryll und W. Behrens-Baumann
Eine Augenpflege
AugenpflegeIndikationenAugenpflege muss bei folgenden Situationen durchgeführt werden:
•
Mangelhafter oder fehlender Lidschluss, um eine Austrocknung des Auges mit nachfolgender
Infektion (Keratitis, Konjunktivitis) zu verhindern. Durch die Augenpflege muss der
Zustand der permanenten physiologischen Nachbenetzung ersatzweise aufrechterhalten
werden.
•
Zum Entfernen von schleimigem Tränensekret oder äußeren Verkrustungen an den Lidrändern.
Bei Kontaktlinsenträgern und Augenprothesen müssen spezielle Anforderungen berücksichtigt
werden (s. u.).
Zur Festlegung erforderlicher Maßnahmen ist der Pflegestatus durch das Pflegepersonal
zu erheben, ggf. der behandelnde Arzt zu konsultieren bzw. ein augenärztliches Konsil
anzufordern und der Patient über die erforderlichen Pflegemaßnahmen zu informieren.
Sowohl der anfangs erhobene Pflegestatus als auch die durchgeführten Maßnahmen sind
in der Pflegedokumentation festzuhalten.
Durchführung
Nach Händedesinfektion AugenpflegeDurchführungsind sterile Kompressen bzw. Tupfer,
sterile 0,89-prozentige NaCl-Lösung und ggf. 1-prozentige wässrige sterile PVP-Iod-Lösung
(z. B. Betaisodona-Lösung 1 : 10 verdünnt), lokal verträglicher sind PVP-Iod-Augentropfen
1,25-prozentig gemäß DAC (NRF 15.13) auf desinfizierter Arbeitsfläche (Tablett oder
Spritzenwagen) bereitzustellen. Die desinfizierte Hand muss komplett abgetrocknet
sein, damit anhaftende Alkoholreste nicht in das Auge gelangen und eine Augenreizung
verursachen können. Die Händedesinfektion muss zwischenzeitlich wiederholt werden,
wenn es zu einer Kontamination gekommen sein kann.
Fehlender Lidschluss bei Intensivtherapiepatienten oder Bewusstlosigkeit
Sofern AugenpflegeLidschluss, fehlender
AugeLidschluss, fehlenderbeide Augen betroffen sind und der Patient bei Bewusstsein
ist, kann zur Gewährleistung des Lichteinfalls, des orientierenden Sehens und zur
Kontrolle der feuchten Beschlagbildung der sog. Uhrglasverband angelegt werden, um
die Austrocknung der Kornea mit dem Risiko einer Ulkusentstehung zu vermeiden. Hierzu
wird eine Plexiglaskalotte zirkulär mit Pflaster fixiert. Das Uhrglas muss beschlagen
sein (feuchte Kammer), ansonsten ist das Pflaster undicht. Zuvor ist das Auge mit
isoosmolarer 1,25 % PVP-Iod-Lösung zu benetzen, um einer Infektion vorzubeugen. Wegen
der mit dem Aufkleben des Klebebands verbundenen Hautreizung sollte der Verband maximal
zweimal täglich geöffnet werden, um Antiseptika zu applizieren. Der Verband ist täglich
1- bis 2-mal bzw. bei Sekretanreicherung öfter zu wechseln. Nach feuchter und anschließend
trockener Reinigung der Lidränder ist vor dem Anlegen des neuen Verbands die sterile
PVP-Iod-Lösung zu applizieren.
Wegen des Risikos einer Pflasterreizung ist zumindest bei einseitigem Lidschlussdefekt
oder bewusstlosen Patienten anstelle des Uhrglasverbands folgendes Vorgehen zu bevorzugen:
Beide Augenlider werden nach vorheriger Reinigung mit steriler 1,25-prozentiger PVP-Iod-Lösung
mit einer mit steriler NaCl-Lösung getränkten sterilen Kompresse komplett abgedeckt
und so belassen. Bei empfindlicher Haut sollte die Fixierung mit einem schonenden
Pflaster oder zusätzlicher Stoffbinde vorgenommen werden. Alternativ kann auch durch
Pflasterzug vom Ober- zum Unterlid ein Lidschluss erreicht werden. Im Unterschied
zum Uhrglasverband hat dieses Vorgehen den Vorteil, dass das Pflegepersonal jederzeit
die Pupillenweite und -reaktion prüfen kann, ohne dass Salben stören und die Haut
gereizt ist.
Die Applikation von Bepanthen®-Augensalbe bei komatösen Patienten ist jederzeit als
zusätzliche Maßnahme zur Benetzung für Zeiträume von Stunden geeignet. Bei wachen
und bewusstseinseingeschränkten Patienten ist Corneregel® (Dexpanthenol) zu empfehlen,
da es nicht zur Sichtbehinderung führt.
Da bei lang dauernden Operationen im nicht ophthalmologischen Bereich die Augen z.
T. ebenfalls mit Klebebändern abgeklebt werden, sollte auch hier die antiseptische
Prophylaxe erwogen werden.
Behinderter Lidschluss nach Trauma
Abgesondertes AugenpflegeLidschluss, behinderter
AugeLidschluss, behinderterSekret ist mehrmals täglich zunächst bei zugehaltenem Auge
mit befeuchteten Kompressen (sterile 0,89-prozentige NaCl-Lösung) entfernen, danach
mit Tupfer Augenlider spreizen und das Auge vom äußeren zum inneren Augenwinkel mit
angefeuchtetem Watteträger ohne Hornhautberührung auswischen, ggf. Salbenreste in
gleicher Weise entfernen, abschließend physiologische NaCl-Lösung (oder bei Infektionsverdacht
sterile 1,25-prozentige PVP-Iod-Lösung) in das Auge einträufeln und zur Entfernung
restlicher Schleimflocken mit ca. 1 ml physiologischer NaCl-Lösung nachspülen. Sofern
erneut Augensalbe appliziert wird, soll diese nicht unmittelbar aus dem Kühlschrank
entnommen werden, sondern sich auf Zimmertemperatur erwärmt haben. Zur raschen Erwärmung
kann die Salbe in ihrer Umverpackung kurzfristig auf einen Heizkörper gelegt werden.
Ein „Anwärmen“ durch Mitführen der Salbe in der Kitteltasche ist wegen des Risikos
der Kontamination der Außenverpackung problematisch, weil sich dadurch bei der Applikation
ein Kontaminationsrisiko ergeben kann.
Applikation von Ophthalmika
Zum AugenpflegeOphthalmika
AugeOphthalmikaEinbringen verordneter Augensalbe ist das untere Augenlid mit einer
Minikompresse, die zur Vermeidung einer Kontamination zwischen eigenem Finger und
Unterlid gelegt wird, herunterzuziehen und die Salbe mit sterilem Watteträger aufzubringen
(oder Salbenstrang in den Bindehautsack so einbringen, dass der Salbenstrang selbstständig
abreißt).
Auf keinen Fall darf mit der Augenflora kontaminierte Salbe in die Tube zurückgezogen
werden!
Verordnete Augentropfen sind so in den Bindehautsack einzuträufeln, dass weder ein
Kontakt der Austrittsöffnung mit dem Auge oder den Wimpern des Patienten noch mit
den Fingern des Pflegepersonals zustande kommt, um eine Kontamination zu vermeiden.
Kontaktlinsenträger
Sofern AugenpflegeKontaktlinsen
AugeKontaktlinsen
Kontaktlinsender Patient nicht in der Lage ist, die Aufbereitung seiner Kontaktlinsen
selbst vorzunehmen, sind Kontaktlinsen aus Haftungsgründen vom Patienten selbst und
nur, wenn das nicht möglich ist, vom Pflegepersonal herauszunehmen und dürfen während
der Zeitdauer der Unfähigkeit des Patienten zur Aufbereitung nicht getragen werden.
Zur Entfernung weicher Kontaktlinsen werden diese nach Spreizung der Lider vorsichtig
mit Daumen und Zeigefinger abgehoben und in die patienteneigene Kontaktlinsen-Aufbewahrungslösung
bzw. in physiologische NaCl-Lösung eingelegt. Dort verbleiben sie solange, bis der
Patient wieder zur selbstständigen Aufbereitung in der Lage ist. Gegebenenfalls können
die entnommenen Kontaktlinsen einem Angehörigen übergeben werden, sofern dieser sich
für die Aufbereitung und Lagerung als kompetent erklärt (ist zu dokumentieren!).
Wird die Kontaktlinse therapeutisch verordnet, z. B. bei trophischen Hornhauterkrankungen
oder lamellierender Hornhautverletzung, muss der Augenarzt die Kontaktlinse einsetzen
und wieder entfernen.
Formstabile Linsen werden durch die Pflegekraft in der Weise herausgenommen, dass
die Linse vom Unterlid aus schräg gegen das Oberlid gedrückt wird und dadurch vor
die Lider zu liegen kommt.
Umgang mit Augenprothesen (Glasauge)
Nach AugenpflegeAugenprothese
AugenpflegeGlasauge
AugeProthese
Glasaugeder Körperwäsche ist der Patienten aufsetzen bzw. sein Kopf im Bett zur Seite
zu drehen, danach hygienische Händedesinfektion, zum Entfernen der Augenprothese (1-mal
täglich) das Unterlid herabziehen und mit speziellem Glasstäbchen die Augenprothese
heraushebeln (sofern das vom Pflegepersonal noch nie durchgeführt worden ist, sollte
zur ersten Entnahme möglichst ein Augenarzt hinzugezogen werden), die Augenprothese
mit sterilem dest. Wasser oder steriler physiologischer NaCl-Lösung abspülen, da Leitungswasser
u. U. bakteriell kontaminiert ist, evtl. anhaftende Rückstände sind mit weichem sterilem
Tupfer bzw. Kompresse zu entfernen.
Zum Wiedereinsetzen das Oberlid hochziehen, Augenhöhle mit einem mit sterilem dest.
Wasser getränkten Watteträger (notfalls Tupfer) vorsichtig auswischen, um Sekretreste
zu entfernen, dann die Prothese vom äußeren Lidrand in die Augenhöhle gleiten lassen,
dabei muss die spitze Seite zur Nase zeigen. Bei eitriger Sekretion in der Augenhöhle
ist der Arzt zur Festlegung der antiseptischen Therapie zu informieren.
Bei schriftlichem Einverständnis der Angehörigen kann die tägliche Reinigung der Augenprothese
von diesen übernommen werden.
5.16
Weaningzentrum
Ralf Ewert, Christian Warnke und Uta Helmstädt
5.16.1
Charakterisierung von Weaningpatienten und deren infektiologischen Besonderheiten
Die maschinelle Beatmung spielt eine zentrale Rolle in der modernen Intensivmedizin,
wobei die Zahl der Patienten mit längeren Beatmungszeiten seit Jahren steigt. Hintergrund
ist u. a. die verbesserte medizinische Versorgung von multimorbiden und älteren Patienten.
Daraus resultiert Weaning
WeaningInfektionsrisikoein immer größerer Teil an Patienten, bei dem die Entwöhnung
von der Beatmung oft schwierig ist (sog. Weaningprobleme). Etwa 7–10 % der Intensivpatienten
mit einer länger als 3 Wochen dauernden Beatmung erfüllen die Kriterien einer prolongierten
Entwöhnung (Aboussouan, Lattin und Kline 2008), die als Notwendigkeit von mehr als
3 Weaningversuchen oder einer Weaningdauer von mehr als 7 d definiert ist (Boles et
al. 2007). Diese Patienten binden umfangreiche apparative und personelle Ressourcen
einer Intensivstation. Zur optimierten Versorgung der Patienten mit prolongiertem
Weaning haben sich weltweit sog. Weaningzentren etabliert (Schönhofer, Pfeifer und
Köhler 2010). Zu strukturellen, personellen und inhaltlichen Aspekten solcher Zentren
wurde in Deutschland eine S2-Leitlinie verabschiedet (Schönhofer et al. 2014).
Folgende Merkmale bestimmen das erhöhte Infektionsrisiko für Weaningpatienten:
•
Durchschnittsalter > 60 Jahre, lange Krankenhausliegedauer, häufig vorheriger Aufenthalt
in verschiedenen medizinischen Einrichtungen mit mehrfacher Antibiotikatherapie (infektiologisch
Hochrisikopatienten)
•
Hoher Versorgungsgrad mit Kathetern und WeaningInfektionsrisikoSonden (ZVK, Dialysekatheter,
Drainage, Magensonde, Harnblasenkatheter) und lange Verweildauer der Katheter
•
Lange Beatmungsdauer: Patienten sind bei der Übernahme meist > 30 d beatmet, mit zunehmender
Beatmungsdauer steigt die Rate beatmungsassoziierter Komplikationen wie Pneumonie
und Sepsis
•
Erhöhte Aspirationsgefahr bei Schluckstörung durch Dekonditionierung, pharyngeale
Desensibilisierung (Sekret, Magensonde) und/oder Trachealkanüle
•
Hohe Komorbidität: Etwa 28 % der Patienten sind bei Aufnahme dialysepflichtig, verbunden
mit mehrfach erhöhter Letalität.
Aufgrund des langen Intensivaufenthalts sind Weaningpatienten oft hochgradig in Ihrer
Muskelkraft/Mobilität eingeschränkt (ICU Aquired Weakness). Auch neuropsychiatrische
Probleme (Delir, exazerbierte Demenz, Depression, Post-ICU-Syndrom) sind auf Weaningstationen
häufig. So ist eine nachhaltige Beatmungsentwöhnung eng mit der Wiederherstellung
der muskulären Funktion verbunden (Rekonditionierung). Hier stellt die notwendige
intensive Physiotherapie mit oft engem körperlichem Kontakt zwischen Patient und Therapeuten
sowie die notwendige Gangschule, ggf. am Beatmungsgerät, eine hygienische Herausforderung
dar. Insbesondere darf es trotz evtl. vorhandener Besiedlung mit MRE nicht zu einer
reduzierten Personalpräsenz im Zimmer kommen.
In einer deutschen Untersuchung wurde interessanterweise angegeben, dass die Letalität
langzeitbeatmeter Patienten trotz des häufigen Nachweises von Erregerisolaten (und
auch bei radiologischen Infiltraten) nicht erhöht ist (Barchfeld et al. 2008).
5.16.2
Eingangsisolierung, Screening und Surveillance
Vor der Übernahme eines Patienten wird das Vorhandensein von isolationspflichtigen
Erregern beim Zuweiser erfragt (Überleitungsbogen).
Bei allen WeaningzentrumEingangsisolierungPatienten wird bei der Aufnahme eine Eingangsisolierung
im Einzelzimmer in Verbindung mit einem MRSA-, VRE- und MRGN-Screening bei festgelegten
Risiken durchgeführt:
•
Zum MRSA-ScreeningMRSA-ScreeningWeaningzentrum werden ein beidseitiger Nasenabstrich
sowie ein Abstrich einer Wunde mit hoher Besiedelungswahrscheinlichkeit inkl. PEG/Tracheostoma
eingesandt.
•
Das VRE-ScreeningVRE-ScreeningWeaningzentrum erfolgt mittels Rektalabstrich. Zusätzlich
werden bei Aufnahme Trachealsekret und Urin auf Erreger und Resistenz untersucht.
•
Beim MRGN-ScreeningMRGN-ScreeningWeaningzentrum ist die Probenahme abhängig vom vermuteten
Erreger.
Bis zum Ausschluss einer Kolonisation/Infektion mit MRSA/VRE und fehlendem Hinweis
auf eine Kolonisation/Infektion mit MRGN (negative PCR reicht bei MRSA aus) ist das
Zimmer nur mit Schutzkittel, Handschuhen, MNS und Kopfbedeckung zu betreten. Der Patient
darf das Zimmer nur unter strenger Indikationsstellung und Wahrung der üblichen Schutzmaßnahmen
verlassen.
Während des gesamten Aufenthalts auf der Weaningstation erfolgt routinemäßig bei jedem
Patienten ein wöchentliches kulturelles MRSA-Screening aus den Nasenvorhöfen, Trachealsekret,
Perineum und evtl. vorhandenen Wunden. Zusätzlich werden Urin und Trachealsekret auf
Erreger/Resistenz untersucht. Diese Form der Erregersurveillance ist nicht unumstritten.
Allerdings liegen keine Studien zu Langzeitintensivpatienten vor. Da die Patienten
oft antibiotisch vorbehandelt sind, kann es hilfreich sein, das Resistenzmuster kolonisierender
Erreger zu kennen, um die kalkulierte Antibiotikatherapie anzupassen.
Antibiotika werden nicht bei alleinigem kulturellem Nachweis eines Erregers gegeben,
sondern nur bei einer nachgewiesenen Infektion.
5.16.3
Prävention im Vordergrund stehender nosokomialer Infektionen
Wichtige Bausteine derWeaningInfektionsprävention
Infektionen, nosokomialeWeaning primären bzw. sekundären Prävention von Infektionen
sind:
•
die konsequente Erfassung des Erregerspektrums der Patienten,
•
die Einhaltung des Maßnahmenbündels bei der Isolierung sowie
•
die sinnvolle Antibiotikastrategie (nach Empfehlung der Klinik) bei der Behandlung
von Infektionen.
Weitere Maßnahmen dienen der Reduktion spezieller Infektionen (Kap. 4).
Atemwegsinfektionen: Maßnahmen zur Vermeidung von Atemweginfektionen sind besonders
bei langzeitbeatmeten Patienten essenziell. Neben den üblichen Verfahrensweisen (zweimalige
Mundhöhlenantiseptik bei allen Patienten, antiseptische Nasen- und Rachenpflege bei
mit MRE kolonisierten Patienten in der Früh- und Spätschicht, WeaningAtemwegsinfektionen
AtemwegsinfektionenWeaning, Präventionnachts nur bei Bedarf zur Gewährleistung der
Nachtruhe, antiseptische Tracheostomapflege) sollen nur bei klinischem Bedarf endotracheale
Absaugungen mit geschlossenem System oder sterilem Katheter und sterilen Handschuhen
vorgenommen werden (Kap. 5.9.5).
Alle Anteile des Medikamentenverneblers sind alle 24 h sowie bei jedem Patientenwechsel
aufzubereiten, sofern nicht vom Hersteller aufgrund einer bakteriendichten Trennfläche
zwischen Medikamentenreservoir und Inspirationsschenkel eine längere Verwendungsdauer
deklariert ist. Die Inspirationsluft wird nicht routinemäßig aktiv angefeuchtet. Der
Wechsel von HME-Filter, Absaugungen sowie Schlauchverlängerung („Gänsegurgel“) erfolgt
nach Vorgaben des Herstellers. Beatmungsschläuche werden nur bei sichtbarer Verunreinigung
gewechselt.
Ein weiterer Bestandteil der Prophylaxe ist die gezielte Schluckdiagnostik. Wir führen
diese routinemäßig als FEES (Fiberendoscopic Evaluation of SwallowingFiberendoscopic
Evaluation of Swallowing) als transnasale Laryngoskopie mit flexiblem Videolaryngoskop
ohne Arbeitskanal durch. Während Sensibilität und Motorik zuverlässig mit hoher Sensitivität
und Spezifität erfassbar sind, spielt gerade bei Weaningpatienten die von Tag zu Tag
wechselnde Vigilanz eine wichtige Rolle. Hier darf man sich nicht allein auf das gute
Ergebnis einer Schluckdiagnostik verlassen. Bei nachgewiesener Dysphagie erfolgt die
Anlage einer PEG. Durch konsequentes Vorgehen beim Schlucktraining können Aspirationen
deutlich reduziert werden.
Katheter-assoziierte Blutstrominfektionen: Sofern zentralvenöse ZugängeBlutstrominfektion,
gefäßkatheterassoziierteWeaning, Prävention
WeaningBlutstrominfektionen, gefäßkatheter-assoziierte, Prävention unverzichtbar sind,
ist streng darauf zu achten, Katheter mit möglichst wenigen Lumina zu verwenden. Um
stehende Flüssigkeiten in ungenutzten Lumina zu vermeiden, erfolgt eine kontinuierliche
Spülung mit NaCl mit einer Laufrate von 10 ml/h. Eine strikte Händehygiene sowie das
Tragen von Handschuhen bei Manipulationen am Katheter sind selbstverständlich. Nach
jeder Benutzung eines Dreiwegehahns ist dieser mit einem neuen sterilen Kombistopper
zu verschließen. Der Beatmungsschlauch soll so gelagert werden, dass er keinen Kontakt
zum Katheter hat. Bei Diskonnektionen des Beatmungssystems ist unbedingt darauf zu
achten, dass kein Sekret auf den venösen Zugang tropft. Hier ist zusätzliches Einschlagen
des Katheters in ein kleines Tuch hilfreich.
Falls keine Transparentverbände eingesetzt werden, muss bei nicht vorhandener Compliance
des Patienten zur Beurteilung der Einstichstelle täglich der Verband gewechselt werden.
Zur Infektionsprävention hat sich beim Verbandwechsel die Applikation octenidinhaltiger
alkoholischer Hautantiseptika als wirksam erwiesen (Dettenkofer et al. 2002).
Dialysekatheter: Dialysekatheter sind für die Hämodialyse reserviert und dürfen nur
in Notfallsituationen artfremd verwendet werden. Wenn möglich, sollten sie nicht in
der V. femoralis liegen. Der aseptische Verbandwechsel entspricht den üblichen Kautelen.
Zusätzlich ist es hilfreich, nicht benutzte Dialysekatheter durch Einschlagen in sterile
Mullkompressen zu schützen. Zur Verhinderung einer Biofilmbildung eignen sich antibakterielle
Locklösungen (Kap. 5.19.2).
Harnwegsinfektionen: Eine Harnwegsinfektionen, katheter-assoziierteWeaning, Prävention
WeaningHarnwegsinfektionen, katheterassoziierte, Präventionweitere wichtige Infektionsquelle
bei intensivmedizinisch betreuten Patienten sind Harnweginfektionen. Hier ist vor
allem regelmäßig zu evaluieren, ob der Katheter noch benötigt wird. Bei anhaltender
Harninkontinenz ist vor allem bei Männern vor der Überleitung in die ambulante Pflege
zu prüfen, ob für die dauerhafte Pflege ein Blasenfistelkatheter angelegt werden kann.
Die Pflege erfolgt nach üblichen Standards (Kap. 5.12.7).
Wundinfektionen: Sie bedürfen des Surgical Site InfectionsWeaning, Prävention
WeaningSurgical Site Infection, Präventionspeziellen Managements und sind häufig nur
in enger Kooperation mit chirurgisch tätigen Kollegen zu beherrschen. Wenn möglich,
sollte das Wundsekret über Drainagen abgeleitet werden. Bei ausgedehnten, tiefen Wunden
bevorzugen wir Vakuumverbände, die durch die Saugeinrichtung die Mobilität der Patienten
gelegentlich einschränken.
5.16.4
Ausstattung
Räumlichkeiten: Bei der Planung eines Weaningzentrums sollte der Krankenhaushygieniker
einbezogen werden. Die Anforderungen entsprechen im Wesentlichen denen einer Intensivstation,
wobei größerer Platzbedarf besteht (Toilette im Zimmer, Duschmöglichkeit, Weaningzentrumbauliche
Anforderungenauch wenn der Patient nur im Pflegestuhl mobilisiert und noch beatmet
ist). Wasserhähne an Waschbecken mit direktem Patientenkontakt sollen ohne Handkontakt
zu betätigen sein. Der Wasserstrahl ist neben den Siphon gerichtet, um Verspritzen
von erregerhaltigem Wasser zu vermeiden, die Siphonabdeckung ist nach oben gewölbt
und es sind endständige Sterilfilter am Wasserauslass installiert. Es sollten möglichst
mehrere Einzelzimmer für die Isolierung vorhanden sein. Lagerflächen außerhalb der
Zimmer müssen ausreichend vorhanden sein, da im Vergleich zu Intensivstationen deutlich
mehr Mobilisierungshilfen benötigt werden (Pflegestühle, Stehbrett, Balancetrainer,
Trainingsgeräte).
Apparative Ausstattung: Die WeaningzentrumAusstattung, apparativePrävalenz von Problemerregern
ist bei Patienten einer Weaningstation im Vergleich zu einer Intensivstation in der
Akutversorgung deutlich höher. Daher sollten medizinisch-technische Geräte, die bauartbedingt
oft schlecht desinfizierbar sind (Ultraschall-, EKG-, Physiotherapiegeräte), zur ausschließlichen
Verwendung auf der Weaningstation vorgesehen werden. Die Forderung der alleinigen
Anwendung trifft für alle Geräte zu, da eine erhebliche Zahl der Patienten mit MRE
besiedelt bzw. infiziert ist und trotz Einhaltung aller Hygienemaßnahmen bei der Ausleihe
von Hilfsmitteln oder medizinischen Geräten von anderen Stationen die Gefahr der Erregerausbreitung
nicht ausgeschlossen werden kann. Auf der Weaningstation selbst wird eine solche Ausbreitung
durch strikte Anwendung aller Hygienemaßnahmen einschließlich der Verwendung von vollständig
desinfizierbaren Hilfsmitteln, einer patientengebundenen Medizintechnik (Monitoring
ambulant/stationär ist identisch, individuelles PDMS [Patientendaten-Managementsystem]
mit elektronischer Patientenakte) und die räumliche Abtrennung von Patienten mit Problemerregern
minimiert. Für Computer sind ein integrierter Touchscreen sowie eine wisch- oder besser
tauchdesinfizierbare Tastatur zu gewährleisten.
Verbrauchsmaterialien sollten nur in kleinen Mengen im Patientenzimmer vorgehalten
werden, um Verwurf bei Kontamination vorzubeugen (Modulsystems ist günstig).
Desinfektion: Desinfektionsmittelspender WeaningzentrumDesinfektion
DesinfektionWeaningzentrummüssen mindestens an allen Arbeitsflächen sowie am Eingang
und Ausgang des Zimmers vorhanden und bequem für alle Mitarbeiter mit dem Ellenbogen
erreichbar sein. Die tägliche Flächendesinfektion aller Betten, Arbeitsflächen, sämtlicher
Griffe und aller Pflege- und Hilfsmittel ist notwendig zur Unterbrechung von Infektionsketten.
5.16.5
Anforderungen an das Personal
Entsprechend den Besonderheiten der zu versorgenden Patienten muss ausreichend geschultes
und motiviertes Personal vorhanden sein. Regelmäßige Schulungen des Personals und
die ständige Kommunikation im Team (hierzu gehören alle Mitarbeiter aus der Pflege,
dem Arztbereich, der Physiotherapie u. a.) sowie mit den Hilfsdiensten auf der Station
(Administration, Reinigung, Modulversorgung) zu infektiologischen Besonderheiten der
Patienten sind unverzichtbarer Bestandteil der täglichen Arbeit.
Einzelzimmerpflege WeaningzentrumPersonal, Anforderungenoder Mehrbettpflege mit Umkehrisolation
bei Intensivpatienten kann nur mit ausreichendem Personal durchgeführt werden. Die
Barrierepflege in einem Patientenzimmer bedeutet eine enorme zeitliche Belastung (durch
Schutzkleidungswechsel) für das Personal. Daher führt jeder Personalmangel zu Defiziten
bei der Durchsetzung des Hygieneregimes. Die in diesem Zusammenhang vom Kostenträger
hinterfragten wirtschaftlichen Kennzahlen lassen sich nicht oder nur unzureichend
von der Intensivmedizin auf den therapeutischen Aufwand bei der Entwöhnung langzeitbeatmeter
Patienten übertragen (Schönhofer et al. 2008). Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen
des Zertifizierungsverfahrens von pneumologischen Weaningzentren u. a. die apparativen
und personellen Mindestanforderungen explizit benannt (WeanNet-Erhebungsbogen).
5.16.6
Fazit
Es steht außer Frage, dass hygienische und infektiologische Probleme eng mit dem klinischen
Zustand der Patienten zusammenhängen. Der Umfang hängt vom Patienten, seiner Grunderkrankungen
und der Gesamtkonstitution ab, wird jedoch auch durch zahlreiche intensivmedizinische
Maßnahmen beeinflusst. Angefangen vom Lagerungsmanagement über die Sedierung bis hin
zur Medikation und Ernährung existieren mehrere direkte und indirekte Faktoren mit
Auswirkungen auf die Konstitution des Patienten. Zu den einzelnen Sachverhalten existieren
verschiedene Empfehlungen, die mit eigenen Erfahrungen untersetzt und an die speziellen
Gegebenheiten angepasst werden müssen. Erst durch praktisches Umsetzen werden die
Grenzen sichtbar und es sind eigene Strategien zur lokal angepassten Umsetzung gefragt.
So müssen auch für weniger typische Verrichtungen auf einer Intensivstation die Regeln
der Infektionsvermeidung eingehalten werden.
Wir verwenden dazu sehr erfolgreich das therapeutische Puppenspiel. Früher konnten
wir die Puppen aus dem Fundus unserer Therapeutin auf unserer Weaningstation nur bei
nicht mit Problemerregern kolonisierten oder infizierten Patienten einsetzen. Jetzt
sind wir dazu übergegangen, die Puppen bei besiedelten oder infizierten Patienten
direkt im Zimmer mit ihnen zusammen anzufertigen (und auch dort zu belassen) und haben
somit die psychologischen Ansätze mit den Aspekten der Entwicklung der Feinmotorik
verbunden. Diese Aspekte sind auch bei verschiedenen anderen Gesellschaftsspielen
von Belang, wobei die verwendeten Materialien desinfizierbar sein müssen (teilweise
kann man sie selbst gummieren, um das zu erreichen).
Die Umsetzung ethischer und medizinisch-qualitativer Anforderungen beim Betreiben
einer Weaningstation spiegeln sich nicht zuletzt auch in der Einhaltung hygienischer
Standards wider. Diese sind unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche Entwöhnung
von langzeitbeatmeten Patienten, die in spezialisierten Zentren sehr erfolgreich ist
(Barchfeld et al. 2014; Oehmichen et al. 2013).
5.17
Internistische Endoskopie
Ottmar Leiß und Heike Martiny
The endoscopist tends to see the hole of the patient but not the whole patient and
tends to see the whole instrument but not the hole of the instrument – dieses Wortspiel
bringt das Dilemma bei der Endoskopie auf den Punkt. Die Betrachtung des „ganzen“
Patienten, d. h. die Endoskopie, internistischeBerücksichtigung von Alter, Abwehrlage,
vorliegenden Begleiterkrankungen usw., wurde bei den infektionsbegünstigenden Faktoren
im Rahmen endoskopischer Untersuchungen (Kap. 4.6.1) erörtert. Auf den zweiten Aspekt,
die konstruktiven Besonderheiten von Endoskopen und die daraus resultierenden Probleme
bei der Aufbereitung, wird nachfolgend eingegangen. Die detaillierte Erörterung konstruktiver
Besonderheiten des komplexen Medizinprodukts Endoskop erscheint vor allem aus zwei
Gründen geboten:
•
Die Übertragung von Infektionserregern durch semikritische Instrumente wie flexible
Endoskope ist die häufigste Device-assoziierte Infektionsübertragung und Ursache von
Ausbrüchen (Rutala und Weber 2013).
•
Die meisten Übertragungen von Infektionserregern bei endoskopischen Untersuchungen
erfolgen nicht von Patient zu Patient/Personal, sondern durch ein nicht korrekt aufbereitetes
Endoskop oder endoskopisches Zusatzinstrumentarium (Leiß 2002; Kovaleva et al. 2013;
Nelson und Muscarella 2006).
5.17.1
Das Endoskop als komplexes Medizinprodukt
Zum Endoskope, flexible
Endoskope, flexibleAufbauschematischen Aufbau eines flexiblen Endoskops Abb. 5.5
. Da sich die Kanalsysteme eines flexiblen Endoskops der direkten Betrachtung entziehen,
können sowohl das Ausmaß einer Kontamination (Anreicherung mit Mikroorganismen) nach
erfolgter Untersuchung als auch der Effekt der Reinigung und Desinfektion (Abreicherung
von Mikroorganismen) nicht direkt beurteilt werden. In Untersuchungen zur Beurteilung
der Effizienz des Reinigungsschritts werden daher dünne, mit Schafsblut und mit einem
Prüforganismus kontaminierte PTFE-Schläuche mit Durchmesser und Länge entsprechend
dem Instrumentierkanal eines flexiblen Endoskops verwendet (DIN EN ISO 15.883–4 2009;
DIN ISO/TS 15.883–5: 2006; Zühlsdorf, Floss und Martiny 2004; Zühlsdorf et al. 2002).
Vor der Durchspülung der PTFE-Schläuche mit NaCl-Lösung wird die Reinigungsleistung
visuell beurteilt und nach anschließender Befüllung mit Nähragar die bestehende mikrobielle
Belastung kulturell analysiert. Die alleinige Überprüfung der Reinigungsleistung erfolgt
mithilfe von mit Schafblut kontaminierten PTFE-Schläuchen und anschließender Proteinbestimmung
(DGKH et al. 2011). Beide Verfahren sind jedoch nur zur Überprüfung maschineller Aufbereitungsverfahren
zu verwenden.
Abb. 5.5
Schematische Darstellung des Kanalsystems eines flexiblen Endoskope, flexibleEndoskops
(Olympus)
[V218]
Konstruktive Besonderheiten flexibler Endoskope wie die Zugänglichkeit der Instrumentierkanäle
haben Einfluss auf die Effizienz der Reinigung (Dietze et al. 2001). Scheinbar marginale
technische Änderungen am Endoskop, z. B. der Kappe des Biopsiekanals, können mit der
Reinigung, der Desinfektion oder der Trocknung interferieren und Ursache von NI-Ausbrüchen
sein (Kirschke et al. 2003). Das Design von Konnektoren, die ein flexibles Endoskop
an ein RDG für Endoskope (RDG-E) ankoppeln, kann die Aufbereitung verbessern und die
Versagerquote reduzieren (Ishino, Ido und Sugano 2003). Konstruktionstechnische Besonderheiten
von Seitblickduodeno-skopen (Albarran-Hebel) erschweren Reinigung und Desinfektion
und sind Ursache für gehäufte Infektionen bei endoskopisch-retrograder Cholangio-Pankreatikografie
(ERCP) (Kovaleva et al. 2013) und Ausbrüchen mit Carbapenem-restistenten Enterobacteriaceae
(z. T. mit Todesfolge) (Muscarella 2014).
Prinzipiell kann ein Endoskop sowohl manuell als auch maschinell hygienisch korrekt
aufbereitet werden (Bader et al. 2002; Bradley und Babb 1995; Fraser et al. 1993).
Die maschinelle Aufbereitung ist wegen der deutlich einfacheren Validierbarkeit des
Prozesses zu bevorzugen (Bader et al. 2002; KRINKO 2012a).
5.17.2
Bioburden
Experimentelle Untersuchungen haben Daten zur mikrobiologischen Belastung (Bioburden)
flexibler EndoskopeEndoskope, flexiblemikrobielle Belastung nach der Untersuchung,
ergeben.
Gastroskope: Unmittelbar Gastroskope, Bioburden
Endoskope, flexibleGastroskopenach der Gastroskopie von Patienten mit H. pylori-Gastritis
ließ sich mittels PCR aus Spüllösungen des Absaug- und Instrumentierkanals in 61 %
(Fantry 1995) und bei 42 % kulturell (Nürnberg et al. 2003) H. pylori nachweisen.
Chu, McAlister und Antonoplos (1998) konnten in Spüllösungen aus dem Instrumentierkanal
von Gastroskopen unmittelbar nach Anwendung einen Bioburden von 7 × 109 KbE feststellen.
Zühlsdorf, Floss und Martiny (2004) sowie Zühlsdorf et al. (2002) haben den Reinigungseffekt
kommerzieller Reiniger in RDG-E getestet. Bei den nach Herstellerangaben angewandten
Prozessparametern war der Reinigungseffekt mancher Reinigungsprozesse unzulänglich.
Nach Gastroskopien von 17 HBsAg-positiven Patienten wurden in 5 Arbeitskanälen 6,5
× 104 bis 1,3 × 106 Viruskopien/Kanal, in 3 Luftkanälen 2,5 × 103 bis 2,8 × 104 Viruskopien/Kanal
und in einem Wasserkanal 2,5 × 103 Viruskopien/Kanal gefunden und zwar trotz Vorreinigung
mit 200 ml Reinigungslösung (Ishino, Ido und Sugano 2005).
Koloskope: Die Koloskope, Bioburden
Endoskope, flexibleKoloskopemikrobielle Belastung von Koloskopen ist ungleich höher.
Da 1 g Stuhl 1012–1014 Mikroorganismen enthält, stellt der mit Stuhlresten kontaminierte
Instrumentierkanal eines Koloskops erhöhte Anforderungen an die Aufbereitung. Zwar
kann das Bioburden von flexiblen Endoskopen durch alleinige manuelle Reinigung um
4 log-Stufen, d. h. um 99,99 % reduziert werden (Alfa, Degagne und Olson 1999; Chu,
McAlister und Antonoplos 1998), dies ist jedoch bei einem durch Stuhl kontaminierten
Endoskop unzureichend. Nur ein koordiniertes und aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel
von Reinigung, Spülung und nachfolgender Desinfektion kann die Kontamination so drastisch
reduzieren (Alfa et al. 2012b) bzw. komplett beseitigen, dass von dem Koloskop keine
Gefahr der Übertragung von Infektionserregern auf den nächsten Patienten ausgeht.
5.17.3
Anforderungen an die Aufbereitung flexibler Endoskope
Bei MedizinprodukteaufbereitungEndoskope, flexible
Endoskope, flexibleAufbereitungder Aufbereitung eines Endoskops muss immer davon ausgegangen
werden, dass eine Kontamination mit einem Krankheitserreger stattgefunden hat. Nach
der Reinigung flexibler Endoskope sind deshalb Desinfektionsmittel anzuwenden, die
gegen alle durch Endoskope übertragbaren Mikroorganismen wirksam sind.
Anforderung an Reinigung und Reinigungslösungen
Die wichtigste Anforderung an die Reinigung ist, dass ReinigungEndoskope
Endoskope, flexibleReinigungunmittelbar nach Gebrauch eines flexiblen Endoskops eine
Spülung der Instrumentierkanäle mit einer Reinigungslösung erfolgt („bedside cleaning“),
um das Antrocknen von Sekreten oder Blut zu vermeiden und die Vorraussetzungen zur
Ausbildung eines Biofilms zu minimieren (Roberts 2013). Wegen der Bedeutung des Reinigungsschrittes
bei der Aufbereitung von Medizinprodukten empfiehlt die 2012 überarbeitete KRINKO-BfArM-Empfehlung
in der Anlage 8 eine Spülung des Instrumentierkanals von Endoskopen unmittelbar nach
der Nutzung mit 200 ml Reinigungslösung, die australische Leitlinie zur Endoskopaufbereitung
empfiehlt eine Spülung mit 250 ml Reinigungslösung (GESA 2011). Andere Leitlinien
machen diesbezüglich keine Aussagen.
Anforderung an die Reinigungslösung: Zur Vorreinigung und Reinigung flexibler Endoskope
können Lösungen oberflächenaktiver Substanzen (Tenside) oder enzymatische Reiniger
verwendet werden. Kombiniert reinigende und desinfizierende Lösungen dürfen nur verwendet
werden, wenn eine fixierende Wirksamkeit ausgeschlossen werden kann (Alvarado und
Reichelderfer 2000; Beilenhoff et al. 2008; KRINKO und BfArm 2012; Zühlsdorf, Floss
und Martiny 2004; Zühlsdorf et al. 2002). Fixierende Wirkungen sind sowohl von Glutaraldehyd
(Glutaral) als auch von peressigsäurehaltigen Produkten und Alkoholen beschrieben
(Kampf, Bloß und Martiny 2004; Prior et al. 2004). Die Reinigungslösung sollte zudem
nicht schäumend sein. Das Ziel des Reinigungsschritts, die möglichst rückstandsfreie
Entfernung organischen Materials und chemischer Substanzen, konnte in Untersuchungen
mit radioaktiv markierten kontaminierten Medizinprodukten nicht erreicht werden (Roth
et al. 1999). Eine vergleichende Untersuchung mit verschiedenen Reinigern bezüglich
Effizienz, Reproduzierbarkeit und Standardisierbarkeit des Reinigungsschritts bei
Aufbereitung von Endoskopen im RDG-E ergab, dass die Effizienz des Reinigungsschritts
im RDG-E nicht ohne Optimierung der jeweiligen Prozessparameter erreichbar ist (Zühlsdorf,
Floss und Martiny 2004; Zühlsdorf et al. 2002).
Bei unzureichender Reinigung sind Wirksamkeit und Effektivität der nachfolgenden Desinfektion
nicht gewährleistet – nur was sauber ist, kann auch desinfiziert werden (Chafour et
al. 1999; Vickery, Pajkos und Cossart 2000).
Weil die Reinigung inkl. Bürstenreinigung der Kanäle auch bei nachfolgender maschineller
Aufbereitung in einem Reinigungs-Desinfektions-Gerät für Endoskope (RDG-E) manuell
erfolgt und hierbei Fehler auftreten können und um die Effizienz des Reinigungsschritts
(Alfa et al. 2013; DGKH et al. 2011) während der Aufbereitung überprüfen zu können,
haben Alfa et al. (2012a) als gerätelose Alternative einen Rapid Use Scope Test (RUST)
entwickelt. Dieser Teststreifen zeigt in 3 Feldern das Vorhandensein von Protein-,
Kohlenhydrat- und Hämoglobinresten oberhalb eines bestimmten Grenzwerts mittels Farbumschlag
an und hat in Schulungen des Personals und als interne Qualitätskontrolle des Reinigungsschrittes
eine hohe Akzeptanz gezeigt (Alfa et al. 2012a).
Anforderungen an Desinfektionsmittel für Endoskope
Ein Endoskope, flexibleDesinfektion
DesinfektionEndoskope, flexible
DesinfektionsmittelEndoskope, flexibleflexibles Endoskop besteht aus vielen unterschiedlichen
thermolabilen Materialien. Nach Rutala und Weber (1999) sollte ein ideales Desinfektionsmittel
für Endoskope ein breites Wirkspektrum haben, schnell wirken, für Personal und nachfolgend
untersuchte Patienten nicht toxisch und frei von Nebenwirkungen, materialschonend,
nicht korrosiv, umweltfreundlich und leicht abbaubar sein (Tab. 5.28
). Die europäische Gesellschaft für gastroenterologische Endoskopie (Beilenhoff et
al. 2008), amerikanische Experten (Rutala und Weber 2008) sowie andere Autoren (Kovaleva
et al. 2013; Park et al. 2013) haben Empfehlungen für die Auswahl eines Desinfektionsmittels
publiziert.
Tab. 5.28
Anforderungen an ein ideales Desinfektionsmittel zur Desinfektion flexibler Endoskope
Geforderte Eigenschaft
Spezifikation
Hohe Effizienz
Sollte viruzid, bakterizid, tuberkulozid und fungizid sein
Wirksamkeit
Sollte in der Lage sein, eine Desinfektion schnell zu erreichen
Materialverträglichkeit
Auch nach mehrfacher Anwendung nur vernachlässigbare Veränderungen in Aussehen oder
Funktion, keine schädigenden Wirkungen für Metall (Korrosivität), Gummi, Plastik oder
andere Materialien
Fehlende Toxizität
Keine Gesundheitsrisiken für Anwender und Patienten, umweltverträglich
Geruchlosigkeit
Keine Geruchsbelästigung
Keine Färbbarkeit
Keine Verfärbung von Haut, Schutzkittel, MP und Arbeitsflächen
Eiweißfehler
Kein Wirkungsverlust bei Kontamination mit organischem Material
Monitoring
Möglichkeit eines Monitorings der minimalen effektiven Konzentrationen mit einfachen
Verfahren bei Wirkstoffen mit begrenzter Stabilität wie PES
Benutzerfreundlichkeit
Einfach anwendbar ohne aufwendiges Training
Nutzungszeit
Sollte bei manueller Anwendung wiederholt und über einen längeren Zeitraum genutzt
werden können
Haltbarkeit
Sollte vor Anwendung lange und ohne Wirkungsverlust gelagert werden können
Entsorgung
Sollte ohne spezielle Maßnahmen (wie z. B. vorherige Neutralisation oder Sammlung
in Spezialgefäßen) entsorgbar sein
(nach Rutala und Weber 1999)
Bei der Aufbereitung flexibler Endoskope ist in vielen Ländern nach wie vor Glutaral
das am häufigsten verwendete Desinfektionsmittel (Kovaleva 2013; Nelson und Muscarella
2006), während z. B. in Frankreich (aufgrund ministerieller Regelung) Peressigsäure
dominiert (Leiß et al. 2008).
Die derzeit zur Aufbereitung flexibler Endoskope verwendeten Desinfektionsmittel haben
gewisse Limitationen und Nebenwirkungen, die der Anwender kennen und berücksichtigen
sollte. Den Vorteilen von GlutaralGlutaralEndoskope, flexible
Endoskope, flexibleGlutaral bezüglich seines breiten Wirkspektrums und seiner Materialverträglichkeit
stehen allergische und toxische Nebenwirkungen gegenüber. Nach Desinfektion mit Glutaral
müssen Desinfektionsmittelreste abgespült werden, um allergische Komplikationen wie
Pharyngitis, blutige Diarrhöen und Bauchkrämpfe zu vermeiden (Leiß 2002; Kovaleva
et al. 2013).
Als thermolabile Instrumente können flexible Endoskope keiner großen Hitze und metallhaltiges
endoskopisches Zusatzinstrumentarium keinen korrodierenden, materialschädigenden Desinfektionsmitteln
ausgesetzt werden. Oxidationsmittel haben korrodierende Eigenschaften und sind für
metallhaltige Instrumente nicht geeignet. Quaternäre Ammoniumverbindungen haben bei
Raumtemperatur Wirkungslücken insbesondere gegen gramnegative Bakterien, M. tuberculosis
und hydrophile Viren und sind für die Endoskopaufbereitung nicht empfehlenswert (Kovaleva
et al. 2013; Leiß 2003; Park et al. 2013). Die sorgfältige Zubereitung der Reinigungs-
und Desinfektionsmittellösungen und Einhaltung der Wechselintervalle muss beachtet
werden.
Ein Biofilm in Endoskopkanälen kann die Reinigung und Desinfektion beeinträchtigen
(Kovaleva et al. 2013; Roberts 2013). Ein Vorteil enzymatischer Reiniger bezüglich
des Abbaus/der Beseitigung von Biofilmen ist nicht belegt. Da Mikroorganismen im Biofilm
vor der Einwirkung von Desinfektionsmitteln geschützt sind, können sie im Biofilm
überleben und nachfolgend Infektionen verursachen (Kovaleva, Degener und van der Mei
2010). Deshalb ist eine gesicherte Reinigung unabdingbar.
Anforderungen an RDG-E
Die Aufbereitung im geschlossenen System des RDG-E reduziert die Desinfektionsmittelbelastung
für das Personal und die zeitliche Bindung des Personals, erleichtert die Aufbereitung,
standardisiert das Aufbereitungsverfahren und erlaubt sowohl eine rückverfolgende
Dokumentation der Aufbereitung als auch einen validierbaren Aufbereitungsprozess.
Anforderungen an RDG-EReinigungs-Desinfektions-GeräteEndoskope, flexible
Endoskope, flexibleRDG-E (DGKH et al. 2011; ESGE 2000; Höller et al. 2009) beinhalten
einen integrierten Dichtheitstest, die Aufbereitung des Wassers zur Schlussspülung
(z. B. thermische Desinfektion, Sterilfiltration) und wählbare Programme mit detaillierter
Fehlermeldung. Da RDG-E kontaminiert sein können, z. B. mit Pseudomonaden, beinhalten
Anforderungen an normkonforme RDG-E auch Programmschritte zur Desinfektion des RDG-E
selbst, bei denen alle möglicherweise kontaminierten RDG-E-Bereiche desinfiziert werden.
Ferner sind folgende Kriterien für die RDG-E-Auswahl von Bedeutung:
•
Unabhängigkeit des RDG-E vom Fabrikat/Hersteller der eingesetzten Endoskope
•
Unabhängigkeit des RDG-E vom Hersteller der eingesetzten Chemie
•
Erfüllung der Anforderungen der DIN ISO/TS 15883–5; die Wirksamkeit soll gemäß Norm
im Gesamtprozess (Reinigung und Desinfektion) 9 log-Stufen betragen
•
Einzelkanalprüfung
•
Keine Totstrecken in der Überwachung der Endoskopkanäle
Die Validierung und die erforderlichen erneuten Leistungsqualifikationen des Aufbereitungsprozesses
in einem RDG-E umfassen neben mikrobiologischen bzw. chemischen Untersuchungen auch
verschiedene physikalischen Messungen, mit denen die Erfüllung der gestellten Anforderungen
gesichert werden kann (DGKH et al. 2011).
Qualität des Schlussspülwassers
Ein Endoskope, flexibleSpülwasser
WassersicherheitEndoskope, flexiblelange vernachlässigter und im internationalen Vergleich
unterschiedlich gehandhabter Aspekt (Leiß et al. 2002) betrifft die hygienischen Anforderungen
an das zur Schlussspülung zwecks Entfernung von Desinfektionsmittelrückständen verwendete
Wasser (Leiß et al. 2002; Muscarella 2002). Es muss in einem definierten Volumen frei
von Krankheitserregern sein. RDG-E, in denen das zur Schlussspülung verwendete Wasser
durch Erhitzen desinfiziert und anschließend gekühlt wird, sind zu bevorzugen (Bader
et al. 2002; Höller et al. 2009).
Bei Verwendung von Leitungswasser, z. B. im Rahmen der manuellen Endoskopaufbereitung,
kann eine Rekontamination eintreten.
Entsprechend fordern europäische Leitlinien zur Endoskopaufbereitung (Beilenhoff et
al. 2008) und die Empfehlung der KRINKO und BfArM (2012) steriles oder sterilfiltriertes
Wasser zur Schlussspülung, während amerikanische Leitlinien zur Endoskopaufbereitung
(ASGE et al. 2011) auch Trinkwasser zur Schlussspülung erlauben.
5.17.4
Prävention der Erregerübertragung in der Endoskopie
Die Endoskopie, internistischeInfektionspräventionentscheidenden Maßnahmen zur Infektionsprävention
in der Endoskopie sind die Händehygiene (Santos et al. 2013) und die hygienisch korrekte
Aufbereitung von Endoskopen und endoskopischem Zusatzinstrumentarium. Die hygienisch
korrekte Aufbereitung komplexer MP wie flexibler Endoskope ist nicht durch eine einzelne
Maßnahme erreichbar.
Der Prozess der Abreicherung von Mikroorganismen beinhaltet ein aufeinander abgestimmtes
mehrstufiges Verfahren, das bei der Aufbereitung flexibler Endoskope i. d. R. aus
den Teilschritten Vorreinigung, Reinigung, Zwischenspülung, Desinfektion, Schlussspülung
und Trocknung besteht. Das Endoskop darf – wie andere MP – nur von Personen angewandt
und aufbereitet werden, welche die dafür erforderliche Ausbildung, die Kenntnisse
und Erfahrungen haben.
Die Aufbereitung muss mit einem validierten Verfahren erfolgen, die angewandten Verfahrensweisen
müssen dokumentiert (KRINKO und BfArM 2012a) und z. B. im Hygieneplan festgehalten
werden.
Die Einhaltung der Empfehlungen der KRINKO und des BfArM (2012) und gastroenterologischer
Fachgesellschaften (ASGE et al. 2011; Beilenhoff et al. 2008; GESA 2014) zur Aufbereitung
von Endoskopen liegen in der direkten Verantwortung aller in der Endoskopie Tätigen.
Das ist nur durch Teamarbeit in enger Kooperation von Endoskopiepersonal, endoskopierenden
Ärzten und dem Hygienefachpersonal erreichbar.
Praxis der Aufbereitung und Qualitätssicherung
Vorreinigung: Unmittelbar im Endoskopie, internistischeMedizinprodukteaufbereitung
MedizinprodukteaufbereitungEndoskopie, internistischeAnschluss an die endoskopische
Untersuchung muss eine Vorreinigung (mehrfaches Durchsaugen sämtlicher Kanäle mit
Reinigungslösung, Abwischen des Außenmantels des Endoskops mit feuchtem, flusenfreiem
Einwegtuch) erfolgen, noch während das Endoskop an die Lichtquelle und die Absaugpumpe
angeschlossen ist („bedside cleaning“). Hierdurch soll ein Antrocknen von organischem
Material und chemischen Rückständen im Kanalsystem oder an Außenteilen des Endoskops
vermieden werden. Beim Transport des Endoskops vom Unetrsuchungsraum in den Aufbereitungsraum
kann eine Kontamination des Umfelds durch Verwendung entsprechender (abgedeckter)
Transportsysteme verhindert werden.
Alle weiteren Aufbereitungsschritte erfolgen räumlich getrennt vom Untersuchungsraum
in der unreinen Zone des separaten Aufbereitungsraums. Alle Reinigungsschritte sind
unter der Flüssigkeitsoberfläche im Reinigungsbecken durchzuführen, um Spritzeffekte
mit kontaminierten Flüssigkeiten zu vermeiden.
Die Reinigung des Endoskope, flexibleReinigungEndoskops und aller zugänglichen Endoskopkanäle
ist unabdingbarer Bestandteil der korrekten Aufbereitung. Die manuelle Reinigung der
Kanäle des Endoskops mit einer desinfizierten, dem Kanaldurchmesser entsprechenden
Reinigungsbürste ist derzeit grundsätzlich noch immer durchzuführen, auch bei nachfolgender
Aufbereitung im RDG-E (KRINKO und BfArM 2012). Die verwendeten Reinigungsbürsten werden
nach jeder Benutzung im Ultraschallbad gereinigt und anschließend desinfiziert oder
Einmal-Reinigungsbürsten verwendet. Durch die manuelle Bürstenreinigung der Endoskopkanäle
kann die Koloniezahl um bis zu 4 log-Stufen reduziert werden (Alfa, Degagne und Olson
1999; Chu, McAlister und Antonoplos 1998).
Für die manuelle Desinfektion sind Endoskope, flexibleDesinfektion
DesinfektionsmittelEndoskope, flexiblezertifizierte Desinfektionsmittel einzusetzen,
die z. B. in der Liste des VAH (2014) aufgeführt sind. Prinzipiell ist sowohl bei
manuellen als auch bei maschinellen Verfahren die Anwendung der viruziden Konzentration
bzw. eines viruziden Verfahrens erforderlich (RKI 2007b; VAH 2014). Für die maschinelle
Aufbereitung steht derzeit keine Liste mit zertifizierten Desinfektionsmitteln zur
Verfügung. Es sind daher nur Reinigungs- und Desinfektionsmittel zu verwenden, deren
Eignung und Wirksamkeit in Gutachten der Präparate- bzw. RDG-E-Hersteller nachgewiesen
wurde.
Da Rückstände von Desinfektionsmitteln im Endoskop beim nächsten Patienten chemische
Irritationen und allergische Schleimhautreaktionen (Lippenschwellung, Pharynxödem,
hämorrhagische Kolitis u. a.) auslösen können, muss die Desinfektionsmittellösung
durch intensives Nachspülen der Kanäle und des Außenmantels des Endoskops sorgfältig
entfernt werden (Leiß 2002; Kovaleva et al. 2013; KRINKO und BfArM 2012).
Inzwischen gibt es eine Methode zum Nachweis von Glutaral auf aufbereiteten Endokopen
(Emmrich et al., 2014a, Emmrich et al., 2014b).
Im Anhang der KRINKO-BfArM-Empfehlung (KRINKO und BfArM 2012, Anl. 8) sind Checklisten
angeführt, die eine korrekte Durchführung des Aufbereitungsprozesses sicherstellen
helfen.
Aufbewahrung und Transport flexibler Endoskope
Endoskope Endoskope, flexibleAufbewahrungsollten, entsprechend den Herstellerangaben,
vorzugsweise hängend in einem geschlossenen Endoskopschrank arbeitsplatznah aufbewahrt
werden. Eine Aufbewahrung eines korrekt aufbereiteten Endoskops von 7–14 d gilt als
sicher (ASGE et al. 2011; KRINKO und BfArM 2012). Bislang ist nicht erwiesen, dass
nach nachweislich sachgemäßer Aufbereitung überhaupt eine Wiederverkeimung auftritt
(Lee und Park 2013).
Zu endoskopischen Untersuchungen außerhalb der Endoskopieabteilung (z. B. auf Intensivstation)
sollte das Endoskop kontaminationsgeschützt in geschlossenen Behältnissen (Wanne mit
Abdeckung) oder in keimarmen Tüchern eingeschlagen transportiert werden.
Aufbereitung des endoskopischen Zusatzinstrumentariums
Endoskopisches ZusatzinstrumentariumEndoskopie, internistischeAufbereitung Zusatzinstrumentarium
muss ebenfalls korrekt aufbereitet werden.
Optikspülflasche und Anschlussschlauch sind nach MedizinprodukteaufbereitungOptikspülflasche
MedizinprodukteaufbereitungAnschlussschlauchGebrauch zu leeren, arbeitstäglich zu
desinfizieren, besser zu sterilisieren und anschließend trocken und kontaminationsgeschützt
zu lagern. Die Optikspülflasche ist bei Benutzung mit sterilem Wasser zu füllen (Bader
et al. 2000; KRINKO und BfArM 2012). Absaugsysteme einschließlich Adapter und Schlauchverbindungen
müssen arbeitstäglich gereinigt und desinfiziert werden und sind zwischen den Arbeitstagen
trocken und kontaminationsgeschützt aufzubewahren.
Eine Aufbereitung von Biopsiezangen und Polypektomieschlingen ist zwar grundsätzlich
möglich, stellt jedoch hohe MedizinprodukteaufbereitungBiopsiezangen
MedizinprodukteaufbereitungPolypektomieschlingenAnforderungen an den Prozess (Alfa
et al. 2006; Andrieu et al. 1995; Roth et al. 1999). Bei der Bürstenreinigung wiederaufbereitbarer
Biopsiezangen muss sorgsam vorgegangen werden, um Verletzungen und Infektionen (z.
B. durch HCV) zu vermeiden. Es wird empfohlen, schnittfeste Handschuhe zu tragen.
Bei der Reinigung von endoskopischem Zusatzinstrumentarium in einem Ultraschallbad
sollten die Branchen der Biopsiezangen durch spezielle Clips offen gehalten werden
(Jung et al. 2003).
Für eine Desinfektion von Biopsiezangen und Polypektomieschlingen muss der Hersteller
des RDG-E die Eignung seines Geräts hierfür formal durch die Typprüfung belegt haben.
Trotz fehlender Belege erfolgt in der Praxis eine Desinfektion von Biopsiezangen meist
parallel zur Desinfektion flexibler Endoskope im RDG-E. Eine alleinige Desinfektion
von Biopsiezangen ist zudem unzureichend (Bronowicki et al. 1997), als die Mukosa
penetrierende Instrumente sind Biopsiezangen und Polypektomieschlingen zu sterilisieren
(KRINKO 2012). Mit einem standardisierten Vorgehen konnte in einer Studie eine korrekte
Aufbereitung von Biopsiezangen nachgewiesen werden (Jung et al. 2003). Zur Sterilisation
sind nachweislich wirksame (validierte) Verfahren für thermostabile bzw. thermolabile
Instrumente unter Beachtung der Herstellerangaben sowie nationaler und internationaler
Richtlinien zu wählen. Sterilisierte Instrumente sollen geschützt vor Staub, Feuchtigkeit
und Temperaturschwankungen sowie vor Sonnenbestrahlung und mechanischer Beanspruchung
gelagert werden (z. B. in geschlossenem Schrank).
In vielen Endoskopieeinheiten wird inzwischen aus Kostengründen und um eine zeitliche
Bindung des Personals zu reduzieren, die Verwendung von Einmalzangen und Einmalschlingen
präferiert.
Reinigungsbürsten für die MedizinprodukteaufbereitungReinigungsbürstenEndoskopkanäle
können nach Reinigung im Ultraschallbad anschließend – parallel zur Desinfektion flexibler
Endoskope – im RDG-E desinfiziert werden.
•
Injektionsnadeln (z. B. zur Sklerosierungsbehandlung von Ösophagusvarizen oder zur
Unterspritzung blutender Läsionen) sind wegen des hohen Verletzungs- und Infektionsrisikos
nur als Einmalprodukt einzusetzen (KRINKO und BfArM 2012).
•
Endoskopisches Zusatzinstrumentarium, das bei therapeutischen Eingriffen an Gallengängen
oder Pankreasgang verwendet wird, muss steril sein. Da mit Wasser oder Kontrastmittel
gefüllte Ballons nicht sicher sterilisiert werden können, sind Ballonkatheter für
solche Eingriffe nach Gebraauch nicht aufzubereiten und nicht wiederzuverwenden (KRINKO
und BfArM 2012).
Qualitätssicherung der Endoskopaufbereitung
Da QualitätssicherungEndoskopaufbereitung
Endoskopie, internistischeQualitätssicherung Endoskopaufbereitungdie Aufbereitung
flexibler Endoskope ein mehrstufiges Verfahren der Abreicherung ist und die Einzelschritte,
insbesondere bei der manuellen Aufbereitung, nur unter sehr hohem Aufwand validierbar
sind, sind mikrobiologische Kontrollen der Ergebnisqualität unabdingbar (Beilenhoff
et al. 2007; Buss et al. 2008; DGKH et al. 2010; GESA 2011; Kovaleva 2013; Kovaleva
et al. 2009; KRINKO und BfArM 2012; Merighi et al. 1996).
Multizentrische Untersuchungen belegen, dass die hygienische Aufbereitung von Endoskopen
in fast der Hälfte der Fälle nicht den Empfehlungen gastroenterologischer Fachgesellschaften
entsprach (Cronmiller et al. 1999; Kaczmarek et al. 1992; Orsi et al. 1997) und infolge
fehlerhafter und/oder nie überprüfter Aufbereitungsverfahren kontaminierte Geräte
zum Einsatz kamen (Corne et al. 2005; DiazGranados et al. 2009; Srinivasan et al.
2003). Um Schwachstellen der Aufbereitung zu erkennen und beseitigen zu können und
als interne Qualitätskontrolle der Gesamtaufbereitung, sind mikrobiologische Kontrollen
in allen Endoskopieeinheiten in Klinik und Praxis zu etablieren (Beilenhoff et al.
2007; Buss et al. 2008; DGKH et al. 2010; Kovaleva et al. 2009; KRINKO und BfArM 2012;
Merighi et al. 1996).
Auch typgeprüfte RDG-E sollen mikrobiologisch überprüft werden. Außerdem wird nach
verfahrenseingreifenden Reparaturen eine Überprüfung mit kontaminierten Dummies empfohlen.
Die Anforderungen an RDG-E sind in den letzten Jahren gestiegen (z. B. Einzelkanalüberprüfung
zur Sicherung der Durchspülbarkeit aller Kanäle). Eine maschinelle Endoskopaufbereitung,
die alle Teilaspekte des komplexen, aufeinander abgestimmten Aufbereitungsverfahrens
überprüft und eine fehlerfreie Aufbereitung sicherstellt, ist realisierbar (DGKH et
al. 2011; Zühlsdorf und Kampf 2006). Da noch nicht in allen Endoskopie-Einheiten maschinelle
Aufbereitungsverfahren, die diesen modernen Anforderungen gerecht werden, zur Verfügung
stehen und auch hier devicebedingte Fehler (z. B. Perforation des Endoskopiekanals
mit Kontamination des Endoskopinnenraums, Konnektionsprobleme), die zu einem fehlerhaften
Aufbereitungsergebnis führen können, nicht ausgeschlossen werden können, soll die
Aufbereitung flexibler Endoskope durch mikrobiologische Kontrollen überprüft werden
(Beilenhoff et al. 2007; Buss et al. 2008; DGKH et al. 2010; GESA 2011; Kovaleva et
al. 2009; KRINKO und BfArM 2012; Merighi et al. 1996).
Heudorf et al. (2004) haben bei der infektionshygienischen Überwachung von Endoskopieeinheiten
festgestellt, dass insbesondere in kleineren Praxen im Vergleich zu Krankenhäusern
relevante Hygienemängel zutage traten. Dazu gehörten das Fehlen eines Ultraschallbads
zur Aufbereitung der Zusatzinstrumente, keine arbeitstägliche Aufbereitung der Optikspülflasche
bzw. keine Befüllung mit sterilem Wasser. Die Sterilisation der Zusatzinstrumente
war nicht sichergestellt, da z. B. kein Sterilisator vorhanden war oder eine mikrobiologische
Testung fehlte. Bei einer Überprüfung 10 Jahre später hatten sich Struktur- und Prozessqualität
der Endoskop-Aufbereitung verbessert (Jager et al. 2014).
Zur Gewährleistung des internen Qualitätsmanagements in der Endoskopie müssen Kenntnisse
zur hygienischen Aufbereitung flexibler Endoskope, Verhaltensmaßnahmen zur Verhinderung
nosokomialer Infektionen und zur Vermeidung desinfektionsmittelbedingter gesundheitlicher
Schäden sowie Maßnahmen zum Selbstschutz vor Infektionen durch regelmäßige Schulungen
des Endoskopiepersonals aktualisiert werden. Die Umsetzung in die tägliche Praxis
ist Aufgabe des gesamten Teams. Hygienisch korrektes Verhalten sollte integraler Bestandteil
eines professionellen Selbstverständnisses aller in der Endoskopie Tätigen sein.
Darüber hinaus können durch externe Qualitätssicherungsmaßnahmen eine flächendeckende
Implementierung von Leitlinien zur Endoskopaufbereitung und eine drastische Verringerung
der mikrobiologischen Beanstandungsquote aufbereiteter Endoskope erreicht werden.
So konnte die in der HYGEA-Studie beschriebene Beanstandungsquote von knapp 50 % (Bader
et al. 2002) durch die Qualitätssicherungsvereinbarung von 2002 im Rahmen der Einführung
der Vorsorgekoloskopie, die das Erbringen von Koloskopien an fachliche Qualifikationen
des Untersuchers und an den Nachweis der korrekten Endoskopaufbereitung gekoppelt
hat, sukzessive auf inzwischen unter 5 % gesenkt werden (Fröhlich, Leiß und Muller
2013; Fröhlich, Muller und Leiß 2009).
5.17.5
Maßnahmen zum Schutz des Endoskopiepersonal
Alle PersonalschutzEndoskopie, internistische
Endoskopie, internistischePersonalschutzMitarbeiter der Endoskopie-Abteilung sollten
gegen Hepatitis B geimpft sein. Zur Vermeidung einer Übertragung von Infektionserregern
von Patienten auf Endoskopiepersonal müssen allgemeine Schutzmaßnahmen (Händehygiene,
Schutzkittel, Handschuhe, MNS) strikt eingehalten werden. Bezüglich empfohlener Maßnahmen
zum Schutz des in Endoskopieabteilungen arbeitenden Personals siehe Tab. 5.29
(Leiß, Exner und Niebel 1995).
Tab. 5.29
Schutzmaßnahmen für das in Endoskopie-Abteilungen arbeitende Personal
Vor Aufnahme der Tätigkeit:
•
Serologische Untersuchungen auf Hepatitis A, B, C und HIV (zur Dokumentation des Ausgangsstatus
bei evtl. späterer berufsbedingter Erkrankung)
•
Aktive Immunisierung gegen Hepatitis B
•
13-C-Harnstoff-Atemtest zur Überprüfung einer H.-pylori-Besiedlung der Magenschleimhaut
•
QuantiFERON-TB-Test
•
Allergologische Anamnese, ggf. Lungenfunktionsprüfung
Während der Tätigkeit:
•
Einhalten der Basishygienemaßnahmen
•
Vermeiden gesundheitlicher Schäden durch Reinigungs- bzw. Desinfektionsmittel
–
Vermeiden von Hautkontakt: Schutzhandschuhe, Schutzbrille bei Aufbereitung von Endoskopen
–
Vermeiden des Einatmens von Desinfektionsmitteldämpfen: Bevorzugung geschlossener
Systeme (RDG-E), bei manueller Aufbereitung Wannen mit Desinfektionsmittellösung stets
abdecken, Aufbereitungsraum muss gut lüftbar sein
•
Regelmäßige Fortbildungen in hygienischen Fragen und Schulung in technischen Aspekten
der Endoskopaufbereitung gemäß KRINKO-Empfehlung:
–
Vermeiden risikoreicher Praktiken bei der Instrumenten-(Zangen-)Reinigung
–
Keine Wiederaufbereitung von Injektionsnadeln und Papillotomen
–
Klare Vorgaben zum Vorgehen bei akzidentellen Verletzungen
•
Regelmäßige gesundheitliche Kontrolluntersuchungen:
–
Kontrolle des HBs-Antikörpertiters, ggf. Auffrischimpfung
–
Bei Oberbauchbeschwerden H.-pylori-Diagnostik, bei positivem Befund Eradikationstherapie
–
Bei Kontaktekzem/-dermatitis oder asthmatischen Beschwerden fachärztliche Kontrollen,
ggf. Kontrollen zur Glutaralbelastung der Raumluft und Minimierung, ggf. Arbeitsplatzwechsel
(nach Leiß, Exner und Niebel 1995)
•
Chirurgische Masken schützen nicht vor der Inhalation von mikroorganismenhaltigem
Aerosol.
•
Bei Bronchoskopien von Patienten mit offener Lungentuberkulose sollten FFP-2-Masken
getragen werden.
5.18
Geriatrie
Rüdiger Thiesemann
Die Versorgung geriatrischer Patienten erfolgt in Deutschland in der Hausarztpraxis,
in Facharztpraxen, in nicht spezialisierten Krankenhausabteilungen, in Spezialabteilungen
für Geriatrie und in den Einrichtungen der ambulanten und stationären Altenhilfe.
