In Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie werden ggf. auch Ärztinnen und Ärzte auf
Intensivstationen zum Einsatz kommen, die bisher noch keine umfangreichen Erfahrungen
in der intensivmedizinischen Betreuung (von COVID-19-Patienten) haben. Um das Personal
in dieser Situation zu unterstützen, finden Sie an dieser Stelle die wichtigsten Empfehlungen
zur intensivmedizinischen Versorgung von Patienten mit COVID-19 in sehr kompakter
Form.
*Erstpubliziert in Med Klin Intensivmed Notfmed. 2020; https://doi.org/10.1007/s00063-020-00674-3;
es handelt sich um eine auf Wunsch der Redaktion aktualisierte Übernahme.
Vorbemerkung
Das neuartige Coronavirus erhielt den offiziellen Namen "SARS-CoV-2"; klinisches Bild
und Erkrankung werden als "COVID-19" bezeichnet.
Einleitung
Diese Empfehlung soll Ärzten auf Intensivstationen, die Patienten mit COVID-19 betreuen,
eine Hilfestellung geben. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei dem aktuellen COVID-19-Ausbruchsgeschehen
um eine sich sehr dynamisch entwickelnde Situation handelt. Der aktuelle intensivmedizinische
Wissensstand bezieht sich überwiegend auf Beobachtungen aus China und Italien [1].
Umfangreiche Informationen zum Erreger und zum Ausbruchsgeschehen finden sich auf
der Homepage des Robert Koch-Instituts (RKI; www.rki.de). Grundsätzlich empfehlen
wir, sich in einem multidisziplinären Team im Krankenhaus mit der Thematik zu befassen.
Dazu sollten in jedem Fall Intensivmediziner, Pflegekräfte, Infektiologen und Krankenhaushygieniker
gehören.
Eine Infektionsübertragung durch infizierte Personen erfolgt in der Regel über Tröpfcheninfektion
und bei engen Kontakten. Daher ist eine konsequente Umsetzung der Basishygiene (einschließlich
der Händehygiene) sowie der Personalschutzmaßnahmen essenziell.
Diagnostik
Der Nachweis des SARS-CoV-2 erfolgt aus einem tiefen Rachenabstrich oder aus Rachenspülwasser
mittels Polymerasekettenreaktion (PCR). Bei negativem Testergebnis und dringendem
klinischem Verdacht sollte eine zweite Probe getestet werden. Bei Patienten im späteren
Verlauf der Erkrankung (Pneumonie, ARDS ["acute respiratory distress syndrome"]) kann
der Rachenabstrich bereits wieder virenfrei sein, während noch infektiöse Viruslast
in den unteren Atemwegen besteht, sodass die Gewinnung von Tracheobronchialsekret
hilfreich ist.
Krankheitsbild
Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen
Fieber und Husten. Bei 81 % der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 % schwer und
5 % der Patienten sind kritisch krank [2]. Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt
im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz (> 30/min), dabei steht eine Hypoxämie
im Vordergrund. Oft zeigen sich dann bereits pulmonale Infiltrate in der Bildgebung
[3]. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines ARDS sowie, bisher eher seltener,
eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen
sind zudem Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines
akuten Nierenversagens. Die Zeitdauer vom Beginn der Symptome bis zur Aufnahme auf
die Intensivstation beträgt circa zehn Tage [4].
Labor
Laborchemisch zeigt sich häufig (ca. 80 %) eine Lymphopenie, bei einem Drittel der
Patienten mit Leukopenie. Die meisten Patienten haben einen normalen Prokalzitoninwert,
bei deutlich erhöhten Werten muss an eine bakterielle Superinfektion gedacht werden.
Das C-reaktive Protein (CRP) ist häufig erhöht, dabei scheinen sehr hohe Werte mit
einer schlechteren Prognose zu korrelieren [5]. Eine Thrombozytopenie, LDH(Lactatdehydrogenase)-Wert-Erhöhung
oder D-Dimer-Wert-Erhöhung findet sich bei ca. 40 % der Patienten. Nach den bisherigen
Erfahrungen deuten steigende Werte (insbesondere > 400 IU/ml) der unspezifisch erhöhten
LDH auf einen schwereren Verlauf hin. Bei einem kleineren Teil der Patienten finden
sich Troponinerhöhungen, die Relevanz ist unklar.
Bildgebung
Im konventionellen Röntgenbild zeigen sich bei intensivpflichtigen Patienten oft bilaterale
Infiltrate. In der Computertomografie (CT) finden sich bereits sehr früh im Lauf der
Erkrankung bilaterale, subpleural imponierende Milchglastrübungen [6] und eine Konsolidierung
von Lungenabschnitten [7]. Aufgrund des Risikos für Mitarbeiter und Patienten sollte
eine CT bei Intensivpatienten nur bei therapeutischer Konsequenz durchgeführt werden
[8]. Bettseitige Untersuchungen (Ultraschall) werden bevorzugt.
