BERLIN/HAMBURG - Telemedizinische Anwendungen erleben durch Covid-19 einen Boom. Das
zeigt auch die Entwicklung bei OnlineDoctor sieben Monate nach dem Start in Deutschland.
Eine Zwischenbilanz ziehen BVDD-Präsident Dr. Klaus Strömer und Leonie Sommer, Geschäftsführerin
von OnlineDoctor Deutschland. Sie erläutern die Zukunft des Berufsbildes Hautarzt,
wieso die Tage überfüllter Wartezimmer gezählt sind und warum die Dermatologie als
Blaupause für viele Fachrichtungen dienen kann.
OnlineDoctor (onlinedoctor.de) ermöglicht eine fachärztliche Diagnose innerhalb von
48 Stunden. Warum liegt der Fokus auf der Dermatologie?
Leonie Sommer: Die Dermatologie ist besonders für eine asynchrone Konsultation geeignet.
Das heißt: Patient und Arzt müssen für eine erste Beurteilung nicht zeitgleich am
selben Ort sein. Sehr viele Hautkrankheiten lassen sich per Blickdiagnose erkennen,
zudem sind im Gegensatz zu anderen Fachrichtungen meist keine Blutproben oder ähnliches
notwendig. Smartphones verfügen über sehr gute Kameras, die in Verbindung mit einer
Beschreibung der Symptome in den meisten Fällen eine sehr hohe Aussagekraft haben.
Dr. Klaus Strömer: Dermatologen sind sehr ausgelastet, die Wartezimmer voll, Termine
oft auf Wochen ausgebucht. Hier ist eine digitale Lösung ohne Probleme einsetzbar
und bietet großes Potential, von dem alle Seiten profitieren.
In Deutschland hat sich OnlineDoctor mit dem BVDD zusammengeschlossen - eine ungewöhnliche
Phalanx aus Verband und Start-up. Wieso kam es zu der ungleichen Paarung und welche
Ziele verfolgen Sie?
Strömer: Als Verband, der 90 Prozent der Dermatologen in Deutschland repräsentiert,
ist es unsere Aufgabe, stets nach Innovationen zu schauen und das Berufsbild für die
Zukunft zu rüsten. Die Arbeitswelten haben sich verändert und wir brauchen die Digitalisierung,
um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Dabei legen wir großen Wert auf
fachärztliche Qualität von Angeboten und versuchen, aktiv die Rahmenbedingungen zu
gestalten, etwa durch die Erarbeitung von Leitlinien für die Teledermatologie.
Sommer: Für uns ist der Fachverband ein Türöffner und kompetenter Ratgeber zugleich,
der uns nicht nur mit den Fachärzten zusammenbringt, sondern auch wertvolle Insights
bietet und uns mit zentralen Playern des Gesundheitswesens vernetzt. Wir freuen uns
sehr, dass der Verband sich für uns als Kooperationspartner entschlossen hat.
OnlineDoctor ist seit über zwei Jahren in der Schweiz am Markt. Dort setzen bereits
mehr als 20 Prozent der Dermatologen OnlineDoctor erfolgreich ein. Glauben Sie, dass
in Deutschland ebenfalls eine große Offenheit gegenüber digitalen Lösungen herrscht?
Gibt es Unterschiede zwischen den Märkten?
Strömer: Ja, unter unseren Mitgliedern ist das Interesse sehr groß. Die sensationellen
Fallabschlussquoten von 85 Prozent nach dem digitalen Erstkontakt in der Schweiz zeigen,
dass nur wenige Patienten wirklich persönlich vorstellig werden müssen. Die daraus
resultierenden positiven Effekte sind zahlreich: Praxen können effizienter organisiert
werden, es ist mehr Zeit für anspruchsvolle Fälle, Wartezeiten verkürzen sich, Vorsorge
und Betreuung können engmaschig und ohne Verzögerung erfolgen, Patienten können schnell
beruhigt werden, Hemmschwellen werden abgebaut - das kann besonders bei Geschlechtskrankheiten
von Vorteil sein, aber auch bei allen möglichen Beschwerden oder in Situationen, in
denen Menschen immobil oder im Urlaub sind - und strukturschwache Regionen können
besser betreut werden. Ich könnte noch lange so weiter machen. Ein Foto von einem
Ausschlag, einem Insektenstich oder einer Warze kann einfach sehr viel Zeit, Energie
und Nerven sparen.