5.18.1
Definitionen
Geriatrische Medizin: Geriatrische Medizin Geriatrie
GeriatrieDefinitionist eine medizinische Spezialdisziplin, die sich mit den körperlichen,
mentalen, funktionellen und sozialen Bedingungen der akuten, chronischen, rehabilitativen
und präventiven Behandlung und Pflege – auch am Lebensende – befasst. Die Patienten
werden mit einem hohen Grad von Vulnerabilität und aktiven Mehrfacherkrankungen assoziiert,
was einen ganzheitlichen Behandlungsansatz erfordert. Die Erkrankungen im Alter können
sich unterschiedlich präsentieren und sind oft sehr schwierig zu diagnostizieren.
Das Ansprechen auf die Behandlung erfolgt verzögert, und es besteht regelmäßig Bedarf
für soziale Unterstützung. Daher überschreitet die geriatrische Medizin die organmedizinisch
orientierte Medizin und bietet zusätzliche Therapieangebote in einer multidisziplinären
Team-Umgebung mit dem Hauptziel der Optimierung des funktionellen Status der Person
und der Verbesserung der Lebensqualität und Autonomie.
Geriatrische Medizin ist nicht spezifisch altersdefiniert, sie behandelt jedoch die
typische Morbidität älterer Patienten. Die meisten Patienten sind über 65 Lebensjahre
alt. Die Gesundheitsprobleme, die durch Geriatrie als eine Spezialdisziplin am besten
angegangen werden können, werden in der Altersklasse > 80 Jahren viel häufiger (European
Union Geriatric Medicine Society 2008).
Geriatrischer Patient: Folgende Geriatrische PatientenDefinitionMerkmale kennzeichnen
den geriatrischen Patienten in besonderem Maße (Bundesministerium für Familie und
Senioren 1993; Zentraleuropäische Arbeitsgemeinschaft gerontologisch/geriatrischer
Gesellschaften 1990):
•
Biologisch höheres Alter,
•
Multimorbidität,
•
Gefährdung durch altersbedingte Funktionseinschränkung einerseits und Erkrankung andererseits
sowie Vorliegen eines Handlungsbedarfs, der über den kurativ-medizinischen Bereich
hinausgeht und insbesondere rehabilitative, somatopsychische und psychosoziale Aspekte
zu berücksichtigen hat.
Zum funktionellen Status geriatrischer Patient gehören insbesondere die Fähigkeiten/Aktivitäten
des täglichen Lebens (Essen, An- und Auskleiden, Selbstversorgung u. a.). Hygienerelevant
sind dabei:
•
das Erkennen des Handlungsbedarfs in der eigenen Körperhygiene (Hirnleistung, Riech-/Sehfähigkeit,
sensible Perzeption),
•
ausreichende motorische Fähigkeiten zur Durchführung der Hygienemaßnahmen (ausreichende
Kraft in Armen und Händen, ausreichende Feinmotorik, stabile Rumpfmuskulatur, Erreichbarkeit
der Füße),
•
Die erforderlichen Umgebungsbedingungen zur Durchführung der Hygiene wie Einkaufmöglichkeit
für Körperpflegemittel.
5.18.2
Immunologie und Infektionsanfälligkeit im Alter
Infektionsanfälligkeit
Das Vorhandensein mehrerer Erkrankungen und Krankheitsfolgen und die Immunoseneszenz
prädisponieren ältere Menschen für Infektionserkrankungen; einige Erkrankungen führen
selbst zu Superinfektionen durch bakterielle und virale Erreger.
Die sogenannte ImmunoseneszenzImmunoseneszenz ist nicht als globale reduzierte Immunität,
sondern als Dysregulation der Geriatrische PatientenImmunoseneszenz
Geriatrische PatientenInfektionsanfälligkeitImmunantwort auf mehreren Ebenen zu bezeichnen.
Einige Immunfunktionen sind erhöht, andere herabgesetzt. So ist die Produktion von
Zytokinen und Zelloberflächenbestandteilen in einigen Funktionen reduziert (IL-2,
IL-3, IL-2 Rezeptor und CD 28 sowie GM-CSF, MIF), andere sind erhöht (CRP, Interleukin
1 und 6 sowie TNF-alpha). Nachgewiesen sind ferner eine verminderte Aktivität der
natürlichen Killerzellen, eine Reduktion der Hautreaktionen vom verzögerten Typ und
eine Abnahme der Bildung von IgM und IgG (Buttmann und Wiendl, 2010; McElhaney et
al., 2012; Peter und Berchtold, 1996). Die Expression von IgG und IgA ist abhängig
von zahlreichen modulierenden Kofaktoren gesteigert. Polymorphkernige Granulozyten
zeigen ein chemotaktisches reduziertes Migrationsverhalten und eine verminderte mikrobielle
Phagozytose. Obwohl die Immunoseneszenz unzweifelhaft existiert, ist die klinische
Rolle dieses Phänomens bei der Entwicklung der Prädisposition für Infektionserkrankungen
weiterhin unklar, da der Versuch der Klärung in multizentrischen Studien oft gegenläufige
bzw. nicht eindeutige Befunde erbrachte (Castle, 2000). Auch die Zusammenhänge mit
Umweltfaktoren (Su, Aw und Palmer, 2013), zellulärer Immunkompetenz, Ernährung und
Alter (Maijo et al., 2014) sind uneindeutig.
Von 2 129 systematischen Studien zur altersbezogenen Infektionsanfälligkeit wurden
lediglich 23 Studien im deutschen Sprachraum veröffentlicht. Die behandelten Entitäten
umfassen Pneumonien, infizierte Knie-Arthroplastien, epidurale Neurolysen, primär
operativen Ellenbogenersatz bei Frakturen, Decubital-Ulcera, vasculäre Komplikationen
bei i. v. Drogenabhängigen, zahnmedizinische Foci, Divertikulitis, Komplikation von
zementlosen Hüftendoprothesen oder Marknägeln, Inhalationstraumata, eitrige Sakroiliitis,
Prostatitis und fokale Spinalerkrankung. Aus diesen hochspezialisierten Einzelthemen
lassen sich keine wegweisenden Ableitungen zur Infektionsprävention durch Primärprävention
ableiten.
Manifestationsformen von Infektionen im Alter
Infektionen sind bei geriatrischen Patienten schwieriger zu diagnostizieren und zu
behandeln als bei jüngeren. Die Anamnese und der körperliche Befund sind gekennzeichnet
durch mehrere Besonderheiten, die am Beispiel der HarnwegsinfektionHarnwegsinfektionengeriatrische
Patienten
Geriatrische PatientenHarnwegsinfektionen (HWI) aufgezeigt werden:
•
Oligosymptomatik (Werner 2000)
•
Verminderter bis fehlender Flankenschmerz/Dysurie (Gleckmann et al. 1982; Juthani-Mehta
et al. 2009)
•
Fehlendes Fieber bei mindestens 11 % und reduzierte Basistemperatur bei weiteren 47
% (Castle et al. 1991)
•
Keine Erhöhung der Entzündungszeichen, insbesondere fehlende Leukozytose (Tunkel und
Kaye 1994),
•
Allotope Erstmanifestation: Das Leitsymptom entspricht NICHT dem klassischen Lehrbuchsymptom
„Dysurie“, sondern zeigt sich als Verwirrtheit, Inappetenz oder auch Husten (Barkham,
Martin und Eykyn 1996; Werner 2000).
Aspekte zur Diagnostik und Therapie von Infektionen im Alter am Beispiel von HWI:
einem der häufigsten Infektions- und Hygieneprobleme bei geriatrischen Patienten.
Mehr als ¾ der Klinikantibiogramme aus Urinisolaten stammen von Patienten > 60 Jahre
(Thiesemann 2004), sodass dieser Patientengruppe wegen des häufigen Auftretens, der
klinischen Relevanz der Grunderkrankung, des klinischen Outcomes und aus Kostengründen
besondere Bedeutung zukommt. HWI verlängern die Verweildauer im Krankenhaus um 1–4
d und verursachen z. B. in den USA zusätzliche Kosten von 500–600 Dollar pro Patient
(Jarvis 1996a).
Bei 5–23 % der gebrechlichen älteren Patienten führt eine HWI mit Bakteriämie zum
Tod (Nicolle, Strausbaugh und Garibaldi 1996).
Die Mikrobiologie bei Geriatrische PatientenErregerspektrum HWI
HarnwegsinfektionenErregerspektrum Geriatriegeriatrischen Patienten scheint sich bei
HWI signifikant zu unterscheiden. Klebsiellen werden ebenso wie P. aeruginosa, Proteus
spp. und KNS häufiger als in anderen Kohorten/Settings gefunden. Dabei wurden die
absoluten und relativen Häufigkeiten von neun verschiedenen uropathogenen Erregern
in einem rein geriatrischen Krankenhaus mit denen anderer Autoren/Settings verglichen
(Thiesemann et al. 2009). Das gehäufte Vorkommen von Klebsiellen im geriatrischen
Krankenhaus bzw. in den Isolaten von geriatrischen Urinkulturen ist noch nicht abschließend
geklärt. Eine Hypothese verbindet die Themenkomplexe „Stuhlinkontinenz und mangelnde
Alltags-Selbstpflege-Fähigkeiten bei geriatrischen Patienten“ und die Bedingungen
der Abnahmetechniken der Urinproben. Es besteht die Frage, inwieweit die funktionellen
Einschränkungen geriatrischer Patienten zu Kontaminationen beitragen. Ansätze zu interdisziplinären
Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von nosokomialen HWI geriatrischer Patienten
(Thiesemann 2004) sind formuliert, aber in Deutschland nicht weiterverfolgt worden.
Die gemeinsame Konsultation von Infektiologen und Geriatern reduzierte die Verschreibungsfrequenz
von Antibiotika um 21 % (Bonnal et al. 2008). Dies setzt jedoch die Differenzierung
zwischen asymptomatischer Bakteriurie, unterer und oberer HWI sowie eine Therapiefreiheit
im ärztlichen Dienst voraus.
Einer der bedeutendsten Risikofaktoren
HarnwegsinfektionenRisikofaktoren Geriatrie
Geriatrische PatientenRisikofaktoren HWI für Zystitis, Pyelonephritis, Bakteriämie
und Urosepsis ist das Vorhandensein eines transurethralen Dauerkatheters (Bundesgesundheitsministerium,
1999), der schnellstmöglich entfernt werden sollte. Die Forderung leitet sich aus
dem Risikoprofil und den Komplikationen ab. Tal et al. (2005) beschrieben hohe Sterblichkeitsquoten
bei geriatrischen Patienten, die an HWI litten, bei Klebsiellen-HWI von 30,8 %, bei
Proteus-HWI von 62,5 % sowie bei Staphylokokken-HWI von 31,3 %.
Signifikant mit dem letalen Ausgang assoziiert waren
•
der Gebrauch eines Dauerkatheters,
•
der funktionelle Status,
•
das Vorhandensein einer Urininkontinenz,
•
die Anzahl der Diagnosen und die Verweildauer.
Nicht signifikant war der Zusammenhang mit den Variablen Alter, Geschlecht, Pflegeheimzuweisung,
Nachweis eines bestimmten Erregers und Diabetes als Komorbidität. Die in früheren
Leitlinien erhofften Fortschritte bei Katheter-assoziierten HWI (Tenke et al. 2008)
sind leider ausgeblieben (Tenke et al. 2012).
Antibiotikatherapie im Alter
DieGeriatrische PatientenAntibiotikatherapie
Antibiotikatherapiegeriatrische Patienten Anwendung von Pharmaka bei älteren Patienten
setzt diese einem – im Vergleich zu jüngeren Patienten – höheren Risiko unerwünschter
Arzneimittelwirkungen (UAW) aus (Wehling, Burkhardt und Frölich, 2011). Diese lösen
ihrerseits Kaskadeneffekte aus, die ggf. weitere Behandlungen begründen (C. difficile
– Enteritis, Durchfall, Exsikkose → Verwirrtheit → Delir → kardiovaskuläre/neurologische
Erkrankungen, Sturz, Fraktur → Pflegebedürftigkeit, Tod). Die Ursachen hierfür sind
u. a. die Verminderung des intravasalen Volumens, die herabgesetzte renale Clearance,
eine erhöhte Wirksamkeit lipophiler Substanzen sowie Interaktionen mehrerer Pharmaka.
Bei der Einnahme von fünf bis sechs Pharmaka hatte sich das Risiko einer UAW verdoppelt,
bei mehr als acht Präparaten sogar verdreifacht (Field et al. 2001). Daher bedarf
es im Alter einer besonders engen Indikationsstellung von Pharmaka, insbesondere von
Antibiotika. Die Anwendungen von Schulungsprogrammen auf Personal- und Einrichtungsebene
geben erste Hinweise auf eine erfreuliche Verminderung von Clostridien-Infektionen,
z. B. durch Antibiotika-Stewardship-Programme (Feazel et al. 2014); daher ist es ratsam,
die Methoden der Infektionsprävention bei geriatrischen Patienten/Syndromen stringent
einzusetzen (Wald, 2012).
Die Anwendung von Antibiotika ist immer wieder als zu aktualisierendes Thema präsent
(Wagenlehner et al. 2008). In eigenen Untersuchungen (Thiesemann, von Schoenfeld und
Orth 2007) zeigten die Kombinationen der fünf häufigsten Erreger mit den fünf häufigsten
Wirkstoffen bei mehr als der Hälfte der möglichen Therapieentscheidungen in der Geriatrie
eine deutlich eingeschränkte antibiotisch zu erwartende Wirksamkeit (Resistenzquote
> 10 %, gemäß Infectious Diseases Society of America dann nicht mehr empfohlen).
•
Für eine Antibiotikatherapie ist zwingend eine absolut sauber entnommene Urinprobe
erforderlich.
•
Bei Rezidiv-Infektionen von betagten Männern wird die Mitbehandlung durch einen Urologen
empfohlen.
•
Bei pathologischem Restharn ist eine Infektionssanierung ohne suffiziente Ableitung
nicht möglich.
5.18.3
Infektionen in der stationären Altenpflege
Das Management von Infektionen in der stationären AltenpflegeInfektionen, nosokomialeAltenpflege,
stationäre
GeriatrieAltenpflege, stationäre
Altenpflege, stationäre
Altenpflege, stationäreInfektionsrisiko ist ein enormes Problem, da nur wenige der
in Heimen tätigen Ärzte eine geriatrische Ausbildung aufweisen. Insgesamt sind in
Deutschland nur 2 087 Geriater tätig (Bundesverband Geriatrie, Weißbuch Geriatrie,
2010); das entspricht 0,66 % aller von der Bundesärztekammer gelisteten Ärzte. Zu
dem quantitativen Problem kommen die o. g. Besonderheiten der geriatrischen Symptomatik
(Oligosymptomatik usw.).
Die Problemlage ist so hoch komplex, dass die Infectious Diseases Society of America
eine eigene Leitlinie (High et al. 2009) für den Umgang in Pflegeheimen erstellt hat,
deren Wiedergabe den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen würde. Analog hat
die KRINKO schon 2005 eine Empfehlung zur Infektionsprävention in Heimen herausgegeben
(Kap. 7.6.4). Als Orientierungshilfe für diesen Bereich seien folgenden Aspekte aufgelistet:
Die MRSA-Prävalenzen im Pflegeheimen betragen in Deutschland bei steigender Tendenz
zwischen 1,1 % bis 2,4 % (Anonymous 2009), in US-amerikanischen Pflegeheimen bis zu
10 % (O'Fallon et al. 2009). Als Präventionsmaßnahmen werden ein kontrollierter Umgang
mit Antibiotika und eine intensivierte hygienische Händedesinfektion als Basismaßnahme
empfohlen (Kap. 2.1). Es ist davon auszugehen, dass die von Pittet et al., 2000, Pittet,
2010 beschriebenen Ziele/Vorzüge der Händedesinfektion auch für Pflegeheimbewohner
gelten.
Über Altenpflege, stationäreIsolierung
IsolierungAltenpflege, stationäredie Notwendigkeit von Isolierungsmaßnahmen im Pflegeheimsektor
herrscht vielerorts Unkenntnis und Verunsicherung. Während die Empfehlung der KRINKO
(2005) explizit festhält, dass Einzelzimmer sind nicht generell erforderlich sind,
sind die Heimträger durch konkurrierende Rechtsordnungen (Heimrecht, SGB XI, Qualitätsmanagement
usw.) manchmal zu strikterem Verfahren angehalten. Die fehlende Kenntnis und Aufklärung
von Angehörigen hat bei einer Gutachtenpatientin der Verfasser zu dem Missstand geführt,
dass sie sich in der eigenen Wohnung jedes Mal „MRSA“-üblich eingekleidet hat (mit
MNS, Kittel und Haube), bevor sie ihrem betagten Ehemann das Frühstück in das Pflegezimmer
der Wohnung gebracht hat. Dieser war zwei Wochen zuvor aus einem Krankenhaus entlassen
worden und die ambulante Pflegedienstmitarbeiterin hatte die 89-jährige Ehefrau dann
„geschult“.
5.18.4
Multiresistente Erreger bei geriatrischen Patienten
Es Geriatrische PatientenMRE
Multiresistente Erregergeriatrische Patientengelten grundsätzlichen die gleichen Regeln
für den Umgang mit innerklinischen MRSA-Konstellationen wie bei nicht geriatrischen
Patienten (Kap. 3.7.3). Eigene Untersuchungen aller Isolate aus einem 300-Betten-Krankenhaus
und einer geriatrischen Klinik zeigte nur eine geringe Anzahl von MRE sowohl in interdisziplinären
(Thiesemann, von Schoenfeld und Orth 2007) als auch in rein geriatrischen Erhebungen
(Thiesemann, Walter und Fusgen 2009). In einer Untersuchung an der ehemaligen Geriatrischen
Universitätsklinik der Universität Witten-Herdecke wurde festgestellt, dass der prozentuale
Anteil von MRSA-positiven Patienten bei 6,7 % lag. Das entspricht einem altersunabhängigen
Durchschnitt und dem Durchschnitt bei Intensivpatienten (Lucet et al. 2003). Im Allgemeinen
werden geriatrische Patienten u. a. aufgrund von Multimorbidität, häufigerem Vorkommen
chronischer Wunden, eingeschränkter Fähigkeit zur Körperhygiene (Daeschlein et al.
2006) und höherer Hospitalisierungsraten in höherem Maße als MRSA-Träger vermutet
(Johnston und Bryce 2009). Unbeantwortet ist die Frage, warum trotz des Vorhandenseins
einschlägiger Risikofaktoren kein höherer Anteil an MRSA-Trägern unter den alten Patienten
festzustellen ist. Zu vermuten ist, dass der Übertragungsweg eine nicht unerhebliche
Rolle bezüglich der Verbreitung spielt. Bezogen auf geriatrische Patienten müssen
insbesondere die Übertragungswege kritisch erfasst werden.
Die MRSA-Sanierung (Kap. 2.2) bleibt ein zunehmendes Problem, da sie erhebliche negative
Auswirkungen auf die Arbeit mit geriatrischen Patienten und Rehabilitanden hat (Just
et al. 2005). Für geriatrische Rehakliniken sind daher Adaptationen empfohlen worden
(Elkeles und Just 2006).
Für die klinische Praxis ist zu beachten, dass seit 2009 der Nachweis von MRSA aus
Blutkulturen und Liquor nach § 7 IfSG an das Gesundheitsamt meldepflichtig ist.
5.18.5
Infektionsprävention bei geriatrischen Patienten
Komplementär Geriatrische PatientenInfektionspräventionzu den allgemein empfohlenen
Maßnahmen sind folgende „pflegebasierte“ Empfehlungen zur Erkennung und Minimierung
von Infektionen in Praxis und Klinik umzusetzen.
Diagnostik
Anamnese (Befragung des Patienten, seiner Angehörigen und des Hausarztes):
•
Kommt der Patient aus Einrichtungen mit hohem Risiko für das Vorliegen einer Besiedelung
mit MRE (Dialysepraxen, Infektionsabteilung usw.)?
•
Wie oft und welche antibiotischen Therapien wurden in den letzten drei Monaten durchgeführt?
•
Wann wurden intrakorporale Fremdkörper (Dauerkatheter, Venülen, ZVK usw.) entfernt
bzw. liegen sie noch?
Körperlicher Befund:
•
Gibt es Zeichen für ein erhöhtes Reinfektionsrisiko (unverheilte Wunden, Hämatome,
Zustand nach Phlebitis-Läsionen, Zeichen der Malnutrition, Gewichtsabnahme > 5 % vom
Ausgangsgewicht)?
•
Gibt es (zusätzlich zu a) weitere potenzielle Infektionsherde, wie kariöse Zähne und
Parodontitis, Furunkulel (insbesondere bei Diabetikern) oder Onychomykosen?
•
Geriatrischer Funktionsstatus (Auswahl in Hinblick auf Hygiene). Ist der Patient in
der Lage
–
Hautpflege selbst durchzuführen,
–
Nagelpflege selbst durchzuführen (→ Inspektion auf Speise-/Stuhlrestverschmutzungen),
–
seine Nahrungsaufnahme selbst vollständig durchzuführen,
–
sein Essen unbehindert zu aufzunehmen oder liegt eine unerkannte Schluckstörung vor
(Eisenstadt 2012) und
–
seine Ausscheidungsfunktionen selbst vollständig durchzuführen (einschließlich der
Hygienemaßnahmen) oder liegt eine Inkontinenz vor?
Maßnahmen
Folgende Maßnahmen verbessern nachweislich die Funktion, vermindern das Risiko der
Pflegeheimeinweisung und mindern das Mortalitätsrisiko (Bachmann et al. 2010):
•
Bei auffälligen Befunde aus der Anamnese ist die sorgsame Überwachung/Watchful Waiting
des Betagten zu organisieren.
•
Bei Auffälligkeiten im körperlichen Befund ist der behandelnde Arzt hinzuziehen und
eine Sanierung anzustreben (inkl. Facharzt, Zahnarzt usw.). Bei Malnutrition ist die
Ergänzung der Nahrung durch Nährstoff-Supplemente durchzuführen (seit 2004 verordnungsfähig).
•
Ist im geriatrischen Funktionsstatus eine Verschlechterung festzustellen, kann eine
geriatrische Akutbehandlung, eine akutmedizinische Frührehabilitation (OPS 8–550.1
via Hausarzteinweisung) oder eine geriatrische Rehabilitation (via Bewilligung der
Kostenträger) erwogen werden. Eine geriatrische Rehabilitation ist seit 2009 auch
für pflegebedürftige Betagte möglich.
Das Wirkungsfeld der Hygienemaßnahmen ist im Krankenhaus, Arztpraxis und anderen Settings
an der Schnittstelle von körperlicher Hygiene, geriatrischen Funktionsstörungen und
abzuwendenden Infektionserkrankungen anzusiedeln. Durch konsequente Anwendung der
Hygienemaßnahmen kann das Eintreten von Krankheiten bei geriatrischen Patienten erfolgreich
verzögert/vermieden werden.
Empfohlen Geriatrische PatientenImpfungen
Schutzimpfungengeriatrische Patientenwerden (Kwetkat und Pleetz 2013; Reuben et al.
2014; STIKO 2013) – auch bei älteren Patienten – folgende Impfungen:
•
Hepatitis B vor Dialysebehandlung und bei negativen Hepatitisantikörpern
•
Pneumokokken
•
Influenza jährlich (Menschen in Altenheimen)
•
Meningokokken (Serogruppen A, C, W135, Y); (Personen mit engen Kontakten in Gemeinschaftseinrichtungen
mit haushaltsähnlichem Charakter)
Zu bedenken sind auch bei Impfungen bestimmte Wechselwirkungen mit der Pharmakotherapie.
Amerikanische Geriater beschreiben z. B. bei der Behandlung mit oralen Antikoagulanzien
(Warfarin) eine Minderung der International Normalized Ratio (INR) durch Grippevakzine
(Reuben et al. 2014).
Eine Darstellung der differenzialtherapeutischen Implikationen und der spezifischen
Anwendungen bei Senioren würde den Rahmen des Kapitels bei weitem überschreiten. Für
weiterführende Inhalte zur Vakzination im Alter wird verwiesen auf Aspinall et al.
(2007), Crawford, O'Hanlon A und McGee (2011), Derhovanessian und Pawelec (2012),
Grubeck-Loebenstein (2010), Kelly und Newall (2008), Kovaiou, Herndler-Brandstetter
und Grubeck-Loebenstein (2007), Newall und Dehollain (2014), Schmitz und Wubker (2011),
Sung al. (2014), Weinberger et al. (2013), Wang et al. (2013) sowie insbesondere auf
die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (2013).
Weiterführende Inhalte der allgemeinen Geriatrie sind bei Füsgen und Anlauf (2000)
und Halter et al. (2009) zu finden.
5.18.6
Mund- und Zahnpflege
Thomas Kocher und Axel Kramer
Als Beispiel für die Infektionsprävention durch Gewährleistung der persönlichen Hygiene
wurde Geriatrische PatientenZahnpflege
Geriatrische PatientenMundpflege
Zahnpflegegeriatrische Patienten
Mundpflegegeriatrische Patientendie Mundhöhlenhygiene ausgewählt, weil durch die orale
Mikroflora hervorgerufene parodontale Entzündungen die Allgemeingesundheit durch Verstärkung
der systemischen Entzündung, durch hämatogene Streuung oder durch Aspiration in die
Lunge beeinflussen können.
Ein strukturiertes Mundhygienesystem mit regelmäßigem Zähneputzen und regelmäßiger
Prothesenpflege ist eine Voraussetzung für die Karies-, Gingivitis- und Parodontitisprophylaxe
sowie zur Vermeidung einer Prothesenstomatitis mit Erhalt der physiologischen Mundhöhlenflora.
Dadurch wird dem Risiko von Infektionen in der Mundhöhle einschließlich davon ausgehender
weiterer Infektionen (z. B. Endokarditis, Pneumonie bei apparativer Beatmung) entgegengewirkt.
Plaquestatus: Da körperlicheGeriatrische PatientenPlaquestatus
Plaquestatus, geriatrische Patienten oder geistige Behinderung im fortgeschrittenen
Lebensalter die regelmäßige suffiziente mechanische Plaqueentfernung und Mundhöhlenhygiene
erschweren, überrascht es nicht, dass bei Erhebung des Plaqueindexes in einem Altenheim
(n = 212) im Mittel aller Zähne folgender Befund erhoben wurde: keine sichtbare Plaque
in 1 %, dünner Plaquefilm in 18 %, mäßige Plaque Geriatrische PatientenPlaquestatusder
gesamten Zahnoberfläche in 39 % und dicke Plaque unter Einbeziehung des Interdentalraum
in 42 %. Auf Prothesen ergab sich ein ähnliches Bild: keine sichtbare Plaque in 11
%, dünner Plaquefilm in 28 %, mäßige Plaque in 31 % und dicke Plaque in 29 % (Kramer
A, unveröff.).
Epidemiologische Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen oraler Gesundheit
und Pneumonien bei älteren Menschen hin, die sich in ambulanter oder stationärer medizinischer
Pflege und in Pflegeinstitutionen befinden (Azarpzhoo und Leake 2006). Sogar von Senioren,
die selbstständig in häuslicher Umgebung lebten, wurden 13 % innerhalb von 10 Jahren
stationär wegen einer Pneumonie behandelt. Etwa 22 % des Krankheitsgeschehens kann
unabhängig von anderen Störvariablen durch hohe Plaquewerte und eingeschränkte Körperbeweglichkeit
erklärt werden. Allein diese Daten belegen, dass die Präventionsmöglichkeit eine verbesserte
Mundhygiene bietet (Juthani-Mehta et al. 2013).
Eine professionelle Zahn-, Mund- und Prothesenpflege durch das Pflegepersonal scheint
auch die Häufigkeit respiratorischer Infektionen und die Mortalität durch Pneumonien
bei geriatrischen Patienten zu reduzieren (Abe et al. 2006; Fanello et al. 2006).
Bei japanischen Senioren konnten durch einfache professionelle Zahn- und Prothesenreinigung
das Pneumonierisiko und die Mortalität durch Pneumonien deutlich gesenkt werden. Bei
bezahnten Senioren mussten 12 Personen behandelt werden, um einen Fall von Pneumonie
zu vermeiden (Yoneyma et al. 2002). In einer weiteren japanischen Präventionsstudie
in einem Altersheim verstarben in der Testgruppe innerhalb eines Jahres 5 %, in der
Kontrollgruppe 17 % der Probanden an einer erworbenen Pneumonie (Adachi et al. 2007).
Bei beatmeten Patienten auf Intensivstationen ist die erworbene Pneumonie eine häufige
Komplikation. Bei diesen schwer erkrankten Patienten konnte jedoch durch alleiniges
Zahnbürsten die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation oder die Mortalitätsrate
nicht verringert werden. Auch hatte eine elektrischen Zahnbürste im Vergleich zu Handzahnbürsten
keinen Vorteil (Alhazzani et al. 2013). Bei diesen Patienten ist die Antiseptik der
gesamten Mundhöhle mittels Spülung oder Gel z. B. auf Basis von CHX oder OCT wichtiger
als die mechanischen Reinigung (Kap. 4.4.5). Durch tägliche Applikation von 0,2-prozentigem
CHX-Gel wurde die Rate der VAP im Vergleich zur Standardprozedur um bis zu 40 %gesenkt,
allerdings konnte kein Einfluss auf die Mortalität oder die Liegedauer belegt werden
(Shi et al. 2013).
Zähneputzen mit einer Chlorhexidinspülung ist bei beatmeten Patienten derzeit als
die beste orale Hygienemöglichkeit anzusehen (Roberts et al. 2011).
Zurzeit wird heftig diskutiert, ob sich als Folge einer chronischen Parodontitis das
Risiko für koronare Herzerkrankung und Schlaganfall erhöht (Bahekar et al. 2007; Humprey
et al. 2008). Bisherige Beobachtungsstudien unterstützen die Assoziation zwischen
Parodontal- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen unabhängig von bekannten Einflussfaktoren.
Allerdings ist unklar, ob Parodontalerkrankungen kausal mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen
zusammenhängen. Erst kürzlich wurde das orale Gesundheitsverhalten (Zähneputzen) mit
dem Risiko für kardiovaskuläre Mortalität in Verbindung gebracht und gezeigt, dass
die Mortalitätsrate unabhängig von weiteren Faktoren umso geringer ist, je häufiger
die Zähne geputzt werden (de Oliveira, Watt und Hamer 2010). In einer 3-jährigen Beobachtungsstudie
reduzierte ein verbesserter klinischer Parodontalstatus die periopathogene Erregerlast
und die Progression der Intimamediadicke, die als ein Ersatzparameter für arteriosklerotische
Veränderungen angesehen wird (Desvarieux et al. 2005; Matthias et al. 2007). Obwohl
eine Parodontalbehandlung die systemische Entzündung reduziert und die endotheliale
Dysfunktion verbessert, gibt es bisher keinen Hinweis, dass eine Parodontalbehandlung
die Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermindert (Lockhart et al. 2012). Es sind
randomisierte Therapiestudien notwendig, um den Einfluss oraler Interventionen auf
die kardiale Gesundheit festzustellen.
Bei eingeschränkter Fähigkeit zur Mundhygiene wird die Anwendung einer antiseptischen
Mundspüllösung zur Plaquehemmung (Karies- und Gingivitisprophylaxe) empfohlen (Clavero
et al. 2003; Pitten, Rosin M und Kramer 2001). Wichtig ist, dass auch Prothesen und
die orale Prothesen tragende Mukosa gereinigt werden.
Zur Reduktion von Plaque und Gingivitis ist für die längerfristige bzw. Daueranwendung
Meridol® (Arweiler, Neutschil und Reich 2001; Brecx et al. 1990; Brecx, Netuschil
und Hoffmann 2003) geeignet. Da bei bestimmten, für den Alkoholabbau relevanten genetischen
Polymorphismen möglicherweise schon die regelmäßige Anwendung ethanolhaltiger Mundspüllösungen
ein Risikofaktor für die Krebsentwicklung im Aerodigestivtrakt ist (Ahrens et al.
2014), empfiehlt sich bei der seltenen ADH-7 bzw. bei auffälliger Alkoholintoleranz
die Anwendung alkoholfreier Mundwässer. In dem Mundhöhlenantiseptikum Listerine® ist
der Ethanolgehalt mit 21,6 % bzw. 26,9 % deutlich höher als z. B. in Bier und Wein.
Für Personen, die nur niedrigprozentige Spirituosen bzw. selten oder nicht Alkohol
trinken, ergibt sich bei täglicher Anwendung eines derartigen Mundwassers eine deutlich
höhere lokale Ethanolexposition als durch gelegentlichen Alkoholgenuss, sodass auch
dieser Aspekt in die Risikobewertung einzubeziehen ist.
Bei schmerzhaften, akuten Gingivitiden kann kurzfristig eine 0,12- bis 0,2-prozentige
CHX-Lösung eingesetzt werden (Clavero et al. 2003; Lang et al. 1998; Lucas und Lucas
1999; Montiel-Company und Almerich-Silla 2002; Zhang, Kashket und Lingstrom 2002).
Allerdings sollen chlorhexidinhaltige Präparate aus toxikologischen Gründen nicht
länger als 2 Wochen angewandt werden (Splieth und Kramer 2000).
5.19
Dialyse
Matthias Girndt
Die Therapie des terminalen Nierenversagens erfolgt in unterschiedlichen organisatorischen
Formen. Die Mehrzahl der Patienten wird in ambulanten Hämodialyseeinrichtungen i.
d. R. 3-mal wöchentlich behandelt. Etwa 5 % der Patienten, die auf ein dauerhaftes
Nierenersatzverfahren angewiesen sind, werden mittels Peritonealdialyse behandelt.
Während die chronische Hämodialyse in > 90 % als Zentrumsdialyse und nur noch selten
als Heimhämodialyse durchgeführt wird, erfolgt die Peritonealdialyse meistens als
Heimbehandlung in Eigenregie des Patienten. Daneben erfolgen Dialysebehandlungen unter
stationären Bedingungen, hier sind v. a. die intermittierenden und kontinuierlichen
Behandlungsverfahren in der Intensivmedizin zu berücksichtigen.
Da der Verlust der Nierenfunktion zur schwerwiegenden Funktionseinschränkung des Immunsystems
mit gestörter Abwehr gegen bakterielle und virale Erreger führt (Vanholder et al.
1996), sind Nierenkranke eine infektiologische Risikogruppe.
Alle Dialyseverfahren führen zu erhöhten Anforderungen an die Hygieneprozesse mit
Bezug auf den Einzelpatienten, da ein großvolumiger Zugang zum Gefäßsystem oder zum
Peritoneum benötigt wird. Außerdem führt die extrakorporale Blutreinigung durch Blutspritzer
und Kontaminationen zur Transmissionsgefahr zwischen den Patienten einer Behandlungseinrichtung.
5.19.1
Planung einer Dialyseeinheit
Bauliche Voraussetzungen
An eine Hämodialyseeinrichtung ergeben sich aus den funktionellen Abläufen zahlreiche
bauliche Anforderungen. Die Wandflächen und Fußböden der Behandlungsräume sollen glatt,
Dialysebauliche Planung
DialyseZentrumsdialyseflüssigkeitsdicht, abwaschbar und desinfizierbar sein. Auch
die Einrichtungsgegenstände im Behandlungsraum müssen zu reinigen und zu desinfizieren
sein, weil jederzeit mit einer Kontamination durch Blutspritzer oder Körperflüssigkeiten
zu rechnen ist. Viele Voraussetzungen für die technische Ausgestaltung von Dialyseräumen
sind durch Normen des Arbeitsschutzes geregelt (TRBA 250). Die Raumplanung muss Anforderungen
an Isolierung und Kohortierung von Dialysepatienten vorsehen, die mit Erregern wie
MRSA, VRE oder MRGN kolonisiert sind.
Für Heimdialyseverfahren (HeimhämodialyseDialyseHeimdialyse, Peritonealdialyse) gibt
es keine formalisierten Hygienevorschriften. Die Patienten sollten sich jedoch einen
sauberen, ausreichend großen Platz in ihrem Wohnumfeld einrichten, der gut staubfrei
gehalten und desinfizierend gereinigt werden kann. Besondere Anforderungen an die
Beschaffenheit von Wänden oder Böden werden nicht gestellt.
Bereitstellung von Dialyseflüssigkeiten
Hämodialyseeinheiten benötigen eine Wasseraufbereitungsanlage mit Umkehrosmose zur
Herstellung von deionisiertem Wasser, das über eine Ringleitung zu den Behandlungsplätzen
geführt DialyseDialyseflüssigkeitenwird. Sowohl die Wasseraufbereitung als auch die
Ringleitung mit allen Komponenten müssen desinfizierbar sein. Offene DialyseWasseraufbereitungsanlageFlüssigkeitsspeicher
sind ungeeignet. Die Leitungen sollten totraumfrei sein und einen möglichst geringen
Querschnitt aufweisen, um hohe Flussraten zu erreichen. In der Regel sind die Dialysemaschinen
heute mit Wasservorfiltern ausgestattet, die eine ultrareine Wasserqualität gewährleisten.
Dennoch ist eine regelmäßige, mindestens halbjährliche mikrobiologische Überwachung
der wasserführenden Systeme erforderlich, um rechtzeitig einer Biofilmbildung entgegen
wirken zu können (Tab. 5.30
). Zwar führt die gefürchtete Bildung eines BiofilmsDialyseBiofilm
BiofilmDialyse in den Wasserleitungen nicht mehr unmittelbar zu einer Belastung des
Patienten, z. B. mit Endotoxin, die Filtersysteme sind hinsichtlich ihrer Standzeiten
jedoch auf mikrobiologisch einwandfreies Reinwasser ausgelegt.
Tab. 5.30
Mikrobiologische Analyse des Reinwassers zur DialyseDialyseReinwasser, Analyse
Entnahmebedingungen
Grenzwerte
•
Probenmenge 0,2 ml
•
Kulturmedium Caseinpepton-Glukose-Fleischextrakt-Agar
•
Kultivierungstemperatur 22 ± 2 °C
•
Ablesung: nach 3 und 7 d
•
Maximale Anzahl KbE 102/ml
•
Kein Nachweis von Pseudomonas spp.
•
Kein Nachweis von Coliformen
•
Endotoxingehalt ≤ 0,25 IE/ml
Neben deionisiertem Wasser benötigt die Dialysemaschine Säure- und Bikarbonatkonzentrat
zur Herstellung der Dialyseflüssigkeit. Die Verteilung von Säurekonzentrat kann über
zentrale Ringleitungssysteme ähnlich den Reinwasserleitungen erfolgen und ist mikrobiologisch
eher unkritisch. Alternativ können Konzentratkanister verwendet werden. Stand der
Technik für die Bikarbonatversorgung ist heute die Verwendung von Trockenkonzentrat
in Einmalgebinden an der einzelnen Dialysemaschine, um eine Verkeimung zu verhindern.
Kritische Stellen der Flüssigkeitsversorgung sind die Konnektoren zwischen Ringleitungssystemen
und Dialysemaschinen. Sie sollten möglichst selten geöffnet werden, ein häufiger Standortwechsel
der Geräte ist ungünstig. Dennoch ist das mitunter gerade im Bereich der Intensivmedizin
unvermeidlich. Dann ist auf die ausreichende Sprühdesinfektion der Konnektoren vor
dem Anschluss zu achten.
Für den Einzelplatzeinsatz sowie für die Heimdialyse werden mobile Kleinosmosegeräte
verwendet, die an das Trinkwassernetz angeschlossen werden. Auch diese Geräte müssen
regelmäßig desinfiziert und mikrobiologisch überwacht werden.
Organisatorische Voraussetzungen
Die Verantwortung für die Hygiene in einer Dialyseeinrichtung liegt beim Betreiber.
Dieser muss sicherstellen, dass die Qualifikationsanforderungen an das Personal gemäß
Landeshygieneverordnung erfüllt werden und alle Mitarbeiter regelmäßig in Hygienefragen
aktenkundig unterwiesen werden.
Ein Dialysezentrum benötigt einen DialyseHygieneplanHygieneplan, hierfür besteht eine
gesetzliche Verpflichtung aus dem IfSG. Der Hygieneplan legt die Verantwortlichkeiten
und die Durchführung von Hygienemaßnahmen in der Einrichtung verbindlich fest.
Die Dialysematerialien (Kanülen, Schläuche, Dialysatoren) sind Einmalmaterial, eine
Wiederverwendung auch für den gleichen Patienten ist abzulehnen.
5.19.2
Praktischer Betrieb einer Dialyseeinheit
Allgemeine Hygienemaßnahmen
Patientenbehandlung
Die Hygiene verfolgt bei der Nierenersatztherapie drei Schutzziele:
•
Der einzelne Dialysepatient soll ohne Infektionskomplikationen behandelt werden.
•
Im Behandlungszentrum muss eine endemische Ausbreitung von Krankheitserregern verhindert
werden.
•
Die Mitarbeiter einer Einrichtung sind im Sinne des Arbeitsschutzes vor berufsbedingten
Erkrankungen zu schützen.
Basishygienemaßnahmen
Folgende Maßnahmen DialyseBasishygienemaßnahmensind die Basis für eine hygienisch
einwandfreie Nierenersatztherapie und immer und unabhängig von zusätzlichen, besonderen
Risiken (Infektionspatienten) anzuwenden:
•
Hygienische Händedesinfektion vor/nach jedem Patientenkontakt oder nach Kontakt mit
infektionsgefährdendem Material
•
Tragen von Einmalhandschuhen und Schutzkitteln bei jeder Maßnahme am Patienten, bei
der die Möglichkeit des Kontakts mit Blut oder Körpersekreten besteht
•
Wechsel der Handschuhe vor jedem neuen Patienten
•
Reinigung und Desinfektion aller Geräte, Maschinen und patientennahen Oberflächen
nach jeder Behandlungsschicht
•
Minimierung der gemeinsamen Benutzung von Gerätschaften (Stauschläuche, Blutdruckmanschetten
usw.) für verschiedene Patienten.
Überragende Bedeutung kommt der Händehygiene zu, da die Hände der Pflegenden die meisten
infektiösen Erreger übertragen.
Hygieneinformationen für den Patienten
Die DialyseHygieneinformationen für PatientenPatienten sind über hygienisches Verhalten
innerhalb und außerhalb des Behandlungszentrums zu instruieren. In der Regel erfolgt
auch eine Schulung der Partner des Patienten. Dazu gehören die regelrechte persönliche
Hygiene, adäquates Verhalten während der Behandlung, Händedesinfektion bei evtl. Toilettenbesuchen
usw. Heimdialyse- und Peritonealdialysepatienten werden umfangreich geschult, um die
spezifischen Prozeduren während der Behandlung selbst zu erlernen.
Dialysezugang
Die DialyseZugangHämodialyse wird meist über eine operativ angelegte arteriovenöse
Fistel (Shunt) aus körpereigenen Gefäßen (V. cephalica auf A. radialis am Unterarm,
V. cephalica auf A. brachialis in der Ellenbeuge) durchgeführt. Die Punktion erfolgt
mit zwei großlumigen (15–17 G, Außendurchmesser 1,4–1,8 mm) Kanülen. Bei Patienten
mit ungünstigen Gefäßverhältnissen können arteriovenöse Kunststoffinterponate oder
zentralvenöse Dialysekatheter verwendet werden. Infektiologisch sind die nativen Fisteln
vorzuziehen. Sind zentralvenöse Katheter unvermeidbar, sollen sie mit einem langen
s. c. Tunnel durch die Haut ausgeführt werden, um die Erregeraszension entlang des
Plastikmaterials zu erschweren. Ungetunnelte Katheter sind nur für eine kurze Verweilzeit
von 1–2 Wochen geeignet. Der Blutfluss während der Dialysebehandlung beträgt 200–400
ml/min. Bei jeder Shuntpunktion ist auf hygienisch einwandfreies Arbeiten zu achten.
Unverzichtbare Hygienemaßnahmen bei Verwendung von Dialyseshunts
•
Händedesinfektion durch das DialyseHygienemaßnahmen, ShuntsPflegepersonal
•
Verwendung nichtsteriler Einmalhandschuhe
•
Großflächige Hautantiseptik am Shuntarm unter Beachtung der erforderlichen Einwirkzeiten
•
Nach Kanülenentfernung Abdrücken der Punktionsstelle mit sterilen Kompressen
•
Desinfektion der Abdrückhilfen nach jedem Gebrauch
•
Keine Verwendung von Hautsalben im Shuntbereich.
Shuntinfektionen gehören zu den häufigen ShuntinfektionDialyseund schwerwiegenden
Komplikationen beim chronisch Nierenkranken. Bei dauerhaft verwendeten zentralvenösen
Kathetern sind die Infektionsrisiken erheblich höher als bei nativen Fisteln. Während
bei nativen Fisteln mit 0,5–0,8 Infektionen pro 1 000 Dialysen zu rechnen ist, liegt
die Infektionsrate bei DialyseShuntinfektionengetunnelten ZVK bei ca. 4–5/1 000 Dialysen
(Taylor et al. 2004). Bereits bei der Katheteranlage müssen Fehler vermieden werden.
Dialysekatheter sollten, soweit es die Gefäßverhältnisse zulassen, an der oberen Körperhälfte
angelegt werden, Femoralkatheter sind nur im Ausnahmefall akzeptabel (3: Zaleski et
al. 1999).
Hygienemaßnahmen: Bei der Katheteranlage sollen Kopfhaube, MNS, langärmeliger, steriler
Kittel sowie sterile Handschuhe getragen werden. Die Einstichstelle muss großflächig
antiseptisch benetzt und das Umfeld mit einem sterilen Tuch abgedeckt werden (KRINKO
2002c). Die DialyseKatheteranlageKatheteraustrittsstelle soll steril verbunden werden.
In der Regel sind nach jeder Dialyse Verbandswechsel zu empfehlen, bei Transparentverbänden
und sauberer Austrittstelle ist ein Verbandswechsel alle 5–7 d akzeptabel. Von der
routinemäßigen Anwendung antiseptischer Salben ist abzuraten.
Konnektion: Beim Anschluss der Dialysemaschine an einen ZVK ist größte Sorgfalt vonnöten.
Offene Konnektoren dürfen nicht mit der Hand berührt werden (Non-touch-Technik). Wichtig
ist auch, dass die großlumigen Katheter ausschließlich für die Dialysebehandlung,
nicht aber für evtl. Infusionen zu verwenden sind.
Hygienemaßnahmen bei der Konnektion am Dialysekatheter
•
Händedesinfektion durch das DialyseKatheterkonnektionPflegepersonal
•
Verwendung nichtsteriler Einmalhandschuhe
•
Verwendung eines MNS durch die Pflegekraft
•
Patient soll das Gesicht abwenden und nicht sprechen.
•
Sprühdesinfektion der Konnektoren, Einwirkzeiten beachten!
•
Beim Abstöpseln sind Blutreste am Konnektor mit Desinfektionsmittel und sterilen Kompressen
zu entfernen
•
Bei Nichtbenutzen wird der Katheter gegen mechanische Belastung geschützt verbunden.
Diskonnektion: Um eine Thrombosierung des Katheters zwischen den Dialysen zu vermeiden,
wird das Lumen nach Abschluss der Behandlung häufig mit verdünnter Heparinlösung gefüllt.
Diese hat allerdings keine antimikrobielle Wirksamkeit, sodass mikrobielles Wachstum
und Biofilmbildung im Inneren des Katheters möglich sind. Inzwischen liegen zahlreiche
Studien vor, die einen Vorteil antibakteriell wirkender Locklösungen belegen (Jaffer
et al. 2008).
Die Verwendung ausschließlich von Heparin zur Throomboaseprävention im Dialysekatheter
ist nicht mehr als Standard anzusehen.
Antibiotikalösungen sind aufgrund der konsekutiv auftretenden Resistenzen abzulehnen.
Verwendet werden können konzentrierte Zitratlösungen (30- oder 45-prozentig) sowie
Taurolidin-Zitratlösungen. Für letztere ist die Evidenz hinsichtlich der Verhinderung
bakterieller Infektionen besser (Zhao et al. 2014). Hoch dosierte Zitratlösungen müssen
aufgrund der Gefahr schwerwiegender kardialer Arrhythmien von fachkundigem Personal
streng nach Herstellervorschrift angewandt werden, weisen gegenüber Taurolidin aber
einen Kostenvorteil auf. Zu beachten ist, dass die Bildung von bakteriellem Biofilm
in den Kathetern trotz der Reduktion von septischen Komplikationen wohl auch durch
Locklösungen nicht sicher verhindert werden kann (Betjes und van Agteren 2004). Daher
bleibt die optimale hygienische Handhabung der Katheter die wichtigste Maßnahme.
Parenteralia-Gabe und POC-Diagnostik
Relativ DialyseMedikamentengabe, parenterale
Arzneimittelparenterale, Dialysehäufig werden während oder am Ende einer Dialyse parenterale
Medikamente verabreicht (Heparin, Erythropoetin, Eisen). Es hat sich aus Kostengründen
etabliert, hierfür Medikamente aus Multidose-Gebinden zu verwenden. Das ist akzeptabel,
sofern die Vorbereitung der Parenteralia aus Durchstechampullen an einem sauberen
desinfizierten Arbeitsplatz erfolgt, an dem ein Kontakt mit bereits am Patienten angewandten
Kanülen, Dialysatoren, Schlauchsystemen oder anderen potenziell kontaminierten Gegenständen
ausgeschlossen ist. Es ist strikt darauf zu achten, dass parenteral zu applizierende
Medikamente zunächst am Parenteraliaplatz in geeigneten Spritzen aliquotiert und diese
dann auf die Behandlungsplätze verteilt und umgehend angewandt werden. Keinesfalls
darf die Multidose-Ampulle von einem zum anderen Patienten im Dialyseraum kreisen.
Dialysezentren Point-of-Care-Diagnostik
DialysePoint-of-Care-Diagnostikführen häufig Point-of-Care-Diagnostik (POC-Diagnostik),
vor allem Blutzuckermessungen oder Blutgasanalytik/Ionometrie, aus Blutproben durch.
Bei der Blutzuckermessung besteht eine Kontaminationsgefahr durch Messgeräte, Lanzetten
oder Teststäbchen. Einmalmaterialien müssen sofort nach Einsatz in sichere Abfallbehälter
entsorgt werden. Der Einsatz von Blutzuckermessgeräten, die von einem Patienten zum
anderen durch das Dialysezentrum kreisen, ist kritisch zu bewerten. Hier ist eine
Wisch- oder Sprühdesinfektion beim Wechsel von einem Patienten zum nächsten erforderlich.
Der Säure-Base-Analysator steht i. d. R. an einer zentralen Stelle im Dialysezentrum.
Die Blutproben müssen dorthin gebracht, gemessen und dann fachgerecht entsorgt werden.
Die Pflegekraft muss vor Verlassen des Messplatzes die Handschuhe ausziehen und darf
erst nach Händedesinfektion in den Behandlungsbereich zurückkehren.
Für die Vorbereitung von Multidose-Medikamenten und die POC-Diagnostik sind in einem
Dialysezentrum detaillierte Verfahrensanweisungen, die Bestandteile der Hygieneplans
sind, zu erstellen.
Problemerreger im Dialysezentrum
Bei Dialysepatienten, die mit sog. DialyseProblemerregerProblemerregern besiedelt
sind, müssen im Dialysezentrum in unterschiedlicher Abstufung zusätzliche Hygienemaßnahmen
durchgeführt werden (Tab. 5.31
). Hierzu kann eine Separierung von kolonisierten/infizierten Patienten gehören. Im
ambulanten Dialysezentrum unterscheidet man die organisatorische, die räumliche und
die zonale Separierung:
Tab. 5.31
Schutzmaßnahmen bei Problemerregern in der DialyseVancomycin-resistente ErregerDialyseHepatitis-B-VirusDialyseHepatitis-C-VirusDialyseNorovirenDialyseMethicillin-resistenter
Staphylococcus aureusDialyseHuman Immunodeficiency VirusDialyseESBL-BildnerDialyseClostridium
difficileDialyseDialyseProblemerreger
Erreger
Routinescreening
Separierung
Eigene Maschine
Hepatitis-B-Virus
Jährlich1
Ja
Ja
Hepatitis-C-Virus
Jährlich1
Nein
Ja
HIV
Bei Eintritt in ein Dialyseprogramm2
Nein
Ja
MRSA
Risikopatienten3
Ja, evtl. zonal
Nein
VRE
Nein
Bei besonderem Transmissionsrisiko4
Nein
MRGN
Nein
Bei besonderem Transmissionsrisiko4
Nein
C. difficile
Nein
Bei besonderem Transmissionsrisiko4
Nein
Norovirus
Nein
Ja
Nein
1
Evtl. zusätzlich nach Urlaubsdialysen in Endemiegebieten
2
Individuelles Einverständnis des Patienten erforderlich.
3
Nach Risikodefinition analog KBV Vergütungsvereinbarung
4
z. B. bei aktiver Durchfallerkrankung, mangelnder Kooperation des Patienten hinsichtlich
hygienischen Verhaltens
•
Die organisatorische Separierung erfolgt Separierungorganisatorische
DialyseSeparierung der Patientendurch Behandlung kolonisierter und nicht kolonisierter
Patienten zu unterschiedlichen Zeiten oder in unterschiedlichen Behandlungsschichten.
•
Die räumliche Separierung bezeichnet Separierungräumlichedie Behandlung in einem in
der Regel durch eine Tür abgetrennten Raum.
•
Der Begriff der zonalen Separierung wurde für Separierungzonaledie Behandlung MRSA-kolonisierter
Patienten in der ambulanten Dialyse zusätzlich als Erweiterung der durch die Richtlinien
der KRINKO vorgegebenen Separierungskategorien eingeführt (Deutsche Gesellschaft für
Nephrologie 2006). Er beschreibt die Abgrenzung innerhalb eines Behandlungsraums z.
B. durch eine mobile Trennwand. Bei Betreten des zonal abgegrenzten Bereichs sind
alle Maßnahmen wie bei Betreten eines Isolierzimmers (Händedesinfektion, Handschuhe,
Schutzkittel, MNS) zu treffen. Bei der zonalen Trennung ist auf ausreichende Größe
des abgetrennten Bereichs zu achten, um darin die notwendigen hygienischen Arbeitsprozesse
durchführen zu können.
Virushepatitis
Infektionsrisiken: Die chronischen DialyseHepatitis-B-Virus
DialyseHepatitis-C-Virus
Hepatitis-B-VirusDialyse
Hepatitis-C-VirusDialyseVirushepatitiden B und C spielen heute in Deutschland in der
Dialyse keine zahlenmäßig große Rolle mehr. Es wird geschätzt, dass etwa 1 % aller
Dialysepatienten an einer chronisch replizierenden Hepatitis B leidet, die Prävalenz
der Hepatitis C liegt bei etwa 2,4 % (Frei und Schober-Halstenberg 2007). Diese niedrigen
Zahlen sind das Ergebnis einer fortgesetzten präventiven Anstrengung. In der Frühzeit
der Dialyse kam es zu endemischen Ausbrüchen in Dialysezentren. Die Prävalenz der
Hepatitis B lag 1980 bei > 12 %.
Die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten mit einem Therapieverfahren, bei dem
sehr häufig Blutspritzer auftreten, schafft ideale Bedingungen für die nosokomiale
Transmission von Hepatitiden. Hinzu kommt, dass der Abwehrdefekt der chronisch Nierenkranken
meistens die Ausheilung der Hepatitis-B-Infektion verhindert. Die kontinuierliche
Aufrechterhaltung optimaler Hygienemaßnahmen gegen die viralen Hepatitiden ist auch
wegen der hohen Prävalenz der Infektion in anderen Weltregionen erforderlich. Durch
Urlaubsdialysen im Ausland oder ausländische Dialysepatienten werden Viren in deutsche
Dialysezentren eingeschleppt.
Hepatitis B und C weisen unterschiedliches Infektionsrisiko auf. Die Kopienzahl im
Blut und damit die Infektiosität von Blutspritzern ist bei der Hepatitis B mindestens
10 Mal höher als bei der Hepatitis C. Daher wird eine Abstufung der gesonderten Hygienemaßnahmen
für Träger der Hepatitis B und der Hepatitis C empfohlen.
Screening: Ausgangspunkt der Präventionsbemühungen für blutübertragene Erreger ist
die Erkennung chronisch infizierter Patienten. Bei Eintritt in ein Dialyseprogramm
soll ein Patient daher auf Hepatitis B und C getestet werden (Tab. 5.32
). Jährliche Verlaufskontrollen helfen, eventuelle Serokonversionen zu erkennen. Wegen
des Immundefekts chronisch Nierenkranker führt eine Hepatitisinfektion nicht zwangsläufig
zu einer klinisch symptomatischen Hepatitis. Oft wird die Erkrankung nur serologisch
diagnostiziert. Zum Screening reicht die Untersuchung auf HBsAg aus. Ein HBV-DNA-Nachweis
ist lediglich zur Steuerung einer evtl. Therapie der Infektion erforderlich. Moderne
Anti-HCV-Assays weisen eine hohe Sensitivität auf und reichen in Deutschland als Routinescreening
für die Infektion aus. Es kommen bis zu 1 % falsch negative serologische Befunde vor,
in diesen Fällen kann das Virus nur durch HCV-RNA-Nachweis diagnostiziert werden.
Tab. 5.32
Durchführung des Hepatitis-Screenings
Eingangsuntersuchung
Jährliche Kontrolle
Urlaubsrückkehrer∗
HBsAg
+
+
-
Anti-HBs
+
+
–
Anti-HBc
+
+
–
HBV-DNA
Nur zur Steuerung einer evtl. Therapie
–
+
Anti-HCV
+
+
–
HCV-RNA
Nur wenn Anti-HCV positiv
–
+
Anti-HIV
+
–
–
∗
Nach Dialyse in Endemiegebieten.
Eine PCR-Diagnostik als Routinemaßnahme ist nur in Hochprävalenzgebieten sinnvoll.
Ein generelles PCR-basiertes Screening wird allgemein dann empfohlen, wenn die Hintergrundpopulation
eine so hohe HCV-Prävalenz (etwa ab 5 %) aufweist, dass die Entdeckung okkulter Infektionen
mehr nützt als falsch positive Befunde schaden. Das ist in Deutschland nicht der Fall,
da die Prävalenz der HCV-Infektion in der Allgemeinbevölkerung auf 0,3 % (Poethko-Müller
et al. 2013) geschätzt wird. Bei Urlaubsrückkehrern, die in Hochprävalenzgebieten
(z. B. Mittelmeerraum) dialysiert haben, ist eine HBV- und HCV-PCR sinnvoll. Die serologischen
Tests sprechen hier nicht rasch genug an, um eine frische Infektion zu detektieren.
Hygienemaßnahmen: Als Basis des Hepatitisschutzes müssen die Standardhygienemaßnahmen
umgesetzt werden. Grundsätzlich würde das ausreichen, um nosokomiale Infektionen nahezu
vollständig zu verhindern (Jadoul, Cornu und van Ypersele 1998). Allerdings ist die
dauerhafte Adhärenz des Personals zu Hygieneregeln erfahrungsgemäß in kaum mehr als
50 % der Fälle gegeben (Arenas et al., 2005). Um dennoch eine ausreichende infektiologische
Sicherheit zu garantieren, werden bei der Dialyse von Patienten mit viralen Hepatitiden
zusätzliche Präventionsmaßnahmen empfohlen. Infizierte sollen mit individuell zugewiesenen
Dialysemaschinen behandelt werden, um eine akzidentelle Transmission von einem Patienten
zum nächsten über Blutspritzer an der Oberfläche der Geräte verhindern. Das Ziel der
separaten Dialysemaschine ist dabei nicht, die Übertragung durch das Geräteinnere,
durch Schlauchsysteme und Ventile des hydraulischen Systems zu verhindern. Dieses
Risiko ist ausgesprochen gering, da durch eine intakte Dialysemembran keine infektiösen
Viruspartikel ins Dialysat übertreten können. Selbst bei Membranruptur und Kontamination
der Dialysatseite würden die Viren in den Abwasserteil der Maschine gelangen, eine
Infektion des nächsten Patienten wäre höchst unwahrscheinlich.
Aufgrund der hohen Infektiosität und der Umweltresistenz vor allem von HBV wird zusätzlich
eine Behandlung der Patienten in separaten Räumen, getrennt von für die Infektion
anfälligen Patienten, empfohlen (Deutsche Gesellschaft für Nephrologie 2006). Diese
Räume können nach desinfizierender Reinigung der patientennahen Oberflächen in der
nächsten Schicht wieder für nicht infizierte Patienten genutzt werden.
Rückführung von Dialysegeräten: Eine Rückführung von Dialysegeräten aus der Hepatitis-Nutzung
in den Routinebetrieb ist möglich. Hierzu ist eine gründliche, über das normale Maß
hinausgehende desinfizierende Oberflächenreinigung erforderlich, die Routinedesinfektion
der Hydraulik ist ausreichend wirksam, eine ohnehin unwahrscheinliche Virustransmission
zu verhindern. Um größtmöglicheHepatitis-B-VirusDialysegeräte, Rückführung
Hepatitis-C-VirusDialysegeräte, Rückführung Sorgfalt bei der Oberflächendesinfektion
zu erreichen, sollte eine Rückführung als ein definierter Prozess verstanden werden,
für den ein Mitarbeiter der Dialyseeinrichtung persönlich verantwortlich zeichnet.
Hepatitis-B-Impfung:
Die ImpfungHepatitis-B-VirusImpfung sollte spätestens bei Eintritt in ein Dialyseprogramm
für alle Patienten Standard sein. Aufgrund besserer Ansprechraten in früheren Stadien
der Niereninsuffizienz wird i. d. R. bereits ab einer GFR < 25 ml/min geimpft.
Wegen des deutlich reduzierten Ansprechens nierenkranker Patienten wird mit doppelter
Impfstoffdosis und erweiterten Impfschemata vakziniert. Dennoch entwickeln 20–30 %
der Patienten keine Seroprotektion. Für diese ist die Einhaltung der Hygienemaßnahmen
von besonderer Bedeutung.
HIV
Die Human Immunodeficiency VirusDialyse
DialyseHuman Immunodeficiency VirusPrävalenz HIV-infizierter Patienten ist in deutschen
Dialyseeinrichtungen sehr gering. Die meisten Dialysezentren haben hiermit keine Erfahrung.
Die hygienischen Risiken sind im Vergleich mit den Virushepatitiden als geringer einzustufen.
Die Kopienzahl im Blut ist niedriger, die Umweltresistenz des Erregers geringer. In
Deutschland wird derzeit noch häufig die Verwendung separater Dialysemaschinen für
HIV-infizierte Patienten favorisiert, ein separater Raum ist nicht erforderlich. Die
Empfehlungen der amerikanischen Centers for Disease Control (2001) sehen selbst die
Maschinentrennung nicht mehr vor. Grundsätzlich reichen Standardhygienemaßnahmen aus,
um eine nosokomiale Übertragung zu verhindern.
MRSA
Die Prävalenz Methicillin-resistenter Staphylococcus aureusDialyse
DialyseMethicillin-resistenter Staphylococcus aureusder MRSA-Kolonisierung von Dialysepatienten
beträgt 2–12 % (Lederer, Riedelsdorf und Schiffl 2007). Da im Dialysezentrum eine
nosokomiale Verbreitung erfolgen kann, sind präventive Maßnahmen unverzichtbar. Das
ist umso wichtiger, als Staphylokokken zu den häufigsten Erregern bakterieller Infektionen
bei chronisch Nierenkranken gehören und Infektionen des Gefäßzugangs ein besonderes
Gefahrenpotenzial darstellen.
Screening: Ein Routinescreening Methicillin-resistenter Staphylococcus aureusScreeneingDialyse
DialyseMRSA-Screeningauf MRSA wird nicht empfohlen. Aufgrund der Abrechenbarkeit der
Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich als Screeningindikation
die Aufnahme von Patienten nach stationärem Aufenthalt etabliert, sofern eine positive
MRSA-Anamnese oder besondere Risikofaktoren (Antibiotikatherapie, Katheter, Wunden
usw.) vorliegen. Ein Routinescreening des Dialysepersonals wird nicht durchgeführt.
Ein regelmäßig wiederholtes Screening von Patienten im Dialyseprogramm wird nicht
empfohlen, zumal hierfür aufgrund des ambulanten Charakters der Therapie keine sinnvollen
Intervalle zu definieren wären.
Wird in einem Dialysezentrum bei mehr als 2 Patienten im zeitlichen Zusammenhang eine
MRSA-Kolonisation festgestellt, sollten alle Patienten und das medizinische Personal
der Behandlungseinheit untersucht werden, um mögliche nosokomiale Transmissionswege
aufzudecken.
Maßnahmen bei Kolonisation: Da die Dialyse meistens nicht unter stationären Krankenhausbedingungen
stattfindet, sind hinsichtlich des Umgangs mit MRSA-besiedelten Patienten Besonderheiten
zu beachten. Im Gegensatz zum stationär behandelten Krankenhauspatienten ist das (infektiologische)
Umfeld von Dialysepatienten außerhalb der Dialyse nicht kontrollierbar. Der Patient
kann zwischen zwei Dialysen in anderen medizinischen Einrichtungen MRSA akquirieren;
viele Patienten leben in Alten- und Pflegeheimen und sind dort potenziell gefährdet.
Die wichtigste Maßnahme zur Prävention einer Verbreitung von MRSA ist die optimale
Einhaltung der Standardhygiene mit dem Schwerpunkt der Händedesinfektion. Zusätzlich
ist die Übertragung via Aerosol, Staub oder Oberflächen von gemeinsam genutzten Gerätschaften
durch geeignete Maßnahmen zu unterbrechen.
Hygienemaßnahmen bei MRSA-kolonisierten oder -infizierten Patienten
•
Räumliche, zonale oder organisatorische Trennung von anderen Dialysepatienten
•
Separate Dialysemaschine nicht erforderlich
•
Strikte Einhaltung der Standardhygienemaßnahmen
•
Patientenbezogener Schutzkittel, MNS für das Personal
•
Gut erreichbarer Dialyseplatz ohne Durchquerung des ganzen Dialysezentrums
•
Eradikation anstreben
•
Keine Restriktionen beim Patiententransport zur Dialyse, sofern nicht aus anderen
Gründen ein qualifizierter Krankentransport erforderlich ist (dann Beachtung der entsprechenden
regulatorischen Vorgaben)
•
Normale Sozialkontakte außerhalb der Dialyse.
Sanierung: Grundsätzlich ist auch beim Dialysepatienten eine Sanierung der MRSA-Besiedlung
möglich und anzustreben (Lederer, Riedelsdorf und Schiffl 2007). Sie wird aber durch
die Tatsache erschwert, dass viel Eigeninitiative des Patienten erforderlich ist.
Die 3-mal tägliche Applikation antiseptischer Nasensalbe kann vom Patienten selbst
vorgenommen werden, ebenso die antiseptische Körperwaschung. Allerdings werden diese
Maßnahmen derzeit nicht von den Kostenträgern bezahlt.
Andere multiresistente Erreger
VRE und MRGN erlangen zunehmend epidemiologische Bedeutung in Dialysezentren. Hinzu
kommen Gastroenteritiden durch C. difficile, die bei Dialysepatienten vor allem wegen
des häufigen Einsatzes von Antibiotika oft zu beobachten sind. Die Weiterverbreitung
kann fäkal-oral erfolgen.
VRE: Es wird Vancomycin-resistente ErregerDialyse
DialyseVancomycin-resistente Erregerkein Screening unauffälliger ambulanter Dialysepatienten
auf VRE empfohlen. Somit wird auch die Kolonisation in vielen Fällen nicht festgestellt.
Ein Übertragungsrisiko im Dialysezentrum besteht bei Durchfallerkrankungen oder VRE-infizierten
Wunden. In diesen Fällen sind spezielle Hygienemaßnahmen, die in Art und Umfang denen
bei MRSA-Kolonisation entsprechen, erforderlich. Neben der akribisch durchgeführten
Standardhygiene erfolgt eine räumliche oder organisatorische Separierung bei der Dialyse.
Außerdem muss bei übertragungsgefährdeten Tätigkeiten am Patienten ein MNS getragen
werden. Auch eine zonale Separation wie für MRSA-Patienten ist adäquat. Die Separationsmaßnahmen
können beendet werden, sobald kein Durchfall mehr vorliegt bzw. die infizierte Wunde
kein Verbreitungsrisiko mehr darstellt. Da eine Sanierung enteral VRE-kolonisierter
Patienten kaum möglich ist, besteht bei asymptomatischen Patienten keine Indikation
für rektale Kontrollabstriche.
MRGN: Es gibt Multiresistente gramnegative ErregerDialyse
DialyseMultiresistente gramnegative Erregerbisher wenig Evidenz oder regulatorische
Vorgaben für den Umgang mit MRGN-kolonisierten Patienten in der ambulanten Dialyse.
Eine Unterscheidung zwischen 3MRGN und den wesentlich problematischeren 4MRGN scheint
analog zum Vorgehen bei der stationären Krankenhausbehandlung plausibel.
•
Bei Kolonisation mit 3MRGN und erhöhtem Übertragungsrisiko (Durchfall, HWI bei Katheterpatienten,
infizierte, nicht dicht verbundene Wunden) sind besondere Hygienemaßnahmen (Separierung,
Kittelpflege) zu fordern. In allen anderen Fällen kommen bei Patienten, die mit 3MRGN
kolonisiert sind, Standardhygienemaßnahmen zum Einsatz.
•
Bei der Kolonisation oder Infektion mit 4MRGN scheint hingegen eine Vorgehensweise
analog zu MRSA sinnvoll, nur dass bei der Kolonisation bisher keine Eradikation möglich
ist.
