15
views
0
recommends
+1 Recommend
1 collections
    0
    shares
      • Record: found
      • Abstract: found
      • Article: not found

      "Videosprechstunden sind nicht für alle die Lösung"

      other
      InFo Neurologie + Psychiatrie
      Springer Medizin

      Read this article at

      ScienceOpenPublisherPMC
      Bookmark
          There is no author summary for this article yet. Authors can add summaries to their articles on ScienceOpen to make them more accessible to a non-specialist audience.

          Abstract

          Mehr Telemedizin - so lautet das Credo in Zeiten von COVID-19 auch in der Psychiatrie. Nicht so einfach, wenn viele Patienten obdachlos, alt oder arm sind, weiß DGPPN-Präsident Professor Andreas Heinz. Oft bleibt dann nur der Griff zum Telefon. Die COVID-19-Pandemie stellt auch die Versorgung der psychisch kranken Patienten vor Herausforderungen. Was hat sich hier in den vergangenen Wochen verändert? Professor Andreas Heinz: Zum einen wurde viel auf Telefon- und Videosprechstunden umgestellt, zum anderen mussten die psychiatrischen Abteilungen ebenfalls Betten und Räume für COVID-19-Kranke bereitstellen. Solche Umwidmungen betreffen vor allem Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern und Kliniken, die als COVID-19-Schwerpunktzentren gelten. Eine noch unveröffentlichte Umfrage gibt Hinweise darauf, dass in psychiatrischen Kliniken im Mittel etwa 25-30 % der stationären Kapazitäten für COVID-19-Patienten abgegeben wurden. In manchen anderen psychiatrischen Kliniken gab es jedoch keine Umwidmungen, dennoch hat man auch dort versucht, die Belegung zurückzufahren, um Abstandsregeln und Schutzmaßnahmen besser einhalten zu können. Elektive Aufnahmen sind nach Möglichkeit abgesagt worden. Das normalisiert sich nun langsam wieder. Welche Konsequenzen hatte die Umwidmung für die Versorgung an der Charité? Heinz: Bei uns wurde eine ganze psychiatrische Station für COVID-19-Kranke bereitgestellt - 18 von 65 Betten. Das ist auch in Ordnung, in solch einer Situation müssen wir alle zusammenarbeiten. Eigentlich wollten wir zunächst auch die Tagesklinik schließen, das haben wir dann aber nicht getan, weil wir viele Patienten nicht mehr stationär aufnehmen konnten, die wir deshalb in der Tagesklinik versorgen mussten. Von den Patienten der Institutsambulanz haben zudem viele keinen Internetzugang zu Hause, denen können wir keine Therapie per Video, sondern nur per Telefon anbieten. Was geschah mit dem Personal in der Klinik? Haben Ärzte und Pflegekräfte aus der Psychiatrie auch auf den COVID-19-Stationen gearbeitet? Heinz: Ja, auf freiwilliger Basis. Wir haben gefragt, wer eine Intensivmedizinausbildung hat, da gab es schon einige. Auch vom Pflegepersonal waren viele bereit, auf eine COVID-19-Station zu gehen. Das hat ganz gut geklappt. Dennoch hatten Sie weniger Betten zur Verfügung. Wie sind Sie damit klargekommen? Heinz: In den ersten Wochen der Epidemie haben wir weniger Patienten als üblich über die Rettungsstellen bekommen. Da war die Angst vor einer Infektion offenbar höher als der Leidensdruck. Dann aber gab es einen Nachholeffekt: Patienten, die anfangs nicht gekommen sind, mussten schließlich doch kommen und es wurde sehr voll. Inzwischen liegen wir wieder auf dem üblichen Niveau, mit noch immer reduzierter Bettenkapazität bleibt es aber eng. Problematisch wird es bei einem Infektionsfall - auch wir hatten einen SARS-CoV-2-Infizierten auf unserer Station. Den konnten wir zwar verlegen, bis aber klar war, dass sich niemand angesteckt hat, haben wir versucht, so wenige Menschen wie möglich neu aufzunehmen. In einer solchen Situation wollen wir auch möglichst wenige Patienten in den Kontaktbereichen sehen. Es fällt einigen aber sehr schwer, wenn