Unterbringung/Hygienemaßnahmen
Die Unterbringung erfolgt vorzugsweise einzeln in einem Isolierzimmer, idealerweise
mit Schleuse/Vorraum. Im Fall einer ausgeprägten Epidemie/Pandemie sollte eine Kohortenisolation
angestrebt werden. Zugang zum Patienten erfolgt nur durch für die Versorgung von COVID-19-Patienten
geschultes Personals, das möglichst von der Versorgung anderer Patienten freigestellt
wird. Dabei ist die Zahl der Personen, die das Zimmer betreten, auf ein Minimum zu
reduzieren (Besuchsverbot). Der Personaleinsatz sollte bedarfsgerecht sein. Bei der
Betreuung der Patienten ist unbedingt auf eine konsequente Umsetzung der Basishygiene
(einschließlich Händehygiene) sowie auf die korrekte Verwendung der persönlichen Schutzausrüstung
(PSA) zu achten. Laut Empfehlungen des RKI besteht die PSA aus Schutzkittel, Einweghandschuhen,
dicht anliegender Atemschutzmaske (FFP2 bzw. FFP3 oder Respirator bei ausgeprägter
Exposition gegenüber Aerosolen, z. B. bei Bronchoskopie oder anderen Tätigkeiten,
bei denen Aerosole entstehen können) und Schutzbrille. Wichtig ist die korrekte Verwendung
der PSA; dies beinhaltet das kontrollierte Anlegen (insbesondere Dichtsitz der Maske)
und das korrekte Ablegen (mit mehrfachen Händedesinfektionen), die Mitarbeiter sollten
diesbezüglich geschult sein. Konkrete Empfehlungen zu den notwendigen Hygienemaßnahmen
(räumliche Unterbringung, Personalschutzmaßnahmen, Desinfektion, Reinigung, Abfallentsorgung
und Krankentransport) finden sich auf der Homepage des RKI [9]. Die Festlegung von
Maßnahmenbündeln sollte für jede medizinische Einrichtung lageangepasst durch ein
Expertengremium erfolgen.
Medikamentöse Therapie
Für eine spezifische antivirale Therapie liegen bislang noch keine ausreichenden Daten
vor. Es gibt Therapieversuche mit einer Reihe von Substanzen (Hydroxychloroquin, Lopinavir/Ritonavir,
Camostat, Remdesivir etc.). Ein Einsatz kann unter Umständen nach einer Benefit-Risiko-Abwägung
als Einzelfallentscheidung erwogen werden. Therapieversuche sollten, wenn möglich,
im Rahmen von "Compassionate-Use-Programmen" oder Studienprotokollen durchgeführt
werden [10]. Die Universität Liverpool hat eine Aufstellung wahrscheinlicher pharmakokinetischer
Interaktionen mit experimentellen Therapien von COVID-19 veröffentlicht [11].
Steroide sollten bei ARDS in keinem Fall routinemäßig gegeben werden, eine Gabe scheint
die virale Clearance zu verzögern und begünstigt das Pilzwachstum [12]. Studien bei
SARS und Influenza zeigten nachteilige Effekte. Ausnahme ist die niedrig dosierte
Hydrokortisontherapie bei septischem Schock ohne Ansprechen auf Flüssigkeits- und
Vasopressortherapie über einen Zeitraum von mehr als einer Stunde [13].
Antibiotische Therapie
Grundsätzlich sollte bei Beginn der Behandlung auf der Intensivstation und bei einer
Verschlechterung des Patienten im Verlauf die Abnahme von mindestens zwei (sowohl
aerobe als auch anaerobe) Blutkultursets erfolgen [13]. Bei Patienten mit Verdacht
auf eine Koinfektion sollte eine kalkulierte antibiotische Therapie frühzeitig initiiert
werden. Eine prophylaktische Antibiotikagabe wird nicht empfohlen.
Maßnahmen bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz
Eine Flüssigkeitstherapie sollte, insbesondere bei Fehlen von Schock oder Gewebeminderperfusion,
zurückhaltend erfolgen. Bei einer Flüssigkeitsüberladung kommt es zu einer Verschlechterung
der Oxygenierung.
Ziel ist es eine adäquate Oxygenierung sicherzustellen, empfohlen wird eine Sauerstoffsättigung
(SpO2) ≥ 90 % [14]. Beachtet werden muss, dass die Anwendung der High-flow-Sauerstofftherapie
sowie der nichtinvasiven Beatmung (NIV) zu einer Aerosolbildung führt. Absolut notwendige
Voraussetzungen für diese Therapieformen bei dieser Patientengruppe sind daher ein
adäquater Sitz der NIV-Maske bzw. der nasalen High-flow-Brille (HFNC, "high flow nasal
cannula") [15] sowie die korrekte Verwendung der PSA beim Personal (insbesondere korrekter
Dichtsitz der FFP2-Maske). Bei entsprechender Erfahrung ist die NIV mittels Beatmungshelm
zu bevorzugen.