Clostridium difficile: Bei Patienten, die an einer Kolitis mit C. difficile leiden,
ist ähnlich zu verfahren, wie bei Patienten, die mit VRE besiedelt sind. Solange Durchfälle
bestehen, sind zusätzliche Hygienemaßnahmen sinnvoll und ist eine Separation zur Dialysebehandlung
zu empfehlen. Clostridium difficileDialyse
DialyseClostridium difficileSobald die klinische Symptomatik abklingt, verringert
sich das Transmissionsrisiko bei Patienten mit normaler Körperhygiene deutlich. Daher
können Isolierungsmaßnahmen aufgehoben werden, obwohl die Erregerelimination noch
nicht nachgewiesen wurde.
Bei allen Erregern, die den Darm kolonisieren, besteht im Rahmen der ambulanten Dialyse
nur ein geringes Übertragungsrisiko, wenn sich der Patient an seinem Dialyseplatz
befindet. Hingegen kann durch die sequenzielle Nutzung der Toiletten durch kolonisierte
und nicht kolonisierte Patienten ein sehr hohes Übertragungsrisiko bestehen. Diesem
Risiko ist durch geeignete Desinfektionsstrategien zu begegnen.
Hochkontagiöse Erreger
Im Zusammenhang mit der ambulanten Dialysebehandlung kommen Infektionen mit Noroviren
oder Influenza vor, die aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr besondere hygienische
Maßnahmen erfordern.
Patienten mit akuten Durchfallerkrankungen sollten insbesondere in der typischen Jahreszeit
(Wintermonate) in separaten Räumen dialysiert werden.
Ergibt die Diagnostik eine Norovirusinfektion, müssen die besonderen Hygienemaßnahmen
bis mindestens 2 d nach Abklingen der Symptomatik beibehalten werden. BeiNorovirenDialyse
DialyseNorovirus einer Noroviruserkrankung reicht die zonale Trennung nicht aus, sondern
ist ein separater Raum (Einzelzimmer oder Kohortenisolierung) erforderlich. Vor Betreten
des Raums sind in jedem Fall patienten- oder kohortenbezogen Schutzkittel und Handschuhe
anzulegen, bei Tätigkeiten mit Gefahr der Aerosolbildung (Patienten mit Erbrechen,
beim Betten oder bei der Körperpflege), zusätzlich MNS. Der Patient kann nicht die
Gemeinschaftstoilette einer Dialyseeinrichtung aufsuchen und benötigt, falls keine
separate Toilette verfügbar ist, einen Toilettenstuhl im Isolierzimmer. Zum Schutz
vor Noroviren muss die Händedesinfektion mit viruziden Desinfektionsmitteln erfolgen.
Raum und Dialysemaschine können nach der desinfizierenden Reinigung mit viruziden
Mitteln wieder für nicht infizierte Dialysepatienten verwendet werden.
Bei akuten Erkältungskrankheiten mit typischer Symptomatik werden üblicherweise nur
allgemeine Schutzmaßnahmen angewandt (hygienisches Husten, Abstand halten zum Infizierten,
hygienische Entsorgung von Einmaltaschentüchern). Bei epidemischem Auftreten der Influenza
kann Influenza-A-Virus (H1N1)Dialyse
DialyseInfluenza-A-Viruses hingegen erforderlich werden, dass sich Patienten bereits
vor Eintreten in eine Dialyseeinrichtung als erkrankt identifizieren, damit ihnen
ein separater Dialyseplatz zugewiesen werden kann. Kontakte zu anderen Patienten sind
möglichst zu vermeiden, eine Kohortenisolierung ist möglich. Besondere Schutzmaßnahmen
umfassen den patientenbezogenen Schutzkittel, MNS und Handschuhe. Separate Dialysegeräte
sind nicht erforderlich.
Dialysepatienten sollten jährlich gegen Influenza geimpft werden.
5.19.3
Dialysegeräte
Auf- und Abrüsten, Abfallmanagement: Alle DialysegeräteDialyseAuf- und Abrüsten der
Geräte werden mit Schlauchsystemen und Filtern ausgestattet, die zur einmaligen Verwendung
konzipiert sind. Die steril verpackten Schlauchsysteme werden vor Eintreffen des Patienten
an das Dialysegerät gesteckt und mit Kochsalzlösung gefüllt.
Fertig aufgerüstete trockene Systeme müssen innerhalb von 12 h angewandt werden, befüllte
Systeme innerhalb von 1 h. Andernfalls müssen Schlauchsysteme und Filter verworfen
werden.
Bei Geräten für die ambulante intermittierende Hämodialyse wird die Dialysierflüssigkeit
meist in einem hydraulischen System im Innern der Maschine aus Reinwasser und Salzkonzentraten
zubereitet. Diese Systeme müssen nach Herstellervorgaben in regelmäßigen Abständen
gespült bzw. desinfiziert werden. Hierzu kommen Heißdesinfektion oder chemische Desinfektion
in Betracht.
Entscheidend für die hygienische Sicherheit der Dialysemaschine ist die adäquate Oberflächendesinfektion.
Blutspritzer und Verunreinigungen an der Oberfläche, an Schaltern und Bedienelementen,
an Blutpumpen oder Anbauteilen stellen ein hohes Risiko für die Behandlung nachfolgender
Patienten dar. Schon bei der technischen Konzeption von Dialysegeräten ist auf eine
für Reinigung und Desinfektion geeignete Gestaltung zu achten. Im Alltagsbetrieb sind
regelmäßige Desinfektionen unter Beachtung der Einwirkzeit essenziell für die Sicherheit
der Behandlung. Eine Erregerübertragung über die äußeren Oberflächen von Dialysemaschinen
ist weitaus wahrscheinlicher als eine Transmission über eine Kontamination der hydraulischen
Systeme im Inneren. Letztere ist eher theoretischer Natur und nahezu zu vernachlässigen.
Nach Abschluss einer Dialysebehandlung verbleiben in den Schlauchsystemen und Filtern
kleine Mengen an Blut (< 1 ml pro Behandlung bei adäquater Durchführung). Beim Abrüsten
der Dialysemaschine müssen die Schlauchsysteme daher an den Enden verschlossen oder
das arterielle und venöse Ende dicht miteinander verbunden werden, damit keine Flüssigkeit
auslaufen kann. Die Einmalmaterialien sind am Dialyseplatz in dichte Abfallbehälter
zu verpacken. Hierbei kann es sich um reißfeste Abfallsäcke, besser um feste Abfallcontainer
handeln. Diese werden verschlossen aus dem Dialyseraum zu einer zentralen Abfallsammelstelle
gebracht. Die Dialysekanülen werden separat in stichfesten Sicherheitseinwegbehältern
DialyseAbfallmanagementgesammelt und entsorgt. Die sicher verpackten Abfälle werden
ohne zusätzliche Behandlung im Hausmüll entsorgt, eine stoffliche Weiterverwertung
ist jedoch nicht möglich.
Zuordnung zum Patienten: ÜblicherweiseDialysePatientenzuordnung der Geräte erfolgt
keine feste Zuordnung von Dialysemaschinen zu einzelnen Patienten. Die Patienten sollten
jedoch vorzugsweise immer an den gleichen Maschinen behandelt werden, um die Rotation
der Geräte zu begrenzen.
Für jede Behandlungssitzung sollte dokumentiert werden, welche Maschine beim Patienten
zum Einsatz kam. In der Infektionsdialyse ist eine Zuordnung der Geräte entweder zum
Patienten oder zu Patientenkohorten mit gleicher Infektionsproblematik erforderlich.
5.19.4
Dialyse in der Intensivmedizin
In IntensivstationDialyse
DialyseIntensivmedizinder Intensivmedizin werden neben den auch für die ambulante
Hämodialyse eingesetzten Dialysemaschinen mit interner Dialysatzubereitung auch Geräte
für die kontinuierliche Dialyse und Hämofiltration eingesetzt. Diese unterscheiden
sich vor allem im Fehlen eines eingebauten Flüssigkeitsproportioniersystems. Sie beziehen
die Dialysier- oder Substituatlösungen aus steril verpackten Flüssigkeitsbeuteln.
Alle Flüssigkeit führenden Komponenten sind aus Einmalmaterial und nach Gebrauch zu
entsorgen. Besonderes Augenmerk ist auf die desinfizierende Reinigung der Geräteoberflächen
zu legen.
Intensivpatienten werden überwiegend über zentralvenöse Katheter dialysiert. Die Hygienemaßnahmen
unterscheiden sich nicht von denen bei Patienten in der ambulanten Dauerdialyse, sind
jedoch unter den Bedingungen der Intensivmedizin häufig nicht leicht umzusetzen. Zur
Behandlung des akuten Nierenversagens werden temporäre Katheter in der V. jugularis
verwendet, die nicht über einen langen Subkutantunnel verfügen (Shaldon-Katheter).
Die üblichen Maßnahmen zur Pflege zentralvenöser Katheter gemäß RKI-Richtlinie (KRINKO
2002) spielen für die sehr großkalibrigen, 2- bis 3-lumigen Katheter eine besondere
Rolle.
Auch auf Intensivstationen werden Patienten mit Virushepatitiden oder Problemerregern
dialysiert. Hinsichtlich MRSA, VRE oder MRGN sind die Behandlungs- und Hygienerichtlinien
für die stationäre Therapie einzuhalten, zusätzliche Maßgaben für die Dialyse sind
nicht erforderlich. Nicht immer liegt vor Einsatz einer Dialyse auf der Intensivstation
das serologische Hepatitisprofil des Patienten vor. Im Zweifelsfall sollten daher
die Standardhygienemaßnahmen besonders sorgfältig beachtet werden. Die Dialysegeräte
müssen vor Einsatz bei anderen Patienten besonders gründlich oberflächendesinfiziert
werden, analog wie bei der Geräterückführung in der ambulanten Dialyse. Grundsätzlich
ist eine feste individuelle Zuweisung der Geräte nicht erforderlich und oft auch nicht
praktikabel.
5.19.5
Peritonealdialyse
Die Peritonealdialyse
DialysePeritonealdialysePeritonealdialyse wird über einen operativ ins Peritoneum
implantierten Kunststoffkatheter (15 Ch., 5 mm Außendurchmesser) durchgeführt. Der
Anschluss der Dialysatbeutel erfolgt über spezielle Konnektoren, die eine Kontamination
erschweren. Über den Katheter werden 3- bis 5-mal täglich 1,5–2,5 l Dialysat in die
Bauchhöhle eingefüllt und wieder entleert.
Die Dialyse wird mit steril und pyrogenfrei verpackten Fertiglösungen durchgeführt.
Der Anwender muss sich vor dem Einsatz von der Unversehrtheit der Verpackung überzeugen,
ansonsten liegt die Hygieneverantwortung hierfür beim Hersteller. Hygienisch kritisch
sind bei diesem Verfahren die Konnektionsvorgänge zwischen Dialysatbeutel und Peritonealkatheter.
Der Peritonealdialysepatient erlernt die hygienische Handhabung der Konnektoren im
Rahmen einer ausführlichen Schulung. Zum Beutelwechsel ist ein sauberer, zugfreier
und ausreichend großer Platz erforderlich. Die Verwendung eines MNS durch den Patienten
ist zwar nicht evidenzbasiert, jedoch sinnvoll geübte Praxis zur Vermeidung von Aerosolkontaminationen.
Nach Händedesinfektion erfolgt eine Konnektion in „Non-touch-Technik“. Es stehen verschiedene
patentierte Konnektionssysteme zur Verfügung, die eine Kontamination des Katheterlumens
erschweren sollen. Tatsächlich konnte mit den modernen Anschlussverfahren die Peritonitisrate
deutlich gesenkt werden.
Alternativ zur intermittierenden Peritonealdialyse, bei der der Patient 3–5 Beutelwechsel
pro Tag durchführt (jeweils 1 Anschluss und 1 Abschluss eines über Y-Stück verbundenen
Systems aus leerem Ablaufbeutel und gefülltem Dialysatbeutel), kann die automatisierte
Peritonealdialyse durchgeführt werden. Hierzu erfolgt einmal täglich vor der Nachtruhe
ein Anschluss an ein automatisiertes Cyclergerät, das über Nacht Dialysierflüssigkeit
ins Peritoneum hinein und wieder herauspumpt. Am Morgen diskonnektiert der Patient
das System und lässt seinen Peritonealkather bis zum nächsten Abend verschlossen.
Durch die verminderte Zahl der Konnektionsvorgänge ist dieses Verfahren hygienisch
etwas einfacher zu handhaben.
5.20
Dermatologie und Venerologie
Harald Löffler und Axel Kramer
Betrachtet man die Krankenhaushygiene unter dem Gesichtspunkt der Dermatologie, fallen
einige Besonderheiten auf. Im Gegensatz zu anderen Organsystemen steht die Haut –
und damit auch die infizierte Haut – in direktem Kontakt zur Umgebung. Hygienemaßnahmen
sind daher nicht nur zur Therapie infizierter Areale, sondern insbesondere auch zur
Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen in der Dermatologie von höchster
Relevanz. Da zudem die Mitarbeiter mit der mikrobiellen Besiedelung ihrer eigenen
Haut relevant zur Verbreitung von NI beitragen, ist die Vermeidung und Reduktion einer
transienten Besiedlung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer guten Hautqualität
von essenzieller Bedeutung.
Infektiöse Dermatosen sind ohne Barrierepflege ein Infektionsrisiko für die Umgebung.
In der DermatochirurgieDermatologieSurgical Site Infection
Surgical Site InfectionsDermatologie ist die Prävention von SSI ein zusätzliches Präventionsanliegen.
Die SSI-Raten betragen 0,7 % nach mikroskopisch kontrollierter Chirurgie, 1,5 % nach
dermatologisch-onkochirurgischen Eingriffen, 7,6 % nach Laser Skin Resurfacing (LSR)
mit CO2-Laser und 8,7 % nach Hauttransplantationen (Bellman et al. 1998; Kulichová
et al. 2013; Manuskiatti et al. 1999; Mühlstädt und Kulichová 2009). Das führt insbesondere
in angloamerikanisch Ländern nicht selten dazu, dass prophylaktisch topische Antibiotika
auf die Wunde aufgetragen werden. Da eine Metaanalyse zeigen konnte, dass dieses Vorgehen
keinen Vorteil bringt, soltle das Aufbringen antibiotischer Salben auf die primär
verschlossene Wunde unterbleiben (Saco et al. 2014).
5.20.1
Mikrobielle Besiedelung der Haut
Wir unterscheiden Hautzwischen der dauerhaften normalen Standortflora (residente Flora),
der meist kurzfristigeren Kontamination mit anderen Erregern (transiente Flora) und
der Infektionsflora.
Residente Flora
Die Standortflora sichert das mikroökologische Gleichgewicht innerhalb der episomatischen
Biotope und schützt nach erfolgter Kontamination vor der Kolonisation durch transiente
Mikroorganismen bzw. durch Krankheitserreger.
Die HautStandortflora
HautFloraresidente Wechselbeziehung Mensch-Standortflora-Umwelt hat eine elementare
Funktion für den Erhalt des Gleichgewichts von physiologischer Besiedlung und Abwehr
der ständig auf Haut, Schleimhaut bzw. Wunden gelangenden transienten Organismen.
Nur so war es dem Menschen in seiner Evolution möglich, als „Gast“ in einer mikrobiellen
Umwelt mit dieser zu koexistieren. Die residente Flora existiert in einem physiologischen
Gleichgewicht mit dem Gesamtorganismus in Form eines MutualismusMutualismus (Cogen,
Nizet und Gallo 2008):
•
Bakterien und Pilze nutzen die Körperflüssigkeiten und -oberflächen, z. B. Hautschuppen,
als Nahrung und Habitat. Sie finden in ausreichendem Maße Aminosäuren, Fette, Eiweiße
sowie Mineralstoffe und profitieren vom feuchtwarmen Milieu mancher Körperregionen.
•
Der Organismus profitiert von dieser Symbiose, da das Immunsystem regelmäßig stimuliert
wird, Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen direkt genutzt werden und durch die
bestehende Kolonisation mit residenten Bakterien die Neuansiedelung von Pathogenen
erschwert wird.
Die physiologische Flora besteht vor allem aus KNS (wie S. epidermidis), Streptokokken
und Propionibakterien sowie aus Corynebakterien (Tab. 5.33
) und findet sich in besonders großer Dichte am Kopf, in den Intertrigines und anogenital
(Jarvis 1996b). Hat sich eine stabile residente Flora ausgebildet, ändern auch Hygienemaßnahmen
wie Waschung oder Desinfektion nur kurzfristig etwas an der Zusammensetzung. Innerhalb
weniger Stunden stellt sich i. d. R. wieder eine komplette Rekolonisierung ein.
Tab. 5.33
Häufigkeit und Pathogenität der Standortflora der Haut
Spezies
Vorkommen
Pathogenität
Staphylococcus aureus
Gelegentlich
Hoch
Staphylococcus epidermidis
Häufig
Gering
Staphylococcus warneri
Gelegentlich
Gering
Streptococcus pyogenes
Gelegentlich
Hoch
Streptococcus mitis
Häufig
Gering
Propionibacterium acnes
Häufig
Gering, für SSI relevant
Corynebacterium spp.
Häufig
Gering
Actinetobacter johnsonii
Häufig
Gering
Pseudomonas aeruginosa
Gelegentlich
Gering
Pityrosporum (Malassezia spp.)
Häufig
Gering
(nach Cogen, Nizet und Gallo 2008)
Bei eingeschränkter Immunabwehr, z. B. bei Intensivtherapie, immunsuppressiver Therapie,
Diabetes mellitus, großen operativen Eingriffen oder konsumierenden Erkrankungen,
kann sich die Zusammensetzung der Standortflora verändern und die Eubiose in eine
Dysbiose mit Vermehrung potenziell pathogener Erreger übergehen.
Transiente Flora
Die nicht zur Standortflora gehörenden Organismen werden in ihrer Gesamtheit als transiente
FloraHautFloratransiente bezeichnet.
Zusammensetzung: Die transiente Hautflora ist einem ständigen Wechsel unterworfen,
wobei nicht immer eine Unterscheidung zwischen residenter und transienter Flora möglich
sowie individuell unterschiedlich ist, was bei langfristiger Kolonisierung mit S.
aureus deutlich wird. Noble (Noble 1981) hat hierfür den Terminus temporär residente
Flora eingeführt.
Die transiente Flora besteht aus pathogenen oder apathogenen Erregern, die nur kurzfristig
auf der Haut verweilen, weil sie i. d. R. nicht über längere Zeit auf Haut oder Schleimhäuten
überleben können. Selten können sie länger als ein paar Stunden auf der Haut nachgewiesen
werden. Findet sich dennoch über einen längeren Zeitraum eine Besiedlung mit Pathogenen,
spricht man von Trägern (Carriern). Häufige transiente Organismen sind S. aureus (mit
Hauptreservoir in der Nasenhöhle), S. pyogenes, E. coli, P. aeruginosa, Proteus, Clostridium
und Candida spp. (Dohmen 2006). Auch ein paar wenige Viren wie humane Papillomaviren
oder HSV können aufgrund ihrer Fähigkeit zur Adhäsion ebenfalls kurzfristig an der
Hautoberfläche anhaften.
Die Anzahl der transienten Erreger auf der Haut kann aus unterschiedlichen Gründen
zunehmen. In Gesundheitseinrichtungen kann ein verändertes Erregerspektrum in der
Umgebung zu einem veränderten Spektrum auf der Haut führen. Daneben tragen endogene
Faktoren wie Erkrankungen (Diabetes mellitus, hämatologische Erkrankungen, Tumorleiden,
Vitaminmangelzustände, Alkoholismus) sowie iatrogene Gründe (Immunsuppression, Antibiotikatherapie)
zur veränderten Hautflora bei (Elsner 2006). Aber auch die Veränderungen der Hautstruktur
mit ihrer immunologischen Funktion kann dazu führen, dass sich die Zusammensetzung
der Flora ändert. Die Übergänge von einer veränderten Flora bei noch normaler Haut
(z. B. bei Atopikern) zu einer pathologisch veränderten Flora bei erkrankter Haut
(z. B. bei manifester atopischer Dermatitis) sind dabei fließend.
Hautabwehr:
Abgesehen von HautAbwehrder Möglichkeit der Weiterverbreitung ist die transiente Flora
zunächst nicht gefährlich für den Organismus, weil das antimikrobielle Bollwerk der
Haut – die „körpereigene Hygiene“ –, solange es intakt ist, eine Infektion verhindert.
In den obersten Schichten der Epidermis befindet sich ein komplexes Abwehrsystem des
Körpers. Neben dem physiologischen pH-Wert und den Hautoberflächenlipiden besteht
es zunächst aus einer von Keratinozyten und interzellulären Lipiden gebildeten hocheffektiven
Wasserpermeabilitätsbarriere (Jensen und Proksch 2009; Proksch, Brandner und Jensen
2008), die auf physikalischer und chemischer Basis die Invasion von Mikroorganismen
verhindert (Boguniewicz und Leung 2010). Durch die regelmäßige Abschilferung der oberflächlichen
Squamae wird die ständige Erneuerung dieser Barriere sichergestellt.
Auf chemischer Basis wird die Haut (und die Schleimhäute) bereits an der Oberfläche
durch antimikrobielle Substanzen, z. B. durch sekretorisches IgA und Lysozym auf den
Schleimhäuten oder Sphingosin, Dermcidin und antimikrobielle Proteine auf der Haut,
geschützt (Schittek et al. 2008). Keratinozyten sind essenziell für die unspezifische
Abwehr. In die Haut eingedrungene pathogenassoziierte molekulare Muster (Pathogen-associated
Molecular Patterns, PAMPs) binden an Toll-like-Rezeptoren der Keratinozyten. Dadurch
wird das evolutionär sehr alte angeborene Abwehrsystem aktiviert, das direkt über
die Produktion verschiedener antimikrobiell wirksamer Substanzen (z. B. Defensine)
zur Infektionsabwehr beiträgt. Außerdem produzieren aktivierte Keratinozyten einen
Zytokincocktail (u. a. IL-1, IL-6, IL-8 und TNFα), der das „antigenspezifische erworbene
Immunsystem“ (Antigen-specific Acquired Immunity) aktiviert und moduliert (Schröder
2010; Terhorst et al. 2010).
Infektionsflora
Unter der HautInfektionsfloraInfektionsflora wird das Vorkommen von Krankheitserregern
in episomatischen Biotopen verstanden, die ihr Habitat in bestehenden klinisch manifesten
Infektionen des Wirtsorganismus (z. B. Abszess, Panaritium, Paronychie, infiziertes
Ekzem, eitriger Schnupfen, Angina) haben.
5.20.2
Hygieneaspekte dermatologischer Erkrankungen
Neben HautErkrankungen
Dermatosenden Besonderheiten spezifisch dermatologischer Infektionserkrankungen gilt
es, die besondere Situation dermatologischer Stationen zu berücksichtigen. Hier liegt
häufig ein gemischtes Patientengut vor:
•
Patienten mit konservativen entzündlichen, aber nicht infektiösen (wohl aber kontaminierten)
Hautaffektionen wie Psoriasis, Neurodermitis,
•
Patienten nach OP (septisch wie aseptisch) und
•
Patienten mit dermatologischen Infektionserkrankungen.
Bei mangelnder Hygiene ist die Gefahr einer Erregerverschleppung mit nachfolgender
NI aufgrund der häufig hohen mikrobiellen Belastung dermatologischer Infektionskrankheiten
mit offen daliegenden Erregern hoch. Von besonderer Bedeutung sind hierbei asymptomatische
Träger von MRE. Deren Habitat an der Körperoberfläche sind neben dem Nasenvorhof intertriginöse
Areale, chronische Wunden und Hauterkrankungen mit gestörter Barriere (z. B. Ekzem).
Zum Schutz der Weiterverbreitung sind suffiziente Hygienemaßnahmen von höchster Relevanz
(Tab. 5.34
)HautHygienemaßnahmen bei Dermatosen
DermatosenHygienemaßnahmen.
Tab. 5.34
Infektionsprophylaxe bei relevanten dermatologischen Erkrankungen mit PatientenkontaktHerpes
ZosterInfektionsprophylaxeVarizellenInfektionsprophylaxeStreptokokkenPyodermie, InfektionsprophylaxeStaphylokokkenPyodermie,
InfektionsprophylaxeSkabiesInfektionsprophylaxePediculus capitisInfektionsprophylaxeParvovirus
B19InfektionsprophylaxeMethicillin-resistenter Staphylococcus aureusInfektionsprophylaxe,
HautMolluscum-contagiosum-Virus, InfektionsprophylaxeLymphogranuloma inguinale, InfektionsprophylaxeImpetigo
contagiosa, InfektionsprophylaxeGonorrhö, InfektionsprophylaxeErysipeloid, InfektionsprophylaxeHerpes-simplex-VirusInfektionsprophylaxe
Erkrankung
Einzel-/Kohortenpflege
MNS
Schutzhandschuhe
Schutzkittel X oder -schürze (X)
Schlussdesinfektion
Meldepflicht
Dermatomykosen, Erysipeloid, Erythema infectiosum, Gonorrhö, Lymphogranuloma inguinale
–
–
X
(X)
–
–
HSV-Infektion
X6
–
–
–
–
–
Impetigo contagiosa
X7
X8
X
(X)
–
X3
Lues
–
–
–
–
–
X5
MRSA-Kolonisation/-Infektion
x
X
X
X
X
X4
Molluscum contagiosum
–
–
X
(X)
–
–
Pediculosis capitis
–
–
–
–
–
X1
Skabies
X2
–
–
–
–
X3
Staphylokokkenpyodermie
X6
(X)
X
(X)
–
–
Streptokokkenpyodermie
X6
(X)
X
(X)
–
–
Varizellen
X
X
X
X
–
X1, ∗
Zoster9
–
–
X
–
–
–
1
Keine ärztliche Meldepflicht, Meldepflicht der Erkrankung mit personenbezogenen Angaben
für die Leitung von Ausbildungseinrichtungen
2
Wechsel der Leib- und Bettwäsche 1- bis 2-mal täglich
3
Keine ärztliche Meldepflicht, Meldepflicht des Verdachts einer Erkrankung mit personenbezogenen
Angaben für die Leitung von Ausbildungseinrichtungen
4
Das gehäufte Auftreten von NI, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich
ist oder vermutet wird, ist dem Gesundheitsamt innerhalb von 3 d als Ausbruch zu melden.
5
Meldung einer akuten Infektion durch Laborleiter
6
Keine gemeinsame Unterbringung mit Patienten mit Immunschwäche, generalisiertem Ekzem,
großflächigen Hautdefekten oder ausgedehnten Verbrennungen
7
Bis 48 h nach wirksamer Therapie
8
Bei Scharlach sowie großflächigen Haut- und Wundinfektionen
9
Nicht verkrustete Hautläsionen beim Zoster sind mit sterilem Verband vollständig abzudecken.
Kein Kontakt zu Immunsupprimierten!
Die Kontamination von Externa (insbesondere in von mehreren Patienten verwendeten
Behältern) muss wegen des Risikos der Erregervermehrung durch geeignete Maßnahmen
(eigene Externagebinde für jeden Patienten, Aufbewahrung außerhalb der Patientenzimmer,
Entnahme nur mit Einmalartikeln z. B. Holzspatel) verhindert werden.
Pilzerkrankungen: Eine gewisse Besiedlung mit Pilzen ist beim Menschen normal. Das
kann auch potenzielle Pathogene wie Candida spp. betreffen. Bei gesunden Menschen
kann man im Genitalbereich und CandidaHaut
Mykosen, Haut
DermatosenPilzeim Gastrointestinaltrakt regelmäßig Candida spp. nachweisen, ohne dass
dem eine pathologische Bedeutung zukommt (Jarvis 1996b). Selbst intertriginös können
Candida spp. isoliert werden, ohne dass eine Infektion vorliegt.
Die Übertragung von Candida spp. auf immunsupprimierte Patienten kann eine schwerwiegende
generalisierte Infektion zur Folge haben, sodass neben Einhaltung der Basishygiene
identifizierte Carrier von Risikopatienten separiert und zumindest die Hautoberfläche
behandelt werden sollte.
Die TineaTinea (oberflächliche Infektion der Haut mit Dermatophyten) spielt im Krankenhaus
eine eher untergeordnete TrichophytieRolle, allerdings kommen tiefe pustulöse Formen
vor (tiefe Trichophytie), die sich gern als Mischinfektion präsentieren (Ameen 2010;
Marcoux et al. 2009). Regelmäßig kommt die Fragestellung der Relevanz einer Pilzinfektion
im geplanten OP-Gebiet auf:
•
Bei oberflächlicher Tinea ohne klinisch apparente bakterielle Superinfektion reichen
normale peri- und intraoperative Hygienemaßnahmen aus, da keine systemische Infektion
durch Dermatophyten zu befürchten ist.
•
Bei einer ekzematösen Reaktion kann eine Superinfektion mit Bakterien angenommen werden,
sodass eine präoperative topische und ggf. auch systemische antimikrobielle Therapie
initiiert werden muss.
Viruserkrankungen: Bei DermatosenviralePatienten mit massiv gestörter Hautbarriere
können Viren lebensgefährliche Superinfektionen verursachen, z. B. das Eczema herpeticatum
Eczema herpeticatumbei Patienten mit atopischem Ekzem, aber auch das (nicht gefährliche)
Eczema molluscatumEczema molluscatum (Boguniewicz und Leung 2010).
Eine Distanzierung von Personen mit floriden dermatologisch relevanten Viruserkrankungen
von Risikopatienten mit gestörter kutaner Barriere ist ebenso notwendig wie die gewissenhafte
Händehygiene.
Bakterielle Superinfektion: Viele Dermatosen BakterienDermatosen
Dermatosenbakteriellesind bakteriell superinfiziert. Das Spektrum reicht von einer
klinisch irrelevanten Besiedlung (z. B. bei Psoriasis) über die massiv besiedelte,
aber für den Patienten meist ungefährliche, Superinfektion von chronischen Ulzera
bis zur hochinfektiösen Impetigo oder superinfizierten Ekzemen (Plettenberg und Meigel
2004). Insbesondere schwere Ekzemerkrankungen (wie bei atopischer Dermatitis) neigen
aufgrund ihrer Barriereschädigung schnell zu einer massiven Superinfektion, sodass
von ihnen die Gefahr einer Weiterverbreitung ausgeht (Baker 2006; Boguniewicz und
Leung 2010). Vor und nach jedem Patientenkontakt ist eine Händedesinfektion erforderlich
(Kap. 2.1).
Bei Infektionen mit Erregern, die sich nicht auf der Körperoberfläche befinden bzw.
nur über Blut oder Körperflüssigkeiten übertragen werden, bedarf es keiner verschärften
Hygienemaßnahmen. Leider findet sich aus Unkenntnis bei Syphilispatienten gelegentlich
ein Schild: „Betreten des Patientenzimmers nur nach Rücksprache mit dem Pflegepersonal“.
5.20.3
Dermatologische Aspekte der Händehygiene
Waschen der Hände
Die DermatologieHändehygiene
HändehygieneDermatologieHändehygiene ist ein Kernelement zur Infektionsprävention
und verdient besondere Beachtung (Boyce und Pittet 2002). Allgemein verbindet man
mit dem Säubern der Hände das Händewaschen. Die transiente Flora lässt sich durch
das Waschen jedoch lediglich um 2–3 log10-Stufen reduzieren. Das gilt auch für Bakteriensporen
(Weber et al. 2003). Da die Wirksamkeit antimikrobieller Seifen bei der oft kurzen
Waschdauer kaum besser ist als die von einfachen Seifen (Weber et al. 2003), reicht
im klinischen Alltag die Anwendung einfacher Seifen zur Händewaschung aus. Die residente
Flora lässt sich selbst durch minutenlanges Waschen kaum reduzieren, sodass die Händewaschung
im Krankenhaus eine Ausnahme sein sollte. Ihr Sinn liegt in der Entfernung einer sichtbaren
Verschmutzung.
Die Indikationen zur Händewaschung sind deutlich seltener als im Allgemeinen angenommen:
Vor Arbeitsbeginn, nach Arbeitsende sowie nach Toilettenbesuch ist die Händewaschung
sinnvoll. In allen anderen klinischen Situationen, in denen eine Maßnahme zur Händehygiene
erforderlich ist, ist wegen besserer Wirksamkeit und Hautverträglichkeit eine hygienische
Händedesinfektion durchzuführen (Kampf und Kramer 2004).
Häufiges Händewaschen kann zu trockener Haut führen und schädigt die Hautbarrierefunktion.
Dadurch verliert die Haut kontinuierlich Fette sowie wasserbindende Faktoren; umgekehrt
können Schadstoffe leichter durch die Epidermis eindringen. Aus der häufig sichtbar
trockenen Haut kann sich langsam ein klinisch manifestes irritatives Handekzem entwickeln
(Kramer et al. 2003; Löffler, Effendy und Happle 2000). Da die Risiko-Nutzen-Bewertung
sehr zuungunsten der Händewaschung ausfällt, ist diese lediglich bei einer Kontamination
mit bakteriellen Sporenbildnern wie C. difficile als zweiter Schritt nach der Händedesinfektion
sinnvoll, weil Bakteriensporen gegenüber Alkohol eine natürliche Resistenz aufweisen
und in Gegenwart von Alkoholen gern sporulieren.
Hygienische Händedesinfektion
Im Gegensatz zur DermatologieHändedesinfektion, hygienische
Händedesinfektion, hygienischeDermatologieHändewaschung werden Bakterien, Hefepilze
wie Candida spp. oder Rhodotorula spp. sowie behüllte Viren durch die alkoholischen
Händedesinfektionsmittel innerhalb der deklarierten Einwirkungszeit praktisch vollständig
abgetötet (Kap. 2.1).
Händedesinfektionsmittel sind meist deutlich besser verträglich als waschaktive Substanzen
zur Händewaschung (Löffler et al. 2007). Selbst bei intensiver, häufiger Händedesinfektion
wird die Hautbarriere nur minimal beeinträchtigt und die Hautfeuchtigkeit nur geringfügig
reduziert (Kramer, Bernig und Kampf 2002). Das liegt auch am Zusatz von Hautpflegestoffen,
die üblicherweise in Händedesinfektionsmitteln vorhanden sind. Kontaktekzeme aufgrund
von Allergien gegenüber Inhaltsstoffen aus Händedesinfektionsmitteln sind extrem selten
(Löffler et al. 2012).
Entgegen ihres Rufs ist das irritative Potenzial alkoholischer Händedesinfektionsmitteln
sehr gering.
Handekzeme durch Hygienemaßnahmen
Hygienemaßnahmen HändehygieneHandekzemegehören zu den Risikofaktoren für beruflich
verursachte Handekzeme, sodass die Krankenpflege und verwandte Gebiete unter die Risikoberufe
für den Erwerb von Berufsdermatosen fallen (Ibler et al. 2012a). Ein Großteil der
Pflegekräfte hält traditionell raue und schuppige Hände für normal in seinem Beruf
und realisiert nicht, dass sie erstes Zeichen eines beginnenden Handekzems sein können
(Abb. 5.6
). In einer Fragebogenstudie der Deutschen Kontaktallergiegruppe berichteten > 70
% der Pflegekräfte über irritative Hautveränderungen innerhalb eines Jahres, 46 %
empfanden diese als beeinträchtigend für ihren Alltag (Stutz et al. 2008).
Abb. 5.6
Das interdigitale EkzeminterdigitalesEkzem als klinische Erstmanifestation einer irritativen
Schädigung durch Feuchtarbeit und (falsche) Händehygiene
[P044]
Die meisten Pflegekräfte halten die alkoholische Händedesinfektion noch immer für
schädlicher für ihre Haut als die Händewaschung (Stutz et al. 2008). Alkoholische
Präparate sind jedoch im Vergleich zur Händewaschung erheblich hautschonender, da
sie die kutane Barriere (gemessen am transepidermalen Wasserverlust) sowie die kutane
Feuchtigkeit (gemessen durch Korneometrie) weniger beeinträchtigen (Löffler et al.
2007). Interessanterweise kann die Applikation von Alkoholen nach einer Händewaschung
sogar die Irritation durch die Waschung mit Detergenzien vermindern, was an der zusätzlichen
Entfernung von auf der Haut verbliebenen Detergenzienmonomeren liegen dürfte. Dennoch
vermuten viele Anwender, dass Händedesinfektionsmittel ihre Haut schädigen. Das liegt
häufig an den brennenden Sensationen, die Alkohole auf vorgeschädigter Haut verursachen,
da sie die Schmerzrezeptoren der Haut reizen. Reflektorisch wird gern die alkoholische
Händedesinfektion für die Hautprobleme verantwortlich gemacht (es brennt ja nur beim
Alkohol) und es wird die Desinfektion zugunsten der Waschung vernachlässigt. Diese
brennt dann zwar nicht mehr auf der Haut, beschleunigt jedoch die Hautschädigung (Lübbe
et al. 2000). Es beginnt ein Circulus vitiosus, an dessen Ende ein manifestes Handekzem
(Abb. 5.7
) sowie im schlimmsten Fall die Berufsunfähigkeit stehen kann (Löffler et al. 2007;
Stutz et al. 2008).
Abb. 5.7
Ein beruflich verursachtes irritatives EkzemirritativesHandekzem durch Feuchtarbeit
bei gleichzeitiger Vernachlässigung des Hautschutzes und der Hautpflege
[P044]
Das Brennen beim Händedesinfizieren ist ein wichtiges Warnsignal für eine gestörte
Hautbarriere. In der Konsequenz müssen hautschädigende Tätigkeiten (Waschen, Arbeiten
unter Okklusion, Kontakt mit Seifen, direkter Hautkontakt mit reizenden Flächendesinfektionsmitteln)
gemieden und die Applikation von Hautschutz- und Hautpflegepräparate intensiviert
werden.
Von manchen Anwendern wird alkoholischen Händedesinfektionsmitteln eine sensibilisierende
Wirkung zugeschrieben. Bei 50 Mitarbeitern, die aufgrund des Verdachts einer Unverträglichkeit
gegen ein alkoholisches Händedesinfektionsmittel allergologisch getestet wurden, konnte
eine Sensibilisierung gegen einen Alkohol ausgeschlossen werden. Allerdings wurde
eine Überempfindlichkeit gegenüber dem Hilfsstoff Cetearyloctanoat nachgewiesen (Stutz
et al. 2008).
Bei Routine-Epikutantestungen gegen Propan-2-ol wurden ungewöhnlich viele positive
Testreaktionen gesehen. Diese als eine echte Allergie anzusehen, widerspricht sämtlicher
praktischer Erfahrungen der guten Verträglichkeit im Dauereinsatz im Gesundheitsdienst.
Eine verstärkte Hautreaktion auf Propan-2-ol unter artifiziell okklusiven Bedingungen
(wie bei der Epikutantestung) ist jedoch bei Personen mit einer Defizienz der Alkoholdehydrogenase
denkbar (Garcia-Gavin et al. 2011; Löffler et al. 2012). Um diese okklusiven Bedingungen
im medizinischen Alltag auszuschließen, muss nach der Händedesinfektion der applizierte
Alkohol vollständig verdampfen können, bevor Handschuhe angezogen werden.
Die Aufrechterhaltung einer suffizienten Hautbarriere ist nicht nur für den kosmetischen
und funktionellen Aspekt von Relevanz. Bereits kleinste Risse bzw. Mikrotraumen können
zum Erregerreservoir werden (Forrester et al. 1998; Lammers 1978) und Erreger verbreiten.
Zudem weisen ekzematöse Hände eine stärkere Besiedlung mit Pathogenen auf als gesunde
Hände und sind damit ein Risikofaktor für NI (Dave et al. 1994; Larson 1999; Wang
et al. 2001). Die Vermittlung dieser Erkenntnisse ist eine wichtige Aufgabe in der
Ausbildung aller Mitarbeiter im Gesundheitsdienst und sollte in einem Ausbildungscurriculum
enthalten sein (Löffler et al. 2006).
Hygiene und Hautpflege sowie Hautschutz
Der richtige Umgang mit potenziell irritativen Substanzen im Gesundheitsdienst kann
Hautschäden vermeiden. Zudem sind für die Aufrechterhaltung einer intakten Hautbarriere
der Hautschutz und eine suffiziente Hautpflege eminent wichtig.
Hautpflege HändehygieneHautschutzund Hautschutz sind in den Arbeitsalltag zu integrieren
und können (richtig durchgeführt) die Hände schützen (Berndt et al. 2001), ohne Desinfektionsmaßnahmen
zu beeinträchtigen (Harnoss et al. 2014). Dazu sollten Hautschutzpläne erarbeitet
werden, die über die zur Verfügung HautSchutz
HautPflegestehenden Produkte und deren Anwendung informieren (Fartasch 2009; Technische
Regel für Gefahrstoffe 401 2008). Für die verwendeten Präparate sollten ein Wirksamkeitsnachweis
sowie Informationen über die Anwendungsgebiete vorliegen (Fartasch et al. 2008). Hautschutzpräparate
sollten vor Arbeitsbeginn und nach jeder längeren Arbeitspause aufgetragen werden,
wodurch die Austrocknung und Barriereschädigung der Haut durch Feuchtarbeit verringert
werden soll. Nach der Arbeit sollen Hautpflegecremes helfen, die Regeneration der
Haut zu beschleunigen. Da manche Hautpflegecremes durch deren Inhaltsstoffe eine Penetration
von Irritanzien unterstützen können, sollten diese Pflegecremes vorzugsweise nach
der Arbeit aufgetragen werden (Fartasch et al. 2008).
Bei einer klinisch manifesten Irritation der Haut müssen die Mitarbeiter einem Dermatologen
oder Arbeitsmediziner vorgestellt werden, damit dieser ggf. ein Hautarztverfahren
mit Meldung an den Unfallversicherungsträger einleiten kann (Skudlik et al. 2008).
Maßnahmen der sekundären und tertiären Prävention zeigen auch bei Mitarbeitern im
Gesundheitsdienst eine hohe Effektivität (Ibler et al. 2012b).
5.20.4
Antiseptische Indikationen
Eine Vielzahl von AntiseptikDermatologie
DermatologieAntiseptikDermatosen weist eine veränderte Hautflora mit erhöhter Infektionsanfälligkeit
der Haut auf. So können S. aureus und Malassezia spp. beim atopischen Ekzem als Trigger
an der Entzündung beteiligt sein (Bielnska-Warezak und Nowicki 2005; Roll et al. 2004;
Takahata et al. 2007b). Auch die Psoriasis ist mit einer Dysbiose assoziiert (Solntseva
et al. 2000; Takahata et al. 2007a). Inwieweit eine Beeinflussung der Erkrankungsschwere
bei Dermatosen mit veränderter Hautflora durch präventive Antiseptik möglich ist,
ist Gegenstand aktueller Untersuchungen. Durch mit Silber ausgerüstete Textilien konnte
die Erkrankungsschwere bei atopischer Dermatitis reduziert werden (Gauger et al. 2003;
Jünger et al. 2006; Kramer et al. 2006). Tierexperimentell konnte bei Mäusen mit genetisch
bedingter hoher Rate ekzematöser Läsionen ähnlich der Situation bei atopischer Dermatitis
durch chlorhexidinhaltige Salben eine signifikante Sanierung S.-aureus-kolonisierter
Ekzeme nachgewiesen werden (Kondo et al. 2006).
Der therapeutische Einsatz von Antiseptika ist indiziert bei mikrobiellen und viralen
Dermatitiden, sofern es sich um eine lokalisierte Manifestation handelt, die der externen
antiseptischen Therapie zugängig ist.
Typische Erkrankungen sind Dermatomykosen, Pyodermien, leichte Formen der Staphylokokkenimpetigo,
leichte bis mittelschwere Formen der Acne papulopustulosa, Follikulitis, Erythrasma
und Herpes labialis. In einer prospektiven Studie erwies sich die Behandlung mit OCT
bei leicht bis mittelschwer verlaufender Akne als Alternative zur Antibiotikaanwendung
(Mayr-Kanhauser, Kranke und Aberer 2008). Auch Nagelinfektionen durch Pseudomonas
spp. wurden erfolgreich mit octenidinhaltiger Lösung therapiert (Rigopoulos et al.
2009). Tierexperimentell wurde durch die zweimal wöchentliche Anwendung eines Shampoos
mit 3 % CHX über 3 Wochen eine erhöhte Malasseziakolonisation mit Hautschäden und
Pruritus beherrscht (Jasmin et al. 2003). Die Grundlagen für die Anwendung von Antiseptika
bei infizierten Wunden sind in einer Expertenempfehlung zusammengefasst (Dissemond
et al. 2009). Bei chronischen Ulcera cruris hat die antiseptische Begleittherapie
mit polihexanidgetränkten Auflagen maßgeblich zum Therapieerfolg beigetragen. Voraussetzung
für die antiseptische Therapie ist deren Integration in einen überwachten klinischen
Behandlungspfad (Roth und Kramer 2009). Bei neoplastischen Ulzera bestätigte sich
die antiseptische Effektivität von OCT (Sopata et al. 2008). Bei bestimmten Infektionen
kann nach chirurgischer Intervention (z. B. Furunkel, Bulla repens, Molluscum contagiosum)
durch nachfolgende Antiseptik die Heilung unterstützt werden.
Antiseptika sind nicht indiziert bei Infektionen des oberen und tieferen Koriums (Furunkel/Karbunkel,
Erysipel, Phlegmone, Abszesse, Hidradenitis) sowie bei Infektionen durch Mykobakterien,
Borrelien oder Bartonellen (Höger 1998).
5.20.5
Peri- und postoperative Antibiotikaprophylaxe bei Laser Skin Resurfacing (LSR)
Durch Laser Skin Resurfacing
Antibiotikaprophylaxe, perioperativeLaser Skin Resurfacing
Laser Skin ResurfacingAntibiotikaprophylaxeLSR entsteht quasi eine oberflächliche
Verbrennung 2. Grades mit der Risiko der SSI. Bei LSR mit nichtfraktioniertem Laser
wurden Infektionsraten von 1,1–7,6 %, bei fraktioniertem Laser von 0,3–2,0 % beobachtet.
Als Erreger dominieren HSV-1, gefolgt von P. aeruginosa, S. aureus, S. epidermidis
und seltener Candida spp. (Kramer 2014). Präoperativ empfiehlt sich die Identifikation
nasaler Träger von S. aureus bzw. von MRSA, um bei Kolonisierung zunächst die antiseptische
Sanierung vorzunehmen. Mittel der Wahl ist Mupirocin. Bei Mupirocinresistenz kommt
alternativ OCT-Nasensalbe in Betracht (Hübner et al. 2009). Bei beginnender oder florider
HSV-1-Infektion sind laserchirurgische Eingriffe kontraindiziert. Zur Verhinderung
einer Aktivierung von HSV-1-Infektionen wird für Patienten mit rezidivierenden HSV-Infektionen
im Gesichtsbereich sowie bei ablativer Behandlung des gesamten Gesichts eine antivirale
Prophylaxe, die 1 d präoperativ beginnt und bis 5–7 d postoperativ dauert, empfohlen
(Metelitsa und Alster 2010). Bei hohem Infektionsrisiko, z. B. bei Immunsuppression
und hohem Endokarditisrisiko, sowie bei Ganzgesicht- und Regional-LSR ist eine antibakterielle
PAP indiziert (Kramer 2014; Ross et al. 1998).
Bei ersten Anzeichen einer SSI sind polihexanidhaltige Antiseptika bzw. Wundauflagen
das Mittel der Wahl (Kramer et al. 2013c).
5.21
Rehabilitationseinrichtungen
Georg Daeschlein, Thomas Platz, Thomas Kiefer-Trendelenburg und Axel Kramer
Die RehabilitationseinrichtungenZielsetzung der rehabilitativen Medizin besteht darin,
Patienten so weit wie möglich in einen körperlichen, psychischen und sozialen Zustand,
der dem vor der Erkrankung möglichst nahe kommt, zu versetzen. Dabei konzentrieren
sich alle Rehabilitationsmaßnahmen auf die Förderung der Teilhabe an den verschiedenen
Lebensbereichen (Beruf, Familie, Gesellschaft). Dadurch wird der Patient – wenn auch
ggf. nur eingeschränkt – befähigt, sein Leben in der Gesellschaft trotz einer erkrankungsbedingten
Behinderung selbstbestimmt fortzuführen. Als Novum wurde dieses biopsychosoziale Modell
von Krankheit und Gesundheit auf das theoretische Fundament der international konsentierten
Klassifikation der ICF (International Classification of Functioning, Disability and
Health) gestellt, das die Dimensionen Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivität,
Teilhabe und sogenannte Kontextfaktoren berücksichtigt, um ein umfassend ganzheitlich
angelegtes interdisziplinäres Rehabilitationskonzept zu verfolgen. Die Begrifflichkeiten
der ICF haben Eingang in das SGB V und das SGB IX gefunden.
Die Behandlung in einer (Früh-)Rehabilitationseinrichtung erfolgt häufig nach einem
Akutereignis im Rahmen einer Krankenhausbehandlung (Frührehabilitation) oder einer
Anschlussrehabilitation (AR/AHB) sowie auch später im Rahmen eines allgemeinen Antragsverfahrens.
Rehabilitation nach akutmedizinischer Behandlung. Ein kontinuierlich wachsender Anteil
der (Früh-)Rehabilitationsleistungen erfolgt direkt nach der primären akutmedizinischen
Behandlung. RehabilitationseinrichtungenPatienten nach akutmedizinischer BehandlungAus
hygienischer Sicht von besonderer Bedeutung sind dabei Patienten, die aus stationären
Akutbehandlungseinrichtungen (ITS, Wachstation) mit besonderem Risikopotenzial (hohe
Prävalenz mit Problemerregern) direkt in (Früh-)Rehabilitations-Kliniken verlegt werden,
wie es z. B. bei der neurologischen Frührehabilitation (sog. Phase B) oft der Fall
ist. Da bei diesen noch schwerkranken Patienten auch in der Frührehabilitationseinrichtung
eine akutmedizinische Versorgung erforderlich ist, müssen solche Frührehabilitationskliniken
mit eigenen Intensivtherapieeinheiten ausgestattet sein. Neben der akutmedizinischen
Versorgung einschließlich eines Weanings bei beatmeten Patienten erfolgen hier möglichst
frühzeitig parallel Frührehabilitationsmaßnahmen mit dem Ziel der funktionellen Förderung.
Eine ähnliche Situation zeigt sich in der Onkologie. Insbesondere nach einer Hochdosischemotherapie
mit allogener Blutstammzelltransplantation können viele medizinisch anspruchsvolle
und pflegerisch aufwendige Patienten schon kurz nach der Transplantation im Zuge einer
AHB rehabilitiert werden. Infolge der malignen Erkrankung, der Hochdosischemotherapie,
der Immunsuppression und des mitunter langen und anstrengenden Krankenhausaufenthalts
(oft auf einer Intensivstation) zeichnen sich diese Rehabilitanden durch ausgeprägte
Immunschwäche aus, die sie zu einem Hochrisikoklientel für infektiöse Komplikationen
macht. Zusätzlich sind vor allem diese Patienten wegen der Abwehrschwäche und dem
vorherigen langen Krankenhausaufenthalt Hochrisikopatienten für eine Besiedlung mit
MRE.
MRE-Problematik: Die Problematik der RehabilitationseinrichtungenMRE
Multiresistente ErregerRehabilitationseinrichtungenzunehmenden Verbreitung von MRE
betrifft auch die Einrichtungen der Frührehabilitation und der weiterführenden Rehabilitation.
Wichtig sind sowohl MRSA mit derzeit stagnierender Inzidenz als auch die deutlich
im Anstieg begriffenen MRGN. Damit werden auch die (Früh-)Rehabilitationskliniken
vor neue Aufgaben gestellt, die ein risikoadaptiertes Screening auf MRE, interdisziplinäres
Handeln und ein hohes Maß an standardisierten Abläufen präventiver Maßnahmen in Diagnostik,
Therapie und Pflege notwendig machen. Da die z. T. einschneidenden Maßnahmen zur Prävention
von MRE wesentlich für den (Früh-)Rehabilitationserfolg der Patienten sind, erscheint
es notwendig, auch die Präventionsstrategie in (Früh-)Rehabilitationseinrichtungen
auf der Basis von Prävalenzuntersuchungen zu untermauern.
Woltering et al. (2008) ermittelten in Rehabilitationseinrichtungen eine MRSA-Prävalenz
von 1,2 %. Dabei ist jedoch unklar, inwieweit diese Zahlen z. B. auf onkologische
immunsupprimierte Patienten mit langem Krankenhausaufenthalt oder kardiologische Patienten
übertragbar sind. In einer Pilotstudie wurde in einer Rehabilitationseinrichtung in
Hessen (80 % kardiologische, 20 % orthopädische Rehabilitanden) eine MRE-Prävalenz
von 12,7 % ermittelt, davon 0,9 % MRSA, 5,7 % VRE und 1,4 % Escherichia coli 3 MRGN
(Hofmann et al. 2013). Heudorf et al. (2013) konnten in kardiologisch (und orthopädisch)
ausgerichteten Reha-Einrichtungen (68 Patienten) keinen MRSA nachweisen, während die
Prävalenz von ESBL (MRGN) mit 14,7 % hoch war. Als Risikofaktoren für eine nasale
Kolonisation mit S. aureus konnten bei Altenheimbewohnern COPD, chronische Bronchitis,
Apoplex, Diabetes mellitus, antibiotische Therapie bis zu 3 Monate zurückliegend und
Pflegestufe 2 identifiziert werden (Daeschlein et al. 2006).
5.21.1
Bauliche Besonderheiten
Räumlichkeiten
Einrichtungen der Frührehabilitation und weiterführenden Rehabilitation unterscheiden
sich in baulicher Hinsicht in einigen wesentlichen Punkten von Rehabilitationseinrichtungenbauliche
AnforderungenKrankenhäusern der Akutversorgung.
Raumgröße: Als Besonderheiten RehabilitationseinrichtungenRaumgrößegelten der durch
Transport-, Mobilisations- und Therapiehilfen (Lifter, Rollstuhl, Stehbrett) sowie
durch die personalintensive Therapie (besonders Physiotherapie) und den Besucherverkehr
hohe Platzbedarf in den Patientenzimmern und Therapieräumen. Zusätzlich kommen Räume
für spezielle Therapien, u. a. Bewegungsbäder, Ergo-, Logopädie-, Physio-, Sport-
und physikalische Therapieangebote für Einzel- und Gruppentherapie hinzu. Daher sollte
bereits bei der Planung der (Früh-)Rehabilitationseinrichtungen und insbesondere bei
geplanten Umbaumaßnahmen rechtzeitig ein Krankenhaushygieniker hinzugezogen werden,
der seine Empfehlungen mit den Behörden abstimmt.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft medizinisch-beruflicher Rehabilitationszentren empfiehlt
eine Mindestgröße von 20 m2 für Einbett- und 30 m2 für Zweibettzimmer.
Die Grundsätze RehabilitationseinrichtungenWassersicherheit
WassersicherheitRehabilitationseinrichtungender Wassersicherheit (Kap. 6.6) sind insbesondere
bei immunsupprimierten Patienten (nach Transplantation) und bei Patienten mit erheblicher
Bewegungseinschränkung, eingeschränkter Wahrnehmung und Schädigung mehrerer Organsysteme,
z. B. bei Wachkomapatienten, zu beachten. Hierzu gehören kontaktlose Wasserhähne an
Waschbecken und die Aerosolvermeidung durch Fernhalten des Wasserstrahls vom Ablauf,
endständige Filter an patientennahen Zapfstellen und die Verwendung spülrandloser
WCs zur Eindämmung der Aerosolbildung beim Spülvorgang (Engelhart et al. 2014). Bei
Patienten mit Immunsuppression (z. B. neutropene Patienten in der onkologischen Rehabilitation)
sind wischdesinfizierbare Böden wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig.
Zum RehabilitationseinrichtungenAusstattungRehabilitationskonzept gehört – speziell
in der weiterführenden Rehabilitation – auch die Ausstattung der Patientenzimmer und
Therapieräume. Hierbei wird das Ambiente anders als in Akutkliniken und Frührehabilitationseinrichtungen
weitgehend dem häuslichen Milieu angepasst. Es finden sich z. B. häufig Fenstervorhänge,
die bei richtiger Aufbereitung kein Risiko darstellen (Daeschlein, Weber und Kramer
2004). Durch die Auswahl des Mobiliars und die Raumgestaltung kann das rein funktionale
Ambiente, z. B. der Eindruck eines „Maschinenraums“ einer Intensiveinheit, in Akutbehandlungseinheiten
einer Frührehabilitationseinrichtung weitgehend vermieden werden. Vielerorts werden
für Möbel, Türen und Geländer versiegelte Holzoberflächen oder Holzimitate vorgezogen.
Die therapeutisch begründeten Abweichungen von der in Krankenhäusern üblichen Raumplanung
und -ausstattung sind vor allem bei der Isolierung eine Herausforderung für die Hygieneüberwachung.
5.21.2
Personelle Voraussetzungen, Berufskleidung und Organisation der Patientenbetreuung
Das Rehabilitationseinrichtungenpersonelle Anforderungen(Früh-)Rehabilitationskonzept
basiert wesentlich auf multidisziplinärer Zusammenarbeit aller Beteiligten. Anders
als in Nicht-Rehabilitations-Bereichen bedeutet die erheblich höhere Anzahl von medizinischem
und nicht medizinischem Personal eine wesentlich größere Kontaktfrequenz zu potenziell
kontaminierten Flächen (Hände, Gegenstände, Tisch- und Stuhlflächen). Außerdem kommt
es in verschiedenen Bereichen der (Früh-)Rehabilitation zu vermehrtem intensiverem
Kontakt zwischen Patient und Personal, z. B. bei der ggf. sehr körpernahen therapeutischen
Pflege und Physiotherapie mit dem damit verbundenen erhöhten Risiko der Weiterverbreitung
potenzieller Pathogene. Besucher werden anders als im Akutkrankenhaus so weit wie
möglich in therapeutische und betreuende Abläufe einbezogen. Dieser Umstand sowie
die in der weiterführenden Rehabilitation teilweise bewusst zivil gehaltene Kleiderordnung
auf den Stationen muss in die Planungen für die Überwachung und im Ausbruchfall berücksichtigt
werden. Die Gewährleistung des vergleichsweise höheren Personalbedarfs besonders in
der neurologischen Rehabilitation und Frührehabilitation ist auch für die Realisierung
der Präventionsmaßnahmen eine wichtige Voraussetzung (Tauch 2011).
Hygienemaßnahmen: Dem RehabilitationseinrichtungenHygienemaßnahmen
RehabilitationseinrichtungenBerufskleidung
BerufskleidungRehabilitationseinrichtungenErregertransfer aufgrund des engen und z.
T. langdauernden Patientenkontakts der Gesundheits- und Krankenpfleger sowie der therapeutischen
Berufsgruppen kann durch folgende Maßnahmen begegnet werden:
•
Inkraftsetzung, Schulung und Überwachung von Hygienebasismaßnahmen (z. B. hygienische
Händedesinfektion vor und nach jedem Patienten sowie nach Kontamination; kein Tragen
von Armbanduhren oder Schmuck; Regelung der Berufskleidung inkl. deren Aufbereitung)
•
Verfahrensanweisungen (VA), die das Hygiene-relevante Verhalten für alle Beteiligten
und die verschiedenen möglichen Situationen transparent regeln und deren regelmäßige
Vermittlung und Supervision durch Hygienefachkräfte
•
Information des Behandlungsteams über infektiöse und/oder kritisch kolonisierte Patienten
(insbesondere MRE, C. difficile, Noroviren, Virusgrippe), damit spezielle Maßnahmen
wie Wechsel der Berufskleidung, Anlegen von MNS gemäß VA patientenbezogen adäquat
umgesetzt werden können.
Es empfiehlt sich, Therapieräume in Abhängigkeit vom MRE-Trägerstatus der Patienten
zu nutzen, um bei Wechsel zwischen MRE mit unterschiedlichen Übertragungsmöglichkeiten
bzw. unterschiedlicher Kontagiosität eine Zwischendesinfektion durchführen zu können.
Alternativ können bestimmte Räume und Therapiebereiche für Patienten mit vergleichbaren
MRE ausgewiesen werden.
Für Rehabilitationskliniken soll mindestens ein Arzt (möglichst mit oberärztlicher
Qualifikation) als Hygienebeauftragter berufen und für die Teilnahme an einem Ausbildungskurs
für Hygienebeauftragte (in der Regel 40 h) freigestellt werden (KRINKO 2009). Eine
ausgebildete Hygienefachkraft unterstützt ihn bei der Umsetzung des Hygienemanagements.
5.21.3
Risikofaktoren für die Verbreitung von Problemerregern
Krankheitsbedingtes Infektionsrisiko: In den meisten reinen Reha-Kliniken (AHB) finden
sich selten Patienten mit entsprechendem Risikoprofil. So ist In Rehabilitationseinrichtungen
RehabilitationseinrichtungenInfektionsrisikofür orthopädische Erkrankungen mit geringer
Frequenz stattgehabter Eingriffe und seltenem Aufenthalt in Intensivabteilungen ist
mit einer geringeren Infektionsgefährdung zu rechnen. Im Gegensatz dazu finden sich
gefährdete Patienten regelmäßig in Kliniken, die Anschlussrehabilitationen wegen gastroenterologischer
bzw. gastroenterologisch-onkologischer, vor allem aber wegen hämato-onkologischer
Krankheitsbilder durchführen. Daher sollte das Hygienemanagement in solchen Einrichtungen
diesem Umstand Rechnung tragen. Dringend zu fordern ist zudem die Intensivierung von
Untersuchungen zur Prävalenz von MRE bei Patienten in der Rehabilitation und besonders
bei o. g. Krankheitsbildern.
Auch Patienten in der neurologischen Frührehabilitation speziell der Phasen B und
C (weiterführende Rehabilitation im Anschluss an die Phase B) sind besonders infektionsgefährdet,
weil meist komplexe Schädigungen verschiedener Organsysteme vorliegen:
•
Eine Schädigung des ZNS führt nicht nur zu motorischen Defiziten, sondern beeinträchtigt
reflektorisch und immunologisch die Infektionsabwehr.
•
Das gleichzeitige Vorliegen weiterer Risikofaktoren (z. B. Katheter, hämodynamische
Störungen, Adipositas, Diabetes mellitus) oder einen kolonisierten Dekubitus bedeutet
eine zusätzliche Infektionsgefährdung.
•
Wirbelsäulenverletzungen bzw. -erkrankungen mit den verschiedensten Formen von Querschnittlähmungen
sind aufgrund der herabgesetzten Aktivität und Mobilität, einer evtl. vorliegenden
Schluckstörung oder Beeinträchtigung der Atemmuskulatur, der häufigeren neurogene
Blasenfunktionsstörung sowie einer Mastdarmlähmung ein unabhängiger Risikofaktor,
sodass die NI Prävalenz mit 21,8 % signifikant höher war als bei Rehabilitationspatienten
der gleichen Kliniken ohne diesen Risikofaktor (4,3 %).
•
Ein Harnblasenkatheter ist ein zusätzlicher unabhängiger Risikofaktor (Girarda et
al. 2008).
•
Fast alle Patienten der neurologischen Frührehabilitation haben außerdem zuvor auf
einer ITS Antibiotika erhalten, wodurch das Risiko des Eintrags resistenter Klone
steigt (Santus et al. 2005).
Je mehr Organe eines Patienten betroffen sind (z. B. Nierenversagen, Atemwegsinfektion,
Blasenkatheter, lange Intensivbetreuung, komplexe chirurgische Therapien), desto höher
ist das Risiko für eine NI.
Infektionswege: Das Hygienemanagement RehabilitationseinrichtungenInfektionswegemuss
folgende Infektionsmöglichkeiten berücksichtigen:
•
NI aufgrund direkter Übertragung durch das medizinisches Personal (viele und intensive
Kontakte) bei diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen
•
NI durch Umgebungskontaminationen (Vernebler, wasserführende Anlagen, kontaminierte
Lebensmittel)
•
Eingeschleppte Infektion durch Besucher (Virusgrippe, gastrointestinale Infektionen)
In (Früh-)Reha-Kliniken sind folgende RehabilitationseinrichtungenErregerreservoirepotenzielle
Erregerreservoire zu beachten:
•
Sanitäre Anlagen (Abläufe, Duschen, Waschbecken),
•
Vernebler,
•
Wannen, speziell Therapiewannen,
•
Salbentöpfe, Cremetuben, Therapiegeräte, Gymnastikhilfsmittel.
(Früh-)Reha-Patienten mit Ulcus cruris, Dekubitus, PEG-Eintrittsstellen, Trachealkanülen
und HWK sind typischerweise mit nosokomialer Flora der Therapieeinrichtungen, die
sie durchlaufen haben, besiedelt („Hausflora“).
Kolonisationsspektrum: Es gibt RehabilitationseinrichtungenErregerspektrumkeine typischen
Reha-Pathogene, allerdings bestimmt die Art der Rehabilitation, welche Erreger zu
erwarten sind. So dominiert bei Patienten mit Querschnittsymptomatik und Harnblasenlähmung
typischerweise die Urogenitalflora mit meist mehr als drei Spezies (u. a. Enterobakterien,
Enterokokken). Zu den häufigsten Erregern gehören P. aeruginosa, K. pneumoniae, E.
coli, S. marcescens, P. mirabilis, S. epidermidis, Enterococcus spp. und S. aureus
einschließlich MRSA. Pilze spielen eine untergeordnete Rolle, solange keine zusätzliche
Abwehrschwäche (z. B. T-Zelldefekte oder Tumoren) vorliegt.
Die Rangfolge der Spezies in > 1 400 Proben (Rachen- und Wundabstriche, Urin, Trachealkanülen,
PEG) bei 270 Patienten der neurologischen Frührehabilitation aus drei Rehakliniken
in Brandenburg und Sachsen-Anhalt ist in Tab. 5.35
zusammengefasst, wobei MRE häufig bereits bei Aufnahme eingeschleppt werden (mitgebrachte
Kolonisation).
Tab. 5.35
Erregerprävalenz in drei Rehabilitationseinheiten der neurologischen Frührehabilitation
(Daeschlein et al., unveröff.)
Rang
Erregerspecies
Prozent
1
Pseudomonas aeruginosa
64,2
2
Klebsiella pneumoniae ssp. pneumoniae
9,2
3
Enterococcus spp.
6,5
4
Escherichia coli
5,7
5
KNS
3,4
6
MRSA
2,6
7
Acinetobacter baumannii
2,3
8
Enterobacter spp.
2,3
9
Klebsiella oxytoca
1,9
10
Serratia spp.
1,5
Das Kolonisationsspektrum zeigt vor allem bei (Früh-)Reha-Patienten mit langer Liegedauer
(Frührehabilitation, onkologische Rehabilitation) einige Besonderheiten. Vereinfachend
kann man davon ausgehen, dass mit zunehmender Liegedauer vermehrt mit dem Umgebungserreger
P. aeruginosa gerechnet werden muss (Tab. 5.36
). Das gilt vor allem für chronische Wunden (Dekubitus, Tracheostoma), die spätestens
nach einigen Wochen mit diesem Erreger besiedelt sind und bei Fehlen geeigneter Gegenmaßnahmen
mit Biofilmbildung einhergehen. Typisch sind zudem respiratorische Infektionen, meistens
Tracheobronchitiden, HWI und Blutstrominfektionen (Bakteriämie, Sepsis, oft mit Gefäßkathetern
assoziiert). Auch Liquorableitungen (z. B. ventrikuloperitoneale Shunts) können zum
Ausgangspunkt von NI werden.
Tab. 5.36
Typische mikrobielle Kolonisation in der neurologischen Frührehabilitation
Lokalisation
Bemerkungen
Spezies
Rachenabstrich
Wichtig für MRSA-Screening; bei liegender Trachealkanüle i. d. Regel gleiches Erregerspektrum
P. aeruginosa, K. pneumoniae ssp. pneumoniae, E. coli
Trachealkanüle
Wichtiges unterschätztes Erregerreservoir; meist massenhafte Besiedlung mit tief reichendem
Biofilm
P. aeruginosa, S. aureus, K. pneumoniae ssp. pneumoniae
PEG
Entgeht leicht dem Screening, da nicht als Wunde realisiert
P. aeruginosa, S. aureus, MRSA
Urin/Urethra
Bei hochpositivem DK-/SPBK-Urine Urethra meist ebenfalls positiv
P. aeruginosa, K. pneumonie ssp. pneumoniae, K. oxytoca, E. coli, P. mirabilis, diverse
Enterokokken, wichtigstes Reservoir für 3 und 4 MRGN
Dekubitalulkus
Nach wenigen Liegetagen adaptiert sich die nosokomiale Flora, vorzugsweise gramnegative
Fäkalkeime (Nähe urogenitale Kontamination, Stuhlflora)
E. coli, P. aeruginosa, K. pneumoniae spp. pneumoniae, S. aureus, Enterokokken
(Früh-)Rehabilitationspatienten mit bei Wunden (Stoma, Ulcus decubitus, PEG) sind
in der Regel innerhalb weniger Tage bis Wochen nosokomial besiedelt. In der neurologischen
Frührehabilitation lag diese Rate bereits nach 1 Woche Liegezeit an mindestens einer
Lokalisation bei 100 %. Durch diese hohe Kolonisationsrate besteht das Risiko der
Verbreitung von Erregern mit speziellen Resistenzen, nicht jedoch zwingend auch eine
erhöhte Infektionsinzidenz.
Symptomatik: Für den klinisch tätigen Kollegen stellen NI in der neurologischen Frührehabilitation
mit Wachkomapatienten oft eine besondere Herausforderung dar, weil bei neurologisch
schwerstgeschädigten Patienten
•
klassische Infektionszeichen unzuverlässig sind bzw. fehlen (Gefahr der Fehldiagnose
„zentral“ bedingtes Fieber),
•
infektiologische Laboruntersuchungen unspezifisch bzw. negativ ausfallen (fehlende
Leukozytose, fehlender oder permanenter CRP-Anstieg),
•
NI oft nur anhand sekundärer Infektionszeichen diagnostiziert werden (Unruhe, Tachykardie,
Änderung der Wundsymptome, z. B. veränderte Sekretion).