sie nicht mehr mit anderen beim Essen sitzen können, einen Mundschutz tragen und sich an die Abstandsregeln halten müssen. Manche können das auch erkrankungsbedingt nicht gut verstehen, zum Glück sind das aber nur wenige. Hatten Sie auch mit einem Mangel an Schutzkleidung zu kämpfen? Heinz: Damit hatten wir weniger Probleme. Wir haben in der Klinik zuvor jedoch immer Zivilkleidung getragen. Jetzt laufen Ärzte und Pflegepersonal traditionell, wie früher, wieder komplett in weißer Schutzkleidung herum, dazu noch mit chirurgischen Schutzmasken, und die Patienten sollen möglichst auch eine Maske tragen. Ein Teil der Mimik ist dann nicht mehr sichtbar. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist die Zuwendung aber ein wesentliches Therapieelement. Da die Schutzmaßnahmen alle gleich betreffen, merken die Menschen immerhin, dass man sich um sie bemüht. Bislang gab es keine Beschwerden, weil jemand seinen Arzt nicht mehr richtig sehen kann. Die meisten haben Verständnis und sind durchaus sehr kooperativ. Es ist natürlich alles aufwändiger und komplizierter geworden. Menschen in Masken und Schutzausrüstung - verstärkt das nicht die Ängste der Patienten? Heinz: Nein, erstaunlich wenig. Wir hatten lediglich einen Psychosepatienten, der mit dem Infizierten auf dem Zimmer war und nicht verstehen konnte, dass er nun in Quarantäne bleiben musste. Er wollte aus seinem Zimmer, weil er sich bedroht fühlte, das lag aber nicht unbedingt an der Psychose. Ambulant werden mehr Video- und Telefonsprechstunden angeboten. Wie gut klappt das? Heinz: Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen war es auch bisher schon so, dass viele Patienten nicht so leicht in Praxen, Kliniken oder Ambulanzen kommen konnten - für sie ist das eine Erleichterung. Aber natürlich macht es einen großen Unterschied, ob jemand persönlich vor Ihnen sitzt oder nicht. In den Institutsambulanzen haben wir versucht, möglichst auf Telefon und Video umzustellen, allerdings haben unsere Ambulanzen viele arme und obdachlose Patienten, da können Sie eine Videosprechstunde vergessen. Wir hatten vor der Corona-Epidemie einmal eine Umfrage zum Anteil der Obdachlosen auf den Akutstationen in Berlin gemacht. Der Teil unserer Klinik, der den Wedding versorgt, hatte mit 30 % die meisten Obdachlosen. Ältere Patienten kommen zudem mit der Technik oft nicht klar und in Bezirken wie Neukölln können sich viele keinen Computer leisten. Es reicht ja nicht, übers Handy zu skypen, da ist schon ein sichereres Programm nötig, das man auf einem Rechner installieren muss. Wegen solcher Probleme läuft ganz viel übers Telefon. Videosprechstunden sind eben nicht für alle die Lösung. "Tele-Health" heißt dann also häufig Telefonkonsultation? Heinz: Genau. Allerdings machen wir uns über die Vergütung Sorgen. Wenn alle vernünftig sind, wird man sagen: Besser telefonieren als gar nichts machen, und entsprechend ist das zu vergüten. Haben wir jedoch Pech, heißt es bei den Kassen hinterher: "Wir wollten eigentlich zwei Drittel Video und ein Drittel Telefonate, ihr habt jetzt aber 80 % Telefonate, das erstatten wir so nicht." Dann haben wir ein Problem. "Social Distancing", Kontaktverbote, Isolation und Quarantäne - setzen solche Maßnahmen nicht gerade psychisch kranke und vulnerable Menschen unter starken Stress? Heinz: Generell scheinen Quarantäne und Isolation psychische Erkrankungen zu begünstigen, hier gibt es für affektive Erkrankung und Angststörungen klare Hinweise, aber auch für Psychosen. Wir sehen in epidemiologischen Studien immer wieder, dass soziale Vereinsamung ein wichtiger Stressfaktor ist. Darauf deutet auch eine Metaanalyse aus unserem Institut hin. Zugleich nehmen unter den Lockdown-Bedingungen Klagen über Ängste und Depressionen