Anamnese
Eine 21-jährige Patientin stellte sich fußläufig in der Notaufnahme mit zunehmender
Dyspnoe, thorakalem Druckgefühl und schwerer Abgeschlagenheit vor. Sie leide bereits
in den vergangenen Tagen an den Symptomen eines oberen Atemwegsinfekts. Zudem nehme
sie aufgrund einer Depression lediglich Quetiapin ein, andere Vorerkrankungen (insbes.
HIV-Infektion, Hepatitis oder Tuberkulose) bestünden nicht.
Befunde und erste Diagnostik
Bei Aufnahme zeigte die Patientin neben schwerer Dyspnoe ein marmoriertes Hautkolorit
und deutliche Zeichen der Zentralisation. Auskultatorisch fanden sich pulmonal beidseitige
feinblasige Rasselgeräusche. Das Abdomen war weich, jedoch diffus druckdolent. Die
Darmgeräusche waren spärlich. Nebenbefundlich fand sich eine ausgeprägte Akne des
Gesichts. Die initialen Vitalparameter (Tab. 1) objektivierten das Bild eines beginnenden
Schocks mit schwerer respiratorischer Partialinsuffizienz. In der fokussierten Echokardiographie
konnte eine hämodynamisch relevante Lungenarterienembolie ausgeschlossen werden. Eine
„Focused-assessment-with-sonography-for-trauma“(FAST)-Sonographie war unauffällig.
Laborchemisch zeigten sich neben einer Leukopenie mit Neutropenie und Lymphopenie
(Leukozyten 1,4/nl, neutrophile Granulozyten 1,11/nl, Lymphozyten 0,24/nl) eine teilkompensierte
Laktatacidose sowie erhöhte Entzündungswerte (C-reaktives Protein 167 mg/l, Prokalzitonin
61,95 µg/l) und Nierenretentionsparameter (Serumkreatinin 1,8 mg/dl, GFR [CKD-EPI]
39,7 ml/min). Im Röntgenbild des Thorax zeigen sich beidseitige, sehr dichte Infiltrate
mit wolkig-kugeligem Aspekt, sodass von alveolären, pneumonischen Infiltration teilweise
mit Einschmelzungen auszugehen war (Abb. 1). Es erfolgte die kalkulierte Antibiotikatherapie
mit Piperacillin/Tazobactam und Azithromycin. Bei drohender respiratorischer Erschöpfung
erfolgte unter der Arbeitsdiagnose „pneumogene Sepsis“ die sofortige endotracheale
Intubation und mandatorische Beatmung. Eine im Anschluss durchgeführte Pulmonalisangiographie
konnte keinen eindeutigen Hinweis auf eine Lungenarterienembolie geben, jedoch bestätigte
die Computertomographie (CT) die dichten alveolären Infiltrate in allen Lungenabschnitten.
Ferner waren teilweise belüftete Einschmelzungsherden sowie milchglasartige Veränderungen
erkennbar, sodass neben bronchopneumonischen, teilweise einschmelzenden Veränderungen
auch atypisch-interstitielle Infiltrate vorlagen. Die Patientin wurde umgehend auf
die internistische Intensivstation aufgenommen. Es erfolgte zunächst eine Umkehrisolation
bei Lymphopenie und schwerem Krankheitsbild.
Vitalparameter bei Aufnahme
RR
100/70 mm Hg
HF
150/min
AF
40/min
SpO2
78 % unter 10 l O2-Gabe/min mittels Maske
Temperatur
35,6 °C
GCS
14
Arterielle BGA unter 15 l
O
2
/min
pH
7,3
pCO2
35 mm Hg
pO2
54 mm Hg
cHCO3
−
17 mmol/l
BE
−8,4 mmol/l
SO2
86 %
tHb
15,0 g/dl
Laktat
42 mg/dl
RR Blutdruck gemessen nach Riva-Rocci, HF Herzfrequenz, AF Atemfrequenz, SpO
2
periphere Sauerstoffsättigung, GCS Clasgow Coma Scale, pCO
2
Kohlendioxidpartialdruck, pO
2
Sauertstoffpartialdruck, cHCO
3
- Bikarbonat, BE Baseexcess, SO
2
Sauerstoffsättigung, tHb Hämpglobin
Wie lautet Ihre Diagnose?
Arbeitsdiagnose
Sepsis bei ambulant erworbener Pneumonie („community aquired pneumonia“, CAP)
Verlauf
Auf der Intensivstation wurde eine kreislaufunterstützende Katecholamintherapie nötig.