Die Diagnose einer NI wird hauptsächlich über die klinische Verlaufsbeobachtung unter
Berücksichtigung besonderer Kriterien wie Tachykardie und vermehrte Unruhe der Patienten
gestellt.
5.21.4
Krankenhaushygienische Überwachung und Organisation
Hygienisches Ziel ist die rehabilitationsgerechte Infektionsprävention. RehabilitationseinrichtungenInfektionspräventionHierzu
dienen insbesondere
•
die Stellung geeigneten Personals (HFK, HBA, Krankenhaushygieniker, Infektiologe),
•
die Erarbeitung von an die (Früh-)Rehabilitation adaptierten Hygieneplänen mit umsetzbaren
(verständlichen, kommunizierbaren, schnell verfügbaren, gelebten und aktualisierten)
Verfahrensanweisungen,
•
die an den Kenntnissen der lokalen Bedingungen und Möglichkeiten orientierte Erarbeitung
einer die verschiedenen Abteilungen berücksichtigenden Risikobewertung als Grundlage
der Maßnahmenfestlegung und Überwachung,
•
die Umsetzung und regelmäßige Kommunikation der im IfSG geforderten Surveillance auf
der mindestens 2 × im Jahr tagenden Hygienekommission,
•
regelmäßige Schulungen zu den Themen Infektionsschutz, Epidemiologie, Prävention,
Antiseptik, Wundmanagement,
•
Aufbau einer Antibiotic Stewardship für alle beteiligten Stationen und Ambulanzen,
•
Festlegung geeigneter Schutzmaßnahmen bei Auftreten von MRE und bei Ausbrüchen von
NI,
•
tägliche „in time“ Befundübermittlung relevanter MRE an das Hygieneteam und ggf. an
den Infektiologen, damit ggf. Sofortmaßnahmen eingeleitet werden können (z. B. bei
4 MRGN-Nachweis), bevor es zur Ausbreitung kommt.
Screening
Für die meisten (Früh-)Reha-Kliniken liegen bislang keine ausreichenden Daten zur
Prävalenz und klinischen Relevanz von MRE vor. Eine kleinere Studie ergab in 3 Rehabilitationskliniken
unterschiedlichen Profils eine MRSA-Prävalenz von 1,2 %, MRE-ScreeningRehabilitationseinrichtungen
RehabilitationseinrichtungenMRE-Screening
MRSA-ScreeningRehabilitationseinrichtungen
RehabilitationseinrichtungenMRSA-Screeningwobei es sich überwiegend um Kolonisationen
handelte (Woltering et al. 2008). Die Autoren ziehen die Schlussfolgerung, dass ein
generelles MRSA-Screening nicht sinnvoll erscheint, empfehlen dieses aber für definierte
Risikogruppen (z. B. Hämodialysepatienten, bekannte MRSA-Infektion innerhalb der letzten
6 Monate). Auch die Autoren eines Positionspapiers zum Umgang mit MRSA in der stationären
Rehabilitation sprechen sich gegen ein generelles MRSA-Screening aus (Eichhorn, Barth
und Christiansen 2008), empfehlen dieses aber bei Vorliegen der von der KRINKO definierten
Risikofaktoren (2014). Im Unterschied dazu empfahlen Manian et al. (2002) nach den
Erfahrungen eines MRSA-Ausbruchs ein generelles Aufnahmescreening außer bei Aufnahme
direkt aus dem häuslichen Milieu; allerdings war die MRSA-Rate in dieser US-Studie
hoch, wobei die Autoren einen signifikanten Anstieg der MRSA-Besiedelung von 5 % (1987–1988)
auf 12 % (1999–2000) feststellten.
Aus eigenen Erfahrungen erscheint uns ein generelles MRE-Aufnahmescreening einschließlich
rückverlegter Patienten nur bei Patienten in der neurologischen Frührehabilitation
sinnvoll, die ein erhöhtes Risiko für eine MRE-Kolonisation haben. Die Spezifizierung
dieser Gruppe ist regional gemäß der jeweils erhobenen Resistenzstatistiken zu definieren
und umfasst typischerweise Patienten, die von einer Intensivstation in die Frührehabilitation
verlegt, aus einem Pflegheim aufgenommen oder aus sonstigen Einrichtungen und Ländern
mit einer höheren Prävalenzrate von MRE-Kolonisation aufgenommen werden (Tab. 5.37
).
Tab. 5.37
Bewährtes risikoadaptiertes Screening in einem neurologischen Rehabilitationszentrum
MRSA-Screening
Bei Neuro-Akut-Patienten und Querschnittgelähmten (Akut- und Reha-Patienten) mit Ausnahme
der sog. Checkpatienten, die für eine Nacht aufgenommen werden
Bei Vorliegen von mindestens einem der folgenden Risikofaktoren:
MRSA-Anamnese ohne zwischenzeitlichen sachgerechten Nachweis des Nichtmehrvorliegens
einer MRSA-Kolonisation
Chronische Wunde
Dekubitus Grad 3 oder 4
Verlegung aus einem Krankenhaus, wenn dort während des stationären Aufenthalts eine
mindestens siebentägige Behandlung auf einer Intensivstation (inkl. Weaning-Station)
durchgeführt wurde
Aufnahme aus einem Pflegeheim
Kein Screening erfolgt
Für Stationen, die keine Neuro-Akut-Patienten behandeln
Bei Vorlage eines gültigen MRE-Überleitbogens, aus dem keine MRSA-Kolonisation hervorgeht
3MRGN-Screening
Bei endemischer Situation wird bei Patienten mit bekanntem positiven 3MRGN-Status
auf Anordnung des Arztes eine Kontrolluntersuchung vom Ort der bekannten Besiedlung
veranlasst, jedoch nicht häufiger als wöchentlich.
Bei mehrfachem Nachweis im Verlauf werden die Intervalle angepasst.
Beim mehrfachen Nicht-Nachweiswird auf weitere Kontrollen verzichtet.
4MRGN-Screening
Bei Patienten mit Kontakt zu 4MRGN-positiven Patienten, die im selben Zimmer gepflegt
wurden
Bei neu aufgenommen Patienten, bei denen in der Anamnese eine Kolonisation oder Infektion
mit 4MRGN bekannt ist
Bei Patienten mit kürzlichem Kontakt zum Gesundheitssystem in Ländern mit endemischem
Auftreten (z. B. arabische und asiatische Länder).
Kein Screening erfolgt
Bei Vorliegen eines aussagekräftigen negativen mikrobiologischen Befundes: mindestens
einer Stuhlprobe oder eines Rektalabstrichs oder eines Abstrichs vom Ort der vormaligen
Kolonisation, bei chronischen Wunden auch von der Wunde, bei P. aeruginosa und Acinetobacter
baumannii auch Trachealsekreat oder Rachenabstrich.
Bei diesem Screening werden neben MRSA besonders die häufig vorkommenden multiresistenten
Pseudomonaden- und Acinetobacterstämme entdeckt. Außerdem werden auch eingeschleppte
Problemerreger frühzeitig erkannt, sodass Präventivmaßnahmen, z. B. eine Isolierung
(4MRGN, MRSA, VRE), möglich sind. Zudem wird die Resistenzlage kontinuierlich erfasst
(Resistenzmonitoring), wodurch die kalkulierte antibiotische Chemotherapie fortlaufend
aktualisiert werden kann.
Alle Patienten mit Risiko für eine Besiedelung oder Infektion mit 4 MRGN werden mit
einer Stuhlprobe, ggf. alternativ einem Rektalabstrich und – falls vorliegend – einem
Abstrich aus chronischen Wunden bzw. dem Ort einer vormaligen Kolonisation sowie bei
V. a. P. aeruginosa oder Acinetobacter baumannii auch Trachealsekreat oder Rachenabstrich
(Patienten ohne Trachealkanüle) gescreent und bis zum Vorliegen der Ergebnisse isoliert.
Bei MRSA-, VRE- und 4 MRGN-Nachweis sind Mitpatienten im Zimmer sowie Patienten mit
stattgehabtem Kontakt (z. B. Spaziergang, Warten vor Untersuchung) in den vergangenen
2 d ebenfalls auf diese Erreger zu untersuchen. Wird eine Häufung nachgewiesen, werden
auch die Mitarbeiter untersucht.
Wegbereiter eines vermeidbaren „stillen“ Eintrags von Problemerregern sind u. a. fehlende
oder unvollständige Übermittlung wichtiger Infektionsdaten (Abstrichlokalisation,
Art der Probe, Datum der Untersuchung, Erregerart, Besiedlungsstatus, Resistenzbesonderheiten,
Therapiestrategie, medikamentöse und antibiotisch/antiseptische Vorbehandlung durchgeführte
Hygienemaßnahmen) des Patienten bei Aufnahme und Verlegung.
Für folgende Tätigkeiten sind geeignete Organisationsformen zu entwickeln:
•
Dokumentation von nosokomialen Infektions- und Kolonisationsbefunden,
•
bei Direktverlegung Anlegen des Überleitungsbogens (Hygieneepikrise) für jeden Patienten
seitens der einweisenden Klinik,
•
aktualisierte Antibiotika-Richtlinie.
Surveillance
Die RehabilitationseinrichtungenSurveillance
SurveillanceRehabilitationseinrichtungenSurveillance von NI wird vom Hygienefachpersonal
nach einem zuvor gemeinsam mit der Hygienekommission abgestimmten Konzept durchgeführt.
Die Durchführung eines Basisprogramms für ein mikrobiologisches Monitoring im Ausbruchfall
oder temporär in besonderen Risikobereichen wie der neurologischen Frührehabilitation
empfiehlt sich
•
bei Patientenaufnahme,
•
alle 14 d z. B. bei intensivpflichtigen Patienten der neurologischen Frührehabilitation,
•
am Tag der Verlegung.
Je früher eine (noch) klinisch inapparente oder apparente NI bzw. deren Vorstufe,
die Kolonisation, diagnostiziert wird, desto bessere Chancen bestehen für eine effektive
Therapie und desto geringer sind die Folgekosten. Anhand der Erreger- und Resistenzstatistik
mit Trendbeobachtung wird eine abteilungsbezogene kalkulierte antibiotische Chemotherapie
möglich. Außerdem wird das Infektionsrisiko für einzelne Patienten sowie für die Abteilungen
besser einschätzbar und mit anderen Einrichtungen vergleichbar (interne und externe
Qualitätskontrolle). Ob und wie lange ein mikrobiologisches patientenbezogenes Monitoring
weiter geführt wird, muss vom Team im Rahmen der laufenden Risikobewertung auch unter
Berücksichtigung der Kosten-Nutzen-Relation entschieden werden.
Für das mikrobiologische Monitoring im Verlauf hat sich nach unseren Erfahrungen die
Untersuchung von Trachealsekret und Urin, ggf. von Wunden, bewährt, beim initialen
Screening ergänzt durch Nasenvorhof- und Rachenabstrich (z. B. MRSA). Bei Kolonisation
oder Infektion mit relevanten Erregern kann zur weiteren Risikoeinschätzung ein Perianal-
oder Rektalabstrich durchgeführt werden, wodurch Carrier frühzeitig erkannt werden
können. Typische 3MRGN und 4MRGN finden sich häufig zunächst beim Urinscreening oder
im Rahmen der HWI-Diagnostik.
Ergibt sich beim Monitoring ein relevanter Erregernachweis, ist die zeitnahe (digital,
telefonisch oder per Fax) Übermittlung des Befunds (unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen)
durch das mikrobiologische Labor Voraussetzung für die rasche Reaktionsmöglichkeit
des Klinikers. Jetzt kann entschieden werden, ob und welche Weiteruntersuchung erfolgen
soll, z. B. Ausdifferenzierung, Typisierung, Resistenzbestimmung, Therapie.
Wie beim Kliniker ist auch auf der Laborseite klinisch-mikrobiologische Erfahrung
Voraussetzung für die erfolgreiche Kooperation. Dazu gehört, dass die Surveillance-Diagnostik
anders als die Infektionsdiagnostik auf die Belange einer schnellen sowie kompetenten
und zielführenden Resistenzbestimmung zugeschnitten wird. Ohne eine solche Abstimmung
wird die Surveillancediagnostik zur Kostenfalle.
Die Definitionen des NRZ für NI gelten auch in Rehabilitationskliniken. Die Ergebnisse
sollen zeitnah mit dem Hygienebeauftragten Arzt, der Klinikleitung und mit den behandelnden
Ärzten der jeweiligen Abteilung und mindestens einmal jährlich in der Hygienekommission
diskutiert werden (§ 23 IfSG). Konsequenzen aus diesen Daten sind dem Behandlungsteam
mitzuteilen. Wenn neue Strategien zur Infektionsprävention eingeführt oder die Compliance
bei der Umsetzung bereits definierter Maßnahmen verbessert werden soll, ist dies von
der Krankenhausleitung zu überprüfen.
Infektionsprävention
Antibiotika: Die Regelung der RehabilitationseinrichtungenInfektionsprävention
RehabilitationseinrichtungenAntibiotikatherapie
AntibiotikatherapieRehabilitationseinrichtungenVerwendung von Antibiotika in Form
einer Richtlinie für die Einrichtung ist ein wichtiger Standard der modernen Infektionstherapie.
Die Empfehlung muss für jede Einrichtung gezielt und mit kompetenter Begleitung erstellt
werden und kann nicht aus anderen (Früh-)Reha-Einrichtungen oder Akutkliniken übernommen
werden, da sich die Empfehlungen nach aktueller Resistenzlage und Prävalenzsituation
nosokomialer und nicht nosokomialer Infektionserreger richten.
Isolierung: Die Notwendigkeit einerRehabilitationseinrichtungenIsolierung
IsolierungRehabilitationseinrichtungen Patientenisolierung ist von denn behandelnden
Ärzten in Zusammenarbeit mit der HFK und dem HBA (bzw. gemäß VA) zu entscheiden. Oft
sind die Räumlichkeiten in (Früh-)Reha-Kliniken hierfür weder geplant noch praktisch
nutzbar. In solchen Fällen muss größtmögliche Sicherheit bei vertretbarem Aufwand
gewährleistet werden, d. h. die bestehenden Baulichkeiten werden, soweit es geht,
zur Umsetzung der Distanzierungsmaßnahmen genutzt. Allerdings müssen dann Umbauten
beraten werden, wenn nach Expertise der Beteiligten keine räumliche Isolierung möglich
wird, was aktuell unter den Gesichtspunkten der globalen Ausbreitung von hochresistenten
gramnegativen Stäbchenbakterien (vor allem 4 MRGN) besonders wichtig wird.
Basierend auf einrichtungsspezifischen Vorgaben der Hygienekommission entscheidet
der behandelnde Arzt über die Schutzmaßnahmen, angepasst für jeden Patienten:
•
Isolierung/Kohortierung ist notwendig, wenn mit starker aerogener Verbreitung zu rechnen
ist, z. B. bei MRSA oder 3- oder 4-MRGN-Kolonisation auf ausgedehnten Hautläsionen,
bei Patienten mit Tracheostoma und/oder Tracheobronchitis oder anderen respiratorischer
Infektionen mit diesen Erregern bzw. deren Mitbeteiligung.
•
Patienten mit 4 MRGN und VRE werden grundsätzlich isoliert.
•
Patienten mit 3 MRGN werden dann isoliert, wenn der Kontakt mit Patienten mit besonderem
Infektionsrisiko verhindert werden muss.
•
Das Verlassen des Einzelzimmers ist möglich, wenn Hautläsionen/offene Wunden sicher
verbunden sind, das Tracheostoma oder der Zugang zur PEG-Sonde abgedeckt ist, geschlossene
Harnableitungssysteme genutzt werden, kein Durchfall besteht und der Patient kooperativ
ist und selbst die hygienische Händedesinfektion durchführen kann oder eine Händedesinfektion
durch das Pflegepersonal zulässt.
Beim Nachweis von MRE in (Früh-)Reha-Einrichtungen gilt: Rehabilitation geht vor Patientenisolierung.
Die Isolierung sowie die weiteren Schutzmaßnahmen dürfen den (Früh-)Reha-Erfolg nicht
nachhaltig negativ beeinflussen. Es ist ein Kompromiss anzustreben, um das (Früh-)Reha-Konzept
nicht zu gefährden, aber Ausbrüche zu verhindern, die die (Früh-)Rehabilitation erheblich
gefährden können.
Unterstützende Maßnahmen:
•
Räumlichkeiten zur RehabilitationseinrichtungenInfektionspräventionUnterbringung von
Patienten mit MRE (MRSA/MRGN/VRE/sonstige Erreger mit speziellen Resistenzen) sollen
ohne Teppichböden und ohne textilbezogene Sitzgelegenheiten ausgestattet sein, um
die tägliche Flächendesinfektion zu ermöglichen. Das gilt sowohl für Kolonisation
als auch für Infektion.
•
Diagnostische und therapeutische Maßnahmen sollten, soweit vertretbar, mindestens
in den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Besiedlung und Start der Sanierungsmaßnahmen
im Zimmer des Rehabilitanden durchgeführt werden.
•
Schutzkittel sollen bei der Behandlungspflege des nicht oder wenig bekleideten bzw.
bei Tätigkeiten im unmittelbaren Bettbereich getragen werden.
•
MNS sollte bei der Behandlungspflege und wenn der Patient nasal/tracheal besiedelt/infiziert
ist und Auswurf hat oder hustet, angelegt werden.
•
Technische Hilfsmittel wie Rollstühle, Lifter usw. sind grundsätzlich nach Inanspruchnahme
an den Kontaktflächen einer Wischdesinfektion zu unterziehen.
•
Nach Teilnahme an Gruppentherapien sind die Kontaktflächen/benutzten Gegenstände einer
Wischdesinfektion zu unterziehen. Gleiches gilt nach Nutzung des Stationsbads (umgehende
Wischdesinfektion von Dusche, Wanne, Hocker, Boden und Spritzbereich).
•
Wäsche und Textilien werden im Zimmer des Rehabilitanden gesammelt und einem Desinfektionswaschverfahren
unterzogen. Das gilt auch für persönliche Wäsche, wenn sie in der Einrichtung gewaschen
wird.
•
Essgeschirr geht auf direktem Weg in die Geschirrspülmaschine und wird bei mindestens
65 °C gespült.
•
MRSA-haltige Sekrete und Ausscheidungen werden auf direktem Weg im Steckbecken-RDG
(oder in der Toilette) entsorgt. Das gilt auch für andere MRE.
•
Abfall wird im Zimmer gesammelt und im geschlossenen Kunststoffsack auf direktem Weg
in den Container entsorgt.
•
Die Patienten selbst (sowie besuchende Angehörige) sind, soweit möglich, über ihre
MRE-Problematik aufzuklären, in besonderem Maß über die Notwendigkeit der regelmäßigen
Händedesinfektion vor Verlassen des Zimmers, über die Benutzung von Einmalpapiertüchern
bei nasaler Besiedelung und das Abdecken von Tracheostoma, Trachealkanüle, Wunden,
Katheter/Sonden.
Besonders problematisch gestaltet sich die Eradizierung der MRE (für MRSA Kap. 3.7)
bei Patienten mit Carrierstatus im Darm. Die Gefahr liegt in der Verbreitungsmöglichkeit
bei inkontinenten Patienten, bei Durchfall und bei Patienten ohne ausreichende Compliance.
Sorgsame täglich mehrfache antiseptische Pflege besonders der Perianal- und Urogenitalregion
bei Einhaltung der Grundsätze der Händedesinfektion sind die wichtigsten Schutzmaßnahmen.
Bei Kolonisation mit VRE ist eine probiotische Therapie mit Lactobacillus rhamnosus
GG (LGG) erfolgversprechend (Heineman et al. 2012; Manley et al. 2007; Szachta, Ignys
und Cichy 2011; Kap. 5.3.5). Allerdings konnte in einem Setting mit hohem antibiotischen
Selektionsdruck durch Gabe von Probiotika bei der Aufnahme die Akquisition multiresistenter
Enterokokken nicht beeinflusst werden (de Regt et al. 2010).
Bei Einzelerkrankungen/Kolonisation durch MRE und bei Ausbrüchen sind vom Ausbruchteam
parallel zur Ursachenklärung ohne Zeitverzug in Ergänzung zur Basishygiene Isolierungsmaßnahmen
und ggf. Kohortenisolierung festzulegen (Holländer et al. 2001), wobei bereits die
strikte Einhaltung der Händehygiene effektiv ist (Flynn et al. 2005). Zur Prävention
von C. difficile-Infektionen wird auf die Richtlinie der Public Health Agency Canada
(2013) verwiesen. Bei mit verschiedenen MRE an mehreren Lokalisationen besiedelten
Patienten ist es häufig schwierig, bei Auftreten von Infektionszeichen die richtige
Entscheidung zur Therapie und zum Start von Präventionsmaßnahmen zu treffen. Hier
können die Monitoringvorbefunde in der klinischen und mikrobiologischen Verlaufsbeobachtung
weiterhelfen, besonders wenn sich ein Erregerwechsel zeigt.
In der Rehabilitationsmedizin und speziell in Einrichtungen mit schwer beeinträchtigten
Patienten (z. B. neurologische Frührehabilitation) ist das Zusammenwirken des Teams
mit der HFK, dem HBa, Hygieniker und Mikrobiologen Voraussetzung für eine effektive
Infektionsprävention und damit sekundär auch mit für den (Früh-)Rehabilitationserfolg.
Diesem Umstand muss personell Rechnung getragen werden.
5.22
Radiologie und Nuklearmedizin
Gerhard Kirsch
5.22.1
Strahlenrisiken und Infektionsrisiken
In der Radiologie, der Strahlentherapie und der Nuklearmedizin sind der Infektions-
und der Strahlenschutz gleichermaßen zu realisieren.
Genehmigungspflichtige bautechnische Voraussetzungen, Gerätetechnik, Qualitätskontrollen,
standardisierte Untersuchungsabläufe und fachkundiges Personal sichern den Strahlenschutz.
Die mittlere Strahlenbelastungjährliche Strahlenbelastung der Bevölkerung in der BRD
beträgt 4 mSv (Bundesamt für Strahlenschutz, Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung
2012). Knapp die Hälfte (1,8 mSv) ist auf die Anwendung ionisierender Strahlung in
der Medizin zurückzuführen. Bei etwa 150 Millionen Untersuchungen pro Jahr erhält
jede Person etwa 2 Röntgenaufnahmen und jede Zehnte ein CT (Tendenz bei Schnittbildverfahren
deutlich ansteigend).
Vom prophylaktischen Ansatz ähneln sich StrahlenbelastungALARA-Prinzip
ALARA-PrinzipStrahlenschutzStrahlenschutz und Hygiene. Das ALARA-Prinzip (ALARA =
As Low As Reasonably Achievable) zur Minimierung der Strahlenbelastung mit vertretbarem
Aufwand findet sein hygienisches Pendant bei der Keimzahlreduktion durch die Multibarrierenstrategie.
Allerdings wird hygienischen Risiken im Routinebetrieb geringere Aufmerksamkeit gewidmet
als dem Strahlenschutz, weil die einfach nachweisbare ionisierende Strahlung einen
höheren Warncharakter gegenüber der schwerer nachweisbaren oder nur vermuteten Infektiosität
besitzt. Das Gros der nichtinvasiven radiologischen und nuklearmedizinischen Untersuchungen
ist mit einem geringen Strahlen- und Infektionsrisiko behaftet. Zunehmend werden jedoch
invasive Verfahren mit höherem Infektionsrisiko durchgeführt.
Durch die vermehrte Anwendung von Röntgenverfahren in den operativen Fächern wird
die Koordinierung von Hygiene und Strahlenschutz für breite Kreise relevant. In modernen
OP- und Behandlungsräumen mehrerer klinischer Disziplinen gehören ortsfeste oder mobile
Röntgeneinrichtungen zur Grundausstattung. Hier wird das Infektionsrisiko überwiegend
durch die Eingriffsart bestimmt. Intraoperativer Ultraschall und Radionuklid-Sondenmessungen
werden zunehmend zur Lokalisation von Tumoren und Wächterlymphknoten eingesetzt. Strahlentherapie
und Nuklearmedizin betreiben eigene Therapiestationen. In der stationären Strahlentherapie
überwiegen ältere, immungeschwächte Patienten mit schweren Krankheitsbildern und langen
Verweilzeiten.
Zur Infektionsgefährdung in der RadiologieRadiologieInfektionsrisiko tragen folgende
Faktoren bei:
•
Hohe Untersuchungszahlen, Patienten aus allen Fachrichtungen
•
Häufig fehlende Trennung von stationären und ambulanten Patienten
•
Breites Untersuchungsspektrum am gleichen Arbeitsplatz
•
Häufig fehlende Informationen zum Infektionsrisiko
•
Häufige Injektionen von Kontrastmitteln und Radiopharmaka
•
Häufig WC-Nutzung (Blasenentleerung) im Untersuchungsablauf
•
Kontakt bei Patientenuntersuchung, -lagerung und bei Eingriffen
In den Richtlinien des RKI werden radiologische Einrichtungen in Bereiche mit mittlerem
Infektionsrisiko eingestuft.
Hygienemaßnahmen: Durch Anwendung von BasisRadiologieBasishygienemaßnahmenhygienemaßnahmen
(Händehygiene, PSA, desinfizierende Reinigung der Patientenumgebung, sichere Injektionstechnik,
regelkonforme Handhabung von MP) lassen sich in der Radiologie Infektionsrisiken einfach
und weitgehend reduzieren. Sinnvoll hat sich die Integration der Hygienemaßnahmen
in die für alle (häufigen) Untersuchungen und Therapieverfahren leitlinienbasiert
erstellten SAA erwiesen. Optimierte Untersuchungsabläufe (kurze Wege und Wartezeiten)
sind meist auch unter hygienischen Aspekten vorteilhaft. Der Händedesinfektion kommt
die größte Bedeutung zu (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2008).
Sie soll in der Radiologie immer vor und nach infektionsgefährdenden Tätigkeiten,
direktem Patientenkontakt, nach Handschuhablegen, Toilettenbenutzung und Naseputzen
erfolgen. Die ausreichende Anzahl von Desinfektionsmittelspendern an den richtigen
Stellen der Untersuchungsräume und Schleusen ist hierfür begünstigend, die Vorbildwirkung
durch leitende Ärzte, MTA und Pflegepersonal eine weitere wesentliche Voraussetzung.
Handschuhe sollen auch bei kleinen invasiven Handlungen (Blutentnahmen, Legen von
Venenkathetern) regelhaft getragen werden. Die Desinfektion angelegter Handschuhe
anstelle des zeitaufwendigen Handschuhwechselns ist unter günstigen Voraussetzungen
(fehlende Hinweise auf vorliegende Infektion, handschuhkompatible Desinfektionsmittel)
vertretbar (Pitten und Kramer 2001).
Ein breiter Impfschutz der Mitarbeiter, besonders gegen Hepatitis B, ist anzustreben.
Problemerreger: Krankenhausinformationssysteme RadiologieProblemkeimeerlauben mit
der Online-Untersuchungsanforderung Einsicht in Anamnese und Vorbefunde und ermöglichen
mit einem „Cave“-Feld (Information bei Infektionsgefährdung), die Untersuchungsbedingungen
aus hygienischer Sicht zu optimieren (Gruppierung).
Bei radiologischen Untersuchungen von Patienten mit bekannten oder vermuteten krankenhaushygienisch
bedeutsamen Infektionen bzw. Erregern müssen die Maßnahmen der Standardhygiene mit
besondere Sorgfalt eingehalten und gezielt durch spezielle Vorsichtsmaßnahmen erweitert
werden.
Besiedlungen mit MRSA und anderen MRE haben zugenommen, somit auch Methicillin-resistenter
Staphylococcus aureusRadiologie
RadiologieMRSA
Multiresistente ErregerRadiologie
RadiologieMREradiologische Untersuchungen dieser Patienten. Zur Infektionsverhütung
tragen bei (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2009):
•
Direkttransport zum/vom Untersuchungsraum, Kontaktreduktion,
•
Folienabdeckung von Liegen und Untersuchungstisch, Schutzkittel,
•
ggf. MNS für Patient und Personal,
•
technische Assistenz ggf. getrennt für Patient und Gerät,
•
Desinfektion der Kontaktflächen,
•
Inraum-Entsorgung (erregerdichter Abfallsack).
Zusätzliche Maßnahmen zur Infektionsverhütung bei offener Lungen-Tbc sind (Arbeitskreis
Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2006):
•
die Untersuchung möglichst zu Schichtende,
•
ein MNS für den Patient,
•
eine FFP-2-Maske für das Personal im Untersuchungsraum,
•
bei Klimaanlage das Umschalten auf Unterdruck im Untersuchungsraum,
•
Raumbelüftung nach der Untersuchung und Flächendesinfektion.
5.22.2
Infektionsprophylaxe in der diagnostischen Radiologie
Konventionelles Röntgen: Die Röntgen, konventionelles, Infektionsprophylaxe
RadiologieRöntgen, konventionelleshäufigsten Röntgenuntersuchungen erfolgen am Skelett
(30 %), am Thorax (11 %) und im Zahnbereich (39 %) (1: Bundesamt für Strahlenschutz,
Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung 2012). Im Untersuchungsablauf kommt es
zum Kontakt der Personalhände mit der Patientenkörperoberfläche, mit Lagerungshilfen,
Bedienelementen der Röntgenapparate, Filmkassetten, Türklinken und PC-Tastaturen.
Die hygienische Händedesinfektion ist die entscheidende Maßnahme zum Vermeiden von
Kreuzinfektionen. Schutzhandschuhe sind bei Infektionsgefährdung angezeigt. Eine gezielte
Apparatedesinfektion ist nach Kontamination mit Sekreten, Exkreten und Blut erforderlich.
Ein direkter Kontakt des Patienten mit dem Untersuchungsgerät ist durch Papierabdeckung,
bei Hautläsionen durch folienbeschichtete Einmaltücher zu vermeiden. Zahnfilme erfordern
Handschuhschutz bei oraler Platzierung und Nachbehandlung.
Röntgenuntersuchungen von Gastrointestinal- und Harntrakt (2 %) werden nach Kontrastmittelapplikation
(KM) durchgeführt. Die rektale KM-Applikation (Einwegkatheter/-applikatoren) erfordert
Vorkehrungen (Stuhlabgang) und eine gründliche Desinfektion/Säuberung von Arbeitsflächen
und WC. Untersuchungsliegen und Lagerungshilfen werden überwiegend durch Einwegabdeckungen
vor Verschmutzung geschützt, ebenso Filmkassetten bei der Röntgenaufnahme am Patientenbett.
KM-Darstellungen von Körperhohlräumen werden durch Einwegkatheter und -materialien
im Arbeitsablauf erheblich vereinfacht und minimieren Infektionsrisiken. Intravenös
(händisch) applizierte KM bei der Urografie werden direkt vor der Untersuchung aufgezogen
und als Einmaldosis verwendet.
CT, MRT: Aus Magnetresonanztomografie, Infektionsprophylaxe
Computertomografie, Infektionsprophylaxe
RadiologieMagnetresonanztomografie
RadiologieComputertomografiehygienischer Sicht bieten die Großgeräte durch desinfizierbare
glatte Vollverkleidungen und Lagerungstische kaum Probleme. Werden Kontrastmittel
durch Injektoren über intravenöse Zugänge automatisiert zum Untersuchungsablauf appliziert,
kann es durch unzureichende Händehygiene, Verwendung offener KM-Nachfüllsysteme, lange
KM-Standzeiten, unsachgemäßen Umgang mit Mehrdosisflaschen und KM-Rückflussen zur
Infektionsgefährdung kommen.
Kontrastmittelinjektoren: Bei Kolbenspritzeninjektoren werden mit einem Medium (KM,
NaCl) gefüllte Kolben (Fertigspritzen 50–125 ml: single dose oder aus Großgebinden
befüllbare 200-ml-Leerkolben: potenzielles Kontaminationsrisiko, verstärkt bei Multi-Dosing)
eingesetzt. Die RadiologieKontrastmittelinjektoren
Kontrastmittelinjektoren, InfektionsprophylaxeMedien werden dem Patienten über ein
Schlauchsystem injiziert. Bei Rollenpumpeninjektoren werden Medienbehälter (gängige
KM-Gebindegrößen) auf das System aufgesteckt. Eine integrierte Pumpe injiziert die
Medien über ein zweiteiliges Schlauchsystem. Der Patientenschlauch wird nach jedem
Patienten ausgetauscht (Multi-Dosing). Die rasante Entwicklung der CT- und MR-Scanner
führt zu kürzeren Untersuchungszeiten, sodass Rüstzeiten, Aufwand und Fehleranfälligkeit
ökonomische und sicherheitsrelevante Faktoren werden. Hier besitzen Rollenpumpensystem
Vorteile. KM-Flaschen sind nach dem AMG Eindosisbehälter. Restbestände sind nach der
Untersuchung eines Patienten zu entsorgen. Ist das verwendete KM-Applikationssystem
als MP für eine Mehrfachverwendung zugelassen, kann der Inhalt einer KM-Flasche für
mehrere Patienten unter Beachtung der hygienischen Kautelen und der Zeitgrenze verwendet
werden (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2013).
5.22.3
Infektionsprophylaxe in der interventionellen Radiologie
Invasive Radiologieinterventionellediagnostische und therapeutische Verfahren unter
Sichtkontrolle im Röntgen und CT haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen.
Damit ergeben sich höhere Ansprüche an Hygienestandards und Strahlenschutz. Mit zunehmender
Dauer und Komplexität der Eingriffe nehmen Strahlenbelastung und Infektionsgefährdung
zu. Interventionelle Verfahren mit Gefäßfreilegung, Implantation von Stents, Prothesen,
Filtern und Embolisaten sowie bildgesteuerte Biopsien verlangen chirurgische Händedesinfektionen,
sterile Schutzkleidung, Kopfbedeckung, MNS, bei zu erwartenden Blutspritzern Schutzschirm
oder Schutzbrille sowie adäquate Patienten- und Apparatepräparation. Bei direktem
perkutanem Gefäßzugang (Punktion) ist eine hygienische Händedesinfektion ausreichend.
Gefäßkatheter und Materialien sind erst kurz vor Nutzung der Sterilverpackung zu entnehmen.
Gefäßzugänge sollten nur so lange wie unbedingt nötig belassen werden. Bei KM-Applikationen
sind Eindosisbehälter die hygienisch sicherste Variante.
5.22.4
Infektionsprophylaxe und Strahlenschutz in der Nuklearmedizin
Belange der Hygiene sind in der NuklearmedizinRadiologieNuklearmedizin, Hygieneplan
Nuklearmedizin, Hygieneplan eng verbunden mit dem Strahlenschutz. Das findet Ausdruck
in Arbeits- und Verhaltensinstruktionen in diesen Arbeitsbereichen, die beide Aufgaben
berücksichtigen müssen (Muster für einen Hygieneplan Tab. 5.38
).
Tab. 5.38
Hygieneplan (Beispiel, Kurzform) Bereich Nuklearmedizin
Was
Kommentar (Wann/Womit/Wie/Wer)
Wann
Womit
Wie
Wer
Personal
Zugang Kontrollbereich
Dienstbeginn, Pausen, …/Einschleusen, Kleiderwechsel, …/Registrierung per Kontaminationsmessung,
Zugangscode/Mitarbeiter, Gäste, Handwerker überwacht, ggf. Dosimeter, Strahlenschutzbeauftragter
Einschleusen
Zugang zum Kontrollbereich/Privatkleidung und Handschmuck ablegen, Händedesinfektion,
Berufs- bzw. Bereichskleidung, Schuhwechsel, Dosimeter/Kontaminationsmessung/Personal,
ReinigungsfirmaSchutzkleidung zusätzlich bei vermutlicher Kontamination, Nahrungszubereitung,
im Labor + bei Gästen, ggf. Hautschutz
Ausschleusen
Kontaminationsmessung, Dienstkleidung ablegen, Container, Händedesinfektion, ggf.
Hautpflege
Händereinigung
Nach Verschmutzung und WC/Abspülen, Waschlotion-Wandspender, Einmalhandtücher/Patienten,
Personal, Reinigungsfirma
Händedesinfektion
Vor/nach invasiven Maßnahmen (Injektion, Punktion), nach Kontakt (Patient, Blut, Urin),
Naseputzen, ggf. WC, vor Bereichswechsel/Wandspender/Einreiben von 3 ml, ca. 30 s/Personal,
Reinigungsfirma
Händedekontamination
Hände – nach Radiopharmakonkontamination/Spülen/ggf. Bürsten/Kontrollmessung/ggf.
Kleider/Schuhwechsel/Dokumentation, Personal, Reinigungsfirma
Handschuhe
Bei Injektionen, Patientenkörperkontakt, Blut, Körperflüssigkeiten, Laborarbeiten/Flächendesinfektion,
Flächendekontamination, Abfallentsorgung, Reinigung/Personal, Reinigungsfirma. Feste
Schutzhandschuhe bei Reinigung und Desinfektion
Patient
Hautantiseptik
Vor Injektion und Blutentnahme/Wischen, ca. 15 s
RITH-Station N
Einwegtaschen-/-kontakttücher, Klinik-Handtücher-Lappen, Plastikbeutel für Wechselunterwäsche,
ggf. Vorlagen, Einwegstecklaken/PflegepersonalPatientenaufklärung (Strahlenhygiene)
bei Aufnahme, Verhaltensplan bei Entlassung/Arzt
Aktivitätszubereitung
Händedesinfektion, Handschuhe, AP-Teilauslage mit saugfähigem Einwegpapier, -Folie
(RJ, Hochaktivität, Generatoreluierung), Radiopharmakazubereitung nach Anleitung PC-Programm
Invivo: RPh-Verwaltung, Kurzanleitungen, Archiv Einzelzubereitung, Abschirmung, Aluschale,
Beschriftung Kontrolle: Identität, Charge, Verfall, Restmengenaufbewahrung für QC,
Dokumentation
Aktivitätstransport
Vor Injektion/Konuskappe, Einwegschale, Abschirmung, Einzeldosis, Label mit Abfüllzeit/Durchreiche/ggf.
Rückmessung, Kanülencontainer/MTR
Aktivitätsinjektion
Applikationsplatz/Einwegschale, Spritzenabschirmung/Hautantiseptik/Identitätskontrolle,
ggf. kalte Punktion/Antiseptik/Dokumentation Ort, Zeit, Para, kein Recapping, Einwegcontainer/Arzt
Patient – Strahlenhygiene
Getränke-Diureseförderung, Anhalten zur Miktion, Separierung in Warteflächen aktiv
– inaktiv, Verhaltensaufklärung, Windelwechsel bei Säuglingen/Arzt, MTR
Abfall
Sammeln im Labor, Trennen, Kanülenbox, Einwegbeutel, Bleiabschirmung, tägl. Leerung
→ Abklingraum/Messung vor Freigabe, MTR/Physiker
Wäsche
Liegen: Wechsel tägl. oder bei Kontamination, Einwegmaterial/PersonalBettwäsche →
Plastiksack, Aktivitätskontrolle, ggf. Abklingschrank, s. Messanleitung
Inventar/Flächen
Abteilung/Station
Reinigungsplan/desinfizierende Reinigung/WC kalk- und fettlösender Sanitärreiniger/Abfolge
nach Kontamination: Aufenthalt, Untersuchung, Patienten, Labore, Sanitär/Platten-Freimessung/ggf.
Abklingen/Waschmaschine/Abfallentsorgung Reinigungsfirma
Waschbecken
Türklinken/tägl., bei Kontamination, Wischdesinfektion, Reinigungsfirma, MTR
Toiletten
Brille, Deckel Druckpistole tägl., bei Kontamination, Wischdesinfektion, Reinigungsfirma,
MTR bei Bedarf zusätzlich 1–2/Dienst (Aktivitätskontamination, Urin, Schwachstelle!)
Lagerungstische
Ablagen/tägl., vor/nach Nutzung, Wischdesinfektion, Abdeckung mit Einwegmaterial,
Kontaminationsmessung bei Verdacht/MTR
Gammakameras
Wischdesinfektion Flächen (Exhalation!) bei Patientenwechsel, Einwegtücher/MTR
Geräte/Bedienflächen
Reinigung nach Herstelleranweisung, Desinfektion vor Nutzung, Kontakt, täglich–wöchentlich/MTR
Grundlagen, Hinweise
SOP Hygiene, SOP Strahlenschutz, bei Unklarheiten, Mängeln → Doku → Hygienearzt, Strahlenschutzbeauftragte
Hygiene- und Strahlenschutzmaßnahmen: Initiales Spülen der Hände unter RadionuklidKontaminationfließendem
Wasser und Kontaminationskontrollen sind Erstmaßnahmen bei Verdacht auf Radionuklidkontamination
noch vor der Händedesinfektion, die eine Kontamination auf der Haut verteilen würde.
Radionuklidinhalationen vor Lungenwegszintigrafie sind mit Einweginhalationssystemen
(Exhalationsfilter) möglichst an Exhausterboxen durchzuführen, um Aktivitätskontaminationen
und Infektionsgefährdung (Hustenreiz) zu verringern. Intraartikuläre und intrathekale
Radiopharmakaapplikationen vor RadionuklidInhalationenRadiosynoviorthesen und Liquorraumszintigrafien
verlangen aseptische Arbeitsbedingungen mit vorausgehender Hautantiseptik (KRINKO
2011).
Besondere Bedeutung für den Strahlen- und Infektionsschutz des Patienten kommt optimierten
Arbeitsabläufen zu. Wegen der erforderlichen Radiopharmakonanreicherung in den Targetorganen
sind nach Injektion häufig längere Wartezeiten erforderlich. Illustrierte Darstellungen
der Untersuchungsabläufe unterstützen die Patientenaufklärung. Diureseförderndes Trinken
und mehrfache Miktionen sind Bestandteile vieler Untersuchungsabläufe. Sie erfordern
leicht zugängliche „gepflegte Sanitäreinrichtungen“ und eine für den Patienten nachvollziehbare
Erklärung (Aktivitätsausscheidung im Urin) des geforderten „betont hygienischen“ Verhaltens
(Vermeiden von Urinkontamination an Händen und Unterwäsche, gründliches Händewaschen)
auch noch für die ersten Stunden nach Beendigung der Untersuchung.
•
Die periodische Weiterbildung des Personals und die kritische Analyse von Strahlenschutz
und Hygiene sind qualitätssichernde Aufgaben in nuklearmedizinischen Einrichtungen.
•
Schwachstellen sind die in vielen Einrichtungen „ausgelagerten“ Reinigungsarbeiten
(Reinigungsfirmen, Arbeitskräftefluktuation). Hier sind detaillierte Arbeitsinstruktionen
und Kontrollen besonders wichtig.
Radiopharmakaanwendung: Bei der Radiopharmaka
RadiologieRadiopharmakaAnwendung und Qualitätssicherung radioaktiver Arzneimittel
sind neben Strahlenschutz und Hygiene Verordnungen des AMG und des MPG gleichermaßen
zu beachten. Bei der Anwendung offener Radionuklide wird der Arbeitsablauf durch die
Kontaminationsmöglichkeit prävalent vom Strahlenschutz bestimmt. Kontaminationen von
Haut, Gegenständen und Messgeräten führen nicht nur zu vermehrter Strahlenexposition,
sondern können sich als Fehlerquellen in der Diagnostik auswirken. Die meisten Radiopharmaka
werden i. v. appliziert.
Der Kontaminationsvermeidung bei Radiopharmakainjektion (undichte Spritzen-Kanülen-Verbindung,
Blutaktivität an benutzten Tupfern, kontaminierte Spritzen und Transportbehältnisse)
ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Neben gebrauchsfertigen Arzneimitteln werden in der Nuklearmedizin vorwiegend kurzlebige
Radiopharmaka angewandt, die bei Bedarf im „aktiven“ radiochemischen Labor mithilfe
von Markierungsbestecken hergestellt werden. Diese nach Arzneimittelrecht zugelassenen
Markierungskits („Technetium-Kits“) enthalten fertige Reagenziensätze in lyophilisierter
Form. Durch Zugabe des aus einem sterilen Radionuklidgenerator gewonnenen Radiotracers
erhält man ein applikationsfertiges Radiopharmakon, das ggf. chromatografisch auf
radiochemische Reinheit zu überprüfen ist (bei Antikörpermarkierung, Markierung unter
Erwärmung; Kits mit geringer Reduktionsmittelmenge und bei Abweichung von der Markierungsvorschrift).
99mTc ist das Technetium
RadiologieTechnetiumam häufigsten angewandte gebrauchsfertige Radiopharmakon und gleichzeitig
Tracer für die Markierungskits. Es wird täglich aus dem Molybdän/Technetium-Generator
(Nutzungsdauer 2–3 Wochen) in abgeschirmte Teilvakuum-Durchstechflaschen eluiert und
steht (bei Kühllagerung ca. 8 h) zur Pharmakonmarkierung zur Verfügung. Die Markierungsanleitungen
beschreiben Prozedere, Markierungsbedingungen, Aktivitäts- und Substanzmengen, Qualitätsparameter,
Verwendungsdauer und Lagerungsbedingungen. Eluierung und Präparation erfordern aus
Strahlenschutzgründen sorgfältiges rasches Handeln hinter bleiglasgeschützten Arbeitsflächen
bei Beachtung hygienischer Prinzipien (Händedesinfektion, Handschuhe, Durchstichflächendesinfektion
mit Steriltupfer, steriler Konusverschluss bei Aktivitätsmessung/Spritzentransport,
Einwegtransportschale, Abschirmung, Beschriftung).
Weitere Radiopharmaka sind radioaktiv markierte körpereigene (Blut-)Bestandteile und
Markierungen mit kurzlebigen (z. B. am Zyklotron) hergestellten Positronenstrahlern
für die PET. Hier ist der Anwender für den Gesamtprozess und die Qualitätssicherung
verantwortlich, die er gemäß den Anforderungen des Arzneimittelrechts durchzuführen
hat.
Radionuklidtherapie: Für die meisten Radionuklidtherapien sind in Deutschland kurze
stationäre Radionuklidtherapie, Infektionsprophylaxe
RadiologieRadionuklidtherapieAufenthalte in speziell ausgestatteten Radionuklidtherapiestationen
vorgeschrieben. Schilddrüsenfunktionsstörungen und -malignome stellen das Hauptkontingent.
Sie werden mit Radioiod, einem Beta-Gamma-Strahler, behandelt. Die sorgfältige Sammlung
und Lagerung von Stuhl, Urin und Sekreten in geschlossenen, überwachten Abklinganlagen,
dekontaminierende Säuberungen von Sanitäranlagen und Einrichtungen sowie Kontaminationskontrollen
sind gleichsam antiinfektiös ausgerichtet, ebenso wie die Minimierung von Direktkontakten
zwischen Personal und Patienten.
Nach eigenen Erfahrungen bei etwa 10 000 Radioiodtherapien beträgt die während des
stationären Aufenthalts erworbene Infektionsrate (nasopharyngeal und bronchopulmonal)
etwa 2–3 %.
5.23
Physiotherapie
Frank-Albert Pitten, Axel Kramer und Anett Reißhauer
5.23.1
Allgemeine Hygienemaßnahmen
Patienten Physiotherapie
PhysiotherapieBasishygienemaßnahmenmit hoher Infektionsgefährdung sollten – sofern
das möglich ist – nicht in der physiotherapeutischen Abteilung, sondern im Patientenzimmer
physiotherapeutisch behandelt werden. Gleiches gilt für isolierte Patienten. Meist
besteht bei isolationspflichtigen Patienten die Situation ausgeprägter Funktionsdefizite,
wie im Falle der Frührehabilitation, und dabei ein besonders hoher Bedarf an physikalischen
Therapiemaßnahmen. Sowohl der überweisende Arzt als auch der Physiotherapeut müssen
unter Beachtung dieses Grundsatzes über die Durchführbarkeit der physiotherapeutischen
Maßnahme im Krankenzimmer oder in einer Therapieabteilung entscheiden. Es empfiehlt
sich, in der Hygieneordnung infektiologische Ausschlusskriterien bzw. spezielle Schutzmaßnahmen
festzulegen (Tab. 5.39
). In der Physiotherapieabteilung ist aufgrund des Patientendurchgangs das Risiko
für Kreuzinfektionen zu berücksichtigen, zumal sich Patienten aus den unterschiedlichsten
Fachdisziplinen begegnen.
Tab. 5.39
Beispiele für Entscheidung bettseitiger Physiotherapie bzw. für Indikationseinschränkungen
bei physiotherapeutischen Maßnahmen aufgrund lokaler oder systemischer Infektionen
Beispiel
Indikationseinschränkung
Meldepflichtige Erkrankungen nach IfSG, sofern hohes Übertragungsrisiko
Nur bettseitige Physiotherapie
Infektion oder Besiedlung mit MRE, sofern Übertragung zu befürchten
Wundinfektion
Keine Balneotherapie, keine Lokaltherapie (z. B. Elektrotherapie) im Wundgebiet
Manifeste Fußpilzerkrankung
Keine Balneotherapie
Für die Mitarbeiter einer Physiotherapieabteilung soll kurzärmlige Bereichskleidung
zur Verfügung gestellt werden; der tägliche Wechsel ist selbstverständlich, ein mehrfacher
täglicher Wechsel ist zu ermöglichen.
5.23.2
Hygienemaßnahmen bei Physiotherapie im Trockenbereich
Alle PhysiotherapieHygienemaßnahmen, Trockenbereichzur äußerlichen Anwendung am Patienten
bestimmte Geräte und Hilfsmittel müssen desinfizierbar sein und vor ihrem Einsatz
gereinigt und im Bereich der Kontaktstellen desinfiziert werden. Eine Ausnahme von
diesem Grundprinzip kann nur gemacht werden, wenn sichergestellt ist, dass das Hilfsmittel
(z. B. Inhaliergerät oder Wärme- oder Kälteträger) ausschließlich an einem Patienten
angewendet wird.
Die desinfizierende Reinigung von Liegen, Matten, Massagebänken, Lagerungsmaterialien
usw. ist täglich ausreichend, wenn für jeden Patienten eine frische Textil- oder Vliesauflage
zur Verfügung gestellt wird. Voraussetzung sind leicht zu reinigende, desinfektionsmittelbeständige
Materialien; naturholzbelassene Gegenstände sind ungeeignet. Aus dem gleichen Grund
sowie aus allergologischen Gesichtspunkten sind textile Fußbodenbeläge ungeeignet.
Sofern Vorhänge zum Separieren von Raumeinheiten eingesetzt werden, müssen sie im
Desinfektionswaschverfahren aufbereitbar sein.
Massage und Krankengymnastik: Verbände PhysiotherapieKrankengymnastik
PhysiotherapieMassage
Krankengymnastik, Hygienemaßnahmen
Massage, Hygienemaßnahmensollten nicht abgenommen werden. Beim Ablegen von Gipsschalen
oder Prothesen ist Vorsicht geboten. Sollten Wundverbände durchfeuchtet sein, gilt
Handschuhpflicht und anschließende Flächendesinfektion. Falls unbeabsichtigt eine
Wunde freigelegt wird, ist die sofortige Wundversorgung auf der Herkunftsstation des
Patienten zu gewährleisten und die geplante physiotherapeutische Maßnahme bis zur
Neuversorgung auszusetzen.
Neben jeder Patientenliege ist ein Desinfektionsmittelspender erforderlich, um die
Händedesinfektion zu gewährleisten.
Elektrotherapie: Elektroden, PhysiotherapieElektrotherapie
Elektrotherapie, HygienemaßnahmenSchallköpfe und sonstige Gegenstände, die direkten
Kontakt mit der Haut des Patienten haben, sind nach jeder Anwendung zu desinfizieren
und am Ende des Arbeitstags mit sauberen Textilien abzudecken. Diese sind mindestens
wöchentlich im Desinfektionswaschverfahren aufzubereiten. Bei Verzicht auf textile
Abdeckung ist vor Inbetriebnahme am folgenden Tag eine alkoholische Wischdesinfektion
der Patientenkontaktflächen vorzunehmen werden.
Zur Befestigung der Elektroden werden für gewöhnlich Einwegpapierklebeblättchen verwendet.
Sollten andere Materialien zur Anwendung kommen, sind diese in geeigneter Weise zu
desinfizieren.
Werden Ulzera mit der Galvanisationsmethode behandelt, sind zur Abdeckung sterile
Materialien (z. B. Mullkompressen) zum Einmalgebrauch einzusetzen.
Inhalationstherapie: Nur wenn PhysiotherapieInhalationstherapie
Inhalationstherapie, Hygienemaßnahmensichergestellt ist, dass ein Gerät nur von einem
Patienten benutzt wird, ist es vertretbar, von einem Mundstückwechsel vor jeder neuen
Anwendung abzusehen. Das Mundstück sollte dann mindestens 2mal/d und das Inhalat nach
Angaben des Geräteherstellers gewechselt werden. Zur Zubereitung des Inhalats muss
steriles Aqua dest. verwendet werden. Das Inhalat selbst braucht nicht steril zu sein,
muss aber die Anforderungen des Europäischen Arzneibuchs in der aktuellen Fassung
erfüllen, muss also < 102 Bakterien und Pilze/ml, < 101 Enterobakterien und < 101
andere gramnegative Bakterien/ml sowie keine P. aeruginosa, S. aureus oder Legionellen
in 100 ml enthalten.
Inhalieren verschiedene Patienten (nacheinander) am selben Gerät, sind für jeden Patienten
ein desinfiziertes Mundstück (je nach System auch ein aufbereiteter Schlauch) und
frisch zubereitete Inhalatlösung bereitzustellen.
Inhalationsgeräte, die von mehreren Patienten genutzt werden, sollten im Akutkrankenhaus
keine Anwendung mehr finden.
Die für die Inhalation verwendete Druckluft muss die im Europäischen Arzneibuch aufgeführten
Anforderungen erfüllen, d. h. < 10 KbE/m3, Freisein von Krankheitserregern und sichtbaren
Feststoffverunreinigungen (orientierende Prüfung durch Aufleiten der Druckluft auf
weißes Papier ≥ 10 s) mit einem Ölgehalt < 0,1 mg/m3.
Vorsicht ist bei Patienten mit chronischen Atemwegerkrankungen geboten: Für Mukoviszidosepatienten
ist belegt, dass bei gemeinsamem Aufenthalt in geschlossenen Räumen gehäuft Kreuzinfektionen
mit Pseudomonaden auftreten können (Botzenhart und Junger 1992).
Besondere Beachtung verdienen die von Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung
verwendeten Mikroinhaliergeräte zur Applikation von β-Sympathomimetika oder Kortikosteroiden.
Die vielfach ohne Verpackung in Jacken-, Hand- oder Hosentasche mitgeführten Geräte
werden nur selten desinfiziert (z. B. abgekocht), sodass eine gefährliche Erregerquelle
entstehen kann. Eine auch wiederholte Anleitung der Patienten ist notwendig. An die
Inhalationstherapie sind bei diesen Patienten hohe Hygieneanforderungen zu stellen.
So konnten bei stationär behandelten Intensivtherapiepatienten mehrere Fälle pulmonaler
Candidosen nach Inhalation von Glukokortikoiden aus einem mit Candida besiedelten
Spacer aufgeklärt werden. Auch andere Geräte, die zur häuslichen Inhalationstherapie
verwendet werden, z. B. mechanische Vernebler, werden aus Unkenntnis über diese Risiken
vielfach nicht effektiv gereinigt und desinfiziert (Kober, Werner und Kramer 1996).
5.23.3
Hydrotherapie
Infektionsrisiken im Badewasser
Bei PhysiotherapieHydrotherapie
HydrotherapieHygienemaßnahmenInfektionsrisiken ist zwischen Erkrankungen, die durch
Erreger im BadewasserBadewasserInfektionsrisiko (Tab. 5.40
), und Erkrankungen, die über den Feuchtbereich außerhalb des Badewassers übertragen
werden, zu unterscheiden.
Tab. 5.40
Durch Badewasser übertragbare InfektionenBadewasserInfektionsrisiko
Erreger
Krankheitsbild
Adenoviren
Keratoconjunctivitis epidemica, fieberhafte Infekte
Echo-, Coxsackie-, Rota-, Picornaviren, Noroviren
Konjunktivitis, Nasopharyngitis, fieberhafte Infekte (insbesondere bei Kindern), Gastroenteritiden
P. aeruginosa
Otitis externa, Pyodermie, Whirlpool-Dermatitis
S. aureus, C. trachomatis
Pyodermie, Schwimmbadkonjunktivitis
L. pneumophila (Warmwasserbereich, Whirlpool oder Dusche)
Legionellose, Pontiac-Fieber
Enterokokken, Salmonellen und andere Enterobakterien
gastrointestinale Infektionen (geringe Wahrscheinlichkeit, da hohe Infektionsdosis)
Atypische Mykobakterien (z. B. M. marinum)
Hautulzerationen
Cryptosporidien und Giardia intestinalis
Gastroenteritiden
Grundsätzlich sollten infektiöse Patienten sowie Patienten mit offenen Wunden nicht
in Schwimm-, Therapie- oder Bewegungsbecken behandelt werden.
•
Ein höheres Risiko zur Entwicklung schwerer Otitiden besteht für Diabetiker nach Exposition
mit Pseudomonaden. Exner (1983) fand in 49 von 147 Krankenhausbewegungsbädern (18
%) Pseudomonaden.
•
Durch atypische Mykobakterien können im Bereich von Bagatellverletzungen granulomatöse,
ggf. zentral ulzerierende Effloreszenzen entstehen (Schwimmbadgranulom).
•
Augeninfektionen durch H. influenzae, Herpesviren oder Acanthamöben im Badewasser
sind als Rarität anzusehen.
•
Für die Übertragung von AIDS spielt Badewasser, das den o. g. physikalisch-chemischen
Vorgaben entspricht, keine Rolle, da HIV unter diesen Bedingungen inaktiviert werden.
•
S. aureus kann sich über längere Zeit im unzureichend gechlorten Badewasser halten,
Exner und Thofern (1981) konnten S. aureus in Krankenhausbädern in 6,8 % der Badewasserproben
nachweisen. Vor dem Hintergrund der Zunahme von MRSA kommt daher der einwandfreien
Aufbereitung und Durchströmung des Badebeckens erhebliche Bedeutung zu.
•
Da Cryptosporidien und Giardia nicht durch die im Badewasser zulässigen Chlorkonzentrationen
abgetötet werden, kommt der Vermeidung einer fäkalen Verunreinigung durch inkontinente
Badegäste neben einer guten Durchströmung ebenso Bedeutung zu.
Zur Herabsetzung des Infektionsrisikos in Warmsprudelbecken und Unterwassermassagewannen
fordert die DIN 19643 einen Mindestchlorgehalt von 0,7 mg/l im Reinwasser.
Infektionsrisiken im Feuchtbereich
Außerhalb PhysiotherapieFeuchtbereich, Infektionsrisikodes Badewassers sind Fußmykosen
und Plantarwarzen die häufigsten erworbenen Infektionen (Tab. 5.41
). Sowohl Personal als auch Patienten können durch konsequentes Tragen von Badeschuhen
im gesamten Feuchtbereich das Infektionsrisiko deutlich vermindern. Eine Badeschuhpflicht
sollte Bestandteil jeder Nutzungsordnung für Therapie- oder Bewegungsbecken sein.
Tab. 5.41
Im Feuchtbereich übertragbare Infektionen
Erreger
Krankheitsbild
Papillomaviren, Molluscum-contagiosum-Virus
Plantar-, Dellwarzen
Pseudomonaden, Staphylo- und Streptokokken
Lokalinfektionen, Pyodermien
L. pneumophila (Duschaerosol)
Legionellose, Pontiac-Fieber
Dermatophyten (Trichophyton, Epidermophyton spp.)
Fußmykosen
T. vaginalis (auf Sitzbänken)
Möglicherweise Urogenitalinfektionen (Vaginalinfektionen)
Patienten mit offensichtlichen Dermatomykosen, Plantar- oder Dellwarzenbefall sollten
bis zur Sanierung nicht in hydrotherapeutischen Bereichen versorgt werden.
Die Wirksamkeit fest installierter FußdesinfektionsmittelspenderFußdesinfektionsmittelspender
ist fraglich, weil durch die von den Füßen abgesprühten Pilze gerade in diesem Bereich
die Infektionsgefahr deutlich erhöht und die für eine effektive Desinfektion erforderliche
Einwirkungszeit nur selten eingehalten wird (Effendy und Schirrmeister 1985). Vielmehr
sind das sorgfältige Abtrocknen insbesondere der Interdigitalräume und ggf. die Anwendung
von Hautcremes präventiv wirksam. Die Verpflichtung zur täglichen Flächendesinfektion
bleibt davon unberührt.
Neben Kontaminationen mit Pseudomonaden, Staphylo- und Streptokokken können auf Sitzgelegenheiten
Trichomonaden eine Rolle spielen: Eine Frau mit florider Trichomonadeninfektion kann
den Sitz mit Vaginalsekret kontaminieren und die Erreger an weitere Frauen oder Männer
weitergeben (Krieger und Kimmig 1995). Daher ist die Sitzfläche grundsätzlich mit
einem patientengebundenem Handtuch zu bedecken.
Infektionsprävention
Für HydrotherapieInfektionspräventionden Nassbereich muss der Hygieneplan Forderungen
enthalten, deren patientenrelevanter Anteil gut sichtbar z. B. in Umkleidekabinen
oder im Wartezimmer ausgelegt werden soll; Piktogramme erleichtern die Verständlichkeit,
auf mehrsprachige Versionen ist zu achten.
Sofern es dem Patienten möglich ist, sollte er vor Beginn hydrotherapeutischer Maßnahmen
auf der Krankenstation oder in der Bäderabteilung duschen. Er sollte ferner auf die
Verwendung hautfreundlicher Waschlotionen hingewiesen werden, da ansonsten im Verlauf
einer Behandlung mit täglich 1–2 Wasseranwendungen ein Austrocknen der Haut, verbunden
mit erhöhter Infektionsanfälligkeit, resultieren kann. Bis zum Betreten des Bads sind
eigene Bade- oder Turnschuhe zu tragen. Von der Badeabteilung wird jedem Patienten
ein eigenes Handtuch zur Verfügung gestellt; das Mitbringen der Handtücher vom Krankenzimmer
ist mit dem Risiko der Erregerverschleppung verbunden.
Bei Unterwassermassage und anderen hydrotherapeutischen Maßnahmen mit dem Risiko eines
Eintrags von Haaren in das Therapiewasser sollten Badekappen zur Verfügung gestellt
werden.
Badewannen für Unterwasser-Druckstrahlmassage, hydroelektrische Therapie, Moor- oder
Pelosebäder sind nach jeder Behandlung mit einem Desinfektionsreiniger zu reinigen
und am Ende des Tags mit einem VAH-gelisteten Flächendesinfektionsmittel zu desinfizieren.
Bei erhöhter Infektionsgefährdung (ärztliche Entscheidung) ist u. U. eine Zwischendesinfektion
nach der Patientenbehandlung erforderlich. So konnten wir nach Benutzung durch verhaltensgestörte
Kinder eine massive Kontamination des Wassers im Therapiebecken mit gramnegativen
Darmbakterien nachweisen, verursacht durch unkontrollierte, nicht bemerkte Badewasserverunreinigung.
Anforderungen an die Wasserqualität von Schwimm-, Bade- und Therapiebecken: Nach Steuer
(1971) gibt ein WassersicherheitSchwimmbecken
WassersicherheitTherapiebeckengesunder Badender nach vorherigem Duschen bei einem
Bad ca. 3 × 108 Mikroorganismen ins Wasser ab. Pro Badegast werden durchschnittlich
30–50 ml Urin ins Badewasser abgegeben (Exner 1978; Tilkes 1995). In medizinischen
Badeabteilungen ist zu berücksichtigen, dass es insbesondere bei neurologischen Patienten
zu unwillkürlichen Urin- und Kotabgängen ins Wasser kommen kann. Bei begleitend bestehender
Inkontinenz für Stuhl und Harn ist die Indikation für eine Krankengymnastik im Bewegungsbecken
ohnehin kritisch zu sehen. Nur wenn diese nicht durch andere Therapiemaßnahmen ersetzt
werden kann, sollte sie als Therapiemittel mit entsprechender Vorkehrung in Form von
speziellen Badehosen zur Anwendung kommen
Gemäß § 37 IfSG muss Schwimm- oder Badebeckenwasser in öffentlichen Bädern gesundheitlich
unbedenklich sein. Die hygienisch-mikrobiologischen, physikalischen und chemischen
Anforderungen sind in DIN 19643 formuliert. Es werden folgende Wasserarten unterschieden:
•
Füllwasser = dem Füllwasseröffentlichen Trinkwassersystem zur Erst- und Nachfüllung
entnommenes Trinkwasser
•
Beckenwasser = das BeckenwasserWasser im Becken
•
Rohwasser = das Rohwasserder Aufbereitung zugeführte Beckenwasser
•
Reinwasser = aufbereitetes ReinwasserWasser nach Filtration, Zugabe von Desinfektionswirkstoffen
und Füllwasser vor seinem Eintritt ins Becken
•
Filtrat = Wasser Filtratnach Filtration und vor Zugabe des Desinfektionsmittels.
Für Coliforme und E. coli gelten im BadewasserBadewasserbakterielle Belastung die
Grenzwerte wie im Trinkwasser. Zusätzlich ist für P. aeruginosa ein Grenzwert von
0/100 ml und für L. pneumophila von 100 ml/ml vorgeschrieben. Für Reinwasser gelten
für die Koloniezahl (max. 20/ml bei 20 °C und 36 °C) und für L. pneumophila (kein
Nachweis in 100 ml) höhere Anforderungen (DIN 19643).
Die wichtigsten Parameter mit Indikatorfunktion für die Belastung des Wassers mit
organischen Verunreinigungen sind in Tab. 5.42
zusammengefasst (weiterer Details s. DIN 19643). Bei hoher organischer Belastung des
BeckenwassersBeckenwasserChlorgehalt sinkt durch Chlorzehrung der Anteil des antimikrobiell
wirksamen freien Chlors bei gleichzeitiger Zunahme der Konzentration an organischen
Chlorverbindungen, die teilweise im Verdacht stehen, kanzerogen zu sein. Der Richtwert
der DIN für Trihalogenmethan (gemessen als Chloroform) wird in öffentlichen Bädern
häufig überschritten und kann wahrscheinlich erst nach Erweiterung der Badewasseraufbereitungsschritte
Flockung, Filtration und Desinfektion um eine Oxidationsstufe und anschließende Aktivkornkohlefilterung
sicher erzielt werden (Schössner und Koch 1995).
Tab. 5.42
Physikalisch-chemische Parameter (Auswahl) des Badewassers
Parameter
Reinwasser
Beckenwasser
NCV-Konzentration über der Konzentration des Füllwassers
Nicht definiert
20 mg/l
Oxidierbarkeit Mn VII → Mn II über dem Wert des Füllwassers als 02
0 mg/l
0,75 mg/l
pH-Wert
6,5–7,6
6,5–7,6
Freies Chlor
≥ 0,3 mg/l
0,3–0,6 mg/l
Gebundenes Chlor
≤ 0,2 mg/l
≤ 0,2 mg/l
Trihalogenmethan
Nicht definiert
≤ 0,02 mg/l
(nach DIN 19643) [W921]
Für Therapiebecken wird eine Verfahrenskombination von Ozonung und Aktivkornkohlefilterung
empfohlen. Ein wichtiger Parameter für die Beantwortung der Frage, ob dem Badewasser
unter Berücksichtigung der aktuellen Belastung mit organischen Verunreinigungen genügend
Desinfektionsmittel zugesetzt wurde, ist die Bestimmung des Redoxpotentials. Die Mindesthöhe
ist abhängig vom Konzentrationsverhältnis des Oxidationsmittels (Chlor) zum Reduktionsmittel
(Verunreinigung) und ist unter Berücksichtigung des aktuellen pH-Werts in DIN 19643
festgelegt.
Auch Wasser für Wannenbäder muss den mikrobiologischen Kriterien der DIN 19643 entsprechen.
Nach jeder Patientenbehandlung ist das Wasser abzulassen und eine Reinigung und Desinfektion
der Therapiewanne vorzunehmen.
Wasseraufbereitungsanlagen mit kontinuierlichem Umlauf von Badewasser sind aus hygienischen
und psychologischen Gründen abzulehnen.
Je nach Ausstattung ist das Volumen des stagnierenden Restwassers im Zulauf bzw. in
der Mischbatterie der Wanne unterschiedlich groß. Da das Restwasser massiv verkeimen
kann, sollte das Physiotherapie-Personal dieses Volumen kennen und (insbesondere nach
Wochenenden oder Feiertagen!) vor dem Einlassen des eigentlichen Badewassers ablaufen
lassen.
Peloidtherapie: Da PhysiotherapiePeloidtherapie
Peloidtherapie, Infektionspräventiondie natürlichen Ressourcen insbesondere hochwertiger
Peloide begrenzt sind, wird vielerorts „abgebadeter“ Torf nach mehr als 5jähriger
Lagerung und Zusatz von Frischtorf wiederverwendet. Dagegen ist hygienisch nichts
einzuwenden, da es sehr unwahrscheinlich ist, dass Krankheitserreger, die durch das
Moorbad in den Torf gelangt sind, in nennenswerter Zahl über diesen Zeitraum infektiös
bleiben. Allerdings muss bei der Lagerung Schädlingsbefall und mikrobielle Besiedlung
aus der Umgebung verhindert werden.
Vor dem Einsatz bereits verwendeten organischen Materials muss eine hygienisch-mikrobiologische
Kontrolle erfolgen.