auch in der übrigen Bevölkerung zu. Umgekehrt haben mir Patienten und Patientenvertreter auch gesagt, dass sich ihre Situation dadurch nicht unbedingt verschlimmert. So fühlt sich mancher mit einer Zwangsstörung entlastet, weil sich endlich auch der Rest der Republik die Hände wäscht. Es ist also bei weitem nicht so, dass alle psychisch Kranken nun öfter Probleme haben. Eine Kollegin mit Psychoseerfahrung hat mir gesagt, wir sollten den psychisch Kranken doch mehr zutrauen, schließlich mussten sie im Gegensatz zu anderen Menschen schon immer mit einem Gefühl der Bedrohung und der Fragilität des Lebens klarkommen. Das kann in einer solchen Situation auch eine Stärke sein. Psychisch Kranke reagieren also sehr unterschiedlich auf die Situation. Ich finde es schon spannend, dass einige sagen, wir haben da auch besondere Kompetenzen. Für die Mehrheit dürfte die Coronakrise aber eine zusätzliche Stressbelastung darstellen. Experten in den USA gehen dort von einer neuen Suizidwelle aus, auch wegen der ökonomischen Verwerfungen. Heinz: Die ist tatsächlich zu befürchten. Wir haben so etwas in Griechenland gesehen, dort ist die Suizidrate in der Austeritätszeit deutlich gestiegen, ebenso in der kollabierenden Sowjetunion. Das hat viel mit Umbrüchen, wirtschaftlicher Verzweiflung und Perspektivlosigkeit zu tun. Wir können hoffen, dass wir hier in Deutschland mit unseren großen Ressourcen glimpflich davonkommen. Ich blicke aber mit Sorge auf schwerer betroffene Länder wie Italien und Spanien und hoffe, dass sich die EU schnell auf wirksame Hilfen einigt und den Menschen die Existenzängste nimmt. Blicken wir in die Zukunft. Wie sieht die "neue Normalität" der Versorgung nach Corona aus? Heinz: Wir werden viel mehr Telemedizin, mehr ambulante Kontakte per Telefon oder Video haben. Das ist für viele Bereiche gar nicht schlecht. Wenn Sie in Brandenburg auf dem Land wohnen und kaum Zugang zur Versorgung haben, ist Telemedizin besser als keine Psychotherapie. Auch Tagungen, Kommissionssitzungen und Fortbildungen öfter online zu halten, wäre sinnvoll. Das wirkt zwar etwas entfremdet und künstlich, hat aber den Vorteil, dass wir weniger Ressourcen benötigten. Wie viele Stunden habe ich letztlich damit verbracht, irgendwo hinzufahren, um dann 20 Minuten etwas zu erzählen? Dies zu überdenken ist sicher richtig. Das Gespräch führte Thomas Müller. Prof. Dr. med. Dr. phil. Andreas Heinz Präsident der DGPPN e. V. und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie CCM an der Charité Berlin

          Related collections

          Author and article information

          Contributors
          thomas.mueller@springer.com
          Journal
          InFo Neurologie
          InFo Neurologie + Psychiatrie
          Springer Medizin (Heidelberg )
          1437-062X
          2195-5166
          24 June 2020
          2020
          : 22
          : 6
          : 6-7
          Affiliations
          Springer Medizin Verlag GmbH, Am Forsthaus Gravenbruch 5, 63263 Neu-Isenburg, Deutschland
          Article
          1392
          10.1007/s15005-020-1392-4
          7291607
          b9699b31-722f-4d0a-a855-b7b049463d7e
          © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

          This article is made available via the PMC Open Access Subset for unrestricted research re-use and secondary analysis in any form or by any means with acknowledgement of the original source. These permissions are granted for the duration of the World Health Organization (WHO) declaration of COVID-19 as a global pandemic.

          History
          Categories
          Aktuell
          Custom metadata
          © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

          Comments

          Comment on this article