In einer Bronchoskopie zeigte sich das Bild einer schweren, nichtputriden Tracheobronchitis
mit zum Teil weißlichen Schleimauflagerungen, die wir differenzialdiagnostisch zunächst
als mögliche Kandidainfektion werteten, und wir erweiterten daher die antiinfektive
Therapie um Caspofungin. Eine Multiplex-PCR aus tiefem Trachealsekret erbrachte den
Nachweis einer aktiven Infektion mit dem Parainfluenza-2-Virus.
Unter bedarfsgerechter Volumen- und Katecholamintherapie kam es zunächst zu einer
Kreislaufstabilisierung. Bei persistierender Hypoxämie im Rahmen eines schweren „acute
respiratory distress syndrome“ (ARDS) wurden intermittierende Bauchlagerungen der
Patientin notwendig.
In allen abgenommen Blutkulturen zeigte sich bereits nach wenigen Stunden der Nachweis
eines methicillinsensiblen Staphylococcus aureus (MSSA). Die Antibiotikatherapie wurde
um Vancomycin, später um Flucloxacillin erweitert. Eine transösophageale Echokardiographie
brachte keinen Nachweis eines Befalls der Herzklappen im Sinne einer Endokarditis.
Nach kurzzeitiger respiratorischer Besserung entwickelten sich unter weiter steigenden
Nierenretentionsparametern (Serumkreatinin 3,3 mg/dl, GFR [CKD-EPI] 19,1 ml/min) ein
anurisches Nierenversagen sowie ein Anstieg der Transaminasen (GOT 1305 U/l, GPT 468 U/l)
und der Kreatinkinase (CK 91.635 U/l). Zudem stieg der Katecholaminbedarf.
Mittlerweile ergab die genetische Untersuchung, dass es sich um einen Panton-Valentin-Leukozidin(PVL,
lukPV)-positiven Staphylococcusstamm handelte. Nach Rücksprache mit unserem Antibiotic-stewardship(ABS)-Team
stellten wir die Antibiotikatherapie bei steigenden Infektparametern auf Ceftriaxon,
Fosfomycin und Linezolid um. Die initial begonnene Umkehrisolation wurde zu einer
Hygieneisolation analog zu positivem Nachweis eines methicillinresistenten Staphylococcus
aureus (MRSA) geändert.
Neben einer erneuten respiratorischen Verschlechterung mit steigender pulmonaler Restriktion
entwickelte sich das klinische Bild eines paralytischen Ileus. Sonographisch fand
sich pelvin freie Flüssigkeit.
In einer CT des Kraniums, Thorax und des Abdomens waren neben dem Nachweis septischer
Embolien in Milz und Kranium pulmonale Einschmelzungen sowie massiv progrediente kavernöse
Transformationen in beiden Lungen und tubuläre Bronchiektasien zu erkennen. CT-morphologisch
ergaben sich Zeichen von Rhabdomyolysen beidseits in den Pektoralmuskeln. Neben dem
radiologischen Bild eines Dünndarmileus zeigte sich eine Pneumatosis intestinalis
als Zeichen einer ausgedehnten Dünndarmischämie (Abb. 2).
Die folgende explorative Laparotomie ergab einen ischämisch bis gangränös veränderten
Dünndarm sowie ein noch nicht gangränös verändertes Kolon auf kompletter Länge. Eine
Perforation konnte ausgeschlossen werden. Es folgte eine Diskontinuitätsresektion
des Dünndarms mit Blindverschluss des Jejunums und des terminalen Ileums.
Nach Rückübernahme aus dem OP-Saal entwickelte die Patientin einen rapide steigenden
Vasopressorenbedarf. Die Patientin verstarb 6 Tage nach Aufnahme trotz rascher Antibiotikaeskalation
im septischen Multiorganversagen.
Obduktion und Diagnose
Im Rahmen der Obduktion fanden sich führend eine konfluierende panlobuläre, abszedierende
Bronchopneumonie, begleitende, ausgedehnte alveoläre Ödeme, sowie eine kapillare Blutstauung
und Zeichen einer Schocklunge (Abb. 3). Daneben zeigte sich eine akute Kolitis mit
Durchwanderungsperitonitis. Das Herz war altersgerecht und mit zarten Klappenverhältnissen.
Hintergrund und Falldiskussion
PVL ist ein porenformendes, zytotoxisches Toxin, das v. a. polymorphkernige Zellen
wie Leukozyten, Makrophagen und Monozyten befällt. Codiert wird es durch die Gene
lukS-PV und lukF-PV, die Übertragung erfolgt durch Bakteriophagen [1]. PVL-positive
MSSA und MRSA erhalten durch die Expression des Leukozidins einen wichtigen Virulenzfaktor
für nekrotisierende Infektionen v. a. von Haut- und Weichteilgewebe sowie Pneumonien.