Soll Fango mehrfach verwendet werden, wird er nach Gebrauch gesammelt und über Nacht
in einem Rührwerk bei 140 °C (trockene Heißluft) gelagert. Bei vorübergehender Nichtbenutzung
kann er auch bei 50–60 °C auf Blechen aufbewahrt werden; regelmäßige (z. B. halbjährliche)
Hygienekontrollen sind erforderlich (Botzenhart und Junger 1992).
Tretbecken: Tretbeckenwasser PhysiotherapieTretbecken
Tretbecken, Hygienemaßnahmenwird im Allgemeinen täglich abgelassen und nach sorgfältiger
Reinigung und Desinfektion des Beckens am Folgetag frisch eingefüllt. Bei Patienten
mit Dermatomykosen oder Wundverbänden im Fuß- und Unterschenkelbereich besteht für
diese Therapieform wegen des Infektionsrisikos (für sie und andere) eine Kontraindikation.
Das Problem der Verkeimung stagnierenden Restwassers ist auch beim Auffüllen des Tretbeckens
zu beachten.
Sauna: Aufgrund Sauna, Hygienemaßnahmendes Schwitzens mit Verdünnung des Säurefilms
ist von erhöhter Infektionsempfänglichkeit der Haut auszugehen. Daher ist für die
Sauna eine spezielle Hygieneordnung zu erarbeiten. Darin ist zu fordern, dass alle
Oberflächen innerhalb und außerhalb der Saunakabine mindestens täglich desinfiziert
werden. Eine Ausstattung mit naturbelassenem Holz ist im Krankenhausbereich abzulehnen.
Jeder Saunabenutzer erhält 2 Badetücher, von denen eins der Vor- und Nachreinigung
dient und außerhalb der Saunakabine verbleibt, während das andere in der Saunakabine
als Auflage verwendet wird, um den direkten Hautkontakt zu vermeiden.
Das direkte Sitzen oder Liegen auf Saunarosten ist strikt abzulehnen.
Das Saunatauchbecken wird täglich geleert und vor Neufüllung gereinigt; pro Besucher
werden mindestens 60 l Frischwasser zugesetzt. Das Beckenwasser wird laufend desinfiziert,
eine Aufbereitung, wie sie für das Wasser von Badebecken vorgeschrieben wird, ist
nicht erforderlich (DIN 19643). An dieser Stelle sei bemerkt, dass die Anwendung von
Sauna im Bereich eines Akutkrankenhauses eine Rarität darstellt. Im Bereich stationärer
Rehabilitation ist diese Form der Hydrotherapie noch möglich; nicht nur wegen der
hygienischen Fragestellungen ist eine Anwendung nur nach strenger ärztlicher Anordnung
anzuraten.
5.23.4
Physikalische Therapie im stationären Bereich
Bei Tätigkeit des Personals der PhysiotherapiePhysiotherapiestationäre in anderen
Abteilungen ist die Hygieneordnung der jeweiligen Abteilung einzuhalten.
Im Rahmen des QM ist darauf zu achten, dass im Einarbeitungskonzept der Physiotherapeuten
und Masseure die Hygienevorschriften aller Abteilungen eines Krankenhauses vermittelt
werden, so dass auch bei kurzfristigem Wechsel des Einsatzortes Klarheit über die
Hygienemaßnahmen besteht.
Zu den Arbeitsvorschriften gehören die hygienische Händedesinfektion vor und nach
jedem Patientenkontakt sowie ggf. das Tragen von Schutzkleidung, die vor der Rückkehr
in die Physiotherapie-Abteilung abgelegt wird. Handelt es sich um infektiologische
Risikobereiche, müssen eventuell mitgeführte Therapiemittel noch vor Ort desinfiziert
werden. Andernfalls ist der Transport in geeigneter Schutzverpackung vorzunehmen und
die Desinfektion vor der Weiterverwendung in der Abteilung für Physiotherapie zu gewährleisten.
Nach der Versorgung von Patienten in stationären Bereichen ohne besondere Risikosituationen
ist bei möglichem Sekretkontakt a. Ä. vor der Therapie des nächsten Patienten dennoch
ein außerplanmäßiger Wäschewechsel problemlos zu ermöglichen. Günstig ist dabei, wenn
die Physiotherapeuten die Poolwäsche der Stationen nutzen können.
5.23.5
Qualitätssicherung
Für PhysiotherapieQualitätssicherung
QualitätssicherungPhysiotherapiephysikalisch-therapeutische Abteilungen ist ein Hygieneplan
zu erstellen (Steuer et al. 1999). Dieser Hygieneplan ist verbindlich, sollte im Qualitätshandbuch
hinterlegt sein, Bestandteil jedes Einarbeitungskonzeptes sein und vor allem regelmäßig
überprüft werden. Ein Physiotherapeut jeder Abteilung sollte als Hygienebeauftragter
ernannt werden, regelmäßig an den zentralen berufsgruppenübergreifenden Schulungen
teilnehmen und das Wissen an die Arbeitsgruppen weitergeben.
Im QM sind die zeitlichen Abstände der vorzunehmenden Kontrolluntersuchungen festzuschreiben.
Die Untersuchungsdaten sind entsprechend zu archivieren und zu kontrollieren.
Durch die hohe Belastung der Haut der Physiotherapeuten sind Hautschutzmaßnahmen in
Seminaren zu vermitteln, Hautschutzpläne sind ebenso Bestandteil der Einarbeitungskonzepte
neuer Mitarbeiter.
Aus eigener Erfahrung empfiehlt sich mindesten einmal jährlich, z. B. im Rahmen routinemäßiger
Teambesprechungen, eine Kontrolle der Händedesinfektion mit Visualisierung der Verschmutzung
in Zusammenarbeit mit der Krankenhaushygiene. Diese Situation ist für die Mitarbeiter
eindrucksvoll, meist überraschend und sehr lehrreich.
Folgende Kontrolluntersuchungen sind durchzuführen bzw. zu empfehlen: Rein- und Beckenwasser
monatlich physikalisch-chemisch und mikrobiologisch (DIN 19643 und DIN 38402), Duschen,
Inhaliergerät (Abstriche vom Mundstück, Überprüfung des Inhalts) und Druckluft halbjährlich.
Darüber hinaus ist das Wasser von Bewegungsbecken durch den Betreiber zweimal täglich
zu beproben.
Einmal jährlich empfiehlt sich die Begehung der Abteilung durch den Hygienebeauftragten
der Abteilung Physiotherapie gemeinsam mit dem Krankenhaushygieniker und der HFK.
5.24
Zahnarztpraxis
Axel Kramer und Rajko Lippert
2006 wurde die Empfehlung der KRINKO zu den Anforderungen an die Hygiene in der Zahnmedizin
aktualisiert. Zur Spezifizierung der Hygieneanforderungen in der Zahnmedizin wird
seit 1989 der Hygieneleitfaden des Deutschen Arbeitskreises für Hygiene in der Zahnmedizin
(DAHZ) fortlaufend aktualisiert. Weitere für die Zahnarztpraxis relevante Empfehlungen
der KRINKO betreffen die Händehygiene (2015), die Aufbereitung von MP (2012), die
Reinigung und Desinfektion von Flächen (2004), die Anforderungen an Hygienebekleidung
und persönliche Schutzausrüstung (2007) sowie die medizinische Versorgung immunsupprimierter
Patienten (2010). Unabhängig davon sind die sich durch das IfSG (2011) ergebenden
Verpflichtungen (z. B. Hygieneplan, Meldepflicht), die Forderungen des MPG (2013)
(Kap. 2.9), des Arbeitsschutzgesetzes (2013), der Gefahrstoff-VO (2013), der Biostoff-VO
(2013) (Kap. 5.29), der Trinkwasser-VO (2013) (Kap. 6.6) und der BGW (2014) (Kap.
5.29) einzuhalten.
Beim Vergleich der Analysen zum Hygienestatus in Zahnarztpraxen, die seit 2003 durchgeführt
wurden, ist eine durchgreifende Verbesserung sowohl im Hygieneverhalten als auch in
der Ausstattung mit Hygienetechnik feststellbar (Bachfeld 2009; Handrup 2011; Kramer
et al. 2008b; Meyer et al. 2010). Diese positive Entwicklung dürfte maßgeblich auf
die Empfehlungen der KRINKO und die Initiativen der Zahnärztekammern zur Umsetzung
dieser Empfehlungen zurückzuführen sein. Trotzdem besteht in bestimmten Bereichen
noch Optimierungspotenzial (Kramer und Ryll 2010).
5.24.1
Infektionsgefahren und Übertragungswege
Hygienemaßnahmen sind bei der vertragszahnärztlichen Versorgung ein unerlässlicher
Bestandteil des einrichtungsinternen QMs zum Schutz von Patienten und Mitarbeitern
(Richtlinie des GBA 2006).
Infektionsgefahren: In ZahnarztpraxisInfektionsgefahrender Zahnmedizin bestehen Infektionsgefahren
durch den Kontakt des Behandlungsteams und der Instrumente mit der Mundhöhlenflora
des ZahnarztpraxisAerosolbildungPatienten, durch die Verletzung der Schleimhautbarriere,
durch direkten Kontakt mit Blut sowie durch aufwendig zu dekontaminierende zahnärztliche
MP.
Außerdem kommt es während der Behandlung zur Aerosolbildung mit Verwirbelung der Mikroflora
des Patienten mit der Atemluft des Praxisteams und dem Sprühnebel der gekühlten Übertragungsinstrumente
(Barben, Kuehni und Schmid 2009, Cristina et al. 2009). Diese Aerosolwolke breitet
sich konzentriert etwa 80 cm vor und seitlich vom Patienten und mit einer Reichweite
von bis zu 1,5 m aus (Hilger 1998). Zur Aerosolbildung kommt es auch bei Verwendung
von Pulver-Wasserstrahl- und Ultraschallgeräten zur Zahnsteinentfernung. Die im Aerosol
befindlichen Mikroorganismen können abhängig von der Partikel- oder Tröpfchengröße
bis zu mehreren Stunden in der Raumluft schweben (Blachere et al. 2009; Yang, Elankumaran
und Marr 2011). Durch Absaugtechnik lässt sich die Erregerbelastung deutlich reduzieren
(Hilger 2007). Durch das Aerosol, aber auch durch direkten Kontakt, können patientennahe
Flächen kontaminiert werden, sodass bei nicht durchgeführter Desinfektion von hier
aus eine Weiterverbreitung möglich ist. Als Infektionsquellen kommen auch der Zahnarzt
und sein Team in Betracht.
Übertragungswege: Von Bedeutung ZahnarztpraxisÜbertragungswegesind
•
die direkte Übertragung Patient/Personal und Personal/Patient via Blut, Speichel u.
a. potenziell infektiöse Sekrete und
•
die indirekte Übertragung z. B. über kontaminierte MP, Abformmaterialien, herausnehmbare
zahnmedizinische Versorgungen bzw. Werkstücke, Aerosolbildung von kontaminiertem Wasser
aus der Dentaleinheit (Kumar et al. 2010), Abfälle und Kontaktflächen.
Zu den durch Blut übertragbaren Erregern gehören vor allem HBV, HCV und HIV (Younai
et al. 2010). Überwiegend durch direkten und indirekten Kontakt werden z. B. HSV,
Staphylokokken, Streptokokken, M. tuberculosis, Pseudomonaden, Legionellen und respiratorische
Viren übertragen (Cleveland, Robison und Panlilio 2009; Feller et al. 2009; Heim 2003).
Selbstverständlich können auch MRE in der Mundhöhle auftreten, z. B. MRSA, VRE, multiresistente
Streptokokken sowie unter den 3MRGN und 4MRGN vor allem P. aeruginosa, aber auch Klebsiella
spp., E. coli, Proteus spp. und Serratia spp.
Die Gefährdungsanalyse der Kontaminationsquellen ist schwierig, weil kaum diesbezügliche
epidemiologische Studien vorliegen (Podbielski 2007) und sich der Nachweis hygienisch
richtigen Verhaltens im Vergleich zu hygienisch falschem Verhalten aus ethischen Gründen
verbietet. Hinzu kommt der zeitliche Abstand zwischen Kontamination und ggf. nachfolgender
Infektion. Schließlich kann nicht mit vertretbarem Aufwand überprüft werden, ob Patienten
in der Zahnarztpraxis z. B. MRE akquiriert haben. Deshalb beruhen die nachfolgenden
Empfehlungen auf deren Nutzen-Risiko-Bewertung und auf Analogieschlüssen zu in anderen
Bereichen sich als effektiv erwiesenen Maßnahmen.
5.24.2
Infektionspräventive Maßnahmen
Multibarrierenstrategie
Unter MultibarrierenstrategieZahnarztpraxisMultibarrierenstrategie
Multibarrierenstrategie
ZahnarztpraxisInfektionsprävention wird die Zusammenführung der infektionspräventiven
Maßnahmen zu einer aufeinander abgestimmten Strategie verstanden. Die erforderlichen
Standards sollten in SOPs, die im Team erarbeitet und abgestimmt werden, festgeschrieben
werden. Nur so kann durch die gemeinsame Analyse eine Identifikation aller Beteiligten
erreicht werden. Dabei ist die Fehleranalyse nur ein Teilaspekt.
Anamnese zu Infektionsrisiken
Durch gezielte, regelmäßig aktualisierte Anamnese können Infektionsrisiken vor der
zahnärztlichen Behandlung erfasst und daraus für den Infektionsschutz relevante Maßnahmen
abgeleitet werden. Erfragt werden vor allem:
•
Infektiöser Status, z. B. MRE, Virushepatitis, HIV, Tbc, sonstige Infektionskrankheiten,
gastrointestinale Beschwerden
•
Aktuelle Erkrankungen, z. B. Exantheme (Masern, Röteln, Ringelröteln), Ikterus, chronischer
Husten, Nachtschweiß (Hinweis auf Tbc, Legionärskrankheit, Pertussis)
•
Medikamenteneinnahme einschließlich Schmerz- und Schlafmitteln (Unverträglichkeit
kann ein Hinweis auf eine Hepatitis sein)
•
Intoleranzen und Allergien (z. B. Alkohol, Latex, Antibiotika, CHX)
•
Ulzera und Erosionen/Beläge in Mundhöhle und Vestibulum nasi (Candida, HSV, A-Streptokokken,
Haarzunge, Diphtherie, HPV, VZV)
•
Abklärung des CJD-Risikos
•
Vor Kurzem durchgeführte Piercings und Tätowierungen
•
Immunsuppression, Versorgung mit Endoprothesen (Kap. 4.9), Endokarditisrisiko
Patienten, deren Anamnese auf ein erhöhtes Kolonisations- bzw. Infektionsrisiko für
Personal und andere Patienten schließen lässt, sollten – abgesehen von Notfällen –
so einbestellt werden, dass die patientennahe Flächendesinfektion und ggf. die Aufbereitung
von MP unmittelbar im Anschluss an die Behandlung erfolgen kann, ohne den organisatorischen
Ablauf der Praxis zu stören.
Das ZahnarztpraxisMRE
Multiresistente ErregerZahnarztpraxisneue IfSG schreibt verpflichtend vor, dass der
Trägerstatus eines Patienten mit kritischen Pathogenen und insbesondere mit MRE einschließlich
Handlungsempfehlungen in sog. Überleitungsbögen dokumentiert wird. Dadurch wird die
Information über infektiöse Risiken in wünschenswerter Weise verbessert, da ein Screening
auf MRE in zahnärztlichen Praxen weder realisierbar noch bei Einhaltung des Multibarrierensystems
der Basishygiene erforderlich ist.
Für die Effektivität des Multibarrierensystems spricht u. a., dass die nasopharyngeale
MSSA Besiedlung mit etwa 30 % bei in der Zahnarztpraxis Tätigen nicht höher ist als
in der Gesamtbevölkerung und die bisher durch MRSA anerkannten Berufskrankheiten (BK)
in keinem Fall in einer zahnärztlichen Praxis erworben wurden. Selbst bei der ungeschützten
Pflege stationär versorgter MRSA-Patienten besteht nur ein geringes Übertragungsrisiko
von MRSA auf das Personal (Tübbicke et al. 2012), d. h. die Empfänglichkeit gesunder
Personen ist offenbar gering. Da bisher auch keine anderen MRE in Zahnarztpraxen BK
verursacht haben, ist auch hier von einer geringen Übertragungswahrscheinlichkeit
auf das Praxisteam auszugehen.
Jeder Patient soll so behandelt werden, als wäre er infektiös, weil Infektionsrisiken
trotz sorgfältiger Anamnese unerkannt bleiben können.
Grundsätzlich bieten die Maßnahmen der Basishygiene und des Arbeitsschutzes ausreichenden
Schutz für Personal und Patienten. Elektive zahnärztliche Behandlungen von Patienten,
die sich in der akuten Phase einer Infektionskrankheit, z. B. Masern, Keratoconjunctivitis
epidemica, befinden, sollten verschoben werden. Die Behandlung von Patienten mit hochkontagiösen
lebensbedrohlichen Krankheitserregern oder mit CJD/vCJD sollte spezialisierten Zentren
vorbehalten bleiben (Heudorf et al. 2006).
Mundhöhlenantiseptik
Wirkung: Durch die SchleimhautantiseptikMundhöhlenantiseptik
ZahnarztpraxisMundhöhlenantiseptik
•
wird die Mikroflora im Speichel und auf der Schleimhaut um etwa 1,5–2,5 log10 reduziert
(Assadian und Kramer 2008; Pitten, Splieth und Kramer 2000),
•
sinkt die Anzahl von Mikroorganismen in dentalen Aerosolen (Fine et al. 1993) und
•
wird die behandlungsassoziierten Bakteriämie bei Sulkusspülung verringert (Fine et
al. 1996; MacFarlane, Ferguson und Mulgrew 1984; Rahn et al. 1994; Scopp und Orvieto
1971; Yamalik, Yucetas und Abbasoglu 1992). Allerdings wird die klinische Bedeutung
der Bakteriämie kontrovers diskutiert (Pitten, Rosin und Kramer 2001).
Für die MundhöhlenantiseptikIndikationenAbleitung von Indikationsempfehlungen zur
Mundhöhlenantiseptik reicht die Studienlage nicht aus. Das betrifft Auswirkungen auf
die Infektionsrate post extractionem ebenso wie nach chirurgischen Eingriffen in der
Mundhöhle z. B. vor Tumorresektion. Beschrieben ist die Reduktion postoperativer Komplikationen
insbesondere in Form von Wundheilungsstörungen bei Anwendung von PVP-Iod (Redleaf
und Bauer 1994) und von Listerine® (Zambon et al. 1989).
Obwohl SSI in der Mundhöhle selten auftreten, wird vor elektiven zahnärztlich- bzw.
oralchirurgischen Eingriffen, bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen mit nachfolgendem
speicheldichtem Wundverschluss und bei Patienten mit erhöhter Infektionsanfälligkeit
eine professionelle Zahnreinigung mit Sanierung kariöser Läsionen, Gingivitis und
parodontaler Taschen sowie direkt vor dem Eingriff eine Schleimhautantiseptik unter
spezieller Berücksichtigung des Sulcus gingivae empfohlen (Assadian und Kramer 2008;
DAHZ 2014; KRINKO 2006). Vor intraoraler Injektion ist aus den gleichen präventiven
Überlegungen wie bei der Hautantiseptik eine Antiseptik im Injektionsbereich mit einem
Schleimhautantiseptikum bzw. Oberflächenanästhetikum mit nachgewiesener antiseptischer
Wirksamkeit (Kramer et al. 1994) als indiziert anzusehen (Pitten, Rosin und Kramer
2001).
Auch bei Patienten mit anamnestisch gesichertem Endokarditisrisiko empfiehlt sich
vor zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen eine PAP mit präoperativer Mundhöhlenantiseptik
zu kombinieren, da die Antibiotikagabe keinen vollständigen Schutz vor Bakteriämien
bietet und nicht alle Spezies erfasst (American Dental Association 1991; Bender und
Barkan 1989; Pitten, Rosin und Kramer 2001).
Die Schleimhautantiseptik ersetzt nicht die indizierte PAP (DAHZ 2014; Naber et al.
2007; Nkenke 2007).
Eine Übersicht über Wirkstoffe und Präparate gibt das Dental Vademekum (2009). Bevorzugt
werden in der Mundhöhle CHX, OCT und etherische Öle eingesetzt (Kap. 2.2.5). Da CHXMundhöhlenantiseptikChlorhexidin
ChlorhexidinMundhöhlenantiseptik und OCTMundhöhlenantiseptikOctenidin
Octenidin in ihrer antiseptischen und Plaque hemmenden Wirksamkeit gleichwertig sind
(Welk et al. in rev.), CHX aus toxikologischer Sicht jedoch Nachteile gegenüber OCT
aufweist (Kap. 2.2.5), ist CHX nur noch zur Therapie der Gingivitis zu empfehlen,
da die Eignung von OCT für diese Indikation bisher nicht untersucht ist.
Antibiotikaprophylaxe
Die PAP wird unabhängig vom zu erwartenden Ausmaß der Bakteriämie als indiziert angesehen
(Naber et al. 2007, Nkenke 2007; Kap. 2.10.6):
•
in der zahnärztlichen Implantologie,
•
bei Augmentationen,
•
bei der orthognathen Chirurgie und
•
bei Patienten mit stark erhöhtem oder erhöhtem Risiko für eine infektiöse Endokarditis
bzw. mit hohem Risiko für einen lebensbedrohlichen Verlauf vor dentalen Risikoeingriffen.
Bei Schrittmacher- oder AICD-Trägern, nach aortokoronarem Bypass und bei isoliertem
Vorhofseptumdefekt wird die Prophylaxe nicht mehr empfohlen (Naber et al. 2007).
Ein hohes Bakteriämierisiko besteht Antibiotikaprophylaxe, perioperativeZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisAntibiotikaprophylaxe, perioperative
ZahnarztpraxisBakteriämierisikobei Manipulationen an der Gingiva und der periapikalen
Zahnregion, bei Perforation der oralen Mukosa, Wurzelspitzenresektion, intraligamentärer
Anästhesie, Zahnentfernung oder Hemisektion, parodontaler Intervention inkl. Parodontalchirurgie,
subgingivaler Antibiotikaeinlage, Sondierung, Scaling und Wurzelglättung, Implantation,
Reimplantation eines ausgeschlagenen Zahns, Wurzelkanalbehandlung und professioneller
Zahnreinigung von Zähnen und Implantaten, die mit Blutung verbunden sind.
Ein niedriges Bakteriämierisiko besteht bei prothetischen Maßnahmen, Infiltrations-
und Leitungsanästhesie, Präparation für Stiftaufbauten, Anlegen von Kofferdam, Entfernung
von Nahtmaterial, Platzierung kieferorthopädischer Bänder (nicht Brackets), Eingliederung
und Anpassung herausnehmbarer kieferorthopädischer Hilfsmittel, Abdrucknahme, Fluoridierung
und Anfertigung von Röntgenbildern.
Ein stark erhöhtes Endokarditisrisiko ist gegeben bei Zustand nach prothetischem Herzklappenersatz
und bakterieller Endokarditis, kongenital-zyanotischem Herzfehler sowie Gefäßendoprothesen
im Bereich der Aorta und pulmonalen Gefäße.
Ein erhöhtes Endokarditisrisiko besteht bei angeborenem und erworbenem Herzklappenfehler,
sonstigen kardialen Fehlbildungen, hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie und Mitralklappenprolaps
bzw. myxomatös veränderter Mitralklappe mit Mitralinsuffizienz.
Zur Prophylaxe bei Endokarditisrisiko wird einmalig bzw. bei stark erhöhtem Risiko
ein 2. Mal 6 h postoperativ ein vorzugsweise Streptokokken der Viridansgruppe erfassendes
Antibiotikum (Amoxicillin bzw. bei Penicillinallergie Clindamycin) verabreicht.
Die Infektion eines künstlichen Gelenks durch Zahnbehandlung oder Zahnentzündung tritt
äußerst selten auf, sodass das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Antibiotikaprophylaxe
(Nawrath, Walther und Robra 2009) bei zahnärztlichen Behandlungen nicht eindeutig
identifiziert werden konnte. Daher wird bei diesen Patienten eine PAP nicht als indiziert
angesehen (Berbari et al. 2010). Trotzdem empfehlen Bundeszahnärztekammer und DAHZ
(2011) bei Patienten mit Hüftgelenktotalendoprothesen (Hüft-TEP) nach Rücksprache
mit dem behandelnden Arzt z. B. in der ersten Phase nach Implantation der Endoprothese,
bei vorausgegangener Infektion eines künstlichen Gelenks oder gelockerter TEP sowie
bei bestimmten Allgemeinerkrankungen wie rheumatoider Arthritis, Immunsuppression,
Diabetes mellitus, HIV-Infektion, Malignomen und Hämophilie 30–60 min vor invasiven
Eingriffen in der Mundhöhle, die mit erhöhter Bakteriämie verbunden sind, eine Antibiotikaprophylaxe.
Da es sich bei dieser Empfehlung um die offizielle Stellungnahme der zuständigen Körperschaft
handelt, kann bei Nichtbefolgung der Empfehlung im Fall der nachfolgenden Infektion
des Implantats ein Haftungsanspruch geltend gemacht werden, solange die Sachlage nicht
eindeutig geklärt ist.
Grundsatz der Nonkontamination und Händehygiene
Nonkontamination: Bei der Behandlung soll die Kontaminationsgefahr durch gezieltes
VerhaltenNonkontamination, Zahnarztpraxis
ZahnarztpraxisNonkontamination reduziert werden. Dazu gehören das Tragen von Handschuhen,
MNS, Schutzbrille und ggf. einer Kopfbedeckung sowie ggf. eines Schutzes über der
Berufskleidung. Weitere erforderliche Barrieremaßnahmen sind z. B.
•
die Verwendung von Kofferdam,
•
die Verwendung von Instrumenten bei intraoralen Tätigkeiten anstelle der Hände,
•
der Schutz von Instrumenten durch abgedeckte Lagerung oder in Behältnissen/Schränken,
•
die Abdeckung nicht benötigter oder schwierig desinfizierbarer Flächen,
•
die räumliche Trennung der direkten zahnärztlichen Behandlung von anderen Arbeitsbereichen,
•
eine effektive Absaugtechnik und
•
die unfallsichere Entsorgung von Abfall.
BerufskleidungBerufskleidungZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisBerufskleidung sollte kurzärmlig sein, damit der Unterarm in die Händedesinfektion
einbezogen werden kann. Sie muss bei sichtbarer Verschmutzung sofort, mindestens aber
jeden zweiten Tag gewechselt werden.
Händehygiene: Die HändehygieneZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisHändehygieneHändehygiene gehört zu den wichtigsten Maßnahmen der Infektionsprävention
(Kap. 2.1). Für die Händewaschung sind verträgliche flüssige Hautreinigungsmittel
auszuwählen. Hautschutz und -pflege sind im Hautschutzplan festzulegen, der als Bestandteil
des Hygieneplans geführt werden kann. Wasserhähne müssen ohne Handberührung bedienbar
sein. Zur Händetrocknung sind ausschließlich Handtücher (Textil oder Papier) zum Einmalgebrauch
zu verwenden.
Die Hände werden vor Arbeitsbeginn, bei Verschmutzung, nach Toilettenbenutzung, vor
Essenpausen und bei Arbeitsende gewaschen. Die hygienische Händedesinfektion ist vor
jeder Behandlung, vor aseptischen Tätigkeiten, bei Handschuhwechsel bzw. Ablegen von
Handschuhen, nach Behandlungsende und nach Kontakt mit potenziell infektiösen Materialien
bzw. Flächen/Gegenständen erforderlich.
Vor zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen wird eine chirurgische Händedesinfektion
durchgeführt.
Personalschutz
Schutzhandschuhe sind indiziertSchutzhandschuheZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisSchutzhandschuhe
PersonalschutzZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisPersonalschutz, wenn die Möglichkeit des Kontakts mit Körperflüssigkeiten
besteht, d. h. für die Patientenbehandlung, oder bei Kontaminationsrisiko, z. B. zur
Aufbereitung kontaminierter MP. Als Schutz vor Kontamination müssen bei jeder zahnärztlichen
Behandlung generell nichtsterile medizinische Schutzhandschuhe getragen werden. Diese
sind nach jedem Patienten zu wechseln, ebenso beim Wechseln der Tätigkeit oder beim
Verlassen des Behandlungszimmers. Ist sicher davon auszugehen, dass die Integrität
des Handschuhs erhalten geblieben ist, kann bei Weiterbehandlung desselben Patienten
unter der Voraussetzung der Durchführung der Desinfektion der behandschuhten Hand
mit einem viruziden Händedesinfektionsmittel und nachgewiesener Desinfizierbarkeit
des Handschuhtyps auf den Wechsel verzichtet werden (Pitten und Kramer 2001). Ferner
sind Handschuhe zu tragen, wenn mit Körperflüssigkeiten oder Sekreten kontaminierte
Oberflächen berührt werden.
Schutzhandschuhe können bei Vorliegen blutübertragbarer Infektionskrankheiten des
Zahnarztes (HBV, HCV, HIV) auch zum Patientenschutz beitragen. Gesichert ist die Übertragung
von HIV bei der Behandlung auf mindestens 5 Patienten. Bei allen Betroffenen wurden
blutige Eingriffe vorgenommen. Zur vermuteten Zeit der Übertragung hatte der Zahnarzt
Hautläsionen an den Händen (Bel und Curran 1992; CDC 1991).
Bei Reinigungs- und Desinfektionsarbeiten müssen Schutzhandschuhe getragen werden,
die gegenüber den verwendeten Reinigungs-bzw. Desinfektionsmitteln beständig sind.
Für zahnärztlich-chirurgische Eingriffe mit nachfolgendem speicheldichtem Wundverschluss
sind sterile Handschuhe zu tragen. Für die Zahnextraktion ist kein Unterschied in
der SSI-Rate in Abhängigkeit davon belegt, ob nichtsterile oder sterile Handschuhe
getragen wurden (Cheung et al. 2001). Da die Materialqualität steriler Handschuhe
oft besser ist (z. B. geringeres Perforationsrisiko), kann ihre Verwendung das Übertragungsrisiko
von Mikroorganismen der Hände ins Wundgebiet und ebenso eine Kontamination der Haut
der Behandler mit Blut oder Körperflüssigkeiten des Patienten minimieren.
Mund-Nasen-Schutz: Der MNS (mehrlagig, nach DIN EN 149) ist Mund-Nasen-SchutzZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisMund-Nasen-Schutzein MP, das die Übertragung von Tröpfchen von der Mund-
und Nasenschleimhaut des Personals auf die Patienten (und umgekehrt) wirkungsvoll
verhindern kann. Zudem werden Mund und Nase des Personals durch den MNS vor (unbewussten)
Berührungen mit kontaminierten Hände/Handschuhen geschützt. Der MNS sollte der Nase
z. B. durch Metallstreifen anformbar sein und so angelegt werden, dass er an den Rändern
der Haut dicht anliegt. Einmal vom Gesicht abgezogen, wird er verworfen.
Ein Herunter- und wieder Hochstreifen des MNS unterläuft jede Schutzwirkung, die der
MNS vor dieser Aktion hatte.
Augenschutz: Das AugenschutzZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisAugenschutzTragen einer Schutzbrille schützt die Augen vor direkter
Kontamination, was z. B. für Herpes- und Adenoviren sowie MRE mit der Fähigkeit zur
nachfolgenden Besiedlung des Auges (z. B. MRSA, Pseudomonas spp.) besonders relevant
ist, aber auch vor Augenverletzungen z. B. durch hochtourig entfernte Restaurationen
und Füllungen. Der Augenschutz soll die Augen auch seitlich abdecken. Er ist nach
sichtbarer Kontamination und zumindest täglich zu reinigen und zu desinfizieren.
Schutzkleidung: Wenn die SchutzkleidungZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisSchutzkleidungBerufsbekleidung bei der Behandlung kontaminiert werden
kann, muss über der Berufskleidung eine zumindest die Körpervorderseite bedeckende
Schutzkleidung getragen werden. Bei umfangreichen chirurgischen Behandlungen sind
ein steriler langärmliger Schutzkittel, ein dicht sitzender MNS und eine das Kopfhaar
umschließende Kopfbedeckung anzulegen. Der Patient soll zum Schutz seiner Bekleidung
vor Verschmutzung und Kontamination einen Patientenumhang tragen. Geeignet sind Einmalumhänge
(DAHZ 2014). Die Freizeitbekleidung des Personals darf in der Umkleide nicht zusammen
mit der Berufsbekleidung gelagert werden, um einen Erregertransfer zu verhindern.
Sofern bei der Behandlung ein Infektionsschutz erforderlich ist, muss über die Berufskleidung
ein frischer langärmliger Schutzkittel angelegt werden. Das kann bei der Behandlung
immunsupprimierter Patienten, bei bekannter Infektion oder Kolonisation des Patienten
mit MRE und anderen Problemerregern oder bei erwarteter massiver Kontamination relevant
werden. Bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen sollte stets von einer Kolonisation
ausgegangen werden. Im letzteren Fall genügt ein die Körpervorderseite bedeckender
Schutz.
Bei einem bekannten MRE-Träger sind ergänzend zur Basishygiene folgende Maßnahmen
zu empfehlen:
•
Anlegen von Schutzkittel, Gesichtsschild und OP-Mütze
•
Durchführen einer antiseptischen Mundspülung vor Behandlungsbeginn
•
Einbestellen des Patienten möglichst zum Abschluss des Behandlungstags, um eine Flächendesinfektion
in etwa 2 m Umkreis organisatorisch zu gewährleisten
Impfprophylaxe: Die SchutzimpfungenZahnarztpraxis
ImpfprophylaxeZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisImpfprophylaxeMitarbeiter sind insbesondere bei Neueinstellung über
die für sie infrage kommenden Impfungen aufzuklären und bestätigen die Aufklärung
sowie ihr Einverständnis mit bzw. ggf. ihre Ablehnung der jeweiligen Impfung durch
Unterschrift (Kap. 2.12.1). Alle Angehörigen der Zahnarztpraxis sollten die Impfungen
nach den Empfehlungen der STIKO (2014) sowie gemäß § 15(4) BioStoffV (2013) und §
3(1) ArbSchG (2013) in Anspruch nehmen. Das betrifft nicht nur die impfpräventablen
Kinderkrankheiten, Tetanus, Diphtherie und Poliomyelitis, sondern gilt auch für die
jährliche Grippeschutzimpfung. Hierdurch konnten Erkrankungsfälle durch H1N1 trotz
höherer Viruslast in Rachenabstrichen durch den Kontakt mit Patienten signifikant
herabgesetzt werden (Chu et al. 2012). Durch die Verlagerung der Pertussis aufgrund
fehlenden Impfschutzes in das Erwachsenenalter steigt die Gefährdung für Ungeimpfte,
sodass seit 2007 wiederholt Übertragungen bei medizinischem Personal beobachtet wurden
(Daskalaki et al. 2007; Wicker und Rose 2010; Zivna et al. 2007). Der Erfolg der Grundimmunisierung
gegen Hepatitis B ist regelmäßig zu überprüfen.
Arbeitsmedizinische Vorsorge: Bei Vorsorge, arbeitsmedizinischeZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisVorsorge, arbeitsmedizinischeAufnahme der beruflichen Tätigkeit in einer
Zahnarztpraxis, in regelmäßigen Abständen und am Ende der Tätigkeit ist eine arbeitsmedizinische
Vorsorge durchzuführen (ArbMedVV 2013) (Kap. 5.29.3). Die Nachfolgeuntersuchungen
haben gemäß Jugendschutzgesetz bei unter 17-Jährigen jährlich, in allen anderen Fällen
alle drei Jahre zu erfolgen (Zahnärztekammer Berlin).
Gemäß Mutterschutzgesetz dürfen werdende oder stillende Mütter nicht mit Arbeiten
beschäftigt werden, bei denen sie Gesundheits- oder erhöhten Unfallgefahren ausgesetzt
sind (Kap. 5.29).
Beschäftigungsbeschränkungen: Da Übertragungen BeschäftigungsbeschränkungenZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisBeschäftigungsbeschränkungenvon HBV und in sehr seltenen Fällen von
HCV und HIV durch im Gesundheitswesen Beschäftigte auf Patienten dokumentiert sind,
ist bei HBV-, HCV- und HIV-Infizierten zu prüfen, ob übertragungsträchtige Tätigkeiten
weiter ausgeübt werden dürfen (Gerlich 2007; KRINKO 2006; Rabenau et al. 2012; Williams
2009).
Vor der Entscheidung, ob ein Virusträger Einschränkungen seiner beruflichen Tätigkeit
hinnehmen muss, sollte ein Expertengremium gehört werden. Verfahrensvorschläge finden
sich in den Empfehlungen der DVV (Gerlich 2007; Rabenau et al. 2012). Zum Schutz der
Patienten und ihres Umfelds sind bei Patienten, die von Virusträgern behandelt wurden,
ggf. Untersuchungen zur Rückverfolgung zu veranlassen (KRINKO 2006).
Akut erkrankte Zahnärzte und Teammitglieder sollen keine Patienten behandeln. Ausnahmen
sind – nach Abwägung der Umstände – Infektionen, bei denen der Betreffende arbeitsfähig
ist und durch Schutzmaßnahmen das Übertragungsrisiko minimiert werden kann (KRINKO
2006).
Informationen zu den wichtigsten Infektionskrankheiten enthalten die Ratgeber/Merkblätter
des RKI. Auch Gesundheitsämter geben Auskunft. Die Beurteilung, ob die Beschäftigung
im Rahmen der bisherigen Tätigkeit auch während einer Erkrankung weiterhin möglich
ist oder ggf. Beschäftigungsbeschränkungen einzuhalten sind, obliegt im Zweifelsfall
dem behandelnden Arzt oder Betriebsarzt.
Gemäß § 31 IfSG kann die zuständige Behörde die Berufsausübung ganz oder teilweise
untersagen, wenn die Gefahr der Weiterverbreitung von Infektionserregern besteht.
Sofortmaßnahmen nach akzidenteller Kontamination und Postexpositionsprophylaxe: Bei
einer Stich- oder SchnittverletzungPostexpositionsprophylaxeZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisPostexpositionsprophylaxe ist der Blutfluss anzuregen, um mit dem Blut
ggf. infektiöses Material abzutransportieren. Danach ist die Verletzung mit einem
mit Antiseptikum getränkten Tupfer abzudecken, der fortlaufend für mindestens 10 min
benetzt wird. Anschließend müssen Schnittwunden offen bleiben und mit einer mit Antiseptikum
getränkten Wundauflage versorgt werden. Mittel der Wahl ist Betaseptic®, eine Kombination
von PVP-Iod und Ethanol/Propan-2-ol, weil die Wirkstoffe durch die Haut permeieren,
wodurch auch in die Tiefe gelangte Erreger noch erfasst werden können (DAIG 2008).
Abhängig von der Art der Verletzung erfolgt die weitere Versorgung durch einen für
die Behandlung berufsbedingter Verletzungen zugelassenen Durchgangsarzt (D-Arzt).
Dieser entscheidet gemeinsam mit dem Patienten über Maßnahmen zur Postexpositionsprophylaxe
(DAHZ 2014). Führt eine Verletzung in der Zahnarztpraxis zur Arbeitsunfähigkeit von
mehr als 3 d, ist die Berufsgenossenschaft in Kenntnis zu setzen. Das Unfallgeschehen
ist zu dokumentieren (Kap. 5.29.4).
Klare Arbeitsabläufe und umsichtiges Arbeiten tragen zur Vermeidung von Verletzungen
bei.
Aufbereitung von Medizinprodukten
Gesetzliche Vorgaben
Die MedizinprodukteaufbereitungZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisMedizinprodukteaufbereitungAufbereitung von MP gilt als voll beherrschbares
Risiko. Für die korrekte Aufbereitung ist der Betreiber verantwortlich. Er muss das
QM mit Festlegung aller Aufbereitungsschritte, der Verantwortlichkeit und der Dokumentation
definieren. Verantwortlich für den Infektionsschutz ist eine Person mit zahnärztlicher
Approbation, auch wenn einzelne Hygienemaßnahmen an Mitarbeiter delegiert werden können
(KRINKO 2006).
Eine ordnungsgemäße Aufbereitung wird vermutet, wenn die KRINKO-BfArM-Empfehlung (KRINKO
2012) zu den Anforderungen an die Hygiene bei der MP-Aufbereitung beachtet wird. Der
Praxisinhaber muss die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Aufbereitung
einschließlich Instandhaltung und Freigabe der aufbereiteten MP unter Berücksichtigung
der Mitarbeiterqualifikation namentlich festlegen. Mit der Aufbereitung dürfen nur
Mitarbeiter betraut werden, die aufgrund ihrer Ausbildung und Tätigkeit über die notwendige
Sachkenntnis verfügen. Das ist im Allgemeinen bei zahnmedizinischen Fachangestellten
(ZFA), Zahnarzthelferinnen und stomatologischem Pflegepersonal der Fall. Die in §
4 MPBetreibV (2014) geforderte Sachkenntnis muss durch kontinuierliche Fortbildung
untermauert sein.
Mitarbeiter ohne abgeschlossene Ausbildung zur ZFA, Zahnarzthelferin oder stomatologischer
Pflegefachkraft dürfen nicht mit der Aufbereitung und Freigabe von MP ab kritisch
B betraut werden (KRINKO 2006), sofern die Sachkunde nicht in geeigneter Form, z.
B. durch den Erwerb der Sach-kunde zur Aufbereitung von MP in der zahnärztlichen Praxis,
nachgewiesen werden kann.
Das für die Aufbereitung ausgewählte Personal muss vom Praxisinhaber in seinen Verantwortungsbereich
eingewiesen werden. Es ist zu beachten, dass veränderte Arbeitsbedingungen, neue Verfahren
und wissenschaftliche Erkenntnisse sowie die Einführung neuer MP die ständige Anpassung
der Kenntnisse und Fähigkeiten des Personals erforderlich machen. Alle Unterweisungen
sind schriftlich zu dokumentieren.
Einstufung und Aufbereitung entsprechend der Einstufung
Für die Einstufung der MP (Tab. 5.43
) in unkritische, semikritische und kritische MP, die Festlegung der Art und die Durchführung
der Aufbereitung ist der Betreiber unter Berücksichtigung der Herstellerangaben verantwortlich
(Kap. 2.9). Sie richtet sich nach der mit dem MP durchzuführenden Behandlung. Besteht
die Gefahr, dass die Schleimhautbarriere verletzt wird, soll die Einstufung in kritisch
A bzw. B erfolgen. Bei Zweifeln an der Einstufung ist das MP der höheren, kritischeren
Risikostufe zuzuordnen (DAHZ 2014). Zur differenzierten Bewertung zahnärztlicher MP-Gruppen
mit Hinweisen zur Aufbereitung siehe DAHZ (2014).
Tab. 5.43
Einstufung und Aufbereitung von MP in der Zahnarztpraxis
Einstufung
Beschreibung
Reinigung/Desinfektion
Aufbereitungsverfahren
Unkritisch
Kontakt nur mit intakter Haut (z. B. Messinstrumente, äußere Teile des Gesichtsbogens,
Kofferdamzange und dergleichen)
Ja, keine Vorreinigung erforderlich
Manuell nach SOP möglich; empfohlen: maschinell – thermisch (RDG)
Semikritisch A
MP im Kontakt mit Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut für nichtinvasive, allgemeine,
präventive, restaurative oder kieferorthopädische Maßnahmen
Ja, Vorreinigung optional
Manuell nach SOP möglich; empfohlen: validiertes Verfahren maschinell – thermisch
(RDG)
Semikritisch B
Rotierende oder oszillierende MP und deren Übertragungsinstrumente mit Kontakt zu
Schleimhaut oder krankhaft veränderter Haut für nichtinvasive, allgemeine, präventive,
restaurative oder kieferorthopädische Maßnahmen
Ja, Vorreinigung unmittelbar nach Anwendung
Manuell nach SOP möglich, abschließend Dampfdesinfektion erforderlich (unverpackt
im Dampfsterilisator); empfohlen: validiertes Verfahren maschinell – thermisch (RDG)
Kritisch A
MP für invasive, die Haut oder Schleimhaut durchdringende chirurgische, parodontologische
oder endodontische Maßnahmen
Ja, Vorreinigung optional
Manuell nach SOP möglich; empfohlen: validiertes Verfahren maschinell – thermisch
(RDG), anschließend Dampfsterilisation im verpackten Zustand (Sterilisationszyklus
N ausreichend)
Kritisch B
Rotierende oder oszillierende MP und deren Übertragungsinstrumente, für die Haut oder
Schleimhaut durchdringende chirurgische, parodontologische oder endodontische Maßnahmen
Ja, Vorreinigung unmittelbar nach Anwendung
Manuell nach SOP möglich; empfohlen: validiertes Verfahren maschinell – thermisch
(RDG), anschließend Sterilisation im verpackten Zustand (Sterilisationszyklus B, falls
Sterilisationszyklus S, nur unter Berücksichtigung von Herstellerangaben möglich)
Kritisch C
Thermolabile MP, die nicht dampfsterilisierbar sind; werden i. d. R. nicht in der
Zahnarztpraxis eingesetzt
Ja, Vorreinigung unmittelbar nach Anwendung
Aufbereitung nur in Einrichtungen mit extern zertifiziertem QM nach DIN EN ISO 13485
(nach KRINKO 2006)
Manuelle Aufbereitung: Zur ReinigungZahnarztpraxisMedizinprodukteaufbereitung, manuelle,
Desinfektion, Spülung und Trocknung von MP sind sowohl manuelle als auch maschinelle
Verfahren zugelassen. Bei manueller Aufbereitung müssen die Reinigung und die Desinfektion
nach einer SOP mit auf ihre Wirksamkeit geprüften, auf das MP abgestimmten Mitteln
und Verfahren durchgeführt werden. Die SOPs müssen die kritischen Verfahrensschritte
benennen; im Rahmen periodischer Prüfungen soll für diese die Wirksamkeit der Maßnahmen
belegt werden. Aus Gründen der besseren Standardisierbarkeit und des Arbeitsschutzes
sind validierte maschinelle Verfahren zu bevorzugen (BfArM 2012; KRINKO 2012a).
Sterilisationsgeräte und RDGs müssen validiert sein, und es ist ein Konzept für Routineprüfungen
zu erstellen.
Der für die Aufbereitung Verantwortliche muss unter Berücksichtigung der Angaben des
Herstellers schriftlich festlegen, mit welchen Verfahren (in allen Einzelschritten)
und unter welchen Bedingungen (z. B. Räume, Arbeitsmittel, Qualifikation des Personals)
seine MP aufbereitet und gelagert werden. Hinsichtlich der Aufbereitung von MP, die
bei an CJD oder vCJD Erkrankten oder Krankheitsverdächtigen angewandt wurden, sind
zusätzliche Anforderungen einzuhalten. Es ist wichtig, sich bereits vor der Anschaffung
eines MPs über den Aufbereitungsprozess zu informierten, um die Durchführbarkeit zu
gewährleisten. Leider sind nach wie vor unvollständige Angaben von Herstellern anzutreffen
(Azizi et al. 2012). Bei unvollständigen und/oder nicht plausiblen Angaben in der
Gebrauchsanweisung ist vom Hersteller eine Vervollständigung, Präzisierung und/oder
Korrektur der Angaben anzufordern. Sofern von den Herstellerangaben zur Aufbereitung
abgewichen wird, muss das begründet und dokumentiert werden.
Bei der Reinigung ist durch Auswahl der Reinigungsmittel bzw. durch die Verfahrensführung
sicherzustellen, dass es nicht zu einer Fixierung von Rückständen kommt. Aus diesem
Grund wird der Einsatz von Glutaral- und Peressigsäure zur Vorreinigung und Reinigung
nicht empfohlen (Kampf, Fliss und Martiny 2014). Eine alkalische Reinigung zeichnet
sich durch eine hohe Wirksamkeit aus, kann jedoch auch zu Materialveränderungen führen.
Dieser Aspekt sollte bei der Anschaffung von Instrumenten berücksichtigt werden.
SOP: Voraussetzung für die manuelle Aufbereitung ist die Festlegung der Aufbereitung
in einer SOP mit zugelassenen, auf das MP abgestimmten Mitteln und Verfahren unter
Einhaltung des Arbeitsschutzes. In dieser SOP zur manuellen Aufbereitung sind folgende
Teilschritte festzulegen (KRINKO 2006):
1.
Kontaminationsgeschützter Transport vom Behandlungs- zum Aufbereitungsbereich
2.
Entfernung grober organischer Verschmutzungen
3.
Auseinandernehmen zerlegbarer Instrumente unter Beachtung des Arbeitsschutzes
4.
Sofortiges blasenfreies Einlegen zunächst in Reinigungslösung oder reinigende Desinfektionslösung,
ggf. im Ultraschallbad, danach in nicht fixierende Desinfektionsmittellösung, die
das Instrument innen und außen vollständig benetzen und bedecken muss (Herstellerangaben
zur Materialverträglichkeit beachten), nach Ablauf der Einwirkzeit Schlussspülung
mit geeignetem Wasser (Kap. 6.6) und Trocknung
5.
Prüfung auf Sauberkeit und Unversehrtheit, Pflege, Instandsetzung, Funktionsprüfung
6.
Bei MP semikritisch B abschließende thermische Desinfektion im Dampfsterilisator und,
falls erforderlich, Kennzeichnung der Anzahl der Aufbereitungen
7.
Dokumentierte Freigabe zur Anwendung bzw. zur staubgeschützten Lagerung (keimarme
MP) oder Verpackung, Kennzeichnung und Sterilisation, Freigabe zur Anwendung bzw.
zur staubgeschützten Lagerung der verpackten MP (sterile MP).
Zwar wird die fehlende Lumenaufbereitung bei manueller Aufbereitung durch die abschließende
Dampfsterilisation im unverpackten Zustand kompensiert. Bezüglich der Prionensicherheit
ist aber die Aufbereitung im Kombinationsautoklaven mittels Reinigung mit lauwarmem
alkalisiertem strömendem Wasser und nachfolgender Dampfdesinfektion bzw. -sterilisation
oder im Thermodesinfektor die Methode der Wahl.
Maschinelle Aufbereitung:
•
Unkritische MP werden vorzugsweiseZahnarztpraxisMedizinprodukteaufbereitung, maschinelle
der maschinellen Reinigung und Desinfektion im RDG unterzogen. Möglich ist auch ein
manuelles Vorgehen nach SOP.
•
Semikritische MP werden vorzugsweise der maschinellen Reinigung und Desinfektion in
einem RDG unterzogen. Ist das nicht im validierten Verfahren möglich, hat daraufhin
eine thermische Behandlung (Desinfektion) im unverpackten Zustand im Dampfsterilisator
zu erfolgen.
•
MP kritisch A und B sind nach der Reinigung und Desinfektion im verpackten Zustand
im Dampfsterilisator zu sterilisieren. Als Verpackung kommen Dentalkassetten, Sterilisierbehälter,
Sterilisationspapier oder versiegelbare Klarsichtbeutel aus Kunststofffolie/Papier
in Betracht (DAHZ 2014).
Diese Vorgehensweisen treffen auch für die abnehmbaren Teile von Apparaturen zu. Die
Behandlungseinheit wird einer manuellen Reinigung und Wischdesinfektion unterzogen.
Sterilisatoren sind überwachungsbedürftige Anlagen im Sinne des Geräte- und Produktsicherheitsgesetzes
(2012) sowie der Druckgeräteverordnung (2011) und fallen unter die Europäische Richtlinie
97/23/EG über Druckgeräte (2003). Für ihr Betreiben gilt die Betriebssicherheitsverordnung
(2011). Der Betreiber und die von ihm beauftragten Bedienpersonen müssen die Druckgeräte
in ordnungsgemäßem Zustand erhalten, ordnungsgemäß betreiben und überwachen. Sie sind
verantwortlich für sachgemäße Wartung, Instandhaltung und Veranlassung der vorgeschrieben
Prüfungen.
Bei Neuanschaffung sind ZahnarztpraxisDampfsterilisation
DampfsterilisationZahnarztpraxisDampfsterilisatoren auszuwählen, die die sichere Innensterilisation
von Hohlkörpern gewährleisten und eine automatische Kontrolle und Dokumentation ermöglichen.
Dampf-Kleinsterilisatoren mit Sterilisationszyklus B erfüllen dieses Anforderungsprofil.
Bei Dampf-Kleinsterilisatoren mit Sterilisationszyklus S muss die schriftliche Bestätigung
des Herstellers über das erreichbare Leistungsspektrum eingeholt werden. Dampf-Kleinsterilisatoren
mit Sterilisationszyklus N sind nur für feste, massive MP in unverpacktem Zustand
geeignet (Kap. 2.8).
Um die Creutzfeldt-Jakob-KrankheitZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisCreutzfeldt-Jakob-KrankheitÜbertragung von vCJD bzw. CJD zu verhindern,
muss der Zahnarzt vor jedem elektiven Eingriff mit Wurzelbehandlung beurteilen, ob
ein Risiko für eine vCJD/CJD erkennbar ist (typische klinische Kriterien sind rasch
fortschreitende Demenz, kortikale Sehstörungen und Myoklonien) (Kap. 3.3). Bei Patienten,
bei denen klinisch ein Verdacht auf CJD/vCJD bzw. ein erhöhtes familiäres Risiko besteht,
kann eine Verschiebung des Eingriffs hilfreich für eine präzisere Risikoeinschätzung
sein. Sollte eine unaufschiebbare Notfallbehandlung eines solchen Patienten außerhalb
spezialisierter Einrichtungen erforderlich werden, sollten – sofern möglich – Einwegmaterialien
verwendet werden, die anschließend sicher entsorgt werden müssen. Alle anderen verwendeten
MP sind bis zur Klärung der Diagnose in entsprechend gekennzeichneten Behältern so
zu verpacken, dass keine Infektionsgefahr von ihnen ausgeht. Bei gesicherter Diagnose
sind auch diese MP einer Entsorgung gemäß AS 18 01 03 zuzuführen.
Sofern MP mit ZNS-Bestandteilen in Kontakt kommen (Wurzelkanalinstrumente, die keine
Einmalinstrumente sind), liegt der Schwerpunkt bei der Aufbereitung potenziell mit
Prionen belasteter Instrumente in der dem Sterilisationsprozess vorangehenden Aufbereitung,
bei der am Aufbereitungsgut anhaftende Eiweißreste möglichst weitgehend entfernt werden.
Für die Aufbereitung gelten folgende Prinzipien (Simon und Pauli 1998, Task Force
2002, Kap. 3.3.3):
•
Unmittelbar nach Gebrauch erfolgt eine nicht fixierende Vorspülung.
•
Am effektivsten zur Eiweißentfernung ist nach der Vorspülung im zweiten Schritt die
alkalische Vorreinigung im RDG bei pH-Wert ≥ 10. Danach muss neutralisiert werden.
Bei Verwendung von Bohrerbädern entfällt die Neutralisierung.
•
Ab Risikokategorie semikritisch B soll die Aufbereitung im RDG ggf. nach Ultraschallvorreinigung
erfolgen.
Für kritische MP erfolgt im letzten Schritt die Dampfsterilisation bei 134 °C für
mindestens 5 min.
Aufbereitung spezieller zahnärztlicher MP
Übertragungsinstrumente: Nach jedem Einsatz sind Hand- und Winkelstücke sowie Turbinen
außen und innen als mikrobiell kontaminiert zu betrachten (Chin et al. 2009). Trotz
technischer Sicherheitsvorkehrungen ist eine Innenkontamination der Mikromotoren und
Turbinenkupplungen nicht zu MedizinprodukteaufbereitungÜbertragungsinstrumente
ZahnarztpraxisÜbertragungsinstrumente, Aufbereitungvermeiden (DAHZ 2014). Bei unwirksamer
Wasserdekontamination in der Behandlungseinheit kann die Kontamination zusätzlich
aus dem Kühlwasser der Behandlungseinheit selbst stammen (Barben, Kuehni und Schmid
2009).
Nur die Aufbereitung nach jeder Behandlung sorgt für hinreichende Sicherheit, dass
in das Innere gelangte Pathogene abgetötet werden und damit als Ursache für eine Infektion
ausscheiden.
Da für die maschinelle thermische Aufbereitung verschiedene Geräte zur Verfügung stehen,
bestimmen die Herstellerangaben zu Leistungsfähigkeit und Kosten die Auswahl. Nur
für Übertragungsinstrumente anwendbar ist ein Verfahren, in dem diese zunächst in
einer geschlossenen Kammer von außen vorgereinigt werden. Es folgen der Lecktest (30
s), die Spülung der Innenkanäle (pH ≥ 10), Ölung, externe Spülung, Dampfdesinfektion
107 °C (2,5 min), ggf. Sterilisation 134 °C (5 min) und Trocknung. Im herkömmlichen
RDG erfolgt der Desinfektionsschritt anstelle von Dampf mit heißem Wasser (93 °C).
Im RDG können auch alle übrigen Materialien aufbereitet werden, sofern das die Materialverträglichkeit
zulässt.
Steht kein Verfahren der apparativen Aufbereitung zur Verfügung, dürfen Hand- und
Winkelstücke sowie Turbinen gemäß Herstellerangaben nicht im Tauch- oder Ultraschallbad
gereinigt werden. Die manuelle Aufbereitung beginnt mit der Spülung, gefolgt von Außenreinigung,
anschließender Wischdesinfektion mittels getränkter Tücher (alkoholbasiertes Instrumentendesinfektionsmittel),
Innenpflege ggf. mit Desinfektionsspray, Ölung und entsprechend der Einstufung abschließende
Dampfdesinfektion oder Dampfsterilisation (KRINKO 2006).
Wurzelkanalaufbereitungsinstrumente: Während MedizinprodukteaufbereitungWurzelkanalaufbereitungsinstrumente
Wurzelkanalaufbereitungsinstrumente, Aufbereitung
ZahnarztpraxisWurzelkanalaufbereitungsinstrumente, AufbereitungExstirpationsnadeln
zur Entfernung von Nervengewebe nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt sind, können
Wurzelkanalinstrumente mehrfach (Häufigkeit gemäß Herstellerangabe) aufbereitet werden.
Sie werden zuerst manuell vorgereinigt und dann üblicherweise im Bohrerbad desinfiziert.
Sofern handelsübliche Bohrerbäder einen pH-Wert ≥ 10 aufweisen, erfüllen sie die Anforderungen
an die alkalische Aufbereitung. Für Wurzelkanalinstrumente kommt nach manueller Vorreinigung
idealerweise die Aufbereitung im RDG oder die weitere manuelle Aufbereitung mit einem
alkalischen Reiniger bzw. mit Guanidinthiocyanat infrage. Letzteres wurde sowohl von
rostfreiem Edelstahl als auch von Nickeltitan toleriert (Bachfeld 2009; Boldt et al.
2014; Kramer und Ryll 2010).
Als präventiver Grundsatz muss die Aufbereitung eine Verbreitung unerkannter Prionkrankheiten
ausschließen. Daher ist Einweginstrumenten aus hygienischen und wirtschaftlichen Gründen
der Vorzug zu geben.
Absaugung: Wird die ZahnarztpraxisAbsaugkanüle, Aufbereitung
Absaugkanüle, Aufbereitung
MedizinprodukteaufbereitungAbsaugkanüleAbsaugkanüle durch angesaugtes Weichgewebe
verschlossen, kann kontaminierte Flüssigkeit aus dem Absaugschlauch zurück in die
Mundhöhle gelangen. Gleiches ist möglich, wenn der Absaugschlauch bei geringer Saugleistung
oberhalb des Patienten geführt wird. Daher muss bei allen Behandlungen darauf geachtet
werden, dass ein Rückfluss in den Mund durch die Haltung von Sauger und Saugschlauch
verhindert wird. Zur Vermeidung werden refluxsichere Absaugkanülen empfohlen, und
die Saugwirkung sollte erst einige Sekunden nach dem Zurückhängen in den Instrumentenköcher
automatisch abschalten. Die Absaugung muss aufgrund gesetzlicher Anforderungen – wie
z. B. die Indirekteinleiterverordnung – über eine Abscheidevorrichtung für Amalgam
verfügen (DAHZ 2014). Das Betreiben des Amalgamabscheiders ist anzeigepflichtig.
Wasserführende Systeme: Die Zahnarztpraxiswasserführende Systeme, Aufbereitung
WassersicherheitZahnarztpraxis
MedizinprodukteaufbereitungWassereinheit, zahnmedizinischemikrobiologische Qualität
des Wassers in den wasserführenden Teilen zahnärztlicher Einheiten ist sowohl für
die konservierende als auch insbesondere für die chirurgische Behandlung relevant,
weil die Patienten und das zahnmedizinische Personal dem aus der Wasserkühlung der
Übertragungsinstrumente entstehenden Aerosol ausgesetzt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen,
dass die Behandlungseinheiten durch langes, enges Schlauchmaterial und längere Stagnation
des Wasserflusses besonders anfällig für eine Biofilmbildung sind (Walker und Marsh
2007; Walker et al., 2000, Walker et al., 2004). Sind Patient und Behandler gesund,
ist das Risiko einer Erkrankung durch die Kontamination des Kühl- und Spülwassers
gering, sofern keine massive Kontamination mit Legionella spp. vorliegt (Oppenheim
et al. 1987). Trotzdem sieht es der Grundsatz der Infektionsprävention vor, ausschließlich
mikrobiologisch unbedenkliches Wasser zu verwenden, weil dadurch das Risiko eventueller
gesundheitlicher Schäden verringert wird, sog. Vorsorgeprinzip (Hennighausen 2001;
Pederson et al. 2002), zumal die Infektionsanfälligkeit bei einzelnen Patienten aufgrund
einer eingeschränkten Immunabwehr erhöht sein kann.
Der letale Ausgang einer Legionärskrankheit bei einer Seniorin, die durch eine mit
LegionellenLegionella pneumophilaZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisLegionellen kontaminierte Dentaleinheit erworben wurde, unterstreicht
die Notwendigkeit der Primärprävention durch Gewährleistung der Trinkwasserqualität
in Dentaleinheiten (Ricci et al. 2010). Bereits 1985 stellten Fotos et al. fest, dass
der Titer von Legionellen-Antikörpern beim Personal einer Zahnklinik mit zunehmender
Expositionszeit (= Arbeitszeit) anstieg. Reinthaler, Mascher und Stunzner (1988) bestätigten,
dass zahnärztliches Personal ein erhöhtes Risiko für Legionelleninfektionen besitzt.
Eine Studie von Napoli et al. (2007) ergab, dass für zahnmedizinisches Personal nach
wie vor die Gefahr einer Legionellose besteht. Die Autoren bezeichnen diese Gefahr
als „Berufsrisiko“. Der bedeutendste und häufigste Vertreter der Legionellen ist L.
pneumophila. Die Infektion mit dieser Legionellenart kann das Pontiac-Fieber oder
die Legionellose auslösen. Die Feststellung sowie der Verdacht auf eine durch Wasser
übertragene Infektion muss eine außerplanmäßige Nachuntersuchung zur Konsequenz haben
(IfSG 2011).
Wasser in Dentaleinheiten muss Trinkwasserqualität haben und mindestens jährlich mikrobiologisch
überprüft werden (Trinkwasser-VO 2014).
Vor dem täglichen Betrieb ist das Durchspülen aller Instrumente (Hand- und Winkelstücke,
Turbine, Speibecken, Wasserzulauf, Mundspülbechereinlauf, Multifunktionsspritze) für
mindestens 2 min mit gleichzeitigem Funktionstest durchzuführen, ebenfalls das Durchspülen
der Einheit für mindestens 20 s nach jedem Patienten (KRINKO 2006). Zur Kontrolle
der Durchführung der vom Hersteller vorgegebenen Maßnahmen zur Prävention der Biofilmentstehung
(z. B. mittels Purgen) empfiehlt sich die Führung eines Wartungsbuchs (Kramer et al.
2012d). Damit wird der Forderung der WHO zur Erstellung eines Wassersicherheitsplans
Rechnung getragen (Dyck, Exner und Kramer 2007). Bei umfangreichen zahnärztlich-chirurgischen
Eingriffen und zahnärztlicher Behandlung von Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko
soll zur Kühlung sterile Spülflüssigkeit benutzt werden. Übertragungsinstrumente und
Kühlsysteme sollen mit rückschlagsicheren Ventilen und die Einheiten mit Desinfektionsanlagen
ausgerüstet sein oder nachgerüstet werden (KRINKO 2006).
Vor der Neuanschaffung von Dentaleinheiten ist durch den Hersteller zu bestätigen,
dass die verwendeten Materialien keine Biofilmbildung begünstigen, d. h. die Prüfung
nach DVGW bestanden haben (Kap. 6.6). Sofern eine Biofilmbildung stattgefunden hat,
muss die Einheit saniert werden. Bei der Auswahl der Sanierungsverfahren muss beachtet
werden, dass nicht alle als wirksam deklarierten Verfahren in praxi wirksam sind (Kramer
et al. 2012a, b).
Abformlöffel, zahntechnische Werkstücke und Wasserbäder: Die Reinigung von Abformlöffeln
erfolgt unmittelbar nach ZahnarztpraxisAbformlöffel, Aufbereitung
Abformlöffel, Aufbereitung
ZahnarztpraxisWerkstücke, zahntechnische, Aufbereitung
MedizinprodukteaufbereitungAbformlöffelEntnahme aus dem Mund durch Abspülen unter
fließendem, kaltem Leitungswasser (DAHZ 2014). Sie soll in der Praxis erfolgen. Ebenso
sind aus dem Labor eintreffende Werkstücke und Restaurationen zu reinigen und zu desinfizieren.
Beide Seiten haben eine schriftliche Regelung zum Hygienemanagement zur Vermeidung
einer Erregerverschleppung zwischen Praxis und zahntechnischem Labor zu treffen und
diese Vereinbarung in regelmäßigen Abständen auf ihre Einhaltung zu prüfen.
Zur Desinfektion von Abformlöffeln oder zahntechnischen Werkstücken sind Instrumentendesinfektionsmittel
aus der VAH-Liste mit zusätzlich deklarierter Wirksamkeit gegen M. tuberculosis und
mit begrenzt viruzider Wirksamkeit auszuwählen. Bei Verdacht auf eine Infektion der
Mundhöhle durch unbehüllte Viren (z. B. Herpangina und Hand-, Fuß- und Munderkrankung
durch Coxsackieviren) sind viruzide Mittel einzusetzen. Das Desinfektionsmittel darf
die Abformung nicht verfälschen.
Wasserbäder zur Temperierung von Wachsplatten oder Abformmaterialien sind nach jedem
Patienten zu erneuern, wenn eine Kontamination mit Speichel oder Blut erfolgte. Der
Wasserbehälter ist vor erneuter Befüllung zu desinfizieren (KRINKO 2006).
Röntgen: Kontaminierte ZahnarztpraxisRöntgengeräte, AufbereitungTeile der Röntgeneinrichtung
sind nach jedem Patienten zu desinfizieren. Die Schutzhüllen enoraler Röntgenfilme
bzw. Röntgenfolien werden nach Entnahme aus der Mundhöhle desinfizierend abgewischt
bzw. die Schutzhülle wird mit Handschuhen abgezogen und entsorgt.
Flächendesinfektion
Im ZahnarztpraxisFlächendesinfektion
FlächendesinfektionZahnarztpraxisVerlauf zahnärztlicher Behandlungen werden die Flächen
im Behandlungsraum durch manuellen Kontakt und durch Aerosole kontaminiert. Die Beseitigung
sichtbarer Verunreinigungen erfolgt mit einem mit Desinfektionsmittel getränktem Einwegtuch
oder Zellstoff mit anschließender Wischdesinfektion (VAH-Liste). Der Einsatz von Aldehyden
ist wegen der Gesundheitsgefährdung abzulehnen (Kap. 2.7). Bei großflächiger Anwendung
von QAV kommt es zur Anreicherung auf Flächen. Es gibt Hinweise darauf, dass sich
von den Flächen Reste als Staub ablösen und eingeatmet werden können. Da QAV zytotoxisch
und für das Surfactant der Lunge kritisch sind, sollten ausschließlich auf QAV-Basis
formulierte Desinfektionsmittel nicht großflächig eingesetzt werden (z. B. nicht zur
Fußbodendesinfektion) (Kramer, Below und Assadian 2012c). Eine Sprühapplikation ist
wegen inhalativer Gefährdung nur für schlecht zugängliche Flächen zu wählen. Bei jeder
Desinfektion sind die vom Hersteller angegebenen Schutzmaßnahmen einzuhalten (Kap.
2.5).
Nach jeder Behandlung sind folgende patientennahe Oberflächen zu desinfizieren:
•
Zahnarzt-, Assistenzelement, medizinisch-technische Geräte und Einrichtungsgegenstände
im Bereich der Patientenversorgung, Griffe der OP-Leuchte,
•
Absauganlage (Schläuche, Kupplung, Köcher) im Griffbereich,
•
gezielt bei sichtbarer Kontamination mit Blut, Speichel oder anderen potenziell infektiösen
Sekreten oder Exkreten oder bei besonderer Risikosituation auch auf patientenfernen
Flächen (einschließlich Fußboden).
Für die Durchführung der Wischdesinfektion ist zu beachten, dass die zu desinfizierende
Fläche vollständig benetzt wird.
Für Fußböden im Behandlungsraum empfiehlt sich am Ende des Arbeitstags eine desinfizierende
Reinigung, weil dadurch eine wenn auch nur ungezielte Inaktivierung ansonsten möglicherweise
auf der Fläche sich anreichernder MRE u. a. Problemerreger erreicht wird. Für Flächen
außerhalb der Behandlungsräume ist die Reinigung ausreichend.