Insgesamt sollte daher die Indikation für HFNC/NIV bei akuter hypoxämischer respiratorischer
Insuffizienz im Rahmen von COVID-19 eher zurückhaltend gestellt werden. Bei Patienten
mit einer schwereren Hypoxämie (arterieller Sauerstoffpartialdruck [PaO2]/inspiratorische
Sauerstofffraktion[FiO2] ≤ 200 mm Hg) ist vorzugsweise die Intubation und invasive
Beatmung anzustreben. In jedem Fall müssen ein kontinuierliches Monitoring und eine
ständige Intubationsbereitschaft sichergestellt sein. Eine Verzögerung der Intubation
bei Nichtansprechen einer NIV verschlechtert die Prognose, eine notfallmäßige Intubation
sollte aufgrund des Übertragungsrisikos unbedingt vermieden werden.
Intubation/Prozeduren
Prozeduren an den Atemwegen (Intubation, Bronchoskopie, offenes Absaugen, manuelle
Beatmung, Tracheotomie) sollten aufgrund der Aerosolbildung nur bei absoluter Notwendigkeit
mit entsprechenden Schutzmaßnahmen (inkl. FFP2/FFP3-Maske und Schutzbrille) durchgeführt
werden. Bei invasiver Beatmung sollte eine geschlossene Absaugung verwendet werden.
Die Intubation sollte nur durch einen Arzt mit umfangreicher Intubationsexpertise
durchgeführt werden. Wenn vertretbar sollte eine Rapid Sequence Induction (RSI) ohne
Zwischenbeatmung durchgeführt werden, um die Aerosolbildung zu minimieren [16]. Durch
den Einsatz eines Videolaryngoskops kann der Abstand zwischen Arzt und Patient bei
der Prozedur vergrößert werden. Der Gebrauch des Stethoskops zur Lagekontrolle des
Tubus sollte zurückhaltend erfolgen. Bei einer notwendigen Reanimation ist besonders
auf die entsprechenden Schutzmaßnahmen des Personals zu achten, die Atemwegsicherung
sollte dabei schnell erfolgen und die betreuende Personalgruppe klein gehalten werden.
Invasive Beatmung und adjuvante Maßnahmen
Bei Patienten mit ARDS wird grundsätzlich die Beatmung mit einem Tidalvolumen [VT]
≤ 6 ml/kg Standardkörpergewicht (Standard-KG) und einem endinspiratorischen Atemwegsdruck
≤ 30 cm H2O empfohlen. Die Einstellung des PEEP ("positive end-expiratory pressure")
kann orientierend anhand der ARDS-Network-Tabelle (FiO2-PEEP-Tabelle) erfolgen. Bei
moderatem und schwerem ARDS sollte ein adäquat hoher PEEP verwendet werden, der sich
an der sog. High-PEEP-Tabelle orientiert [17]. Bei ARDS und einem PaO2/FiO2 < 150
mm Hg soll konsequent eine Bauchlagerung durchgeführt werden, das Bauchlagerungsintervall
beträgt dabei mind. 16 h. Im Einzelfall können zur Überbrückung einer schweren Hypoxämie
die Applikation von inhalativem Stickstoffmonoxid (NO), eine Muskelrelaxierung oder
ein Rekrutierungsmanöver erwogen werden. Bei Patienten mit schwerem ARDS und therapierefraktärer
Hypoxämie (PaO2/FiO2 < 80 bzw. 60 mm Hg) ist der Einsatz der venovenösen ECMO ("extracorporeal
membrane oxygenation") eine therapeutische Option, um den Gasaustausch zu stabilisieren.
Allerdings müssen vor ECMO-Anlage alle sonstigen Therapiemaßnahmen ausgeschöpft sein.
Kontraindikationen müssen ausgeschlossen und der Patientenwille evaluiert werden.
Verfügbarkeit von Intensivbetten
Das ARDS-Netzwerk und die Sektion "respiratorisches Versagen" der Deutschen Interdisziplinären
Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) betreiben zusammen mit dem RKI
in Kürze eine Webseite zur Meldung aller freien Intensivkapazitäten in Deutschland.
Aktuell können Kliniken im ARDS-Netzwerk die vorhandenen Kapazitäten unter https://www.divi.de/register/intensivregister
eingeben.
Prof. Dr. med. Stefan Kluge
Klinik für Intensivmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistr. 52,
20246 Hamburg
skluge@uke.de