Infektionen mit einem PVL-positiven Staph. aureus (PVLPSA) weisen eine deutlich höhere
Mortalität als negative Stämme (PVLNSA) auf. Ein Risikofaktor für eine Infektion mit
PVLPSA ist die chronische Besiedlung des Nasenrachenraums. Zudem tendieren v. a. junge,
gesunde Menschen zu Sekundärinfektionen im Rahmen einer primären Virusinfektion [2].
Leukopenie, Symptome einer Influenza und Hämoptysen konnten als Faktoren nachgewiesen
werden, die mit einem letalen Ausgang assoziiert sind [3].
In Zusammenschau von klinischem Verlauf, CT-morphologischen Aspekten und den Ergebnissen
der Obduktion deuten wir die bakterielle Infektion als Superinfektion einer vorangegangenen
Parainfluenza-2-Infektion der oberen Atemwege.
Das Erregerspektrum einer CAP in Deutschland basiert hauptsächlich auf bakteriellen
Erregern wie Pneumokokken, Haemophilus influenzae oder Mykoplasmen sowie dem Influenzavirus
[4]. Hierzu konträr zeigt sich in unserem vorgestellten Fall die Infektion eines Staphylococcusstamms
einer scheinbar gesunden, jungen Frau. In der Literatur sind „influenza-like infections“
vor allem mit Superinfektionen von PVLPSA beschrieben [2]. Als mögliches Reservoir
für den PVLPSA muss die ausgeprägte Akne der Patientin in Betracht gezogen werden,
die sich mutmaßlich als Folge einer virusbedingten Immunsuppression zur endogenen
Infektion entwickelte. Auf eine antivirale Therapie wurde aufgrund bereits seit Tagen
bestehender Allgemeinsymptome, Anstieg der Lymphozyten sowie einer beginnenden Granulozytose
verzichtet. Angesichts der laborchemischen Hinweise auf das Vorliegen einer Immunsuppression
in Kombination mit den weißlichen Ablagerungen im Bronchialsystem und des schweren
Krankheitsverlaufs entschieden wir uns anfangs zur zusätzlichen Therapie mit Caspofungin,
die jedoch bei MSSA-Nachweis am Folgetag beendet wurde.
Therapeutisch eignen sich bei PVLPSA-Infektion v. a. Clindamycin und Linezolid, da
sie als Proteinsyntheseinhibitoren auch die PVL-Produktion potenziell hemmen können.
Die Gabe von β‑Laktam-Antibiotika sollte hochdosiert und antibiogrammgerecht erfolgen
[5]. Nach PLVPSA-Nachweis wurde auch in diesem Fall die Therapie mit Linezolid und
Ceftriaxon begonnen. Bei CT-morphologischem Verdacht auf kraniale septische Embolien
erfolgte nach Absprache mit unserem ABS-Team zusätzlich die Gabe von Fosfomycin.
Diagnose: Sepsis durch Infektion mit PVL-positivem Staphylococcus aureus
Insgesamt zeige sich bei Aufnahme das klinische Bild einer schweren Pneumonie [4].
Diese fand sich bereits im Röntgenbild bei Aufnahme (Abb. 1). Die im Anschluss durchgeführte
Pulmonalisangiographie erfolgte trotz ansteigender Nierenretentionsparameter angesichts
der schweren Partialinsuffizienz zur Detektion ätiologisch relevanter Erkrankungen,
z. B. Lungenarterienembolie mit Infarktpneumonie. Die zunehmende Kavernenbildung und
Einschmelzung von Lungengewebe (Abb. 2) in der Kontroll-CT decken sich mit den in
der Literatur beschriebenen nekrotisierenden Verläufen von PVLPSA-Infektionen [2].
In unserem Fall war auch die frühzeitig eskalierte, antibiogrammgerechte antibiotische
Maximaltherapie erfolglos. Aufgrund der Gefahr der PVLPSA-Besiedelung näherer Familienangehöriger
erfolgte die Empfehlung einer Umfelddiagnostik und möglicher Dekolonisierung analog
zur MRSA-Dekolonisierung. Die Ergebnisse der Umfelddiagnostik bleiben unklar.
Fazit für die Praxis
Bei schweren klinischen Infektionen mit Staphylococcus aureus und vorausgegangenem
viralen Infekt an PVLPSA (PVL-positives Staph. aureus) denken und genetische Bestimmung
einleiten
Frühzeitige kalkulierte oder antibiogrammgerechte Antibiotikaeskalation
Bei PVLPSA Hygieneisolation erwägen
Umfelddiagnostik, ggf. Dekolonisierung analog zu MRSA (methicillinresistente Staphylococcus
aureus)