Aufbereitung von Berufs- und Schutzkleidung
Zur Gewährleistung hygienisch einwandfreier Wäschequalität muss in Gesundheitseinrichtungen
anfallende Berufs- und Schutzkleidung mit validierten thermischen oder chemothermischen
Desinfektionswaschverfahren, nicht aber im Privathaushalt aufbereitet werden (TRBA
250) (Kap. 6.3). Durch Waschen in der Haushaltswaschmaschine kann die mikrobielle
Belastung auf der gewaschenen Kleidung aufgrund der nicht definierbaren Haltezeit
für die erforderliche Desinfektionstemperatur sogar höher sein als die der unreinen
Wäsche vor dem Waschprozess (Hübner et al. 2011c).
Berufskleidung, BerufskleidungAufbereitung, Zahnarztpraxis-SchutzkleidungAufbereitung,
Zahnarztpraxis
ZahnarztpraxisBerufskleidung, Aufbereitung
ZahnarztpraxisSchutzkleidung, AufbereitungSchutzkleidung und textile Praxismaterialien
(z. B. OP-Abdecktücher) sind in widerstandsfähigen, dichten Behältern (z. B. Plastiksäcke)
getrennt nach der Art des Waschverfahrens zu sammeln. Die Aufbereitung kann praxisintern
oder extern, thermisch (> 90 °C) oder chemothermisch (Verfahrensauswahl aus VAH-Liste,
Durchführung nach Herstellerangaben) erfolgen. Die Lagerung aufbereiteter Wäsche erfolgt
sortiert und hygienisch geschützt in Schränken.
Abfallentsorgung
Spitze/scharfe Gegenstände AbfallentsorgungZahnarztpraxis
ZahnarztpraxisAbfallentsorgungkönnen in durchstichsicheren Behälter entsorgt werden.
In der Regel bedingen in Zahnarztpraxen anfallende Mengen keine Zuordnung zu Abfallschlüsseln.
Ausnahmen gelten für Körperteile (nicht Zähne), Röntgenchemikalien und Amalgamabfälle
(Kap. 6.7). Die Entsorgung muss durch ein zertifiziertes Entsorgungsunternehmen durchgeführt
und die Abgabe dorthin nachgewiesen werden.
Bauliche Voraussetzungen
Für die Aufbereitung von MP ist ein eigener Bereich mit Trennung unrein/rein festzulegen
(Kap. 9.3). Der Behandlungsbereich ist vom Aufbereitungsbereich zu trennen (DAHZ 2014).
Fest installierte MP müssen im Behandlungsraum aufbereitet werden. Die Räume zur Aufbereitung
ebenso wie die Behandlungsräume sollten über ausreichend natürliche Lichtquellen und
Lüftungsmöglichkeiten verfügen (Kap. 9.7.3).
5.24.3
Infektionsschutz und Antiseptik bei Patienten mit Immunsuppression, Chemo- und Strahlentherapie,
Mukoviszidose und Behinderungen
Kann bei einem Zahnarztpraxisimmunsupprimierte Patientenhochgradig Immunsupprimierten
die zahnärztliche Intervention nicht aufgeschoben werden, bis sich die Infektionsabwehr
des Patienten erholt hat, soll die Maßnahme zusammen mit dem behandelnden Arzt geplant
werden. Zu dieser Gruppe gehören z. B.:
•
Patienten mit hochgradiger Neutropenie bei Induktionsbehandlung einer Leukämie oder
eines Lymphoms,
•
Patienten unter intensiver Chemotherapie bei soliden Tumoren oder Strahlentherapie
im Kopfbereich,
•
Patienten unmittelbar vor oder in den ersten 100 d nach Stammzelltransplantation,
nach Organtransplantation mit hoch dosierter Gabe von Steroiden oder anderen Immunsuppressiva
und
•
HIV-infizierte Patienten im AIDS-Stadium.
Eine ggf. erforderliche PAP soll an die Besiedlung des Patienten mit resistenten Isolaten
angepasst werden, sofern diese bekannt sind. Der verantwortliche Arzt muss das mit
der Intervention verbundene Risiko abwägen und sich für oder gegen den Einsatz steriler
Spüllösungen zur Kühlung rotierender Instrumente entscheiden. Behandlungszentren,
die regelhaft hochgradig Immunsupprimierte betreuen, sollten spezielle zahnärztliche
Behandlungseinheiten mit sterilem Kühlwasser für die Übertragungsinstrumente vorhalten.
Da die Mehrfunktionsspritzen der Behandlungseinheit i. d. R. nicht an sterile Spüllösungen
angeschlossen werden können, müssen Behandlungseinheiten, mit denen regelmäßig hochgradig
immunsupprimierte Patienten behandelt werden, mit Desinfektionsanlagen für die wasserführenden
Systeme ausgestattet sein. Im Wasser der Dentaleinheit vorhandene Pseudomonas spp.
finden auf der Schleimhaut und in den Atemwegen immunsupprimierter Patienten günstigere
Bedingungen zur dauerhaften Kolonisation mit nachfolgender Infektion als bei Gesunden.
Da nosokomiale Ausbrüche durch mit gramnegativen Erregern kontaminierte Pseudomonas
aeruginosaZahnarztpraxisMundspüllösungen beschrieben wurden, muss Wasser aus zahnärztlichen
Anlagen zur Behandlung hochgradig immunsupprimierter Patienten frei von Pseudomonaden,
Kryptosporidien und Legionellen sein (KRINKO 2006).
Da bei Patienten mit Mukoviszidose der Zeitpunkt MukoviszidoseInfektionsschutz, Zahnarztpraxis
MukoviszidoseAntiseptik, Zahnarztpraxis
AntiseptikMukoviszidose, Zahnarztpraxis
ZahnarztpraxisMukoviszidose-Patientender Besiedlung mit Pseudomonas spp. für die Langzeitprognose
von erheblicher Bedeutung ist, muss vermieden werden, dass der Patient im Verlauf
medizinischer Interventionen infiziert wird. Das gilt auch für bereits mit Pseudomonas
spp. besiedelte Patienten, da eine Superinfektion durch andere Serotypen möglich ist.
Jensen et al. (1997) konnten Pseudomonas-Stämme desselben Genotyps im Kühlwasser einer
Dentaleinheit und bei einem an Mukoviszidose erkrankten, zahnärztlich behandelten
Patienten nachweisen.
•
Bei Patienten mit Mukoviszidose muss steriles Kühlwasser zur Anwendung kommen.
•
Bei Verwendung eines Wasser-Luft-Gemischs aus den Mehrfunktionsspritzen soll eine
Isolierung durch Kofferdam erfolgen (DAHZ 2014; Literatur in KRINKO 2006).
Bei Altenpflege, stationäreAntiseptik, zahnärztlicheunzureichender Fähigkeit zur Mundhygiene
(z. B. Einschränkung der Mundöffnung, Patienten mit eingeschränktem Allgemeinzustand)
ist die Mundhöhlenantiseptik eine wichtige ergänzende Maßnahme (Kap. 5.18.6; Splieth
und Gottschalk 2003). Bei Krankenhauspatienten oder Pflegeheimbewohnern mit eingeschränkter
Fähigkeit zur Mundhygiene sollte die Mundhygiene von geschultem Pflegepersonal übernommen
werden. Es sind sowohl Hygienemaßnahmen des herausnehmbaren Zahnersatzes (mechanische
Reinigung, Reinigungstabletten, Sichtkontrolle des Zahnersatzes z. B. auf Pilzbesiedlung
an weich bleibenden Unterfütterungen) als auch der Mundhöhle (Kontrolle des Prothesenlagers
z. B. auf entstehende Druckulzera und ggf. deren medikamentöse Behandlung) und der
Zähne zu beachten. Die wichtigsten Maßnahmen zur Mundhygiene sind die mechanische
Reinigung der Zähne und der Zunge. Eine leichte Massage des Zahnfleischs und eine
antiseptische Mundspülung können unterstützend wirken.
Essenziell ist die Mundhöhlenantiseptik bei Mukositisrisiko aufgrund von Immunsuppression,
Chemo- oder Strahlentherapie. In diesen Fällen müssen besonders langzeitig verträgliche
Antiseptika z. B. auf Basis von Amin- und Zinnfluorid angewendet werden (Pitten et
al. 2003, Welk et al. 2007). Ein systematisches Review (Worthington, Clarkson und
Eden 2004) und eine Cochrane-Analyse (McGuire et al. 2013) kommen zu der Schlussfolgerung,
dass sich bei Patienten mit Kopf- und Halstumoren bei gleichzeitiger Strahlentherapie
für CHX keine Indikation zur Mundspülung für die Prävention der Mukositis ableiten
lässt.
5.24.4
Qualitätssicherung und Kostenentwicklung
Die Verantwortung ZahnarztpraxisQualitätssicherung
QualitätssicherungZahnarztpraxisfür die Praxishygiene obliegt dem Inhaber. Er kann
Maßnahmen der Praxishygiene je nach Qualifikation an Mitarbeiter delegieren. Für die
Beschäftigten muss zur Einsichtnahme ein Hygieneplan ausliegen oder ausgehängt werden.
Hygieneplan: Der ZahnarztpraxisHygieneplanMusterhygieneplan der Bundeszahnärztekammer
und des DAHZ fasst die relevanten gesetzlichen Bestimmungen zur Hygiene und zum Arbeitsschutz
zusammen. Er ist auf die praxisspezifischen Besonderheiten anzupassen, regelmäßig
auf Aktualität zu prüfen und bei Bedarf zu ändern. Die Beschäftigten müssen bei Einstellung,
Veränderungen im Aufgabenbereich und Einführung neuer Arbeitsmittel oder -verfahren
in den Hygieneplan eingewiesen werden. Diese Unterweisung muss regelmäßig – mindestens
jährlich (IfSG 2011) – wiederholt und aktenkundig dokumentiert werden. Die Qualitätssicherung
der Hygienemaßnahmen in der Praxis hängt entscheidend von der konsequenten und ständigen
Umsetzung der im Hygieneplan festgelegten Vorgehensweisen ab.
Aufbereitung: Die einfachste und unverzichtbare Prüfung nach Aufbereitung von MP ist
deren visuelle Kontrolle. Die Qualität der maschinellen Aufbereitung wird zusätzlich
mit der Validierung des Verfahrens durch den Hersteller der Geräte, periodische Wartungen
und Leistungsüberprüfungen sichergestellt. Bei der Sterilisation von MP sind die relevanten
Prozessparameter möglichst automatisch zu kontrollieren und chargenbezogen aufzuzeichnen.
Das Outsourcen der Aufbereitung in eine ZSVA kann in einzelnen Fällen Vorteile bieten
(Smith, Creanor und Hurrell 2009) (zur Überwachung der Sterilisation Kap. 2.8). Leider
ist die gemäß MPG vom Hersteller verlangte Spezifizierung der Aufbereitung in der
Herstellerinformation zum MP vielfach unzureichend, was in einer schottischen Studie
für 90 % der MP zutraf (Roebuck et al. 2008).
Kosten: Die Kosten zur Gewährleistung der Hygienesicherheit haben sich in den letzten
Jahren deutlich erhöht. So stiegen die Ausgaben in einer zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis
mit zwei Behandlern im Zeitraum von 2006–2010 um etwa 37 %. Die Sachkosten nur für
Hygiene stiegen behandlerbezogen von 6 136 € auf 8 890 € und die ebenfalls nur auf
Hygienetätigkeit bezogenen Personalausgaben von 4 520 € auf 5 686 €. Die Hygienegesamtkosten
betrugen 2010 je Behandler 14 575 € (Reutter 2015).
In einer Zahnklinik mit 10 Behandlern ergaben sich für das Jahr 2010 aufgrund der
arbeitsteiligen Realisierung von Hygienemaßnahmen niedrigere Hygienesachkosten mit
6 672 € und mit 6 153 € ähnliche Hygienepersonalkosten. Dabei handelte es sich quasi
um zehn Zahnärzte einer Gemeinschaftspraxis, wobei jeder Behandler ein eigenes Team
sowie räumlich abgetrennte Praxisräume hat, aber die Instrumentenaufbereitung zentral
erfolgte. Die Hygienegesamtkosten lagen hier 2010 je Behandler bei 12 825 € (Kianer
2014).
In zwei zuvor durchgeführten Analysen wurden deutlich höhere Kosten als in diesen
beiden Analysen ermittelt, weil auch nicht direkt hygienerelevante Kosten erfasst
und eine sehr schnelle Abnutzung kostenintensiver MP angenommen wurden (Meyer et al.
1998; Nowack et al. 2008).
5.25
Infektionsprävention in der kieferorthopädischen Praxis
Tomasz Gedrange
5.25.1
Infektionsrisiken
Während in der Literatur die InfektionsrisikenInfektionen, nosokomialeKieferorthopädie
KieferorthopädieInfektionsrisiko und die daraus abgeleiteten Hygienemaßnahmen in der
zahnärztlichen Praxis beschrieben sind, finden sich keine Untersuchungen, die die
Hygiene in kieferorthopädischen Praxen thematisieren. Daher lassen sich die Hygieneanforderungen
nur aus dem Vergleich zwischen dem zahnärztlichen und kieferorthopädischen Behandlungsalltag
ableiten.
Die Kieferorthopädie unterscheidet sich hinsichtlich der Infektionsrisiken von der
allgemeinzahnärztlichen Tätigkeit vor allem durch folgende Gegebenheiten:
•
Es findet nur in Ausnahmefällen Aerosolbildung am Behandlungsplatz statt.
•
Bei der kieferorthopädischen Behandlung werden meist keine zahnerhaltenden und/oder
chirurgischen Eingriffe durchgeführt, bei denen die Körperintegrität durchdrungen
wird. Eine Ausnahme ist der Einsatz so genannter „Miniimplantate“, der entsprechende
Hygieneanforderungen stellt (Kap. 5.26.5).
•
Apparative schwer dekontaminierbare Erregerreservoire wie Kühlwasserleitungs- und
Absaugsysteme werden in kieferorthopädischen Praxen selten benutzt und sind weniger
zu finden als in allgemeinzahnärztlich oder chirurgisch ausgerichteten Praxen.
•
Da kieferorthopädische Behandlungen durch den zunehmenden Wandel des Patientenklientels
mehr erwachsene Patienten umfasst, vorwiegend aber immer noch bei Kindern und Jugendlichen
durchgeführt werden, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, sog. Risikopatienten mit
unerkannten bzw. ungenannten Krankheiten zu betreuen.
•
Aufgrund des niedrigen Durchschnittsalters der Patienten ist die Wahrscheinlichkeit
geringer, Patienten mit chronisch entzündlichen Prozessen des Zahnhalteapparats und/oder
des Mund- und Rachenraums zu behandeln. Außerdem suchen die Patienten bei akuten Infektionen
der Zähne, des Zahnhalteapparats und des Mundraums keinen Kieferorthopäden, sondern
vielmehr einen Zahnarzt auf.
Übertragungsquellen:
•
Da häufiger Abformungen KieferorthopädieÜbertragungswegefür die Herstellung von Planungs-
und Arbeitsmodellen angefertigt werden, besteht eine erhöhte Gefahr der Infektionsübertragung
durch Speichelkontamination. Der direkte Kontakt mit Speichel, gefolgt von Nasen-Rachen-Sekreten
und seltener Blut, ist bei der kieferorthopädischen Tätigkeit sicher die am häufigsten
auftretende Infektionsmöglichkeit.
•
Noch eher als im allgemeinzahnärztlichen Tätigkeitsfeld sind für den Kieferorthopäden
die Finger das „Hauptarbeitsinstrument“. Bedenkt man zusätzlich die im Vergleich zu
zahnärztlichen Praxen erhöhte Patientenfrequenz, wird die Bedeutung dieser Kontaktmöglichkeit
deutlich.
•
Eine weitere Übertragungsquelle ist der indirekte Kontakt bei Berührung von kontaminierten
Instrumenten, Gegenständen oder Materialien, die sog. Schmierinfektion.
•
Besonders bei festsitzenden Behandlungsgeräten wie Multiband-Bracketapparaturen kommen
häufig Zangen u. Ä. Instrumente auch intraoral zum Einsatz. Solche Behandlungssituationen
sind z. B. die Aktivierung eines Drahtelements oder der Wechsel eines Drahtbogens.
Die in kieferorthopädischen Praxen häufig durchgeführten Kieferabformungen gehören
auch zu dieser Übertragungsmöglichkeit.
Dem Infektionsweg über Erreger beladenes Aerosol sowie über kontaminiertes Kühlwasser
kommt nur eine untergeordnete Rolle zu, da wassergekühlte rotierende Instrumente in
der Kieferorthopädie kaum zum Einsatz kommen. Die Ausnahme sind kleinere Okklusionskorrekturen
sowie die Entfernung von Kunststoffresten nach Bracketentfernung. Nicht selten findet
man in Praxen nur einen Behandlungsplatz mit Übertragungsinstrumenten (Winkelstücke,
Turbinen) ausgestattet.
5.25.2
Anforderungen an die Hygiene in der kieferorthopädischen Praxis
Die in der KieferorthopädieKieferorthopädieHygienemaßnahmen und der allgemeinen Zahnmedizin
erforderlichen Hygienemaßnahmen sind prinzipiell identisch.
Die oben (Kap. 5.25.1) beschriebene nichtinvasive Tätigkeit des Kieferorthopäden macht
manche in der Zahnarztpraxis selbstverständlichen Arbeitsschritte in der rein kieferorthopädischen
Praxis überflüssig:
•
Auf Trennwände zwischen den Behandlungsplätzen kann verzichtet werden, da am Behandlungsplatz
kein Aerosol entsteht.
•
Vor der Behandlung ist keine antiseptische Mundspülung erforderlich, da meist weder
eine Injektion noch ein chirurgischer Eingriff folgt. Weil jedoch bei einem Großteil
der Patienten die Mundhygiene durch eine festsitzende Behandlungsapparatur erschwert
ist, können in solchen Fällen Mundhöhlenantiseptika einen Beitrag zur Karies- und
Gingivitisprophylaxe leisten. Die Anwendung beschränkt sich allerdings auf das häusliche
Umfeld des Patienten.
Da die Hand das Hauptarbeitsinstrument des Kieferorthopäden ist, besitzt die Einhaltung
der Händehygiene hohen Stellenwert.
In der KieferorthopädieKieferorthopädieHandschuhe
HändehygieneKieferorthopädie besteht ein großer Teil des Praxisalltags in planender
und beratender Tätigkeit. Daher ist die Tragezeit der Handschuhe i. d. R. kürzer als
in der allgemeinen Zahnmedizin. Somit ist ein Handschuhwechsel nach einer fixen Zeitspanne
nicht sinnvoll. Vielmehr liegt es in der Verantwortung des Kieferorthopäden, aufgrund
individueller Gegebenheiten den Zeitpunkt des Handschuhwechsels bedarfsorientiert
festzulegen. Handschuhe geeigneter Qualität können nach jeweils erfolgter Desinfektion
ggf. weiterverwendet werden. Im Fall einer Kontamination mit Blut oder einer Perforation
ist jedoch gemäß KRINKO-Empfehlung ein Handschuhwechsel erforderlich.
Instrumentendesinfektion: Für kieferorthopädische Zangen und Basisinstrumentarium
ist die sachgerechte Desinfektion ausreichend. Instrumente, die KieferorthopädieInstrumentendesinfektion
InstrumentendesinfektionKieferorthopädie
MedizinprodukteaufbereitungKieferorthopädie
KieferorthopädieMedizinprodukteaufbereitungdie Körperintegrität nicht durchdringen
und nicht mit Wunden in Berührung kommen, müssen bei der Anwendung nicht steril sein.
Die Art der Aufbereitung ist abhängig vom MP (Tab. 5.44
). Für jedes aufzubereitende MP bzw. jede aufzubereitende Produktgruppe müssen gemäß
RKI-Empfehlung eine Risikobewertung und eine Einstufung vorgenommen werden, aus der
hervorgeht, ob, wie oft und mit welchem Verfahren die Aufbereitung durchzuführen ist
(Kap. 2.9). Wegen der Validierbarkeit und der Sicherheit der Aufbereitungsqualität
ist RDG der Vorzug vor der manuellen Aufbereitung zu geben. Bei der Auswahl des Verfahrens
sind die Herstellerangaben zu berücksichtigen, weil bei einem Abweichen die Produkthaftung
erlischt. In jedem Falle ist bei der Aufbereitung der MP jedoch entsprechend ihrer
Risikobewertung das MPG einzuhalten. Nicht adäquat aufbereitbare MP wie z. B. Bürsten
zur Individualprophylaxe aus Naturborsten sind als „Einmalartikel“ zu betrachten.
Auch bei Abnutzungserscheinung müssen die Instrumente erneuert werden. Bei der Beschaffung
von Instrumentarium ist daher die Aufbereitbarkeit im RDG zu beachten!
Tab. 5.44
Aufbereitung kieferorthopädisch relevanter Instrumente
Was
Wann und Wie
Kieferorthopädische Spiegel, Sonden, Pinzetten
Vorwiegend im RDG, bei manueller Aufbereitung nach Gebrauch Vorreinigung in Reinigungslösung
unter Beachtung des Personalschutzes, danach Einlegen in Instrumentendesinfektionslösung,
nach Ablauf der Einwirkungszeit unter fließendem Wasser (Entnahme über endständigen
Sterilfilter am Wasserauslass) abspülen, auf Rückstände kontrollieren, nach Trocknung
staubgeschützt lagern
Kieferorthopädische Zangen
Wischdesinfektion mit entsprechender Einwirkzeit, bei Kontamination mit Blut Desinfektion,
Steri, Pflegeöl
Bänder
Nach Anprobe vor Wiedereingliederung Einlegen für 15 min in alkoholbasiertes Instrumentendesinfektionsmittel
Hand- und Winkelstücke
Nur die Aufbereitung im RDG gibt eine ausreichende Sicherheit, die Innenkontamination
auszuschalten, thermische Verfahren mit nachgewiesener Wirksamkeit gegen Viren und
vegetative Erreger sind das Verfahren der Wahl
Polierer, Schleifer
Vorwiegend im RDG, bei manueller Aufbereitung reinigende Desinfektion im Ultraschallbad
unter Verwendung spezieller Desinfektions- und Reinigungsmittel (Beachtung der Herstellerangaben)
oder in einem Bohrerbad
Abformungen
Bei Verunreinigung durch Speisereste, Blut usw. zunächst Abspülen unter kaltem fließendem
Wasser; anschließendEinlegen in Reinigungs-Desinfektions-Lösung, aufgrund von Materialproblemen
sind hierzu die Angaben der Hersteller von Abformmaterialien zu beachten, nur Einsatz
VAH-gelisteter Instrumentendesinfektionsmittel
Herausnehmbare kieferorthopädische Geräte
Werkstücke und Hilfsmittel dürfen aus dem zahnärztlichen Bereich erst nach Desinfektion
im RDG oder mit einem geeigneten Desinfektionsmittel abgegeben werden. Gleiches gilt
für die Abgabe aus dem Dentallabor
Besondere Behandlungssituationen: In kieferorthopädischen Praxen, in denen spezielle
Therapien wie z. B. der Einsatz von Minischrauben oder Implantaten zur Verankerung
angewandt werden, müssen die Hygieneanforderungen für einen chirurgischen Eingriff
im Oropharynx eingehalten werden (Kap. 5.26.2). Dafür ist die erforderliche Aufbereitungstechnik
vorzuhalten, d. h. möglichst RDG und Sterilisator vom Typ B.
Sofortmaßnahmen nach Verletzungen mit kontaminierten kieferorthopädischen Materialien,
wie z. B. KieferorthopädieVerletzung mit kontaminierten MaterialienStichverletzungen
an Draht- oder Bogenmaterialien, dem der Kieferorthopäde bzw. kieferorthopädisch tätige
Zahnarzt und dessen Hilfspersonal verstärkt ausgesetzt sind, sind in Verbindung mit
einer Risikoanalyse analog wie Nadelstichverletzungen zu versorgen. In kieferorthopädischen
Praxen ergibt sich durch das Risiko von Stichverletzungen z. B. mit kontaminiertem
Draht ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Behandler und Personal. Das Team muss über
das Vorgehen informiert sein. Es empfiehlt sich, die Erstmaßnahmen nach akzidenteller
Kontamination mit dem Team zu trainieren. Über die Notwendigkeit einer Chemoprophylaxe
muss abhängig von der jeweiligen Kasuistik entschieden werden.
5.26
Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie
Hans-Robert Metelmann, Claudia Metelmann und Axel Kramer
Die Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie (MKG-Chirurgie)Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieInfektionsrisiko
Surgical Site InfectionsMKG-Chirurgie war ursprünglich als zahnärztliche Chirurgie
ein Teilgebiet der Zahnheilkunde und weist dieselben Infektionsquellen, Übertragungswege
und antiinfektiösen Schutzmaßnahmen, die durch die mikrobielle Besiedlung des Mund-
und Rachenraums gegeben sind, auf (Kramer et al. 2008b). Als Kopf-Hals-Chirurgie mit
plastischen OPs und durch die Laseranwendung in der ästhetischen Chirurgie stellt
das Fachgebiet spezielle Anforderungen an die Realisierung der antiinfektiösen Multibarrierenstrategie.
Einerseits werden Patienten mit hohem NI-Risiko, z. B. Tumor- und Unfallpatienten
mit multiplen Vorerkrankungen, langen Eingriffszeiten und langer Krankenhausverweildauer,
operiert. Andererseits werden Patienten z. T. ohne medizinische Indikation im Rahmen
elektiver ästhetisch-chirurgischer OPs mit ablativem Laser behandelt. Dieser erzeugt
bei entsprechender Abtragungstiefe eine oberflächliche Verbrennung 2. Grades mit einem
erhöhten SSI-Risiko (Kramer 2014; Metelmann und Hammes 2014) (Tab. 5.45
).
Tab. 5.45
Operationen mit erhöhten Anforderungen an die Infektionsprophylaxe
Eingriff
Häufige Risikofaktoren
Resektion und Rekonstruktion bei Malignomen im Kopf-Hals-Bereich
Reduzierter Allgemeinzustand (chronische Alkoholkrankheit, Malnutrition), Immundefizienz
(Chemotherapie, Radiotherapie), septischer Eingriff, lange Krankenhausverweildauer,
Langzeit-OP
Rekonstruktion bei Polytraumata
Reduzierter Allgemeinzustand, septische bzw. kontaminierte Wunden, Langzeit-OP, lange
Krankenhausverweildauer
Verschlussplastik bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
Unreifes Immunsystem (Neugeborene)
Korrektur bei kranio-fazialen Fehlbildungen
Syndrombilder, reduzierter Allgemeinzustand
OP des Kiefergelenks
Hohe Infektionsanfälligkeit
Ästhetische OPs
Elektive Indikation
Laseranwendung
Hohe Infektionsanfälligkeit
5.26.1
Risikofaktoren für SSI
MKG-Eingriffe sind vorMund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieRisikofaktoren für SSI allem durch
folgende infektionsbegünstigende Risikofaktoren gekennzeichnet:
•
OP häufig in bakteriell infizierten Geweben
•
Zunehmende Ambulantisierung der Behandlung
•
Schwierige Abdeckung des Gesichts als OP-Gebiet
•
Ungünstige transnasale oder transorale Positionierung des Beatmungstubus
•
Intraoperative Integration von Fixturen
•
Ungedeckte, transkutane Implantation von Halteelementen und Implantaten
•
Lange OP-Zeiten
•
Lange Krankenhausliegezeiten
•
Ggf. Einsatz von Laser.
OP häufig in bakteriell infizierten Geweben: Die MKG-Chirurgie muss häufig Behandlungsaufgaben
mit erhöhtem Anspruch an die Infektionsprävention lösen. Dazu gehören alle Erkrankungen,
die von bakteriellen Infektionen der Kieferknochen ausgehen wie Osteomyelitis, Ostitis,
Periostitis, Sequester des Kieferknochens und Alveolitis. Für die Diagnostik und Therapie
gibt der Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF Empfehlungen, die auch
hygienische Aspekte berücksichtigen. Eine besondere Rolle spielen odontogene Infektionen
und Abszesse, die Sinusitis maxillaris, die infizierte Osteoradionekrose und mit derzeit
zunehmender Bedeutung die Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose.
Die Prävention von SSI und Hygieneanforderungen bei der Versorgung chronischer und
sekundär heilender Wunden werden in speziellen Leitlinien der AWMF behandelt (Arbeitskreis
Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF, 2014a, Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene
der AWMF, 2014b). Zum Spektrum mit speziellen Hygienerisiken gehören zudem infektiöse
Mundschleimhauterkrankungen und eine Lymphadenitis. Eine besondere Rolle nimmt die
zahnärztlich-chirurgische Sanierung vor Herzklappenersatz ein.
Ambulantisierung: Die technische Entwicklung in der MKG-Chirurgie gestattet es, Eingriffe
immer häufiger und im Interesse des Patienten ambulant durchzuführen. Dabei sind spezielle
Hygieneanforderungen zu berücksichtigen (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene
der AWMF 2010a). Zu hygienisch besonders anspruchsvollen ambulanten OPs, die von einer
weitgehenden Elimination der Mikroflora im OP-Feld ausgehen müssen, weil der Erfolg
bei lokaler Infektion infrage gestellt ist, gehört die Implantatversorgung zur oralen
Rehabilitation im Zusammenhang mit Kopf-Hals-Bestrahlungen.
Abdeckung: Die Abdeckung des OP-Felds ist im Gesicht, am Hals und insbesondere unter
Einbeziehung der Mundhöhle schwierig, insbesondere wenn der Operateur bei der Planung
plastisch-rekonstruktiver Eingriffe oder bei ästhetisch orientierten Eingriffen den
Blick auf die Symmetrie des gesamten Gesichts behalten muss. Die Abdeckung des Gesichts
an der Stirn-Haar-Grenze oder im Bereich der behaarten Kopfhaut ist ein besonderes
Problem, wenn nicht von vornherein das Kopfhaar entfernt wird. Das ist jedoch gerade
bei ambulanten Eingriffen unerwünscht und aus infektiologischer Sicht auch nicht erforderlich
oder sogar riskant (Kramer et al. 2008c). Problematisch ist nicht zuletzt die Abdeckung
im Bereich der vielen Übergänge der äußeren Gesichtshaut zu den Körperhöhlen.
Beim arthroskopischen Operieren des Kiefergelenks besteht eine besondere Gefährdung
durch die Nähe des OP-Gebiets zur Haargrenze und durch die Notwendigkeit, während
der OP mit einer Hand zur Gelenkführung in die Mundhöhle einzugehen.
Positionierung des Beatmungstubus: Hier hat die MKG-Chirurgie ein spezielles Problem,
weil der Tubus bei Intubationsnarkosen in der Regel intranasal oder intraoral liegt,
also häufig mitten im OP-Gebiet. Gelegentlich ist es aus anästhesiologischen Gründen
sogar erforderlich, die Zu- und Abluftschläuche im Gesichtsbereich und damit im OP-Gebiet
anzuordnen, wenn eine Tubusverlängerung wegen der Totraumbelastung für den Patienten
nicht zumutbar ist.
Kontaminationsrisiko: Bei vielen operativen Eingriffen müssen Fixturen wie Zahnersatzstücke,
kieferorthopädische Geräte oder Drahtschienen in das OP-Feld und speziell in die Mundhöhle
integriert werden. Viele dieser Apparaturen sind während der OP mehrfach ein- und
auszubauen und dabei zu desinfizieren. Dabei ist auch an das Risiko von Stichverletzungen
für das Behandlungsteam zu denken.
Zur Befestigung von Ersatzstücken im Gesichtsbereich (Epithesen) oder Kieferbereich
(Prothesen) sowie für mandibulo-maxilläre Drahtschlingen bei konservativer Kieferbruchbehandlung
kommen vielfach hautperforierende Implantate oder Befestigungsschrauben (OTTEN-Schrauben)
zur Anwendung. Sie werden als Halteelemente in die Kieferknochen, die Periorbita oder
das Mastoid eingeschraubt. Dadurch stellen sie mindestens in der späteren Anwendungszeit
und mitunter schon während der Einheilungsphase eine offene Verbindung durch die Haut-
oder Schleimhautoberfläche zum tragenden Knochen her.
OP-Dauer: Mit zunehmender OP-Dauer wächst das Infektionsrisiko durch Wundkontamination,
Gewebetraumatisierung, zunehmende Beeinträchtigung lokaler und systemischer Abwehrmechanismen
infolge von Blutverlust und langer Anästhesie sowie abnehmender Wirksamkeit der initialen
antiinfektiösen Maßnahmen (Verrutschen und Durchfeuchten von Abdeckungen, Wirkungsverlust
der Antiseptik). Tumor-OPs mit Resektion und Defektdeckung sowie rekonstruktive Eingriffe
bei Unfallverletzungen sind Langzeiteingriffe mit bis zu 12 h Dauer. Bei diesen OPs
treten zusätzliche Risiken auf, wenn mehrere Behandlungsteams gleichzeitig in verschiedenen
Körperregionen des Patienten operieren müssen, z. B. wenn die Entfernung eines Malignoms
der Mundhöhle (kontaminierter Eingriff) parallel mit der Hebung eines osteokutanen
Beckenlappens (aseptischer Eingriff) zur späteren Defektdeckung erfolgt.
Aufenthaltsdauer: Lange Krankenhausliegezeiten, wie sie bei der Behandlung von Unfallverletzten
oder Tumorpatienten auftreten, stellen eine zunehmende Schwierigkeit bei der Einhaltung
der antiinfektiösen Multibarrierestrategie dar.
5.26.2
Hygienebewusste Operationstechnik
Neben den anerkannten Maßnahmen zur Realisierung der antiinfektiösen Multibarrierenstrategie
(Distanzierung, Aufbereitung, Desinfektion/Reinigung, Antiseptik, Antibiotic Stewardship,
Surveillance, Wassersicherheit, Raumluftqualität) ist die OP-Technik für gute Behandlungsergebnisse
entscheidend.
Im Vordergrund steht Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieOperationstechnik, hygienebewusstedie
Gewebeschonung mit dem wesentlichen Kriterium der Blutperfusion des Gewebes. Seit
Langem ist bekannt, dass mikrovaskulär anastomosierte freie Lappentransplantate und
Stiellappen mit guter Durchblutung nach ihrer Einpflanzung in Vernarbungsareale oder
bestrahlte Gewebe deutlich geringere Wundinfektionsraten als lokale Verschiebelappen
zeigen (Metelmann et al. 1990).
Zu den schonenden OP-Techniken, die eine gute Gewebedurchblutung gewährleisten, gehören
die geringe Traumatisierung der Wundränder (schonendes Greifen von Hautlappen, Haltefäden),
eine spannungsarme Wundnaht, die Anlage breitbasiger Hautlappen und die Vermeidung
von Austrocknungen oder Überwärmungen im Wundgebiet. Besonders wichtig ist das Vermeiden
hyperthermer Schäden beim Setzen von enossären Implantaten und Knochenschrauben durch
sich heiß laufende ungekühlte Bohrer. Wärmeschäden können auch bei der flächenwirksamen
Elektrokoagulation, bei der Anwendung von CO2-Laser- und Argon-Heißplasma-Geräten
sowie durch mehrstündige Einwirkung zu starker OP-Lampen auf sehr dünne Hautlappen
(gefürchtete Komplikationen bei der Gesichtshautstraffung/face lift) entstehen.
5.26.3
Distanzierung
Die Intention des DistanzierungMKG-Chirurgie
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieDistanzierung
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieInfektionspräventionDistanzierungsprinzips besteht darin,
Maßnahmen mit erhöhtem Infektionsrisiko einschließlich erregerbelasteter Vorbereitungsschritte
aus dem eigentlichen Eingriff herauszuhalten und in einer möglichst prästationären
Vorbereitungsphase durchzuführen. Dadurch wird zwar das Risiko für die Behandler,
die diese Maßnahmen in der Regel an einer zahnärztlichen Einheit vornehmen, nicht
reduziert. Es wird aber die Infektionsgefährdung des Patienten unter der OP reduziert
(Tab. 5.46
).
Tab. 5.46
Beispiele zur Reduzierung des postoperativen Infektionsrisikos im Rahmen der OP-Vorbereitung
Zeitpunkt
Risikofaktor
Beispiele
Maßnahmen zur Reduzierung
Prästationär
zahnärztliche Maßnahmen mit hoher Aerosolbelastung
Trennen von Brückenkonstruktionen, Zahnsteinentfernung
Mundhöhlenantiseptik
septische Maßnahmen
Wurzelkanalaufbereitung, Parodontaltherapie
Verschluss mit Kofferdamm
Maßnahmen, auf die die OP-Einheit technisch nicht vorbereitet ist
Füllungsentfernung mit Anfall von Amalgamschlamm, Fräsung und Politur von Kunststoffprothesen
Separate Sammlung, Atemschutzmaske
Abheilung kleiner Infektionen der Gesichtshaut
Furunkel, Herpes, ältere und infizierte Wunden
bei elektiven Eingriffen präoperative Sanierung, ansonsten antibiotische Abschirmung
Präoperativ
Hautflora, Aktivierung latenter Virusinfektionen
Laserbehandlung, rekurrierende Herpes-simplex-Infektionsanamnese, Immunsuppression
Entfernung von Haaren, Antiseptik, bei Indikation PAP zur Prävention viraler und bakterieller
Infektionen
Vor Schnitt
Entfernung von Haaren
Behaarter Kopf
Festnähen von Abdecktüchern
Durchfeuchtung der Abdeckung
Wasserskalpell (Hydrojet)
Unterlage wasserdichter Kunststofffolien unter Abdecktücher
Sofern der Patient nicht vollständig entkleidet werden muss, sind die bekleideten
Partien keimarm zu bedecken, um einen Erregereintrag in den OP-Situs einzuschränken.
Die Entfernung von Haaren im OP-Gebiet wird nach Möglichkeit vermieden. Im Bereich
der Augenbrauen werden niemals Haarentfernungen vorgenommen. Bei Versorgung von Kopfplatzwunden
wird ein haarfreier Hof, bei Gesichtshautstraffungen/face lift mit Inzisionen im behaarten
Kopf ein haarfreier Korridor angelegt. Nur bei Bügelschnittführung unterziehen wir
den gesamten Kopf einer Rasur. Dabei gilt das Prinzip, die Haut möglichst zu schonen
(Clipping anstatt Rasur) (Kramer et al. 2008c). Da das Clipping die Haut nicht alteriert,
kann der Zeitpunkt für das Clipping beliebig gewählt werden (Jung et al. in Vorb.).
Ein Distanzierungsproblem, das besonders bei Langzeit-OPs, schwieriger Abdeckung des
OP-Gebiets und großen Mengen von Spülflüssigkeit, Aerosol oder Blut anfällt, ist das
Abrutschen und Durchfeuchten der Abdecktücher. Hier hilft das Festnähen (v. a. am
behaarten Kopf) bzw. Festkleben der Tücher oder das Unterlegen einer wasserdichten
Folie unter die Abdeckung.
Bei Anwendung des fraktionierten Lasers ist zu beachten, dass das Infektionsrisiko
durch postoperative exzessive Wundokklusion v. a. für S. aureus und P. aeruginosa
erhöht wird (Metelitsa und Alster 2010).
Für das Laser Skin Resurfacing (LSR) gibt es bisher keine Empfehlung zur Einordnung
als OP oder Eingriff. In Anbetracht des Infektionsrisikos und der überwiegend ästhetisch-chirurgischen
Zielsetzung empfiehlt sich die Durchführung unter OP-Bedingungen.
Bauliche Maßnahmen unterstützenMund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieRaumklassen
RaumklassenMund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie die Distanzierung vor Krankheitserregern.
Während sich die baulichen Anforderungen an Einheiten für stationäre und ambulante
Operationen nicht unterscheiden, müssen Eingriffsräume nicht als separate Einheit
mit Schleusen ausgelegt sein. Während für OP-Einheiten Raumklasse Ib gefordert wird
(Kap. 6.4), ist in Eingriffsräumen die Raumklasse II (Fensterlüftung mit Insektenschutzgitter)
ausreichend. Da die Übergänge abhängig vom Eingriffsspektrum und der Abwehrlage des
Patienten fließend sind, empfiehlt sich bei Neu- oder Umbau die Entscheidung zur Raumklasse
in Abstimmung zwischen dem MKG-Fachvertreter und der Hygiene zu treffen.
5.26.4
Anamnestischer Ausschluss von Infektionsrisiken
Zur Identifizierung Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieMRSA-Screening
MRSA-ScreeningMKG-Chirurgieund präoperativen Sanierung von MRSA-Trägern ist ein risikoadaptiertes
MRSA-Screening durchzuführen (Kap. 3.7.4). Vor elektiv ästhetisch chirurgischen OPs
empfiehlt sich die Identifikation nasaler S.-aureus-Träger, um bei Kolonisierung zunächst
eine antiseptische Sanierung (Kap. 2.2) vorzunehmen (Bode et al. 2010; van Rijen et
al. 2008). Bei LSR ist das Screening wegen der erhöhten Infektionsgefährdung mindestens
3 Wochen präoperativ zu empfehlen, um einen ausreichenden Zeitraum für die antiseptische
Dekolonisation zur Verfügung zu haben. Gleiches gilt für den Ausschluss einer MRSA-Kolonisation,
wenn der Patient z. B. eine chronische Wunde hat.
Bisher gibt es in der Literatur keinen Konsens über die Notwendigkeit eines Screenings
auf MRGN und VRE. Wegen der besonderen ethischen Situation bei elektiv ästhetisch
chirurgischen OPs erscheint das Screening (Rachen- und Rectalabstrich, Wundabstrich
bei chronischen Wunden) sinnvoll bei positiver MRE-Anamnese, bei Behandlung auf einer
Intensivtherapiestation innerhalb des letzten Jahres, bei kürzlichem Krankenhausaufenthalt
mit gemeinsamer Unterbringung mit Patienten, die mit Problemerregern kolonisiert oder
infiziert waren, bei Patienten aus Regionen mit hoher Prävalenz (z. B. Indien, Griechenland,
Israel, bekannte Ausbruchsregion) bzw. bei einem längeren Aufenthalt in derartigen
Regionen.
5.26.5
Antiseptik
Eine Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieAntiseptik
AntiseptikMKG-Chirurgiesorgfältige mechanische Vorreinigung der Mundhöhle und der
Zähne führt am wirkungsvollsten zur Reduktion der Mikroflora. Das gilt insbesondere,
wenn auf den Zähnen kieferorthopädische Apparaturen oder Frakturfixationsschienen
befestigt wurden oder prothetische Arbeiten festsitzend in die Mundhöhle eingegliedert
wurden.
Bei operativen Eingriffen durch die Mundhöhle hindurch oder bei kombiniertem extra-
und intraoralem Vorgehen muss die Erregerverschleppung in zwei Richtungen verringert
werden:
•
Aus der Mundhöhle in tiefere anatomische Regionen: Das tritt z. B. beim transoralen
Zugang zur mittleren Schädelgrube im Rahmen neurochirurgischer Indikationen auf. Eine
besondere Gefährdung gilt für OPs an der Rachenhinterwand mit ihrer nahezu regelmäßigen
Schleimhautbesiedlung durch S. aureus.
•
Durch Aerosole aus der Mundhöhle mit Sedimentation auf extraorale Wundflächen. Diese
Gefährdung entsteht z. B. regelmäßig im Rahmen von umfangreichen Tumor-OPs, wenn eine
Halslymphknotenausräumung zu großen Wundflächen der äußeren Haut geführt hat und im
unmittelbar anschließenden OP-Schritt der intraoralen Ausräumung des Primärtumors
eine Unterkieferresektion unter Wasserkühlung und Aerosolbildung erfolgt.
In Tab. 5.47
sind die wichtigsten Maßnahmen der Antiseptik, wie sie in der Greifswalder MKG-Chirurgie
praktiziert werden, zusammengefasst.
Tab. 5.47
Maßnahmen zur Unterstützung der Antiseptik im Schleimhautbereich
Prinzip
Maßnahmen
Reduktion der Mikroflora
Präoperative Reinigung der Mundhöhle und der Zähne, insbesondere bei Fixturen mit
Unterstützung durch die Pflegefachkraft für DentalhygieneChemisch-mechanisches Ausschäumen
der Mundhöhle mit 3-prozentiger H2O2-Lösung vor SchnitteröffnungWiederholtes „Fluten“
der Mundhöhle (in Intubationsnarkose!) zur Beginn und während der OP mit Antiseptika1
und Kochsalzlösung
Verbesserung der Antiseptikaremanenz
Einlegen Antiseptika1-getränkter Kompressen in die Mundhöhle
Reduzierung von Aerosolbildungen
Träufeln mit antiseptischen Lösungen zur Kühlung und Spülung während des Fräsens von
Zahnhartsubstanz und Knochensubstanz (Osteosynthese, Knochenresektionen, Osteotomien,
modellierende Eingriffe)
Vermeidung des Aerosolniederschlags auf extraoralen Wundflächen
Sofortige Rücklagerung von Hautlappen außerhalb der eigentlichen OP-Aktivitäten und
Abdeckung mit wasserdichten Folien
Verminderung postoperativer Erregerausbreitung
Tägliche Spülung der Wundflächen bis zur Nahtentfernung mit Antiseptika1
1
Obwohl OCT und CHX in der antiseptischen Wirksamkeit in der Mundhöhle gleichwertig
sind (Welk et al. in rev.), ist der Einsatz von OCT aus toxikologischen Gründen zu
präferieren (Kramer et al. 2013c).
5.26.6
Perioperative Antibiotikaprophylaxe
Indikationen
Grundsätzlich ist bei unkomplizierten Operationen beim Gesunden ohne Risikofaktoren
zur Beherrschung der nach chirurgischen Eingriffen in der Mundhöhle in bis zu 86 %
nachweisbaren Bakteriämie keine Antibiotikaprophylaxe erforderlich.
In der MKG-ChirurgieMund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieAntibiotikaprophylaxe, perioperative
Antibiotikaprophylaxe, perioperativeMKG-Chirurgie werden häufig septische Eingriffe
in infizierten Geweben oder kontaminierte Eingriffe bei Eröffnung der Schleimhaut
des Respirations- oder Gastrointestianaltrakts durchgeführt. Bei einer Reihe von Eingriffen
ist unter Berücksichtigung der Schwere des Krankheitsbilds und der operativen Behandlungsplanung
im Einzelfall zu klären, ob eine PAP vorausgehen soll (Tab. 5.48
). Dabei ist zu berücksichtigen, ob die OP-Technik eine wirksame Antibiotikakonzentration
im Wundgebiet erwarten lässt. So sollten z. B. beim osteoplastischen Unterkieferersatz
gefäßanastomosierte freie Beckenkamm- oder Skapulatransplantate und keine Knocheninterponate
ohne Gefäßanschluss verwendet werden, da ihre Blutperfusion aufrechterhalten ist und
damit eine kontinuierliche Antibiotikaanreicherung gewährleistet ist. Freie Knochentransplantate
ohne Gefäßanschluss sollten im Sinne einer aseptischen OP immer mit Zugang von extraoral
in den Unterkiefer eingefügt werden. Der Kontamination durch die Mundhöhlenflora kann
keine kontinuierliche intraossäre PAP entgegenstehen.
Tab. 5.48
Einzelfallabwägung für eine PAP
Kontaminierte Eingriffe
Septische Eingriffe
•
Zahnentfernung
•
Parodontal-chirurgische Eingriffe
•
Zystektomie
•
Behandlung von Frakturen im zahntragenden Kiefer (offene Frakturen)
•
Zahnwurzelimplantation
•
Präprothetische OP
•
Kieferorthopädische OP mit intraoralem Zugang
•
OP an Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
•
OP bei kraniofazialen Fehlbildungen
•
Eröffnung von Logenabszessen
•
OP bei infizierten Frakturen, Weichteilwunden, Tumoren, Fremdkörpern, Zysten, Zähnen,
Lymphknoten
•
OP entzündlicher Hautkrankheiten
•
Rekonstruktive Chirurgie mit Dünndarmtransplantaten
Ein erhöhtes SSI-Risiko besteht z. B. bei Diabetes mellitus, Hämophilie, hämatologischen
Erkrankungen mit Leukopenie oder Leukozytose (z. B. Leukämie), generalisierten Erkrankungen
des lymphatischen Systems (z. B. Hodgkin-Lymphom), Zytostatika- oder Kortikosteroidgabe,
Strahlentherapie im Kiefer-, Gesichts- oder Halsbereich, Dialyse, AIDS und Zustand
nach Organtransplantation. Sinnvoll ist der Einsatz von Antibiotika, die neben Streptokokken
auch Staphylokokken erfassen (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF2012a).
Durchführung
Die Dosierung entspricht der therapeutischen Dosis. Die Prophylaxe wird 30 min–1 h
vor dem geplanten Eingriff durchgeführt. Die Applikation des Antibiotikums kann intravenös
oder oral erfolgen. Bei oraler Gabe ist die orale Bioverfügbarkeit zu beachten, da
zum Zeitpunkt des OP-Beginns ein ausreichender Wirkspiegel im Operationsgebiet gewährleistet
sein muss. Bei der MKG-Chirurgie wird durch parenterale PAP von Cefuroxim nach 30
min der maximale Spiegel erreicht; eine Wirksamkeit ist bis zu 4 h gegeben (Alfter
et al. 1995).
Von der PEG wird bei Patienten ohne Allergie ein Aminopenicillin + Betalaktamasehemmer
empfohlen. Bei vermuteter oder gesicherter Allergie sollte die PAP mit Clindamycin
begonnen werden. Da die überwiegende Anzahl auch großer MKG-chirurgischer Eingriffe
bei ambulanten Patienten in Lokalanästhesie und mit Nervenblockaden durchgeführt wird,
ist die parenterale Gabe eines Antibiotikums bei dieser Form der Anästhesie in der
Regel nicht notwendig (Tab. 5.49
).
Tab. 5.49
Antibiotika der Wahl für eine PAP (Naber et al. 2007)
Situation
Antibiotikum
Einzeldosis
Erwachsene
Kinder
Orale Einnahme
Amoxicillin + Betalaktamasehemmer
2 g p. o.
50 mg/kg p. o.
Orale Einnahme nicht möglich
Ampicillin + Betalaktamasehemmer
2 g i. v.
50 mg/kg i. v.
Penicillin- oder Ampicillinallergie – orale Einnahme
Clindamycin
600 mg p. o.
20 mg/kg p. o.
Penicillin- oder Ampicillinallergie – orale Einnahme nicht möglich
Clindamycin
600 mg i. v.
20 mg/kg i. v.
[F820-001]
Besondere Indikationen
Endokarditisprophylaxe: Besondere Aufmerksamkeit gilt dem erhöhten Endokarditisrisiko.
Für EndokarditisprophylaxeMKG-Chirurgie
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieEndokarditisprophylaxedie Effektivität der PAP liegt
eine unzureichende Evidenz vor. Dennoch empfiehlt die Leitlinie der American Heart
Association eine auf definierte Hochrisikopatienten und -konstellationen beschränkte
PAP (Wilson, Taubert und Gewitz 2007). Aktuell orientiert sich die Empfehlung zur
Endokarditisprophylaxe mehr an der Frage, welche Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit
von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren werden. Mit dieser Überlegung lässt sich
der bisherige Einsatz der Prophylaxe sinnvoll eingrenzen und die Effizienz steigern,
ohne Hochrisikopatienten einer möglicherweise vermeidbaren Gefährdung durch Unterlassung
auszusetzen.
Als Risikopatienten für die Manifestation einer schwer verlaufenden infektiösen Endokarditis
gelten Patienten
•
mit Klappenersatz (mechanische und biologische Prothesen),
•
mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den
ersten 6 Monaten nach OP,
•
nach Endokarditis,
•
mit angeborenen Herzfehlern,
•
mit zyanotischen Herzfehlern, die nicht oder palliativ mit systemisch-pulmonalem Shunt
operiert sind,
•
nach operiertem Herzfehler mit Implantation von Conduits (mit oder ohne Klappe) oder
residuellen Defekten, d. h. turbulenter Blutströmung im Bereich des prothetischen
Materials,
•
mit operativ oder interventionell unter Verwendung von prothetischem Material behandelten
Herzfehlern in den ersten 6 Monaten nach OP sowie
•
herztransplantierte Patienten, die eine kardiale Valvulopathie entwickeln.
Enossäre Implantate und orthognathe chirurgische Eingriffe: Auch bei enossären Implantaten
(Dent et al. 1997) und orthognathen chirurgischen Eingriffen (Bentley, Head und Aiello
1999; Escobar und Velasco 2006; Zijderveld et al. 1999) wurde Antibiotikaprophylaxe,
perioperativeImplantate, dentale
Antibiotikaprophylaxe, perioperativeorthognathe chirurgische Eingriffe
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieOperationen, orthognathe
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieImplantationendas SSI-Risiko durch eine PAP signifikant
herabgesetzt, was in Anbetracht einer SSI-Rate von bis zu 7 % relevant ist (Tan, Lo
und Zwahlen 2011a). Bei orthognathen Eingriffen ist die Datenlage zur optimalen Dauer
der prophylaktischen Antibiotikagabe uneinheitlich. Zum Teil war die fünftägige Antibiotikaprophylaxe
der einmaligen Gabe signifikant überlegen, allerdings war die Gruppengröße der RCT
mit je 30 Patienten sehr gering (Bentley, Head und Aiello 1999). In einer späteren
RCT mit ähnlicher Gruppengröße war bei fünftägiger Gabe lediglich die Morbidität herabgesetzt,
nicht aber die SSI-Rate (Ruggles und Hann 1984). Zwischen Single-shot-Gabe und viermaliger
Gabe innerhalb von 24 h war kein Unterschied nachweisbar (Baqaina et al. 2004; Kang,
Yoo und Yi 2009). In einer retrospektiven Auswertung unter Einschluss von 1 294 Patienten
war eine mindestens zweitägige postoperative Antibiotikagabe mit präoperativem Single-shot
der alleinigen Single-shot-PAP signifikant überlegen (Maier, Kramer und Heidecke 2012).
Zwischen intravenöser und oraler Gabe war kein Unterschied nachweisbar (Danda et al.
2010). In einem nachfolgenden doppelblinden RCT war kein Unterschied zwischen fünftägiger
Anwendungsdauer und einmaliger PAP nachweisbar (Chow et al. 2007). In einer Metaanalyse
mit Einschluss von 5 RCTs erwies sich die einmalige PAP der verlängerten Gabe als
gleichwertig, sodass die Autoren die Schlussfolgerung ableiten, dass eine verlängerte
Gabe nur bei besonderen Risiken indiziert ist (Escobar und Velasco 2006). Auch bei
Gesichtsfrakturen im Bereich der Orbita war die fünftägige postoperative Antibiotikagabe
nicht der einmaligen PAP überlegen (Tan, Lo und Zwahlen 2011b; Wahab, Narayanan und
Nathan 2013). Damit spricht die Mehrzahl der Befunde dafür, dass die einmalige PAP
analog zur höheren Effektivität der einmaligen PAP in anderen chirurgischen Fachgebieten
(Lindeboom, Baas und Kroon 2003) ausreichend ist, sofern keine besondere Gefährdung
wie eine bilaterale sagittale Split-Osteotomie vorliegt (Zixa et al. 2013). Erwähnt
werden soll, dass in einer prospektiven Studie allerdings ohne Knochenimplantation
(n = 28 je Gruppe!) kein signifikanter Einfluss der PAP nachweisbar war (Jansisyanont
et al. 2008).
Bei oral-chirurgischen Eingriffen an den Speicheldrüsen ist bei gesunden Patienten
durch PAP kein Vorteil nachweisbar (Barrier et al. 2009).
Laseroperationen: Da durch Laseranwendung eine Antibiotikaprophylaxe, perioperativeLaseroperationen
Mund-Kiefer-Gesichts-ChirurgieLaseroperationenHSV-1-Infektion aktiviert werden kann
(Kramer 2014), wird für Patienten mit rezidivierender Herpes-simplex-Infektionsanamnese
im Gesichtsbereich sowie bei ablativer Behandlung des gesamten Gesichts eine antivirale
Prophylaxe empfohlen, die 1 d präoperativ (spätestens 2 h präoperativ) beginnt und
(5)10–14 d postoperativ endet (Gilbert 2001; Metelitsa und Alster 2010). Valaciclovir,
ein Virustatikum der 2. Generation, ist wegen hoher Sicherheit und besserer Bioverfügbarkeit
eine Alternative zu Aciclovir und wird zur Prophylaxe nach LSR in einer Dosierung
von 500 mg oral für 10–14 d empfohlen (Chakrabarty et al. 2005).
Bei beginnender oder florider HSV-1-Infektion sind laserchirurgische Eingriffe kontraindiziert.
Aufgrund der limitierten Studienlage sind die Auffassungen zur antibakteriellen PAP
vor Lasertherapie uneinheitlich (Hohenleutner und Hohenleutner 2006). Da die meisten
bakteriellen Infektionen innerhalb der ersten 7 d bzw. bei C. albicans bis zu 14 d
postoperativ auftreten, schlussfolgern Gaspar et al. (2001), dass eine PAP gegen S.
aureus nicht essenziell ist, weil die Infektion durch sorgfältige Wundversorgung und
postoperatives tägliches Patientenmonitoring mit bakteriologischem Abstrich rechtzeitig
erkannt werden kann.
Bei Ganzgesicht- und Regional-LSR wird allerdings eine PAP mit Wirkungsspektrum gegen
grampositive Bakterien empfohlen (Ross et al. 1998). Ebenso erscheint die PAP bei
Zustand nach bakteriellen Infektionen im Gesichtsbereich sinnvoll.
Bei ersten Anzeichen einer SSI sind polihexanidbasierte Antiseptika bzw. Polihexanid-basierte
Wundauflagen als Mittel der ersten Wahl anzusehen (Kramer et al. 2013c).
5.27
Transfusionsmedizin
Gregor Caspari und Volker Kiefel
5.27.1
Infektionsgefährdung durch Blut und Blutprodukte
Aus menschlichem Blut gewonnene Blutkomponenten und Plasmaderivate sind Arzneimittel.
Herstellung und Anwendung unterliegen den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung des
Transfusionswesens (2009), des Arzneimittelgesetzes (AMG, 2014), der Arzneimittel-
und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMVHV, 2006), den Hämotherapie-Richtlinien (2010),
den Querschnitts-Leitlinien (2014) sowie weiteren Richt- und Leitlinien.
Bei BlutprodukteInfektionsrisikoder Entnahme von Blut können Viren, Bakterien, Protozoen
(Arbeitskreis Blut 2009a) und Helminthen, die sich im Spenderblut befinden, in die
Blutkonserve gelangen und bei der Transfusion der daraus hergestellten Produkte dem
Patienten übertragen werden (Caspari und Gerlich 2010). Es gibt bisher keinen epidemiologischen
oder experimentellen Hinweis auf die Übertragbarkeit der CJD durch Bluttransfusion
(Arbeitskreis Blut 1998; Heinemann et al. 2007; Zou, Fang und Schonberger 2008). Für
die vCJD gibt es experimentelle Übertragungen bei Säugetieren (Bons et al. 2002; Hunter
et al. 2002). Auch beim Menschen gilt die Übertragbarkeit durch buffy-coat-haltige
Erythrozytenkonzentrate (EK) als gesichert (z. B. Zou, Fang und Schonberger 2008).
Der erste Erreger, für den die Übertragbarkeit durch Blut erkannt wurde, war T. pallidum.
Historie: Zwischen den 1940er- und 1980er-Jahren standen die Hepatitiserreger im Fokus
der Aufmerksamkeit. In den frühen 1980er-Jahren wurde die Übertragbarkeit von HIV
durch Blutprodukte und Plasmaderivate nachgewiesen. Durch die Erfahrungen mit HIV
VirenÜbertragung durch Blutprodukte
BlutprodukteÜbertragung von Viren gilt jetzt auch anderen Viren, die man zuvor nicht
beachtet hatte, z. B. Parvovirus B19 (Arbeitskreis Blut 2010b), HAV (Arbeitskreis
Blut 2001), HEV (Arbeitskreis Blut 2008a; Caspari 2009; Dreier und Juhl 2014; Huzly
et al. 2014), West-Nil-Virus (Arbeitskreis Blut 2012; Paul-Ehrlich-Institut, 2014,
Paul-Ehrlich-Institut, 2014; Paul-Ehrlich-Institut 2007) und Chikungunya (Paul-Ehrlich-Institut
2007; Petersen, Stramer und Powers 2010), erhöhte Aufmerksamkeit.
Viren
Transfusionsbedingte Übertragungen von Viren sind selten, können aber im Einzelfall
sowie bei besonderen Patientengruppen (Immunsupprimierte, Schwangere) schwerwiegende
Folgen haben.
Die Übertragungswahrscheinlichkeit von Viren durch Blut wird, vorbehaltlich Labortestung
und Inaktivierung durch zugelassene Methoden, beeinflusst durch
•
Häufigkeit der Infektion im Spenderkollektiv,
•
Häufigkeit einer schützenden Immunität beim Blutempfänger,
•
Dauer der Virämie,
•
Krankheitszeichen bei Spendern mit Virämie.
Transfusionsmedizinisch besonders bedeutsam sind daher Viren, die chronische Infektionen
verursachen, bei denen der Spendewillige nicht erkennbar krank ist. Für die Produktion
von Plasmaprodukten werden Plasmen von bis zu 50 000 Spendern vereint, wodurch sich
das Infektionsrisiko zunächst deutlich erhöht. Die Viren werden bei der Verarbeitung
entweder in weiterzuverarbeitendem oder in nicht weiterzuverarbeitendem Material angereichert,
wodurch sich die Infektiosität erhöht oder erniedrigt.
Die Produktion jedes Plasmaderivats beinhaltet einen oder mehrere Schritte zur Virusinaktivierung,
die in Modellen sorgfältig evaluiert werden (Caspari und Gerlich 2010). Dadurch wird
das Risiko einer Übertragung stark reduziert; vollständige Sicherheit kann jedoch
nicht garantiert werden.
Bakterien
Bakterien SpenderblutErregerspektrum
SpenderblutInfektionsrisikokönnen schon im Spenderblut vorhanden sein, z. B. während
der Inkubationszeit einer Infektion, bei klinisch inapparenten oder bereits abgelaufenen
Infektionen (Gastroenteritis durch Y. enterocolitica, chronische Osteomyelitis, chronische
Brucellose, Syphilis), durch zahnärztliche Eingriffe, Sigmoidoskopie. Alternativ kontaminieren
sie das Blut während der Blutspende oder deren Verarbeitung über die Hautflora, kontaminierte
Stabilisator- oder Aphereseflüssigkeiten (Heltberg et al. 1993), bei Beschädigung
des Beutels, durch Kontamination beim Waschen sowie beim Auftauen oder Anwärmen.
•
Erythrozytenkonzentrate: Bei der Lagertemperatur von 4 °C können sich nur wenige Bakterien
vermehren. Unterbrechungen der Kühlkette ermöglichen aber die Vermehrung weiterer
Bakterienspezies.
•
Thrombozytenkonzentrate: Bei der Lagertemperatur von 22 °C ist mit dem raschen Wachstum
zahlreicher Spezies zu rechnen (Blajchman, Goldman und Baeza 2004; Neff, Kelly und
Tobias 1999).
Eigenblutkonserven sind EigenblutspendeInfektionsrisikogenauso durch eine bakterielle
Kontamination gefährdet wie Fremdblutspenden (z. B. Benavides et al. 2003).
Schwere Zwischenfälle und Todesfälle durch die bakterielle Kontamination von Blutprodukten
sind insgesamt häufiger als solche durch virale Kontamination (Blajchman, Goldman
und Baeza 2004; Paul-Ehrlich-Institut 2010).
Im Folgenden werden spezielle Aspekte der Hygiene für die Transfusionsmedizin in der
Reihenfolge der Herstellung eines Blutprodukts oder Plasmaderivats zusammengefasst.
Zu Grundregeln der Desinfektion von Arbeitsflächen und Reinräumen sowie des Schutzes
von medizinischem Personal Kapitel 2.5 bzw. Kapitel 2.12.
5.27.2
Identifizierung und Ausschluss infektiöser Spender
Als infektiös erkannte Blutspender müssen von der Spende ausgeschlossen werden. Im
Zweifel wird der Spender schon bei der anamnestischen Möglichkeit einer transfusionsrelevanten
Infektion ausgeschlossen, auch wenn bei diesem Vorgehen der größte Teil der ausgeschlossenen
Spender nicht wirklich infektiös ist. Blutspenden mit auffälliger Infektionsdiagnostik
dürfen nicht transfundiert werden.
Durch BlutspendeAusschluss infektiöser SpenderAnamnese sollen Spendewillige von der
Spende ausgeschlossen werden,
•
die Infektionen mit Erregern haben könnten, auf die die Spende im Labor bisher nicht
getestet werden kann (z. B. vCJD) bzw. nicht getestet wird (z. B. Malaria),
•
die eine frische Infektion mit Erregern haben, die die in der Blutspende verwendeten
Labortests erst einige Zeit nach Beginn der Infektiosität des Spenderblutes anzeigen,
sowie Spender,
•
die eine Infektion haben, deren Ausheilung nicht oder nur schwer nachweisbar ist.
Die BlutspendeInfektionen, tropischeGefahr der Übertragung tropischer Infektionen,
vor allem Malaria, wird dadurch ausgeschlossen, dass alle Tropenheimkehrer so lange
nicht zur Spende zugelassen werden, bis sicher ist, dass sie keine Malaria entwickeln
werden (6 Monate, bei Auftreten von Fieber länger). Bei diesen und anderen anamnestischen
Ausschlüssen wird bewusst in Kauf genommen, dass nur der kleinste Teil der ausgeschlossenen
Spender wirklich mit dem Erreger der Malaria infiziert ist – aber anders lässt sich
Malariasicherheit von Blut in Deutschland nicht gewährleisten.
Personen, die von Frühsommer bis Spätherbst aus Gebieten mit fortlaufender Übertragung
des West-Nil-Virus heimkehrenBlutspendeWest-Nil-Virus
West-Nil-Virus, werden wegen der Möglichkeit der West-Nil-Virus-Infektion für 4 Wochen
von der Spende zurückgestellt (Paul-Ehrlich-Institut, Februar 2007, Paul-Ehrlich-Institut,
2014, Paul-Ehrlich-Institut, 2014). Eine Liste mit den entsprechenden Ländern/Gebieten
wird auf der Homepage des PEI jeweils am ersten Arbeitstag eines Monats aktualisiert.
Mittlerweile gehört auch das Stadtgebiet von Wien zu den Risikogebieten. Spender aus
Endemiegebieten BlutspendeChikungunya-Virus
Chikungunya-Virusdes Chikungunya-Virus (Tab. 5.8) werden für 2 Wochen zurückgestellt
(Paul-Ehrlich-Institut 2007; Petersen, Stramer und Powers AM 2010). Seit Chikungunya-VirusAusbreitungDezember
2013 breitet sich das Chikungunya-Virus mit rasender Geschwindigkeit in der Karibik
aus (817 907 Erkrankungen; 19 371 bestätigte Fälle). Inzwischen hat sich die Infektion
auch auf Lateinamerika (218 789 Erkrankungen; 5 056 bestätigte Fälle), Mexiko (1 300
bestätigte Fälle), die USA (2 010 importierte Fälle) und Kanada (320 importierte Fälle)
ausgebreitet (alle Angaben PAHO 2015, Stand: 20. Mai 2015).
Die meisten Ausschlussgründe sollen die Übertragung von HBV, HCV und HIV verhindern
(Tab. 5.50
). Dem Schutz vor Bakterien dienen Fragen nach kürzlichen Gastroenteritiden, Zahnarztbesuch,
Endoskopie (Sigmoidoskopie!) und endoskopisch durchgeführten Operationen, bekannter
Tuberkulose und bekannter Osteomyelitis (Hämotherapie-Richtlinien 2010).
Tab. 5.50
Ausschlüsse und Rückstellungen von der Blutspende wegen des Risikos der Übertragung
von Infektionen (Hämotherapie-Richtlinien 2010) Blutspendezeitlich begrenzt zurückzustellende
SpenderBlutspendeAusschlusskriterien
Von der Blutspende auszuschließen sind Personen
•
bei denen eine HIV-1-, HIV-2-, HTLV-1-, HTLV-2- oder HCV-Infektion nachgewiesen wurde,
•
bei denen eine HBV-Infektion nachgewiesen wurde, es sei denn, die Infektion liegt
mehr als 5 Jahre zurück und virologische Kriterien sprechen für eine erloschene Kontagiosität
(Kriterien in den Hämotherapie-Richtlinien 2010),
•
bei denen chronisch persistierende bakterielle Infektionen nachgewiesen wurden wie
Bruzellose, Fleckfieber und andere Rickettsiosen, Lepra, Rückfallfieber, Melioidose
oder Tularämie,
•
bei denen Infektionen mit Babesien, Trypanosomen oder Leishmanien nachgewiesen wurden,
•
mit dem Risiko der Übertragung spongiformer Enzephalopathien (Risiken in den Hämotherapie-Richtlinien
2010),
•
die Empfänger von Xenotransplantaten sind,
•
die Drogen konsumieren oder Medikamente missbräuchlich zu sich nehmen (bei i. v. Drogen
wegen Nadeltausch und möglicher frischer Infektionen, aber auch wegen möglicher Falschangaben
bei der Anamnese),
•
deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko
für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten wie HBV, HCV oder HIV birgt
(laut Hämotherapie-Richtlinien: heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten,
z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern, Männer, die Sexualverkehr
mit Männern haben, männliche und weibliche Prostituierte).
•
Häftlinge dürfen weiterhin grundsätzlich nicht Blut spenden (das wird aber unter zeitlich
befristeten Ausschlüssen aufgeführt).