Sommer: Wir sehen das genauso. Wir werden in Deutschland in wenigen Monaten ebenso
gut aufgestellt sein wie in der Schweiz. Wir kommen aktuell im Onboarding der interessierten
Dermatologen gar nicht so schnell hinterher, wie Anfragen eintreffen. Dazu werden
auch wir unser Team zeitnah aufstocken.
Was ist der nächste Schritt?
Sommer: Die Sichtbarkeit und Akzeptanz bei Patienten zu erreichen, ist zunächst der
wichtigste Schritt. Sie müssen davon erfahren und OnlineDoctor ausprobieren. Das gilt
für Betroffene, die Wege und Zeit spa- ren wollen, aber auch für Einrichtungen wie
Pflegeheime. Sie alle sollen die neuen Möglichkeiten erst kennenlernen.
Welchen Herausforderungen sehen Sie sich gegenüber?
Sommer: Die deutsche Gesundheitsver- sorgung findet zum größten Teil noch analog statt.
Der benötigte und auch schon angestoßene Strukturwandel wird nicht von heute auf morgen
stattfinden. Damit sich die Telemedizin langfristig durchsetzt, müssen alle Stakeholder
überzeugt werden - Patienten, Ärzte, Reha- und Alterszentren, Apotheken und viele
mehr. Wir sind jedoch fest davon überzeugt, dass wir dies mit OnlineDoctor erreichen
werden. Unsere Lösung ist intuitiv, kunden- und ärztefreundlich und verbessert die
Versorgung nachhaltig. Der sehr erfolgreiche Start in den letzten Monaten bestätigt
uns, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
Covid-19 hat der Telemedizin einen zusätzlichen Boom beschert. Macht sich das auch
bei OnlineDoctor bemerk- bar?
Sommer: Ganz deutlich. Die Nachfrage aus der Fachgruppe ist nochmal stark an- gestiegen.
Seit Mitte März haben wir über 200 Anfragen von Dermatologen erhalten. Allein im März
haben wir 120 Fachärzte onboarden können. Inzwischen sind bundesweit mehr als 300
Dermatologinnen und Dermatologen auf der Plattform regis- triert.
Haben junge Menschen mehr Interesse an dem digitalen Angebot als ältere?
Strömer: Auf Seiten der Ärzte ist sogar das Gegenteil der Fall. Junge Ärzte sind zunächst
mit der Praxisgründung oder -übernahme beschäftigt und finden sich in ihre zahlreichen
Rollen ein - da bleibt wenig Zeit für Neues und Außerplan- mäßiges. Wir stellen fest,
dass besonders erfahrene Kollegen Interesse zeigen, die mehrere 100 Patienten in der
Woche sehen.
Wie hat sich das Berufsbild des Dermatologen verändert?
Strömer: Es gibt immer weniger Nachwuchs. Viele Regionen haben bereits ein stark ausgedünntes
Netz an Dermatologen, Kassenpatienten warten bis zu drei Monate auf einen Termin.
Junge Ärzte wünschen sich, ebenso wie gut ausgebildete Fach- kräfte aller Berufsgruppen,
flexible Arbeitszeiten sowie ortsunabhängiges Arbeiten. Gerade für Frauen kann die
Möglichkeit der asynchronen Fallbearbeitung sehr interessant sein, da es die Vereinbarkeit
von Beruf und Familie unterstützt.
Welchen Herausforderungen sehen sich Hautärzte in Zukunft gegenübergestellt?
Strömer: Auch Patienten werden anspruchsvoller, sind gut informiert und agieren stärker
auf Augenhöhe. Sie wollen eine schnelle Hilfe - aus dem Urlaub zum Beispiel. Für eine
Salbe extra einen Termin machen und drei Wochen warten? Das wird uns bald sehr antiquiert
vorkommen.
Wie können digitale Lösungen wie OnlineDoctor da helfen?
Sommer: Wir ersparen nicht nur Warte- zeit, Anfahrt, Parkplatzsuche und Co. Wir eröffnen
auch eine absolute Wahlfreiheit bei der Entscheidung für einen Facharzt.
Der Name lässt nicht unbedingt auf eine Fachrichtung schließen. Warum?
Sommer: Wir haben den Namen bewusst offengehalten, weil wir glauben, dass das Erfolgsmodell
auch auf andere Fachbe- reiche übertragen werden kann. Zunächst liegt unser Fokus
jedoch auf der Dermatologie.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Wolfgang Hardt.