•
wegen kurz zurückliegender (und möglicherweise nicht vollständig ausgeheilter) Infektion,
•
wegen Expositionen, die zu einer frischen und damit für Labortests zunächst nicht
erkennbaren Infektion führen können,
•
nach Impfungen mit unsicherer Impfwirkung (Tollwut), Lebendimpfungen sowie Impfungen,
die vorübergehend zu falsch positiven Infektionstests führen können,
•
wegen besonderer epidemiologischer Situationen (Einreise aus West-Nil-Virus- und Chikungunya-Epidemiegebieten)
sowie aus
•
sonstigen Gründen, bei denen die Verabreichung von Sera tierischen Ursprungs infektiologisch
relevant sind.
Erkrankungen, nach deren medizinisch dokumentierter Heilung Fristen bis zur nächsten
Blutspende einzuhalten sind, sind
•
Malaria (4 Jahre),
•
Osteomyelitis (2 Jahre),
•
Q-Fieber (2 Jahre),
•
Tuberkulose (2 Jahre),
•
Infektionen mit S. typhi und S. paratyphi (2 Jahre; wie die Heilung medizinisch dokumentiert
werden kann/soll, ist in den Richtlinien nicht beschrieben),
•
rheumatisches Fieber (2 Jahre nach Abschluss der Behandlung),
•
Toxoplasmose (6 Monate nach Abklingen der Symptome),
•
HAV-Infektion (4 Monate nach klinischer Erkrankung oder Nachweis von IgM),
•
Fieberhafte Erkrankungen und/oder Durchfallerkrankungen unklarer Ursache (4 Wochen),
•
andere Infektionen (4 Wochen nach Abklingen der Symptome),
•
unkomplizierte Infekte (1 Woche).
Expositionen sind
•
vorübergehender oder dauernder Aufenthalt in einem Malariagebiet oder einem Gebiet
mit höherer HBV-, HCV-, HIV- oder HTLV-Prävalenz,
•
Intimkontakt mit „Risikopersonen“,
•
enger Kontakt in häuslicher Lebensgemeinschaft mit Risiko für HBV-, HCV- sowie HAV-Infektionen,
•
allogene Transplantationen (Dura-mater- und Korneatransplantationen führen wegen TSE-Risiko
zur Dauersperre),
•
Operationen,
•
Endoskopien, Biopsien und Katheteranwendungen (außer Einmalkathetern),
•
Empfang von autologen und allogenen Blutkomponenten oder Plasmaderivaten außer Humanalbumin,
•
alle Maßnahmen, bei denen die Haut oder Schleimhaut mit möglicherweise kontaminierten
Gegenständen durchbohrt oder verletzt wurde, also Befestigung von Schmuck, Piercing,
Tätowierung, Akupunktur (sofern nicht unter aspetischen Bedingungen mit Einmalnadeln),
Verletzungen durch Injektionsnadeln oder Instrumente,
•
Zahnextraktionen und zahnärztliche Behandlungen.
5.27.3
Testung des Spenderblutes
Nicht SpenderblutTestungalle Erkrankungen können durch Anamnese und körperliche Untersuchung
ausgeschlossen werden, z. B. die in Südfrankreich (La Rouche et al. 2010; Marchand
et al. 2013) und Madeira (Wilder-Smith, et al. 2014) im Jahr 2010 erstmals autochthon
aufgetretenen Denguevirusinfektionen sowie autochthone HEV-Infektionen (Caspari 2009;
Dreier und Juhl 2014).
Jede BlutspendeAnforderungenBlutspende muss eindeutig frei sein von HBs-Antigen, Antikörpern
gegen das Core-Antigen von HBV (Anti-HBc), Antikörpern gegen HCV, HIV und T. pallidum
sowie in einem HCV- und HIV-1-Nukleinsäure-Amplifikationstest mit definierter Mindestempfindlichkeit
(z. B. PCR) negativ sein (Hämotherapie-Richtlinien 2010).
Nach der Infektion vergeht einige Zeit, bis die Labortests sie anzeigen kann (sog.
diagnostisches Fenster). Sie beträgt für den HBs-Antigen-Test 1–4 Monate, für den
HCV-Antikörper-Test der neuesten Generation im Mittel etwa 11 Wochen und für HIV-Antikörpertests
3–4 Wochen (Restrisiko Tab. 5.51
). Die Länge des diagnostischen Fensters hängt Blutproduktediagnostisches Fensteru.
a. von der Infektionsdosis und der Ähnlichkeit des verwendeten Testantikörpers bzw.
-antigens mit dem beim Spender vorliegenden Virus ab. Durch die zusätzlich durchzuführenden
Nukleinsäure-Amplifikationstests für HCV und HIV verkürzen sich deren serologische
Fenster auf 10–14 Tage. Sowohl für die Antikörper- bzw. Antigentests als auch für
die Nukleinsäure-Amplifikationstests kann das diagnostische Fenster bei seltenen Virusvarianten
deutlich verlängert sein. Spender im diagnostischen Fenster lassen sich, wenn überhaupt,
nur durch sorgfältige Anamnese identifizieren. Die Testung auf Anti-HBc dient der
Erkennung HBsAg-negativer, sog. okkulter, HBV-Infektionen (Raimondo et al. 2013; Squadrito,
Spinella und Raimondo 2014), nicht aber früher HBV-Infektionen im diagnostischen Fenster.
Tab. 5.51
Restrisiko der Übertragung von Viruserkrankungen durch Blutprodukte trotz infektionsserologischer
Untersuchungen für Deutschland (Pool-Präparate und Präparate, die einem Virusinaktivierungsverfahren
unterzogen wurden, sind nicht berücksichtigt) Human Immunodeficiency VirusÜbertragung
durch BlutprodukteHepatitis-C-VirusÜbertragung durch BlutprodukteHepatitis-B-VirusÜbertragung
durch Blutprodukte
Erreger
„Diagnostisches Fenster“
Restrisiko
HBV
5–8 Wochen
Ca. 1 : 400 000 ohne Anti-HBc-Testung
Mit PCR weniger
Mit Anti-HBc-Testung deutlich geringer
HCV
Mit PCR ca. 10 Tage
< 1 : 10 Mio.
HIV
Mit PCR ca. 10 Tage
< 1 : 10 Mio.
Besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordert die Blutübertragung bei immuninsuffizienten
bzw. immunsupprimierten Patienten, z. B. bei Frühgeborenen oder Patienten nach Knochenmarktransplantation
und Schwangeren. Bei diesen Patienten kann eine üblicherweise harmlose CMV-Erstinfektion
zu schweren Erkrankungen wie ImmunsuppressionBluttransfusionender interstitiellen
Pneumonie führen. Von den Hämotherapie-Richtlinien wird die Anti-CMV-Testung von Blut
und die Verwendung von Präparaten Anti-CMV-negativer Spender nicht mehr empfohlen,
da die Spender während der Serokonversion Zytomegalievirus, humanesBluttransfusionenzumindest
theoretisch besonders infektiös sind. Zelluläre Blutpräparate müssen leukozytendepletiert
sein, was zur Verringerung des Risikos einer transfusions-assoziierten CMV-Infektion
bei Risikopatienten um ca. 90 % führt (siehe auch Strauss 1999; Arbeitskreis Blut
2010a). Das ist lediglich bei Granulozytenkonzentraten nicht möglich.
Die Wahrscheinlichkeit einer Spende im diagnostischen Fenster wird bei sonst gleichen
Spendecharakteristika von der Inzidenz der Infektion im jeweiligen Blutspenderkollektiv
und der Länge des diagnostischen Fensters bestimmt. Ist die Inzidenz 1 : 100 000 Spender
pro Jahr und die Länge des diagnostischen Fensters ein Vierteljahr, beträgt die Wahrscheinlichkeit
einer Spende im diagnostischen Fenster 1 : 400 000. Zu beachten ist: Wenn der Spendeabstand
die Länge des diagnostischen Fensters deutlich unterschreitet (z. B. bei der Plasmapheresespende),
können durch einen infektiösen Spender mehrere infektiöse Spenden geleistet werden,
bevor der Labortest positiv wird.
Ein negatives Testergebnis trotz Infektion des Spenders ist sehr selten. Es kann vorkommen
bei
•
seltenen Serotypen und Mutanten des jeweiligen Virus (Humpe, Heermann und Köhler 1993),
•
Fehlern bei der Testdurchführung und Probenvertauschung bei der Spende bzw. im Labor
(Busch et al. 2000) sowie Fehlern bei der Übermittlung der Testergebnisse (Linden
2000),
•
Spende im diagnostischen Fenster der jeweiligen Infektion (Delwart et al. 2004; Paul-Ehrlich-Institut
2010; Schmidt et al. 2009).
Spenden von Erstspendern sind deutlich häufiger infektionsmarkerpositiv als Spenden
von Mehrfachspendern (Glück et al. 1998). Die Daten von beiden Gruppen sind jedoch
nicht direkt vergleichbar. Während der Erstspender sein ganzes bisheriges Leben Zeit
hatte, die Infektion zu erwerben, war der Mehrfachspender bei der letzten Spende vor
3–6 Monaten noch nicht infiziert; ein positiver Infektionsmarker ist also auf eine
Infektion in einem sehr viel kürzeren Zeitintervall zurückzuführen. Die Häufigkeit
von Infektionsmarkern bei Erstspendern entspricht also der Prävalenz, während die
Häufigkeit von Infektionsmarkern bei Mehrfachspendern Ausdruck der Inzidenz ist.
Hepatitis-C-Virus: Seit Hepatitis-C-VirusÜbertragung durch Blutprodukte
BlutprodukteÜbertragung des Hepatitis-C-VirusEinführung der HCV-PCR in Deutschland
1999 ist bei über 50 Millionen transfundierten Blutpräparaten ein einziger Fall einer
Übertragung des Virus durch Blut oder Blutprodukte bekannt geworden (Paul-Ehrlich-Institut
2010). Zu fragen ist allerdings, ob in den Rückverfolgungsverfahren die Möglichkeit
einer Infektionsübertragung durch HCV-Antikörper- und -Pool-PCR-negative Präparate
(Schüttler et al. 2000) ausreichend berücksichtigt wurde.
Seit der Einführung der HIV-PCR wurden 2 HIV-Übertragungen durch Blutpräparate beobachtet
(Paul-Ehrlich-Institut 2010).
Hepatitis-B-Virus:Die am wenigsten sicheren Daten für die Abschätzung des Restrisikos
gibt es für HBV. Erkrankungen des Empfängers durch Transfusionsblut, die den Hepatitis-B-VirusÜbertragung
durch Blutprodukte
BlutprodukteÜbertragung des Hepatitis-B-VirusKriterien für eine wahrscheinliche oder
sichere Übertragung genügen, wurden dem Paul-Ehrlich-Institut bis zur Einführung der
Anti-HBc-Testung etwa 2–3 pro Jahr gemeldet, danach 0–1 (Paul-Ehrlich-Institut 2010).
Theoretische Berechnungen und Einzelbeobachtungen deuteten auf ein um den Faktor 5–8
höheres Risiko hin (z. B. Glück et al. 1998). Risikoabschätzungen, die die zusätzliche
Testung auf Anti-HBc berücksichtigen, sind noch nicht publiziert. Ob HBV-Erkrankungen
nicht als transfusionsbedingt erkannt und/oder gemeldet werden, die übertragenen Infektionen
ohne klinische Symptome verlaufen oder ob die Hypothesen, auf denen die theoretischen
Berechnungen beruhen, falsch sind, lässt sich nur schwer entscheiden.
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit: Da bisher kein Test zum Ausschluss von CJD bzw. vCJD
im Blut zur Verfügung steht, Creutzfeldt-Jakob-KrankheitÜbertragung durch Blutprodukte
BlutprodukteÜbertragung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheitsind derzeit folgende Personen
als Blutspender auszuschließen: Personen,
•
bei denen der Verdacht auf eine CJD oder vCJD besteht oder diese bestätigt wurde,
•
die jemals mit Hypophysenhormonen (z. B. Wachstumshormonen) humanen Ursprungs behandelt
wurden,
•
bei denen in der Familie (Blutsverwandte, nicht aber z. B. Ehefrau) CJD aufgetreten
ist,
•
die Dura-mater- und Korneatransplantate erhalten haben,
•
die sich im Zeitraum von 1980–1996 ≥ 6 Monate in Großbritannien und/oder Nordirland
aufgehalten haben,
•
die seit dem 1.1.1980 in Großbritannien oder Nordirland operiert wurden oder Bluttransfusionen
erhalten haben.
Um eine eigenständige Kette von Reinfektionen zu vermeiden, wurden bereits früher
in Frankreich und werden seit 2004 in Großbritannien Personen, die eine Bluttransfusion
erhalten haben, von der Blutspende ausgeschlossen. Dieser Ausschluss wurde in Deutschland
nicht eingeführt, da verschiedene Studien zeigen, dass ein wesentlicher Teil der Blutspender
über frühere Transfusionen keine zuverlässige Auskunft geben kann (Caspari et al.
2005a). Noch schwieriger wäre der Ausschluss aller Empfänger von Plasmaderivaten (hierzu
gehören auch Passivimpfstoffe wie Tetanus-Immunglobulin), der zudem zu einem immensen
Verlust an Blutspendern führen würde. Zum Risiko der Übertragung durch Plasmaderivate
siehe Arbeitskreis Blut (2009b).
Die Möglichkeit einer iatrogenen Übertragung von vCJD durch kontaminierte chirurgische
Instrumente rückt zumindest für Länder mit mehreren Erkrankten in den Brennpunkt des
Interesses.
5.27.4
Hygienische Grundregeln für die Blutentnahme
Die Blutspende muss aseptisch ohne Kontamination des Konserveninhalts durchgeführt
werden.
Durch BlutentnahmeHygienemaßnahmendie Verwendung von industriell vorgefertigten, strahlensterilisierten
Einweg-Abnahmebeuteln kann das Blut in ein geschlossenes System abgenommen und hierin
ohne weitere Öffnung des Systems verarbeitet werden.
Die Punktionsstelle ist die einzige Pforte, an der Mikroorganismen, z. B. S. epidermidis,
in das geschlossene System BlutentnahmeHautantiseptik
HautantiseptikBlutentnahmeeindringen können. Daher ist eine umsichtige Auswahl der
Punktionsstelle und der Antiseptika unerlässlich (Kap. 2.2). In Bereichen mit Hautveränderungen
(Hauterkrankungen, Vernarbungen) ist von der Punktion abzusehen. Im Ergebnis des Expertenkonsens
wurde die Empfehlung gegeben, zur Hautantiseptik eine Kombination aus 2-prozentigem
Chlorhexidinglukonat und 70-prozentigem Propan-2-ol anzuwenden und zu beachten, dass
das Hautareal mindestens 30 Sekunden benetzt ist. Danach sollte eine Trocknungszeit
von 30 Sekunden eingehalten werden (WHO 2010). Die Kombination von 70-prozentigem
Propan-2-ol mit OCT dürfte aufgrund der höheren Wirksamkeit von OCT (Koburger et al.
2010) mindestens mit der gleichen Sicherheit verbunden sein.
Die bakterielle Belastung des Vollblutes kann durch Ableitung der ersten Blutportion
in einen separaten Beutel, aus dem dann die Untersuchungsproben gewonnen werden, deutlich
vermindert werden (de Korte et al. 2002). Dieses Verfahren wurde bundesweit als Predonation
Sampling eingeführtPredonation Sampling.
Um das Risiko der bakteriellen Kontamination nicht zu erhöhen, sollte beim vorzeitigen
Versiegen des Blutflusses keine Zweitpunktion mit dem gleichen Beutelsystem vorgenommen
werden. Direkt nach erfolgter Abnahme der Spende wird das noch in Herstellung befindliche
Produkt verschweißt, um eine Kontamination auszuschließen.
Das Personal im Spendebereich BlutentnahmePersonalschutzsoll nach hygienischer Händedesinfektion
Schutzhandschuhe anlegen. Diese müssen nicht nach jeder Punktion gewechselt werden,
sofern sie unversehrt sind. Vor der Punktion des nächsten Spenders ist in diesem Fall
eine Desinfektion der angelegten Handschuhe indiziert (Pitten et al. 1998). Hierzu
sind aber nicht alle Einmalhandschuhe gleichermaßen geeignet. Um eine Kontamination
durch die Vermehrung der Hautflora in der „feuchten Kammer“ Handschuh zu vermeiden,
sollten die Handschuhe etwa halbstündlich gewechselt und jeweils eine hygienische
Händedesinfektion durchgeführt werden.
Bei der isovolämischen Hämodilution (Kap. 5.27.9) ist es üblich, den Blutbeutel an
einen bereits liegenden Venenkatheter anzukoppeln. Dieses Vorgehen ist wegen möglicher
bakterieller Kontamination der Verbindungsstelle zwischen Katheter und Beutelsystem
für die länger zu lagernden Vollblute bzw. die daraus hergestellten Blutprodukte ungeeignet.
5.27.5
Hygienische Grundregeln bei der Blutfraktionierung
Die Auftrennung des Blutes in seine Komponenten (Fraktionierung) erfolgt im geschlossenen
Abnahmesystem.
Für die Hygiene in Herstellungsräumen ist die AMWHV sowie der Annex 1 der EU Guidelines
to Good Manufacturing Practice – Medicinal Products for Human and Veterinary Use –
Manufacture of Sterile Medicinal Products' von 2008 in der korrigierten Version von
2009 maßgeblich.
Erythrozyten, Blutfraktionierung
BlutfraktionierungHygienemaßnahmenThrombozyten und Plasma können im geschlossenen
System mit mehreren Beuteln steril getrennt und aus dem Primärbeutel in Satellitenbeutel
überführt werden. Der einzige Grund für ein eröffnen des Systems ist die Umfüllung
des Transfusionsguts in Perfusorspritzen für spezielle Anwendungen in der Pädiatrie.
Die Indikation für gewaschene ErythrozytenkonzentrateErythrozytenkonzentratgewaschenes
ist sehr selten und wird fast ausschließlich für Patienten mit anaphylaktischen Reaktionen
auf IgA bei IgA-Mangel benötigt (Querschnitts-Leitlinie zur Therapie mit Blutkomponenten
und Plasmaderivaten 2014). Sie werden, ebenso wie die „Austauschkonserven“ für Neugeborene
(0-Erythrozyten und AB-Plasma), im funktionell geschlossenen System mittels steril
arbeitender Schlauchschweißgeräte hergestellt.
Auch die seit 2001 obligatorische starke Verminderung der Leukozyten durch Filterung
(LeukozytendepletionLeukozytendepletion) erfolgt im geschlossenen System als Filtration
des Vollblutes oder der einzelnen Blutkomponenten. Damit reduziert sich neben dem
Risiko einer Immunisierung gegen leukozytäre Antigene des Spenders auch das Risiko
einer Übertragung von in Leukozyten vorhandenen Bakterien (z. B. Mettille et al. 2000),
Viren (Gong et al. 1994; Rawal et al. 1991) und leukozytengebundenen Prionen (Gregori
et al. 2004).
5.27.6
Lagerung von Blutprodukten
Die Lagerung von Blut und Blutprodukten darf keine bakterielle Besiedlung der Präparate
von außen zulassen. Eine akzidentelle Kontamination der Konserven von außen kann unter
geeigneten Umständen zur Verbreitung von Bakterien führen, die schwerwiegende nosokomiale
Infektionen auslösen können, z. B. aus dem Labor in das OP-Feld.
Erythrozytenkonzentrate: Erythrozytenkonzentrate werden bei Temperaturen von 4 ± 2
°C in erschütterungsfreien, temperaturüberwachten Kühlschränken gelagert. Nur ErythrozytenkonzentratLagerung
BlutprodukteLagerung
BlutprodukteErythrozytenkonzentratwenige Bakterienspezies können sich bei 4 °C zu
hohen Konzentrationen vermehren. Dazu gehört Y. enterocolitica, für die eine Temperatur
von 4 °C sogar ein positives Selektionskriterium ist (Arbeitskreis Blut 1999; Blajchman
1998). Nach anfänglicher Adaptationsphase erfolgt eine exponentielle Vermehrung dieser
Erreger. Unterbrechungen der Kühlkette verbessern die Vermehrungsbedingungen und ermöglichen
die Vermehrung weiterer Bakterienspezies. Deshalb sollte innerhalb von 30 Minuten
nach Unterbrechung der Kühlkette entweder mit der Transfusion begonnen oder nicht
benötigte Blutkonserven, wenn laut hauseigener Transfusionsordnung zulässig, ins Depot
zurückgebracht werden (Petz und Swisher 1989).
In vielen Krankenhäusern werden vor größeren Operationen vorsorglich Erythrozytenkonzentrate
aus dem Blutdepot in den OP-Saal gebracht und nach der OP nicht benötigte Blutkonserven
wieder zurück in das Blutdepot geschickt. Von dort werden die Blutkonserven dann an
den nächsten Patienten ausgegeben. Eine Möglichkeit, die bakterielle Kontamination
der Blutbeutel von außen zu vermeiden, besteht darin, diese in eine Plastiktüte verpackt
vom Blutdepot auszugeben (z. B. alle EK für einen Patienten) und diese Umverpackung
bei Rücknahme der Blutkonserven zu vernichten.
Thrombozytenkonzentrate: Die Lagertemperatur von Thrombozytenkonzentraten beträgt
22 ± 2 °C. Die Funktion von Thrombozyten würde im Kühlschrank irreversibel geschädigtThrombozytenkonzentrateLagerung
BlutprodukteThrombozytenkonzentrat. Durch diese relativ hohe Lagertemperatur sind
Thrombozytenkonzentrate hinsichtlich bakterieller Vermehrung besonders gefährdet und
ist ihre Lagerdauer auf maximal 4 d, gerechnet ab Mitternacht des Entnahmetags, begrenzt,
sofern die Präparate nicht pathogeninaktiviert sind (Arbeitskreis Blut 2008b).
Mittlerweile sind Verfahren marktreif, die durch biochemische oder biophysikalische
Prozesse in Thrombozytenkonzentraten eine breite Palette von Pathogenen mit unterschiedlicher
Wirksamkeit inaktivieren können (Lozano und Cid 2013; Seltsam und Müller 2013). Für
jedes einzelne Verfahren ist sorgfältig zu prüfen, ob die durch das Verfahren bedingte
mögliche verminderte Wirksamkeit, Neoantigenität und/oder Kanzerogenität das extrem
geringe Restrisiko durch die zu verhindernden Infektionen aufwiegen (Kerkhoffs et
al. 2010). Daher sind die Empfehlungen des Europarats zur Pathogeninaktivierung diesen
Verfahren gegenüber sehr kritisch (Caspari et al. 2005b). Einen möglichen Vorteil
bieten diese Verfahren vor allem beim Auftreten neuer Erreger, die durch Anamnese
und Labortestung nicht zu erfassen sind und zu hoher Morbidität und Mortalität beim
Blutempfänger führen.
Die begrenzte Haltbarkeit macht eine Quarantänelagerung von Thrombozytenkonzentraten
unmöglich.
Frischplasma: Frischplasma wird innerhalb weniger Stunden nach der Blutentnahme tiefgefroren
und bei Temperaturen ≤ 30 °C gelagert. Unter diesen FrischplasmaLagerung
BlutprodukteFrischplasmaBedingungen scheint ein Bakterienwachstum nahezu ausgeschlossen.
Beschreibungen bakterieller Kontaminationen durch Frischplasma einschließlich publizierter
Todesfälle sind zitiert bei Montag et al. (1999). Das Plasma muss entweder einem anerkannten
Verfahren der Virusinaktivierung unterzogen werden, wofür zurzeit das Solvens-Detergens-Verfahren
oder das Methylen-Blau Verfahren infrage kommt, oder 4 Monate quarantänegelagert werden
(Arbeitskreis Blut 2003). In diesem Fall muss der Spender frühestens 4 Monate nach
der Spende nochmals untersucht werden und müssen die virusserologischen Screeningtests
(Anti-HIV, Anti-HCV, HBs-Antigen, HCV-RNA, HIV-RNA, ggf. ALT) unauffällig sein.
Industriell hergestellte Plasmafraktionen, z. B. Gerinnungsfaktorenkonzentrate, müssen
nach den Vorschriften des Herstellers gelagert und aufbereitet werden.
5.27.7
Sterilitätstestung von Blutkomponenten
Da Blutkomponenten nicht sterilisierbar sind, wurde der früher gebrauchte Begriff
der Sterilitätstestung durch den Begriff „Mikrobiologische Kontrolle“ ersetzt (Arbeitskreis
Blut 2013). Der Nachweis der Keimfreiheit von BlutprodukteSterilitätstestung
FrischplasmaSterilitätstestung
ErythrozytenkonzentratSterilitätstestung
ThrombozytenkonzentratSterilitätstestungBlutkomponenten (Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentrate;
quarantänegelagertes Frischplasma) kann nur stichprobenartig erfolgen. Bei einer Charge
aus gepooltem Plasma vieler Spender, das dann wieder in Einzelportionen abgefüllt
wird, wie dem Solvens-Detergens-inaktivierten Plasma, ist eine Chargenkontrolle möglich.
Die Blutbestandteilkonserven müssen anhand von Stichproben mit geeigneten Methoden
auf Abwesenheit von Bakterien und Pilzen getestet werden. Die Stichprobengröße bezieht
sich immer auf die monatlich in einer Betriebsstätte durchgeführten Verfahren (Tab.
5.52
).
Tab. 5.52
Probenumfang abhängig von den monatlich in einer Betriebsstätte durchgeführten Verfahren
(Arbeitskreis Blut 2013)
Probengröße
Anzahl der Verfahren
N < 400
≥ 4 Präparate
400 ≤ N < 1 500
1 % von N
N ≥ 1 500
0,4 × √N.
Die Durchführung einer zweiten Kultur bei positivem Signal wird mit dem neuen Votum
des Arbeitskreises Blut verbindlich. Die Differenzierung kann wichtige Hinweise auf
den Ursprung der Kontamination geben, z. B.:
•
Hautflora: mangelnde Antiseptik der Punktionsstelle
•
Y. enterocolitica: mangelnde Spenderuntersuchung/-anamnese
•
„Exotische Bakterien“: Verdacht auf Kontamination des Antikoagulanz bzw. der additiven
Lösung im Erythrozytenkonzentrat
5.27.8
Thermische Behandlung von Blutprodukten
•
Gefrorenes Frischplasma (GFP) ist das einzige Standardblutprodukt, das vor der Transfusion
möglichst schnell bei maximal 37 °C aufgetaut werden muss.
•
Thrombozytenkonzentrate sollten grundsätzlich nicht gewärmt werden.
•
Erythrozytenkonzentrate sind i. d. R. nicht zu erwärmen.
Jede Frischplasmagefrorenes, Auftauen
Blutproduktethermische BehandlungErwärmung von Blutprodukten erhöht die Vermehrungsmöglichkeit
für Bakterien. Das Erwärmen ErythrozytenkonzentratErwärmungvon Erythrozytenkonzentraten
ist i. d. R. nicht erforderlich. Ausnahmen sind Massivtransfusionen mit Zufuhr von
mehr als 50 ml EK/min bei bereits vor der Transfusion unterkühlten Patienten, Patienten
mit einer BlutprodukteErwärmungchronischen Kälteagglutininkrankheit und hochtitrigen
Kälteantikörpern, Patienten, die auf den Kältereiz durch gekühltes Blut mit Vasospasmus
reagieren, sowie Transfusionen und Austauschtransfusionen bei Neugeborenen (Querschnitts-Leitlinie
2014). Für die Erwärmung dürfen nur zugelassene Blutwärm- und Plasmaauftaugeräte verwendet
werden. Diese unterliegen den Vorschriften des Medizinproduktegesetzes (2013). Die
Erwärmung von Blut oder Blutbestandteilen mit anderen Hilfsmitteln, z. B. das Eintauchen
in heißes Wasser, lässt sich nicht kontrollieren. Sie birgt die Gefahr der Hämolyse
bzw. Proteindenaturierung und ist deshalb abzulehnen.
In temperaturgeregelten Wasserbädern wird das Transfusionsgut direkt oder durch einen
Kunststoffbeutel geschützt in Wasser gelegt. Da das Temperiermedium nicht im geschlossenen
System zirkuliert, besteht das Risiko der massiven Anreicherung pathogener Mikroorganismen.
Deshalb sind offene Wasserbäder in OP-Einheiten und Stationsräumen abzulehnen. Auch
in Laborräumen können von außen durch besiedelte Wasserbäder Hospitalerreger auf die
Blutbeutel übertragen und weiterverbreitet werden. Ein Zusatz von Desinfektionsmitteln
o. Ä. zum Temperiermedium ist problematisch, da diese Mittel mit den Kunststofffolien
der Blutbeutel reagieren können.
In Trockenwärmegeräten wird das Transfusionsgut zwischen elektrisch beheizten Metallplatten
oder mit warmem Wasser durchströmten Kissen erwärmt. Hierdurch ist die Gefahr einer
bakteriellen Kontamination stark vermindert.
Einer guten Validierung bedürfen Diathermiegeräte (Mikrowellengeräte), da bei diesen
Geräten eine gleichmäßige Temperaturverteilung von vielen Faktoren abhängt.
In Durchflusserwärmern wird das Blut während der Transfusion im Transfusionsschlauch
erwärmt. Dieser ist entsprechend länger und liegt zwischen Wärmeelementen. Es sind
Geräte für normale und hohe Fließgeschwindigkeiten im Handel.
5.27.9
Applikation von Blut- und Blutbestandteilkonserven
Vor der Vorbereitung einer Blutkonserve zur Transfusion ist eine hygienische Händedesinfektion
durchzuführen.
JedeTransfusionDurchführung
BlutprodukteApplikation Transfusion muss über ein steriles Transfusionsbesteck mit
Filter erfolgen. Die Standardfilter haben eine Porengröße von 170–230 µm und sind
damit für Bakterien durchlässig. Sie sind für die Transfusion von Erythrozyten, Thrombozyten
und Plasma geeignet. Die Transfusionsbestecke werden industriell hergestellt und strahlensterilisiert.
Sie sind nur zur einmaligen Verwendung deklariert. In den Filtern sammeln sich größere
Proteinmengen, die ein idealer Nährboden für Bakterien sind. Deshalb sollen Filter
nicht länger als 4 Stunden benutzt werden.
Beim Einführen des Einstichdorns des Transfusionsbestecks in den präformierten Stichkanal
des Blutbeutels sollte besonders umsichtig vorgegangen werden. Ein Berühren des Einstichdorns
mit der äußeren Beuteloberfläche ist zu vermeiden. Wird der Blutbeutel nach Einführen
des Dorns geknickt, kann die Spitze des Dorns die Beutelfolie perforieren und so das
geschlossene System zerstören.
5.27.10
Autologe Transfusion
Für Transfusionautologedie Gewinnung autologen Blutes gibt es neben der ambulanten
präoperativen Eigenblutspende und Eigenplasmapherese auch die Möglichkeiten der präoperativen
isovolämischen Hämodilution sowie der maschinellen Autotransfusion (Koscielny et al.
1995). Für die präoperative Eigenblutspende und Eigenplasmapherese sowie die Retransfusion
autologer Erythrozytenkonzentrate und Plasmen gelten die Abschnitte 5.27.1 bis 5.27.8
in vollem Umfang.
Die präoperative Eigenblutspende war in den 1980er und 1990er-Jahren als Schutz vor
transfusionsrelevanten EigenblutspendepräoperativeInfektionen von den Patienten nachgefragt.
Da jedoch bis heute der eindeutige Nachweis fehlt, dass der Nutzen die Nachteile überwiegt.
Sie wird daher nur noch selten angewandt.
Patienten, bei denen eine HBV-, HCV- oder HIV-Infektion besteht, sollten von der Eigenblutspende
ausgeschlossen werden, da durch sie im Fall einer Verwechslung des Patienten bei der
Retransfusion diese schwerwiegenden Infektionen übertragen werden würden. Ist die
Spende aus transfusionsmedizinischen Gründen unvermeidlich, z. B. bei sehr seltenen
Blutgruppen, soll die Spende getrennt von anderen Spenden gelagert und deutlich als
infektiös gekennzeichnet werden.
Die Häufigkeit von Verwechslungen, bei denen Blutkonserven einem dafür vorgesehenen
Empfänger transfundiert werden, wird auf 1 : 500 und 1 : 30.000 geschätzt. Diese geringere
Häufigkeit leitet sich von retrospektiv erfassten, klinisch in Erscheinung getretenen
Komplikationen bei bzw. nach i. d. R. AB0-inkompatiblen Transfusionen ab. Bei prospektiver
Erfassung z. B. von Blutgruppenveränderungen von Patienten bei aufeinanderfolgenden
Proben durch Vertauschung gelangt man eher zu den höheren Schätzwerten.
Bei Hämodilution, isovolämische, präoperativeder präoperativen isovolämischen Hämodilution
nimmt der Anästhesist dem Patienten unmittelbar vor dem Eingriff Vollblut in einer
Menge von 10–20 ml/kg KG ab (Bormann B und von Friedrich 1993). Gleichzeitig werden
kontralateral Plasmaexpander infundiert. Der Hämatokrit sinkt auf einen Wert von 25–30
%. So verringert sich der intraoperative Erythrozytenverlust. Wenn das so gewonnene
Eigenblut bei Raumtemperatur gelagert wird, können sich Bakterien vermehren. Das sollte
vor allem bei Eingriffen, die länger als 4 Stunden dauern, berücksichtigt werden.
In der Regel wird das präoperativ gewonnene Vollblut unmittelbar postoperativ retransfundiert.
Maschinelle Autotransfusion: Bei der maschinellen Autotransfusion, maschinelleAutotransfusion
darf das Wundblut nur aus sog. sterilen OP-Feldern entnommen werden, z. B. bei der
Implantation einer totalen Hüftendoprothese oder gefäßchirurgischen Eingriffen. Der
Operateur Autotransfusion, maschinellesammelt Wundblut aus dem OP-Feld in ein steriles
System. In diesem „cell saver“ werden die Erythrozyten mit isotoner NaCl-Lösung gespült
und so von Zellfragmenten und Wundflüssigkeit befreit. Intra- oder postoperativ erfolgt
die Retransfusion der gewaschenen autologen Erythrozyten. Detaillierte rechtliche
Regelungen finden sich in einer Stellungnahme des Arbeitskreises Blut (2014). Der
Plasmaersatz kann mit autologem Plasma der Eigenblutspende bzw. Eigenplasmapherese
erfolgen.
5.27.11
Entsorgung von Transfusionsgut
Bei der Produktion von Blut- und Blutbestandteilkonserven sowie deren Anwendung entsteht
Abfall in Form von Abnahme- und Transfusionssystemen sowie leeren und z. T. gefüllten
Blutbeuteln.
Das Abfallrecht wurde in den letzten 10 Jahren durch europäische Richtlinien und Transfusionsgut,
EntsorgungVerordnungen sowie Bundesgesetze neu gestaltet (Abfallrecht 2013). Die ländereinheitliche
Umsetzung des Abfallrechts für medizinische Abfälle dient als Orientierung, gilt aber
nur insoweit, als Länder und Kommunen keine anderen Regeln zur Umsetzung treffen.
Sie soll die relevanten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften konkretisieren,
ist aber rechtlich nicht verbindlich. die Zuordnung der Abfälle erfolgt zu einzelnen
Abfallschlüsseln entsprechend der Abfallverzeichnisverordnung (Pilz und Juditzki 2003;
Kap. 6.7).
Unter den Abfallschlüssel (AS) 180102 (früher E-Müll) fallen neben Körperteilen und
Organen auch teilgefüllte oder gefüllte (verfallene) Blutkonserven. Diese sind am
Abfallort gesondert zu erfassen und dürfen nicht mit anderen Abfällen vermischt werden.
Sammlung und Transport erfolgen in verbrennbaren, bauartzugelassenen Einwegbehältnissen,
die mit dem Entsorgungsunternehmen bzw. der Entsorgungsanlage abzustimmen sind. Die
Entsorgung erfolgt in einer zugelassenen Verbrennungsanlage. Alternativ ist die Leerung
einzelner Beutel unter Beachtung hygienischer und infektionspräventiver Gesichtspunkte
sowie der kommunalen Abwassersatzung in die Kanalisation möglich. Die leeren Blutbeutel
sind dann nach AS 180104 einzuordnen. Infektiöse Blutkonserven (AS 180103, früher
C-Müll) werden i. d. R. durch Sterilisation zu Abfällen, an deren Sammlung und Entsorgung
aus infektionspräventiver Sicht keine besonderen Anforderungen zu stellen sind (AS
180104).
Danksagung
Für wertvolle Anregungen zu diesem Kapitel danken wir Herrn Professor Axel Kramer.
5.28
Pathologie, Neuropathologie, Rechtsmedizin und Anatomie
Stefan Koch, Walter J. Schulz-Schaeffer, Britta Bockholdt und Axel Kramer
Waren früher die Infektionsrisiken (z. B. Tuberkulose, Syphilis, Tetanus) für in der
Pathologie beschäftigtes Personal fast ausschließlich mit der Obduktionstätigkeit
verbunden, ergeben sich heutzutage zusätzlich Risiken bei der Beurteilung von Frischmaterial
oder noch nicht vollständig fixierten Zell- und Gewebepräparaten. Durch die Einführung
neuer Diagnose- und Therapieverfahren und im Rahmen von Kostenbegrenzung, Verweildauerreduktion
und Fallzahlsteigerung sollen die Untersuchungsergebnisse immer kurzfristiger nach
Materialentnahme vorliegen. Das darf jedoch nicht zur Vernachlässigung des Arbeits-
und Infektionsschutzes führen. Vielmehr ist es erforderlich, die Arbeitsabläufe permanent
hinsichtlich der Anforderungen an den Infektionsschutz zu überprüfen.
5.28.1
Infektionsrisiken
In PathologieObduktion
ObduktionInfektionsrisiko, Neuropathologie, Rechtsmedizin und Anatomie besteht ein
Infektionsrisiko für Obduzenten, Sektionsmitarbeiter und Studenten, aber auch für
Teilnehmer an autoptischen Befunddemonstrationen, für Personen, die mit dem Leichnam
umgehen, wie Bestatter, Krematoriumsmitarbeiter, Einbalsamierer und Angehörige, beim
Umgang mit Sektionsasservaten sowie bei chemischen Analysen von Organproben, Blut,
Liquor, Urin und Kot.
Infektionsgefährdung ist möglich durch Einatmen, Verschlucken, Verletzung, Einbringen
in vorbestehende Hautwunden und Aufnahme über Schleimhäute (Augen, Nase, Mund). Risiken
gehen von einer Tbk-, HCV-, HBV-, HIV- und Prioninfektion des Leichnams oder entnommener
Gewebeproben aus. Erhöhte Vorsichtsmaßnahmen gelten auch bei Meningokokkeninfektion
und Infektionen durch MRE.
Tuberkulose, Virushepatitis, HIV-Infektion/AIDS: Im Sektionssaal geht die größte InfektionsgefahrTuberkuloseInfektionsgefahr
in der Pathologie
Hepatitis-B-VirusInfektionsgefahr in der Pathologie
Hepatitis-C-VirusInfektionsgefahr in der Pathologie von Tbc aus. Das Personal nachgeordneter
Laborbereiche ist deutlich weniger gefährdet. Hauptsächliche Infektionsquelle sind
mykobakterienhaltige Aerosole oder Gewebeversprengungen, die besonders beim Abspülen
und Aufschneiden von Organen mit ungeeigneten Messern (zu kurze Klingen) und stumpfen
Scheren (Spritzgefahr durch kleine Tröpfchen), Sägen von Knochen mit oszillierenden
Sägen (Aerosole) sowie Herstellung von Gefrierschnitten (Umherfliegen statisch aufgeladener
Gewebepartikel) entstehen können. Neben der inhalativen Aufnahme von Krankheitserregern
ist die Infektion über akzidentelle Hautverletzungen bei der Eviszeration des Leichnams,
der Bearbeitung von Sputumproben, beim Schneiden einzelner Organe und bei der makroskopischen
Untersuchung frischer OP-Präparate möglich.
Der gleiche Personenkreis ist durch HBV-, HCV- und HIV-Infektion gefährdet. Eintrittspforten
sind Hautschnittverletzungen, Wunden und Stichverletzungen sowie die Augen, z. B.
bei Kontamination mit Blut, Körperflüssigkeiten und Spülmedien. 2013 hat es 3 263
HIV-Neuinfektionen in Deutschland gegeben (RKI 2014a). Ende 2013 lebten nach Schätzung
des RKI bundesweit etwa 80 000 an AIDS Erkrankte (RKI 2014a). Bisher ist allerdings
nur eine berufsbedingte HIV-Infektion eines Pathologen dokumentiert (Johnson et al.
1997), sodass das Berufsrisiko einer HIV-Infektion für Mitarbeiter in der Pathologie
als gering einzuschätzen ist (Ruggiero et al. 2009). Während HIV-Antikörper in Leichen
und Blutproben jahrelang stabil bleiben können, war die Virusisolierung aus Vollblut
nur bis maximal 36 h postmortaler Leichenliegezeit erfolgreich (Püschel et al. 1991).
Prionkrankheiten: Die verschiedenen PrionkrankheitenInfektionsgefahr in der PathologieFormen
der TSE wie CJD, letale familiäre Insomnie (FFI), das hereditäre Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom
(GSS) und vCJD (Kap. 3.3) sind nach derzeitigem Kenntnisstand nur durch aktives Einbringen
des Erregers in den Körper, nicht aber durch soziale und sexuelle Kontakte übertragbar
(Rudolph et al. 2001; Simon und Pauli 1998). Für die Gefährdungseinschätzung ist zu
beachten, dass bei sporadischen und genetischen Prionkrankheiten nur das ZNS, bei
vCJD auch das periphere lymphatische Gewebe hohe Erregermengen enthalten können (Task
Force vCJK 2002).
Es gibt derzeit keine epidemiologischen Hinweise, dass Pathologen oder mit Autopsiegewebe
arbeitende Personen überzufällig häufig an CJD erkrankt sind (Arbeitskreis Krankenhaus-
und Praxishygiene der AWMF 2012b). Trotzdem muss bei CJD-Verdachtssektionen ein erhöhter
Personenschutz und ein Kontaminationsschutz der Umgebung gewährleistet werden. Für
bioptische und autoptische Untersuchungen sollten sämtliche Materialien von Patienten
mit ungeklärten Demenzen, insbesondere in Kombination mit Myoklonien, Ataxie und auffälligen
EEG-Befunden, als CJD-Verdachtsfälle gelten (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene
der AWMF 2012b; Schulz-Schaeffer et al. 1998). Insbesondere in der Rechtsmedizin bleibt
allerdings ein generell erhöhtes Risiko bei Sektionen von Personen mit unbekannter
Anamnese und in den Fällen, in denen die Obduktion sehr kurze Zeit nach dem Todeseintritt
durchgeführt wird.
Meningokokkeninfektionen, SARS, MRGN: Bei Meningokokkeninfektionen besteht bei Autopsien
kurz MeningokokkenInfektionsgefahr in der Pathologie
SARSInfektionsgefahr, Pathologie
Multiresistente gramnegative ErregerInfektionsgefahr, Pathologienach Todeseintritt
Ansteckungsgefahr (Healing et al. 1995). Das gilt prinzipiell auch für das schwerere
akute Atemnotsyndrom durch Coronaviren (SARS-CoV), obwohl bislang kein Übertragungsfall
durch Umgang mit diagnostischen Proben oder bei Autopsien bekannt geworden ist (CDC-SARS
Guidance 2005; Marty und Racz 2011). Von längerzeitig beerdigten Verstorbenen geht
dagegen keine Infektionsgefahr aus. Das gilt auch für Pest, Cholera, Typhus, Tbc und
Pocken, da diese Erreger unter den Bedingungen des Erdgrabs kein Langzeitüberleben
zeigen. Eine Ausnahme bildet der Milzbranderreger, der noch nach Jahrzehnten im Boden
lebensfähig ist. Auch Salmonellen können bis zu 2 Jahre im Boden infektiös bleiben.
Schimmelpilzsporen können bei Exhumierungen ein gesundheitliches Risiko darstellen
(Healing et al. 1995), z. B. bei der Untersuchung von Mumien oder anderen postmortal
veränderten Leichen. Für MRGN ist die Überlebensfähigkeit nur in vitro bzw. auf Flächen
untersucht und kann z. B. für A. baumanii bis zu einem Jahr, für VRE und Klebsiella
spp. bis zu 30 Monaten und für EHEC 179 d (untersucht im Boden) betragen (Kramer und
Assadian 2014). Insofern ist bei Exhuminierungen innerhalb der ersten 3 Jahre nach
dem Begräbnis eine Infektiosität nicht auszuschließen.
Vogelgrippe und andere Influenzaarten: DasInfluenzaInfektionsgefahr in der Pathologie
Risiko im Umgang mit Gewebeproben oder bei Autopsien von Patienten mit Vogelgrippe
oder anderen Influenzaarten ist nicht höher als der Umgang mit daran erkrankten Patienten.
Influenzaviren sind empfindlich gegen die üblichen Desinfektionsmittel und überleben
üblicherweise bis 2 d in der Umgebung (Kramer et al. 2006). Vogelgrippeviren können
in Abhängigkeit von pH-Wert, Feuchtigkeit, Temperatur und Salzgehalt 120–180 d persistieren
(Brown et al., 2007, Brown, 1980). Hier stellen Obduktionen zeitnah nach dem Todeseintritt
eine Gefährdung dar.
5.28.2
Verletzungsrisiken
Bei ObduktionVerletzungsrisikoder Obduktion besteht die Gefahr der Stich- oder Schnittverletzung
an scharfkantigen Knochenbrüchen bei Unfallopfern oder Opfern von Tötungsdelikten
und an scharfkantigen Gegenständen im Körper des Leichnams. Diese können auf verschiedenste
Weise in den Körper eingebracht worden sein: Metallteile im Rahmen von Explosionen,
Projektilfragmente, abgebrochene Messerklingen bei Suizid und Tötungsdelikten und
im Körper verbliebene MP. Bei letzteren kann es sich um im Körper verbliebene Injektionsnadeln
z. B. bei i. v. Drogenabhängigen, die HIV/HBV/HCV-Risikopatienten sind (Hutchins et
al. 2001), oder um implantierte MP wie spitzkantige Vena cava (Greenfield)-Filter
(Abraham und Greenfield 1995) oder vergleichsweise stromstarke Defibrillatoren (Prahlow
et al. 1997) handeln.
Das Vorgehen bei der Obduktion birgt Verletzungsgefahren. Scharfkantige Knochenfragmente
können z. B. bei Eröffnung des Brustkorbs und des Schädels entstehen oder in Folge
von Unfallverletzungen vorliegen. Die Obduzenten sollten bei zu stark gekühlten oder
partiell gefrorenen Leichen (Rechtsmedizin) besondere Vorsicht walten lassen. Mit
kalten Fingern sind scharfe Kanten meist erst spät spürbar. Die Verletzungsgefahr
ist deutlich erhöht.
5.28.3
Gefährdung durch chemische Noxen und radioaktive Strahlen
Chemische Risiken gehen von folgenden, häufig verwendeten Stoffen aus: Phenol, Xylol,
aromatische Amine, Methacrylate, Aldehyde, Diaminobenzidin, Natriumazid, Nitrite,
Bleisalzverbindungen, sublimathaltige Fixanzien, Aceton und Trichlorethylen.
Die ObduktionStrahlenexposition
StrahlenexpositionObduktionMöglichkeit der Strahlenexposition besteht bei vor dem
Tod vorgenommener Radioiodtherapie mit 131I, Afterloadingtherapie mit 125I sowie Schmerztherapie
von Skelettmetastasen mit 89Sr (Adrion und Pira 1994). Obwohl die meisten eingesetzten
Radionuklide eine Halbwertszeit < 6 h besitzen, empfiehlt sich die Dosimetrie des
Leichnams bei entsprechender Anamnese. Bei Überschreitung des 5 × 102-fachen, bei
umschlossenen radioaktiven Stoffen des 5 × 103-fachen der Freigrenzen muss die Sektion
bei Einhaltung der Schutzvorschriften für beruflich Strahlenexponierte gemäß Richtlinie
Strahlenschutz in der Medizin (BMU 2002) in einem gekennzeichneten Kontrollbereich
mit Strahlenschutzvorrichtungen durchgeführt und von einem Strahlenschutzbeauftragten,
der nicht Arzt zu sein braucht, beaufsichtigt werden.
Leichenkonservierung und Gewebeprozessierung: Es empfiehlt sich, den Anteil von Formaldehyd
ObduktionFormaldehydexposition
FormaldehydExposition bei Obduktion
Leichenkonservierungfür die Gewebepräparation durch Wässerung der Präparate zu reduzieren
bzw. zu eliminieren (Kalanjati et al. 2012; Khouri 2012; Koch et al. 2001; Nicholson
et al. 2005; Whitehead und Savoia 2008). Alternativ kann über jedem Präpariertisch
eine leistungsfähige Absaugung installiert werden (realisiert z. B. im Institut für
Anatomie der Universitätsmedizin Greifswald), wodurch der Formaldehydgehalt in den
meisten Fällen unter die Nachweisgrenze gesenkt werden kann (Demer et al. 1996). Xylolbehälter
für Einbettung und Entparaffinierung müssen entweder geschlossen gehalten oder unter
einem Abzug genutzt werden. Es ist obsolet, Xylol zur Reinigung von Equipment im Wärmeofen
aufzuheizen. Diese Arbeiten müssen unter einem Abzug erfolgen.
Mit Fensterbelüftung oder Ventilatoren gelingt es nicht, die MAK-Werte einzuhalten,
was mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen verbunden ist. So wurden bei exponierten
Studenten mit einer Belastung von 0,5 ppm eine signifikante Herabsetzung des Geruchsvermögens
sowie Reizungen von Augen und Rachen sowie Mundtrockenheit beobachtet (Chia et al.
1992; Onyije und Avwioro 2012). Bei einer Exposition zwischen 0,07 und 2,94 ppm traten
bei 32/34 Mitarbeitern Reizungen von Augen, Nasen, Rachen und Atemwegen auf, verbunden
mit signifikanter Herabsetzung des forcierten exspiratorischen 3 Sekundenwerts (FEV3)
(Akbar-Khanzadeh et al. 1994). Als weitere Nebenwirkungen wurden abdominale Schmerzen,
Übelkeit, Erbrechen, Dermatitis, Sinusitis und Kurzatmigkeit beobachtet. Bei Raumluftmessungen
ist zu beachten, dass die Konzentrationen abhängig vom Standort der Personen 2–3fach
höher sein können als die mittlere Raumluftkonzentration (Ohmichi et al. 2012).
5.28.4
Hygienemaßnahmen bei Autopsien
Basismaßnahmen
Der obligatorische PersonenschutzPersonalschutzObduktion
ObduktionPersonalschutz umfasst das Tragen von 2 Paar Gummihandschuhen bzw. sicherer
von schnittfesten Schutzhandschuhen (Fritzsche et al. 2008), flüssigkeitsdichtem Schutzkittel
oder Einwegschürze, beschlagfreier (Schutz-)Brille und MNS als Spritzschutz.
Bei ObduktionHygienemaßnahmender Obduktion sollen folgende Grundsätze beachtet werden:
•
Im Obduktionssaal halten sich nicht mehr Personen als notwendig auf.
•
Der gemäß Strafprozessordnung berechtigte Kreis anwesender Personen bei gerichtlichen
Sektionen (Staatsanwalt, Kriminalbeamte) muss über das Verhalten im Autopsieraum unterrichtet
werden. Bei Arbeiten an Leichen durch Nichtmediziner (Foto, Asservierung von Kleiderproben
und Fingerabdrücken) gelten die gleichen Hygienevorschriften wie für das Sektionspersonal,
d. h. Schutzkleidung, Schutzhandschuhe (Fritzsche et al. 2008; Saternus und Madea
2007) und Händedesinfektion bei Verlassen des Sektionssaals.
•
Die Obduktion wird so durchgeführt, dass Blutantrocknungen an Leiche, Sektionstisch
und Fußbodenflächen vermieden werden. Dazu wird eine ruhig fließende, Spritzwasser
und Aerosolbildung vermeidende Tischbewässerung empfohlen.
•
Zum Schutz vor Schnittverletzungen wird nur unter Sicht und mit scharfen Skalpellen
oder Messern präpariert.
•
Entnommene Organe werden bis zur klinischen Demonstration auf hierfür vorgesehene
Tabletts abgelegt.
•
Gewebeproben zur histologischen Untersuchung sollen nicht in Glasgefäßen asserviert
werden. Die Gefäße müssen dicht verschließbar sein und sollen mindestens fünfmal mehr
Volumen an Fixierungsflüssigkeit als zu fixierendes Gewebe enthalten. Gegebenenfalls
wird die Fixierungsflüssigkeit gewisse Zeit nach der Erstasservierung gewechselt.
•
Beim Sägen von Schädel und Rückenmarkkanal müssen Aerosole vermieden werden. Das gelingt
nur durch Verwendung von Handsägen. Bei Verwendung oszillierender Sägen muss eine
FFP2-Maske getragen werden bzw. die oszillierende Säge muss mit einer Absaugvorrichtung
ausgestattet sein. Bei Patienten mit Verdacht auf Tbk (unklarer Lungenbefund reicht
als Verdacht aus), Virushepatitis, AIDS oder CJD birgt der Einsatz oszillierender
Sägen immer eine Gesundheitsgefahr für die Mitarbeiter, auch für jene, die erst später
den Sektionssaal betreten. Bei Verwendung von Handbügelsägen zur Schädeleröffnung
oder zum Heraustrennen anderer Skelettteile entstehen große, nicht erheblich schwingungsfähige
Partikel in geringerer Zahl (Kernbach-Wighton et al. 1998; Saternus und Madea 2007),
sodass die Infektionsgefahr gering ist. Die Verwendung oszillierender Sägen erhöht
die Menge kleiner schwebefähiger Partikel, die im Umkreis von 6–8 m über viele Stunden
nachweisbar waren (Kernbach-Wighton und Saternus 1997) und teilweise bis in die Lungenalveolen
eingeatmet werden können.
•
Nach abgeschlossener Obduktion wird eine Raum- und Flächenreinigung und -des-infektion
vorgenommen. Die Instrumentenaufbereitung erfolgt nach den Grundsätzen zur Aufbereitung
von MP (Task Force vCJD 2002).
Besondere Schutzmaßnahmen bei Verdacht auf Tbc, HIV, HBV, HCV und weitere problematische
Infektionserreger
Zur Prävention von Verletzungen darf bei der Organentnahme stets nur eine Person mit
Sektionsinstrumenten am Leichnam arbeiten. Sofern sich während der Obduktion ein Tbk-Verdacht
ergibt, soll auf die klinische Demonstration unfixierter Organe verzichtet werden.
Der Sektionssaal ist unmittelbar nach der Obduktion der gründlichen Desinfektion und
Reinigung zu unterziehen. Asservate sind mit dem Hinweis der Tbk-Gefährdung zu kennzeichnen.
Für die Dauer der Obduktion und des nachfolgenden Aufenthalts im Obduktionssaal müssen
alle Anwesende eine partikelfiltrierende Halbmaske gemäß EN 149 der Schutzstufe FFP2
anlegen. Bei Hinweis auf multiresistente Tb-Erreger empfiehlt sich Schutzstufe FFP3
(Kramer et al. 1997; Saternus u. Madea 2007).
Zum Schutz nachfolgender Kontaktpersonen sollte bei HIV, analog wie bei Virushepatitis,
TSE, SARS, ESBL u. a. meldepflichtigen Infektionserkrankungen, die Leiche als „infektiös“
gekennzeichnet und dem Bestatter in einer Schutzhülle (Leichensack, bodybag) übergeben
werden.
Besondere Schutzmaßnahmen bei Verdacht auf eine Prionkrankheit
Der CJD-Verdacht PrionkrankheitenHygienemaßnahmen, Obduktionist auf dem Probenbegleitschein
zu vermerken. Zusätzlich zu den gleichen Vorkehrungen wie bei Verstorbenen mit HIV-Infektion
bzw. AIDS werden folgende Schutzmaßnahmen empfohlen (Arbeitskreis Krankenhaus- und
Praxishygiene der AWMF 2012b; Meyermann 2011; Mitglieder-Handbuch des Berufsverbandes
Deutscher Pathologen e. V.; Schulz-Schaeffer et al., 1998, Schulz-Schaeffer et al.,
2006):
•
Die Obduktion kann prinzipiell in jeder Pathologie/Rechtsmedizin stattfinden. Der
Sektionssaal muss ausreichend geräumig sein, sodass die handelnden Personen sich frei
und ohne Gefahr akzidenteller Kontamination bewegen können. Nicht benötigte Einrichtungsgegenstände
wie der Sektionstischaufsatz werden aus dem Raum entfernt.
•
Bei der Sektion sind mindestens zwei, besser drei Personen anwesend. Eine Person bleibt
sauber, dokumentiert und kann zur Not helfend eingreifen.
•
Liquorpunktion, Probeexzision, Blutentnahme und Punktion innerer Organe sind unter
Einhaltung der persönlichen Schutzmaßnahmen (Gesichtsmaske, Augenschutz, Schnittschutz)
unter Verwendung von Einmalmaterialien durchzuführen.
•
Es wird empfohlen, schnittfeste KEVLAR-Handschuhe (oder Kettenhandschuhe) unter den
üblichen Sektionshandschuhen zusätzlich zum obligatorischen Personenschutz zu tragen.
•
Die Sektion erfolgt als in situ Obduktion auf einem mit Plastikfolien abgedeckten
Sektionstisch ohne Verwendung von Wasser und Aufnahme aller Flüssigkeit mit Zellstoff.
•
Hirn- und ggf. Rückenmarkentnahme erfolgen als letzter Sektionsschritt nach Aufsägen
von Schädelkalotte und Wirbelsäule möglichst ohne Verletzung von Hirn und Rückenmark
mittels Handsäge.
•
Verbrauchsmaterialien (Tischabdeckung, Zellstoff, Einmalmaterial) werden nach Obduktion
in dichten, nicht wieder zu öffnenden, bruchsicheren Plastiktonnen mit der Kennzeichnung
„biohazard“ (6.2) UN 3373 zur Entsorgung durch Verbrennen gegeben (AS 180103). Gemäß
der Richtlinie über die ordnungsgemäße Entsorgung von Abfällen aus Einrichtungen des
Gesundheitsdienstes können TSE-haltige Abfälle nur durch Verbrennen entsorgt werden
(LAGA 2014).
•
Die Instrumentenaufbereitung erfolgt durch Einlegen in 2M NaOH-Lösung für 2 mal 30
min mit zwischenzeitlichem Lösungswechsel oder über Nacht mit anschließendem Sattdampfautoklavieren
bei 134 °C für 1 h (Prionprogramm).
•
Der Leichnam wird nach Sektion mit 1–2N NaOH gereinigt; die Abgabe des Leichnams erfolgt
im Bodybag mit der Kennzeichnung infektiös.
•
Personalschutz: Kontaminierte Haut sollte für 5 min mit 1N NaOH gewaschen und danach
unter fließendem Wasser abgespült werden. Gleiches gilt für Hautverletzungen mit infektiösen
Gegenständen.
•
Kontaminationen auf Oberflächen und Boden sollen mehrfach mit 2N NaOH gewischt werden,
um eine längere Einwirkzeit zu gewährleisten. NaOH kann nicht auf Aluminium- oder
Zinkoberflächen verwandt werden. Alternativ kann NaOCl mit einem Gehalt an freiem
Chlor von mindestens 20 000 ppm eingesetzt werden (Vorsicht, die Lösung enthält reizende
Gase; sie muss immer frisch angesetzt werden).
Eine Verwendung des Leichnams zu Lehrzwecken in der Anatomie oder Pathologie verbietet
sich genauso wie bei Vorliegen einer offenen Lungentuberkulose. Auf das Einbalsamieren
des Leichnams durch invasive Maßnahmen ist zu verzichten.
Histologische Untersuchungen: Zunächst Prionkrankheitenhistologische Untersuchungensollten
aus einer Großhirnhemisphäre je ein etwa 1 cm dicker Frontalschnitt in Höhe des Corpus
mamillare, dem Frontal- und Okzipitalpol sowie ein parasagittaler Schnitt durch eine
Kleinhirnhemispäre bei –20 bis –80 °C eingefroren werden. Der Rest wird in 4-prozentigem
Formalin fixiert. Proben innerer Organe werden wie üblich in Formaldehydlösung fixiert
bzw. tief gefroren. Da durch Formaldehydfixierung keine effektive Gewebedesinfektion
erreichbar ist, muss die Fixierungslösung als infektiös angesehen und mit dem Verbrennungsabfall
entsorgt werden. Für die Genanalyse werden bei CJD-Verdacht 2 Röhrchen Blut bei –20
°C asserviert.
Die Hirnsektion wird nach mindestens zweiwöchiger Formaldehydfixierung vorgenommen.
Dabei wird das Gehirn auf einem mit Plastikplanen und Zellstoff (Sandwich-Verfahren)
abgedeckten Tisch zerlegt. Die oberste Plastikplane enthält Löcher zur Flüssigkeitsaufnahme
durch den darunterliegenden Zellstoff. Nach dem Zuschnitt der Gewebeproben werden
die Gewebekapseln für 1 h in konzentrierter 98- bis 100-prozentiger Ameisensäure dekontaminiert
und für mindestens 6 h in frischer Formaldehydlösung nachfixiert. Zur verlässlichen
Gewebeinfiltration sollen die Histozuschnittblöcke nicht dicker als 3–4 mm sein. Nach
Dekontamination des Gewebezuschnitts mit Ameisensäure kann dieser in der Routine aufgearbeitet
werden.
Unter Beachtung der vorgenannten Vorsichtsmaßnahmen bestehen keine Bedenken gegen
Obduktionen bei CJD-Verdacht in normal ausgestatteten Sektionsräumen der Pathologie
oder Rechtsmedizin (AWFM 2012).
5.28.5
Biopsiediagnostik
Grundsätzliche Hygienemaßnahmen
Hauptproblem Biopsiediagnostik, Hygienemaßnahmenist der Umgang mit unfixiertem oder
nicht vollständig fixiertem Zell- und Gewebematerial. Bis zur vollständigen Fixierung
muss prinzipiell von einer potenziellen Infektionsgefahr des Materials ausgegangen
werden. Bei den nachfolgenden Arbeitsschritten Einblocken, Schneiden, Entparaffinieren,
Färben und Eindecken besteht keine Infektionsgefahr für HBV, HCV, HIV und nach Vorbehandlung
mit Ameisensäure auch nicht für CJD. Ebenso geht von mikroskopischen Dauerpräparaten
fixierter Gewebe keine Infektionsgefahr aus.
Schutzmaßnahmen:
•
Tragen von Schutzhandschuhen (auch für MTA) mit Handschuhwechsel bei Defekt und nach
Kontakt mit besonders gefährlichem und unfixiertem Material sowie mit angetrocknetem
Blut (Arbeitskreis Krankenhaus- und Praxishygiene der AWMF 2012b) und Schutzkleidung.
•
Ausstattung des Zuschnittplatzes im Arbeitsbereich mit einer Unterflurabsaugung zur
Abführung von Formaldehyddämpfen.
•
Einsatz funktionsfähiger Instrumente mit scharfen Einwegklingen; Arbeitsplatz mit
dekontaminierbarer Oberfläche und dekontaminierbaren Zuschnittflächen; die mehrfache
Verwendung z. B. von nicht dekontaminierbaren Korkzuschnittflächen ist nicht akzeptabel.
•
Vermeidung von Aerosolbildung beim Abspülen von Untersuchungsmaterial und beim Sägen
(keine oszillierenden Sägen verwenden!); MNS und Schutzbrille sind obligat.
•
Beachtung der Verletzungsgefahr durch liegende chirurgische Klammern und Markierungssonden
sowie beim Anbringen von Nadelmarkierungen.
•
Vorzugsweise maschinelle Aufbereitung aller eingesetzten Instrumente und wieder verwendbarer
Schalen; desinfizierende Reinigung von Arbeitsplatz, Arbeitsplatten und Pinsel, mit
denen Farbmarkierungen angebracht wurden, nach Abschluss des Zuschnitts.
Große OP-Präparate von Hohlorganen werden in Formaldehydlösung übersandt. Im Eingangslabor
der Pathologie wird das Präparat von dem für den Zuschnitt Verantwortlichen (Ärztin/Arzt)
an geeigneter Stelle eröffnet und der Befund beschrieben. Anschließend wird das eröffnete
Präparat bis zum Abschluss der Fixierung wieder in das Einsendegefäß gegeben. Präparate,
die zur eindeutigen Befundbeurteilung vom Operateur aufgespannt übersandt werden,
sollen auf einer festen Schaumstoffplatte aufgenadelt werden. Zur Gewährleistung der
erforderlichen Fixierung müssen diese Platten umgedreht auf der Formaldehydoberfläche
schwimmen (aufgenadeltes Präparat taucht in Formaldehyd ein). Die Schaumstoffplatten
werden anschließend entsorgt.
Besondere Schutzmaßnahmen
Biopsien bei Verdacht auf CJD: Mit Biopsieproben bei Verdacht auf CJD wird ähnlich
verfahren wie mit dem histologischen Zuschnitt bei CJD-Autopsien (Kap. 5.28.4). Ein
Vorschlag zum Vorgehen ist bei Wemheuer (2013) zu finden. Ist eine Probe nativ eingegangen,
sollte etwas Gewebe für biochemische Analysen eingefroren werden.
Gefrierschnittdiagnostik: Bei Verdacht auf HIV-Infektion bzw. AIDS, floride HCV-Infektion
und Tbc muss die Notwendigkeit der Gefrierschnittuntersuchung gut begründet und im
Vorfeld mit den Untersuchern abgestimmt sein. Der obligatorische Personenschutz muss
unbedingt eingehalten werden (Kap. 5.28.4). Das Gefrierschnittgerät muss unmittelbar
anschließend der gründlichen Desinfektion mit Abbau und Zerlegung der Schneideeinrichtung
unterzogen werden. Eine Gefrierschnittuntersuchung bei Verdacht auf Vorliegen einer
Prionkrankheit kann nur an Geräten erfolgen, die ausschließlich für diesen Zweck eingesetzt
werden. Diese sind in Forschungseinrichtungen mit Prionschwerpunkt vorhanden.
5.28.6
Versand von Probenmaterial
Der Versand infektiöser Materialien und Abfälle sowie Körperteile muss entsprechend
den „Recommandations of the United Nations Committee of Experts on the Transport of
Dangerous Goods“ erfolgen. Ansteckungsgefährliche Materialien werden in Klasse 6 („toxic
and infectious substances“), Division 2 („infectious substances“) eingeordnet und
entsprechend deklariert. Das gilt auch für den Postversand von Probenmaterial.
Beim Materialtransport sind folgende Grundsätze einzuhalten:
•
Einsatz bruchsicherer, verschließbarer Proben- bzw. Versandgefäße, die eine eindeutige
Patientenzuordnung aufweisen,
•
Hinweis auf spezielle Gefährdungen (Tbc, HIV, HBV, CJD etc.) auf dem Proben- bzw.
Versandgefäß,
•
Einsatz geschlossener, desinfizierbarer Transportbehälter,
•
Bei Transport von Frischmaterial Tragen von Handschuhen, Frischmaterial nur persönlich
an Mitarbeiter übergeben, damit Weiterverwendung sofort eingeleitet werden kann,
•
Vorschriftsmäßige Verpackung und Deklaration des Materials beim Versand gemäß EU-Vorschriften.
5.28.7
Abfallentsorgung
Entsprechend AbfallentsorgungPathologieder Abfallklassifikation (LAGA 18, 2014) gehören
Materialien aus bioptischen und autoptischen Arbeitsbereichen zu Abfällen des Abfallschlüssels
(AS) 180102 „Körperteile und Organe, einschließlich Blutbeutel und Blutkonserven“.
Diese Materialien müssen bereits am Anfallort getrennt erfasst und der gesonderten
Beseitigung (zugelassene Verbrennungsanlage) ohne vorherige Vermischung mit Siedlungsabfällen
zugeführt werden. Sie werden in sicher verschlossenen, zur Verbrennung geeigneten,
undurchsichtigen (üblicherweise schwarzen), zum Transport zugelassenen Einwegbehältnissen
zur Vermeidung von Gasbildung nur begrenzt gelagert und ohne Umfüllen oder Sortieren
durch autorisierte Entsorgungsunternehmen transportiert.
Abfälle, an deren Sammlung und Entsorgung aus infektionspräventiver Sicht besondere
Anforderungen gestellt werden (AS 180103) werden unmittelbar am Ort ihres Anfallens
in reißfesten, feuchtigkeitsbeständigen und dichten Behältnissen (z. B. bauartgeprüfte
Gefahrgutverpackung) gesammelt und ohne Umfüllen oder Sortieren in sicher verschlossene
Behältnisse als „biohazard“ gekennzeichnet zur zentralen Sammelstelle befördert und
in einer zugelassenen Anlage verbrannt. Eine vorherige Desinfektion und nachfolgende
Zuordnung zu AS 180104 ist nicht gestattet. Unter diese Klassifikation fallen z. B.
folgende Erkrankungen: AIDS-/HIV-Infektion, Virushepatitis, CJD, vCJD, Tbk, Meningitis/Enzephalitis,
Lepra, Milzbrand, Pest, Tollwut und Tularämie (LAGA 18, 2014). Infektiöse Körperteile
und Organe werden in sicher verschlossenen, zur Verbrennung geeigneten, undurchsichtigen
(üblicherweise schwarzen), zum Transport zugelassenen Einwegbehältnissen mit Kennzeichnung
AS 180102 und zusätzlicher Gefahrgutkennzeichnung „biohazard“ (UN 3291) transportiert.
5.29
Arbeitsschutz, betriebsärztliche Betreuung
Uta Ochmann und Dennis Nowak
5.29.1
Rechtsgrundlagen Arbeitsschutz
Gesetzliche Regelungen
Rechtsgrundlage ArbeitsschutzRechtsgrundlagenaller gesetzlichen Regelungen ist die
Verfassung. Im Art. 2 findet sich das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Die Regelungen des Europarechts stehen nach Art. 23 des Grundgesetzes (GG) über dem
Grundgesetz, müssen jedoch einen dem Grundgesetz gleichwertigen Grundrechtsschutz
gewährleisten. Nachgeordnet dienen das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und das Arbeitssicherheitsgesetz
(ASiG) dazu, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten durch Maßnahmen des
Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Adressat der Gesetzgebung im Arbeitsschutz
ist immer der Unternehmer. Zu den Grundpflichten des Unternehmers gehören die Maßnahmen
zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren
und für die Erste Hilfe.
Den Gesetzen und Verordnungen zum Arbeitsschutz untergeordnet werden auf staatlicher
Ebene technische Regeln und Beschlüsse zu biologischen Arbeitsstoffen (TRBA) vom Ausschuss
für biologische Arbeitsstoffe (ABAS) sowie technische Regeln und Beschlüsse zu Gefahrstoffen
(TRGS) vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) herausgegeben.
Der Arbeitgeber hat nach § 1 ASiG Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit
zu bestellen, die ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen.
Arbeitgeber im ArbeitgeberSinne des ASiG sind natürliche und juristische Personen
sowie rechtsfähige Personalgesellschaften, die Personen arbeitsrechtlich beschäftigen.
Als
Betriebe sind geschlossene Einheiten, die durch organisatorische Eigenständigkeit
mit eigener Entscheidungscharakteristik geprägt sindBetrieb. Für den Bereich des öffentlichen
Dienstes gelten die Dienststellen als Betriebe.
Beschäftigte sind Arbeitnehmer, die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, arbeitnehmerähnliche
Personen im Sinne des § 5 (1) des Arbeitsgerichtsgesetzes, Beamte, Richter, Soldaten
sowie die in Werkstätten für Behinderte Beschäftigte. BeschäftigteNach der Biostoffverordnung
zählen neben den im Arbeitsschutzgesetz genannten Personengruppen auch ausdrücklich
Schülerinnen und Schüler, Studierende und sonstige Personen, insbesondere an wissenschaftlichen
Einrichtungen und in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes Tätige zu den Beschäftigten.
Vorschriften/Regeln der Unfallversicherungsträger
Für den ArbeitsschutzArbeitsschutzGesetzgebung
Unfallversicherungen existiert in Deutschland eine duale Gesetzgebung. Zusätzlich
zum Staat dürfen auch die Unfallversicherungsträger nach § 15 SGB VII Vorschriften
und Regeln über Maßnahmen erlassen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der gesetzlichen
Forderungen zu treffen hat. Für Krankenhäuser ist meist die Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst
und Wohlfahrtspflege (BGW), für Kliniken in öffentlicher Hand sind die Unfallkassen
die zuständigen Träger.
Für Unternehmer und Versicherte sind die Vorschriften und Regeln des zuständigen Unfallversicherungsträgers
in Ergänzung zur staatlichen Gesetzgebung verbindlich geltendes Recht.
Den Unfallversicherungen mit ihrem Spitzenverband Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung
(DGUV) wird zusammen mit den Krankenkassen in der Sozialgesetzgebung ein erweiterter
Präventionsauftrag zugewiesen. Dieser ist durch ein gemeinsames Mitwirken bei der
Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Erkrankungen
sowie bei der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erfüllen. Die Integration des
Betriebsarztes ist dabei unerlässlich.
Die DGUV-Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ ist die Basisvorschrift für die
berufsUnfallversicherungenDGUV-Vorschrift 1genossenschaftliche Prävention. Sie enthält
die Grundpflichten für Unternehmer und Versicherte sowie Informationen über die Organisation
des betrieblichen Arbeitsschutzes. Zu den in der DGUV-V1 aufgeführten Grundpflichten
des Unternehmers gehören die Beurteilung der Arbeitsbedingungen sowie die Dokumentation
und die Unterweisung der Versicherten. Die Eigenverantwortung des Unternehmens für
den betrieblichen Arbeitsschutz wird durch das neue Konzept der DGUV-V1 gestärkt.
Praktische Hilfen zur Umsetzung der DGUV-V1 werden in der DGUV-Regel 100–001 „Grundsätze
der Prävention“ gegeben.
Die Versicherten sind gemäß DGUV-V1 jährlich über Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeit aktenkundig zu unterweisen. Die Versicherten werden verpflichtet, nach
ihren Möglichkeiten sowie nach Unterweisung und Weisung des Unternehmers für ihre
Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie für Sicherheit und Gesundheitsschutz
derjenigen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen betroffen sind.
Die übergeordnet im ASiG verankerte Bestellpflicht von Betriebsärzten und Fachkräften
für Arbeitssicherheit wird gleichfalls als Kernelement des betrieblichen Arbeitsschutzes
in der DGUV-V1 aufgeführt.
Die DGUV-Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ erläutert
die Maßnahmen, die UnfallversicherungenDGUV-Vorschrift 2der Unternehmer zur Erfüllung
der sich aus dem Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte
für Arbeitssicherheit (ASiG) ergebenden Pflichten zu treffen hat. Die Aufgabenfelder
der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen BetriebsarztAufgabenBetreuung ergeben
sich detailliert aus der DGUV-Vorschrift 2; die Grundbetreuung nach vorgegebenen Einsatzzeiten,
die betriebsspezifische Betreuung zusätzlich in Abhängigkeit vom Gefährdungspotenzial
der Arbeitsplätze.
Auf Verlangen des Unfallversicherungsträgers hat der Unternehmer nachzuweisen, dass
er seine Pflicht zur Bestellung von Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit
erfüllt hat.
Betriebsärzte Betriebsarztkönnen als ständig oder zeitweise tätige Kräfte bestellt,
eingestellt oder freiberuflich tätig sein. Sie können auch einem überbetrieblichen
arbeitsmedizinischen Dienst angehören, den der Unternehmer verpflichtet hat. Die Einsatzzeit
ist die Arbeitszeit, die Betriebsärzten und Fachkräften für Arbeitssicherheit zur
Erfüllung ihrer Aufgaben im Betrieb mindestens zur Verfügung stehen muss. Nach DGUV-V2
wird die Einsatzzeit für die Grundbetreuung als Summenwert für Betriebsarzt und Fachkraft
für Arbeitssicherheit berechnet. Die Betriebe werden in Abhängigkeit von ihrem Gefährdungsprofil
in 3 Gruppen eingeteilt. Krankenhäuser und Kliniken sind der Gruppe 2 zugeordnet,
in der 1,5 h/Jahr je Arbeitnehmer notwendig sind. Die Einsatzzeit ist auf Betriebsärzte
und Fachkräfte für Arbeitssicherheit aufzuteilen, wobei jedoch pro Seite nicht weniger
als 0,2 h/Jahr je Arbeitnehmer angesetzt werden dürfen. Die BGW empfiehlt eine 1 :
1 Verteilung für den Gesundheitsdienst. Der Bedarf an zusätzlicher betriebsspezifischer
Betreuung ist vom Unternehmer unter Mithilfe von Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft
durch Prüfung aller Arbeitsplätze und Tätigkeiten gemäß DGUV-Vorschrift 2 zu ermitteln.
Staatliche Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge
Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen VorsorgeArbeitsmedizinische Vorsorge, Verordnung
(ArbMedVV) fasst die Regelungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge aus Gefahrstoff-,
Biostoff-, Gentechniksicherheits-, Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutz-, Druckluft-
und Bildschirmarbeitsverordnung zusammen. Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist ein
wichtiger Bestandteil des Arbeitsschutzes und soll zur Beschäftigungsfähigkeit und
Fortentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes beitragen.
Untersuchungen nach Röntgen- und Strahlenschutzverordnung (RöV, StrSchV), die als
Tätigkeitsvoraussetzung zu veranlassen sind, und Untersuchungen bei Schicht- und Nachtarbeit,
die nach Arbeitszeitgesetz den Arbeitnehmern anzubieten sind, sowie Eignungsuntersuchungen
wurden nicht in die ArbMedVV integriert.
5.29.2
Betriebsärztliche Betreuung
Um als BetriebsarztBetriebsarzt bestellt werden zu können, bedarf es neben der Approbation
als Arzt der arbeitsmedizinischen Fachkunde. Die Fachkunde kann als gegeben betrachtet
werden bei Fachärzten mit der Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder anderen Fachärzten
mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“.
Bei der Anwendung seiner arbeitsmedizinischen Fachkunde ist der Betriebsarzt weisungsfrei.
Er unterliegt nur seinem ärztlichen Gewissen und muss die gesicherten arbeitsmedizinischen
Erkenntnisse beachten. Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und den Fachkräften
für Arbeitssicherheit ist im ASiG vorgeschrieben.
Aufgaben des Betriebsarztes
Die BetriebsarztAufgabenbetriebsärztlichen Aufgaben nach ASiG und DGUV-V2 umfassen
die Aufgabenfelder der Grundbetreuung, darunter fallen:
•
die Unterstützung des Arbeitgebers bei Arbeitsplatzbegehungen, Gefährdungsbeurteilungen,
Arbeitsgestaltung,
•
Untersuchungen von Unfallereignissen und Schwerpunkten arbeitsbedingter Erkrankungen,
•
die Arbeitnehmerberatung,
•
die Arbeitgeberberatung und Teilnahme am Arbeitsschutzausschuss,
•
die regelmäßige eigene Fortbildung.
Weitere betriebsspezifische Aufgaben können sich aus den betrieblichen Erfordernissen
und der Gefährdungsbeurteilung ergeben. Hierzu zählen Themen wie
•
Arbeitsmedizinische Vorsorge,
•
Arbeitsgestaltung zur Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren,
•
Erhalt der individuellen gesundheitlichen Ressourcen im Zusammenhang mit der Arbeit,
•
Beratung zu Fragen des Arbeitsplatzwechsels und der Eingliederung Leistungsgeminderter
und Behinderter in den Arbeitsprozess,
•
Unterstützung bei der Weiterentwicklung eines Gesundheitsmanagements,
•
betriebliche Gesundheitsförderung,
•
Beratung des Arbeitgebers bei grundlegende Veränderungen, wie Einführung neuer Arbeitsstoffe,
Errichtung neuer Arbeitsplätze oder Betriebsanlagen, Planung von Umbau oder Neubaumaßnahmen,
Änderungen von betrieblichen Abläufen und Prozessen.
Die Schnitt- und StichverletzungenBetriebsarzt
BetriebsarztNadelstichverletzungenAufgaben des Betriebsarztes bei der Thematik Nadelstichverletzungen
sind vor allem in der Beratung zu folgenden Punkten zu sehen:
1.
Der Arbeitgeber soll die Sofortmaßnahmen nach Nadelstichverletzungen für alle gefährdeten
Mitarbeiter regelmäßig in Unterweisungen erklären und sichtbar aushängen.
2.
Die Mitarbeiter sind bei den Unterweisungen und bei den arbeitsmedizinischen Vorsorgen
regelmäßig über die Wichtigkeit, eine Nadelstichverletzung zu melden, zu informieren.
3.
Der zuständige D-Arzt, bei dem sich der Betroffene nach Nadelstich unverzüglich vorstellen
soll, muss bekannt sein. Ein Verweisen an den Betriebsarzt ist nicht sinnvoll, da
dieser die Medikamente für eine Postexpositionsprophylaxe nicht vorrätig hat (Kap.
5.29.4).
4.
Nach Erstversorgung durch den D-Arzt kann der Betriebsarzt die weiteren von der Berufsgenossenschaft
vorgesehenen Kontrolluntersuchungen vornehmen.
Die Aufgaben des Betriebsarztes bei Hinweisen auf Drittgefährdung durch Mitarbeiter
mit blutübertragbaren Infektionserkrankungen (insbesondere Ausführen von Tätigkeiten
mit hoher Übertragungswahrscheinlichkeit in Kombination mit hoher Viruslast) sind
wie folgt zu sehen:
1.
Prüfen, ob zusätzliche Schutzmaßnahmen die Gefährdung beseitigen können.
2.
Wenn eine ggf. auch befristete Änderung der Arbeitstätigkeiten und damit eine Information
des Arbeitgebers erforderlich sind, bedarf es der Zustimmung des Betroffenen. Grundsätzlich
unterliegt der Betriebsarzt der ärztlichen Schweigepflicht, ein Brechen wäre nach
Güterabwägung nach § 34 Strafgesetzbuch möglich.
3.
Bei Zustimmung des Betroffenen sollte eine Expertenkommission am Klinikum, bestehend
aus ärztlichem Direktor/Pflegedirektion, ggf. Vertreter der Personalabteilung, Hygieniker,
Betriebsarzt, Personalrat und ggf. Schwerbehindertenbeauftragtem, nach den Empfehlungen
der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten e. V. (DVV) über Maßnahmen
entscheiden. Bei Nichtzustimmung kann dieses anonym erfolgen.
4.
Wenn keine Vorgehensweise und Expertenkommission am Klinikum implementiert sind, sollte
der Betriebsarzt dieses initiieren.
Weiterhin Eingliederungsmanagement, betrieblichesist der Betriebsarzt am betrieblichen
Eingliederungsmanagement (BEM) beteiligt. Der Arbeitgeber ist nach SGB IX verpflichtet,
Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres > 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt
arbeitsunfähig sind, eine betriebliche Wiedereingliederung anzubieten. Er klärt mit
Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit
möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit
vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich, kann der
Betriebsarzt zur Unterstützung für folgende Punkte hinzugezogen werden:
•
Erstellung eines Fähigkeitsprofils im Hinblick auf zusätzlichen Therapiebedarf
•
Arbeitsplatzbegehung mit Gefährdungsbeurteilung
•
Abgleich des Fähigkeitsprofils des Mitarbeiters mit dem Anforderungsprofil am Arbeitsplatz
•
Erstellung eines Wiedereingliederungsplans
•
Begleitung des Mitarbeiters bei der Wiedereingliederung und individuelle Anpassung
der Belastung und der Arbeitsinhalte
•
Kooperation mit Sozialleistungsträgern, Integrationsamt und Integrationsfachdiensten
•
Unterstützung des Betriebs bei der Beschaffung von Arbeitshilfen
Betriebsbegehungen zur BetriebsbegehungenBeurteilung der Arbeitsbedingungen und der
mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen gehören zu den wichtigsten Aufgaben des Betriebsarztes.
Gefährdungsbeurteilung
Die GefährdungsbeurteilungGefährdungsbeurteilung ist im betrieblichen Arbeitsschutz
von zentraler Bedeutung. Nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sind alle Arbeitgeber
– unabhängig von der Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – dazu verpflichtet,
eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Die Verantwortung für Durchführung und
Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen verbleibt beim Unternehmer, auch wenn er andere
fachkundige Personen, z. B. Führungskräfte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder
Betriebsärzte, damit beauftragt. Die Gefährdungsbeurteilung ist regelmäßig zu aktualisieren.
Liegt eine Gefährdung vor, sind Schutzmaßnahmen in folgender Reihenfolge zu treffen
(„STOP“-Prinzip):
•
Ersatz des gefährlichen Arbeitsstoffes durch einen ungefährlichen (Substitution =
S)
•
Änderung des Arbeitsverfahrens zum Ausschluss der schädigenden Einwirkung (Technische
Schutzmaßnahmen = T)
•
Änderung der Arbeitsabläufe (Organisatorische Schutzmaßnahmen = O)
•
Anwendung persönlicher Schutzausrüstungen (Persönliche Schutzmaßnahmen = P)
Gefährdungsbeurteilung biologische Arbeitsstoffe
Der Gefährdungsbeurteilungbiologische ArbeitsstoffeBegriff biologischer Arbeitsstoff
umfasst Mikroorganismen, auch gentechnisch veränderte Mikroorganismen, Zellkulturen,
humanpathogene Endoparasiten sowie mit transmissibler, spongiformer Enzephalopathie
assoziierte Agenzien (z. B. BSE), die beim Menschen Infektionen, sensibilisierende
oder toxische Wirkungen hervorrufen können.
Für die Gefährdungsbeurteilung des Infektionsrisikos wurden die biologischen Arbeitsstoffe
in Risikogruppen eingeteilt (BioStoffV)Arbeitsstoffe, biologischeRisikogruppen:
•
Risikogruppe 1: biologische Arbeitsstoffe, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass
sie beim Menschen eine Krankheit verursachen.
•
Risikogruppe 2: biologische Arbeitsstoffe, die eine Krankheit beim Menschen hervorrufen
und eine Gefahr für Beschäftigte darstellen können. Eine Verbreitung des Stoffs in
der Bevölkerung ist unwahrscheinlich; eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist
normalerweise möglich.
•
Risikogruppe 3: biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen
hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen können. Die Gefahr
einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, doch ist normalerweise eine wirksame
Vorbeugung oder Behandlung möglich.
•
Risikogruppe 4: biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen
hervorrufen und eine ernste Gefahr für Beschäftigte darstellen. Die Gefahr einer Verbreitung
in der Bevölkerung ist u. U. groß; normalerweise ist eine wirksame Vorbeugung oder
Behandlung nicht möglich.
Die Biostoffverordnung
Arbeitsstoffe, biologischeBiostoffverordnungBiostoffverordnung fordert bei Tätigkeiten
mit biologischen Arbeitsstoffen in Laboratorien, in der Versuchstierhaltung, in der
Biotechnologie sowie in Einrichtungen des Gesundheitsdienstes die Festlegung von Schutzmaßnahmen
in den Schutzstufen 1–4 in Abhängigkeit von der Tätigkeit, der Risikogruppe der Erreger,
der Dauer und Art der Exposition sowie der Übertragungswege.
Die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen sind den Anhängen der BioStoffV zu entnehmen.
Während Schutzstufe 1 allgemeine Hygienemaßnahmen umfasst, müssen die Maßnahmen der
Schutzstufen 2–4 dem steigenden Gefährdungsgrad Rechnung tragen. Sensibilisierende
und toxische Wirkungen sind zusätzlich zu berücksichtigen und auch hierfür geeignete
Schutzmaßnahmen festzulegen.
Auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung ist der Arbeitgeber verpflichtet, Tätigkeiten,
bei denen Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen vorkommt, einer Schutzstufe zuzuordnen.
Daraus sind die technischen, organisatorischen und persönlichen Sicherheitsmaßnahmen
entsprechend der Gefährdung abzuleiten, zu veranlassen und auf Wirksamkeit zu überprüfen.
Die Anzeige von gezielten Tätigkeiten mit einem biologischen Arbeitsstoff der Risikogruppen
2, 3 oder 4 bei der zuständigen Behörde obliegt dem Arbeitgeber, ebenso die Aufbewahrung
des Verzeichnisses über die Beschäftigten, die gezielte Tätigkeiten mit biologischen
Arbeitsstoffen der Risikogruppen 3 oder 4 ausüben. Die Anzeigepflicht besteht auch
für nicht gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppen 3
und 4.
Die technischen Regeln für biologische Arbeitsstoffe konkretisieren Arbeitsstoffe,
biologischetechnische Regelndie Anforderungen aus der BioStoffV.
•
Die TRBA 001 gibt einen Überblick über das gesamte Regelwerk. Beachtet der Arbeitgeber
die in den TRBA-Regeln gegebenen Empfehlungen, kann er davon ausgehen, dass er die
geforderten Schutzziele erreicht.
•
Grundlegende Maßnahmen bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen werden in der
TRBA 500 ausgeführt.
•
Die TRBA 250 beinhaltet spezifische Informationen zu biologischen Arbeitsstoffen im
Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege.
•
Die TRBA 400 „Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit biologischen
Arbeitsstoffen“ liefert eine Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung auch anhand
von Beispielen.
Zusätzlich geben Beschlüsse des Ausschusses für biologische Arbeitsstoffe (ABAS) Informationen
zu spezifischen Themen wie „Kriterien zur Auswahl der PSA bei Gefährdungen durch biologische
Arbeitsstoffe“ oder „Empfehlung spezieller Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten
vor Infektionen durch hochpathogene aviäre Influenzaviren (Klassische Geflügelpest,
Vogelgrippe)“.
Neben der spezifischen Aufgabe der Gefährdungsbeurteilung sind im Rahmen betriebsärztlicher
BegehungenBetriebsbegehungenPräventionsschwerpunkte
BetriebsarztPräventionsschwerpunkte
BetriebsbegehungenKrankenhaus im Krankenhaus folgende Präventionsschwerpunkte besonders
zu beachten:
•
Bauliche und technische Schutzmaßnahmen: leicht erreichbare Handwaschplätze mit fließendem
kaltem und warmem Wasser, Händedesinfektionsmittelspender, hautschonende Flüssigseifen,
Hautschutz und -pflegemittel, Einmalhandtücher; separate Toiletten für Personal und
Patienten (außer bei Bestandschutz); leicht zu reinigende, gegen Reinigungs- und Desinfektionsmittel
beständige Oberflächen; Verwendung sicherer medizinischer Instrumente; stich- und
bruchsichere Abfallbehälter für Kanülen.
•
Organisatorische und hygienische Maßnahmen: Einhalten von BeschäftigungsbeschränkungenBeschäftigungsbeschränkungen
für Jugendliche, werdende oder stillende Mütter (Jugendarbeitsschutz-, Mutterschutzgesetz,
-richtlinienverordnung); getrennte Aufbewahrung von Schutz- und anderer Kleidung;
Verzicht auf Schmuck, der die Händedesinfektion behindert.
•
Persönliche Schutzausrüstungen: Schutzkleidung und sonstige persönliche Schutzausrüstungen,
insbesondere dünnwandige, flüssigkeitsdichte, allergenarme Handschuhe in ausreichender
Stückzahl; Festlegungen für die regelmäßige Desinfektion, Reinigung und Instandhaltung
der Schutzausrüstungen und Arbeitskleidung.
•
Verhalten bei Unfällen: Sofortmaßnahmen bei Stich- und Schnittverletzungen und Postexpositionsprophylaxe
nach sonstigen Infektionskontakten; Dokumentation von Arbeits- und Wegeunfällen einschließlich
Nadelstichverletzungen.
•
Unterrichtung der Versicherten: regelmäßige Unterweisungen zu Fragen des Arbeits-,
Gesundheits- und Brandschutzes mit Dokumentation; Vorhandensein von Betriebsanweisungen
für Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen und mit Gefahrstoffen; Vorhandensein
von Hygiene- und Hautschutzplänen.
Es ist sinnvoll, wenn an den Begehungen in Kliniken ein Vertreter der Pflegedienstleitung,
der Krankenhaushygieniker, die Hygienefachkraft (HFK), die Sicherheitsfachkraft, der
Betriebsarzt und ein Mitarbeiter der Personalvertretung teilnehmen. Ebenso hat sich
im Interesse der Bündelung der Anliegen die parallele Bewertung von Arbeits- und Infektionsschutz
nach Arbeitsschutz- und GefahrstoffV sowie IfSG bewährt.
Die ArbeitsschutzausschussBildung des Arbeitsschutzausschusses (ASA) ist bei > 20
Beschäftigten erforderlich (ASiG). Der Arbeitsschutzausschuss tritt mindestens 4-mal
im Jahr zusammen, um die Anliegen von Arbeitsschutz und Unfallverhütung zu besprechen
und den Arbeitgeber zu beraten. Die ständigen Mitglieder des Arbeitsschutzausschusses
sind der Arbeitgeber oder dessen Vertreter, zwei Beauftragte des Betriebsrats, die
Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsarzt und die Sicherheitsbeauftragten
der Einrichtung.
Bewertung biologischer Arbeitsstoffe unter Berücksichtigung von GenTG, GefStoffV sowie
IfSG
Axel Kramer
Nach Arbeitsstoffe, biologischeBewertungEinführung der BioStoffV wurde in der Universitätsmedizin
Greifswald eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Institut für Hygiene und Umweltmedizin,
Betriebsärztlicher Dienst, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Amt für Arbeitsschutz
und Technische Sicherheit, Unfallkasse M/V und Landesamt für Gesundheit und Soziales)
zur Umsetzung der Verordnung gebildet. Als Zielgruppen wurden alle Kliniken und Institute,
die Studenten der Medizin, Zahnmedizin und Humanbiologie sowie Pflegeschüler festgelegt
und in jeder Einrichtung ein Verantwortlicher für die Gefährdungsbeurteilung bestellt.
Um eine Regelung in einem Gesamtdokument zu gewährleisten, wurde eine Parallelbewertung
nach Arbeits- und Infektionsschutz gemäß Arbeitsschutz- und GefStoffV sowie IfSG vorgenommen.
Jeder Einrichtung wurde eine Checkliste zugeschickt. Im Ergebnis der Begehung durch
die o. g. Gruppe wurden die Schutzstufe anhand der Checkliste festgelegt, die Betriebsanweisung
erstellt und ggf. bauliche und arbeitsschutzmäßige Änderungen festgelegt.
Nachfolgend werden die Inhalte der Checklisten verkürzt widergegeben. Es wurde jeweils
zwischen nie, selten und regemäßig durchgeführter Tätigkeit unterschieden.
Im Arbeitsbereich durchgeführte Tätigkeiten (getrennte Checklisten für Kliniken und
Labore): körperliche, nicht invasive Untersuchungen, Krankenpflege, Untersuchung/Behandlung
von Patienten mit übertragbaren Infektionskrankheiten bzw. mit MRE, Infusionen, Blutentnahmen/Injektionen,
Wundpflege, transurethraler Katheterismus, Umgang mit Krankenwäsche, Entsorgung klinischer
Abfälle, endoskopische Untersuchungen, operative Eingriffe mit geringfügigem bzw.
mit regelmäßigem Kontakt zu Blut und/oder anderen Körperflüssigkeiten, Aufbereitung
von MP oder Laborgeräten, Entsorgung mikrobiologischer Abfälle, Umgang mit Blut, Blutprodukten
und Blutbestandteilen, Tätigkeiten mit Aerosolbildung (z. B. Inhalations-, Beatmungstherapie,
Intubation, Absaugung, Endoskopie, Wundverbandwechsel), Umgang mit entnommenen Organen,
gentechnisch veränderten Mikroorganismen bzw. mit Mikroorganismen in Reinkultur (Risikogruppe)
außer zu diagnostischen Zwecken, Zulassungspflichtige/Anzeigepflichtige Arbeiten.
Ferner wurde erfragt, ob in der Vergangenheit Erkrankungen auffällig waren, dem Unfallversicherungsträger
tätigkeitsbezogene BK-Verdachtsfälle gemeldet und arbeitsmedizinische Vorsorge durchgeführt
wurden.
Zur Risikoaufklärung der Studenten wird bei der Immatrikulation das Merkblatt „Arbeitsmedizinische
Vorsorge und Beratung gemäß ArbMedVV“ ausgehändigt.
In der 1. Semesterwoche erfolgt eine vierstündige Einweisung zur BioStoffV, GefStoffV,
UVV und zum IfSG mit Scheinvergabe. Im Querschnittsfach Klinische Umweltmedizin werden
u. a. Praktika zu krankenhaushygienisch relevanten Arbeitsabläufen durchgeführt. Vor
Beginn des 1. Klinischen Jahrs wird die Einführungsvorlesung „Grundlagen des Selbstschutzes
und des Patientenschutzes“ mit praktischer Demonstration durchgeführt. Eine abschließende
Unterweisung findet vor Antritt des Praktischen Jahrs statt.
5.29.3
Ärztliche Untersuchungen im betrieblichen Setting
Einstellungsuntersuchung
Die EinstellungsuntersuchungEinstellungsuntersuchung ist eine ärztliche Untersuchung
vor der Einstellung. Als personalärztliche Aufgabe gehört sie nicht zu den Aufgaben
des Betriebsarztes nach ASiG. Die Veranlassung von Einstellungsuntersuchungen liegt
im Ermessen des Arbeitgebers. Er kann den Abschluss des Arbeitsvertrags vom Ergebnis
der Einstellungsuntersuchung abhängig machen. Daher ist das Einverständnis des Bewerbers
zur Untersuchung faktisch nicht erforderlich.
Der Zweck der Einstellungsuntersuchung ist ein anderer als bei der arbeitsmedizinischen
Vorsorge. Der Arzt hat die Frage der gesundheitlichen Eignung für die vorgesehene
Tätigkeit zu beantworten, insbesondere, ob
•
der allgemeine Gesundheitszustand des Bewerbers eine Arbeitsunfähigkeit unmittelbar
oder später erwarten lässt,
•
die gesundheitliche Eignung für die vorgesehene Tätigkeit in vollem Umfang gegeben
ist und
•
Hinweise auf eine Erkrankung vorliegen, die eine Gefahr für Dritte in sich birgt (z.
B. Infektionsgefährdung).
Das Fragerecht des Arbeitgebers – und damit der Umfang der ärztlichen Untersuchung
– sowie die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers sind durch die gültige Rechtsprechung
und nach Stellungnahme des Nationalen Ethikrats zum Thema Einstellungsuntersuchungen
auf die Klärung folgender Punkte begrenzt:
•
Liegt eine Krankheit oder Beeinträchtigung des Gesundheitszustands vor, durch die
die Eignung für die vorgesehene Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden
Abständen eingeschränkt wird?
•
Liegt eine Krankheit oder Beeinträchtigung des Gesundheitszustands vor, die zu einer
Gefährdung Dritter führt?
•
Ist zum Zeitpunkt des Dienstbeginns oder in den folgenden 6 Monaten mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 Prozent) mit einer Arbeitsunfähigkeit zu rechnen?
Da der Betriebsarzt die Bedingungen am künftigen Arbeitsplatz im Allgemeinen kennt,
führt er oft neben der arbeitsmedizinischen Vorsorge auch die Einstellungsuntersuchung
durch. Nach ArbMedVV soll eine Verknüpfung von Vorsorge mit Untersuchungen zur Feststellung
der Eignung für berufliche Anforderungen nicht erfolgen, es sei denn, betriebliche
Gründe erfordern das.
Ein Nachteil der Durchführung der Einstellungsuntersuchung durch den Betriebsarzt
kann darin bestehen, dass das Vertrauensverhältnis zum Arbeitnehmer Schaden nimmt
und die Trennung der Fragestellungen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge bzw. Eignungsuntersuchung
schwierig sein kann.
Arbeitsmedizinische Vorsorge nach ArbMedVV
Die Arbeitsmedizinische Vorsorge (ArbMedVV)
Vorsorge, arbeitsmedizinischeVorsorgen werden auf der Grundlage der staatlichen Rechtsvorschrift
ArbmedVV und nach Gefährdungsbeurteilung durchgeführt. Im Anhang der ArbMedVV sind
die Anlässe (Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, mit biologischen Arbeitsstoffen einschließlich
gentechnischer Arbeiten mit humanpathogenen Organismen, Tätigkeiten mit physikalischen
Einwirkungen und sonstigen Tätigkeiten, z. B. Tragen von Atemschutzgeräten und Bildschirmarbeit)
abschließend aufgeführt. Die für Arbeitsmediziner von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
(DGUV) herausgegebenen Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen haben
nur empfehlenden Charakter.
Der Arbeitgeber hat mit der Durchführung einen Arzt zu beauftragen, der berechtigt
ist, die Gebietsbezeichnung „Arbeitsmedizin“ oder die Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“
zu führen. Ist ein Betriebsarzt bestellt, soll der Arbeitgeber diesen mit der arbeitsmedizinischen
Vorsorge beauftragen.
Die arbeitsmedizinischen Vorsorgen umfasst:
•
die Begehung oder Kenntnis des Arbeitsplatzes durch den Arzt,
•
die arbeitsmedizinische Befragung und ggf. Untersuchung des Beschäftigten,
•
ggf. das Angebot eines Biomonitorings,
•
ggf. ein Impfangebot,
•
die Beurteilung des Gesundheitszustands des Beschäftigten,
•
die individuelle arbeitsmedizinische Beratung,
•
eine Dokumentation der Untersuchungsergebnisse,
•
die Ausstellung einer Bescheinigung für Arbeitgeber und Beschäftigten über die Durchführung
der Vorsorge mit Datum für die nächste Vorsorge aber ohne Beurteilung oder Angabe
von gesundheitlichen Bedenken,
•
die Mitteilung an Arbeitgeber bei Anhaltspunkten für unzureichende Schutzmaßnahmen.
Die Vorsorgen dienen der ärztlichen Beratung von Beschäftigten zu ihrer individuellen
gesundheitlichen Gefährdung, die sie durch ihre Tätigkeit mit besonderen Expositionen
oder Belastungen ergeben kann, sowie der Verbesserung des individuellen Arbeitsschutzes.
Hierbei ist entscheidend, dass der Betriebsarzt sowohl die Expositionen, die spezifischen
Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe am Arbeitsplatz als auch die gesundheitliche
Situation unter Berücksichtigung von Konstitution und Vorerkrankungen des Beschäftigten
kennt, damit er eine individuelle Risikobewertung vornehmen kann. Zur Einschätzung
des individuellen Risikos des Beschäftigten können Untersuchungen, z. B. Biomonitoring
zur Beurteilung der inneren Belastung oder Beanspruchung, sinnvoll sein und werden
ggf. dem Beschäftigten angeboten. Impfangebote sind Bestandteil der Vorsorge, soweit
das Risiko einer Infektion tätigkeitsbedingt und im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
erhöht ist. Die Ablehnung von Impfungen hat keine Konsequenz, da in Deutschland keine
Impfpflicht besteht.
In Abhängigkeit von der Risikobewertung sollte der Betriebsarzt zusammen mit dem Beschäftigten
beraten, ob eine Verbesserung von ArbeitsschutzmaßnahmenBetriebsarztArbeitsschutzmaßnahmen
notwendig ist und wenn ja, in welcher Form diese sinnvoll umzusetzen wäre. Die arbeitsmedizinische
Vorsorge ist keine Eignungsuntersuchung, der Arbeitgeber wird lediglich informiert,
dass die Vorsorge stattgefunden hat, ob zusätzliche Arbeitsschutzmaßnahmen notwendig
sind und wann die nächste Vorsorge erfolgen soll. Hält der Betriebsarzt aufgrund seiner
Risikobewertung einen Wechsel des Arbeitsplatzes für notwendig, muss er dieses dem
Beschäftigten mitteilen. Eine Mitteilung an den Arbeitgeber ist nur möglich, wenn
der Beschäftigte dieser zustimmt.
Die arbeitsmedizinischen Vorsorgen sind je nach Gefährdungsbeurteilung als Pflichtvorsorge
oder Angebotsvorsorge vorzunehmen. Nähere Hinweise finden sich im Anhang der ArbmedVV
und in den arbeitsmedizinischen Regeln (AMR), die die ArbmedVV konkretisieren. Wunschvorsorgen
sind dem Beschäftigten zu ermöglichen, wenn der Beschäftigte arbeitsplatzbedingte
gesundheitliche Einschränkungen vermutet. Die Vorsorgen sollen während der Arbeitszeit
stattfinden.
Die Vorsorgen erfolgen vor Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit, während dieser Tätigkeit
in definierten Zeitabständen (detaillierte Auflistung AMR 2.1) und anlässlich ihrer
Beendigung. Nachgehende Vorsorgen werden den Mitarbeitern nach Beendigung bestimmter
Tätigkeiten, bei denen nach längeren Latenzzeiten Gesundheitsstörungen, auftreten
können, z. B. nach Expositionen gegenüber krebserzeugenden Stoffen.
•
Die Entscheidungskriterien für Pflicht- und Angebotsvorsorgen beim Umgang mit biologischen
Arbeitsstoffen ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitgebers und im
Abgleich mit dem Anhang zur ArbMedVV.
•
Die Durchführung der Pflichtvorsorge ist Voraussetzung für die Beschäftigung oder
Weiterbeschäftigung mit der entsprechenden Exposition.
Tab. 5.53
fasst die arbeitsmedizinischer Vorsorgen, die abhängig von der Gefährdungsbeurteilung
für Beschäftigte in Kliniken infrage kommen können, zsuammen.
Tab. 5.53
Liste arbeitsmedizinischer VorsorgenArbeitsmedizinische Vorsorgen
Tätigkeiten mit Gefahrstoffen
1
Tätigkeiten, die den Kriterien der Feuchtarbeit (TRGS 401) entsprechen, betrifft z.
B. das Tragen flüssigkeitsdichter Handschuhe (regelmäßige tägliche kumulierte Tragedauer
zwischen 2 und 4 Stunden Angebotsvorsorge, bei längerer Tragedauer Pflichtvorsorge)
2
Tätigkeiten mit krebserzeugenden oder erbgutverändernden Stoffen oder Zubereitungen
der Kategorie 1 oder 2 im Sinne der GefStoffV (Pflichtvorsorge)
3
Tätigkeiten mit im Anhang der ArbmedVV genannten weiteren Gefahrstoffen (Pflichtvorsorge
bei Nichteinhaltung der Grenzwerte oder bei Hautresorption, ansonsten Angebotsvorsorge)
4
Tätigkeiten mit einer Exposition mit Gesundheitsgefährdung durch Labortierstaub in
Tierhaltungsräumen und -anlagen (Pflichtvorsorge)
Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen einschließlich gentechnischen Arbeiten
mit humanpathogenen Organismen
Es wird zwischen gezielten und nicht gezielten Tätigkeiten unterschieden. Um gezielte
Tätigkeiten handelt es sich, wenn die biologischen Arbeitsstoffe mindestens der Art
nach bekannt sind, die Tätigkeit auf die biologischen Arbeitsstoffe unmittelbar ausgerichtet
und die Exposition im Normalfall bekannt oder abschätzbar ist. Bei nicht gezielten
Tätigkeiten wird mindestens eine der vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt, das
sind in der Praxis mehr als 90 % der Expositionsbereiche.
Pflichtvorsorge
1
Gezielte und ungezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe
4
2
Gezielte Tätigkeiten mit B. anthracis, B. bacilliformis, B. henselae, B. quintana,
B. pertussis, B. burgdorferi, B. burgdorferi sensu lato, B. melitensis, B. pseudomallei
(P. pseudomallei), C. pneumoniae, C. psittaci (aviäre Stämme), C. burnetii, F. tularensis
3
Nachfolgend aufgeführten nicht gezielte Tätigkeiten:
a
In Forschungseinrichtungen oder Laboratorien: regelmäßige Tätigkeiten mit Kontaktmöglichkeit
zu infizierten Proben oder Verdachtsproben, zu infizierten Tieren oder krankheitsverdächtigen
Tieren bzw. zu erregerhaltigen oder kontaminierten Gegenständen oder Materialien hinsichtlich
eines der oben aufgeführten biologischen Arbeitsstoffe
b
In Tuberkuloseabteilungen und anderen pulmologischen Einrichtungen: Tätigkeiten mit
regelmäßigem Kontakt zu erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen hinsichtlich
M. bovis oder M. tuberculosis;
c
In Einrichtungen zur medizinischen Untersuchung, Behandlung und Pflege von Menschen:
aa
Tätigkeiten mit regelmäßigem direkten Kontakt zu erkrankten oder krankheitsverdächtigen
Personen hinsichtlich B. pertussis, Hepatitis-A-Virus (HAV), Masernvirus, Mumpsvirus,
Rubivirus
bb
Tätigkeiten, bei denen es regelmäßig und in größerem Umfang zu Kontakt mit Körperflüssigkeiten,
Körperausscheidungen oder Körpergewebe kommen kann, insbesondere Tätigkeiten mit erhöhter
Verletzungsgefahr oder Gefahr von Verspritzen und Aerosolbildung, hinsichtlich Hepatitis-B-Virus
(HBV) oder Hepatitis-C-Virus (HCV); dies gilt auch für Bereiche, die der Versorgung
oder der Aufrechterhaltung dieser Einrichtungen dienen
d
In Einrichtungen zur medizinischen Untersuchung, Behandlung und Pflege von Kindern,
ausgenommen Einrichtungen ausschließlich zur Betreuung von Kindern: Tätigkeiten mit
regelmäßigem direkten Kontakt zu erkrankten oder krankheitsverdächtigen Kindern hinsichtlich
Varicella-Zoster-Virus (VZV); Buchstabe c bleibt unberührt
e
In Einrichtungen ausschließlich zur Betreuung von Menschen: Tätigkeiten, bei denen
es regelmäßig und in größerem Umfang zu Kontakt mit Körperflüssigkeiten, Körperausscheidungen
oder Körpergewebe kommen kann, insbesondere Tätigkeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr
oder Gefahr von Verspritzen und Aerosolbildung, hinsichtlich Hepatitis-A-Virus (HAV),
Hepatitis-B-Virus (HBV) oder Hepatitis-C-Virus (HCV)
f
In Notfall- und Rettungsdiensten und in der Pathologie: Tätigkeiten, bei denen es
regelmäßig und in größerem Umfang zu Kontakt mit Körperflüssigkeiten, Körperausscheidungen
oder Körpergewebe kommen kann, insbesondere Tätigkeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr
oder Gefahr von Verspritzen und Aerosolbildung, hinsichtlich Hepatitis-B-Virus (HBV)
oder Hepatitis-C-Virus (HCV)
Angebotsvorsorge
Gezielte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikogruppe 2 und 3 und
nicht gezielten Tätigkeiten, die der Schutzstufe 2 oder 3 zuzuordnen sind oder für
die eine vergleichbare Gefährdung besteht, es sei denn, nach der Gefährdungsbeurteilung
ist nicht von einer Infektionsgefährdung auszugehen
Tätigkeiten mit Exposition gegenüber sensibilisierend oder toxisch wirkenden biologischen
Arbeitsstoffen, für die keine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge vorgesehen ist
Exposition gegenüber biologischen Arbeitsstoffen, in deren Folge mit einer schweren
Infektionskrankheit gerechnet werden muss und Maßnahmen der postexpositionellen Prophylaxe
möglich sind oder in deren Folge eine Infektion erfolgt ist;
Beendigung einer Tätigkeit, bei der eine Pflichtvorsorge zu veranlassen war
Tätigkeiten mit wesentlich erhöhten körperlichen Belastungen
Bei Gesundheitsgefährdung des Muskel-Skelett-Systems durch Lastenhandhabung beim Heben,
Halten, Tragen, Ziehen oder Schieben von Lasten (Angebotsvorsorge)
Tätigkeiten an Bildschirmgeräten
Beratung und angemessenen Untersuchung der Augen und des Sehvermögens (Angebotsvorsorge).
Eine augenärztliche Untersuchung ist bei Bedarf zu ermöglichen. Wenn normale Sehhilfen
für die Arbeit an Bildschirmgeräten nicht geeignet sind, sind spezielle Sehhilfen
zur Verfügung zu stellen.
Ärztliche Untersuchungen nach anderen Rechtsvorschriften
Tätigkeiten mit Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen oder Röntgenstrahlen:
Die Röntgenverordnung (RöV) und die Strahlenschutzverordnung (StrSchV) fordern zum
Schutz der Gesundheit beruflich strahlenexponierter Personen die arbeitsmedizinische
Vorsorge nach der „Richtlinie für die Arbeitsmedizinische Vorsorge beruflich strahlenexponierter
Personen StrahlenexpositionVorsorgeuntersuchungen, arbeitsmedizinischedurch ermächtigte
Ärzte“. Die Untersuchungen sind von speziell hierfür ermächtigten Ärzten durchzuführen.
Die Untersuchungen sind verpflichtend vom Arbeitgeber zu veranlassen. Sie stellen
eine Tätigkeitsvoraussetzung dar.
Tätigkeiten mit Nachtarbeit: Nach Arbeitszeitgesetz haben Nachtarbeitnehmer das Recht,
sich vor Beginn der Beschäftigung Nachtarbeit, Vorsorgeuntersuchungen, arbeitsmedizinischeund
danach in regelmäßigen Abständen arbeitsmedizinisch untersuchen und beraten zu lassen.
Anhaltspunkte zur Durchführung der Untersuchungen wurden vom Ausschuss Arbeitsmedizin
in Zusammenarbeit mit dem Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik
(LASI) erarbeitet.
Der Arbeitnehmer soll vom untersuchenden Arzt über allgemeine und individuelle Gesundheitsgefahren
und deren Vorbeugung beraten werden. Der Arbeitgeber ist infragen der Einsetzbarkeit
von Arbeitnehmern, bei denen Bedenken gegen einen Einsatz bei Nachtarbeit bestehen,
vom Betriebsarzt zu beraten. Eine Mitteilung gesundheitlicher Bedenken an den Arbeitgeber
erfolgt jedoch nur auf Wunsch des Arbeitnehmers.
Eignungsuntersuchungen: Rechtsgrundlagen für EignungsuntersuchungenEignungsuntersuchung
können individualrechtliche oder kollektivrechtliche Vereinbarungen (Arbeitsvertrag,
Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag), Vorschriften der Unfallversicherungen oder sonstige
Rechtsverordnungen wie Fahrerlaubnisverordnung, Feuerwehrdienstvorschrift, Triebfahrzeugführerscheinverordnung
sein. Zusätzlich muss der Arbeitgeber nach ArbSchG prüfen, ob der Beschäftigte über
besondere gesundheitliche Eigenschaften verfügen muss, um die maßgeblichen Schutzvorschriften
oder angeordneten Schutzmaßnahmen zu erfassen und durchzuführen. Bestehen begründete
Zweifel an der Tauglichkeit des Arbeitnehmers, den Anforderungen seines Arbeitsplatzes
aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer gerecht zu werden, so kann die dem Arbeitgeber
gegenüber dem Arbeitnehmer obliegende Fürsorgepflicht (§ 241 BGB) einen hinreichenden
sachlichen Grund darstellen, ein amtsärztliches Gutachten über die Dienstfähigkeit
des Arbeitnehmers einzuholen.
Eignungsuntersuchungen müssen der Arbeitsaufgabe angemessen sein. Bislang existieren
jedoch keine einheitlichen Regelungen über zu erfüllende branchenspezifische Anforderungen,
Untersuchungsumfang oder Bewertung von Untersuchungsergebnissen. Hinweise können evidenzbasierte
medizinische Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaften geben.
5.29.4
Sofortmaßnahmen nach akzidenteller Kontamination
Axel Kramer und Sabine Wicker
Infektionsrisiko
Von Kontamination, akzidentelleInfektionsrisikodem Risiko einer beruflichen HBV-,
HCV- oder HIV-Exposition muss ausgegangen werden bei
•
Verletzung mit kontaminierten Instrumenten bzw. Injektionsbestecken,
•
Benetzung offener Wunden, vorgeschädigter Haut bzw. Schleimhäute mit Blut und weiteren
infektionsrelevanten Körperflüssigkeiten (z. B. Liquor, Punktatmaterial, Organmaterial,
Viruskulturmaterial)
sowohl bei bekanntem (Nachweis von HBV, HCV oder HIV) als auch bei unklarem Infektionsstatus
der Indexperson. Selbstverständlich können als seltenes Ereignis auch andere Krankheitserreger
auf diesem Weg übertragen werden.
Die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung hängt vor allem von der übertragenen Erregermenge
ab. Die Übertragungswahrscheinlichkeit liegt bei einer Nadelstichverletzung für HIV
bei ca. 0,3 %, für HBV bei einem ungeimpften Exponierten bei ca. 6–30 % und für HCV
bei ca. 1 %. Bei Kontamination offener Wunden und Schleimhaut mit Blut oder anderen
infektionsrelevanten Körperflüssigkeiten wird von einem niedrigeren Infektionsrisiko
ausgegangen.
Schutz vor Kontamination und Verletzungen
BeschäftigteKontamination, akzidentelleSchutz, die Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen
ausführen, müssen anhand der Betriebsanweisung und der betrieblichen HygienemaßnahmenArbeitsstoffe,
biologischeHygienemaßnahmen (Hygieneplan) über die auftretenden Gefahren und über
die erforderlichen Schutzmaßnahmen unterwiesen werden. Das gilt auch für Fremdfirmen
(Wartungs-, Instandhaltungs- und Reinigungspersonal) und sonstige Personen (z. B.
Praktikanten). Die Unterweisung ist vor Aufnahme der Tätigkeiten sowie bei maßgeblichen
Änderungen der Arbeitsbedingungen, mindestens jedoch jährlich, durchzuführen. Sie
muss in einer für die Beschäftigten verständlichen Form und Sprache mündlich, arbeitsplatz-
und tätigkeitsbezogen erfolgen. Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisungen sind zu dokumentieren
und vom Unterwiesenen durch Unterschrift zu bestätigen (TRBA 250, Abschnitt 7).
Das postexpositionelle Handeln muss geübt werden. Die Tätigkeit von Schwangeren in
infektionsgefährdeten Bereichen ist nur unter Berücksichtigung des Mutterschutzgesetzes
nach Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung möglich.
Folgende Maßnahmen tragen zum Schutz vor akzidentellen Verletzungen bei:
•
Geordnete, durchdachte Arbeitsweise, Arbeitsverfahren sind so zu gestalten, dass das
Risiko von Verletzungen und Infektionen verhindert oder zumindest minimiert wird und
Expositionen vermieden werden
•
Bereitstellung bruch- und durchstichsicherer Entsorgungsbehälter für gebrauchte Kanülen
u. Ä. am Ort des Umgangs bzw. Mitnahme der Behälter bei jedem entsprechenden Eingriff
•
Verwendung von sog. Sicherheitsgeräten, in Österreich als medizinische Instrumente
mit integrierten Sicherheits- und Schutzmechanismen bezeichnet, gemäß TRBA 250 bzw.
österreichischer Nadelstichverordnung (2013)
•
Bereitstellung und Einsatz von PSA
•
Anlegen von Schutzhandschuhen vor möglichem Kontakt mit infektiösem Material (gilt
auch für Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen)
•
Benutzung einer seitlich geschlossenen Schutzbrille bei Gefahr von Spritzern infektiösen
Materials ins Auge (z. B. bei Bronchoskopie, Entbindung, zahnärztlicher Behandlung).
Die Präventionsmaßnahmen sollten in Form eines standardisiertem Behandlungsalgorithmus
einschließlich der Verantwortlichkeiten in einer SOP festgelegt und den Beschäftigten
jährlich kommuniziert werden, damit im Fall einer akzidentellen Kontamination die
Schutzmaßnahmen ohne Zeitverzug durchgeführt werden.
Sofortmaßnahmen nach Schnitt- bzw. Stichverletzung
Spontaner SofortmaßnahmenSchnitt- und Stichverletzungen
Schnitt- und StichverletzungenSofortmaßnahmenverletzungsbedingter Blutfluss ist nicht
zu unterbinden, weil dadurch potenziell infektiöses Material ausgespült wird. Gegebenenfalls
kann bei Stichverletzung im Bereich der Endphalanx des Fingers durch zentrifugal gerichtete
massageartige Pressbewegung unterhalb der Grundphalanx bis zur Grundphalanx die Blutung
verstärkt werden. Im Verletzungsbereich selbst sind Manipulationen, insbesondere Quetschen
und Ausdrücken direkt im Einstichbereich, zu vermeiden, um keine Erregerverschleppung
in tiefere Gewebeschichten zu begünstigen.
In den aktuellen Richtlinien der CDC, OSHA und DAIG wird nach der Blutung die Spülung
mit Wasser/Seife oder mit einem Antiseptikum (z. B. Betaseptic® oder ein Händedesinfektionsmittel
oder Hautantiseptikum auf Basis von Ethanol) empfohlen.
Nach Hautexposition (SofortmaßnahmenHautexpositiongeschädigte oder entzündlich veränderte
Haut) wird nur gründliches Waschen mit Wasser und Seife empfohlen, danach, falls verfügbar,
Abreiben der Hautoberfläche mit großzügiger Einbeziehung des Umfelds um das kontaminierte
Areal mit einem mit Hautantiseptikum satt getränkten Tupfer.
Spülung: Da keine Schnitt- und StichverletzungenSpülungStudien zur Überlegenheit antiseptisch
wirksamer Spülungen vs. nicht antiseptisch wirksamer Spülungen durchführbar sind,
beruhen die nachfolgenden Empfehlungen zum Einsatz viruzid wirksamer Hautantiseptika
lediglich auf einer Nutzen-Risiko-Bewertung. Zunächst ist festzustellen, dass bei
der Spülung von mit Schmutz kontaminierten Traumata die antiseptische Spülung unabhängig
vom Wirkstoff der Spülung mit Ringer-Lösung bezüglich der Prävention von SSI signifikant
überlegen war (Roth et al. 2007). In Analogie dazu ist davon auszugehen, dass durch
viruzid wirksame Spüllösungen mit der gleichzeitigen Fähigkeit der Penetration in
die Wunde eine höhere Schutzwirkung bei Kontamination mit HIV, HBV und HCV erreichbar
ist als durch Einsatz einer nicht antiseptisch wirksamen Spüllösung. Zur gegen behüllte
Viren wirksamen Prophylaxe sind Ethanol basierte Hautantiseptika mit Gehalt an PVP-Iod
(z. B. Betaseptic® mit Gehalt von Ethanol/Propan-2-ol je 38,9 % w/w und von PVP-Iod
3,24 %) bei intakter Schilddrüsenfunktion als Mittel der Wahl anzusehen, da bereits
der Ethanolgehalt allein gegen HIV wirksam ist (Spire et al. 1984) und die Kombination
mit PVP-Iod nicht nur gegen behüllte, sondern sogar gegen unbehüllte Viren, d. h.
viruzid, wirksam ist (Sauerbrei u. Wutzler 2010). Abhängig von der Expositionsdauer
durchdringen beide Alkohole die Epidermis; Ausdruck der Resorption sind messbare Alkoholblutspiegel
nach wiederholter Händedesinfektion (Below et al. 2012; Kramer et al. 2007). Iod gelangt
im Unterschied zu Alkoholen auch in die Zelle, wodurch die Wahrscheinlichkeit einer
Virusinfektion nach Verletzung noch weiter reduziert wird (Zeligs et al. 1998).
Sofern im Erste-Hilfe-Set das viruzide Hautantiseptikum griffbereit zur Verfügung
steht, ist bei Stich- und Schnittverletzungen bereits die Sofortspülung mit dem Hautantiseptikum
vorzunehmen (Kramer et al. 2010d). Andernfalls ist zuerst mit Wasser zu spülen. Danach
empfiehlt es sich, einen mit dem Antiseptikum getränkten Tupfer ≥ 1 min bis 15 min
bei zwischenzeitlich erneutem Tränken über dem Einstich zu fixieren bzw. bei Schnittverletzung
die Wunde antiseptisch zu spülen. Bei Kontraindikationen für PVP-Iod kommen Händedesinfektionsmittel
oder Hautantiseptika auf Ethanolbasis (z. B. AHD 2000, Manorapid Synergy oder Sterillium
virugard) in Betracht.
Nach verletzungsbedingter Blutung Spülung mit Wasser oder – falls ebenso rasch erreichbar
– mit Betaseptic®, abschließend wird Wundantiseptik ebenfalls mit Betaseptic® empfohlen.
Sofortmaßnahmen nach Kontamination der Mundhöhle oder des Auges
Bei Aufnahme in die Mundhöhle soll das SofortmaßnahmenKontamination Mundhöhleaufgenommene
Material sofort möglichst vollständig ausgespien werden. Danach wird empfohlen, die
Mundhöhle mehrfach (ca. 4–5-mal) mit Wasser auszuspülen. Jede Portion ist nach etwa
15 s intensiven Hin- und Her-Bewegens in der Mundhöhle auszuspeien (DGAI 2013). Auch
in der Mundhöhle wird die PVP-Iod/Alkoholkombination toleriert, sodass auch hier nach
intensiver Spülung mit Wasser eine abschließende antiseptische Spülung für 30 s die
Sicherheit erhöhen kann. Bei Kontraindikation für PVP-Iod kommt die Mundhöhlenspülung
mit dem Schleimhautantiseptikum Octenisept® in Betracht, das begrenzt viruzid, d.
h. gegen HIV, HBV und HCV, wirksam ist (Schmitz und Bögel 1988; Schwalbach 1995; Steinmann,
2001, Steinmann, 2008).
Bei Kontamination des Auges wird SofortmaßnahmenAugenkontamination
AugeSofortmaßnahmen bei Kontaminationdas unverzügliche reichliche Ausspülen des Auges
mit Ringer-, Kochsalzlösung oder Wasser empfohlen. Da Alkohole vom Auge nicht toleriert
werden, kommt zur antiseptischen Schlussspülung nur wässrige isotone 2,5-prozentige
PVP-Iod-Lösung in Betracht (wird in der Universitätsmedizin Greifswald im Erste-Hilfe-Set
bereitgestellt).
Nach entsprechender Exposition in der Mundhöhle und am Auge wird nach Spülung mit
Leitungswasser eine abschließende antiseptische Spülung zur Erhöhung der Sicherheit
empfohlen.
Unfallmeldung
Bei Unfallmeldung
Kontamination, akzidentelleUnfallmeldungjeder Exposition gegenüber Blut oder vergleichbar
infektiösem Material muss auch bei unklarem Infektionsstatus der Indexperson eine
innerbetriebliche Anzeige als Arbeitsunfall erfolgen. Es sollte ein D-Arzt-Bericht
für den Unfallversicherungsträger erstellt werden, so lässt sich eine etwaige Infektion
frühzeitig diagnostizieren, und es können Ansprüche gegenüber den zuständigen Unfallversicherungsträgern
(z. B. Unfallkassen, BGW) geltend gemacht werden.
Der DurchgangsarztberichtDurchgangsarztbericht (D-Arzt-Bericht) enthält folgende Angaben:
•
Name, Geburtsdatum und Berufsgruppe der verunfallten Person
•
Ort, Datum und Uhrzeit des Arbeitsunfalls sowie Zeitpunkt der Vorstellung beim D-Arzt
•
Angaben des Versicherten zum Unfallhergang und zur Tätigkeit, bei der der Unfall eingetreten
ist
•
Verhalten des Versicherten nach dem Unfall
•
Art der Erstversorgung (durch den D-Arzt)
•
möglichst Art und Schwere der Verletzung (Hautzustand, Tiefe).
Postexpositionsprophylaxe
Der PostexpositionsprophylaxeD-Arzt
PostexpositionsprophylaxeKontamination, akzidentelle
Kontamination, akzidentellePostexpositionsprophylaxeD-Arzt legt das weitere Prozedere
bzgl. Schutzimpfung (Tetanus- und HBV-Impfschutz), HIV-PEP und serologischer Untersuchungen
bei dem Mitarbeiter (Anti-HIV, Anti-HCV, HBV geimpft: Anti-HBs, HBV nicht geimpft:
Anti-HBc, ggf. HBsAg, unklarer Impfstatus Anti-HBc und Anti-HBs) im Einverständnis
mit dem Betroffenen fest. Auch beim Indexpatienten ist eine Blutuntersuchung auf HCV
und HIV und ggf. HBV je nach Impfstatus des Mitarbeiters anzustreben.
Die Abschätzung des Infektionsrisikos ist Voraussetzung für die Entscheidung bezüglich
des kalkulierten Einsatzes der medikamentösen PEP. Bei späterer Nichtbestätigung eines
Risikos wird die PEP unverzüglich beendet. Der Verunfallte sollte darauf hingewiesen
werden, dass er bei Verweigerung der Untersuchung bzw. der erforderlichen Maßnahmen
ein potenzielles Risiko für eine Eigenerkrankung und damit auch für eine Infektionsübertragung
darstellt. Die Ablehnung sollte schriftlich dokumentiert werden. Falls vom Krankenhaus
ein Notfalldepot für die zur PEP festgelegten Medikamente eingerichtet wurde, ist
der Standort den Mitarbeitern bekannt zu machen.
Einrichtungen des Gesundheitswesens sollten einen Zugang zur HIV-PEP über 24 h an
365 Tagen im Jahr gewährleisten!
Alle Mitarbeiter müssen über die Sofortmaßnahmen nach akzidentieller Kontamination
informiert sein. Ebenso sollten jedoch auch Verletzungen ohne Infektionsgefährdung
hausintern registriert (z. B. im Verbandsbuch) bzw. in Abhängigkeit von der Verletzung
als Arbeitsunfall gemeldet werden, um Schwachstellen im Arbeitsschutz feststellen
zu können. Hieraus abgeleitete Erkenntnisse sollten in der innerbetrieblichen Fortbildung
und in Hygieneplänen ihren Niederschlag finden.
HIV-PEP: Die PostexpositionsprophylaxeHIV
Human Immunodeficiency VirusPostexpositionsprophylaxeEntscheidung zur PEP ist abhängig
von der inokulierten infektiösen Blutmenge, der Viruskonzentration und der Expositionsdauer
(Tab. 5.54
).
Tab. 5.54
Indikationen für die PEP nach akzidenteller Kontamination (gemäß DGAI 2013)
Expositionsereignis
Viruslast bei Indexperson
> 50 Kopien/ml oder unbekannt
< 50 Kopien/ml
Massive Inokulation (> 1 ml) von Blut oder anderer (Körper-)Flüssigkeit mit (potenziell)
hoher Viruskonzentration
Empfehlen
Empfehlen
(Blutende) Perkutane Stichverletzung mit Injektionsnadel oder anderer Hohlraumnadel;
Schnittverletzung mit kontaminiertem Skalpell a. Ä.
Empfehlen
Anbieten
Oberflächliche Verletzung (z. B. mit chirurgischer Nadel) ohne Blutfluss, Kontakt
von Schleimhaut oder verletzter/geschädigter Haut mit Flüssigkeit mit potenziell hoher
Viruskonzentration
Anbieten
Nicht indiziert
Perkutaner Kontakt mit anderen Körperflüssigkeiten als Blut (z. B. Urin, Speichel);
Kontakt von intakter Haut mit Blut (auch bei hoher Viruskonzentration); Haut- oder
Schleimhautkontakt mit Körperflüssigkeiten wie Urin und Speichel
Nicht indiziert
Nicht indiziert
[X337]
Zur Einschätzung des Infektionsrisikos sollten nach den Sofortmaßnahmen (Blutung,
Spülung, abschließende Antiseptik) folgende Fragen geklärt werden (DGAI 2013):
•
Wann hat der mögliche Kontakt mit HIV stattgefunden?
•
Von welcher Indexperson stammt das Material, ist diese nachweislich infiziert bzw.
wie wahrscheinlich ist eine HIV-Infektion; bei bekannter Infektion sind folgende Fragen
zu klären: Stadium der HIV-Erkrankung (klinische Manifestation, CD4-Zellzahl), aktuelle
Viruslast (HIV-RNA-Kopien/ml), bei antiretroviraler Therapie eingesetzte Mittel, Dauer
und evtl. Resistenz?
•
Wie erfolgte die Kontamination (z. B. Hohlraumkanüle, Schleimhautkontakt)?
•
Wie tief ist die Verletzung, wurden Blutgefäße eröffnet?
•
Trägt das verletzende Instrument Spuren der Kontamination mit Blut?
Die PEP soll so früh wie möglich – im besten Fall innerhalb von 1 h – begonnen werden
Die Anhaftung an die Wirtszelle erfolgt innerhalb 2 h, bis zur ersten Übertragung
der Virus-RNA wird mit 12 h und bis zur ersten Bildung von Viruspartikeln mit weiteren
12 h gerechnet.
Grundlage für die Auswahl der Medikamente ist die jeweils aktuelle Empfehlung der
Deutsch-Österreichischen Leitlinie.
Experten sollten zu Rate gezogen werden, wenn einer der folgenden Punkte zutrifft:
•
Der Zeitraum zwischen Exposition und Beginn der PEP ist > 24 h.
•
Es besteht ein hohes Expositionsrisiko aufgrund massiver Inokulation von virushaltigem
Material.
•
Art und Infektionsgefährdung durch das verursachende Instrument der akzidentellen
Verletzung sind unklar.
•
Eine exponierte Frau ist (vermutlich) schwanger.
•
Die Index-Person wurde antiretroviral vorbehandelt und eine Resistenz der Viren ist
nachgewiesen oder wahrscheinlich.
•
Erhebliche unerwünschte Wirkungen des initialen Prophylaxeregimes stellen die Durchführung
der Prophylaxe infrage oder machen eine Umstellung erforderlich.
HCV: Es PostexpositionsprophylaxeHepatitis-C-Virus
Hepatitis-C-VirusPostexpositionsprophylaxesteht keine medikamentöse PEP bzw. keine
Impfung zur Verfügung. Entscheidend sind daher die Folgeuntersuchungen, um eine etwaige
Infektionsübertragung möglichst frühzeitig zu erkennen. Bei HCV-positivem Indexpatienten
sollte eine HCV-PCR beim Mitarbeiter nach 2–4 Wochen durchgeführt werden, bei negativem
Ergebnis kann die PCR 6–8 Wochen nach Exposition wiederholt werden. Wenn es zu einer
HCV-Transmission auf den Mitarbeiter gekommen ist, sollte die Frage der Indikation
und der Art der Therapie vor dem Hintergrund der zahlreichen neuen HCV-Therapeutika
in Rücksprache mit einem hepatologischen Zentrum erfolgen.
HBV: BeiPostexpositionsprophylaxeHepatitis-B-Virus
Hepatitis-B-VirusPostexpositionsprophylaxe einer Exposition gegenüber HBV ist eine
rasche Prophylaxe erforderlich. Die Maßnahmen richten sich nach dem HBsAg-Status des
Indexpatienten (Tab. 5.55
) und dem Impfschutz des Exponierten (Tab. 5.56
).
Tab. 5.55
Maßnahmen in Abhängigkeit vom HBV-Status des Indexpatienten
HBV-Status des Indexpatienten
Maßnahmen
HBsAg-negativ
Da sehr selten auch HBsAg-negative Personen infektiös sein können, sollte bei fehlender
oder unvollständiger Impfung die Grundimmunisierung begonnen bzw. komplettiert werden.
HBsAg-positiv
Tab. 5.56
HBsAg-Status unbekannt
umgehend (innerhalb von 48 h) HBsAg beim Indexpatienten bestimmen; falls nicht möglich,
wird Indexpatient als HBsAg-positiv eingestuft (Tab. 5.56)
Tab. 5.56
Immunprophylaxe in Abhängigkeit vom Impfschutz
Aktueller Anti-HBs-Titer (IE/l) des Verletzten
Immunisierung
HB-Impfstoff
HB-Immunglobulin
≥ 100
Nein
Nein
> 10 bis 99
Ja
Nein1
< 10 IE/l oder nicht innerhalb von 48 h zu bestimmen
und Anti-HBs war ≥ 100 IE/l zu einem früheren Zeitpunkt
Ja
Nein
und Anti-HBs war nie ≥ 100 IE/l oder unbekannt
Ja
Ja2
Ungeimpft oder Non-Responder
Ja
Ja3
1
Sofortige Bestimmung von Anti-HBs
2
Sofortige Bestimmung von HBsAg, Anti-HBc und Anti-HBs und Simultanimpfung ohne Ergebnis
abzuwarten
3
Wie unter 2 + 2 weitere Impfstoffdosen gemäß Impfschema
[X221-007]
Serologischer Ausschluss einer Infektion
Direkt PostexpositionsprophylaxeInfektionsausschluss, serologischernach Verletzung
sind zum serologischen Ausschluss einer Infektion der Indexperson durch HBV, HCV und
HIV folgende Antikörperbestimmungen unter der Voraussetzung des Einverständnisses
des Indexpatienten erforderlich: Je nach HBV-Impfstatus des Mitarbeiters Bestimmung
von HBsAg-, sowie anti-HCV und anti-HIV. Falls Anti-HCV oder Anti-HIV positiv, ist
eine PCR-Testung zur Bestimmung der Viruslast durchzuführen. Als zusätzliches Argument
für das Einverständnis zur serologischen Untersuchung kann dem Patienten erklärt werden,
dass auch er selbst im Fall einer bisher ihm unbekannten Infektion durch die Zuführung
zur Therapie profitieren kann (Himmelreich et al. 2013).
Beim Verletzen gilt es, den Ausschluss einer Infektion zu führen (Tab. 5.57
).
Tab. 5.57
Serologische Untersuchungen des Mitarbeiters nach akzidenteller Kontamination
Befund des Indexpatienten
Umgehende Blutentnahme
PCR Kontrollen
Antikörperkontrollen
HCV positiv oder unbekannt
Bestimmung von Anti-HCV
HCV-PCR nach 2–4 Wochen, falls negativ, Untersuchung 6–8 Wochen nach Exposition wiederholen
Anti-HCV nach 6 Wochen, 3 und 6 Monaten
HIV positiv oder unbekannt
Bestimmung von Anti-HIV
Anti-HIV nach 6 Wochen, 3 und 6 Monaten
HBV positiv
Tab. 5.56
Anti-HBc, HBsAg, sowie anti-HBs nach 6 Wochen, falls zum Zeitpunkt der Nadelstichverletzung
keine ausreichende HBV-Immunität vorlag hat und deswegen eine Boosterimpfung erfolgte
Da bei allen infrage kommenden Erregern ein diagnostisches Fenster zu berücksichtigen
ist, empfiehlt sich während der Inkubationszeit eine Prävention bei Intimkontakten
(besonders Sexualverkehr).
Meldung: Bei Verdacht auf PostexpositionsprophylaxeMeldepflicht, serologischeberuflich
erworbene Infektion durch HBV, HCV und HIV ist die Anzeige auf Verdacht einer Berufskrankheit
(BK 3101) an den zuständigen Unfallversicherungsträger erforderlich. Das erfolgt vorzugsweise
durch den D-Arzt oder den Betriebsarzt. Nach § 202 SGB VII besteht jedoch eine Meldeverpflichtung
für alle Ärzte, die den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit haben und
zwar unabhängig von ihrer Funktion. Die Meldepflicht berechtigt trotz ärztlicher Schweigepflicht
zur Offenbarung gegenüber dem Unfallversicherungsträger. Versicherte sind vom meldenden
Arzt über die Meldung zu unterrichten. Der Verdacht auf akute Virushepatitis ist nach
§ 6 IfSG namentlich dem Gesundheitsamt zu melden. Zusätzlich ist gemäß § 7 IfSG die
nichtnamentliche Meldung des Nachweises von HIV vorzunehmen.